Paihia, am gleichen Nachmittag, September 1844
June Hobsen strahlte an diesem Tag vor Glück. Sie trug ein wertvolles weißes Hochzeitskleid. Ihre Mutter hatte es sich nicht nehmen lassen, den besten Schneider vor Ort zu beauftragen. Dieser hatte einen Traum aus weißer Seide gezaubert, der am Hals und an den Ärmeln mit breiten Brüsseler Spitzen besetzt war. Ein Hochzeitskleid zu besitzen war in der Bay of Islands keine Selbstverständlichkeit. Viele der ärmeren Mädchen gingen in ihrem Sonntagsstaat - und der war meistens schwarz - in die Kirche, um zu heiraten. Doch June Hobsen war nicht irgendein Mädchen aus den Northlands, sondern das mit Abstand reichste. Ihr Vater hatte einst als einfacher Walfänger in Kororareka angefangen, um sich durch unermüdlichen Fleiß und mit brennendem Ehrgeiz zum Eigner mehrerer Schiffe und Besitzer diverser Handelshäuser hochzuarbeiten. Dabei war ihm auch das Glück hold gewesen, denn er hatte mit der Tochter eines reichen Reeders auch dessen Schiffe geheiratet. Außerdem munkelte man, dass er im Namen der New Zealand Company illegal Land an neue Siedler verkaufte, und zwar Land, das der Gesellschaft gar nicht gehörte. Und auch über sein Privatleben kursierten die wildesten Gerüchte. So wusste jedermann in Kororareka darüber zu berichten, was für ein ausschweifendes Leben er in seinem Strandhaus in Oneroa führte, während Frau und Tochter sittsam in einem Haus wohnten, das hoch über dem Teil von Russell lag, der ehemals Kororareka geheißen hatte. Er war ein rauer Geselle, der gerade dabei war, die Hochzeitsgesellschaft mit derben Zoten zu unterhalten.
Walter Carrington warf seiner Frau einen prüfenden Blick zu. Sie schien geradezu an den Lippen des grobschlächtigen Kerls zu hängen, für den er, Walter, keine allzu großen Sympathien hegte. Das lag nicht zuletzt an dessen dubiosen Verbindungen zu der New Zealand Company. Diese Gesellschaft war Walter und auch allen übrigen in der Bucht ansässigen Missionaren ein Dorn im Auge. Es war nicht richtig, die Siedler anzulocken und zum Teil mit Land abzuspeisen, dessen Eigentumsverhältnisse nicht geklärt waren. Walter seufzte. Was Emily nur an den Hobsens fand? Ihm, Walter, wäre die Tochter eines bescheidenen Missionars wesentlich lieber gewesen.
Als Walters Blick nun länger als beabsichtigt auf seiner Frau ruhte, riss ihn das aus seinen düsteren Gedanken. Emily war kalkweiß im Gesicht, und sie blickte gar nicht den Schwiegervater ihres Sohnes an, sondern an ihm vorbei ins Leere. Und warum trommelte sie so nervös mit den Fingern auf der Tischplatte herum?
Bei dem bedauernswerten Anblick krampfte sich Walters Herz zusammen. Es ging ihr nicht gut. Das war beim besten Willen nicht zu übersehen. Er liebte seine Frau so sehr, dass er es nur schwerlich ertragen konnte, wenn sie litt. Und das war mit Sicherheit der Fall, aber was war der Grund? War sie krank? Walter verspürte sofort das dringende Bedürfnis, ihr die Last abzunehmen, aber wie sollte er ihr ein Zeichen geben? Er saß zu weit weg von ihr, und sie stierte ins Leere, statt sich ihm zuzuwenden.
Walter seufzte. Er riss seinen Blick von ihr los und betrachtete verstohlen die Braut. Sie besaß ein grob geschnittenes Gesicht und eine teigige Haut. Ihre Lippen waren so wulstig, dass die Unterlippe zu hängen schien. Und dann dieses feine Haar, das so kunstvoll aufgesteckt einigermaßen voll aussah. Wenn er bloß verstehen würde, warum Emily Henrys Ehe mit diesem unattraktiven Mädchen so befürwortet hatte! Dabei kannte er die Antwort. Sie wollte ihn in sicheren Lebensumständen wissen, und in diese hatte er mit June Hobsen als Ehefrau zweifelsohne hineingeheiratet. Als Erbe des Alten würde er nie Not leiden müssen. Aber wozu das alles, wenn er mit ihr nicht einmal eine Familie würde gründen können? War es doch hinlänglich bekannt, dass das arme Mädchen keine eigenen Kinder bekommen konnte. Als er nun seinen Sohn dabei beobachtete, wie er seiner jungen Frau den Arm um die Schultern legte, während er dröhnend über die Witze seines Schwiegervaters lachte, hatte er seine Antwort. Es ließ sich nicht mehr verdrängen, was er längst wusste. Diese Ehe wurde nicht aus Liebe geschlossen, sondern aus geschäftlichen Gründen. Henrys einziger Wunsch war es offenbar, ohne große Anstrengung ein bequemes Leben zu führen. Die beiden Männer sind aus einem Holz geschnitzt, ging es Walter bedauernd durch den Kopf, bevor sein Blick an einem leeren Stuhl hängen blieb. Es war Matthews Platz, und Walter fragte sich, wo der Junge nun schon wieder abgeblieben war. Vor über einer halben Stunde war er fortgegangen und nicht wieder zum Fest zurückgekehrt. Auch Maggys Platz blieb verwaist. Das arme Mädchen hatte sich den Magen verdorben. Nein, Walter war zwar kein abergläubischer Mann, aber das waren alles keine guten Vorzeichen für diese Hochzeit.
In diesem Augenblick trafen sich Emilys und sein Blick. Sie sah entsetzlich aus. Und warum hatte sie verweinte Augen? Das konnte und wollte er sich nicht länger tatenlos mitansehen. Er sprang von seinem Stuhl auf und trat auf seine Frau zu.
»Du bist so blass, ich glaube, du brauchst frische Luft, du ...« Seine weiteren Worte gingen in John Hobsens dröhnendem Lachen unter. »Stell dir vor, Walter, und da fragt dieses rassige schwarze Ding...«
Walter aber dachte nicht daran, Johns Witzen zu lauschen, sondern griff energisch nach Emilys Hand und zog seine Frau mit sich fort ins Freie.
Erst als der Lärm der Feier nur noch aus der Ferne zu ihnen herübertönte, blieb der Missionar abrupt stehen und blickte sie besorgt an.
»Mein Liebes, was quält dich? Du bist doch nicht etwa auch krank? Und warum hast du geweint? Ich sehe es doch an deinen Augen.«
»Nein, nein, was soll sein? Es ist alles in Ordnung.«
»Und warum wirst du rot?«
Tränen schossen ihr in die Augen.
»Du bist grausam«, entfuhr es ihr weinerlich, und sie schob die Unterlippe vor, wie sie es immer tat, wenn sie schmollte.
Er aber nahm sie zärtlich in die Arme. »Ich ertrage es nicht, wenn es dir schlecht geht. Ich will dir doch helfen.«
»Mir kann keiner helfen«, erwiderte sie heftig und befreite sich brüsk aus seiner Umarmung.
Walter stand da wie ein gescholtener Schuljunge. Die Schultern hingen ihm schlaff hinab, und in seinem Gesicht stand die Furcht geschrieben, weitere Schläge einstecken zu müssen. Er überlegte noch, womit er seine Frau wieder versöhnlicher stimmen könne, als sie erstaunt ausrief: »Schau mal dort, unseren Matthew! Was macht der denn da unten am Wasser? Und vor allem, was sind das für zwei finstere Kerle, die auf ihn einreden?«
Walter wandte den Blick in die Richtung des Steges. Seine Miene verdüsterte sich. »Das sind, wenn ich mich nicht irre, Waaka und Tiaki, zwei der jungen Burschen von Hone Hekes Leuten. Die beiden kommen aus Kaikohe und hängen wie die Kletten an ihrem Häuptling.«
»Und was wollen sie von unserem Jungen?«
Walter hob die Schultern. »Wenn ich das nur wüsste! Auf jeden Fall hat das nichts Gutes zu bedeuten. Die beiden Kerle sind mit Sicherheit in die Flaggenmastgeschichte verwickelt...«
»Um Himmels willen, dann geh hin und hol den Jungen ins Haus! Ich möchte nicht, dass er mit solchen kriegerischen Kerlen verkehrt.«
Walter zögerte. Ihm missfiel es ebenfalls, dass die beiden Burschen auf Matthew einredeten, und vor allem, wie aufdringlich sie waren. Matthew schüttelte nämlich die ganze Zeit über abwehrend den Kopf, während sie ihn regelrecht zu bedrängen schienen.«
»Los, worauf wartest du noch? Oder soll ich den Bengeln Beine machen?«
»Nein, nein, ich gehe schon, ich...«, seufzte Walter und machte sich widerwillig auf den Weg.
Unbemerkt näherte er sich den drei jungen Maori, bis Matthew ihn erblickte. Er hat ein schlechtes Gewissen, schloss Walter aus dem erschrockenen Gesichtsausdruck seines Ziehsohnes.
»Junge, was treibst du dich hier draußen herum, während Hochzeit gefeiert wird?«
»Ich ... äh, also, ich wollte ...«, stammelte Matthew verlegen, doch da mischte sich Tiaki ein, der älteste und kräftigste der drei Burschen. »Sir, entschuldigen Sie«, säuselte er in bestem Englisch. »Wir wollten ihn nur dazu überreden, mit uns fischen zu gehen, aber er möchte nicht. Was meinen Sie, leihen Sie ihn uns für eine kleine Bootsfahrt aus?«
Walters angespannte Miene glättete sich sichtlich, ja, er rang sich sogar zu einem Lächeln durch. »Nein, das ist heute leider nicht möglich. Seht ihr dort oben auf dem Hügel Misses Carrington stehen? Wenn ich Matthew nicht augenblicklich zum Fest zurückbringe, wird sie sehr böse.«
»Aber Sie sind doch der Herr und Mann. Sie entscheiden, nicht die da!«, spuckte Waaka verächtlich aus.
»Nein, mein lieber Junge, du irrst. Draußen entscheiden bei uns die Männer, aber zu Hause die Frauen.«
»Das ist bei uns nicht anders«, lachte Tiaki, doch dann wurde er wieder ernst. »Aber können Sie nicht eine Ausnahme machen? Es ist doch so langweilig für Matui.«
Walter lächelte nicht mehr. Im Gegenteil, sein Gesicht hatte sich in dem Augenblick verfinstert, als der junge Mann Matthew bei seinem Maori-Namen genannt hatte.
»Hat er recht? Ist dir die Hochzeit deines Bruders langweilig, Matthew?«, fragte er in scharfem Ton.
Matthew schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, ich komme mit dir. Wir ... wir gehen ein anderes Mal zum Fischen«, stammelte er und wandte sich zum Gehen. Er rannte so flink den Hügel hinauf, dass Walter ihm kaum folgen konnte.
Als die beiden schnaufend oben angekommen waren, empfing Emily sie neugierig. »Was wollten diese schrecklichen Burschen von dir?«, fragte sie.
»Sie wollten ihn zum Fischen abholen«, erklärte Walter beschwichtigend.
»An der Hochzeit deines Bruders! Das ist ungehörig. Nun lasst uns schnell zurückkehren. Es fällt bestimmt auf, dass die ganze Familie verschwunden ist.«
»Ach, Mutter, du hast ja recht. Deshalb bin ich ja auch nicht mitgegangen. Aber sag mal, wo steckt eigentlich Maggy? Ich habe sie den Nachmittag über vermisst.« Bei diesen Worten spürte Matthew seine Ohren rot werden, denn das war eine Lüge. Er hatte die Abwesenheit seiner Schwester erst vor etwa einer halben Stunde bemerkt, als seine beiden Freunde ums Haus herumgeschlichen waren. Da hatte er Maggy sagen wollen, dass er für einen Augenblick frische Luft schnappen würde, aber keiner der Gäste hatte sie gesehen.
»Sie liegt krank in ihrem Bett«, erwiderte Emily knapp.
Matthew sah seine Ziehmutter sichtlich erschrocken an. »Was hat sie denn? Ist es schlimm?«
»Nein, gar nicht, sie hat sich ein bisschen den Magen verdorben. Kein Wunder bei den Mengen, die sie in letzter Zeit verdrückt«, erwiderte Emily scheinbar unbeschwert.
»Ich muss sofort zu ihr. Sie wollte mich gestern unbedingt sprechen, aber ich hatte keine Zeit für sie. Das arme Ding.«
»Das verbiete ich dir«, schnaubte Emily. »Sie braucht ihren Schlaf, und du musst jetzt wieder dorthinein!«
Sie waren in der Diele des Hauses angekommen, und Emily deutete auf die Tür des Wohnzimmers, durch die lautes Geplauder und Gelächter herausdrangen.
Matthew zögerte, doch dann machte er einen Schritt auf die Treppe zu. »Mutter, sie ist meine kleine Schwester. Und ich kann nicht fröhlich weiterfeiern, ohne mich persönlich von ihrem Zustand überzeugt zu haben. Das musst du verstehen.«
Emily aber baute sich wie eine Furie vor ihrem Stiefsohn auf. »Dein Platz ist auf dem Fest«, zischelte sie.
Matthew sah sie entgeistert an, dann richtete er den Blick auf seinen Ziehvater, der einen hilflosen Eindruck machte.
»Vater, bitte, hilf mir doch! Ich will nur kurz nach Maggy sehen. Das kann sie mir doch nicht verbieten ...«
»Das kann ich sehr wohl...«, schimpfte Emily.
»Liebes, nun lass ihn doch nach ihr schauen!«, presste Walter schließlich hervor. Doch statt nachzugeben, schrie Emily »Nein, nein, nein!« und stampfte zur Bekräftigung mit dem Fuß auf.
Matthew aber schlüpfte unter ihren ausgebreiteten Armen hindurch und eilte nach oben. Er hörte nur noch, wie seine Mutter laut schluchzend das Haus verließ und der Vater ihr folgte.
Vor Sorge um seine Schwester vergaß Matthew sogar anzuklopfen, sondern stürmte einfach in ihr Zimmer.
Als er sie mit rot verweinten Augen im Bett liegen sah, durchfuhr ihn ein eisiger Schrecken. Er stürzte förmlich auf sie zu und ergriff ihre Hand.
»Maggy, Kleine, was ist mit dir?«
Sie aber wandte ihm nicht einmal das Gesicht zu, sondern starrte weiterhin zur Decke hinauf.
»Bitte, sprich mit mir!«
Zögernd drehte sie sich zu ihm um. Der Anblick ihrer traurigen Augen wollte ihm schier das Herz zerreißen.
»Ich habe mir ein wenig den Magen verdorben«, raunte sie.
»Aber du hast doch geweint. Ich sehe es dir an. Wer hat dir etwas angetan?«
»Ich bin so enttäuscht, dass ich nicht mit euch feiern kann«, erwiderte sie heiser.
Matthew spürte bei diesen Worten eine große Erleichterung. Sie tat ihm leid, aber er hatte schon befürchtet, sie sei dem Tod geweiht.
Er umarmte sie und drückte sie fest an sich. »Ach, meine Kleine, es tut mir so leid, dass ich gestern keine Zeit mehr für dich hatte.« Er ließ sie los und blickte sie fragend an. »Was wolltest du mir eigentlich erzählen?«
»Ich ... ich weiß gar nicht mehr ... Nichts Besonderes«, entgegnete sie hastig.
»Das glaube ich dir nicht. Komm, du hast doch etwas auf dem Herzen. Hattest du Streit mit Mutter? Sie ist nämlich eben richtiggehend wütend geworden, weil ich nach dir sehen wollte.«
Maggy konnte seinem Blick nicht standhalten. Sie schloss die Augen. Ihr war, als hätte sie keinen Menschen mehr auf dieser Welt, außer dem Wesen, das in ihr heranwuchs und das keiner wollte. Am allerwenigsten sie. Die schreiende Ungerechtigkeit darüber, dass sie leiden musste, während der Übeltäter fröhlich Hochzeit feierte, schnürte ihr die Kehle zu.
Wie von ferne hörte sie ihren Bruder seufzen: »Maggy, ich bin dein Bruder. Wir haben doch keine Geheimnisse voreinander. Glaubst du, ich sehe nicht, wie du gegen die Tränen ankämpfst? Du musst sie doch vor mir nicht verstecken.«
Matthews warmherzige Worte ließen sie laut aufschluchzen. Sie öffnete die Augen.
»Sag mal, der Grund deiner Traurigkeit heißt doch nicht etwa Henry, oder?«, fragte er nun wie aus heiterem Himmel.
Maggy zuckte erschrocken zusammen. Ahnte er etwas? Ach, wie gern hätte sie laut hinausgeschrien, was Henry ihr angetan hatte, aber sie hatte auf die Bibel geschworen, kein Sterbenswort zu verraten. Und der Herr würde sie und ihre Lieben strafen, wenn sie ihren Schwur brach.
Sie fixierte ihre Bettdecke. »Ja«, hauchte sie verschämt. »Ich bin traurig, dass er eine andere heiratet...«
»Eine andere? Wie meinst du das?«
»Matty, ich liebe ihn, aber nicht wie eine Schwester ...« Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Es war ein schmaler Grat, den sie da betreten hatte. Das war ihr sehr wohl bewusst, aber hatte sie eine andere Wahl? Wenn er nicht hinter die Wahrheit kommen durfte, musste sie ihrem Bruder das verliebte Mädchen Vorspielen, das am Hochzeitstag ihres Schwarms um die verlorene Liebe trauerte. Und das war gar nicht so einfach, denn dort, wo sie vorher ihre Liebe zu Henry empfunden hatte, wuchs nun Verachtung für ihn. Nein, Liebe war es mit Sicherheit nicht mehr. Doch sie empfand auch keinen Hass, denn solche Gefühle durfte sie als Christenmädchen nicht hegen. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Wie oft hatte sie Gott in den letzten Stunden gefragt, wie er das hatte zulassen können. Dass Henry unbeschwert Hochzeit feierte, während sie ... Aber den Wunsch, in diesem Augenblick an June Hobsens Stelle zu sein, den hegte sie auch nicht. Nicht mehr, nach allem, was er ihr angetan hatte.
Matthew sah sie ungläubig an.
»Du hast doch nicht etwa geglaubt, dieser Windhund würde dich heiraten?«
»Ich habe es tief in mir gehofft, aber ich wusste doch, dass das nicht sein darf, und deshalb ahnt er nichts von meinen Gefühlen.«
»Das sind dumme Gefühle«, schnauzte Matthew. »Er ist ein oberflächlicher und fauler Pakeha, und du wirst einmal den Sohn eines Häuptlings heiraten. Bedenke doch, wer du bist! Du bist eine Maori-Prinzessin.«
Maggys Tränen versiegten auf der Stelle. »Nein, Matthew, ich bin das, was mir Mutter und Vater an Güte entgegengebracht haben. Ich gehöre zu ihnen.«
»Was redest du für einen Unsinn? Du bist Prinzessin Makere. Unser Vater war ein mächtiger Häuptling und der höchste seines Stammes...«
»Nenn mich nicht Makere!«, schnaubte Maggy zurück.
»Da kann ich Henry ja nur dankbar sein, dass deine Schwärmerei nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist.«
Maggy erstarrte. Wenn er bloß wüsste, wie er in diesem Augenblick irrt, dachte sie.
»Ich möchte allein sein«, bat sie leise und fügte bissig hinzu: »Dann such du nur einen Prinzen für mich. Wenn du ihn gefunden hast, kannst du ihn ja den Eltern vorstellen.«
Matthew erhob sich wütend, doch dann blieb er unschlüssig stehen.
»Entschuldige, Kleine, ich wollte dich nicht verletzen, aber ich kann es nur schwer ertragen, dass du dein Herz ausgerechnet einem dermaßen ungebildeten Pakeha schenkst.«
»Ich werde darüber hinwegkommen«, entgegnete Maggy versöhnlich. »Aber nun geh. Sie werden dich auf dem Fest vermissen.«
Matthew aber beugte sich zu ihr hinunter und berührte ihre Stirn mit der seinen. Dann tat er dasselbe mit der Nase.
»Weißt du noch? So haben sich alle bei uns im Dorf begrüßt«, bemerkte er mit einer gewissen Sehnsucht in der Stimme, verbunden mit der Erinnerung daran, wie Hone Heke ihm am Fahnenmast einen Nasenkuss gegeben hatte.
»Ja, ich entsinne mich dunkel«, erwiderte Maggy, aber das war gelogen. Sie hatte kaum Erinnerungen an ihre Kindheit. Nur an jenen Tag, an dem die Feinde in ihr Dorf eingedrungen waren und alle niedergemetzelt hatten. Manchmal hörte sie nachts noch die Schreie. Dann sah sie sich wieder mit ihrem Bruder oben im Vorratshaus hinter den Kumara hocken, in der schrecklichen Erwartung, dass man sie gleich finden und ebenso grausam umbringen werde. Doch die Feinde hatten das Vorratshaus übersehen. Ja, sie hatten es weder durchsucht noch geplündert oder niedergebrannt. Nach endlosen Stunden des Wartens hatten die beiden Kinder ihr Versteck verlassen und ihre abgeschlachteten Stammesschwestern und Brüder entdeckt. Matthew hatte Maggy gezwungen, die Augen zu schließen, und sie dann sicher aus dem Dorf gebracht. Seitdem war die Süßkartoffel für sie eine heilige Frucht, denn wenn ihre Eltern sie nicht geschickt hätten, einen Korb davon für das Hangi aus dem Vorratshaus zu holen, sie wären heute nicht mehr am Leben gewesen. Leider hatten die Feinde sie dann doch noch entdeckt und verschleppt, bis der gütige Missionar sie gerettet hatte. Daran erinnerte sich Maggy öfter, als ihr lieb war, doch an den Nasenkuss, den Hongi, nein, daran nicht.
»Ich gehe dann mal.« Mit diesen Worten riss ihr Bruder sie aus ihren Gedanken.
»Ja, geh nur.«
Nachdem Matthew das Zimmer verlassen hatte, hätte Maggy gern geweint, doch ihre Tränen waren inzwischen versiegt. Ausgetrocknet wie ein Flussbett im heißen Sommer. Maggy schlug stattdessen so lange mit den bloßen Fäusten gegen die Wand, bis ihre Fingerknöchel wund waren.