I
Sie glauben gar nicht, wie groß so eine Ratte ist.
Zuerst hörte ich sie bloß: das gruselige Rascheln eines ungebetenen Gastes, alles andere als angenehm in einer engen Gefängniszelle. Ich hob den Kopf.
Meine Augen hatten sich an das Fast-Dunkel gewöhnt, und als das Tier sich wieder bewegte, konnte ich es sehen: ein aschgraues Männchen, dessen rosa Pfoten bestürzende Ähnlichkeit mit Kinderhändchen hatten. Der Ratz war so groß wie ein Karnickelbock. Ich kenne genug Billiglokale in Rom, wo der Koch es nicht so genau nehmen und diesen fetten Aasfresser ohne große Skrupel in den Suppentopf stecken würde. Ordentlich Knoblauch dazu, und keiner würde was merken. Die Kesselheizer aus den Slums hinterm Circus Maximus wären froh, wenn ihnen in ihrer Stammkneipe überhaupt mal ein Knochen mit echtem Fleisch dran die Suppe würzte …
Mir knurrte vor lauter Elend der Magen, aber alles, was ich runterschlucken konnte, war meine Wut darüber, hier festzusitzen. Die Ratte durchstöberte angelegentlich den Abfall in einer Ecke, monatealter Müll von früheren Häftlingen, den anzurühren es mich zu sehr geekelt hatte. Das Tier bemerkte mich wohl, als ich mich aufrichtete, nahm aber weiter keine Notiz von mir. Wenn ich ganz still liegenblieb, würde es mich vielleicht für einen Haufen alter Lumpen halten und zur späteren Untersuchung vormerken. Zog ich dagegen schützend die Beine an, würde die Bewegung es garantiert aufscheuchen.
Egal, was ich tat, über die Füße laufen würde das Vieh mir so oder so.
Ich saß in den Lautumiae, zwischen lauter kleinen Gaunern, die sich keinen Anwalt leisten konnten, und harmlosen Taschendieben vom Forum, die ein Weilchen Ruhe haben wollten vor ihren Frauen. Es hätte mich schlimmer treffen können, wenn ich nämlich im Mamertin gelandet wäre, der Durchgangsschleuse für politische Gefangene, wo die Kerker zwölf Fuß tief unter der Erde liegen und einem armen Schlucker ohne Beziehungen nur der direkte Ausgang in den Hades bleibt. Hier bei uns war wenigstens immer was los: Alte Knastbrüder sorgten mit scharfen Subura-Flüchen für Stimmung, Sturzbetrunkene führten Veitstänze auf. Im Mamertin dagegen herrscht ununterbrochene Monotonie, bis der Henker kommt und Maß nimmt.
Bestimmt gibt es im Mamertin auch keine Ratten. Kein Kerkermeister verwöhnt einen zum Tode Verurteilten noch mit Speis und Trank, also können dort kaum Reste für das Nagervolk abfallen. Ratten kriegen so was schnell spitz. Außerdem muß der Mamertin streng auf Sauberkeit achten, denn man weiß nie, wann ein aufstrebender Senator hereinschaut, um seinen Freunden, die so töricht waren, den Kaiser zu beleidigen, das Neueste vom Forum zu berichten. Darum also boten sich einem Häftling nur hier in den Lautumiae, diesem Sammelbecken für den Abschaum der Gesellschaft, so spannende Abenteuer wie das, abzuwarten, wann sein schnurrbärtiger Zellengenosse ihm die Zähne ins Schienbein schlagen würde …
Die Lautumiae sind ein Riesenbau, groß genug für ganze Schwadronen von Häftlingen. Die Stammgäste hier sind durch die Bank Ausländer, arme Teufel aus aufsässigen Provinzen. Aber auch ein Römer, der dem falschen Beamten auf die Füße trat, konnte jederzeit hier landen – so wie ich jetzt – und bitteren Gedanken über das Establishment nachhängen, während er seinen Zehennägeln beim Wachsen zusah. Bestes Beispiel dafür war die Klage gegen mich – oder vielmehr, was der Mistkerl, der mich hinter Gitter brachte, dafür ausgab: Ich hatte den folgenschweren Fehler begangen, den Oberspion des Kaisers zu blamieren. Dieser Anacrites, ein rachsüchtiger Drahtzieher, war im Frühsommer mit einer Mission in der Campania betraut worden; als er die Sache verbockte, gab Kaiser Vespasian mir den Auftrag, sie wieder ins reine zu bringen, was ich denn auch mit Bravour erledigte. Anacrites reagierte wie jede zweitklassige Amtsperson, wenn der Nachwuchs sich profiliert: In der Öffentlichkeit gratulierte er mir, aber bei nächster Gelegenheit würgte er mir eine rein.
Ein harmloser Buchungsfehler hatte mich zu Fall gebracht: Anacrites behauptete, ich hätte Bleibarren aus kaiserlichem Besitz gestohlen – dabei hatte ich mir das Zeug bloß für eine Tarnaktion in Staatsdiensten ausgeborgt. Das Geld, das ich im Tausch gegen das Blei einnahm, hätte ich ohne weiteres zurückerstattet, falls ich jemals dazu aufgefordert worden wäre. Aber Anacrites gab mir keine Chance; ich landete in den Lautumiae, und bislang hatte sich noch keiner die Mühe gemacht, einen Anwalt zu engagieren, der meine Rechte hätte vertreten können. Dabei nahte mit Riesenschritten der September, in dem die meisten Richter Urlaub zu nehmen und zuvor alle neuen Fälle bis auf Neujahr zu vertagen pflegen …
Im Grunde war ich selbst schuld. Früher wäre ich gescheiter gewesen und hätte mich gar nicht erst aufs schlüpfrige Parkett der Politik locken lassen. Eigentlich bin ich nämlich Privatermittler. Fünf Jahre lang hatte ich mich auf nichts Gefährlicheres eingelassen als Ehebruch und Unterschlagungen. Eine schöne Zeit war das: viel frische Luft und Bewegung, und obendrein half ich noch manch kleinem Geschäftsmann aus der Klemme. Ab und zu hatte ich auch weibliche Klienten (manche davon nicht unansehnlich). Überdies bezahlen Privatkunden ihre Rechnungen (im Gegensatz zum Palast, mit dem man um jeden läppischen Spesenposten feilschen muß). Sollte ich je wieder freikommen, dann würde ich mich von niemandem mehr einspannen lassen, sondern nur noch selbständig arbeiten.
Meine Frohnatur hatte unter diesen drei Tagen Haft sehr gelitten. Ich langweilte mich und ließ die Flügel hängen. Außerdem laborierte ich an den Folgen einer Verletzung: Ich hatte einen Schwerthieb in die Seite bekommen, eine jener leichten Fleischwunden, die aber bekanntlich gern eitern. Meine Mutter schickte mir zur Kräftigung warme Mahlzeiten ins Gefängnis, aber der Wärter fischte sich, ehe er sie ablieferte, immer zuerst die Fleischstücke aus der Schüssel. Bisher hatten zwei Personen versucht, mich freizubekommen; beide vergeblich. Zuerst ein wohlmeinender Senator, der bei Vespasian um Verständnis für meine Misere werben wollte; unter dem Einfluß des heimtückischen Anacrites verwehrte der Kaiser die Audienz. Dann mein Freund Petronius Longus. Petro, ein Hauptmann der Aventinischen Wache, war mit einem Weinkrug unterm Arm ins Gefängnis gekommen und hatte es beim Aufseher mit der alten Masche von Kameradschaft und Zusammenhalt probiert. Man warf ihn, samt seiner Amphore, in hohem Bogen wieder raus: Selbst unsere grundlegendsten Loyalitäten hatte Anacrites vergiftet! Womöglich würde dieser Neidhammel von einem Oberspion verhindern, daß ich je wieder auf freien Fuß kam …
Die Tür ging auf. Eine Stimme krächzte: »Didius Falco, irgendwo hat doch einer ein Herz für dich! Stemm deinen Hintern hoch und scher dich raus hier!«
Als ich mich taumelnd hochrappelte, huschte die Ratte über meinen Fuß.
II
Mein Elend war ausgestanden – zum Teil jedenfalls.
Als ich in die Rezeption (oder das, was hier dafür herhalten mußte) hinausgestolpert kam, zurrte der Wärter gerade eine schwere Geldkatze zu und feixte dabei, als hätte er Geburtstag. Sogar seine schmutzigen Handlanger schienen von einer Bestechungssumme in dieser Höhe beeindruckt. Ich blinzelte ins ungewohnte Tageslicht und erblickte eine kleine, verhärmte, aber kerzengerade Gestalt, die mir naserümpfend entgegensah.
Wir hier in Rom sind eine faire Gesellschaft. Es gibt ja jede Menge rückständiger Provinzen, wo der Präfekt seine Verbrecher angekettet als Folteropfer in petto hält, für den Fall, daß anderweitige Zerstreuungen einmal ihren Reiz verlieren. Nicht so in Rom. Hier darf jeder Verdächtige, sofern er nicht etwas ganz Furchtbares angestellt hat – oder so dumm ist und gesteht –, einen Gönner beibringen, der für ihn bürgt.
»Tag, Mutter!« Es wäre undankbar gewesen, mich in meine Zelle mit der Ratte zurückzuwünschen.
Ich konnte es ihr am Gesicht ablesen: sie hielt mich für einen ebensolchen Filou wie meinen Vater – obwohl nicht einmal Papa (der mit einer Rothaarigen durchbrannte und die arme Mama mit sieben Kindern sitzenließ) je im Kittchen gelandet war … Zum Glück hatte meine Mutter zu viel Familiensinn, als daß sie diesen Vergleich vor Fremden angestellt hätte. Also begnügte sie sich damit, dem Wärter für die Betreuung ihres Sohnes zu danken.
»Anacrites hat dich anscheinend vergessen, Falco!« Der Aufseher grinste mich an.
»Vermutlich mit Absicht.«
»Er hat übrigens nichts von einer Kaution vor dem Prozeß gesagt …«
»Er hat auch nichts von einem Prozeß gesagt«, knurrte ich wütend. »Mich ohne richterliche Anhörung in Haft zu behalten verstößt ebenso gegen das Gesetz wie eine Kautionsverweigerung!«
»Also, wenn er klagen sollte …«
»Brauchen Sie nur zu pfeifen!« beruhigte ich ihn. »Und so geschwind, wie eine Bacchantin zweimal das Tamburin schlägt, sitze ich wieder ganz harmlos in meiner Zelle.«
»Kann ich mich darauf verlassen, Falco?«
»Aber sicher«, log ich vergnügt.
Draußen tankte ich einen tiefen Atemzug Freiheit und bereute es augenblicklich. Es war August. Wir standen am Rand des Forums. Rings ums Rostrum war die Luft fast so stickig wie in den Tiefen der Lautumiae. Der Großteil des Adels hatte sich in seine luftigen Sommervillen zurückgezogen, aber arme Schlucker wie unsereins schleppten sich weiter träge und matt durch den römischen Alltag. Diese Hitze machte jede Bewegung unerträglich.
Meine Mutter musterte ganz ungerührt ihren Galgenstrick.
»Bloß ein Mißverständnis, Mama …« Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie unverzeihlich demütigend es für einen Ermittler mit markigem Ruf war, von seiner Mutter gerettet zu werden. »Wer hat denn das hübsche Lösegeldsümmchen aufgebracht? Helena vielleicht?« Meine Frage bezog sich auf die unerhört vornehme Freundin, bei der ich vor einem halben Jahr hatte landen können; ich, der bis dahin nur mit Zirkuskünstlerinnen voller Flohbisse und mit Blumenmädchen gegangen war.
»Nein, die Kaution habe ich gestellt; Helena hat sich dafür um deine Miete gekümmert …« Angesichts dieser plötzlichen Beistandsorgie der Frauen in meinem Leben sank mir der Mut. Ich wußte, dafür würde ich bezahlen müssen, wenn auch vielleicht nicht in barer Münze. »Mach dir nur keine Sorgen wegen des Geldes.« Der Tonfall meiner Mutter verriet, daß sie – bei einem Sohn wie mir – ihre Ersparnisse stets in Bereitschaft hielt. »Komm mit nach Hause, und ich koch dir was Gutes …«
Sie hatte offenbar vor, mich unter ihre Fuchtel zu nehmen; ich dagegen hatte vor, mein gewohntes, ungebundenes Leben wieder aufzunehmen.
»Mama, ich muß zu Helena …«
Normalerweise sollte ein Junggeselle, den sein altes Mütterchen eben erst freigekauft hat, lieber nicht gleich wieder den Weibern nachsteigen. Aber meine Mutter nickte. Zum einen war Helena Justina die Tochter eines Senators, und der Besuch bei einer so hochgestellten jungen Dame gereichte einem Stoffel wie mir zur besonderen Ehre; kein Vergleich also mit den üblichen Lasterhaftigkeiten, über die Mütter sich ereifern. Außerdem hatte Helena eben erst unser Kind verloren. Ein unglücklicher Treppensturz war mit für diese Fehlgeburt verantwortlich gewesen, aber eben nur zum Teil. Meine gesamte weibliche Verwandtschaft sah in mir den unverbesserlichen Bruder Leichtfuß. Trotzdem hätten die meisten, um Helenas willen, eingeräumt, daß es gegenwärtig meine Pflicht war, sie so oft wie möglich zu besuchen.
»Komm doch mit, Mutter!«
»Sei nicht albern! Helena will schließlich dich sehen!«
Ich war da leider nicht so zuversichtlich.
Mama wohnte hinter dem Emporium, nicht weit vom Fluß. Langsam (um zu unterstreichen, wie sehr die Sorgen um mich sie niederdrückten) überquerten wir das Forum. Bei meinem Lieblingsbad, gleich hinter dem Castortempel, ließ sie mich dann von der Leine. Ich spülte mir in den Thermen den Kerkergestank vom Leib, streifte eine Reservetunika über, die ich für Notfälle im Gymnasium hinterlegt hatte, und ging zu einem Barbier, dem es gelang, mich wieder halbwegs gesellschaftsfähig zu machen (trotz des Bluts, das er dabei vergoß).
Hinterher hatte ich zwar immer noch einen ungesunden sträflingsgrauen Teint, fühlte mich aber schon merklich wohler. Auf dem Weg zum Aventin kämmte ich mir mit den Fingern die noch feuchten Locken und versuchte, mich auf den Typ Charmeur zu trimmen, der Helenas Herz erweichen würde. In dem Augenblick ereilte mich das Unheil. Zu spät bemerkte ich die beiden Schläger, die sich so an einem Portikus aufgebaut hatten, daß sie vor jedem, der auf ihrer Straßenseite vorbei mußte, die Muskeln spielen lassen konnten. Mit Lendenschurz und Lederriemen um Knie, Hand- und Fußgelenke machten sie ganz auf harte Jungs. Ihre arrogantes Getue kam mir unheimlich bekannt vor.
»Oh, guck mal – das ist ja Falco!«
»Nein so was – Rodan und Asiacus!«
Im nächsten Augenblick hatte einer der beiden meine Oberarme nach hinten gebogen und zwischen seine Ellbogen geklemmt – eine Prozedur, bei der er so heftig an meinem Handgelenk zerrte, daß mir der Arm bis rauf zur Schulterpfanne schlingerte wie die Pispotten auf einer Galeere im Orkan. Der Geruch der Kerle, eine Mischung aus abgestandenem Schweiß und frischem Knoblauch, trieb mir die Tränen in die Augen. »Schluß jetzt, Rodan, meine Arme sind schon lang genug …«
Diese beiden »Gladiatoren« zu nennen, wäre selbst für jene abgehalfterten Kolosse eine Beleidigung gewesen, die normalerweise in diesem Gewerbe auftreten. Rodan und Asiacus trainierten in einer Gladiatorenschule, die von meinem Vermieter Smaractus geführt wurde, und wenn sie sich nicht gegenseitig mit Übungsschwertern die Birne weichschlugen, schickte er sie los, die Straßen noch unsicherer zu machen, als diese ohnehin schon sind. In der Arena kamen sie kaum zum Einsatz; ihre Rolle in der Öffentlichkeit bestand darin, die Pechvögel einzuschüchtern, die von Smaractus eine Wohnung gemietet hatten. Den einen Vorteil hatte das Gefängnis immerhin gehabt: Ich war dort sicher gewesen vor meinem Hausherrn und seinen beiden Lieblingsschlägern.
Asiacus stemmte mich in die Luft und schüttelte mich kräftig durch. Ich ließ ihn meine Eingeweide provisorisch umschichten und wartete ab, bis ihm das zu langweilig wurde und er mich wieder aufs Pflaster stellte – dann duckte ich mich, rammte ihm den Kopf in die Kniekehlen, daß er den Halt verlor, und schleuderte ihn Rodan vor die Füße.
»Olympus! Erzählt Smaractus euch beiden denn gar nichts?« Ich brachte mich flink außer Reichweite. »Ihr hinkt mächtig nach. Meine Miete ist bezahlt!«
»Dann ist das Gerücht also wahr!« Rodan grinste hämisch. »Wir haben schon gehört, daß du dich neuerdings aushalten läßt!«
»Der Neid macht dich ganz schieläugig, Rodan! Deine Mutter hätte dich warnen sollen, so was wirkt abstoßend auf die Mädchen!« Angeblich haben Gladiatoren ja immer ganze Scharen liebestoller Frauen im Schlepptau. Rodan und Asiacus waren vermutlich in Rom die einzigen, die vor lauter Schäbigkeit keine einzige Verehrerin fanden. Asiacus rappelte sich hoch und wischte sich die Nase. Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich vergaß: Ihr beide könntet ja nicht mal bei einem alten Fischweib landen, selbst wenn sie auf beiden Augen blind wäre und keinen Funken Schamgefühl hätte …«
Da stürzte Asiacus sich auf mich. Und nun strengten sich beide gewaltig an, mir ins Gedächtnis zu rufen, warum ich Smaractus so inbrünstig haßte.
»Das ist fürs letzte Mal, als du mit der Miete im Rückstand warst!« knurrte Rodan, der ein gutes Gedächtnis hatte.
»Und das ist fürs nächste Mal!« fügte Asiacus hinzu – ein Realist mit erstaunlichem Weitblick.
Wir hatten diesen schmerzlichen Tanz schon so oft geprobt, daß ich wußte, wie ich den beiden entwischen konnte. Eilig machte ich mich aus dem Staub, nicht ohne über die Schulter noch ein, zwei Beleidigungen abzulassen. Die beiden waren entschieden zu faul, mich zu verfolgen.
Seit einer Stunde erst war ich auf freiem Fuß, und schon hatte man mich übel zugerichtet; direkt entmutigend. In einer Stadt der Hausbesitzer ist die Freiheit kein ungetrübtes Vergnügen.
III
Helena Justinas Vater, der Senator Camillus Verus, hatte ein Haus nahe der Porta Capena. Eine sehr schöne Wohngegend, gleich hinter der Via Appia, beim Abzweig von der republikanischen Stadtmauer. Auf dem Weg dorthin machte ich abermals in einem Badehaus halt und ließ mir die neuen Blessuren verarzten. Zum Glück zielten Rodan und Asiacus immer auf den Brustkorb ihrer Opfer, und so war mein Gesicht unverletzt geblieben; wenn ich mir das Stöhnen verbeißen konnte, brauchte Helena nichts von dem Zwischenfall zu erfahren. Ein blasser syrischer Apotheker verkaufte mir für die Schwertwunde in der Leiste eine Salbe. Leider schlug die als bläulicher Fettfleck auf die Tunika durch. Wie Schimmel an einem Mauerverputz sah das aus; nichts, womit man bei den feinen Herrschaften von der Porta Capena würde Eindruck schinden können.
Der Pförtner des Senators kannte mich zwar, verweigerte mir jedoch den Zutritt. Nun, ich hielt mich gar nicht lange mit diesem Windbeutel auf, sondern borgte mir an der nächsten Ecke den Hut eines Straßenarbeiters, flitzte zurück und klopfte, die Krempe tief in die Stirn gezogen, abermals. Als der Pförtner auf den Trick hereinfiel und dem vermeintlichen Lumpenhändler aufsperrte, drängte ich mich blitzschnell an dem Tölpel vorbei und verpaßte ihm dabei als Denkzettel einen saftigen Tritt gegen den Knöchel.
»Dich würde ich für einen Quadrans aussperren! Ich bin Falco, du Schafskopf! Wenn du mich jetzt nicht unverzüglich bei Helena Justina meldest, werden deine Erben sich eher als du denkst darüber streiten, wer deine besten Sandalen kriegt!«
Nachdem ich erst einmal drin war, behandelte er mich mit mürrischem Respekt – will sagen, er schlurfte zurück in seine Nische und aß einen Apfel zu Ende, indes ich mich auf eigene Faust nach meiner Prinzessin umsah.
Ich fand sie in einem Gesellschaftszimmer. Helena war blaß, schwang aber schon wieder fleißig die Feder. Sie war drei-, inzwischen vielleicht auch schon vierundzwanzig; ich wußte nämlich nicht, wann sie Geburtstag hatte. Ja, selbst nachdem ich mit ihrem Liebling im Bett gewesen war, luden der Senator und seine Frau mich noch immer nicht zu ihren Familienfesten ein. Daß sie mich überhaupt zu Helena ließen, lag an deren Eigensinn, vor dem sogar ihre Eltern kapitulierten. Als ich Helena kennenlernte, hatte sie bereits eine Ehe hinter sich, die auf ihr Betreiben geschieden worden war; als Grund hatte sie damals – wie exzentrisch! – angegeben, daß ihr Mann nie mit ihr reden wolle. Ihre Eltern wußten also aus Erfahrung, was für ein Quälgeist ihre älteste Tochter war.
Helena Justina war eine hochgewachsene, vornehme Erscheinung, deren glattes, dunkles Haar man mit der Lockenschere gemartert hatte, wogegen es sich jedoch gut behauptete. Sie hatte hübsche braune Augen, für die Kosmetik eigentlich überflüssig war, aber Helenas Zofen schminkten sie grundsätzlich. Schmuck trug sie daheim kaum, aber das kam ihrer Ausstrahlung eher zugute. In Gesellschaft war sie schüchtern; sogar zu zweit mit einem so engen Freund, wie ich es war, hätte man sie für scheu halten können – bis sie den Mund aufmachte und ihre Meinung kundtat. Dann allerdings stob sogar eine wilde Hundemeute auseinander und suchte mit eingezogenem Schwanz Deckung. Ich bildete mir ein, es mit ihr aufnehmen zu können – aber ich hatte es noch nie drauf ankommen lassen.
Ich blieb in der Tür stehen und setzte mein gewohntes freches Grinsen auf. Helenas liebes, natürliches Begrüßungslächeln war das Schönste, was ich seit einer Woche gesehen hatte. »Warum sitzt ein schönes Mädchen wie du allein im Zimmer und schreibt Rezepte auf?«
»Ich übersetze einen griechischen Historiker«, erklärte Helena wichtigtuerisch. Ich linste ihr über die Schulter. Es war ein Rezept für gefüllte Feigen.
Ich beugte mich vor und gab ihr einen Kuß auf die Wange. Seit dem Verlust unseres Babys, den wir beide noch nicht verwunden hatten, war unser Verhältnis quälend steif und verkrampft gewesen. Jetzt aber tastete ihre Rechte nach meiner, und unser beider Hände umklammerten sich mit einer Inbrunst, die den verknöcherten alten Juristen in der Basilica Julia womöglich für eine Anzeige gereicht hätte.
»Ich freue mich so, daß du gekommen bist!« flüsterte Helena.
»Um mich von dir zu trennen, braucht es schon mehr als Kerkermauern.« Ich hob ihre Hand an meine Wange. Helenas damenhafte Finger dufteten nach einer ausgefallenen Mischung indischer Essenzen und Gallapfeltinte – kein Vergleich mit den schweren Parfumwolken der Flittchen, die ich früher gekannt hatte. »Herzensdame, ich liebe dich«, gestand ich ihr (immer noch im Überschwang meiner neu gewonnenen Freiheit). »Und das nicht nur, weil ich rausgekriegt habe, daß du meine Miete bezahlt hast!«
Sie rutschte von ihrem Stuhl und barg den Kopf in meinem Schoß. Die Tochter eines Senators würde sich bestimmt nicht von einem Haussklaven erwischen lassen, wie sie sich bei einem Sträfling ausweint – aber ich streichelte ihr trotzdem tröstend den Hals, nur zur Sicherheit. Außerdem bot Helenas Nacken ein reizvolles Betätigungsfeld für eine müßige Hand.
»Ich weiß gar nicht, warum du dich mit mir abgibst«, sagte ich nach einer Weile. »Ich bin doch ein Versager, hause in einem elenden Loch, habe kein Geld. Sogar die Ratte in meiner Zelle hatte nur ein spöttisches Grinsen für mich übrig. Und jedesmal, wenn du mich brauchst, lasse ich dich hängen …«
»Hör auf zu jammern, Falco!« Als Helena aufblickte, sah ich den Abdruck meiner Gürtelschnalle auf ihrer Wange, doch sonst hatte sie sich wieder ganz gefangen.
»Ich habe einen Beruf, der den meisten Leuten zu anrüchig wäre«, klagte ich unbeirrt weiter. »Mein eigener Auftraggeber wirft mich ins Gefängnis und vergißt mich dann einfach …«
»Man hat dich aber doch freigelassen …«
»Nicht direkt«, gestand ich.
Helena regte sich nie unnötig über etwas auf, das ich ihrer Meinung nach selbst ins reine bringen mußte. »Also, was hast du jetzt vor?«
»Ich werde wieder freiberuflich arbeiten.« Helena schwieg. Jetzt wußte sie, warum ich so niedergeschlagen war. Mein famoser Plan hatte nämlich einen großen Haken: Als Selbständiger würde ich nie soviel verdienen wie im Dienst des Kaisers – obwohl das reine Theorie war, da Vespasians Lohnbuchhalter mich monatelang auf mein Geld warten ließen. »Glaubst du, daß ich eine Dummheit mache?«
»Nein, du hast ganz recht mit deiner Entscheidung!« Helena pflichtete mir ohne Zögern bei, obwohl sie genau wußte, daß ich mir als Freischaffender die Einheirat in den Patrizierstand nie und nimmer würde leisten können.
»Du hast für den Staat dein Leben aufs Spiel gesetzt. Vespasian hat dich engagiert, weil er genau wußte, was du wert bist. Marcus, du hast es nicht nötig, dich von einem knauserigen Arbeitgeber mit Almosen abspeisen und von häßlichen Palastintrigen schikanieren zu lassen …«
»Aber Herzblatt, du weißt, was es bedeutet, wenn …«
»Ich habe dir doch gesagt, daß ich auf dich warten werde!«
»Und ich habe dir gesagt, daß ich das nicht zulasse.«
»Du weißt doch, ich tue nie, was du sagst.«
Ich grinste, und dann saßen wir noch ein paar Minuten schweigend beisammen.
Nach dem Gefängnis war dieser Raum im Hause ihres Vaters der reinste Hort der Geborgenheit. Teppiche und quastengesäumte Kissen sorgten für unsere Bequemlichkeit; dickes Mauerwerk dämpfte die Straßengeräusche, indes an der Gartenseite durch hohe Fenster das Licht hereinströmte und die imitierten Marmorwände mit dem goldenen Schimmer reifen Weizens übergoß. Es war ein kultiviertes Heim, auch wenn hier und da der Putz ein wenig bröckelte. Helenas Vater war Millionär (das hatte nicht etwa meine Spürnase rausgekriegt, nein, es war einfach die Voraussetzung für die Aufnahme in den Senat); gleichwohl mußte er sich einschränken in einer Stadt, wo Wählerstimmen nur den Multimillionären zuflogen.
Natürlich war ich noch viel schlechter dran. Ich besaß weder Geld noch Rang. Um Helena einen angemessenen Lebensstil bieten zu können, würde ich vierhunderttausend Sesterzen aufbringen und den Kaiser dazu überreden müssen, mich in die Liste von Jammerlappen aufzunehmen, die den Mittelstand bilden. Selbst wenn ich das je schaffen sollte, wäre ich für Helena immer noch eine schlechte Partie.
Helena erriet meine Gedanken. »Du, Marcus, ich habe gehört, dein Pferd hätte das Rennen im Circus Maximus gewonnen.«
O ja, das Leben sorgt hin und wieder für einen Ausgleich: Besagten Gaul, der auf den Namen Goldschatz hörte, verdankte ich einer unverhofften Erbschaft. Ich konnte mir zwar kein Pferd leisten, doch bevor ich den Goldschatz verkaufte, hatte ich ihn noch für ein einziges Rennen angemeldet – das er wider Erwarten gewann. »Das stimmt schon, Helena. Ich habe bei diesem Rennen ein schönes Stück Geld verdient. Vielleicht leiste ich mir damit eine anständige Wohnung, die besser situierte Klienten anlockt.«
Helena, den Kopf an mein Knie geschmiegt, nickte beifällig. Sie hatte das Haar mit einem Pantheon elfenbeinerner Nadeln aufgesteckt: Jeder Knauf war als streng dreinblickende Göttin geschnitzt.
Ganz vertieft in den Gedanken an meine Geldnöte, hatte ich eine Nadel herausgezogen. Die steckte ich mir wie einen Jagddolch in den Gürtel und machte dann, aus lauter Übermut, auch Jagd auf die übrigen. Helena wehrte sich leicht gereizt und hielt mich an den Handgelenken fest, womit sie schließlich nur erreichte, daß ich meine Handvoll Haarnadeln am Boden verstreute. Ich überließ es Helena, sie einzusammeln, während ich meinen Plan systematisch weiterverfolgte.
Als ich ihre Frisur ganz gelöst hatte, war Helena auch wieder im Besitz ihrer Haarnadeln – die eine, die ich in den Gürtel gesteckt hatte, ließ sie mich allerdings behalten. Ich habe sie immer noch: Flora, mit Rosen bekränzt, von denen sie offenbar Heuschnupfen kriegt; sie fällt mir manchmal in die Hände, wenn ich in meinem Pult nach verlegten Schreibfedern krame.
Fächerförmig, so wie ich es mag, breitete ich Helenas Haar aus. »Schon besser! Jetzt siehst du eher aus wie ein Mädchen, das sich vielleicht küssen läßt – ja, du siehst sogar aus wie eine, die mich womöglich wiederküßt …« Ich nahm ihre Arme und legte sie um meinen Hals.
Es war ein langer, sehr inniger Kuß. Und nur weil ich Helena sehr gut kannte, spürte ich, daß meine Leidenschaft bei ihr auf ungewohnten Widerstand stieß.
»Nanu? Liebst du mich etwa nicht mehr, Spatzenfuß?«
»Marcus, ich kann einfach nicht …«
Ich begriff. Die Fehlgeburt war ein seelischer Schock gewesen, wie sie ihn nicht noch einmal erleben wollte. Vielleicht hatte sie auch Angst davor, mich zu verlieren. Wir kannten beide mehr als einen flotten, charakterfesten Jungrömer, der eine verzweifelte Freundin in diesem Zustand glatt sitzenlassen würde.
»Verzeih …« Es war ihr peinlich, und sie wollte sich losmachen. Aber sie war immer noch meine Helena. Sie sehnte sich ebenso sehr nach meiner Umarmung, wie ich mich danach, sie zu halten. Und sie brauchte Trost – auch wenn sie mir das ausnahmsweise einmal nicht zeigen konnte.
»Mein Liebes, das ist doch ganz natürlich.« Ich lehnte mich zurück und sah ihr in die Augen. »Es wird schon alles wieder gut …« Ich mußte ihr Mut machen und versuchte mein Bestes, auch wenn es schwer war, die Enttäuschung wegzustecken. Im stillen fluchte ich, und Helena muß das gespürt haben.
Äußerlich gefaßt, blieben wir noch einige Zeit sitzen und sprachen über Familienangelegenheiten (von Haus aus kein gutes Thema), bis ich mich mit dringenden Geschäften entschuldigte.
Helena brachte mich zur Tür. Der Pförtner schien sich inzwischen in Luft aufgelöst zu haben, darum schob ich selbst den Riegel zurück. Plötzlich schlang sie die Arme um mich und vergrub ihr Gesicht an meinem Hals. »Jetzt wirst du wohl anderen Frauen nachlaufen!«
»Natürlich!« Den scherzhaften Ton kriegte ich ganz gut hin, aber ihre großen, schmerzgetrübten Augen schafften mich. Ich küßte ihre Lider, und dann, wie um mich selbst zu quälen, preßte ich sie an mich und hob sie in meinen Armen hoch. »Laß uns zusammenziehen!« Es war mir einfach so rausgerutscht. »Allein die Götter wissen, wie lange es noch dauert, bis ich genug verdiene, um dir ein ehrbares Leben bieten zu können. Aber ich will dich immer bei mir haben. Und wenn ich eine größere Wohnung nehme …«
»Marcus, ich fürchte nur …«
»Vertrau mir.«
Helena lächelte und zupfte mich am Ohrläppchen, die sicherste Methode, unser Problem zum Dauerzustand zu machen. Aber sie versprach wenigstens, sich meinen Vorschlag zu überlegen.
Auf dem Heimweg zum Aventin wurde mein Schritt zusehends leichter. Auch wenn meine Herzensdame noch nicht bei mir einziehen wollte, eine schönere Wohnung mieten konnte ich mit meinem Renngewinn jedenfalls schon mal … Angesichts dessen, was mich daheim erwartete, war schon der Gedanke ans Umziehen eine Wohltat.
Und dann fiel es mir wieder ein. Bevor sie mich einsperrten, hatte meine dreijährige Nichte die uneingelösten Wettmarken verschluckt.
IV
Die Wäscherei Adler an der Brunnenpromenade.
Von sämtlichen trostlosen Mietskasernen in all den garstigen Hinterhöfen Roms ist gewiß keine so heruntergekommen wie die Brunnenpromenade. Sie liegt nur fünf Minuten von der Ausfallstraße nach Ostia, einer der belebtesten Verkehrsadern des Reiches, und doch scheint dieser Eiterherd in der Achselhöhle des Aventin in eine andere Welt zu gehören. Hoch oben auf dem Zwillingsgipfel thronen die Tempel von Venus und Diana, aber wir sind zu dicht dran, um aus dem tiefen, finsteren Labyrinth bis hinauf zu diesen stolzen Bauten sehen zu können. Es ist eine preiswerte Wohngegend – jedenfalls für römische Verhältnisse. Mancher von uns hätte dem Hausherrn gern einen Aufpreis dafür gezahlt, daß er ein paar tüchtige Gerichtsvollzieher anheuern und unsere Zwangsräumung in eine bessere Gegend mit frischer Luft veranlassen würde.
Meine Wohnung lag im obersten Stock eines verwinkelten, baufälligen Hauses. Das ganze Erdgeschoß war von einer Wäscherei belegt; die abholfertigen Tuniken waren das einzig Saubere in der Nachbarschaft. Aber kaum hatte man sie angezogen, genügte oft schon ein kurzer Gang über die verdreckte, einspurige Gasse, die uns zugleich als Verkehrsweg und provisorischer Abwasserkanal diente, und ihre fleckenlose Reinheit war wieder dahin. Dafür sorgten die Rußflocken aus dem Lampenschwarzkessel, in dem der einäugige Schreibwarenlieferant seine übelriechende Tinte kochte, ebenso wie der Rauch der wabenartigen Backöfen, in denen Cassius, unser Stammbäcker, einen Laib Brot so gründlich verkohlen konnte wie kein zweiter seiner Zunft.
Das hier war ein gefährliches Pflaster: Nur ein Moment der Unachtsamkeit, und schon versank ich knöcheltief in zähem braunen Mist. Während ich mir fluchend den Schuh am Bordstein säuberte, streckte Lenia, die Besitzerin der Wäscherei, den Kopf hinter einer Leine voll Tuniken hervor. Mich sehen und spottbereit hervorstürzen war eins. Sie war eine schlecht frisierte Schlampe und kam so ungraziös angewatschelt wie ein Schwan beim Landgang: mit wirr zerzausten, schmutzigrot gefärbten Haaren, wäßrigen Augen und einer Stimme, die heiser war von zu vielen Krügen schlecht vergorenen Weins.
»Falco! Wo hast du denn die ganze Woche gesteckt?«
»Ich war auswärts.«
Merkte sie, daß ich auf die Lautumiae anspielte? Nicht, daß Lenia das etwas ausgemacht hätte. Sie war zu träge, um Neugier zu entwickeln, außer auf streng geschäftlichem Sektor. Zum Beispiel interessierte es sie brennend, ob mein mieser Vermieter Smaractus sein Geld bekam – und selbst darauf war sie erst wirklich neugierig geworden, nachdem sie sich Smaractus als Ehemann ausgeguckt hatte. Eine Entscheidung, die auf rein finanziellen Motiven beruhte (Smaractus, der jahrzehntelang die Armen auf dem Aventin geschröpft hatte, war nämlich dabei reich wie Crassus geworden). Und nun plante Lenia ihre Hochzeit kühl und besonnen wie ein Chirurg (also in der Gewißheit, daß der Patient sie reichlich für ihre Dienste entlohnen würde, wenn sie ihn erst einmal aufgeschlitzt hätte … ).
»Wie ich höre, bin ich ausnahmsweise schuldenfrei.« Ich grinste sie an.
»Endlich hast du kapiert, worauf’s bei einer Frau ankommt, und dir die richtige geangelt.«
»Stimmt. Ich verlaß mich dabei ganz auf mein Gesicht – ebenmäßig wie parischer Marmor …«
Lenia, eine gestrenge Kritikerin der schönen Künste, lachte spöttisch. »Aber Falco, du bist höchstens eine billige Fälschung!«
»Ich doch nicht – ich kann die Expertise einer Dame von untadeligem Ruf vorweisen! Ihr macht es Freude, mich zu verwöhnen. Was ich natürlich auch verdient habe … Wieviel hat sie übrigens beigesteuert?«
Als Lenia den Mund aufmachte, sah ich, daß sie drauf und dran war, mich zu beschwindeln. Doch dann fiel ihr ein, daß Helena Justina mich aufklären würde, sollte ich je den Anstand aufbringen, meine Schulden zu erwähnen. »Drei Monatsmieten, Falco.«
»Beim Jupiter!« Der Schock brachte meinen ganzen Organismus durcheinander. Das Höchste, was ich bereit war, für die Pensionskasse meines Vermieters zu spenden, waren drei Wochen (selbstverständlich rückwirkend). »Smaractus muß sich ja vorkommen wie auf einem Regenbogen im Olymp!«
Lenias Miene umwölkte sich, woraus ich schloß, daß Smaractus noch gar nichts von seinem Glück wußte. Sie wechselte hastig das Thema. »Übrigens hat dauernd einer nach dir gefragt.«
»Etwa ein Klient?« Ich überlegte fieberhaft, ob der Oberspion wohl schon entdeckt hatte, daß ich ausgeflogen war. »Hast du seinen Auftrag notiert?«
»Also, da hab wirklich Besseres zu tun, Falco! Nein, er schaut jeden Tag rein, und jedesmal sag ich ihm, daß du nicht da bist …« Ich seufzte erleichtert. Anacrites hätte vor heute nachmittag keinen Grund gehabt, nach mir zu suchen.
»Tja, nun bin ich ja wieder da!« Ich war zu müde zum Rätselraten.
Ich stiefelte die Treppe hoch in den sechsten Stock, den billigsten im ganzen Haus. Der Weg nach oben bot reichlich Gelegenheit, mich wieder mit dem Geruch von Urin und alten Kohlstrünken vertraut zu machen; mit dem verkrusteten Taubendreck auf jeder Stufe; den Graffiti – nicht alle in Kinderhöhe – von brünstigen Wagenlenkern; mit den Flüchen gegen Buchmacher und den pornographischen Kleinanzeigen. Von meinen Nachbarn kannte ich kaum jemanden, aber ihre zänkischen Stimmen waren mir vom Vorbeigehen im Treppenhaus vertraut. Manche Türen waren dauernd geschlossen, so daß man bedrückende Geheimnisse dahinter vermutete; andere Familien hängten nur einen Vorhang vor den Eingang, so daß die Nachbarn notgedrungen an ihrem trostlosem Leben teilhatten. Eine verrückte alte Dame im dritten Stock saß immer auf ihrer Schwelle und brabbelte hinter jedem Vorbeikommenden her; ich grüßte sie ausgesucht freundlich, was sie prompt mit einem Schwall giftiger Verwünschungen quittierte.
Ich war aus der Übung; als ich endlich meinen Adlerhorst erklommen hatte, schlackerten mir die Knie. Einen Augenblick lang blieb ich stehen und lauschte: eine Berufskrankheit. Dann schob ich den einfachen Schnappriegel zurück und stieß die Tür auf.
Daheim. Die Sorte Wohnung, die man betritt, um seine Tunika zu wechseln und die Mitteilungen seiner Freunde zu lesen, bevor man sie unter dem erstbesten Vorwand wieder verläßt. Aber heute hätte ich die Schreckgespenster auf der Treppe kein zweites Mal ertragen, also blieb ich da.
Mit vier Schritten konnte ich mein ganzes Reich durchmessen: das Büro mit dem billigen Tisch und der wackligen Bank, dahinter das Schlafzimmer mit der windschiefen Konstruktion, die mir als Bett diente. In beiden Räumen herrschte jene beunruhigende Ordnung, die sich einstellte, wenn meine Mutter drei Tage lang ungestört und nach Herzenslust hatte aufräumen können. Ich blickte mich argwöhnisch um, aber es sah nicht so aus, als wäre außer ihr noch jemand hier gewesen. Dann schickte ich mich an, die Wohnung wieder gemütlich zu machen. Rasch hatte ich die spärlichen Möbel schief gerückt, die Bettwäsche zerwühlt, beim Wiederbeleben meiner Balkonpflanzen überall Wasser verschüttet und alles, was ich am Leibe trug, auf dem Fußboden verstreut.
Danach ging es mir besser. Jetzt fühlte ich mich wirklich daheim.
Auf dem Tisch war, so auffallend, daß selbst ich sie nicht übersehen konnte, eine griechische Keramikschale plaziert, die ich einmal für zwei Kupfermünzen und ein verwegenes Lächeln an einem Antiquitätenstand ergattert hatte. Sie war halb voll mit zerkratzten beinernen Plättchen, von denen manche eine ganz merkwürdige Färbung aufwiesen. Mir stockte der Atem. Das letzte Mal hatte ich diese Dinger bei jener gräßlichen Familienfeier gesehen, wo meine kleine Nichte Marcia sie sich als Spielzeug erkoren und zum größten Teil verschluckt hatte: meine Wettmarken.
Wenn ein Kind etwas gegessen hat, worauf man eigentlich nicht verzichten möchte, dann gibt es – vorausgesetzt, man hängt an dem Kind – nur einen Weg, das Zeug zurückzubekommen. Ich kannte diese ekelhafte Prozedur von damals, als mein Bruder Festus den Ehering unserer Mutter verschluckt hatte und ich hinterher das Vergnügen hatte, ihm suchen zu helfen. (Bis er in Judaea ums Leben kam, was meinen brüderlichen Pflichten ein Ende setzte, war es Tradition in unserer Familie, daß Festus immer wieder in irgendeine Klemme geriet, und ich mich jedesmal dazu breitschlagen ließ, ihm rauszuhelfen.) Der Verzehr von Familienpretiosen war offenbar erblich bei uns; und ich hatte gerade drei Tage im Gefängnis dafür gebetet, daß das liebe, aber beschränkte Kind meines beschränkten Bruders Durchfall kriegen möge …
Ich hätte mir die Mühe sparen können. Irgendeine dickköpfige Verwandte – wahrscheinlich meine Schwester Maia, die als einzige von uns Organisationstalent besaß – hatte meine Spielmarken heldenmütig gerettet. Zur Feier des Tages lüpfte ich ein Dielenbrett, unter dem ich einen halbvollen Weinkrug vor Gästen versteckt hielt, setzte mich damit auf den Balkon, legte die Füße auf die Brüstung und widmete mich in aller Ruhe dem stärkenden Trunk.
Kaum, daß ich’s mir gemütlich gemacht hatte, kam Besuch.
Ich hörte ihn eintreten, denn nach dem langen Aufstieg schnaufte er vernehmlich. Obwohl ich mich nicht muckste, fand er mich. Er stieß die Flügeltür auf und sprach mich ganz frech an: »Sind Sie dieser Falco?«
»Schon möglich.«
Seine Arme waren spindeldürr und sein dreieckiges Gesicht lief spitz in einem Winzlingskinn aus. Ein schmaler schwarzer Schnurrbart reichte fast von einem Ohr bis zum anderen. Dieser Schnurrbart sprang ins Auge. Er halbierte das Gesicht, das zu alt war für den dazugehörigen Jünglingskörper und eher zu einem Flüchtling aus einer Provinz gepaßt hätte, die seit zwanzig Jahren unter Hungersnöten und Stammesfehden litt. Die Wirklichkeit war weit weniger dramatisch. Mein Besucher war ganz einfach ein Sklave.
»Wer fragt denn nach Falco?« Inzwischen hatte mich die Nachmittagssonne so wohlig aufgewärmt, daß es mir eigentlich egal war.
»Ein Bote aus dem Hause des Hortensius Novus.«
Er sprach mit leicht fremdländischem Akzent, aber beileibe nicht das Kauderwelsch, mit dem sich die Kriegsgefangenen unweigerlich auf dem Sklavenmarkt infizieren. Der hier hatte sein Latein vermutlich schon als Kind gelernt und konnte sich kaum noch an seine Muttersprache erinnern. Er hatte blaue Augen, und ich hielt ihn für einen Kelten.
»Darf ich fragen, wie du heißt?«
»Hyacinthus!«
Der ruhige, feste Blick, mit dem er seinen Namen nannte, warnte mich, ihn nur ja nicht deswegen zu verspotten. Als Sklave hatte er genug Probleme, auch ohne daß jeder sich über ihn lustig machte, bloß weil irgendein verkaterter Aufseher ihm den Namen einer griechischen Blume verpaßt hatte.
»Sehr erfreut, Hyacinthus.« Ich hatte keine Lust, mir die Retourkutsche einzufangen, die er bestimmt schon parat hatte. »Dein Herr, dieser Hortensius, ist mir gänzlich unbekannt. Was hat er denn für Kummer?«
»Wenn Sie ihn selbst fragten, würde er sagen, keinen.«
Leute, die einen Detektiv engagieren, sprechen oft in Rätseln. Kaum ein Klient scheint Manns genug, gerade heraus zu fragen: Was muß ich zahlen, damit Sie beweisen, daß meine Frau mit meinem Kutscher schläft?
»Warum hat er dich dann hergeschickt?« fragte ich geduldig.
»Seine Verwandten schicken mich«, korrigierte Hyacinthus. »Hortensius Novus hat keine Ahnung, daß ich hier bin.«
Die Antwort schien dafür zu bürgen, daß bei dem Fall Denare winkten, und schon bedeutete ich Hyacinthus, sich zu mir auf die Bank zu setzen: Heimlichkeiten bedeuten ein höheres Honorar, und das möbelt mich immer auf.
»Danke, Falco, Sie sind ein feiner Mann!« Hyacinthus bezog meine Einladung nicht nur auf einen Sitzplatz, sondern, sehr zu meinem Verdruß, auch auf meinen Weinkrug. Er trottete zurück in die Wohnung und suchte sich einen Becher. Als er sich schließlich unter meiner Rosenlaube niederließ, wollte er wissen: »Ist das in Ihren Augen ein geschmackvoller Rahmen, um Klienten zu empfangen?«
»Meine Klienten sind leicht zu beeindrucken.«
»Aber so eine Absteige! Oder ist das bloß einer der Schlupfwinkel, die Sie sich in Rom halten?«
»So was in der Art, ja.«
»Es war die einzige Adresse, die wir hatten.« Es war auch die einzige, die ich hatte. Er probierte einen Schluck Wein, spuckte ihn aber gleich wieder aus. »Parnassus!«
»Das Geschenk eines dankbaren Klienten.« Nicht dankbar genug.
Ich goß mir nach, ein Vorwand, um den Weinkrug aus seiner Reichweite zu manövrieren. Er musterte mich eingehend. Meine Ungezwungenheit machte ihn skeptisch. Die Welt ist wirklich voll von glatthaarigen Schnöseln, die glauben, ein Lockenkopf mit einem gewinnenden Lächeln könne kein guter Geschäftsmann sein.
»Meinen Ansprüchen genügt die Bude.« Daraus sollte er schließen, wer es in einem solchen Rattenloch aushielt, müsse ein zäher Bursche sein, auch wenn er nicht so aussah. »Die Leute, an denen mir was liegt, wissen, wo sie mich finden – während die vielen Treppen die abschrecken, denen ich lieber aus dem Weg gehe … Also schön, Hyacinthus, ich gehe zwar sonst nicht mit meinen Dienstleistungen hausieren, aber hier hast du mein Angebot: Ich beschaffe Informationen vornehmlich privater Natur …«
»Scheidungen?« übersetzte er feixend meinen Euphemismus.
»Genau! Außerdem nehme ich für besorgte Väter angehende Schwiegersöhne unter die Lupe oder kläre frischgebackene Erben darüber auf, ob man ihnen vielleicht bloß einen Berg Schulden aufhalsen will. Ich erledige Laufereien für Anwälte, die noch nicht genügend Beweise haben – auf Wunsch inklusive Auftritt vor Gericht. Ich habe Beziehungen zu Auktionshäusern und bin spezialisiert auf die Wiederbeschaffung wertvoller gestohlener Kunstwerke. Dagegen lasse ich die Finger von Deserteuren und treibe keine Schulden ein. Und ich arrangiere niemals Gladiatorenkämpfe.«
»Zimperlich?«
»Lebenserfahren.«
»Wir werden Referenzen einholen müssen.«
»Ich auch! Ich übernehme nur einwandfreie Aufträge.«
»Wie hoch sind Ihre Sätze, Falco?«
»Das hängt davon ab, wie kompliziert der Fall ist. Generell berechne ich Erfolgshonorar plus Tagesspesen. Und ich gebe keinerlei Garantie, abgesehen von dem Versprechen, mein Bestes zu tun.«
»In welcher Sache ermitteln Sie eigentlich für den Palast?« platzte Hyacinthus plötzlich heraus.
»Ich arbeite im Augenblick nicht für den Palast.« Das klang sehr nach höchster Geheimhaltungsstufe, ein vorteilhafter Effekt. »Bist du deshalb hier?«
»Meine Herrschaft meinte, ein Palastdetektiv sei von Haus aus eine gute Empfehlung.«
»Ihr Fehler! Aber wenn sie mich engagieren, werde ich anständige Arbeit leisten und diskret sein. Also, Hyacinthus, was ist – sind wir im Geschäft?«
»Ich muß Sie bitten, zu uns zu kommen. Dort wird man Ihnen den Fall erläutern.«
Ich hatte ohnehin vorgehabt, hinzugehen. Ich nehme die Leute, die mich bezahlen sollen, gern vorher unter die Lupe. »Aha, und wo wohnt deine Herrschaft?«
»In der Nähe der Via Lata. Auf dem Pincio.«
Ich stieß einen Pfiff aus. »Beneidenswert! Demnach sind Hortensius und seine Familie Leute von Stand?«
»Freigelassene.«
Ex-Sklaven! Das war Neuland für mich, aber mal was anderes als die rachsüchtigen Beamten und das scheinheilige Getue mancher Senatoren, mit denen ich mich bislang hatte herumschlagen müssen.
»Irgendwelche Einwände?« erkundigte sich Hyacinthus neugierig.
»Warum, wenn sie zahlen können?«
»Oh … war nur ’ne Frage«, sagte der Sklave.
Er trank seinen Becher aus, in der Annahme, ich würde ihm nachschenken, aber da hatte er sich getäuscht.
»Sie finden uns auf der Seite der Via Flaminia, Falco. Jeder im Viertel kann Ihnen das Haus zeigen.«
»Wenn Hortensius Novus nichts von meiner Mission erfahren darf – wann soll ich dann am besten kommen?«
»Tagsüber. Er ist Geschäftsmann und verläßt das Haus für gewöhnlich gleich nach dem Frühstück.«
»In welcher Branche ist er denn?« Es war eine reine Routinefrage, aber die Art, wie Hyacinthus sie achselzuckend überging, machte mich stutzig. »Na schön, und nach wem soll ich fragen?«
»Sabina Pollia – oder wenn die nicht da ist, wenden Sie sich an Hortensia Atilia –, aber die Initiative geht von Pollia aus.«
»Die Gattin?«
Er lächelte verschmitzt. »Novus ist nicht verheiratet.«
»Halt, du brauchst mir nichts weiter zu erklären! Die Damen des Hauses wollen mich also engagieren, damit ich ein Frauenzimmer verscheuche, das es nur auf Novus’ Geld abgesehen hat?« Hyacinthus schien beeindruckt. »Wenn ein Junggeselle schon das Haus voll gefährlicher Weiber hat – und behaupte ja nicht, daß es bei Hortensius anders wäre, denn schließlich bist du hinter seinem Rücken in ihrem Auftrag hier –, warum fällt ihm dann eigentlich nichts Besseres ein, als sein Dilemma durch eine Heirat zu lösen? Wie kann man bloß so naiv sein?«
»Soll das heißen, Sie ermitteln nicht gegen Bräute, die ihre Kavaliere ausnehmen?«
»Aber andauernd!« versicherte ich unwirsch. »Solche Brieftaschenbräute sind geradezu der goldene Boden meines Gewerbes!«
Beim Abschied sagte er noch: »Falls Sie mal daran denken sollten, sich eine anständige Wohnung zu nehmen …«
»Möglich, daß ich schon eine suche.« Ich begleitete ihn nur bis zur Balkontür.
»Dann wenden Sie sich an Cossus«, empfahl Hyacinthus hilfsbereit. »Das ist ein Makler auf dem Vicus Longus – ein bißchen schlafmützig zwar, aber dafür reell. Er hat eine Menge netter Objekte an der Hand, speziell für Geschäftsleute. Berufen Sie sich auf mich, dann wird er sich Ihrer bestimmt annehmen …«
»Danke. Vielleicht komme ich darauf zurück.« Ich dachte mir, daß Hyacinthus für seinen Tip sicher ein Trinkgeld erwartete. Nun trage ich, eingenäht im Saum meiner Tunika, immer einen halben Golddenar bei mir, aber den hätte ich um nichts in der Welt einem Sklaven geopfert. Leider fand sich sonst nichts als einen abgegriffener Kupferas, und den hätte kein Latrinenwärter, der etwas auf sich hielt, als Trinkgeld angenommen.
»Danke, Falco, das dürfte meinen Freikauffonds gehörig aufstocken!«
»Tut mir leid, aber ich konnte die letzten Tage nicht auf die Bank!«
Ich versuchte, ihm meinen Aufenthalt in den Lautumiae als eine Art Geheimmission im Süden Partheniens unterzujubeln, damit er meinen potentiellen Klienten auch etwas Zufriedenstellendes über mich berichten konnte.
V
Der Freigelassene Hortensius Novus wohnte im Norden der Stadt, an den duftenden Hängen des Pincio. Die schlichte, schmucklose Mauer, die das Anwesen umgab, war hoch genug, um das Haus vor neugierigen Blicken zu schützen, falls denn einer der betuchten Nachbarn so nahebei gewohnt hätte. Was aber nicht der Fall war. In dieser Gegend sind nämlich die Gärten der Privatvillen noch größer als die öffentlichen Parks, denen man gnädigerweise die unbedeutenden Zwischenräume überließ. Und wenn ich Ihnen verrate, daß von letzteren einer der Garten des Lukull war, den Kaiserin Messalina so schön fand, daß sie seinen Besitzer zum Selbstmord zwang, als der partout nicht verkaufen wollte, dann können Sie sich ungefähr vorstellen, wie erst die privaten Herrensitze auf dem Pincio aussehen.
Ich quasselte mich am Pförtnerhaus der Hortensius-Sippe vorbei und stiefelte die breite, kiesbestreute Auffahrt hoch. Unterwegs gab’s jede Menge Gartenkunst zu bestaunen. Zum Glück hatte ich vorher bei einem Zuckerbäcker haltgemacht und ein paar Erkundigungen eingeholt, so daß ich nun nicht ganz unvorbereitet auf den Luxus beim Herrn Freigelassenen war. Buchsbaum, zu geflügelten Greifen gestutzt, in Stein gehauene, lichte Göttinnen mit hehrer Denkerstirn, rosen- und weinumrankte, lauschige Pergolen, wuchtige Urnen aus rosig geädertem Alabaster, Taubenschläge, Fischteiche und Marmorbänke in verschwiegenen Laubengängen mit Blick auf sauber geschorene Rasenflächen – was für eine Augenweide!
Bronzesphinxen bewachten die Freitreppe aus weißem Marmor, über die ich in eine von mächtigen schwarzen Säulen gesäumte Empfangshalle kam. Dort tappte ich so lange mit dem Fuß auf ein weiß-graues Schachbrettmosaik, bis ein abgekämpfter Diener erschien. Er fragte nach meinem Namen und führte mich dann, vorbei an zierlichen Farnen und Springbrunnen, in einen eleganten Innenhof, den einer der drei Freigelassenen durch sein Standbild verschönt hatte. Imposant stand er da, der steinerne Hortensius, in seiner besten Toga und mit einer Schriftrolle in der Hand. Genau das fehlte dem Flur meiner Falco-Residenz: meine Wenigkeit in Carraramarmor, wie ein feiner Pinkel mit einem Haufen Geld, der mit sich und der Welt zufrieden ist. Ich nahm mir vor, so ein Standbild in Auftrag zu geben – eines schönen Tages.
Ich fand mich allein in einem Empfangssalon wieder. Auf dem Weg dorthin waren mir die vielen ausgebrannten Fackeln und Wachslichter aufgefallen. In den Gängen roch es noch schwach nach welken Blumengirlanden, und wenn ab und zu eine Tür ging, hörte ich die Mägde mit dem Geschirr vom Vorabend klappern. Sabina Pollia ließ mir ausrichten, ich möge mich noch etwas gedulden. Vermutlich war die Dame noch nicht mal angezogen. Ich beschloß, den Fall abzulehnen, wenn sie sich als reiche Schlampe entpuppen sollte, die nichts als Partys im Kopf hatte.
Nach einer halben Stunde begann ich mich zu langweilen und unternahm einen Streifzug durchs Haus. Überall hingen kostbar eingefärbte, aber leicht derangierte Vorhänge; die Möbel waren ausgesucht schön, jedoch wahllos in den Zimmern verteilt, und die Raumgestaltung schien ebenso willkürlich: Weiße Stuckdecken mit hauchzartem Dekor wölbten sich über Wandgemälden mit derb-erotischen Motiven. Es sah aus, als hätten sich die Herrschaften von jedem geschickten Handlungsreisenden etwas aufschwatzen lassen, ohne Rücksicht auf Sinn und Zweck, von Geschmack ganz zu schweigen. Der einzig gemeinsame Nenner dieses Sammelsuriums war vermutlich der horrende Preis.
Ich schätzte gerade, nur so zum Zeitvertreib, den möglichen Auktionsertrag für einen Phidias (»Aphrodite schnürt ihre Sandale«), der im Gegensatz zu fast jedem Phidias, der einem sonst in Rom unterkommt, verdächtig nach einem Original aussah, als hinter mir eine Tür aufflog und eine Frauenstimme rief: »Also hier finde ich Sie!«
Schuldbewußt fuhr ich herum. Bei ihrem Anblick blieb mir die Entschuldigung im Halse stecken.
Sie war zum Anbeißen. Den vierzigsten Geburtstag hatte sie zwar nicht mehr vor sich, aber falls sie mal ins Theater kam, würde sie bestimmt mehr Aufmerksamkeit erregen als das Stück. Kajal betonte ihren schmachtenden Blick, doch selbst im Naturzustand hätten Augen wie diese der Tugend eines Mannes von meiner Sensibilität arg zugesetzt. Die Augen gehörten zu einem ebenmäßigen Gesicht, und das wiederum zu einem Körper, gegen den die Phidias-Aphrodite sich ausnahm wie eine marode Eierfrau, der vom langen Stehen die Füße weh tun. Sie kannte ihre Wirkung ganz genau. Mir brach augenblicklich der Schweiß aus.
Da ich nach Sabina Pollia gefragt hatte, mußte sie das wohl sein. Zwei stämmige Burschen in leuchtend blauer Livree traten hinter ihr vor und rückten mir auf die Pelle.
»Rufen Sie Ihre Wachhunde zurück!« verlangte ich. »Die Dame des Hauses hat mich persönlich hergebeten.«
»Dann sind Sie der Schnüffler?« Ihre unverblümte Art verriet, daß diese Dame bei Bedarf auch ganz undamenhaft werden konnte.
Ich nickte. Sie bedeutete den beiden Flügelmännern, sich zurückzuziehen. Die gingen daraufhin zwar außer Hörweite, blieben aber nahe genug, um mich Mores zu lehren, falls ich Ärger machen sollte. Was ich nicht vorhatte – es sei denn, man würde mir Grund dazu geben. »Wenn Sie mich fragen«, erklärte ich dreist, »sollte eine Dame im eigenen Haus keinen Leibwächter brauchen.«
An meiner ausdruckslosen Miene konnte die Gnädige nicht ablesen, ob ihr Verdacht berechtigt war und ich sie soeben tatsächlich als ordinäre Person abgestempelt hatte. »Ich bin Didius Falco. Habe ich die Ehre mit Sabina Pollia?« Betont lässig streckte ich ihr die Flosse entgegen. Es schien ihr nicht zu gefallen, aber sie nahm die dargebotene Hand. Die ihre war schlank, mit kurzen Fingern und den hellen, ovalen Nägeln eines jungen Mädchens; sie trug einen Haufen juwelenblitzender Ringe.
Sabina Pollia besann sich und entließ die beiden Burschen in der adriatischen Uniform. Eine Dame hätte jetzt nach einem Anstandswauwau geschickt, aber das vergaß sie. Sie fläzte sich so auf einen Diwan, daß die anmutige Aphrodite wieder Punkte gewann.
»Erzählen Sie mir was über sich, Falco!« Leidiges Berufsrisiko: Sie wollte sich amüsieren, den Spieß umdrehen und mich ausfragen. »Sie sind also Privatermittler – wie lange denn schon?«
»Fünf Jahre. Seit ich als Invalide aus der Legion entlassen wurde.«
»Doch hoffentlich nichts Ernstes?«
Mein Lächeln war kühl, souverän. »Nichts, was mich nennenswert beeinträchtigen könnte.«
Unsere Blicke trafen sich, verweilten. Es würde ein hartes Stück Arbeit werden, bis ich diese Schönheit so weit hatte, daß wir sachlich über meinen Auftrag reden konnten.
Sie war eine von diesen klassischen Miezen: wohlproportioniertes Gesicht, gerade Nase genau am rechten Fleck, klarer Teint und ungewöhnlich ebenmäßige Zähne – ein vollkommenes Profil, wenn auch etwas ausdrucksschwach, da Menschen mit sehr schönen Gesichtern nie Charakter zeigen müssen, um sich durchzusetzen; außerdem könnte durch zuviel Mimik ja die Schminke brüchig werden, die Frauen wie sie nicht nötig haben, aber immer tragen. Sie war zierlich und kokettierte damit – auffallende, mit Schlangenköpfen verzierte Reifen betonten die zarten Arme, die geschürzten Lippen imitierten einen Kleinmädchenschmollmund. Alles Theater, um einen Mann zum Schmelzen zu bringen. Da ich nie krittelig bin, wenn eine Frau sich wirklich ins Zeug legt, schmolz ich gehorsam.
»Ich höre, Sie arbeiten für den Palast, Falco – aber mein Diener hat mir schon gesagt, daß Sie darüber nicht sprechen dürfen …«
»So ist es.«
»Diese Detektivarbeit muß ja faszinierend sein!«
Sie hoffte offenbar auf ein paar skandalträchtige Enthüllungen über ehemalige Klienten.
»Manchmal«, gab ich ungefällig zurück. Meine verflossenen Klienten sind zumeist Leute, an die ich mich lieber nicht mehr erinnere.
»Man hat mir auch erzählt, daß ein Bruder von Ihnen als Held gefallen ist.«
»Didius Festus. Ihm wurde in Judaea das Palisadenkreuz verliehen.« Mein Bruder Festus hätte sich schiefgelacht bei dem Gedanken, daß die Verwandtschaft mit ihm einmal mein Prestige erhöhen würde. »Haben Sie ihn gekannt?«
»Nein – sollte ich?«
»Nun, viele Frauen kannten ihn.« Ich lächelte. »Sabina Pollia, sollte ich Ihnen nicht in einer gewissen Angelegenheit behilflich sein?«
Diese zarten Püppchen lassen sich von keinem den Schneid abkaufen. »Tja, Falco – wo liegen denn Ihre Stärken?«
Ich fand es an der Zeit, ihr die Stirn zu bieten. »In meinem Beruf, Gnädigste, da bin ich stark! Können wir also zur Sache kommen?«
»Nicht so hastig!« tadelte Sabina Pollia.
Warum bin am Ende immer ich schuld?
»Wenn ich Hyacinthus recht verstanden habe, dann handelt es sich um ein Familienproblem?« fragte ich etwas muffig.
»Nicht ganz!« Pollia lachte. Und dann kam wieder die Masche mit dem hilflosen Schmollmündchen. Aber darauf war ich von Anfang an nicht reingefallen; die Dame konnte was einstecken. »Sie sollen nämlich das Problem grade aus der Familie raushalten!«
»Dann wenden wir uns doch gleich mal dieser ›Familie‹ zu. Also, Hortensius Novus wohnt hier; und wer noch?«
»Wir wohnen alle hier. Ich bin mit Hortensius Felix verheiratet; Hortensia Atilia ist die Frau von Hortensius Crepito …« Sklaven, die untereinander heiraten: nichts Ungewöhnliches.
»Und Novus ist in diesem brüderlichen Triumvirat der letzte fidele Junggeselle?«
»Bis jetzt«, antwortete sie gepreßt. »Aber die drei sind keine Geschwister, Falco! Wie kommen Sie nur darauf?«
Jetzt war ich ein bißchen aus dem Konzept. »Nun, die ganze Situation hier, der gleiche Name, Sie selbst bezeichnen sich als eine Familie …«
»Wir sind nicht blutsverwandt, stammen aber aus einer Familie. Unser Herr hieß Hortensius Paulus, verstehen Sie?«
Als ob es nicht schon lästig genug wäre, daß man jedem Römer nebst Brüdern und Söhnen zum Zeichen der Ehrfurcht den Vatersnamen anhängt, hatte ich es hier also mit einer ganzen Bande von Ex-Sklaven zu tun, die allesamt das Patronymikum ihres früheren Herrn trugen. Sogar die Frauen! »Hortensia Atilia ist demnach eine Freigelassene aus demselben Haushalt?«
»Ja.«
»Aber Sie gehörten nicht dazu?«
»O doch.«
»Wieso heißen Sie dann anders?« Sabina Pollia, die zu stolzen Halbmonden gezupften Brauen leicht gehoben, amüsierte sich auf meine Kosten. »Da komme ich nicht ganz mit«, gestand ich freimütig.
»Ich habe für die Dame des Hauses gearbeitet«, erklärte sie hoheitsvoll. Fakten wie »ich habe ihr gehört« oder »sie hat mich freigelassen« blieben wohlweislich unausgesprochen. »Darum habe ich ihren Namen angenommen. Aber ist das denn wichtig, Falco?«
»Sagen wir hilfreich.« Vor allem dabei, eventuelle Fettnäpfchen zu umrunden. Ich mag meine Klientel nicht kränken – aus Angst, daß sie sonst weniger zahlen. »Fassen wir also zusammen: Sie fünf wurden zum Dank für treue Dienste in die Freiheit entlassen …« Sicher hatte Paulus das in seinem Testament verfügt. »Seitdem wohnen und arbeiten Sie zusammen, ja haben sogar untereinander geheiratet.« Da das Mindestalter für die Freilassung eines Sklaven dreißig Jahre beträgt, mischte Pollia seit gut und gern zehn Jahren in der feinen Gesellschaft mit. Eher noch länger, dachte ich, den gebotenen Takt gegenüber einer Dame und ihrem Alter vergessend. »Sie führen ein angesehenes Haus, leben in Wohlstand. Na, und den Rest kann ich mir zusammenreimen: Da kommt plötzlich eine Fremde daher – die vielleicht ein Flittchen ist, aber darauf kommen wir gleich – und verdreht Ihrem einzigen noch ungebundenen Familienmitglied den Kopf. Und nun möchten Sie, daß ich diese Person verscheuche.«
»Sie sind auf Draht, Falco.«
»Davon lebe ich … Wie weit ist die Romanze denn schon gediehen?«
»Hortensius Novus hat sich offiziell verlobt.«
»Wie unbesonnen! Doch bevor ich den Fall übernehme«, fuhr ich nachdenklich fort, »nennen Sie mir einen guten Grund dafür, warum ich glauben sollte, daß Sie und Atilia dieser klugen Spekulantin nicht einfach nur böse sind, weil sie Ihr geregeltes Leben durcheinanderbringt?«
Die Frage schien Pollia berechtigt. »Natürlich sind wir um das Glück unseres alten Freundes besorgt.«
»Natürlich«, echote ich. »Aber ich nehme doch an, daß es auch um einen schönen Batzen Geld geht?«
»Wenn Hortensius Novus eine Braut ins Haus bringt, die ehrbare Absichten hat, wollen wir sie gern willkommen heißen.« Mich wunderte schon, daß zwei Frauen gemeinsam wirtschaften konnten, von dreien ganz zu schweigen. Auf meinen entsprechenden Hinweis erläuterte sie mir das harmonische Arrangement der Sippe: »Felix und ich bewohnen diesen Flügel, Crepito und Atilia den gegenüber. Für Geschäftsbesprechungen und Feste teilen wir uns die Salons im Mitteltrakt …«
»Und wo zwängt Novus sich dazwischen?«
»Er hat eine Suite im Obergeschoß – oh, überaus geräumig, Falco.«
»Wir Junggesellen sind maßvoll. Aber wenn er heiratet, können Sie dann ein drittes Ehepaar unterbringen?« fragte ich und überlegte im stillen, ob ich hier nichts weiter zu lösen haben würde als das leidige Wohnungsproblem, das so vielen Familien in Rom das Leben vergällt.
»Nichts leichter als das.« Sabina Pollia zuckte die Achseln. »Unser Architekt würde einen neuen Flügel anbauen.«
»Aha! Damit wären wir bei der Preisfrage: Wenn Novus’ Heirat den Haushalt nicht durcheinanderbringen würde, was stört Sie und Atilia dann so an seiner Freundin?«
»Wir glauben, daß sie ihn umbringen will«, sagte Sabina Pollia.
VI
Wir Ermittler sind schlichte Gemüter. Zeigt man uns eine Leiche, dann suchen wir brav nach dem Mörder – bloß haben wir die Leiche gern vorher; irgendwie ist es logischer so.
»Gnädigste, in gutrömischer Gesellschaft gilt es als unhöflich, von einem Mord zu sprechen, noch ehe er begangen wurde.«
»Sie glauben, ich hätte mir das nur ausgedacht!« Pollia verdrehte die herrlichen Augen.
»Nein, es klingt so lächerlich, daß ich Sie ernst nehme! Wenn jemand etwas erfindet, dann legt er sich normalerweise eine plausiblere Geschichte zurecht.«
»Diese ist wahr, Falco.«
»Dann beweisen Sie’s mir.«
»Die Frau war schon verheiratet – und zwar dreimal!«
»Oh, wir leben in frivolen Zeiten. Heutzutage sind fünf Ehen das Minimum für eine Rufschädigung …«
»Keiner ihrer Ehemänner hat die Hochzeit lange überlebt …« Pollia gab nicht auf, und ich grinste boshaft weiter. »Und jedesmal war sie nach der Beerdigung sehr viel reicher!«
Ich hörte auf zu grinsen. »Ah! Geld gibt der Geschichte den Stempel der Echtheit … Übrigens, wie heißt die bewußte Dame?«
Pollia zuckte die Achseln (wobei sie lässig ihre schönen weißen Schultern zwischen den funkelnden Ärmelspangen entblößte). »Sie nennt sich Severina. Wie sie weiter heißt, weiß ich nicht.«
Mit einem Stilus, den ich immer griffbereit habe, schrieb ich in mein Notizbuch: Vorname Severina; Familienname unbekannt … »Ist sie hübsch?«
»Juno, wie soll ich das wissen? Irgend etwas muß schon dran sein an einer, die vier Männer – lauter vermögende Männer – dazu bringen kann, sie zu heiraten.«
Ich machte mir noch eine Notiz, diesmal im Kopf: raffinierte Person. (Das konnte schwierig werden.) Und wahrscheinlich auch intelligent. (Noch schlimmer!)
»Macht sie ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit?«
»Nein.«
»Brüstet sich damit?«
»Auch das nicht. Sie stellt es ganz einfach so hin, als sei es gang und gäbe, drei früh verstorbene Ehemänner zu beerben.«
»Gescheit.«
»Falco, ich habe Ihnen doch gesagt, sie ist gefährlich!« Der Fall begann mich zu interessieren (ich bin ein Mann, ein normal veranlagter Mann: gefährliche Frauen haben mich immer fasziniert).
»Pollia, lassen Sie uns einmal klarstellen, was Sie von mir wollen: Ich kann diese Severina beschatten und ausspionieren, in der Hoffnung, einen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit aufzudecken …«
»Das wird nichts nützen. Nach dem Tod ihres dritten Gatten hat sogar ein Prätor eine Untersuchung angeordnet. Aber«, klagte Pollia, »es ist nichts dabei herausgekommen.«
»Auch ein Prätor übersieht mal was. Vielleicht ist das unsere Chance. Selbst die gerissenste Verführerin macht irgendwann Fehler, wie jeder Mensch. Nach drei Siegen hält dieser Vamp sich wahrscheinlich bald für eine Halbgöttin; und dann tappt sie einem wie mir in die Falle. Sagen Sie, ist Hortensius Novus eigentlich über ihre Vergangenheit informiert?«
»Wir haben sogar dafür gesorgt, daß er sie danach fragte. Aber sie hatte auf alles eine Antwort.«
»Natürlich, als Profi hat sie sich nicht überrumpeln lassen. Ich will trotzdem sehen, ob ich sie verscheuchen kann. Manchmal reicht es schon, wenn diese Bräute merken, daß sie unter Beobachtung stehen – schon schwirren sie ab und suchen sich ein leichteres Opfer. Wären Sie übrigens bereit, ihr Geld anzubieten?«
»Wenn das was nützt, gern. Wir haben ja genug davon.«
Ich grinste, in Gedanken schon bei meiner Rechnung. Ich bin in meinem Leben genug reichen Leute begegnet, die ihr Vermögen dezent verschweigen, und ich kenne Männer, die ohne jedes Aufhebens von ihren riesigen Besitzungen sprechen. Sabina Pollias unverhohlene, ordinäre Prahlerei zeigte mir, daß ich Neuland betreten hatte: Das hier war die Welt der Protze. »Gut, dann werde ich ihren Preis auskundschaften …«
»Vorausgesetzt, sie hat einen!«
»Oh, den hat sie, und bestimmt ist er niedriger, als Hortensius Novus sich das vorstellt. Wissen Sie, die Erkenntnis, wie gering die Angebetete seinen Wert ansetzt, hat schon manchem betörten Liebhaber geholfen, sie mit anderen Augen zu sehen!«
»Falco, Sie sind ja ein Zyniker!«
»Ich habe eben oft für Männer gearbeitet, die glaubten, der großen Liebe begegnet zu sein.«
Sie musterte mich hinter halb geschlossenen Lidern. Aus war’s mit dem klaren, geschäftsmäßigen Kurs! »Falco, mögen Sie am Ende keine Frauen?«
»Ich liebe die Frauen!«
»Gibt’s eine Auserwählte?«
»Ich bin sehr wählerisch!« konterte ich grob.
»Wir haben andere Informationen.« Ihre Informationen waren überholt. »Ich frage ja bloß«, flötete Pollia mit unverschämt naivem Augenaufschlag, »weil ich mir Sorgen mache, ob Sie vor Severinas Ränken sicher sein werden …«
»Severina wird mich links liegenlassen, sowie sie erfährt, daß in Falcos Bankfach nichts weiter liegt als meine Geburtsurkunde, der Entlassungsschein vom Militär und ein paar erstickte Motten!«
Eisern lenkte ich das Gespräch zurück in geschäftliche Bahnen, erfragte noch ein paar Einzelheiten (eine Adresse, den Namen eines Prätors und vor allem die Höhe meines Honorars), dann verabschiedete ich mich.
Als ich die weiße Marmorfreitreppe hinunterschlitterte (die Stufen waren so schlüpfrig wie die Hausbewohner), bemerkte ich unten eine eben angekommene Sänfte.
Die sechs Träger in kobaltblauer Livree, breitschultrige, schwarzglänzende Numidier, waren Hünen, die sicher nicht mal im ärgsten Gedränge auf dem Forum Romanum, zwischen Tabularium und Haus der Vestalinnen, aus dem Tritt gekommen wären. Holzschnitzereien, mit Schildpatt eingelegt, zierten die Sänfte, die außerdem karminrote Vorhänge hatte, eine lackschimmernde Gorgo auf der Tür und Silberknäufe an den Tragstangen. Ich tat so, als hätte ich mir den Knöchel verrenkt, damit ich bleiben und sehen konnte, wer da aussteigen würde.
Und wie froh ich war, daß ich gewartet hatte!
Die Dame, die der Sänfte entstieg, mußte Atilia sein.
Sie gehörte zu den Frauen, die einen Halbschleier tragen, weil der ihre Reize erhöht; über dem bestickten Schleierrand glühten dunkle, ernste Augen von orientalischem Schnitt. Sie und Pollia hatten sehr viel Geld zur Verfügung, von dem sie offensichtlich soviel wie möglich für sich selbst ausgaben. An Atilia klimperte teurer Filigranschmuck. Daß eine einzelne Frau sich so schwer mit Gold behängte, hätte schon aus Sicherheitsgründen verboten gehört. Ihr Kleid hatte jenen satten Amethystschimmer, der glauben macht, der Stoff sei tatsächlich mit zerstoßenen Edelsteinen eingefärbt. Als sie die Freitreppe heraufkam, verneigte ich mich galant und gab den Weg frei.
Sie nahm den Schleier ab.
»Guten Morgen!« Mehr brachte ich nicht heraus; ich litt plötzlich an Atemnot.
Die Dame war so kühl wie die Eishaube auf dem Gipfel des Idagebirges. Sabina Pollia war zum Anbeißen, wie ein Pfirsich, doch diese Erscheinung glich der reifen, geheimnisumwitterten Frucht einer mir fremden, exotischen Provinz.
»Sie sind gewiß der Detektiv.« Ihre ernste Miene verriet hohe Intelligenz. Nicht, daß ich mich hätte täuschen lassen; seinerzeit, im Hause des Herrn Hortensius, war sie vermutlich einmal Küchenmagd gewesen – und doch hatte sie den hoheitsvollen Blick einer Prinzessin aus dem Morgenland. Wenn Kleopatra so einen Augenaufschlag hingekriegt hat, wundert es mich nicht mehr, warum ehrbare römische Generäle Schlange standen, um an den schlammigen Ufern des Nils ihren guten Ruf zu verschleudern.
»Ich heiße Didius Falco … Hortensia Atilia?« Sie nickte. »Wie schön, daß ich mich Ihnen doch noch persönlich vorstellen kann …«
Ein Schatten glitt über ihr makelloses Gesicht. Die ernste Stimmung stand ihr gut; ihr hätte jede Stimmung gut gestanden. »Es tut mir leid, daß ich bei Ihrem Vorstellungsgespräch nicht dabei war, aber ich habe meinen kleinen Sohn zur Schule gebracht.« Eine treusorgende Mutter – zauberhaft! »Glauben Sie, daß Sie uns helfen können, Falco?«
»Ich will keine voreiligen Versprechungen machen. Aber ich hoffe doch, ja.«
»Danke«, hauchte sie. »Und nun darf ich Sie wohl nicht länger aufhalten …« Hortensia Atilia reichte mir so förmlich die Hand, daß ich mir plötzlich wie ein Klotz vorkam. »Aber besuchen Sie mich bald und lassen Sie mich wissen, wie Sie vorankommen, ja?«
Ich lächelte. Eine Frau wie sie erwartet von einem Mann, daß er lächelt; und wir Männer tun unser Möglichstes, um solche Erwartungen nicht zu enttäuschen. Sie lächelte zurück, denn sie wußte, daß ich früher oder später einen Vorwand finden würde, um sie zu besuchen. Bei einer solchen Frau werden wir Männer ungewohnt einfallsreich.
Auf dem Rückweg blieb ich auf halber Höhe stehen und bewunderte den herrlichen Blick auf Rom. Vom Pincio herab betrachtet, schwamm die Stadt im goldenen Morgenlicht. Ich lockerte den Gürtel, unter dem mir die Tunika an der Taille klebte, wartete ab, bis mein Atem wieder ruhiger ging, und zog Bilanz. Nach der Begegnung mit Pollia und Atilia hatte ich das Gefühl (und ich gestehe, daß ich es schlankweg genoß), als könne ich von Glück sagen, heil wieder aus ihrer Villa rausgekommen zu sein.
Die Vorzeichen waren vielversprechend. Zwei berückende Klientinnen, deren neureicher Lebensstil mir Amüsement versprach; eine Brieftaschenbraut mit so bewegter Vergangenheit, daß man sie bestimmt entlarven konnte, auch wenn es dem zuständigen Beamten nicht gelungen war (einen Prätor blamiere ich für mein Leben gern); plus einem fetten Honorar – und das alles mit ein bißchen Glück, ohne große Anstrengung …
Ein idealer Fall.
VII
Bevor ich mit der Überwachung des Vamps anfing, wollte ich erst einmal die Hortensius-Sippe unter die Lupe nehmen. Durch ihre Wohnung und durch die Fragen, die sie stellen, verraten die Leute sich schon mehr als sie glauben; ihre Nachbarn sind mitunter noch auskunftsfreudiger. Jetzt, da ich mir einen ersten Eindruck verschafft hatte, lohnte sich wohl ein zweiter Besuch bei dem Zuckerbäcker, den ich zuvor nach dem Weg gefragt hatte.
Als ich an den Stand kam, pickte gerade ein Huhn mit Hang zum süßen Leben Krümel auf. Der Laden war eigentlich bloß ein Verschlag gegenüber einer Pinie. Vorn hatte er eine Theke zum Runterklappen und ein aufklappbares Sonnendach, und hinten drin stand ein Backofen. Dazwischen war so wenig Platz, daß der Konditor sich so oft wie möglich mit seinem Schemel in den Schatten der Pinie auf der anderen Straßenseite verzog und gegen sich selbst Hütchenfangen spielte. Wenn Kunden auftauchten, ließ er sie so lange warten, bis ihnen das Wasser im Munde zusammenlief; dann erst kam er herüber.
Die Anwohner des Pincio mochten eigentlich keinen Geschäftsbetrieb in ihrer Gegend; aber auf ihre kleinen Annehmlichkeiten wollten sie auch nicht verzichten. Ich verstand sehr gut, warum sie diesen Zuckerbäcker auf ihrem Hügel duldeten. Für die architektonischen Mängel seines Emporiums wurde man durch phantasievolle Köstlichkeiten reichlich entschädigt.
Das Herzstück der Vitrine bildete ein riesiges Tablett, auf dem ganze Feigen tief in ein klebriges Honigbett versenkt waren. Ringsherum hatte der Meister verlockende Leckerbissen in Schleifen und Spiralen angeordnet, zwischen denen hie und da eine Lücke klaffte (damit niemand sich genieren würde, womöglich die Auslage durcheinanderzubringen). Da gab es saftige Datteln, mal mit ganzen, elfenbeinschimmernden Mandeln gefüllt, mal mit raffinierten Cremes in Pastellfarben farciert; knuspriges Gebäck, zu Halbmonden oder Rechtecken geformt, dick mit saftigen Früchten belegt und obenauf mit Zimt bestreut; frische kandierte Damaszenerpflaumen, Quitten und geschälte Birnen; Törtchen aus Eierschaum mit Muskatnuß besprenkelt und teils aufgeschnitten, damit man die eingebackene Schicht Hagebutten oder Holunderbeeren sehen konnte. An einer Seite der Bude stand ein Regal mit Honigtöpfen, den Etiketten nach aus Hymettus und Hybla; ja für den Liebhaber ausgefallener Partygeschenke gab es sogar ganze Honigwaben. Gegenüber glänzten dicke Stücke afrikanischen Mostkuchens neben anderen Kunstwerken aus der Konfiserie des Standinhabers, etwa seine in Milch getränkten Weizenmehlküchlein: Die wurden vor den Augen der Kundschaft aufgespießt, in Honig geschwenkt und zur Krönung mit kleingehackten Haselnüssen bestreut.
Ebenfalls eine Spezialität waren die Knuspertauben: ein Gedicht aus Kuchenteig, gefüllt mit Rosinen und Nüssen und nach dem Backen glasiert. Ich drückte mir gerade davor die Nase platt, als der Konditor neben mir auftauchte.
»Ah, wieder da! Und? Haben Sie das Haus gefunden, nach dem Sie suchten?«
»Ja, ja, danke. Ach, kennen Sie übrigens die Familie Hortensius?«
»Na, und ob!« Der Konditor war ein verhutzelter Kauz mit den behutsamen Gesten eines Mannes, dessen Beruf sehr viel Fingerspitzengefühl verlangt. Der Markisenpfahl, auf dem nicht, wie üblich, FRISCHE BACKWAREN stand, informierte die Kundschaft, daß sie hier von MINNIUS bedient wurden.
Ich wagte eine unverblümt dreiste Frage. »Und was sind das für Leute?«
»Ach, nicht übel.«
»Kennen Sie sie schon lange?«
»Seit über zwanzig Jahren! Als ich diese Brut aufgeplusterter Zwerghähne kennenlernte, waren sie noch Küchenjunge, Maultiertreiber und ein kleiner Wicht, der die Lampendochte stutzte!«
»Seitdem haben die sich aber ganz schön hochgearbeitet! Ich bin eben von den Frauen engagiert worden. Kennen Sie eigentlich auch Sabina Pollia?«
Minnius lachte. »An die erinnere ich mich noch aus der Zeit, als sie Friseuse war und Iris hieß!«
»Hallo! Und wie steht’s mit Atilia?«
»Die Intellektuelle! Na ja, die wird Ihnen erzählen, sie war Sekretärin, aber denken Sie dabei ja nicht an einen griechischen Stubengelehrten. Atilia hat die Wäscheliste zusammengekritzelt!«
Er gluckste vor Vergnügen über seinen eigenen Witz. »Damals habe ich auf dem Emporium Pistazien vom Tablett weg verhökert. Heute verkaufe ich immer noch Konfekt – in dieser Bude hier, die übrigens dem Lampenputzer aus dem Hortensius-Stall gehört. Wenn es überhaupt einen Unterschied macht, dann habe ich mich höchstens verschlechtert; die Kunden sind unhöflicher, ich zahle dem Schuft zuviel Miete, und mir fehlt es an Bewegung …«
Er schnitt einen weingetränkten Kuchen an, der vor Honig nur so triefte, und gab mir ein Stück zum Probieren. Es gibt Leute, die werfen einen Blick auf mein freundliches Gesicht und werden schlagartig von Abneigung befallen. Glücklicherweise weiß die andere Hälfte der Gesellschaft ein offenes Lächeln zu schätzen.
»Nun fragen Sie mich, wie die das anstellen!« Das hätte ich tatsächlich getan, wäre mein Mund nicht voll der köstlichsten Krumen gewesen. »Sogar als sie noch dem alten Paulus gehörten, waren die Jungs schon fleißige Unternehmer. Jeder von ihnen hatte einen Krug unterm Bett, der sich mit heimlich verdienten Kupfermünzen füllte. Sie hatten alle das Talent, Sonderaufträge für ein Extratrinkgeld zu ergattern. Wenn Ihre Pollia …«
»Iris!« Ich grinste mit klebrigen Lippen.
»Also, wenn Iris was geschenkt bekam – eine Haarnadel oder den Fransenbesatz von einem Kleid –, dann tauschte sie’s auf der Stelle gegen harte Denare ein.«
»Hat der alte Paulus das unterstützt?«
»Weiß nicht. Aber er hat’s durchgehen lassen. War ein liebenswerter Mensch. Und ein guter Herr erlaubt seinen Dienern zu sparen, wenn sie’s können.«
»Haben sie sich eigentlich selbst freigekauft?«
»Die Mühe hat Paulus ihnen abgenommen.«
»Ist er gestorben?«
Minnius nickte. »Er war Marmorschleifer von Beruf. Arbeit hatte er jede Menge, auch wenn er nicht reich damit geworden ist. Jedenfalls, als er abtrat, waren seine Leute im Testament großzügig bedacht.« Paulus konnte durch Vermächtnis einem Teil seiner Dienstboten die Freiheit schenken; meine Klienten hatten ganz den dreisten Blick von Sklaven, die rechtzeitig dafür sorgen, daß sie zu den Favoriten gehörten, die in den Genuß dieses Privilegs kamen.
»Ihre Ersparnisse hatten sie bald gut angelegt«, fuhr Minnius fort. »Gibt’s eigentlich ein bestimmtes System, um mit Frachtschiffen zu verdienen?«
Ich nickte. »Prämien – für die Ausrüstung von Getreidetransporten.« Zufällig hatte ich mich vor kurzem erst näher mit Kornimporten beschäftigt und kannte daher sämtliche Tricks und Schwindeleien auf diesem Sektor. »Kaiser Claudius rief das Programm ins Leben, um die Winterfahrten zu fördern. Er setzte ein Handgeld aus, auf das jeder, der Schiffe baute und zur Verfügung stellte, Anspruch hatte und dessen Höhe sich nach der Tonnage richtete. Außerdem gab’s eine Versicherung; er übernahm die Haftung für jeden gesunkenen Frachter. Dieses Gesetz ist nie aufgehoben worden. Und jeder, der davon weiß, kann bis heute davon profitieren.«
»Pollia besaß ein Schiff, das gesunken ist«, versetzte Minnius trocken. »Und sie hat’s auch geschafft, ganz schnell an ein neues zu kommen …«
Er wollte offenbar andeuten, daß es sich dabei um ein und dasselbe Schiff handelte, nur mit geändertem Namen – ein interessanter Hinweis auf raffinierte Praktiken im Hause Hortensius. »Und sie hatte dieses Schiff selbst ausgerüstet?« fragte ich. Nach dem Erlaß des Claudius erwarb eine Frau mit einer solchen »Spende« die Ehren einer vierfachen Mutter: übersetzt in die Sprache meiner Mutter, das Recht, sich in der Öffentlichkeit die Haare zu raufen, weil man ständig von Quälgeistern umgeben war.
»Wer weiß? Aber bald darauf trug sie Rubinklunker in den Ohren und Sandalen mit silbernen Sohlen.«
»Und wie haben die Männer sich ihr Vermögen verdient? Was machen die so für Geschäfte?«
»Dies und das. Genauer gesagt, dies, das und so gut wie alles, was Sie sich sonst noch ausdenken können …«
Ich spürte, daß die Mitteilsamkeit meines Informanten versiegte – Zeit, mich zu verkrümeln. Ich kaufte zwei von seinen gefüllten Knuspertauben für Helena und noch ein paar Stücke Mostkuchen für meine Schwester Maia – zum Dank für die Selbstlosigkeit, mit der sie mir meine Wettsteine wiederbeschafft hatte.
Der Preis war so aberwitzig, wie sich das für den Pincio gehörte. Aber dafür bekam ich als Dreingabe auch ein hübsches Körbchen mit einem schmucken Nest aus Weinlaub, in dem ich meine Leckereien heimtragen konnte, ohne klebrige Finger zu kriegen. Kein Vergleich mit dem tintenbeklecksten, aus alten philosophischen Traktaten rausgerissenen Fetzen, in die man bei mir zu Hause auf dem Aventin die Torten einwickelt.
Andererseits gibt’s auf einem Rebenblatt nichts zu lesen, wenn man es erst einmal saubergeleckt hat.
VIII
Als nächstes strapazierte ich meinen Blutdruck mit dem Besuch bei einem Prätor.
In Zeiten der Republik waren jährlich zwei Magistrate gewählt worden (oder vielmehr ernannt, denn da nur Senatsmitglieder in Frage kamen, konnte man nicht gerade von einer freien Wahl sprechen). Inzwischen aber waren die Straftaten so sprunghaft angestiegen, daß nun schon achtzehn Richter nötig waren, davon allein zwei für Betrugsdelikte. Der Magistrat, der gegen die verdächtige Tripelwitwe ermittelt hatte, hieß Corvinus. Da ich jeden Tag in der Forumspost nachlesen konnte, was für aberwitzige Entscheidungen die heutigen Rechtsverdreher fällten, wußte ich im voraus, was von diesem Corvinus zu halten war: ein aufgeblasener Wichtigtuer, wie alle Prätoren. In der Rangliste öffentlicher Ämter stehen sie nur eine Stufe unter dem Konsul, dem höchsten Beamten des Römischen Reichs, und für einen Staatsdiener, der sich mit seiner Unbelecktheit in Sachen moderner Moral brüsten will, ist das Prätorenamt ein gefährlich reizvoller Tummelplatz. Corvinus, ein Fossil aus der Zeit vor Vespasians Kampagne zur Säuberung der Gerichte, würde seine Karriere unter dem jetzigen Kaiser vermutlich sang- und klanglos als Prätor beenden.
Zum Leidwesen meiner Klienten hatte Corvinus, bevor man ihn auf sein Gut in Latium in Pension schickte, noch Zeit gefunden, den Fall Severina abzuschließen, mit dem Ergebnis, daß die arme Kleine ein Pechvogel war, dem rein zufällig kurz hintereinander drei reiche Ehemänner unter den Händen weggestorben waren. Tja, nun wissen Sie, warum ich über Prätoren im Richteramt so denke, wie ich denke.
Ich hatte Corvinus nie kennengelernt und legte auch keinen Wert darauf, das nachzuholen. Trotzdem ging ich vom Pincio schnurstracks zu seinem Haus. Es war eine ruhige Villa auf dem Esquilin. Über der Tür hing eine verblaßte Trophäe zum Andenken an eine Militärparade, bei der man Anno Tobak einen seiner Ahnherren dafür ausgezeichnet hatte, daß er nicht desertiert war. In der Eingangshalle sah ich die Statuen von zwei strengen republikanischen Oratoren, eine mittelmäßige Bronzebüste des Augustus und eine ellenlange Kette für einen Wachhund (ohne den dazugehörigen Hund): der übliche angestaubte Plunder einer Familie, die nie so bedeutend gewesen war, wie sie glaubte, und nun allmählich in Vergessenheit geriet.
Meine Hoffnung, Corvinus sei zur Sommerfrische nach Cumae gereist, erfüllte sich nicht. Er gehörte zu der Sorte pflichtbewußter Toren, die wahrscheinlich sogar am eigenen Geburtstag Gericht halten; er murrte über die Last der Geschäfte – und streichelte gleichzeitig sein Ego damit, den ganzen heißen August hindurch Schriftsätze zu verhunzen. Ein gelangweilter Türsteher ließ mich ein. Im Atrium lag ein Haufen beilbewehrter Rutenbündel, und ich hörte Stimmengemurmel aus dem Nebenraum, wo die Liktoren des ehrenwerten Magistrats ihr Mittagessen verputzten. In einem Korridor waren etliche Bänke aufgestellt, auf denen Kläger und Mandanten mit Leichenbittermiene rumhängen konnten, während der Prätor sein Verdauungsschläfchen hielt. Das schräg einfallende Sonnenlicht, das durch hohe, quadratische Fenster schien, blendete mich zunächst, doch sobald meine Augen sich an das grelle Wechselspiel von Licht und Schatten gewöhnt hatten, machte ich die gewohnte Bittstellerriege aus, die überall die Amtsstuben großer Tiere verstopft. Jeder belauert den anderen, aber keiner will sich’s anmerken lassen; alle versuchen, dem Besserwisser mit dem irren Blick auszuweichen, der sich so gern unterhalten möchte; jeder hat sich auf einen langen und wahrscheinlich fruchtlosen Nachmittag eingerichtet.
Ich meide überfüllte Wartezimmer, wo man sich nur die Krankheiten anderer Leute einfängt, und ging darum auch hier rasch weiter. Ein paar der Jammergestalten strafften sich, doch die meisten waren darauf geeicht, einen, der anscheinend wußte, wo’s langgeht, passieren zu lassen. Und ich hatte kein schlechtes Gewissen, weil ich mich vordrängte. Die anderen waren hier, um den Prätor zu sprechen. Das letzte, was mich interessierte, war ein unnützes Palaver mit einem langweiligen, vertrottelten Juristen. Aber jeder Prätor hat auch einen Sekretär. Und weil der Umgang mit streitenden Parteien äußerst heikel sein kann, ist der Sekretär eines Prätors normalerweise ein heller Kopf. Ich war hier, um den Sekretär zu sprechen.
Ich fand ihn im schattigen Garten eines Innenhofs. Da es ein warmer Tag war, hatte er seinen Klappstuhl an der frischen Luft aufgeschlagen. Seine Sonnenbräune sah aus wie aufgemalt – wahrscheinlich der Nebeneffekt einer Woche fleißigen Rebverschnitts im Weinberg. Er trug einen großen Siegelring, spitze rote Schuhe und eine schneeweiße Tunika – kurz, er war rausgeputzt wie ein Kesselheizer, der zum Tanz geht.
Diesmal hatte ich mich nicht verspekuliert: Nachdem er sich den lieben langen Vormittag mit Senatorensöhnen rumärgern mußte, die man auf Voyeurstour in den Umkleideräumen eines Frauenbades geschnappt hatte, oder mit tüdeligen Omas, die erst drei Generationen Familiengeschichte runterbeteten, bevor sie erklärten, warum sie vier Enteneier stehlen mußten, war der Sekretär heilfroh, seine Pyramide von Bittschriften beiseite schieben und sich bei einem Plausch mit mir erholen zu können. Ich stellte mich vor und erfuhr im Gegenzug, daß sein Name Lusius sei.
»Lusius, ich habe da ein paar Klienten, die sich wegen einer berufsmäßigen Braut Sorgen machen. Eine gewisse Severina; Familienname ist mir unbekannt, aber …«
»Zotica«, unterbrach Lusius schroff. Vielleicht hielt er mich für einen zeitvergeudenden Schwätzer.
»Sie erinnern sich! Den Göttern sei Dank für die Tüchtigkeit der …«
»Und ob ich mich erinnere«, knurrte der Sekretär, dem diese seltene Chance, sich seinen Frust von der Seele zu reden, die Zunge löste. »Die Frau ist dreimal kurz hintereinander Witwe geworden. Die Männer stammten jeder aus einem anderen Bezirk, weshalb ich mich gleich mit einem ganzen Trio schlampiger Ädilen rumschlagen mußte, die mir mit vierwöchiger Verspätung unvollständige Personalakten schickten – nebst einem Brief aus dem Büro des Zensors, in dem alle Namen falsch geschrieben waren. Das Ende vom Lied war, daß ich selbst die Unterlagen für Corvinus zusammenstellen mußte.«
»Die leidige Routine!« Ich nickte bedauernd. »Aber was können Sie mir erzählen?«
»Was wollen Sie denn wissen?«
»Im Grunde nur eins: War sie’s, oder war sie’s nicht?«
»Aber natürlich war sie’s!«
»Zu dem Urteil ist Ihr Herr Corvinus aber nicht gekommen.«
Lusius beschrieb seinen Chef kurz und prägnant: die übliche Einschätzung eines Prätors, wenn man sie aus dem Munde seines Sekretärs hört. »Der ehrenwerte Corvinus«, so Lusius vertraulich, »würde nicht mal ein Furunkel am eigenen Hintern erkennen.« Ich hatte auf einmal eine Menge Zeit für Lusius; er schien ein Mann von Welt – der gleichen zwielichtigen Welt, in der auch ich mich bewegte.
»Ich sag’s ja, Routine! Was ist, wollen Sie mir den Fall erzählen?«
»Warum nicht?« Er streckte die Beine aus und verschränkte die Arme, als wolle er sagen: Wenn einer schon so schwer schuftet wie ich, dann darf er sich auch mal eine kleine Anarcho-Pause gönnen. »Ja, warum eigentlich nicht? Also, Severina Zotica …«
»Zunächst mal: Was ist sie für ein Typ?«
»Nichts Besonderes. Aber sind es nicht immer die Unscheinbaren, die das meiste Unheil stiften?« Ich nickte. »Ach ja, sie ist ’n Rotschopf«, setzte Lusius hinzu.
»Das hätte ich mir denken können.«
»Wurde als junges Ding vom großen Sklavenmarkt in Delos importiert, war aber schon vorher ganz schön rumgekommen. Gebürtig aus Thracia – daher der Feuerkopf –, dann von ihren wechselnden Herrn hin und her gereicht: Zypern, Ägypten, und, ich glaube, vor Delos war sie noch in Mauretanien.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Ich mußte sie mal verhören. Wirklich ein Erlebnis!« meinte er versonnen, doch ohne sich näher zu erklären, was mich stutzig machte. Ja, er schien plötzlich auf der Hut – wie einer, der ein Auge auf ein Mädchen geworfen hat, sich das aber nicht anmerken lassen will. »Kaum in Italia gelandet, wurde sie von einem Perlenhändler gekauft. Seinen Laden in der Subura gibt es übrigens noch. Dieser Severus Moscus war offenbar eine anständige Haut, denn er hat das Mädchen eines Tages zur Frau genommen.«
»Ehe Nummer eins. Von kurzer Dauer?«
»Nein, sie waren ein oder zwei Jahre verheiratet.«
»Und haben sie sich vertragen?«
»Soviel ich weiß, ja.«
»Was ist ihm denn zugestoßen?«
»Er starb an einem Hitzschlag, als er sich einen Gladiatorenkampf ansah. Ich glaube, er saß auf einem Platz ohne Baldachin, und sein Herz machte einfach schlapp.« Lusius war augenscheinlich ein fairer Mann (oder versuchte, fair zu sein, wenn es galt, eine Rothaarige zu beurteilen).
»Vielleicht war er zu dumm oder zu störrisch, um sich in den Schatten zu setzen.« Auch ich konnte fair sein. »Hat Severina ihm die Eintrittskarte gekauft?«
»Nein, einer seiner Sklaven.«
»Und hat Severina den Verlust tränenreich beklagt?«
»Nein …« Lusius zögerte nachdenklich. »Aber das fiel nicht weiter auf. Sie ist kein theatralischer Typ.«
»Gut erzogen, wie? Und Moscus hatte sie so gern, daß er ihr alles hinterließ?«
»Ein alter Mann muß eine Rothaarige – die sechzehn war, als er sie zur Frau nahm – einfach gern haben.«
»Na schön: So weit scheint alles mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Aber nach der plötzlichen Erbschaft ist sie dann auf die Idee gekommen, was aus ihrem Leben zu machen?«
»Möglich wär’s. Ich konnte nie feststellen, ob sie ihren Herrn aus Verzweiflung geheiratet hat oder aus ehrlicher Dankbarkeit. Vielleicht hatte sie ihn gern – oder sie war einfach diplomatisch. Vielleicht hat der Perlenhändler sie drangsaliert – oder sie hat ihn bezirzt. Allerdings«, Lusius wog seine Argumente ab wie ein echter Sekretär, »als Severina erfuhr, in welch angenehmen Verhältnissen Severus Moscus sie zurückgelassen hatte, machte sie sich unverzüglich daran, noch größere Annehmlichkeiten zu erringen.«
»Wie vermögend war dieser Moscus denn?«
»Er importierte Achate, die er zurechtschliff und zu Ketten fädelte. Hübsche Pretiosen. Na ja, hübsch genug, daß Senatorensöhne sie für ihre Huren kauften.«
»Ein florierendes Geschäft!«
»Besonders, seit er das Sortiment erweiterte und Kameen dazunahm. Sie wissen schon – die Köpfe der kaiserlichen Familie unter irgendeinem patriotischen Motto. Friede, Glück und dazu ein überfließendes Füllhorn …«
»Alles, was einem daheim abgeht!« Ich grinste. »Kaiserliche Porträts sind bei den Kriechern am Hof immer beliebt. Moscus’ Arbeiten waren also gefragt, seine einstige Sklavin hat mithin ein blühendes Unternehmen geerbt. Und weiter? Wer war der nächste?«
»Ein Apotheker. Ein gewisser Eprius.«
»Woran ist er gestorben?«
»Eine seiner eigenen Hustenpastillen ist ihm im Hals steckengeblieben.«
»Und wie lange hat er sich gehalten?«
»Nun, er brauchte fast ein Jahr, um sie vor den Priester zu kriegen. Sie spielte ihm gekonnt die Wankelmütige vor. Dann überlebte er noch weitere zehn Monate. Vielleicht mußte sie erst ihre Nerven beruhigen.«
»Vielleicht bekam der Apotheker die Gnadenfrist aber auch nur, weil Severina erst etwas über Arzneien lernen wollte … War sie dabei, als er erstickte? Hat sie Wiederbelebungsversuche unternommen?«
»Verzweifelte!« Wir lachten beide, überzeugt, daß wir den Fall durchschaut hätten. »Für ihre Hingabe wurde sie mit drei Pillenläden und einem Familiengütchen belohnt.«
»Und wer kam dann?«
»Grittius Fronto. Er importierte wilde Tiere für Neros Arenaspiele. Diesmal war sie dreister. Sie muß Fronto schon umgarnt haben, als Eprius’ Nachlaßverwalter noch das Band um die Testamentsrolle aufnestelten. Der Circus-Impresario hielt sich bloß vier Wochen …«
»Hat ihn etwa ein Löwe gefressen?«
»Ein Panther«, korrigierte Lusius trocken. Der Mann war genauso ein Zyniker wie ich; er gefiel mir immer besser. »Spazierte hinter der Bühne von Neros Circus aus ’nem offenen Käfig und drängte den armen Grittius mit dem Rücken gegen eine Hebevorrichtung. Wie es heißt, ist schrecklich viel Blut geflossen. Das Biest zerfleischte gleich noch einen Seiltänzer, was eigentlich nicht nötig gewesen wäre, den ›Unfall‹ aber glaubwürdiger erscheinen ließ. Grittius hat sehr gut verdient – zu seinem Unternehmen gehörte noch ein Nebengeschäft mit ausgefallenen Varietévorstellungen für zweitklassige Abendgesellschaften. Sie wissen schon – wo nackte Weiber kuriose Dinge mit Riesenschlangen veranstalten … Das Geschäft mit Orgien ist heute mindestens so lukrativ wie eine spanische Goldmine. Ich schätze mal, daß Severina nach Frontos Bestattung um eine halbe Million Golddenare reicher war. Oh, und dann erbte sie noch einen sprechenden Papagei, bei dessen Flüchen sogar ein Galeerenaufseher rot werden würde.«
»Hat man denn bei keinem der Toten eine Leichenschau angeordnet?«
»An den Herzkasper von dem alten Perlenverkäufer glaubte jeder, und das Werk des Panthers hätte kein Arzt beurteilen können – dafür hatte die Bestie nicht genug übriggelassen!« Lusius erschauerte – welch zarte Seele. »Den Apotheker hat sich allerdings irgendein Quacksalber angesehen.« Ich hob fragend die Brauen, und ohne nachschlagen zu müssen, gab er mir Name und Anschrift. »Der Doktor hatte jedoch nichts zu beanstanden.«
»Wie ist die Justiz denn auf Severina aufmerksam geworden?«
»Grittius hatte einen Großneffen in Ägypten, der für den Transport der wilden Tiere sorgte. Dieser Spediteur hatte fest damit gerechnet, einmal den Zaster vom Löwengeschäft zu erben. Er segelte in aller Eile heim und versuchte, das Testament anzufechten. Wir stellten die üblichen Nachforschungen an, aber es reichte nicht für einen Prozeß. Corvinus hat den Fall gleich nach der Voruntersuchung niedergeschlagen.«
»Mit welcher Begründung, Lusius?«
Seine Augen blitzten zornig. »Mangel an Beweisen.«
»Gab es denn überhaupt welche?«
»Nicht die Spur.«
»Warum haben Sie dann trotzdem Einwände?«
Lusius brach in hämisches Gelächter aus. »Seit wann ist ein Fall erledigt, bloß weil es an Beweisen fehlt?« Ich erriet, was geschehen war. Bestimmt hatten die Ädilen (jene jungen Beamten, denen eigentlich die Beweisaufnahme obliegt, die jedoch lieber an der eigenen politischen Karriere basteln) Lusius ihre Arbeit tun lassen. Der Fall hatte ihn gepackt, und als dann die Dummheit des Prätors all seine Anstrengungen zunichte machte, hatte er das persönlich genommen. »Sie war einfach bewundernswert clever. Ist nie zu weit gegangen. Die Kerle, die sie sich aussuchte, hatten eine Menge Geld, waren aber gesellschaftlich völlig unbedeutend, so kleine Lichter, daß sich niemand ernsthaft drum kümmerte, als sie ein böses Ende nahmen. Abgesehen von diesem Neffen, der auf das Erbe scharf war. Vielleicht hatte Grittius vergessen, ihn zu erwähnen; vielleicht vergaß er’s sogar mit Absicht. Doch bis auf diesen einen Lapsus muß sie äußerst vorsichtig gewesen sein, Falco, denn es gab tatsächlich keine Spuren.«
»Nur Vermutungen!« feixte ich.
»Oder wie Corvinus es so scharfsinnig formulierte: Die Witwe ist das tragische Opfer einer wahrhaft erstaunlichen Kette von Zufallen …«
Welch ein Meister der Jurisprudenz.
Ein gewaltiger Rülpser aus einem der Innenräume kündigte das baldige Erscheinen des Prätors an. Eine Tür wurde aufgestoßen, und ein dunkelhäutiger Sklavenknabe, allem Anschein nach der Leckerbissen, den Corvinus sich zum Nachtisch gegönnt hatte, kam herausgeschlendert. Der Weinkrug unter seinem Arm kaschierte den wahren Grund für seinen Besuch. Lusius zwinkerte mir zu, während er mit der Gemütsruhe eines Sekretärs, der längst weiß, wie man Geschäftigkeit vortäuscht, seine Schriftrollen einsammelte.
Ich hatte keine Lust, zuzuschauen, wie der Prätor sich damit vergnügte, arme Bittsteller abzuweisen. Also nickte ich Lusius höflich zu und verkrümelte mich.
IX
Ich fand, es sei jetzt spät genug, um für heute Feierabend zu machen und mich meinem Privatleben zu widmen.
Helena, die meine lockere Einstellung zu Beruf und Brotverdienst mißbilligte, schien überrascht, daß ich schon so früh kam, aber dann stimmte das Gebäck vom Pincio sie doch nachsichtiger. Vielleicht freute sie sich außerdem auch über meinen Besuch – aber wenn, dann konnte sie das gut verbergen.
Wir saßen im Garten ihres Elternhauses, aßen die Knuspertauben, und dabei erzählte ich ihr von meinem neuen Fall. Ihr fiel gleich auf, daß ich es diesmal fast nur mit holder Weiblichkeit zu tun hatte.
Da sie es ja doch immer merkt, wenn ich etwas auslasse, schilderte ich ihr meinen Arbeitstag getreulich Punkt für Punkt, einschließlich der betörenden Schönheiten vom Pincio. Als ich gerade den Vergleich zwischen Hortensia Atilia und einer geheimnisvollen orientalischen Frucht anstellte, fuhr Helena grimmig dazwischen: »Eine bithynische Pflaume vielleicht!«
»Nein, nicht so schrumpelig!«
»War sie die Wortführerin?«
»Nein, das war Pollia, das erste verlockende Häppchen.«
»Wie hältst du nur all diese Dämchen auseinander?«
»Kleinigkeit – für einen Connaisseur!« Sie wurde wütend und ich schwach. »Du weißt doch, daß du mir vertrauen kannst!« beteuerte ich, aber begleitet von einem falschen Lächeln. Ich lasse meine Freundinnen gern im ungewissen, ganz besonders dann, wenn ich nichts zu verbergen habe.
»Vertrauen kann ich darauf, daß du allem nachrennst, was in einem Paar alberner Sandalen und mit billigen Perlen behängt durch die Stadt stolziert!«
Ich tippte mit einem Finger an ihre Wange. »Iß deinen klebrigen Kuchen, Schäfchen.«
Helena mißtraut Kosenamen; sie guckte mich an, als hätte irgendein Tagedieb vom Forum versucht, ihr auf den Stufen vor dem Tempel des Castor den Rock zu lüpfen. Unversehens brachte ich ein Thema zur Sprache, das ich eigentlich hatte ruhen lassen wollen. »Hast du noch mal über meinen Vorschlag nachgedacht?«
»Das habe ich, ja.«
»Und? Glaubst du, daß du eines Tages kommst?«
»Schon möglich.«
»Das klingt aber sehr nach Abfuhr.«
»Wenn ich was sage, dann meine ich’s auch so!«
»Aha, du zweifelst also daran, ob mein Vorschlag ernst gemeint war?«
Plötzlich lächelte sie mich ganz liebevoll an. »Nein, Marcus!« Ich spürte, wie sich mein Gesicht zu einem dümmlich-beglückten Grinsen verzog. Wenn Helena Justina so lächelt, dann bin ich jedesmal in Gefahr, mich zum Gespött zu machen.
Zum Glück kam gerade in diesem Moment ihr Vater aus dem Haus. Der schüchterne Mensch mit dem ungebärdigen, dichten Haarschopf mochte auf den ersten Blick wie ein argloser Einfaltspinsel wirken – aber ich wußte aus Erfahrung, daß er alles andere war als das; unwillkürlich setzte ich mich aufrechter hin. Camillus warf erleichtert seine Toga ab, und ein Sklave trug sie fort. Wir schrieben die Nonen des Monats, und mithin war heute Senatssitzung gewesen. Helenas Vater streifte die Tagesordnung, schilderte den üblichen Zank um Kleinigkeiten, kurz, er machte höflich Konversation, schielte dabei aber immerfort nach unserem offenen Kuchenkorb. Ich schnitt den Mostkuchen an, den ich meiner Schwester hatte schenken wollen, und wir reichten ihn herum. Ich hatte nichts dagegen, an einem der nächsten Tage noch einmal zu Minnius’ Stand zu gehen und für Maia etwas anderes zu besorgen.
Als das Körbchen leer war, überlegte Helena hin und her, was sie damit anfangen könne; sie entschied sich dafür, es mit Veilchen aus der Campania zu füllen und meiner Mutter zum Geschenk zu machen.
»Das dürfte ihr gefallen«, sagte ich. »Alles, was im Haus rumsteht, zu nichts nütze ist und Staub ansetzt, erinnert sie an meinen Vater …«
»Und bestimmt nicht nur an den!«
»Ich mag Mädchen, die offen sagen, was sie denken«, erklärte ich, an den Senator gewandt. »War Ihre Tochter immer schon so giftig?«
»Wir haben sie«, sagte er zwischen zwei Bissen, »zu einer sanften, häuslichen Perle erzogen. Sie sehen’s ja.« Er war ein sympathischer Mann, der mit Ironie umzugehen verstand. Er hatte zwei Söhne (beide im diplomatischen Dienst), doch wenn Helena weniger dickköpfig gewesen wäre, hätte er sie wahrscheinlich zu seinem Liebling erkoren. So aber hielt er ein wachsames Auge auf sie. Trotzdem schrieb ich es der zärtlichen Verbundenheit zwischen Vater und Tochter zu, daß Camillus Verus es nicht fertigbrachte, mir die Tür zu weisen; wenn jemand so sehr an seiner Tochter hing wie ich, dann mußte der geplagte Vater diesen Klotz am Bein eben ertragen. »Woran arbeiten Sie denn zur Zeit, Falco?«
Ich schilderte ihm meinen Fall und gleich auch die Freigelassenen der Hortensius-Sippe. »Es ist die übliche Geschichte von den Reichen und Selbstherrlichen, die den kecken, fremden Eindringling hurtig in die Schranken weisen. Das Pikante an dem Fall ist nur, daß meine Klienten selbst Neureiche sind. Ich übernehme den Auftrag, Senator, aber den Snobismus dieser Leute finde ich, ehrlich gesagt, unerträglich.«
»Das ist nun mal Rom, Marcus!« Camillus lächelte. »Bedenken Sie doch, daß schon Sklaven aus angesehenen Häusern sich für was Besseres halten als die freigeborenen Armen.«
»Zu denen auch du gehörst, Falco!« feixte Helena. Ich wußte, daß sie mir damit zu verstehen gab, Sabina Pollia und Hortensia Atilia wären sicher zu wählerisch, um sich mit einem wie mir einzulassen. Mit halb geschlossenen Lidern erwiderte ich ungerührt ihren spöttischen Blick, in der Absicht, sie zu verunsichern. Wie gewöhnlich hatte ich kein Glück damit.
»Eines ist aber doch interessant«, sagte ich zum Senator. »Diese Leute würden nämlich jederzeit zugeben, daß sie sich praktisch aus dem Nichts hochgearbeitet haben. Ihr früherer Besitzer war Marmorschleifer; ein Beruf, der einiges an Geschick und Ausdauer verlangt. Der Stücklohn wirft kaum genug ab, um einen Spatzen zu ernähren. Seine Freigelassenen dagegen treiben einen Aufwand, daß man glauben könnte, ihr Vermögen sei größer als der Nachlaß eines Konsuls. Doch auch das ist eben Rom!«
»Aber wie ist diesen Leuten bei ihrer Herkunft nur ein solcher Aufstieg gelungen?«
»Das ist bis jetzt noch ihr Geheimnis …«
Während des Gesprächs hatte ich ganz nebenbei den Honig von den Weinblättern im Kuchenkörbchen abgeleckt. Plötzlich kam mir der Gedanke, daß eine Senatorentochter sich vielleicht nicht so gern mit einem Flegel vom Aventin zusammentun würde, dessen leichtfertige Zunge in aller Öffentlichkeit Verpackungen abgraste. Oder daß sie so einen zumindest nicht im Garten des väterlichen Stadtpalais sehen wolle, umgeben von teuren Bronzenymphen und anmutigen Zwiebelgewächsen aus Kaukasien, schon gar nicht, wenn ihr vornehmer Papa dabeisaß …
Meine Bedenken waren unnötig. Helena vergewisserte sich gerade, daß auch ja keine Korinthe vom Mostkuchen im Körbchen zurückgeblieben war, ja sie kriegte es sogar fertig, die Ecken einwärts zu stülpen, damit ihr selbst die Krümelchen nicht entgingen, die sich ins Rohrgeflecht geflüchtet hatten.
Der Senator fing meinen Blick auf. Wir wußten, daß Helena sich noch immer um das Kind grämte, das sie verloren hatte, aber sie schien sich allmählich wieder zu erholen.
Helena schaute unvermutet hoch. Ihr Vater schlug die Augen nieder. Aber ich wollte mich nicht in Verlegenheit bringen lassen, sondern sah sie weiter nachdenklich an, und Helena blickte genauso zurück, in friedlichem Einverständnis über wer weiß was.
Camillus Verus beäugte mich stirnrunzelnd und, wie mir schien, ziemlich neugierig.
X
Auch wenn für mich schon Feierabend war, steckten andere Leute noch tief in der Arbeit. Also flitzte ich den Vicus Longus runter, um nachzusehen, ob der Makler, den Hyacinthus mir empfohlen hatte, noch offen hatte. Er hatte.
Cossus war ein blasses, langnasiges Individuum, das sich gern mit gespreizten Knien auf seinem Hocker zurücklehnte; zum Glück war seine grünbraun gestreifte Tunika so faltenreich, daß er das tun konnte, ohne Anstoß zu erregen. Augenscheinlich verbrachte er einen Großteil des Tages damit, sich lautstark mit seinen besten Freunden zu amüsieren, von denen gerade zwei bei ihm waren, als ich kam. Da ich etwas von ihm wollte, blieb ich bescheiden an der Tür stehen und wartete, während diese beiden Großsprecher gewisse Perverslinge durchhechelten, die für die nächste Wahl kandidierten, einen heißen Tip beim Pferderennen erörterten und sich darüber den Kopf zerbrachen, ob eine Bekannte von ihnen (auch sie ein heißer Tip) nun schwanger sei oder bloß markiere. Als mein Haar um eine halbe Fingerbreite nachgewachsen war, hüstelte ich. Die Clique löste sich auf, allerdings ohne sich bei mir für die Bummelei zu entschuldigen.
Allein mit dem Makler, nutzte ich den erstbesten Vorwand, um Hyacinthus’ Namen zu erwähnen, und zwar so, als würden wir uns schon kennen, seit er sich an einem alten Sandalenriemen den ersten Zahn ausgebrochen hatte. Dann erst erklärte ich mein dringendes Interesse an Immobilienangeboten. Cossus sog pfeifend den Atem ein. »Wir haben August, Falco – da bewegt sich auf dem Markt nicht viel. Ganz Rom ist ausgeflogen …«
»Dafür gibt’s jede Menge Todesfälle, Scheidungen und Räumungsklagen!« Da mein Vater Auktionator war, wußte ich, daß sich auf dem Wohnungsmarkt zu jeder Jahreszeit was rührt. Ja, wenn ich als Käufer gekommen wäre, hätte mein Papa mir selbst ein baufälliges Quartier zuschanzen können; aber an Mietobjekten wollte auch er sich nicht die Finger verbrennen. »Wenn Sie mir allerdings nicht helfen können, Cossus …«
Die beste Methode, einen Makler auf Trab zu bringen, ist die Drohung, zur Konkurrenz zu gehen. »An welches Viertel hatten Sie denn gedacht?« wollte er wissen.
Alles, was ich brauchte, war massenhaft Platz zu niedriger Miete irgendwo im Zentrum. Cossus’ erstes Angebot war eine Besenkammer jenseits der Stadtgrenze, gleich an der Via Flaminia, eine Wegstunde vom Zentrum entfernt.
»Vergessen Sie’s! Ich brauche was in Forumnähe.«
»Wie wär’s mit einer respektablen Eigentumsanlage, keine Haken, geringe Nebenkosten, sehr reizvoll gelegen, mit Blick auf den Janiculum?«
»Falsche Seite vom Fluß.«
»Aber es ist Terrassenbenutzung dabei.«
»Cossus, verstehen Sie kein Latein? Selbst wenn Julius Caesars Gärten inklusive wären – das ist nicht meine Gegend! Sie haben keinen trotteligen Zündholzvertreter vor sich, Mann. Also, was können Sie sonst noch bieten?«
»Hofseite, Pinienschatten, gegenüber der Prätorianerkaserne …«
»Quatsch! Suchen Sie sich dafür einen Mieter, der taub ist!«
»Erdgeschoß am Pons Probus?«
»Das geben Sie jemanden, der gern in der Frühjahrsflut schwimmt …«
Wir ackerten all die miesen Bruchbuden durch, die er bestimmt schon seit einer Ewigkeit loszuschlagen versuchte, doch endlich sah Cossus ein, daß er die für einen Naivling aus der Provinz aufheben mußte. »Aber hier habe ich genau das Richtige für Sie – ein befristeter Mietvertrag in der Piscina Publica. Dafür habe ich zwar schon einen Klienten, aber weil Sie’s sind, Falco …«
»Sparen Sie sich das Theater. Erzählen Sie mir lieber, was das Loch zu bieten hat.«
»Vier hübsche, gutgeschnittene Räume im zweiten Stock …«
»Zum Hof raus?«
»Straßenseite – aber es ist eine ruhige Straße. Die Nachbarschaft ist erstklassig, gehöriger Abstand zu den Lagerhäusern vom Aventin und frequentiert von einem distinguierten Publikum.« Welcher Komiker schreibt diesen Maklern eigentlich die Texte? Was Cossus meinte, war, daß die Bude zu weit von den Märkten entfernt lag und daß in der Gegend lauter versnobte Wasserbauingenieure wohnten. »Ich könnte Ihnen die Wohnung für sechs Monate anbieten. Der Vermieter ist sich noch nicht sicher, was er in Zukunft mit dem Gebäude anfangen will.« Das war mir recht, denn auch ich war mir noch nicht sicher, wie lange ich flüssig bleiben und die Miete zahlen konnte.
»Wieviel?«
»Fünftausend.«
»Pro Jahr?«
»Pro Halbjahr!« Cossus warf mir einen eisigen Blick zu. »Die Piscina Publica ist eine Gegend für betuchte Leute, Falco.«
»Wohl eher für Schwachköpfe.«
»Es liegt ganz bei Ihnen, aber das ist nun mal der ortsübliche Preis.« Mein Blick gab ihm zu verstehen, daß er sich sein Angebot an den Hut stecken solle. »Na schön, für einen Freund könnte ich vielleicht auf dreitausend runtergehen.« Die Hälfte vom Preis kassierte er, wenn ich ihn richtig einschätzte, als Maklergebühr – wodurch er mir nicht sympathischer wurde. »Wegen der kurzen Mietzeit«, setzte er noch hinzu – eine wenig überzeugende Erklärung.
Ich saß stumm da und blickte finster, in der Hoffnung, ihn so kleinzukriegen: nichts zu machen! Die Regio XII ist ein ganz passabler Bezirk. Sie liegt östlich vom Aventin, jenseits der Via Ostiensis – also praktisch bei mir um die Ecke. Die Fischteiche, denen sie ihren Namen verdankt, sind schon vor Jahren ausgetrocknet, folglich dürften die Moskitos auch abgewandert sein. Ich machte mit Cossus aus, daß ich morgen mit ihm hingehen und mir die Wohnung ansehen würde.
Als ich an diesem Abend heim zur Brunnenpromenade kam, war ich entschlossen, das Apartment in der Piscina Publica unter allen Umständen zu nehmen. Ich war es leid, daß mir vor lauter Treppensteigen dauernd irgendwo ein Blutgefäß platzte. Ich hatte die Nase voll von dem Dreck und dem Krach und davon, daß fremde Leute mich mit ihren miesen Querelen behelligten. Und darum sagte ich mir, als ich an diesem Abend in das unüberschaubare Gewirr der aventinischen Gassen zurückkehrte, die miteinander vernetzt sind wie die unterirdischen Wurzeln irgendeines ekligen Fadenpilzes, Falco, sagte ich mir, vier Zimmer mit anständigem Grundriß, egal wo, müssen einfach besser sein als das hier.
Gedankenversunken bog ich um die Ecke zu Lenias Wäscherei. Morgen würde ich den Mietvertrag unterschreiben, und fortan hätte ich keinen Grund mehr, mich zu schämen, wann immer ich einem Fremden meine Adresse geben mußte …
Ein Paar Füße bremsten meine glücklichen Träume aus.
Die Füße, die übrigens riesengroß waren, traten im Säulengang vor dem Korbflechterladen, etwa zehn Schritte von mir entfernt, auf der Stelle. Abgesehen von ihrem Elefantenmaß fielen sie mir auch deshalb auf, weil ich mich immer am gleichen Fleck postierte, wenn ich Grund hatte, diskret das Terrain zu sondieren, bevor ich mich in meine Wohnung wagte.
Kein Zweifel, mit diesen Füßen vertrat sich jemand nicht nur die Beine. Der Mensch, dem sie gehörten, nahm keine Notiz von den Waren des Korbflechters, obschon er sich vor einem turmhohen Stapel Allzweckkiepen lümmelte, die in jedem Haushalt Verwendung gefunden hätten, ganz zu schweigen von dem famosen Picknickkorb vor seiner Nase, den ein echter Schnäppchenjäger sich im Nu geangelt hätte … Ich versteckte mich hinter einem Pilaster, um den Kerl genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein Einbrecher war das nicht: Einbrecher gehen dahin, wo es was zu stehlen gibt. Selbst die Stümper unter ihnen meiden also die Brunnenpromenade.
Ein Klient oder Gläubiger wäre reingegangen und hätte sich bei Lenia erkundigt. Diese Quadratlatschen konnte nur einer hergeschickt haben: Anacrites, der Oberspion.
Ich schlich vorsichtig im Krebsgang bis zur Ecke zurück und flitzte durch ein Seitengäßchen in den Hof. Hier, hinter der Wäscherei, sah es aus wie immer. An diesem schwülen Sommerabend stieg einem der Gestank aus der offenen Senkgrube besonders penetrant in die Nase. Zwei halbverhungerte schwarze Hunde lagen dösend im Schatten. Hinter einem geborstenen Fensterladen über meinem Kopf tobte der tägliche Ehekrieg einer Nachbarsfamilie. Neben dem Verschlag einer kränklichen Kapaunenschar stritten sich zwei Frauen beim Hühnerrupfen; oder vielleicht tratschten sie auch bloß. Und ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte, saß auf einem Faß und hielt Maulaffen feil.
Das konnte nur ein zweiter Spion sein. Er saß ungeschützt in der prallen Sonne, und diesen schweißtreibenden Platz hätte er sich bestimmt nicht ausgesucht, wenn er seinen Hintern nur auf ein Faß gehievt hätte, um die Beine zu entlasten. Aber für jemanden, der das Kommen und Gehen auf Lenias Trockenhof überwachen wollte, war es der geeignete Ausguck. Falls dieser Mensch nicht zufällig einem der Mädchen aus der Wäscherei nachstieg, führte er gewiß etwas im Schilde.
Ich beschloß, sicherheitshalber den Rückzug anzutreten.
Eine große Familie kann mitunter ganz nützlich sein. Ich habe eine Menge Verwandte, die sich allesamt einbilden, ich sei ihr jeweiliges Eigentum. Und die Chance, einmal kräftig über meinen Lebenswandel herziehen zu können, war es den meisten sicher wert, mir ein Bett abzutreten. Meine Schwestern würden obendrein darüber lamentieren wollen, daß unsere alte Mutter mich aus dem Gefängnis hatte auslösen müssen, also ging ich lieber gleich zu Mama. Mir war klar, daß ich dafür ihrem derzeitigen Gönner schöntun mußte, aber für dies eine Mal traute ich mir so ein höfliches Theater zu. Und wirklich gelang es mir, so lange den Dankbaren zu markieren, wie ich brauchte, um eine Schüssel von Mutters Garnelenklößchen zu leeren. Aber als mir die Anstrengung, bescheiden und unterwürfig dreinzuschauen, zuviel wurde, ging ich schließlich doch nach Hause.
Der Aufpasser im Hinterhof war anscheinend der hellere von beiden, denn er hatte für eine Ablösung gesorgt. Nun thronte sein Ersatzmann auf dem Faß und bemühte sich, unverdächtig zu wirken – erfolglos, da er ein kahlköpfiger, hakennasiger Zwerg war, dem obendrein noch das linke Augenlid schlaff herunterhing.
Vorne auf der Gasse lungerten die ungeschlachten Füße immer noch vor dem Korbgeschäft – wo sie jetzt noch verdächtiger wirkten, da der Korbflechter seine Waren hereingeholt, das Schutzgitter heruntergelassen und zugesperrt hatte. Ich schlüpfte in den Barbierladen und gab einem seiner Sprößlinge ein paar Münzen dafür, daß er den Füßen bestellte, ein Zwerg wolle sie im Hinterhof sprechen. Während Quadratlatsche losschlappte, um einen Schwatz mit dem Knirps zu halten, faßte ich den Plan, mir sechs Stockwerke höher auf meinem Balkon einen Schlaftrunk zu genehmigen.
Und das tat ich denn auch. Es gibt Tage, an denen tatsächlich nicht alles schiefgeht.
XI
Am nächsten Morgen war ich schon früh auf den Beinen. Lange bevor Anacrites’ miese Wachhunde wieder vor meiner Mietskaserne Posten bezogen, war ich aus meinem Bau geschlüpft und hatte mich, zwei Bezirke entfernt, vor einem Speisehaus an einem Tisch im Freien niedergelassen. Dort genoß ich in aller Ruhe mein Frühstück (Brot und Datteln, dazu Honig und angewärmten Wein – keine schwere Kost für einen Mann auf Patrouille), während ich meinerseits das Haus der berufsmäßigen Braut überwachte.
Severina Zotica wohnte im Zweiten Bezirk, dem Caelimontium. Ihre Straße lag etwas abseits vom Porticus Claudium (der damals in Trümmern lag, aber in Vespasians öffentlichem Bauprogramm zur Instandsetzung vorgesehen war); die Sirene, die ich auskundschaften sollte, residierte in dem beschaulichen Dreieck zwischen den Aquädukten und den beiden Hauptstraßen, die an der Porta Asinaria zusammentreffen. Cossus hatte mir hier nichts angeboten; wohl weil er gleich erkannte, daß der Caelius zu exklusiv für mich gewesen wäre. Das fing schon damit an, daß die Straßen hier Namen hatten.
Cossus dachte bestimmt, das würde mich inkommodieren; der Schuft traute mir am Ende nicht zu, daß ich lesen kann.
Severina hatte sich in der Abakusstraße niedergelassen, einem gepflegten Durchgangssträßchen mit nur einer Wagenspur. An einem Ende plätscherte ein gut gewarteter öffentlicher Brunnen, am anderen war ein kleiner Markt aufgeschlagen, der in der Hauptsache Küchengeschirr und Gemüse feilbot. Dazwischen putzten und fegten die Ladeninhaber die Straßenfront ihrer Geschäfte höchstselbst; als ich ankam, waren sie gerade dabei, und ich fand, sie machten das sehr gewissenhaft und adrett.
Das Handwerk war gut vertreten: Messerschmiede, Schlosser, Tuchmacher; aber auch Käsehändler und Gurkenverkäufer fehlten nicht. Zwischen zwei Geschäften führte jeweils ein Treppenaufgang zu den Wohnungen im Obergeschoß sowie eine Passage zu den Räumen hinter dem Ladenlokal. Die Häuser waren im Schnitt dreistöckig, mit Ziegelfassaden, ohne Balkon. Dafür aber sah ich viele hübsche Blumenkästen zwischen Stützpfeilern eingehängt, indes anderswo schon das Bettzeug zum Lüften über den Fenstersimsen hing.
Anwohner kamen und gingen. Eine alte Dame, die sich noch kerzengerade hielt, unauffällige Geschäftsleute, ein Sklave, der ein Schoßhündchen ausführte, Kinder mit Schreibtafeln. Die Leute sprachen kaum miteinander, nickten sich aber freundlich zu. Die meisten schienen schon sehr lange dort zu leben. Man kannte seine Nachbarn, blieb aber für sich.
Vier Türen weiter, von meiner Terrasse aus gerechnet, befand sich ein Bordell. Es war zwar nicht als solches gekennzeichnet, aber wenn man, wie ich, längere Zeit hier saß, erkannte man es doch. Die Kunden huschten hinein (grau und abgespannt) und spazierten eine halbe Stunde später wieder heraus (nun mit sich und der Welt zufrieden).
Ich begnügte mich mit meinem Frühstück. Aber das muntere Treiben drüben erinnerte mich unwillkürlich an so manchen Morgen, an dem auch ich wohlig erquickt neben einer Schönen aufgewacht war und mich mit ihr, einem warmherzigen Kind, das ich den Abend zuvor in meine Mansarde gelockt hatte, ein Extrastündchen im Bett vergnügte … Bald schon sehnte ich mich nach einer ganz Bestimmten. Indes sagte ich mir, daß es für die Bewußte in einem Bordell keinen Ersatz gäbe.
Und eine, die mir die Miete zahlen würde, gab es dort erst recht nicht.
Es war noch ziemlich früh, als ein etwas abgenutzter Tragsessel aus dem Durchgang zwischen Käsehändler und Weißnäherei kam, hinter dem, meinen Erkundigungen zufolge, Severina Zoticas Wohnung lag. Die Vorhänge waren zugezogen, so daß man nicht sehen konnte, wer in der Sänfte saß. Die Träger waren ein paar kräftige Sklaven, die man wohl wegen ihrer breiten Schultern ausgesucht hatte und nicht, weil sie auf der Via Sacra ein gute Figur machen würden; sie hatten große Pranken, häßliche Kinnladen und sahen aus, als würden sie vom Wasserholen bis zum Schuheflicken jede Arbeit verrichten.
Ich hatte mein Frühstück schon bezahlt. Also stand ich auf und wischte mir die Krümel von der Toga. Die beiden marschierten an mir vorbei, Richtung Innenstadt. Ich folgte ihnen unauffällig.
Als wir den ersten Aquädukt erreichten, bogen sie nach links ab und nahmen, entlang einiger Seitenstraßen, den kürzesten Weg zur Via Appia, von wo aus sie der Ringstraße um den Circus Maximus bis zum Aventin folgten. Mir fuhr der Schreck in die Glieder: Die goldgierige Nymphe ließ sich scheinbar geradewegs zur Falco-Residenz befördern …
In Wirklichkeit hatte sie aber ein kulturträchtigeres Ziel. Die Sänfte hielt vor dem Atrium Libertatis. Heraus stieg eine Frau von mittlerem Wuchs, die so züchtig in eine rostbraune Stola gehüllt war, daß man nicht mehr von ihr erkennen konnte als eine zierliche Figur, stolze Haltung und einen anmutigen Gang. Sie betrat die Asinius-Pollio-Bibliothek, wo sie einige Schriftrollen zurückgab, ein paar höfliche Worte mit dem Bibliothekar wechselte und dann eine neue, von ihm schon vorbereitete Auswahl an Lesestoff entlieh. Was ich auch erwartet haben mochte, darauf, daß dieses Frauenzimmer nur ausgegangen war, um sich neue Schmöker aus der Leihbibliothek zu holen, war ich jedenfalls nicht gefaßt gewesen.
Auf dem Weg zum Ausgang kam sie ganz dicht an mir vorbei. Ich tat so, als blätterte ich in den Fächern für Philosophie, erhaschte aber einen Blick auf eine weiße Hand, die das neue Rollenpaket umklammert hielt und an deren Mittelfinger ein Ring mit einem roten Stein funkelte. Ihr erdbraunes Kleid war schlicht, aber dem schimmernden Faltenwurf nach zu urteilen aus teurem Stoff. Der Saum der Stola, die nach wie vor ihr Gesicht verbarg, war bestickt und mit Staubperlen verziert.
Wenn ich mich damit aufgehalten hätte, den Bibliothekar auszufragen, hätte ich die Sänfte aus den Augen verloren. Ich entschied mich, lieber die Dame weiter zu beschatten, und folgte ihr bis zum Emporium, wo sie einen Schinken aus der Provinz Baetica und ein paar syrische Birnen kaufte. Nächster Halt war das Theater des Marcellus; sie schickte einen ihrer Träger an die Kasse, um für die Abendvorstellung eine Karte auf der Damengalerie zu besorgen.
Danach ließ sich die Dame in Braun aufs Caelimontium zurückbringen. Unterwegs kaufte sie einen Kohlkopf (der mir schon ein bißchen welk vorkam), verschwand anschließend in einem Frauenbad, kam nach einer Stunde wieder herausgetrippelt und begab sich unverzüglich nach Hause. Ich aß wieder im selben Speisehaus (Brisoletten) und hockte auch den ganzen Nachmittag dort rum. Einer der Sklaven kam kurz heraus, um ein Messer schleifen zu lassen, aber Severina ließ sich nicht mehr blicken. Am frühen Abend wurde sie auf direktem Weg ins Theater gebracht. Ich schenkte mir die Vorstellung. Eine Gruppe Pantomimi führte eine Posse auf, in der ein paar Ehebrecher die von ihnen Gehörnten in praktischerweise immer schon offenstehende Wäschetruhen schubsten; ich kannte die Inszenierung bereits. Die Tänzer waren grauenhaft. Und davon abgesehen ist es immer heikel, eine Frauensperson im Theater zu beschatten. Wenn ein gutaussehender Typ wie ich zu oft zur Damengalerie hinaufschaut, fangen die Flittchen aus den ordinären Kreisen an, ihm schamlose Billetts zu schicken.
Ich ging zu Helena. Sie war zusammen mit ihrer Mutter ausgegangen, um eine Tante zu besuchen.
In einem Weinlokal in der Piscina Publica traf ich mich mit Cossus, spendierte ihm ein Glas (ein kleines) und ließ mir dann die Wohnung zeigen. Zu meinem Erstaunen war sie gar nicht übel; wohl am Ende einer ziemlich engen Gasse, aber in einem gutbürgerlichen Mietshaus, in dem die Treppen zwar staubig, aber frei von Unrat waren. In ein, zwei Nischen sah ich auf dem Weg nach oben metallene Lampen stehen, in denen das Öl freilich längst ausgetrocknet war.
»Sie könnten die Lampen auffüllen, wenn Sie’s im Treppenhaus gern hell haben«, sagte Cossus.
»Das könnte auch der Vermieter tun.«
»Stimmt!« Er grinste. »Ich sag’s ihm …«
Ich vermutete, daß das Haus wohl kürzlich den Besitzer gewechselt hatte: In einem Korridor entdeckte ich Baugerüste, die Läden im Erdgeschoß standen leer, und obwohl der Hauptmieter (der gleichzeitig mein Vermieter werden würde) die große Wohnung hinter den Geschäftsräumen für sich reserviert hatte, stand auch sie zur Zeit leer. Cossus erklärte, ich würde diesen Hauptmieter gar nicht zu Gesicht bekommen; alle Untermietverträge würden über ihn, Cossus, abgewickelt. Ich war so geschädigt von der jahrelangen Anstrengung, Smaractus aus dem Weg zu gehen, daß die Regelung in diesem Haus sich geradezu traumhaft schön anhörte.
Das freigewordene Apartment war so gut wie jedes andere in dem Block, handelte es sich doch um lauter identische, nach dem Baukastenprinzip übereinandergestapelte Wohneinheiten. Man kam jeweils durch den Korridor in eine Diele, von der zu beiden Seiten je zwei Zimmer abgingen. Die waren zwar für sich genommen nicht viel größer als meine alten an der Brunnenpromenade, aber mit vieren konnte ich mich doch kultivierter einrichten: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Lesezimmer und Büro, alles schön separat … Die Wohnung hatte solide Holzfußböden, und es roch angenehm nach frischem Putz. Falls das Dach leck sein sollte, würde der Regen die Obermieter durchweichen, bevor ich etwas abkriegte. Anzeichen von Schwamm und Schimmel entdeckte ich auch nicht. Die Nachbarn (so sie noch am Leben waren) schienen ruhige Leute.
Cossus und ich besiegelten das Geschäft per Handschlag.
»Für wie viele Wochen wollen Sie die Miete im voraus?«
»Natürlich für das ganze halbe Jahr!« rief er und sah mich schockiert an.
»Aber wenn die Laufzeit im Juli beginnt, dann habe ich zwei Monate verloren!«
»Also gut – dann zahlen Sie eben für die nächsten vier Monate.« Ich versprach, meine Wettmarken umgehend einzuwechseln und ihm so rasch wie möglich das Geld zu bringen. »Und vergessen Sie die Versicherung für eventuelle Schadenersatzklagen nicht«, setzte er noch hinzu.
»Klagen? Schadenersatz?« Er meinte, mir könne ein Blumentopf aus dem Fenster fallen und einem Passanten den Schädel einschlagen; dafür würde man, wenn ich bloß der Untermieter war, den Hauptmieter zur Verantwortung ziehen. Meinem derzeitigen Hauswirt Smaractus war es nie in den Sinn gekommen, sich durch eine solche Versicherung abzusichern – aber auf dem Aventin finden die meisten Leute ja auch einen Weg, ihre Klage an den Mann zu bringen, ohne vor Gericht zu gehen. (Wer dort von einem Blumentopf getroffen würde, käme die Treppe raufgestürmt, um mir was auf die Rübe zu geben.) »Ist so ein Aufgeld hier bei Ihnen üblich?«
»Bei einem neuen Mietvertrag ist die Sicherheitsprämie selbstverständlich, Falco.« Ich wollte den Mann von Welt spielen und gab darum gnädig nach.
Da Anacrites meine alte Wohnung beobachten ließ, würde es mir das Leben sehr erleichtern, wenn ich mir so rasch wie möglich eine neue, ihm unbekannte Adresse zulegte. Ganz abgesehen davon freute ich mich schon unbändig darauf, Smaractus zu empfehlen, er solle sich auf einem lahmen Maulesel nach Lusitania verpissen und sich den Mietvertrag für seine dreckige Absteige im sechsten Stock sonstwohin stecken. Vor dem Umzug würde ich mir allerdings noch ein paar Möbel besorgen müssen.
Daheim lagen die Spione immer noch auf der Lauer.
Ich faßte mir ein Herz und sprach den mit den großen Füßen einfach an. »Entschuldigen Sie, aber wohnt hier ein gewisser Didius Falco?« Er nickte, ohne zu überlegen. »Ist er zu Hause?« Der Spion, der jetzt den Unbeteiligten spielen wollte, machte ein ausdrucksloses Gesicht.
Ich mimte weiter den Fremdling und ging hinauf, um nachzusehen, ob Falco daheim sei. Und das war er, sobald ich oben angekommen war.
Jeder, der ein Gebäude überwacht, sollte sich merken, wer reingeht, und dann darauf achten, daß derjenige auch wieder herauskommt. Ich bastelte ein Stolperseil und verband es mit einer eisernen Bratpfanne, die mit ihrem Scheppern das ganze Viertel aufwecken würde, wenn jemand sie im Dunkeln die Treppe hinunterstieß, aber niemand machte sich die Mühe, mir nach oben zu folgen. Der Palatin leistet sich eben bloß das billigste Personal. Ich wußte das, ich hatte selbst mal da gearbeitet.
XII
Am zweiten Tag meiner Observation blieb Severina Zotica offenbar zu Hause, um ihre neuen Schriftrollen aus der Bücherei zu lesen. Lieferanten brachten einiges für den Haushalt – Amphoren mit Olivenöl und Pökelfisch –, später kam eine Frau mit einem Handkarren voller Wollstränge angepoltert. Die Wagenräder waren schlecht justiert, und so schlenderte ich hinüber und lupfte hilfreich die Bodenplatte, als die Frau sich vergeblich mühte, ihre Last über einen Bordstein zu stemmen.
»Da will aber jemand arg fleißig sein!« kommentierte ich vorwitzig.
»Sie kauft immer auf Vorrat.« Die Wollhändlerin bewegte ihren üppigen Hintern rückwärts auf den Eingang von Severinas Haus zu und zerrte keuchend ihre Last hinter sich her. »Sie verwebt die Wolle selbst«, rühmte sie ihre Kundin. Das glaube, wer mag!
Gesetzt den Fall, ich hätte gehofft, mit meinem Tagebuch die Literaturkritik zu beeindrucken, dann wäre dies ein schlechter Auftakt gewesen: Frühstück, zum Mittagessen Lucaniaer Wurst (und anschließend Blähungen); nachmittags ein Hundekampf (ohne einen interessanten Biß) …
Am frühen Abend endlich schwenkte die Sänfte aus der Passage, gefolgt von einer mageren Zofe mit Kosmetikköfferchen in der einen Hand und Ölflasche nebst Frottierbürste am anderen Handgelenk baumelnd. Severina verschwand im selben Badehaus wie am Vortag, diesmal mit Zofe im Schlepptau. Eine Stunde später stolzierte sie wieder heraus und die Treppe hinunter. Ihre Sandalen waren vergoldet, eine goldgeflochtene Borte zierte den Saum ihres Gewandes, und was unter der unvermeidlichen Stola hervorlugte, sah mir ganz nach einem Diadem aus. Die Zofe, die Severina so herausgeputzt hatte, machte sich mit den abgelegten Kleidern ihrer Herrin und dem Schminkköfferchen zu Fuß auf den Heimweg, während die Träger Severina nordwärts zum Pincio beförderten: Eine Anstandsvisite bei den Hortensii war angesagt.
Sie hielt an Minnius’ Konditorstand und kaufte eines seiner weinlaubgefütterten Körbchen. Ich folgte ihr bis zum Torhaus der Hortensii und ließ mir vom Pförtner bestätigen, daß Madame heute mit ihrem Liebhaber speise. Da es fruchtlos schien, den ganzen Abend draußen rumzulungern, während die da drinnen schlemmten, ging ich zurück zu Minnius.
»Kauft Severina oft bei Ihnen?«
»Jedesmal, wenn sie Novus besucht. Er ist ein unersättliches Leckermaul. Die Familie kriegt regelmäßig was ins Haus geliefert, aber Severina bringt Novus immer noch was Extrafeines zum Schnabulieren mit.«
Ich kaufte noch mal einen Mostkuchen für meine Schwester, aß ihn aber auf dem Weg zu Helena selbst.
»Marcus! Kommst du mit deinen Ermittlungen voran?«
»Alle Fakten weisen den Vamp als braves Hausmütterchen aus, ein harmloses Mädchen, das sich emsig fortbildet und eines fernen Tages einen klassischen Grabstein ersehnt. Abgesehen von Sie blieb ihrem Gatten auch über den Tod hinaus treu, einem Spruch, den sie sich wohl abgeschminkt hat, bleibt da noch Keusch, tugendhaft und achtbar … Sie spann und webte Wolle …«
»Vielleicht ist sie wirklich eine achtbare Person!«
»Und vielleicht wird’s in Tripolitania einen Schneesturm geben! Nein, es ist Zeit, daß ich sie mir mal aus der Nähe ansehe …«
»In ihrem Damenbad, wo Männer keinen Zutritt haben?« Helena tat schockiert.
»Mein Schatz, ich würde mich ja für viele Maskeraden hergeben, aber in den Thermen könnte ich, wenn erst mal die Hüllen fallen, wohl kaum als Frau durchgehen …« Ob es mir vielleicht gelingen würde, mich als Sklave der Putzkolonne einzuschleichen?
»Hör auf, so lüstern zu grinsen, Didius Falco! Und vergiß nicht, daß du nur auf Kaution aus den Lautumiae raus bist …« Nach kurzer Pause setzte sie beiläufig hinzu: »Ich hab dich gestern vermißt.« Sie sagte es mit leiser Stimme, in der für einen, der sowas heraushören wollte, unverkennbar ein Hauch von Sehnsucht mitschwang.
»Nicht meine Schuld. Du warst nicht zu Hause, als ich kam.«
Sie starrte auf ihre Schuhspitzen (die waren zwar von gedeckter Farbe, hatten aber fesche purpurne Schnürsenkel). Nun ließ ich meinerseits beiläufig verlauten, daß ich eine neue Wohnung hatte. Aber natürlich war ich gespannt, wie sie darauf reagieren würde. Sie blickte auf. »Darf ich kommen und sie mir ansehen?«
»Sobald ich mir ’n paar Möbel angeschafft habe.« Kein Junggeselle, der auf sich hält, lädt ein hübsches Mädchen zu sich nach Hause ein, ehe er ihr nicht wenigstens einen Spiegel anbieten kann und was man sonst noch so braucht. Ein Bett zum Beispiel. »Aber mach dir keine Sorgen – sobald mein Umzug sich in der Familie rumgesprochen hat, werden bestimmt alle versuchen, mir aufzudrängen, was sie schon lange loswerden wollen – insbesondere all den unbrauchbaren Plunder, den mein Schwager zusammengezimmert hat …«
»Mein Vater hat einen abgewetzten Lesediwan, den er dir schon längst anbieten wollte. Aber vielleicht magst du ihn nicht mehr, jetzt, wo du Karriere machst.«
»Ich nehme ihn!« versicherte ich mit Nachdruck. Sie senkte verschämt die Lider. Helena Justina hat meine Motive immer schon leicht durchschaut. Lesen ist schließlich nicht das einzige, was man auf einem Diwan tun kann.
Ich verabschiedete mich frühzeitig. Uns war der Gesprächsstoff ausgegangen.
Irgendwie war es so dumm gelaufen, daß ich meinem Schatz kaum einen Kuß gegeben hatte. Und als ich ging, wirkte sie so unnahbar, daß ich mich zurückhielt und nur mit einem Nicken verabschiedete.
Ich war noch nicht bis ans Ende der Straße gekommen, da packte mich schon das heulende Elend. Warum war ich nicht zärtlicher zu ihr gewesen? Beinahe wäre ich wieder umgekehrt. Aber ich konnte mich doch vor einer Senatorentochter nicht wie ein Waschlappen aufführen.
XIII
Den Rest des Abends verwandte ich darauf, meine Wettmarken zu Geld zu machen. Dann ging ich zu Cossus, machte den Handel perfekt und nahm den Schlüssel in Empfang. Ich trank ein paar Gläser mit dem Makler – aus Höflichkeit und Geschäftsinteresse –, und später noch ein paar mit meinem besten Freund Petronius Longus (ehrlich gesagt, ein paar mehr, als wir uns vorgenommen hatten, aber da es ja wirklich was zu feiern gab, schlugen wir ein bißchen über die Stränge). Ich war am Ende viel zu beschwipst, um die Spione am Brunnenhof auszutricksen. Also wankte ich zu meiner neuen Wohnung, stürmte mit Gepolter hinein, streckte mich auf dem Fußboden aus und sang mich selbst in den Schlaf.
Jemand trommelte an die Tür, und eine Stimme fragte, ob alles in Ordnung sei. Gut zu wissen, daß meine neuen Nachbarn so besorgte Zeitgenossen waren.
Am nächsten Morgen war ich schon sehr früh wach. Sogar tipptopp verlegte Dielenbretter haben in der Regel diese Wirkung, wenn man sie als Matratze benutzt.
Trotz des Kopfwehs war ich mit dem Leben zufrieden. Also zog ich gutgelaunt los, um mir was zu essen zu besorgen. Lokale, die rund um die Uhr geöffnet haben, waren anscheinend rar in der Piscina Publica. Bei meinem unsteten Lebenswandel konnte das zum Nachteil werden. Schließlich fand ich aber doch eine Bar voll schlechtgelaunter Fliegen, wo ein verschlafener Kellner mir zwei dicke Scheiben uralten Brotes mit einer Essiggurke dazwischen servierte, mich aber zum Essen nach draußen schickte.
Es war noch zu früh, um vor Severinas Haus Posten zu beziehen. Doch in Gedanken beschäftigte ich mich schon wieder intensiv mit dem habgierigen Rotschopf. Die Klienten in meiner Branche haben die leidige Angewohnheit, auf rasche Ergebnisse zu drängen, und so würde man auch auf dem Pincio bald meinen Bericht anmahnen.
Meine Füße trugen mich nach Osten, und ich landete auf dem Esquilin, in dem alten Stadtgebiet, das im Volksmund immer noch die Subura heißt, obwohl das Viertel mehrfach umgetauft wurde, seit Augustus die Stadtgrenzen erweitert und eine Neueinteilung der Verwaltungssektoren durchgesetzt hat. Manche Leute nörgeln ja, damit habe Rom seinen Charakter verloren, aber ich neige eher zu der Ansicht, daß schon damals, als Romulus die erste Grenzfurche zog, ein paar engstirnige alte Bauern um die Sieben Hügel rumstanden und in ihre verfilzten Bärte mümmelten, der neumodischen Siedlung von diesem Wolfsmenschen fehle jegliches Ambiente …
Die Subura hat sich ihren republikanischen Charakter erhalten. Weite Teile sind bei dem schrecklichen Brand unter Nero zerstört worden. Er, Nero, hatte dann ein Riesenstück des verkohlten Viertels enteignet und darauf seine Domus Aurea errichten lassen, das »Goldene Haus«, samt einer großen Parklandschaft mit Hainen, Grotten und Seen. Später ließ er Rom nach dem klassischen Schachbrettsystem und mit wirklich strengen Brandschutzverordnungen wieder aufbauen. (Sogar Nero hatte eingesehen, daß die Domus Aurea groß genug für einen Duodezfürsten und also kein weiterer kaiserlicher Kahlschlag nötig war.) In vielen Straßen hatte man allerdings unter Mißachtung seiner Vorschriften die Häuser einfach kunterbunt auf die alten Grundmauern gesetzt. Mir war das verschachtelte Durcheinander sympathisch. Das Reich hat sowieso viel zu viele brav nach Planquadraten angeordnete Städte, die einander gleichen wie ein Ei dem anderen.
Dieses Viertel war einmal das schmutzigste der Stadt gewesen; inzwischen balgten sich etliche Rivalen um diesen Ehrentitel. Die Subura wirkte wie eine in die Jahre gekommene Hure; sie galt zwar noch als schrill und aufgedonnert, wurde aber ihrem Ruf nicht mehr gerecht. Ausgeplündert werden konnte man hier allerdings auch heute noch. Wie überall waren die Straßenräuber in diesen engen, einspurigen Gassen alles andere als schlafmützig. Nein, bei denen saß jeder Griff: ein Arm um den Hals, ein Dolch in die Rippen, Geldbörse und Ringe kassiert, und zum Schluß stießen sie ihr Opfer mit einem kräftigen Tritt in den Schlamm – Gesicht nach unten – während sie das Weite suchten.
Ich war auf der Hut. Schließlich kannte ich die Subura nicht so gut, als daß ihre Schurken einen Bogen um mich gemacht hätten.
Natürlich hatte ich mich nicht ohne Grund hierher verirrt: Ich wollte tiefer in Severinas Vergangenheit graben. Lusius, der Sekretär des Prätors, hatte erwähnt, daß ihr erster Mann, der Perlenhändler Moscus, zu Lebzeiten hier einen Laden besessen hatte, der immer noch existierte. Ich hielt also nach Juwelieren Ausschau. Die wissen in der Regel am ehesten, wo ihre Konkurrenten zu finden sind. Und tatsächlich wies man mir beim dritten Versuch den Weg, so daß ich gerade rechtzeitig kam, als das Geschäft aufmachte.
Der neue Inhaber war vermutlich selber ein ehemaliger Sklave aus dem Hause Severus Moscus, der sich jetzt, als Freigelassener, selbständig gemacht hatte. Er verkaufte allen möglichen Edelsteinschmuck, angefangen von Gemmen mit vertieftem Bild bis hin zu Kameen mit erhabenem Porträt. Er verarbeitete sämtliche Halbedelsteine, vor allem aber Achate – zart blaue, milchweiß gebändert; kieselweiße, wie von Flechten mit grünen, roten und ockergelben Fäden überzogen; kohlschwarze, durchscheinend geädert; hübsch abgestufte Brauntöne, von mattiert bis bronzeglänzend. Der Juwelier saß schon auf seiner Bank und sortierte winzige goldene Zwischenperlen. Offenbar machte er alle Arbeiten selbst.
»Hallo!« rief ich. »Bin ich hier richtig bei Severus Moscus? Ich soll ihn unbedingt besuchen; meine Mutter hat seine Mutter gekannt …«
Er musterte mich aufmerksam. »War das etwa in Tusculum?« Für einen, der so selbstbewußt auftrat, hatte er eine merkwürdig schrille Stimme.
Da ich hinter der Frage eine Falle witterte, zuckte ich nur lässig die Achseln. »Schon möglich. Meine Mama ist weit herumgekommen. Sie hat’s mir wohl gesagt, aber ich muß gestehen, daß ich nicht genau zugehört habe …«
»Moscus ist tot.«
»Nein! Na sowas, dann hab ich ja den weiten Weg umsonst gemacht. Aber hören Sie – meine Alte wird mich bestimmt ausquetschen; können Sie mir sagen, woran er gestorben ist?« Er lehnte sich an die Ladentheke und erzählte mir die Geschichte von dem Herzanfall im heißen Amphitheater. »So ein Pech. War der Meister schon sehr alt?«
»In den Sechzigern.«
»Aber das ist ja noch jung!« Keine Antwort. »Hatte er Familie? Meine Mama würde wollen, daß ich in ihrem Namen kondoliere …«
Mir war, als ginge bei ihm der Laden runter. »Nein«, sagte er knapp. Das war seltsam – und außerdem eine falsche Auskunft.
»Wie steht’s mit Ihnen?« bohrte ich unbekümmert weiter, ganz wie ein ungehobelter Fremdling. »Sie haben sein Geschäft übernommen – hatten Sie schon zu Lebzeiten mit ihm zu tun?«
»Ich habe bei ihm gearbeitet. Er war mir ein guter Lehrmeister. Als er nicht mehr konnte, habe ich das Geschäft geführt. Und nach seinem Tode hab ich’s dann übernommen.«
Ich bewunderte seine Waren. Er hatte alles, angefangen von billigen Korallenschnüren bis hin zu märchenhaften Sardonyx-Anhängern, halb so groß wie meine Faust. »Wunderschön! Ich weiß eine Dame, die jedes Stück aus Ihrem Bestand hier überglücklich machen würde …« Nicht, daß ich vorhatte, ihm was abzukaufen – schließlich mußte ich eine ganze Wohnungseinrichtung finanzieren. Außerdem besaß Helena schon genug Schmuck. Und das meiste davon war kostbarer als alles, was ich mir hätte leisten können. Am besten versuchte ich also gar nicht, mit ihren Familienpretiosen zu konkurrieren. »Jetzt verstehen Sie das bitte nicht falsch, aber mir war so, als hätte Mama auch von Moscus’ Frau gesprochen …«
»Die hat sich wieder verheiratet.« Seine Antwort war knapp, klang aber nicht bitter. »Ich hab den Laden von ihr gemietet. Wollen Sie sonst noch was über Moscus wissen, Bürschchen? Vielleicht, wo seine Muttermale saßen oder was er für ’ne Schuhgröße hatte?«
Vor seinem zunehmend aggressiven Ton wich ich schüchtern und mit unschuldiger Miene zurück. »Beim Jupiter, ich wollte Sie doch nicht aushorchen – aber meine Mama langweilt sich eben oft und ist immer froh, wenn ich ihr ein paar spannende Geschichten mit heimbringe.«
»Sie haben die Geschichte gehört. Und jetzt hab ich zu tun«, meinte der Kameenschleifer kurz angebunden.
»Gewiß! Und vielen Dank auch!« Ich leistete mir aber doch noch eine letzte Unverschämtheit: »Wurmt es Sie nicht ein bißchen, daß Sie, der schon dem alten Moscus den Laden geschmissen hat, jetzt immer noch als Pächter dasitzen, während seine Witwe munter mit einem Neuen davonflattert?«
»Nein.« Der Steinschneider sah mich ruhig und fest an, eine Herausforderung, deutlicher zu werden – gepaart mit der Drohung, daß er mir grob kommen würde, wenn ich’s denn wagen sollte. »Warum auch?« kreischte er mit seiner schrillen Stimme. Meine aufdringliche Fragerei schien ihn nicht zu verunsichern. »Ihr Mietpreis ist annehmbar; sie hat einen soliden Geschäftssinn. Moscus ist tot. Was die Frau mit ihrem Leben macht, ist ihre Sache.«
Wenn ich einen Skandal aufdecken wollte, war ich hier an der falschen Adresse. Ich grinste einfältig und trollte mich.
Zurück auf meinem Späherposten vor dem Haus des Vamps in der Abakusstraße. Der Tag verlief wie gehabt. Frühstück. Hitze. Weinlieferung. Hund jagt Katze. Vamp ins Badehaus …
Allmählich konnte ich Severinas Tagesablauf herbeten, noch bevor sie beim ersten Morgengähnen ihre Pläne machte. Es war leichte Arbeit, aber geradezu deprimierend unproduktiv. Doch dann, ich zerbrach mir gerade den Kopf darüber, wie ich Bewegung in die Sache bringen könne, bekam ich in rascher Folge gleich mehrere neue Impulse geliefert.
Kurz nach Mittag erschien die Sänfte. Ich folgte ihr fünf Straßen weit und sah, wie sie durch eine Töpferei schaukelte und dahinter in einer Passage verschwand. Ich blieb oben an der Straße stehen. Nach einer guten Stunde kamen mir Zweifel. Ich ging durch den Laden und erwartete, daß Severinas Träger am anderen Ende des dunklen Korridors Maulaffen feilhalten würden.
Die Sänfte war verschwunden. Während ich mir draußen auf der Straße wie ein Trottel die Beine in den Bauch stand, mich von Pastetenblechen rempeln und mir von Maultieren auf die Füße treten ließ, hatte sich das Frauenzimmer in eine Wohnung eingeschlichen – und war womöglich durchs Gartentor entschlüpft! Gut gemacht, Falco!
Ich sah mir das Haus näher an. Die Front im Erdgeschoß wirkte ganz unauffällig. Keine Fenster; keine Kletterpflanzen; kein Kätzchen auf der Treppe; nur eine dunkel gestrichene Tür mit einem diskreten Sprechgitter. Neben dem Eingang war eine kleine Keramikkachel in die Wand eingelassen, ein mitternachtsblaues Täfelchen mit schwarzer Aufschrift und einem hübschen Rahmen aus winzigen Goldsternchen. Darauf stand einzig ein Name in griechischen Lettern:
Ich wußte, was das für ein Laden war. Und ich wußte auch, was für eine irre, schrumplige alte Hexe diese Tyche sein würde. Ich nahm all meinen Mut zusammen und hämmerte an die Tür.
»Könnte ich ’nen Termin kriegen?«
»Möchten Sie die Herrin jetzt gleich sprechen?«
»Wenn sonst niemand drin ist …«
»Ich denke, es läßt sich einrichten. Die letzte Kundin ist schon vor einer Weile fort …«
Ich schluckte. Dann gab ich mir einen Ruck und marschierte in die Höhle des Löwen, vulgo zu einer Unterredung mit einer Astrologin.
XIV
Mir graut vor diesen Hexenküchen.
Ich machte mich auf eine schmuddelige Babylonierin gefaßt, die lauter dummes Geschwätz ablassen würde. Doch zu meinem Glück befand sich das verrauchte Kabuff für die Wahrsagerei offenbar anderswo im Haus; der schmucke Sklavenknabe führte mich statt dessen in ein verblüffend hübsches Empfangszimmer. Der schwarz-weiße Mosaikfußboden war blitzsauber. Die Wände waren in der oberen Hälfte schwarz gestrichen und darunter mit einer schlichten Holztäfelung verkleidet. Deren durch stilisierte Kandelaber unterteilte Felder zierten winzigkleine Goldmedaillons mit Muschelschalen und Blütenzweigen. Zu beiden Seiten eines niedrigen Marmortisches, der bestimmt eine halbe Tonne wog, standen zwei hochlehnige Stühle, wie sie mit Vorliebe von Frauen benutzt werden. Auf dem Tisch befanden sich (ziemlich auffällig plaziert, wie mir schien) an einem Ende ein Astrolabium und am anderen eine offene Schriftrolle mit dem Verzeichnis der Planeten.
Gegenüber stand ein Regal mit sehr alten griechischen Vasen, die einen mir bekannten Auktionator schier aus dem Häuschen gebracht hätten – alle vollkommen, alle von beachtlicher Größe, alle in dem klassischen Stil, dessen wiederkehrende Spiralen, Kreise und stilisierte Antilopen auf einen Sammler mit exquisitem Geschmack hindeuteten.
Die Antiquitäten beeindruckten mich mehr als die Atmosphäre. Abgesehen vom Hauch eines Damenparfums, das an die letzte Besucherin erinnerte, roch ich keinerlei Weihrauch oder andere Duftessenzen, wie man sie sonst an solchen Orten benutzt, um unvorsichtige Schicksalsgläubige zu betäuben. Es gab auch keine klingenden Glöckchen, keine betörende Hintergrundmusik, keine mißgestalteten Zwerge, die aus verborgenen Vitrinen hüpften …
»Willkommen. Womit kann ich dienen?« Die Frau, die lautlos durch den Türvorhang hereingeschlüpft war, sah blitzsauber aus und sprach ruhig, mit angenehmer, kultivierter Stimme. Ihr Latein war besser als meins.
Ich schätzte sie auf etwa sechzig. Ihr schlichtes, dunkles Gewand wurde an den Schultern von zwei kleinen Silberspangen mit Einlegearbeit gehalten. Die bloßen Arme verbarg sie im reichen Faltenwurf des Kleides. Ihr Haar war ziemlich dünn und bis auf ein paar silberne Streifen noch fast schwarz. Ihrem Gesicht fehlte die geheimnisvolle Aura des Berufsstandes, abgesehen von den tiefliegenden, unergründlichen Augen – Augen von undefinierbarer Farbe. Es war das Gesicht einer Geschäftsfrau in der Männerwelt von Rom: zuvorkommend, aber unterschwellig voll eigensinniger Kraft und mit einem kaum wahrnehmbaren Anflug resignierter Bitterkeit.
»Sind Sie die Astrologin?«
Sie preßte die Lippen zusammen, als hätte sie was gegen mich. »Ich bin Tyche.«
»Was auf Griechisch Schicksal heißt – sehr nett ausgedacht!«
»Das klingt wie eine Beleidigung.«
»Ich hab noch allerhand weniger nette Namen in petto für Leute, die den Verzweifelten grundlos Hoffnung machen.«
»Dann muß ich mir merken, daß ich Ihnen keine mache!«
Ich nahm an, daß sie mich nun einer scharfen Prüfung unterziehen würde. Also starrte ich ganz schamlos zurück. »Ich sehe, daß Sie nicht als Kunde zu mir kommen«, meinte sie, obwohl ich dazu noch nichts gesagt hatte. Aber natürlich gehörte es zu ihrem Beruf, so zu tun, als könnte sie Gedanken lesen.
»Mein Name ist Falco …«
»Ihren Namen brauche ich nicht zu wissen.«
»Verschonen Sie mich mit dem Geschwafel. Von solchem Hokuspokus-Gelaber krieg ich bloß Zahnweh.«
»Oh, ich verstehe!« Ihr Gesicht entspannte sich, wurde fast wehmütig. »Sie sind enttäuscht von dem Ambiente hier. Ihnen wäre ein ordentliches Gruselkabinett lieber gewesen. Sie haben eine schnatternde alte Vettel erwartet, die getrocknete Eingeweide mit abgewandtem Gesicht in ein loderndes grünes Feuer wirft, ja? Nun, ich hab mit dem Zauberschnickschnack aufgehört. Der Rauch greift den Putz an … Verraten Sie mir lieber Ihr Geburtsdatum.«
»Wozu?«
»Jeder, der aus anderen Gründen hierherkommt, erwartet doch zumindest eine Gratisprophezeiung.«
»Ich nicht! Aber wenn Sie’s unbedingt wissen wollen – ich bin im März geboren.«
»Fisch oder Widder?«
»Konnte nie ganz geklärt werden. ›Auf der Kippe‹.«
»Das paßt zu Ihnen!«
»Hab ich’s doch gewußt! Sie haben was gegen mich.«
»Geht Ihnen das nicht mit den meisten Menschen so? Ihre Augen haben zuviel gesehen, worüber Sie mit Ihren Freunden nicht reden dürfen.«
»Meine Füße haben zu viele unebene Pflaster abgelatscht auf der Spur zu vieler habgieriger Mädchen, die selbst vor Mord nicht zurückschrecken. Sie heißt übrigens Severina!«
»Das weiß ich«, sagte Tyche ruhig.
»Ach ja?«
»Severina war schließlich Kundin bei mir«, erklärte die Astrologin mit mildem Tadel. »Ich brauchte ihren Namen und die Adresse, um ihr die Rechnung zuzuschicken.«
Das überraschte mich. »Was ist denn aus der guten alten Sitte geworden, die Silberdenare in bar rauszurücken? Ich dachte, eine wie Sie macht Geschäfte nur gegen Bares?«
»Aber keineswegs! Ich befasse mich überhaupt nicht mit Geld. Drei sehr tüchtige Steuerberater kümmern sich um meine Finanzen.« Sieh einer an: Diese Wahrsagerin hatte es tatsächlich sehr viel weiter gebracht als ihre Kolleginnen, die irgendwelchen Bauerntrampeln in stickigen Zelten Halbwahrheiten verkaufen. Tyche belieferte die Crème de la crème, Leute mit vergoldeten Sänften; bestimmt waren auch ihre Preise vergoldet. »Was wollen Sie von mir, Falco?«
»Das sollte eine Seherin eigentlich von allein wissen! Was hat denn Severina Zotica gewollt?« Die Person maß mich mit einem langen Blick, der mir Schauer über den Rücken jagen sollte. Was auch geschah. Aber in meinem Job arbeitet man ebenso mit Bluffs wie in ihrem. Also ließ ich mir nichts anmerken. »Hat sie Horoskope gekauft?« Tyche nickte stumm. »Ich wüßte gern, was Sie ihr erzählt haben.«
»Berufsgeheimnis!«
»Ich zahle Ihnen selbstredend das übliche Honorar …«
»Diese Information ist nicht zu verkaufen.«
»Alles ist käuflich! Sagen Sie mir wenigstens, wessen Zukunft sie ausspionieren wollte.«
»Das ist ganz ausgeschlossen.«
»Na schön, dann will ich es Ihnen sagen! Sie hat Ihnen erzählt, daß sie demnächst heiratet und sich ein Bild von der Zukunft machen möchte. Ein Horoskop war für sie, um den Schein zu wahren. Und das andere war …«
»Für den Bräutigam.«
Tyche lächelte gequält, als wäre ihr klar, daß ich diese Auskunft unweigerlich mißdeuten würde: Manche Leute glauben, mit dem Horoskop eines anderen Menschen ließe sich Macht über dessen Seele gewinnen.
XV
Der erste brauchbare Hinweis auf Severinas Motive: Ich spürte, wie meine Zehen anfingen zu kribbeln, und versuchte vergebens, meine Fersen haltsuchend in die Steinchen des Mosaikbodens zu bohren. Die kratzige, abgetragene Wolltunika scheuerte gegen mein Schlüsselbein. Unversehens hatte sich in dieses erstaunlich zivilisierte Zimmer mit seiner herb-strengen Bewohnerin der Horror eingeschlichen.
Ehe ich noch etwas erwidern konnte, fragte die Astrologin kühl: »Sie sind doch wohl nicht abergläubisch?«
»Worauf es hier ankommt«, rief ich, »ist doch, ob Severina glaubt, ihren Verlobten mit diesem Horoskop in der Hand zu haben!« Rom duldet nachsichtig, daß die Leute sich intensiv für das eigene Schicksal interessieren – aber in dem anderer Leute rumzuschnüffeln, ist streng verpönt. Tatsächlich gilt es im politischen Leben schon als feindselige Handlung, sich das Horoskop eines Gegners zu besorgen. »Bräutigam hin oder her, Severina hat ein striktes Tabu gebrochen, und Sie, Tyche, könnten als Komplizin angeklagt werden: Sollte dem Freigelassenen etwas zustoßen, wäre ich bereit, auszusagen, daß Sie mitschuldig sind – es sei denn, Sie helfen mir. Also, was haben Sie ihr gesagt?«
»Die Wahrheit, Falco.«
»Schluß mit den Ausflüchten! Wenn Novus’ Leben in Gefahr ist, dann sagen Sie’s mir, oder …«
»Wenn es dem Mann bestimmt ist zu sterben, dann stirbt er auch!«
»Jetzt fehlt nur noch der Spruch, daß wir alle mal sterben müssen!«
»Mein Talent ist rein passiv; ich kann das Schicksal nur interpretieren. Es zu ändern, ist nicht meine Aufgabe.«
»Ha! Und versuchen Sie’s nicht trotzdem mal?«
»Tun Sie’s?« gab sie bissig zurück.
»Ich bin von einer braven Mutter erzogen worden. Erbarmen mit den Schwachen ist für mich auch im Beruf eine Selbstverständlichkeit.«
»Das muß doch manchmal zum Verzweifeln sein!«
»Ich wäre noch viel verzweifelter, wenn böswillige Menschen ungehindert anderen schaden dürften …«
»Jede Kraft hat ihre Gegenkraft«, gab Tyche zu bedenken. »Schädliche Einflüsse müssen von guten ausgeglichen werden.« Plötzlich schenkte sie mir ein so strahlendes Lächeln, daß ich gar nicht wußte, wie mir geschah. »Vielleicht sind Sie ein Werkzeug der Sterne?«
»Wo denken Sie hin!« knurrte ich, mir das Grinsen verkneifend. »Mich hat kein himmlisches Komitee auf der Gehaltsliste, ich bin ein unabhängiger Geist.«
»Nicht so ganz, würde ich sagen.« Sie schien unschlüssig, ob sie lachen sollte oder nicht. Der Moment ging vorüber; sie trat beiseite und gab die Tür frei.
Ich prophezeite (im stillen), daß ein gutaussehender, dunkelhaariger Mann mit klugen Augen ihr Haus ziemlich bald verlassen würde. »Tyche, wenn Sie sich schon weigern, mir zu sagen, ob Novus in Gefahr ist, dann lassen Sie mich wenigstens eines wissen: Wird man Severina Zotica für ihre Verbrechen hinrichten?«
»O nein! Sie wird vielleicht nie glücklich sein, aber sie wird ein langes Leben haben und im Bett sterben.«
»Haben Sie ihr das gesagt?«
Wieder huschte der gequälte Ausdruck über das Gesicht der Wahrsagerin. »Wir haben nur über ihre Hoffnung auf Glück gesprochen.«
»Es kommt ja wohl auch kaum jemand zu Ihnen und fragt: Muß ich damit rechnen, daß man mich eines Tages als gemeinen Verbrecher den Löwen zum Fraß vorwirft?«
»Stimmt!«
»Und was haben Sie ihr über ihre nächste Ehe erzählt?«
»Sie werden’s nicht glauben.«
»Stellen Sie mich auf die Probe!«
»Severinas nächster Gatte wird sie überleben.«
»Wie erfreulich für ihn.«
Zeit zu gehen. Nachdenklich und mit dem Respekt, den ich jedem zolle, der drei Steuerberater auf Trab halten kann, verabschiedete ich mich von der Wahrsagerin. Aber so leicht läßt diese Sorte einen nicht davonkommen. »Möchten Sie gern etwas über Ihre Zukunft hören, Falco?«
»Kann ich’s verhindern?«
»Eine bestimmte Person, die Sie liebt, ist vielleicht für ein höheres Schicksal ausersehen.«
»Jede Frau, die mich liebt, könnte leicht was Besseres finden!« Ich konnte nicht verhindern, daß die Wahrsagerin sah, wie meine Züge sich bei dieser Anspielung auf Helena veränderten. »Die fragliche Person wäre schon jetzt nicht in mich verliebt, wenn sie die Vernunft besäße, sich ein weniger unsicheres Geschick auszusuchen.«
»Ihr Herz allein weiß, ob das die Wahrheit ist.«
Ich hatte verdammt nochmal keinen Grund, Helena vor so einer rechthaberischen, pingeligen babylonischen Hexe zu rechtfertigen. »Mein Herz liegt ihr zu Füßen«, schnauzte ich zurück. »Ich werd’s ihr nicht verübeln, wenn sie ihm ’nen Fußtritt gibt und es dann ein Weilchen auf dem Boden rumschubst! Aber unterschätzen Sie ihre Loyalität nicht! Mich haben Sie kennengelernt und ein paar richtige Schlüsse gezogen, aber mein Mädchen können Sie überhaupt nicht beurteilen …«
»Ich kann jeden beurteilen«, entgegnete sie kategorisch, »und zwar anhand des Menschen, den er liebt.«
Was, wie jedes astrologische Orakel, alles mögliche bedeuten konnte – oder überhaupt nichts.
XVI
Zurück in die Abakusstraße. Kaum war ich dort angekommen, als auch schon Severinas Tragsessel vor dem Haus erschien. Ich hatte noch nicht einmal meinen Stammplatz am Tisch vor dem Speisehaus erreicht, sondern lehnte noch am anderen Ende der Straße am Obststand eines alten Mannes, dem ich einen Apfel abkaufen wollte. Er erzählte mir gerade von seinem Garten draußen in der Campagna, nur ein paar Meilen von der Handelsgärtnerei entfernt, die der Familie meiner Mutter gehörte. So vertieft waren wir in unser Gespräch über die Wahrzeichen und Besonderheiten der Campagna, daß es mir nicht leichtfiel, mich loszureißen und der Sänfte zu folgen.
Während ich noch dabei war, das Gratisobst des Alten dankend abzulehnen, wer steckte da verstohlen den Kopf aus der Passage neben dem Käseladen? Eine dichtverschleierte Frau, die ganz Severinas Figur und Größe hatte! Und die Zofe neben ihr erkannte ich auch sofort …
Ich war bei der Überwachung ziemlich unbekümmert vorgegangen. Dieses Täuschungsmanöver deutete darauf hin, daß man mir auf die Schliche gekommen war, daß Severina mich bei Tyche absichtlich abgehängt hatte und daß die eben ausgeschickte Sänfte ein Köder sein sollte.
Beide Frauen linsten jetzt zum Speisehaus rüber. Ich wartete am Obststand, bis sie zufrieden meine leere Bank entdeckt hatten. Dann gingen sie zu Fuß weg, und ich folgte – diesmal streng darauf bedacht, meine Zielperson unsichtbar zu beschatten.
Hatte ich ihren Besuch bei der Wahrsagerin schon aufschlußreich gefunden, so kam es jetzt noch viel besser: Severina Zotica ging zu einem Steinmetz!
Sie bestellte einen Grabstein.
Ich konnte mir denken, für wen.
Sie suchte sich ihren Marmorblock aus und ging. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß sie nach Hause wollte, machte ich kehrt, um selbst ein paar Takte mit dem Steinmetz zu reden.
Er hieß Scaurus, und ich fand ihn weit hinten in einem engen Gang seines Lagers. Auf der einen Seite stapelten sich bis zur Decke roh behauene Travertine für Allzweckbauten, auf der anderen lagerten, von Wolldecken geschützt, kleinere Platten edlen Marmors, aus denen von Selbstlob triefende Grabsteine für zweitklassige Beamte werden würden oder verlogene Soldatendenkmäler und vielleicht auch mal ein ergreifendes Epitaph für ein geliebtes Kind, das nicht hatte leben dürfen.
Scaurus war ein kleiner, kräftiger, staubbedeckter Typ mit Kahlkopf, Mondgesicht und winzigen Ohren, die wie Radnaben rechts und links vom Kopf abstanden. Seine Abmachungen mit der Kundschaft waren selbstredend vertraulich. Und selbstredend ließ sich dieses Hindernis mit einer Bestechungssumme, wie meine Kundschaft sie bieten konnte, bald aus der Welt schaffen.
»Ich hätte ein paar Fragen, die Severina Zotica betreffen. Bestimmt gehört sie zu Ihren bevorzugten Stammkunden – eine Frau mit so vielen Tragödien in der Familie!«
»Ich hab ein oder zwei Aufträge für sie übernommen«, räumte Scaurus ein, ohne sich an meiner witzigen Einleitung zu stören.
»Zwei Ehemänner dahingerafft – und der nächste dräut schon am Horizont! Sehe ich recht, hat sie gerade einen neuen Grabstein bestellt?« Er nickte. »Darf ich den Text für die Inschrift sehen?«
»Severina wollte nur einen Kostenvoranschlag haben und eine Anzahlung auf den Stein leisten.«
»Hat sie Ihnen den Namen des lieben Dahingegangenen genannt?«
»Nein.«
»Also, was für eine Geschichte hat sie Ihnen aufgetischt?«
»Es sind noch andere Auftraggeber beteiligt – der Stein wird aus einem Subskriptionsfonds bezahlt. Die Unterzeichner entscheiden gemeinsam über den Text der Inschrift. Severina muß sie erst fragen.«
»Ach nein! Vielleicht haben die Verwandten dieses armen Tropfs aber auch so viel Anstand und warten seinen Tod ab, ehe sie ihm einen Grabstein stiften!« Ich redete mich in Hitze. »Ist es üblich, daß die Dame ihre Steine im voraus bestellt?«
Scaurus war jetzt auf der Hut. Ein blühendes Geschäft war eine Sache, aber der Beihilfe zu irgendeinem schmutzigen Verbrechen wollte er nun doch nicht bezichtigt werden. Ich warnte ihn, daß ich wiederkommen und mir den fertigen Stein ansehen würde, und dabei ließ ich es bewenden.
Er hatte mir meinen Verdacht auch so bestätigt. Das Horoskop und der Grabstein sprachen für sich. Wenn niemand eingreifen und Severina aufhalten würde, war Hortensius Novus ein toter Mann.
XVII
Manch ein Ermittler leitet jede Information brühwarm weiter. Ich knoble lieber erst mal dran rum. Seit ich Helena Justina kannte, ging das am besten in ihrer Gesellschaft; sie hatte einen scharfen Verstand und obendrein die Gabe, meine Arbeit objektiv zu beurteilen. Ihr Zuspruch tat mir immer wohl – und manchmal steuerte sie auch einen Einfall bei, den ich dann in einen raffinierten Dreh zur Lösung des Falles ummünzen konnte. (Manchmal war Helena auch der Meinung, ich sei ein herablassendes Ekel – ich sage ja, sie ist ein heller Kopf.)
Es war gegen neun, kurz vor dem Abendessen, als ich am Haus des Senators klopfte. Der diensthabende Pförtner war einer meiner alten Widersacher. Er wollte mir einreden, Helena sei ausgegangen.
Ich fragte, wohin. Ins Bad. In welches? Das wisse er nicht. Ich glaubte ihm sowieso kein Wort. Eine Senatorentochter geht schließlich nicht einfach aus, ohne zu hinterlassen, wohin. Sie muß dabei ja nicht unbedingt die Wahrheit sagen. Nur irgendeine Geschichte auftischen, die ihrem edlen Vater vorgaukelt, sein Augapfel sei ein Ausbund an Tugend, und ihrer Mutter (die es besser weiß) neuen Grund zur Sorge gibt.
Ich wechselte ein paar witzige Pointen mit Janus, auch wenn sein Intellekt, ehrlich gesagt, nie mein Niveau erreichte, und wollte gerade gehen, als das verschollene Täubchen heimgeflattert kam.
»Wo bist du gewesen?« fragte ich, hitziger als beabsichtigt.
Sie machte ein erschrockenes Gesicht. »Im Bad …«
Sauber war sie allerdings. Sie sah zum Anbeißen aus. Ihr Haar glänzte; ihre Haut war weich und mit einem unverwechselbaren Blumenöl parfümiert, dessen Duft mich zu einer viel, viel näheren Untersuchung verlockte … Ich geriet wieder in Wallung. Und da ich wußte, daß sie das merkte und mich bestimmt gleich auslachen würde, flüchtete ich mich in Frotzeleien. »Ich komme gerade von einer Wahrsagerin, die mir Pech in der Liebe prophezeit hat. Da mußte ich natürlich gleich hierhereilen …«
»Um dir eine Dosis Liebespech einzuverleiben?«
»Ist ein wunderbares Abführmittel. Du bist übrigens ›zu Höherem bestimmt‹.«
»Das klingt nach harter Arbeit! Ist es sowas wie ein Vermächtnis? Kann ich’s ganz rasch weitervererben?«
»Nein, Gnädigste, Ihr Horoskop steht – allerdings hat die Orakelhexe zum Glück auch festgestellt, daß ich der Lenker deiner Sterne bin! Also, für ein kleines Schmiergeld könnte ich mich bereitfinden, die Vorsehung ins Wanken zu bringen und die Schicksalsfäden aufzudröseln …«
»Erinnere mich daran, daß ich dich nicht in meine Nähe lasse, wenn ich gerade Wolle spinne … Bist du gekommen, um mich zum Lachen zu bringen, oder ist das nur eine quälende Stippvisite, auf daß ich mich hinterher um so mehr nach dir verzehre?«
Der Pförtner hatte ihr die Tür geöffnet, und folglich war ich schon drin.
»Tust du’s?« fragte ich beiläufig.
»Was?«
»Dich nach mir verzehren?«
Helena Justina schenkte mir ein unergründliches Lächeln.
Sie scheuchte mich in einen abgelegenen Säulengang unter eine Pergola. Während sie neben mir Platz nahm und eine Rose in meine Schulterspange steckte, schickte sie die Haussklaven, mir Wein zu holen, hieß sie ihn wärmen, ließ mir Schälchen mit Mandeln bringen, dann Kissen, dann einen neuen Becher, weil meiner einen winzigen Sprung in der Glasur hatte … Ich aalte mich in ihrem Sessel mit der verstellbaren Rückenlehne und genoß es, so verwöhnt zu werden (was mir aber auch zu denken gab). Irgendwas war im Busch. Warum war Helena plötzlich so hingebungsvoll? Wahrscheinlich hatte irgendein Lackaffe mit Senatorenstammbaum sie eingeladen, sich seine Sammlung schwarzfiguriger Vasen anzusehen.
»Marcus, erzähl mir, wie war dein Tag?« Ich beschrieb’s ihr in düsteren Farben. »Kopf hoch! Du brauchst mehr Abwechslung. Warum läßt du dich nicht mal von ein paar Flittchen umgarnen? Geh und besuch deine Klientinnen. Der Kameenschneider bringt, denke ich, gar nichts, aber erzähl ihnen von der Wahrsagerin und von dem Steinmetz. Und dann paß auf, wie sie reagieren.«
»Du schickst mich zu diesen Hexen? In die Höhle des Löwen?«
»Ach was, das sind zwei übersättigte Verschwenderinnen ohne jeden Geschmack und mit noch weniger Skrupeln, die sich beide allzu offenherzig kleiden … Ich glaube, mit denen wirst du schon fertig.«
»Woher weißt du das alles?«
»Ich hab sie mir mal angesehen.« Ihr stieg die Röte ins Gesicht, aber sie hielt meinem Blick trotzig stand. Ich war’s, der erschrocken in seinem Sessel zappelte.
»Helena Justina! Wie hast du das denn angestellt?«
»Ich hab ihnen heute nachmittag meine Aufwartung gemacht, ihnen erzählt, daß ich eine Mädchenschule für Findelkinder gründen möchte, und mich erkundigt, ob ich sie – als warmherzige Frauen und in einem Fall obendrein Mutter – wohl zu einer Spende bewegen könne.«
»Mars Ultor! Und? Haben sie angebissen?«
»Zuerst nur Atilia. Diese Pollia ist ein hartherziges kleines Biest – aber schließlich hab ich sie doch bei ihrer Ehre gepackt. Dann hat sie mir natürlich eine astronomische Summe gespendet, um mich zu beeindrucken, wie dick sie’s doch haben.«
»Du hast ihnen hoffentlich nicht verraten, wer du bist?«
»Und ob! Schließlich gibt es keinen Grund, warum sie mich mit dir in Verbindung bringen sollten.« Hart, aber wahr – fiel es mir doch selbst mitunter schwer, uns miteinander in Verbindung zu bringen. »Die Leute auf dem Pincio sind gräßliche Snobs. Deine Klienten waren entzückt, daß eine leibhaftige Senatorentochter inmitten ihrer geschmacklosen Kunstwerke Glühwein nippte und sie beschwor, sich an ihren guten Werken zu beteiligen.«
»Haben sie dich etwa betrunken gemacht?«
»Nicht ganz. Aber es ist typisch für Leute ihres Schlages, daß sie sich für tadellose Gastgeberinnen halten, wenn sie einem Besucher einen Mordspokal mit kochendheißem Inhalt kredenzen, obwohl das zu dieser Tageszeit völlig unpassend war. Was ich wirklich gebraucht hätte, war eine schöne Schale Kräutertee. Ach, übrigens, haben sie dich betrunken gemacht?«
»Nein.«
»So ein Pech! Sie wollten, daß ich ihre protzigen Silberpokale bewundere – zu schwer zum Heben und zu überladen, um sie anständig putzen zu können. Meiner hatte den größten Topas, den ich je gesehen habe.« Sie hielt nachdenklich inne und fuhr dann fort: »Diese Leute beurteilen alles auf der Welt nach seinem Preis. Wenn etwas nicht geradezu unanständig teuer ist, hat es für sie keinen Wert … Deine Honorarsätze sind zu bescheiden; es wundert mich, daß sie dich engagiert haben.«
»Besten Dank!« blaffte ich, aber mit dem unguten Gefühl, meine Herzensdame könnte recht haben. Ich barg mein Gesicht für einen Augenblick in den Händen, dann lachte ich. »Was wirst du denn nun mit dem Geld machen?«
»Na, eine Schule gründen. Ich bin keine Heuchlerin, Marcus.«
Sie war einfach toll. Meine Bewunderung behielt ich aber besser für mich. Helena brauchte keinen Ansporn. In der Öffentlichkeit wirkte sie eher liebenswert und schüchtern – aber kaum, daß sie sich einen so verrückten Gedanken in den Kopf gesetzt hatte wie eben, war all ihre Scheu verflogen. »Ich mache mir Sorgen, wenn du so auf Abenteuer ausgehst! Wie bist du bloß auf die Idee gekommen?«
Sie gab keine Antwort. »Aus Neugier, ja?« Ich legte den Arm um sie und zog sie an meine Brust. In ihren großen dunklen Augen las ich eine verwirrende Mischung aus Liebe und Abwehr. »Na, und was hattest du denn für einen Eindruck von meinen Klienten?«
»Ich sagte doch schon: ein bißchen zu offenherzig, die Damen. Wenn ich sie noch mal besuche, werde ich ihnen ein paar Kleiderspangen als Geschenk mitbringen …« Ich war froh, als ich die vertraute Ironie in ihren Augen aufblitzen sah. »Sabina Pollia hat sich aus dem Nichts hochgearbeitet – und hat vielleicht immer noch Dreck unter den Nägeln. Und die andere, der mütterliche Typ, sieht aus wie ein süßes scheues Reh, das um Schutz bittet – während sie in Wahrheit ihre Umgebung brutal manipuliert … Hast du übrigens ihren kleinen Sohn kennengelernt? Ich wette, der Knirps kann es durchaus mit seiner Mama aufnehmen. Atilia hat große Pläne mit ihm. Sie wird alles daransetzen, ihn, sowie er alt genug ist, für den Senat aufstellen zu lassen.«
Für eine Familie mit genügend Ehrgeiz und Mitteln, ein Kind zu fördern, konnte ich mir höhere Ziele vorstellen als einen Sitz im Senat, doch es wäre taktlos gewesen, das einer Senatorentochter gegenüber zu äußern. »Aber sie ist eine wunderbare Mutter!« neckte ich unüberlegt und nicht minder taktlos.
»Viele von uns könnten wunderbare Mütter sein!«
Noch bevor das aus ihr herausbrach, hatte ich sie stürmisch in die Arme geschlossen. »Du wirst ein Kind haben!« Wir hatten nie darüber gesprochen; es hatte sich bisher nicht ergeben. Ich hatte mir eingebildet, froh zu sein, daß ich mich um die Aussprache drücken konnte, doch jetzt ließ ich eine eindringliche, wohlvorbereitete Rede vom Stapel. »Liebste, wir waren beide noch nicht soweit. Daß wir das Baby verloren haben, war vielleicht das beste für das arme Würmchen …« Helena bäumte sich zornig auf. Ich spürte, daß ihre Stimmung nichts Gutes verhieß, war aber nicht bereit, das Mädchen sitzenzulassen und davonzulaufen, bloß weil sie das erwartete. »Nein, hör mir doch erst mal zu. Helena, ich vertraue ja sonst auf nichts und niemand, aber wir müssen jetzt einen Weg finden, um überhaupt Zusammensein zu können. Laß uns das erst einmal genießen – und wenn es dann soweit ist, werden wir eine neue Generation genauso drolliger Käuze in die Welt setzen, wie du und ich es sind.«
»Vielleicht will ich’s dann gar nicht mehr …«
»Ich krieg dich schon rum …«
»Marcus, ich mag noch nicht daran denken. Ich muß erst einmal mit dem, was passiert ist, zu Rande kommen!«
»Ich weiß ja …« Ich hatte Angst, ich würde sie für immer verlieren, wenn sie mich jetzt außen vor ließ. Das machte mich richtig wütend. »Du darfst dich jetzt nicht abkapseln – und denk bloß nicht, an mir wäre alles spurlos vorübergegangen!«
»Oh, du und dein oller Republikanerkodex!« flüsterte Helena, während sie mich in einem ihrer impulsiven Stimmungsumschwünge plötzlich abküßte. »Hör auf, so vernünftig daherzureden …« Ich schwieg. »Didius Falco, irgendwer sollte dir mal erklären, daß Detektive zäh sind, harte Männer, die ein armseliges, gefährliches Leben führen, und wenn sie wieder mal mit einem blauen Auge davongekommen sind, sausen sie auf schnellstem Wege zurück in ihre miese kleine Welt …«
»Falsch. Ein Privatermittler ist nur ein fauler Schlaffi. Jede Frau mit anständigen Schuhen an den Füßen kann auf ihm rumtrampeln.« Dabei fiel mir was ein. »Trotzdem habe ich nicht die Absicht, mich von den Hortensius-Weibern auf einem Gartenweg zertreten zu lassen. Du hättest also gar nicht das Terrain auszukundschaften brauchen. Liebes, ich kann auf mich selbst aufpassen …« Das konnte ich ganz bestimmt. Mein Problem war, auf Helena aufzupassen. »Also, tu mir einen Gefallen und misch dich nicht weiter ein.«
»Nein, Marcus«, versprach sie und guckte dabei so lammfromm, daß ich wußte, es war geflunkert.
»Oder erzähl mir wenigstens hinterher nicht, was du wieder angestellt hast!« Sie sah mich unverwandt an. »Um mich brauchst du dich wirklich nicht zu sorgen. Diese zwei Frauen im Hause Hortensius, die sind doch nur Gesindel. Und überhaupt, mit dir kann keine konkurrieren. Außerdem gibt’s bei mir eine eiserne Regel, die lautet: Schlafe nie mit einer Klientin.«
»Und? Hast du die schon mal gebrochen?«
»Einmal, ja.«
Ich grinste sie blöde an. Sie antwortete mit einem nervösen Lächeln. Ich zog ihren Kopf auf meine Schulter herab und hielt sie ganz fest.
Die Kolonnade, in die wir uns verzogen hatten, lag sehr verschwiegen. Ich blieb reglos sitzen, Helena im Arm. Ich war entspannt und mehr zu Zärtlichkeiten aufgelegt, als ich’s mir normalerweise gestatte. Sie wirkte bedrückt; ich strich ihr übers Haar, was die traurige Miene verscheuchte und mich wiederum ermutigte, meine Hand weiterschweifen zu lassen, für den Fall, daß da noch andere Verspannungen der Behandlung bedurften …
»Marcus!« Ich beschloß, weiterzumachen. Ihre seidenweiche Haut schien im Bad eigens dafür eingeölt worden zu sein, eine Hand anzulocken, die das zu schätzen wußte. »Marcus, du machst es uns beiden unerträglich …« Um ihr zu beweisen, daß ich so zäh war, wie sie’s zuvor behauptet hatte, hörte ich tatsächlich auf.
Nicht lange danach verabschiedete ich mich; es wäre peinlich geworden, noch länger das klirrende Tafelsilber zu überhören, welches anzeigte, daß ihre Eltern schon bei Tisch saßen. Helena lud mich ein, mitzuessen, aber ich wollte nicht, daß sie oder ihre Eltern (besonders ihre Mutter) mich für einen dieser Schmarotzer hielten, die immer zur Essenszeit auftauchten.
Als ich auf die Straße trat, wandte ich mich, noch ganz in Gedanken, Richtung Norden. Manch ein Privatermittler tut so, als ließen, wo er geht und steht, hinreißend schöne Frauen ihre spärlichen Hüllen fallen, um schwupps, mit ihm ins Bett zu steigen. Ich redete mir ein, daß mir das nur deshalb so selten passierte, weil der Typ Mädchen, dem ich gefiel, eben viel wählerischer sei.
Na ja, früher hatte ich ihr jedenfalls gefallen.