II

Kastilien

»Der König und die Königin waren sich zusammen mit dem Kronrat

darüber einig, dass der Zwiespalt zwischen den beiden maurischen

Königen die Eroberung Granadas bedingte (…).«

Isabella und Fernando in einem Erlass

  

Es war überraschend leicht, Granada zu verlassen. Die Stadt befand sich inzwischen völlig in der Gewalt Muhammads und der Banu Sarraj, und obwohl einige die verhasste Favoritin des alten Emirs erkannten und ihr Flüche nachriefen, sorgte die Eskorte, die Muhammad Isabel und ihrer Tochter mitgegeben hatte, dafür, dass man sie passieren ließ, ohne sie anzurühren.

Layla registrierte weder die gelegentlichen Verwünschungen noch das Eingreifen der Eskorte; sie empfand auch nicht den Abschied von der einzigen Heimat, die sie je gekannt hatte. Ihr allmählich wieder erwachendes Wahrnehmungsvermögen beschäftigte sich mit dem Zustand ihrer Mutter, um nicht ständig an Tariq denken zu müssen. Die völlige Apathie, in die Isabel versunken war, hätte ihre Tochter unter anderen Umständen verstört; so hatte Layla nur festgestellt, dass man Isabel das Haar kämmen, sie ankleiden, sie führen musste. Sogar um sie auf ihr Pferd zu heben, war ein Mann aus der Eskorte notwendig gewesen.

Sich um eine Mutter zu kümmern, die so unselbstständig wie ein Kleinkind geworden zu sein schien, zog Layla in jedem Fall dem tückischen Kreis vor, in dem sich ihre Gedanken wieder und wieder drehten: Es war alles ihre Schuld. Hätten ihre Mutter und al Zaghal Erfolg gehabt, dann wäre Tariq nicht gestorben. Hätte sie selbst nicht einer völlig lächerlichen Schwäche nachgegeben, dann lebte Tariq noch.

Sie würgte, als sie an Tariqs fassungslosen Blick, an seinen aufgerissenen Mund dachte, und erkannte entsetzt, dass die schützende Taubheit sie nun verlassen hatte. Verzweifelt heftete sie den Blick auf ihre Mutter.

Die Eskorte, die Muhammad ihnen mitgegeben hatte, verließ sie, sobald die Stadt außer Sichtweite war, was Layla nicht weiter wunderte. Keiner von ihnen hatte wohl den Mut, ihrem Vater gegenüberzutreten.

»Wir sind bestimmt bald in Alexares«, sagte sie zu ihrer Mutter, obwohl sie keine Antwort erwartete; es kam ihr nur darauf an, die Stille zu durchbrechen. Doch Isabels Kopf fuhr hoch, und sie starrte ihre Tochter an wie eine Schlafwandlerin, die man aufgeweckt hatte.

»Wir reiten nicht nach Alexares«, entgegnete sie hart.

Fatima bemühte sich, ihren Maulesel im Zaum zu halten, und hörte sie nicht; Layla war sich nicht sicher, was sie selbst gehört hatte. Mit einem Mal entdeckte sie, dass es doch noch etwas zu fürchten gab: Ihre Mutter könnte den Verstand verloren haben.

»Aber Mutter«, sagte Layla in einem beschwichtigenden Tonfall, »Vater ist in Alexares. Und sobald er…«

Isabel saß sehr aufrecht auf ihrer Stute und ihr Mund verzog sich in tiefster Verachtung und bitterem Hass. »Wir gehen nicht zu deinem Vater«, antwortete sie. »Ich will weder ihn noch den Rest dieser Mörder jemals wiedersehen.«

Layla hatte gedacht, sobald sie die Stadt hinter sich gelassen hätten, würde es besser, aber sie fühlte sich immer noch in einem Albtraum gefangen. Nun war sie es selbst, die reglos auf dem Pferd saß und sich nicht rühren konnte, während ihre Mutter weitersprach, weder an Layla noch an Fatima gewandt.

»Wir sind also sicher, Ali? Du wirst dafür sorgen, dass mir und meinen Kindern nie etwas geschieht? Oh, und Muhammad würde doch nie etwas Gewalttätiges tun? Die Feuer der Hölle sind noch zu gut für dich.«

Sie beschleunigte ihren Ritt ein wenig, bis sie merkte, dass ihre Tochter zurückblieb.

»Layla, beeile dich«, rief sie ihr ungeduldig zu.

»Aber wohin reiten wir?«

Der Wind verwehte Isabels Stimme bereits. »Nach Hause. Nach Kastilien.«

Fatima war die Einzige, die daran gedacht hatte, etwas Geld mitzunehmen, aber mit einer Reise über die Grenze hatte sie nicht gerechnet. In der nächsten Ortschaft verkaufte Isabel ihre Ringe. Nachdem sie sich mit Proviant ausgerüstet hatten, befahl sie Fatima, in diesem Dorf zu bleiben. Und Fatima, die Geschichten über die Ungläubigen vor Augen, gehorchte nicht ungern. Sie weinte etwas, als sie sich von Isabel und Layla verabschiedete, aber Layla machten ihre Tränen eher zornig, und als sie einen Blick auf ihre Mutter warf, erkannte sie, dass es dieser genauso erging.

Keine von ihnen beiden hatte bisher um Tariq weinen können.

Doch Layla begriff bald, dass ihre Mutter etwas gefunden hatte, was ihrem Leben einen neuen Sinn gab. Es war nicht nur das Offensichtliche, der Hass, der sich in ihrem Fall auf die gesamte Familie der Banu Nasr ausdehnte, einschließlich Abul Hassan Alis. Wenn sie darüber nachdachte, was sich nicht vermeiden ließ, war Layla außerdem sicher, dass sie ebenfalls von ihrer Mutter gehasst wurde. Es war nur gerecht. Sie hasste sich selbst.

Was Isabel jedoch außer dem Hass in sich gefunden hatte, kam für ihre Tochter völlig überraschend. Sie weigerte sich, mit Layla arabisch zu sprechen, und setzte ihre ganze ungeheure Willenskraft daran, das Mädchen in eine Kastilierin zu verwandeln. Für Layla blieb es ein Rätsel, ob dieser Entschluss ihrer Mutter auch als Strafe für die Banu Nasr gedacht war, oder ob Isabel an ihr ihr eigenes Leben wiederholen und umkehren wollte.

Sobald sie die Grenze überquert hatten, tauschte Isabel in einem Dorf ihre Gewänder gegen einige Bauernkleider. Der Schmutz und die Abgenutztheit waren ihr gleichgültig; sie wollte nicht, dass sie und ihre Tochter irgendetwas aus Granada am Leib trugen. Für Layla jedoch waren der Dreck und die unbequeme Enge dieser Kleider furchtbar, aber das fiel ihr erst nach einiger Zeit wirklich auf, denn das Leben schien nur noch aus endlosen, zermürbenden Ritten und unerbittlichen Nächten voller Erinnerungen zu bestehen. Dennoch war sie geistesgegenwärtig genug gewesen, ein Stück aus Granada zu verstecken und bei sich zu behalten: den kleinen Silberring, den sie zu ihrem letzten Geburtstag bekommen hatte.

Als kleines Kind hatte sie sich immer gefragt, was jenseits der Berge wohl wartete; es wunderte Layla nicht weiter, dass es eine Landschaft geschaffen aus Alpträumen war, umso quälender, weil sie Granada so sehr ähnelte. Doch erst als sie vor dem Kastell der de Solis stand, wurde ihr die Ungeheuerlichkeit der ganzen Reise bewusst. Wie hatte ihre Mutter es fertig gebracht, diesen Ort wiederzufinden, den sie doch in ihrer Kindheit verlassen hatte? Und was tat sie, Layla, eigentlich hier, in diesem Land voller schmutziger und halb verhungerter Menschen?

Ich sollte in Alexares sein, dachte Layla verwirrt. Etwas von ihrer Eigenwilligkeit kehrte zurück, wurde aber rasch wieder unterdrückt, denn mittlerweile war sie so weit gekommen, alles, was nach Tariqs Tod geschah, als Buße anzusehen. Erst als sie vor den alten Mann geführt wurden, der anscheinend der Vater ihrer Mutter war, ließ sich die rebellische Flamme nicht mehr ersticken.

Die Wachen hatten Isabel selbstverständlich zuerst nicht geglaubt, aber sie hatte die Männer überredet, ihr wenigstens die Gelegenheit zu geben, den Don zu sehen. Layla, die sich ihrer früheren Neugier auf die Vergangenheit ihrer Mutter besann, fand den großen, hageren Mann, der auf sie wartete, hochmütiger als Iblis. Als er sie erblickte, überzog Ekel seine Miene.

Aber es war deutlich, dass er ihre Mutter erkannte.

»Ja«, sagte er mit rauer Stimme. »Das ist meine Tochter Isabel.« Die Wachen zogen sich zurück und ließen ihren Herrn mit seinen Gästen allein. Layla, die der alte Mann nach seiner ersten Reaktion keines Blickes mehr würdigte, stellte fest, dass die Halle nach ungelüfteten Kleidern und den Abfällen roch, die man hier anscheinend den allgegenwärtigen Hunden vorwarf.

Sie schaute sich um, und der Eindruck, hier in ein kaum aufgeputztes Schlachthaus geraten zu sein, verstärkte sich. Überall waren Fettspritzer, und die Fackeln, die in den Haltern an den Wänden steckten, um den Raum zu erleuchten, qualmten. Sie hatte das Bedürfnis zu husten, unterdrückte es jedoch und konzentrierte sich darauf, ihre Mutter und den alten Mann zu beobachten, die sich unverwandt musterten, ohne sich zu rühren.

»Du bist also wieder da«, sagte er nach einer Weile. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich je wiedersehen würde.«

Layla wartete vergeblich auf ein Zeichen von Wärme, darauf, dass er ihre Mutter umarmte; immerhin handelte es sich um seine einzige, lange verlorene Tochter. Stattdessen goss Don Sancho de Solis sich noch etwas von dem Getränk ein, das in dem irdenen Krug neben ihm stand. Es wurde Layla bewusst, dass es sich wahrscheinlich um Wein handelte, und sie wäre beinahe zusammengezuckt, bis ihr einfiel, dass die Christen das Verbot von berauschenden Getränken genau wie die übrigen Mahnungen des Propheten ignorierten.

Die Christen.

Sie erinnerte sich an die Verwünschungen der Granader. Christin, Christenbalg. Ihr ganzes Leben lang hatte man sie zu diesen Menschen, die ihr jetzt so fremd erschienen, gerechnet.

»Hat der Maure dich fortgeschickt?«, fragte Don Sancho unterdessen.

»Nein«, erwiderte Isabel in dem gleichen hochmütigen Ton.

»Ich bin gegangen.«

»Es war eine entsetzliche Schande, als ich hörte, dass meine Tochter die Lieblingskonkubine eines Heiden ist«, entgegnete er und nickte dabei mit dem Kopf.

»Ihr habt es offenbar überlebt«, gab sie zurück. »Genau wie ich.

Nicht dank Eurer Hilfe. Und jetzt erwarte ich, dass Ihr mir das gebt, was Ihr mir seit Jahren schuldet.«

Er trank noch etwas von seinem Wein. »Also gut«, sagte er schließlich. »Du kannst hier wohnen. Und wer ist das?«

Sie legte eine Hand auf die Schulter ihrer Tochter. »Eure Enkelin. Layla.«

»Kein anständiger Christenmensch hat so einen Namen«, meinte er missbilligend und schaute erneut auf das Mädchen. »Du musst dafür sorgen, dass sie einen christlichen Namen bekommt.«

Layla konnte sich nicht länger zurückhalten. »Es ist mein Name«, stieß sie wütend hervor, »und wenn er Euch nicht gefällt, dann ist das Euer Pech, alter Mann!«

So sprach man nicht mit einem Älteren, das wusste sie, weder bei Moslems noch bei Christen, doch er ignorierte es. Er wandte sich wieder ihrer Mutter zu. »Sie hat einen furchtbaren heidnischen Akzent, Isabel«, sagte er kopfschüttelnd.

In den folgenden Tagen, die sich entsetzlich langsam zu Wochen dehnten, fand Layla heraus, dass sie Kastilien und ganz besonders die Burg verabscheute. Es war nicht nur der allgegenwärtige Dreck und der entsetzliche Gestank, es waren die Blicke der Bediensteten und Soldaten, das Getuschel über ihre Mutter und sie, das schlimmer war als in Granada, denn hier hatte sie noch nicht einmal einen Schleier, um sich vor den neugierigen Augen zu schützen. Mit unbedecktem Haar und Gesicht vor feindseligen Fremden herumzulaufen, gab ihr ein Gefühl der Wehrlosigkeit, das sie hasste. Aber am entsetzlichsten war der Katechismusunterricht und der neue Name: der Zwang, eine Christin zu werden. Ein einziges Mal versuchte sie, in den Schutzpanzer einzudringen, mit dem sich ihre Mutter seit Tariqs Tod umgab. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und sprach mit Isabel.

»Mutter«, platzte das Mädchen heraus, »es ist furchtbar hier! Bitte lass uns zurückkehren, bitte!«

Isabel sah fremd aus in den seltsam geschnittenen Kleidern, die sie jetzt trug, aber noch fremder - obwohl mittlerweile schon fast vertraut - war ihr steinerner Gesichtsausdruck. Layla geriet ins Stottern.

»Bitte, ich will keinen christlichen Namen, ich will keine… keine Christin werden!«

Ihre Mutter sagte noch immer nichts.

»Ich will nach Hause«, flüsterte Layla schließlich. Isabel beugte sich vor, packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Jetzt höre genau zu«, sagte sie kalt und präzise. »Das war niemals dein Heim und wird es nie wieder sein. Was deinen Vater betrifft, glaubst du wirklich, ihm liegt etwas an dir? An einer Tochter? Ihm hat noch nicht einmal an seinem Sohn etwas gelegen.«

Das ist nicht wahr, wollte Layla sagen, aber sie brachte keinen Ton heraus. Ihre Mutter sprach weiter und zum ersten Mal zeigte sie Trauer.

»Oh, ich verstehe dich, glaub mir, ich weiß, wie furchtbar es für dich ist, deinen Namen und deine Vergangenheit aufzugeben. Aber du wirst es überleben. Und denk immer daran, das bin nicht ich, die dir das antut. Sie sind es. Alle.«

Layla schaute sie an. Die Zwillinge hatten Isabel beinahe vergöttert, und das war kein Wunder gewesen, denn sie war für ihre Kinder die beste aller vorstellbaren Mütter gewesen. Und Laylas Hass auf Alscha, Ali al Atar und Muhammad wurde noch größer, denn das Wesen, das sie aus ihrer Mutter gemacht hatten, konnte sie kaum mehr ertragen.

Es war noch keinen Monat her, da hatte sie noch nicht einmal gewusst, was Einsamkeit bedeutete. Doch auf der Burg der de Solis nahe bei Sevilla hatte Layla ausgiebig Gelegenheit dazu, sie kennen zu lernen. Tariq war fort, unwiderruflich fort, auch wenn sie jeden Morgen aufwachte und es nicht glauben konnte.

All ihre Streitereien, all ihre Geheimnisse und Abenteuer und alles, was sie ihm nicht gesagt hatte, summierte sich schließlich zu einem einzigen Satz: Sie war am Leben und Tariq war tot.

Und das war unerträglich.

Was die Taufe anging, gestaltete sich ihre Abwehr nicht so verzweifelt, wie sie hätte sein können, denn sie wusste, dass Gott ihr nicht helfen würde, so wenig, wie er Tariq geholfen hatte.

Gleichgültig wessen Gott.

Außerdem war der Priester, der Layla unterrichtete, der Einzige, der sich die Mühe machte, ihr etwas von der Welt außerhalb der Burg zu erzählen. Durch ihn erfuhr sie, dass Granada nun geteilt war zwischen Muhammad, der die Hauptstadt beherrschte, und ihrem Vater, der jetzt bei al Zaghal in Malaga residierte.

Nach einer vergeblichen Attacke auf die Hauptstadt hatte er sich entschieden, die Alhambra vorläufig Muhammad zu überlassen und all seine Kräfte auf den Krieg gegen die Christen zu konzentrieren.

Der König von Aragon, Fernando, hoffte, soviel entnahm Layla Pater Alvaros Berichten, den Erfolg von Alhama wiederholen zu können, und marschierte gegen Loja, aber diesmal war Abul Hassan Ali vorbereitet; es gelang ihrem Vater, die Stadt zu verteidigen und Fernando zum Rückzug zu zwingen.

»Es scheint«, fügte Pater Alvaro mit leichtem Groll hinzu, obwohl er sich sonst hütete, bei seinen Bekehrungsversuchen ausfällig zu werden, »dass die Mauren, so zerstritten sie auch sind, sich einigen können, wenn es gegen die Sache der Christenheit geht. Man berichtet, dass der Kommandant von Loja der Schwiegervater des jungen Emirs und ein erbitterter Feind des alten Emirs sein soll, und dennoch eilte der Fürst, dein Vater, ihm zu Hilfe.«

Laylas Mund war plötzlich trocken. »Der Kommandant von Loja war Ali al Atar?« Pater Alvaros Miene erhellte sich. »So lautete der Name, richtig. Du musst mir vergeben, meine Tochter, aber all diese maurischen Namen fallen meiner Zunge ein wenig schwer.«

Inzwischen war es Sommer geworden, und die schweren, unbequemen Gewänder klebten an ihr und kratzten sie, als sie in den Raum eilte, den der alte Mann ihr zur Verfügung gestellt hatte.

Sie stolperte ein paar Mal und schlug sich das Knie auf, ohne es zu spüren. Was Layla antrieb, war der brennende Wunsch, endlich jemanden für alles bezahlen zu lassen, was sie verloren hatte. Und offenbar war sie die Einzige, die Tariqs Tod an den Schuldigen rächen wollte; ihr Vater rettete Tariqs Mörder, und ihre Mutter rächte sich auf eine unbegreifliche Weise an Layla.

In den letzten Wochen hatte sich in Layla eine Idee geformt, erst vage, dann immer deutlicher; es war ein Strohhalm, völlig verrückt noch dazu, aber mittlerweile war sie so verzweifelt, dass sie irgendetwas tun musste, und sei es auch etwas Wahnsinniges.

Sie schlug die schwere Tür zu und drehte den Schlüssel um. Ein Teil von ihr empfand flüchtig Dankbarkeit für die vielen Türen in christlichen Burgen, die einem das Alleinsein sicherten.

Doch der Gedanke verflog sofort; alles in ihr war auf die Verwirklichung ihres Planes gerichtet.

Vorsichtig legte sie ihren Ring, das Einzige, das sie noch aus der Alhambra besaß, auf den Boden und zeichnete ein Pentagramm um den Reif, wie Salomon, den Allah zum Herrn über die Dschinn gemacht hatte, es in den Legenden getan hatte. Danach schnitt sie sich mit dem Messer, das sie seit ihrer Ankunft in der Burg immer bei sich trug, eine Haarsträhne ab und schlang sie zu einem Knoten.

Das Übel der Nacht… Zauberinnen, die auf Knoten blasen… Glaubst du noch an Märchen?, konnte sie in sich eine höhnische Stimme wispern hören. Glaubst du noch daran?

Sie verdrängte die Stimme. Verbissen versuchte sie, sich an den Wortlaut aus den Geschichten zu erinnern. Als sie sprach, gelang es ihr nur mit Mühe, nicht zu schreien. »Im Namen Allahs, der alle Geister erschaffen hat, im Namen Salomons, der sie beherrscht - komm und hilf mir!«

Und sie blies.

Etwas schien den Atem aus ihr herauszusaugen, immer stärker, immer stärker, etwas trieb ihr Staub in die Augen und brachte sie zum Tränen, etwas schüttelte sie, bis sie zu Boden sank, ein rauschendes Pochen in ihren Ohren.

»Gut«, sagte eine Stimme ein wenig spöttisch, aber freundlich.

»Noch ein paar Monate, und du wärst zu alt dafür gewesen, Layla.«

Die Stimme kam ihr bekannt vor. Mühsam hob sie den Kopf.

Vor ihr stand ein großer dunkelhaariger Mann, der arabische Kleidung trug, aber weder den Tailasan noch den Bart, zu dem ihn sein Alter von etwa dreißig Jahren eigentlich verpflichtet hätte. Er beobachtete sie belustigt.

Layla rutschte an die Wand und richtete sich langsam auf.

»Im Namen Salomons…«, begann sie wieder mit zitternder Stimme.

Er lachte.

»Ich ehre Salomons Namen, aber ich bin kein Dschinn, Layla. Du hast nicht nach einem Dschinn gerufen. Ich denke, du weißt, wer ich bin.«

Sein Lachen war ihr vertraut. Sie hatte es in einem Traum gehört, in der Halle der Botschafter und in einem Garten, vor so langer Zeit, dass es in einem anderen Leben gewesen zu sein schien. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, um das Beben zu unterdrücken und die Beherrschung wiederzufinden. Es war ihr gelungen. Es war ihr tatsächlich gelungen. Einige Geschichten entsprachen also doch der Wahrheit. Warum dann diese unsinnige Angst? Schließlich war sie jenseits aller Furcht.

»Jusuf ben Ismail«, flüsterte sie schließlich.

»Josef ha Levi«, erwiderte er. »Ich trug beide Namen. Wie deine Mutter oder du. Deswegen konnte ich zu dir kommen… Lucia.«

Diesen Namen hatten sie ihr für die Taufe ausgesucht. »Das ist nicht mein Name«, presste sie hervor. Er achtete nicht darauf.

Er hob seine Arme, starrte seine Hände verwundert an. Dann warf er den Kopf zurück und lachte wiederum.

»Ein Körper«, rief er und schüttelte sein Haar, das zu lang für das eines Arabers war. »Nach vierhundert Jahren wieder ein Körper!«

»Vierhundert Jahre?«, wiederholte Layla.

»Vierhundertachtundzwanzig Jahre und sieben Monate. Seit ich menschlich war.«

Er näherte sich ihr und sie zwang sich, nicht zurückzuweichen.

Einen Schritt von ihr entfernt blieb er stehen. Sie hätte seinen Atem spüren müssen, aber er atmete nicht. Erst da verstand sie, dass er wirklich war und nicht etwa ein Soldat oder ein Diener, der sie belauscht hatte und sich einen Scherz mit ihr erlaubte.

»Und so ist es ein kleines Halbblut«, sagte er amüsiert, »das mich zurückbringt.«

Die gönnerhafte Art, in der er mit ihr sprach, begann Layla an den alten Mann zu erinnern, der jetzt wahrscheinlich vor einem der rußigen Kamine Wein trank, und, Geist oder nicht, Fluch oder nicht, sie war nicht gewillt, sich das gefallen zu lassen.

»Jusuf ben Ismail«, sagte sie und benutzte absichtlich seinen arabischen Namen, »mir ist gleichgültig, ob du einen Körper hast. Kannst du mir bei meiner Rache helfen oder übersteigt das deine Kräfte?«

Einen Moment lang wirkte er verblüfft. Er musterte sie, als hätte sie sich in einen Dschinn verwandelt. Dabei fiel ihr auf, dass seine Augen von einem unglaublichen hellen Grau waren. Ihr war kalt, und ihre Haare sträubten sich, aber sie erwiderte seinen Blick, ohne die Lider zu senken. »Ein Handel«, sagte er plötzlich. »Ich schlage dir einen Handel vor, kleines Mädchen.«

»Ich bin kein kleines Mädchen mehr.«

Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich werde dir helfen.«

Ihr alter Freund, die Furcht, begann sich allmählich wieder bei Layla zu melden. In den Märchen befahl man Geistern einfach im Namen Salomons und sie gehorchten. Aber man verhandelte nicht mit ihnen. Zumindest nicht in den arabischen Geschichten. In den Monaten ihres Exils hatte sie Gelegenheit gehabt, andere Geschichten zu hören.

»Was willst du dafür von mir?«, fragte sie misstrauisch. Sein Lächeln vertiefte sich.

»Nicht mehr, als du mir schon gegeben hast, Layla. All die Jahre konnte ich euch sehen und hören, ich war überall und nirgends, aber ich hatte keinen Körper, ich konnte nicht mit den Sterblichen sprechen, nichts tun. Es ist deine Lebenskraft, die mir diese Gestalt verliehen hat. Gib mir davon, wann immer ich sie brauche, und ich werde tun, was du dir wünschst.«

Er hatte »Lebenskraft« gesagt, nicht »Seele«. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, was machte das schon? Wofür sonst sollte sie wohl ihre Seele geben?

Sie räusperte sich. »Ich bin einverstanden.«

Er berührte ihre Hand. Seine war kalt, eiskalt, doch sie hielt der Berührung stand. Dann klopfte es und er war verschwunden.

Einfach so, von einem Wimpernschlag auf den nächsten, und Layla fragte sich, ob nicht ihre Mutter, sondern sie selbst den Verstand verloren hatte.

Don Sancho de Solis hatte beschlossen, Layla eine Duena zu besorgen, die sie erziehen und ihr den nötigen Schliff geben sollte. Dass er nicht etwa aus großväterlicher Fürsorge handelte, machte er mehr als deutlich. »Je eher ich sie bei Hof vorstellen und verheiraten kann, desto besser«, sagte er über die mit Fett- und Weinflecken verunzierte Tafel hinweg, während seine Enkelin ihn feindselig anstarrte. »Aber niemand nimmt ein Halbblut, das hässlich ist und keine Manieren hat.«

»Meine Manieren«, entgegnete Layla aufgebracht, »sind die einer Sejidah vom Geschlecht der Banu Nasr, und sie sind noch viel zu gut für diesen… Froschtümpel!«

Der alte Mann nickte einem seiner Freunde zu, der an diesem Abend bei ihm speiste. »Siehst du, was ich meine, Carlos? Unmöglich.«

Insgeheim gestand Layla sich ein, dass sie sich längst nicht mehr wie eine Sejidah vom Geschlecht der Banu Nasr benahm; die Zurückhaltung, die sanfte Sprechweise, die Ehrfurcht gegenüber Älteren, die all ihre Erzieher ihr versucht hatten beizubringen, waren wohl endgültig verloren, falls sie je vorhanden gewesen waren. Doch sie tröstete sich damit, dass es die Schuld dieses grässlichen alten Mannes war. Sie lag auf der Strohmatratze, die er als Bett bezeichnete, starrte in die Dunkelheit und stellte sich vor, wie Don Sancho Ximenes de Solis samt seiner Burg und dem ganzen restlichen Kastilien in einem göttlichen Feuerregen unterging wie Sodom und Gomorrha.

»Wenn du nicht so fest entschlossen wärst, das ganze Land zu hassen«, sagte Jusuf ben Ismail, »dann könntest du hier Dinge finden, die dir gefallen, kleine Katze.«

Falls er sie hatte erschrecken wollen, dann war ihm das gelungen. Entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen, setzte Layla sich auf, zum ersten Mal dankbar für das leinene Nachtgewand, das sie von Kopf bis Fuß bedeckte. Er saß mit gekreuzten Armen auf einem Schemel. Sein Äußeres hatte sich nicht verändert.

»Was gibt es hier schon?«, fragte sie mürrisch. »Noch nicht einmal Bäder. Wenn ich mir nicht jeden Morgen kaltes Wasser vom Fluss besorgen würde, müsste ich im Dreck ersticken.«

Ein guter Christ, hatte man ihr mitgeteilt, als sie das erste Mal nach einem Bad fragte, brauche sich in der Regel nur dreimal im Leben zu waschen - bei der Taufe, vor seiner Hochzeit und vor seiner Beerdigung. Alles Weitere sei Luxus, und Don Sancho halte nichts von Luxus. Seither ging Layla täglich mehrmals mit zusammengebissenen Zähnen und zwei Eimern zum Fluss.

»Eine Welt«, entgegnete Jusuf in einem belehrenden Tonfall, den sie aufreizend fand, »hat mehr zu bieten als nur Bäder. Warte, bis du Sevilla siehst. Es ist eine wunderschöne Stadt.«

»Natürlich. Sie wurde zum größten Teil von Arabern gebaut«, gab sie zurück. Das brachte ihn zum Lachen.

»Ah, Lucia, Lucia, du würdest eine wunderbare Christin abgeben. Du bist genauso stur und engstirnig. Deswegen war ich froh, ein Jude zu sein. Wir mussten seit Jahrhunderten mit euch zusammenleben und hatten Übung darin, immer beide Seiten einer Münze zu sehen.«

Layla fiel auf, dass er von sich immer in der Vergangenheit sprach. »Bist du kein Jude mehr?«, erkundigte sie sich neugierig.

»Ich bin kein Mensch mehr. Bei meinem Tod hatte ich eine Wahl. Ich entschied mich zu bleiben und wurde… etwas anderes.«

Sie versuchte, ihn in der Dunkelheit deutlicher zu erkennen.

»Was?«

Seine Stimme klang trotz ihrer Sanftheit bedrohlich. »Ich glaube nicht, dass du das wirklich wissen willst, kleines Mädchen.«

Diesmal protestierte sie nicht gegen die Anrede. Aber er sollte nicht glauben, er hätte sie eingeschüchtert.

»Hast du inzwischen etwas gegen… sie unternommen?«, fragte sie streng. Er stand von seinem Schemel auf und setzte sich ohne weiteres zu ihr auf die Bettkante.

»Du hast mir noch nicht mitgeteilt, welche Art von Rache du dir wünschst, Layla.«

Sie hatte ausreichend Zeit gehabt, sich das zu überlegen. »Ich möchte Ali al Atar tot sehen«, sagte Layla mit mühsam beherrschter Stimme, »und ich möchte, dass Alscha erlebt, wie Muhammad jede Hoffnung auf den Thron von Granada verliert. Das wird für sie schlimmer als der Tod sein.«

»Ich verstehe«, sagte der Mann, der selbst seit vierhundert Jahren tot war, ruhig. »Und Muhammad?«

»Er soll in der Verbannung sterben, weit weg von Granada, ohne Familie und Freunde. Allein.«

»Hmmmm.« Seine Hand streifte ihr Haar. Sie rührte sich nicht.

»Kannst du das bewerkstelligen, Jusuf?«

Lachen, wie ein Windhauch, und wieder eisige Kälte. »Es ist nicht so einfach, wie du es dir vorstellst, mein Kind. Mir sind Grenzen gesetzt. Beispielsweise kann ich Ali al Atar nur dann töten, wenn er sich selbst in Todesgefahr begibt. Aber das wird er. Warte nur ab. Warte es ab.«

Er war wieder fort. Layla legte sich auf ihren Strohsack, zog die flohverseuchte Decke über sich und versuchte, ein wenig Wärme zu finden. Möglich, dass sie sich alles nur einbildete, dass sie die Grenze zum Wahnsinn endgültig überschritten hatte, aber das war ihr gleichgültig.

Laylas Duena, eine von Don Sanchos ärmeren Verwandten, die weder einen Gemahl noch ein Kloster gefunden hatte, das sie ohne Mitgift aufnahm, traf bald darauf ein. Layla war darauf vorbereitet, auch sie zu hassen, bis sie bemerkte, wie der Don sie behandelte. Nachdem er sie über ihre Pflichten belehrt hatte, sprach er genauso über ihren Kopf hinweg, wie er es bei Layla tat, und machte sich noch nicht einmal die Mühe, ihr von einem Bediensteten das Zimmer zeigen zu lassen, in dem sie nun gemeinsam schlafen würden, eine Aussicht, welche die Abneigung des Mädchens noch gefestigt hatte. Doch als sie die taubengraue, erschöpfte Frau mit ihren schäbigen Kleidern in der Halle stehen sah, hatte Layla Mitleid mit ihr.

Sie lief die Treppe hinunter, auf der sie sich versteckt hatte, und begrüßte den Neuankömmling. »Doña Maria, ich bin Eure Schülerin. Gestattet mir, Euch zu unserer Kammer zu führen.«

Kammer, dachte Layla insgeheim, war das richtige Wort. In der Alhambra waren die Falken großzügiger untergebracht, und mit zwei Bewohnern würde es noch enger werden. Als sie Doña Maria jedoch aus der Nähe sah, zuckte sie zusammen. Die Duena hatte die gleiche Stupsnase und die Grübchen, die Tariq gehabt hatte. Ihre Haare konnte Layla nicht sehen, da sie wie bei allen Frauen über zwanzig von einer Haube bedeckt waren.

Doña Maria lächelte ein wenig verwirrt.

»Ich danke Euch, mein Kind.«

Wie sich herausstellte, hatte Laylas Großvater ihr noch nicht einmal ein Gehalt versprochen, nur die Gnade, unter seinem Dach wohnen zu dürfen. Sie erkundigte sich schüchtern nach Isabel.

»Sie ist krank«, sagte Layla kurz, während sie gemeinsam Doña Marias wenige Habseligkeiten in die Kammer schafften.

In Wahrheit hatte sich Isabel seit der Taufe ihrer Tochter mehr und mehr in einen Zustand wortloser Starre zurückgezogen, wie sie es schon unmittelbar nach Tariqs Tod getan hatte. Sie verließ ihr Gemach kaum mehr und sprach zu niemandem. Einmal am Tag besuchte Layla sie, wusch sie, da die neue Zofe für solche einfachen Notwendigkeiten nicht mehr Sinn hatte als der Rest der Christen, bürstete ihre Haare und redete ein wenig mit ihr. Sie wusste nicht, ob ihre Mutter ihr so lieber war denn als die Fremde, mit der sie hierher gekommen war.

Doña Maria nahm ihre Aufgabe, Layla für eine Vorstellung bei Hofe und eine mögliche Heirat präsentabel zu machen, sehr ernst. Sie war entsetzt über viele der Angewohnheiten ihres Zöglings, und nachdem sie mit Überredung nicht weiterkam, versuchte sie es mit Strenge.

»Derartiges mag bei den Mauren in Ordnung gewesen sein, mein Kind, aber nicht hier. Wenn Euer Großvater einen Gemahl für Euch finden soll…«

»Vielleicht will ich gar nicht heiraten«, sagte Layla brüsk. »Und ganz bestimmt nicht jemanden, den er mir aussucht.«

»Das ist Unsinn«, entgegnete Doña Maria sachlich. »Jedes Mädchen muss heiraten, wenn es den Älteren gefällt.« Sie hätte normalerweise das Wort »Vater« verwandt, doch Doña Maria war taktvoll. Layla widersprach ihr.

»Aber eure eigene Königin sollte doch nach dem Wunsch ihres Bruders den König von Portugal heiraten, und stattdessen entschied sie sich für Don Fernando.«

»Die Königin ist die Königin«, sagte Doña Maria knapp.

»Nun«, erwiderte Layla, »ich bin eine Prinzessin.«

»Nicht hier«, gab Maria in gleich bleibendem Tonfall zurück,

»hier seid Ihr eine de Solis.«

Sie meinte es nicht böse, aber es versetzte ihrer Schülerin einen Stich. Mutmaßlich, das wusste Layla, hätte sie auch in Granada heiraten müssen, wenn ihr Vater darauf bestanden hätte, trotz ihres heimlichen Vorsatzes, Wallada in allem nachzueifern.

Doch wenn es Freier gegeben hätte, wären sie zur Alhambra gekommen, und nicht sie wäre irgendwohin geschickt worden, um sich wie auf dem Markt feilzubieten. Wahrscheinlicher jedoch war, dass sie in Ermangelung von Freiern und ohne eigenen Heiratswunsch für den Rest ihres Lebens in der Alhambra geblieben wäre, nicht als ausgenützte Arbeitskraft wie Doña Maria, sondern als geehrte Verwandte; so bestimmte es der Koran. Die Unterhaltung mit Tariq zu diesem Thema fiel ihr ein, und hastig lenkte sie das Gespräch auf etwas anderes.

»Was mich an Eurer Sprache immer verwirrt hat«, sagte sie offen, »sind die vielen erklärenden Wörter, die notwendig sind, um etwas auszudrücken, was im Arabischen selbstverständlich ist. Zum Beispiel brauche ich das Wort ›sein‹, um ›Allahu karim‹ zu übersetzen. ›Gott ist freigebig.‹ In Arabisch genügt es, ›freigebig‹ mit ›Gott‹ zu verbinden - es gibt gar keine andere Möglichkeit. Und um ›la ilaha illa Lha‹ zu übersetzen…«

»Ich verstehe«, unterbrach Doña Maria sie hastig und setzte zu einem Exkurs über die Schönheit der kastilischen Sprache und deren Korruption in Ländern wie Aragon oder Navarra an.

Layla unterdrückte ein Lächeln. Sie wusste, warum die Duena sie unterbrochen hatte. Selbst diejenigen Christen, die nie in Granada gewesen waren, wussten, dass »Es gibt keinen Gott außer Gott« der Grundsatz des Islam war.

Doña Maria verhalf Layla, sehr zur Befriedigung Don Sanchos, zu einem makellosen kastilischen Akzent. Sie brachte ihr auch bei, sich in den steifen Kleidern mit der richtigen Haltung zu bewegen, richtig zu grüßen, sich auf die richtige Art zu verbeugen. Es war für die Duena zwar nicht ganz verständlich, warum das Mädchen nicht glücklich war, einer barbarischen Welt entkommen zu sein, doch sie bemühte sich, Layla die Vorzüge der christlichen Zivilisation vor Augen zu führen. Daher erwirkte sie die Erlaubnis, das Mädchen zu einem Ausflug nach Sevilla mitnehmen zu dürfen. Es galt, beim Tuchweber und auf dem Markt einiges zu besorgen. Letzteres erledigte der Verwalter, welcher die Damen begleitete, und Doña Maria konnte so ihrem Schützling die Stadt zeigen, denn dass Don Sancho Ximenes de Solis und sein Kastell kein anziehendes Beispiel boten, wusste sie selber.

Der Alcazar von Sevilla stammte noch aus der Zeit des Kalifats, doch er war erst vor etwa hundert Jahren von granadischen Künstlern fast zur Gänze neu gestaltet worden; Layla entdeckte, dass sie erleichtert darüber war, es nur von außen sehen zu müssen. Sie wollte nicht mehr durch nutzlose kleine Blitze in der Düsternis, die sie umgab, an ihre verlorene Heimat erinnert werden.

Zu ihrer Überraschung beeindruckte sie die Kathedrale, in die Doña Maria sie führte, zutiefst. Sie hatte nie zuvor eine christliche Kirche in dieser Größe gesehen, und die erhabene Strenge der Formen, die Pfeiler, die riesigen Spitzbögen, die Fenster mit ihrem bunten Glas waren unbestreitbar schön. Das erste Kruzifix, das sie dort erblickte, rief in ihr ein gewisses Schuldbewusstsein wach; sie wusste sehr wohl, dass ihre Taufe, auch wenn sie unfreiwillig erfolgt war, in den Augen jedes rechtgläubigen Moslems ein Akt der Schande war.

Doch die Weisungen des Propheten zu befolgen, so gut sie es eben konnten, hatte keinem der Zwillinge geholfen - Tariq war tot und sie im Exil. Das brachte Layla zwar nicht dazu zu glauben, dass der Prophet Isa ben Miriam der Sohn Gottes gewesen war, doch mittlerweile war sie bereit zuzugeben, dass nicht alles im christlichen Teil von al Andalus verabscheuenswert war.

Sie folgte Doña Maria nicht unfreiwillig auf den Markt, wo der Verwalter auf sie wartete, und stellte für sich fest, dass sich die feilschenden Händler nicht allzu sehr von ihren Genossen in Granada unterschieden. Vor zwei Männern, die in ihren Händen Holzkreuze mit Fäden hielten, an denen merkwürdige Gliederfiguren hingen, blieb sie stehen.

»Was ist das?«, fragte sie ihre Duena neugierig.

»Aber Doña Lucia, habt Ihr noch nie Puppenspieler gesehen?«, gab Doña Maria überrascht zurück. Eine Schar von Kindern hatte sich um die Schausteller versammelt, zu denen ein dritter Mann gehörte, der soeben an einem Instrument zupfte, das der qitar nicht unähnlich war, wie Layla fand. Stumm schüttelte sie den Kopf und schaute fasziniert auf die seltsamen Gestalten.

Eine der Puppen trug etwas, das einer der Rüstungen glich, die sie auf ihren Erkundungsgängen durch die Burg des alten Mannes gesehen hatte, die andere war in vielfarbigen, grellbunten Flitter gekleidet und schwarz angemalt. Der Instrumentenspieler begann nun zu singen und die Puppen verbeugten sich.

»Hört die Ballade vom Cid Campeador, des Ritters ohne Furcht und Tadel, unbesiegt im Kampf, siegreich in der Liebe, treu seinem König in allen Gefahren, Retter der Unschuldigen…«

Doña Maria beobachtete Layla, die sich zu den Kindern gesellt hatte, und stellte für sich fest, dass die ernste, frühreife Art des Mädchens sie ganz hatte vergessen lassen, wie jung es doch eigentlich noch war. Wie jung… wie alt war Lucia eigentlich?

Erschrocken erkannte die Duena, dass sie es nicht wusste. Sie versuchte, sich auf das Jahr zu besinnen, in dem Isabel entführt worden war, und kam zu dem Ergebnis, dass Isabels Tochter nicht älter als elf oder zwölf Jahre sein konnte. Wahrscheinlich jünger, überlegte Doña Maria, während sie das Mädchen beobachtete, das zum ersten Mal wie ein Kind unter Kindern wirkte, die gebannt den graziösen Bewegungen der Puppen und dem Lied des Sängers folgten.

Dieser war dazu übergegangen, den Kampf des Cid gegen den schurkischen König der Mauren zu schildern, und Doña Maria erwartete beunruhigt, dass ihr Schützling sich nun von dem Spiel abwenden würde. Doch Layla schaute den Puppen, die aufeinander einschlugen, weiter aufmerksam zu, und die Duena atmete auf. Das Mädchen hatte noch nie so entspannt oder glücklich gewirkt. Konnte es sein, dass sie allmählich ihre bedauerliche Vergangenheit vergaß?

Doña Maria hegte diese Hoffnung, bis das Spiel zu Ende war und Layla wieder zu ihr kam. Munter meinte sie: »Das war sehr lustig.«

»Lustig?«, fragte Doña Maria irritiert. Sie selbst hatte die Abenteuer des Cid als kleines Mädchen immer atemberaubend und gelegentlich Furcht einflößend gefunden.

»Weil es so unsinnig war«, erläuterte Layla bereitwillig. »Der Sejid Rodrigo de Bivar ist auch bei uns eine Legende und er war bestimmt ein tapferer Mann, aber so viele taifa-Fürsten kann er gar nicht besiegt haben. Schließlich hat er jahrelang für einige von ihnen gekämpft.«

»Niemals«, erklärte Doña Maria entrüstet und ohne ihren gewohnten Takt, denn hier ging es um den größten Helden ihres Volkes, »hat der Cid für Heidenfürsten gekämpft!«

Das Mädchen warf ihr einen verdutzten und gleichzeitig belustigten Blick zu. »Gewiss tat er das. Er stand im Dienst des Emirs von Saragossa, al Mutamin Ibn Hud, und besiegte für ihn die Könige von Lerida und Aragon und den Grafen von Barcelona. Und weil al Mutamin ihm zu wenig bezahlte, stritt er danach für dessen Feind, den Emir al Quadir von Valencia, bis er sich wieder mit dem König von Kastilien versöhnte und zurück zu den Christen ging. Die Zeit der Al Murabitun war Ibn Faisals Leidenschaft«, fügte sie erklärend hinzu, als sie Doña Marias entgeisterte Miene sah, »daher weiß ich darüber einiges.«

»Wenn Euch das Spiel gefallen hat, Doña Lucia«, sagte die Duena, sich innerlich mahnend, dass man mit einem Kind nicht stritt, »solltet Ihr die Schausteller belohnen. So ist es üblich. Hier sind einige Münzen.«

Layla, die ihren ersten Tag in Freiheit von der Burg nicht verderben wollte, gehorchte widerspruchslos und brachte Doña Maria dazu, mit ihr noch durch den Markt zu schlendern, obwohl der Verwalter etwas ungehalten darauf hinwies, dass alle Einkäufe erledigt waren und er Order hatte, so bald wie möglich zu seinem Herrn zurückzukehren. Da an einem Stand Feigen angeboten wurden, kaufte Doña Maria ihr einige; während die Duena noch dabei war, die Früchte zu bezahlen, entdeckte Layla den Musiker, der die Puppenspieler begleitet hatte und nun an den Brunnen inmitten des Platzes gelehnt stand. Ihr kam ein Gedanke und sie lief zu ihm.

»Ihr reist gewiss viel«, sagte sie ein wenig atemlos. »Könnt Ihr mir sagen, wie es um den Krieg in Granada steht?«

Sie erfuhr, dass ihr Vater den Verlust von Alhama wieder wettgemacht hatte, indem er seinerseits in christliches Gebiet eingefallen war. Er war von Malaga aus nach Medina Sidonia gesegelt und hatte dort Algeziras, die Festung, die Gibraltar direkt gegenüberlag, erobert. Algeziras konnte vom Meer aus versorgt werden, anders als Alhama, sodass sich seine Position merklich verbessert hatte.

»Aber trotzdem hat Gott in seiner Gnade Zwist bei den Mauren gesät«, bemerkte der Spielmann. »Sie bekriegen sich noch immer gegenseitig.«

Laylas Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, als sie sich erkundigte, ob es Neuigkeiten von der Familie des Emirs gab. Inzwischen hatte Doña Maria sie wiedergefunden und beendete ihr Gespräch mit dem Vagabunden, doch nicht ehe er ihr ein Gerücht erzählt hatte, das sie für den Rest des Tages verstummen ließ.

Als sie wieder in das Kastell zurückgekehrt waren, ging sie zu ihrer Mutter, in der vagen Hoffnung, diese Nachricht würde Isabel aus ihrer Starre erwecken.

»Die Leute sagen«, teilte sie ihr mit, während sie ihr Haar zu einem strengen Zopf flocht, »du hättest Abul Hassan Ali mit deinen Kindern verlassen, als das Glück sich gegen ihn wandte.

Anscheinend hat es Alscha geschafft, Tariqs Tod geheim zu halten. Was bedeuten würde, dass Vater es auch nicht weiß.«

Isabel antwortete nicht, sondern schaute nur weiter auf einen Punkt jenseits der Wand, den ihre Tochter nie finden konnte.

Es wurde Winter, traditionellerweise die Zeit für einen Waffenstillstand, da Feldzüge bei diesem Wetter ohnehin wenig Aussicht auf Erfolg hatten. Von Ausnahmen wie im letzten Jahr einmal abgesehen, bedeuteten sie endlose Schwierigkeiten mit der Versorgung, Karren, die im Schlamm stecken blieben, erfrorene Finger und Zehen beim Marsch über das Gebirge und dergleichen mehr. Don Sancho Ximenes de Solis verkündete, dass er nicht die Absicht habe, jetzt die Burg zu verlassen.

»Der Hof reist ständig hin und her«, sagte er, »und das bei dieser Kälte. Niemand kann von mir verlangen, dass ich dabei mitmache. Ich werde die kleine Kröte im Frühling vorstellen.«

Es war eine angenehme Überraschung für Doña Maria, zu entdecken, dass ihre Schülerin das Spiel der Laute und der qitar beherrschte. Sie selbst spielte ebenfalls; ohne Künstlerinnen zu sein, konnten sie und Layla sich mit den Instrumenten zerstreuen. Sie brachten einander neue Weisen bei, und es vertrieb ihnen die Zeit.

Layla spielte oft im Gemach ihrer Mutter; es war der wärmste Raum in der Burg, und vielleicht hörte Isabel zu. Sie dachte über den Tag in Sevilla nach und versuchte, die Ballade vom Cid Campeador zu spielen, die ihr Doña Maria mehrmals wiederholt hatte. Immer treu war Don Rodrigo/Seinem König Don Alfonso/Und als dieser ihn verbannte/Ging er klaglos und mit Würde… Sie schaute auf und sah, dass Isabel die Augen geschlossen hatte.

»Sie schläft«, sagte Jusuf über ihre Schulter hinweg, »aber sei beruhigt, das liegt an mir und nicht an deinem Vortrag.«

»Ich dachte schon, ich hätte dich nur geträumt, Ifrit«, gab Layla, die ihm die Art, wie er sie jedes Mal überraschte, übel nahm, ungnädig zurück. Er zuckte die Achseln.

»Vielleicht träumst du wirklich nur«, sagte er langsam. »Vielleicht bildest du dir Dinge ein. Vielleicht hast du die gleiche Krankheit wie deine Mutter dort.«

Layla schauderte unwillkürlich; er bemerkte es und lächelte.

»Nein, du bist wirklich«, antwortete sie und drängte alle Furcht vor dem Wahnsinn zurück. »Aber es gefällt dir, den Leuten Angst einzuflößen. Langsam begreife ich, warum die Sinhadja dich so gehasst haben. Kannst du noch etwas anderes?«

Als sie die Sinhadja erwähnte, blitzte Ärger in seinen blassen Augen auf, doch dann wurde seine Miene wieder gelassen.

»Selbstverständlich. Ein neuer Ratgeber ist dabei, deinen Bruder Muhammad und Ali al Atar zu überzeugen, dass sie die Christen angreifen müssen. Die Erfolge Abul Hassan Alis haben die Bürger der Hauptstadt wieder mehr auf seine Seite gebracht, während Muhammad sich bisher auf Abwehr beschränkt hat. Er muss das wieder wettmachen.«

Layla warf einen hastigen Blick auf ihre Mutter. Sie schlief immer noch. Ein Ausdruck des Friedens lag auf ihrem Gesicht, der ihr sonst fremd war. Plötzlich wurde dem Mädchen klar, dass sie ihrer Mutter diesen Frieden verübelte. Isabel hatte sie hierher gebracht und dann im Stich gelassen, mehr verlassen, als es Tariq durch seinen Tod getan hatte, denn sie träumte immer noch von ihm, und in ihren Träumen erinnerte sie sich nie daran, dass er tot war.

»Sie wird nicht aufwachen«, sagte Jusuf, als lese er ihre Gedanken. »Sie träumt von der Vergangenheit. Möchtest du das auch?«

Kopfschüttelnd verneinte Layla. Der Schmerz beim Erwachen aus dieser Art von Träumen, wenn die Erinnerung wieder einsetzte, war ihr zu vertraut. Jusuf ergriff ihre Laute und spielte ein Lied, das sie nicht kannte; eine süße, einschmeichelnde Melodie. Mühsam riss sie sich von ihrem Zauber los. »Ich habe dir gesagt, ich will nicht schlafen. Wer hat das geschrieben?«

»Ibn Gabirol«, erwiderte Jusuf und spielte weiter. »Er dichtete und machte wie ich den Fehler anzunehmen, er könnte gleichzeitig Jude und Araber sein. Besser, du singst es nicht, wenn du je nach Granada zurückkehrst. Es rühmt einen Löwenbrunnen und eine Sternenkuppel, wo doch jeder weiß, dass die Alhambra von den Banu Nasr erbaut wurde.«

»Hast du die Alhambra gebaut?«, fragte Layla leise.

Er legte die Laute weg. »Ich habe damit begonnen, was ausgesprochen töricht von mir war. Badis hielt mich zwar für fast so nützlich wie meinen Vater, aber nicht für nützlich genug, um seine Eitelkeit von mir beleidigen zu lassen. Er gab seinen Edlen zu verstehen, sie könnten mit mir tun, was sie wollten. Aber bis die Banu Nasr kamen, wagte niemand, auf den Ruinen des roten Hügels weiterzubauen. Muhammad der Erste glaubte nicht an Flüche, doch er war ein vorsichtiger Mann. Daher die Schutzsure.«

Das Mädchen rückte etwas näher an das Feuer. »Wirken Flüche denn?« Jusuf ben Ismail trat in den Schatten zurück. »Aber Layla, meine Liebe - wäre ich sonst hier?«

Ihre Mutter stöhnte im Schlaf. Als Layla sich wieder den Schatten zuwandte, war Jusuf verschwunden. Sie dachte darüber nach. Tausende toter Juden in Granada. Badis hatte seinen jüdischen Wesir nicht lange überlebt, und sein Enkel und Erbe Abdallah endete im Kerker eines fremden Herrschers. Was die Banu Nasr anging… Layla zerbrach sich den Kopf, wer von den neunzehn Emiren friedlich auf den Thron gekommen und auf natürliche Weise gestorben war. Muhammad der Erste. Sein Sohn. Dann keiner mehr.

Sobald der ärgste Winter vorbei war, nutzte Fernando von Aragon die Zerrissenheit des Reiches Granada, um einen Marsch auf Malaga zu befehlen. Malaga war die wichtigste Hafenstadt von Granada, und wenn sich an Malaga das Schicksal von Alhama wiederholen ließ, war der Krieg so gut wie gewonnen.

Daher übergab er den Oberbefehl wiederum Don Rodrigo Ponce de Leon.

Der Marquis von Cadiz war alles andere als glücklich über diese Ehre. Alhama zu erobern war eine Sache; ganz Granada zu durchqueren, bis zur Küste, war eine andere. Er stand mit seinen Zweifeln jedoch weitgehend allein da. Diesmal hatte er weit mehr unerfahrene Freiwillige, als er gebrauchen konnte.

Jeder sah sich bereits als Held von Malaga, und der Wohlstand der Hafenstadt tat ein Übriges.

Befehl war Befehl, und Don Rodrigo machte sich auf den Weg nach Malaga. Er schickte Kundschafter voraus, die meldeten, dass der alte Emir mit seinem Krieg gegen den jungen Emir beschäftigt und Malaga offenbar noch völlig ahnungslos war; die Stadt machte keine Anstalten, Vorbereitungen für eine Belagerung zu treffen, und es war auch keine Armee in Sicht, um die Christen abzufangen. Als sie die kleine Bergkette von Malaga erreichten und immer noch nichts geschah, schien der Sieg sicher.

Don Rodrigo griff auf seine bewährte Taktik der nächtlichen Märsche zurück und befahl bei Anbruch der Dunkelheit den Aufbruch. Sie kamen nicht sehr weit. Von der Nachhut hörte man plötzlich erstickte Schreie, die bald von einem ungeheuren Getöse übertönt wurden. An den Hängen flammten überall Feuer auf, und in ihrem flackernden Licht sah der Marquis, dass hinter ihm eine Felslawine heruntergegangen war. Nicht zufällig, denn über ihm, vor ihm, neben ihm waren die Hänge übersät mit Mauren.

Er hatte die Armee der Könige von Aragon und Kastilien in eine Falle laufen lassen.

Später stellte sich heraus, dass al Zaghal die Gefahr auf sich genommen hatte, die Christen mit einer sehr kleinen Truppe abzufangen, um nicht vorzeitig entdeckt zu werden. Außerdem hatte er sich einige der Bauern aus den Bergdörfern zu Hilfe geholt, die dann die Felslawine auslösten, welche bereits einen Teil des Heeres außer Gefecht setzte. Danach befanden sich seine Leute zwar immer noch in der Minderheit, doch in dem engen Tal nutzte den Christen ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht das Geringste. Noch ehe die Nacht vorbei war, führte al Zaghal zweihundertfünfzig Hidalgos und fünfhundertsiebzig einfache Soldaten mit sich als Gefangene nach Malaga. Der Hauptteil des Heeres war tot; einigen wenigen, wie dem Marquis von Cadiz, war die Flucht gelungen.

Die Gefallenen von Malaga sollten mit einer großen Messe in Cordoba geehrt werden, wo sich Fernando und Isabella zurzeit aufhielten, und Don Sancho Ximenes de Solis war eingeladen.

»Ein nobler Gedanke von der Königin, die bedauernswerten Gefallenen so zu ehren«, kommentierte Pater Alvaro.

»Ach, Blödsinn«, knurrte Don Sancho, »die Toten haben das meiste Glück gehabt. Wenigstens mussten sie sich nicht maurischen Bauern ergeben!«

»Werdet Ihr gehen?«, erkundigte sich der Priester vorsichtig.

»Ich muss ja«, erwiderte der alte Mann. »Mädchen, komm her.

Wie alt bist du? Elf? Zwölf? Egal, allmählich kommst du ins heiratsfähige Alter, und je eher ich dich vom Hals habe, desto besser. Sag deiner Duena, sie soll packen.«

Gewöhnlich mied Layla die Kapelle, aber es war im Moment niemand dort, und sie wollte allein sein. Sie sank auf eine der Bänke und versuchte, nicht das Kruzifix anzusehen.

Siehe, wer Allah Götter an die Seite stellt, dem hat Allah das Paradies verwehrt, und seine Behausung ist das Feuer; und die Ungerechten finden keine Helfer.

Ein leises Klirren ertönte und sie wandte sich um. »Ich habe dir doch prophezeit, dass du eine vollkommene Christin wirst, Lucia«, sagte Jusuf. Diesmal trug er einen Brustpanzer und ein Schwert. »Worum betest du?«

»Um Geduld, damit ich Don Sancho nicht umbringe«, entgegnete das Mädchen. Er lachte leise. »Nicht Don Sancho. Einen anderen. Auf ihn hast du lange genug gewartet.«

Layla starrte ihn an und schluckte. »Meinst du…« Er nickte.

»Während wir miteinander sprechen, Layla, wird bei Lucena eine große Schlacht geschlagen. Muhammad und Ali al Atar haben die Stadt angegriffen, aber man hat ihren Anmarsch zu früh bemerkt, und Don Diego de Cordoba, Graf von Cabra, ist mit seinen Truppen der Garnison von Lucena zu Hilfe gekommen.«

Er trat auf sie zu. »Gib mir jetzt, worum ich dich bat, und wir werden Ali al Atar gemeinsam erledigen.«

»Aber - wie? Wie willst du dorthin kommen? Und ich kann nicht kämpfen…«

Missbilligend schüttelte er den Kopf. »Was beschwörst du Geister, Layla, wenn du nicht an ihre Kräfte glaubst? Und was das Kämpfen angeht, so überlass es mir. Was meinst du, warum die Sinhadja so aufgebracht waren? Es sei denn«, er sah sie scharf an, »du hast es dir anders überlegt.«

Layla schaute auf ihre Hände, sah wieder Tariqs Kopf vor sich.

»Nein.«

In seinen Augen tanzte eine sehr ungeisterhafte Aufregung. Er nahm ihren linken Arm, schlug den Ärmel zurück und fuhr mit seinen Fingern sachte über ihr Handgelenk. Dann berührte er es mit seinen Lippen. Layla spürte Kälte, einen kurzen, reißenden Schmerz, und dann befand sie sich nicht mehr in der Kapelle.

Sie stand auf einem Hügel. Um sich herum hörte sie Schreie, keuchenden Atem und das Geklirr von Schwertern. Sie sah an sich herab und bemerkte, dass sie selbst eine Klinge in der Hand hielt. Doch es war nicht ihre eigene Hand, noch war es ihr eigener Körper.

»Das wäre auch sehr unlogisch gewesen«, sagte Jusufs belustigte Stimme in ihrem Kopf, und sie begriff, dass es sein Körper war, der sich jetzt umwandte und auf das Flussufer blickte, wo, soweit man das durch den Nebel erkennen konnte, Christen und Moslems sich gegenseitig umbrachten.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte Jusuf. »Du sitzt nach wie vor in der Kapelle. Ich hoffe nur, niemand kommt herein und spricht dich an. Jetzt sieh dort!«

Ein Araber, dessen Gesicht mit Blut und Schweiß so überkrustet war, dass sie es kaum erkannte, tauchte aus den Schwaden auf dem Hügel auf und schrie seinen Leuten zu, sie sollten sich vom Fluss zurückziehen.

»Der Emir! Der Emir ist umzingelt!«

Sie erkannte die Stimme. Deren Echo hallte jedes Mal in ihrem Kopf wider, wenn sie aus ihren Träumen von Tariq erwachte.

Ihr Arm hob das Schwert, ohne irgendein Gewicht zu spüren, und hieb auf Ali al Atar ein.

Er war nicht umsonst ein berühmter Krieger. Nach der ersten Überraschung wehrte er jeden der Schläge ab, doch das Wesen, in dessen Körper sie steckte, verfügte über mehr als menschliche Kräfte.

Noch nie im Leben hatte sie eine derartige Freude verspürt, einen derartigen Rausch. Ali al Atar auf den Knien um Gnade flehen zu sehen, hätte ihr keine solche Befriedigung bereitet, wie ihn zu verwunden, mehr und mehr, bis sie ihn schließlich entwaffnet hatte und ihm die Klinge an die Kehle setzte.

Als er zu ihr aufschaute, schimmerte zum ersten Mal Angst in seinen Augen. »Wer bist du?«, flüsterte er. Sie spürte, wie Jusuf sich zurückzog. Sie war allein mit Ali al Atar. »Tariq!«, antwortete sie und stieß zu.

Sein Blut bespritzte sie, und im selben Moment befand sich Layla wieder in der Kapelle, stoßweise atmend. Sie war erneut elf Jahre alt, am ganzen Körper grün und blau geschlagen und mit jeder einzelnen Wunde versehen, die Ali al Atar Jusuf zugefügt hatte.

»Du solltest dich so schnell wie möglich verbinden lassen«, sagte Jusuf gelassen. Die reine körperliche Erschöpfung machte Layla einen Augenblick lang benommen. Dann erinnerte sie sich wieder und begriff, was sie getan hatte. Sie fiel von der Kirchenbank und würgte.

»Menschen«, sagte Jusuf. »Du wolltest ihn töten, oder?«

Layla sah Ali al Atars aufgeschlitzte Kehle vor sich, dachte an das Gefühl, das sie dabei empfunden hatte, und erbrach sich.

Jusuf seufzte, hob sie auf und half ihr aus der Kapelle heraus.

Die klare Luft traf sie wie ein Schwall kalten Wassers. In Lucena war es neblig gewesen, dachte sie, und begann wieder zu würgen.

Jusuf betrachtete sie prüfend. »Es ist schwer beim ersten Mal, aber man gewöhnt sich daran.«

»Ich nicht«, keuchte sie. »Nie wieder, ich will das nie wieder, hörst du?«

Irgendwo aus seinem Brustpanzer holte er ein Taschentuch hervor und säuberte damit ihr Gesicht. »Armes kleines Mädchen«, sagte er freundlich. »Und jetzt lass dich verarzten.«

Damit war er verschwunden. Layla hatte sich noch nicht weit von der Kapelle entfernt, als ihre Duena sie fand. Doña Maria war entsetzt, doch statt in Ohnmacht zu fallen, brachte sie das Mädchen sofort in seine Kammer, holte Don Sanchos Barbier und verband Laylas Schnitte und Wunden. Beide fragten abwechselnd, was denn nur geschehen sei, aber Layla war nicht in der Lage, sich auch nur eine brauchbare Ausrede einfallen zu lassen. Die Stimmen drangen kaum zu ihr, während sie so stumm und unzugänglich wie ihre Mutter auf ihrem Bett lag.

Es war nicht so, dass sie Ali al Atar verziehen hatte oder dass er ihr Leid tat. Doch sie hatte eben ein Leben beendet, ohne die geringsten Skrupel oder Schwierigkeiten, und sie war noch nicht einmal sicher, ob die Gefühle dabei ihre eigenen gewesen waren.

»Wer kann sie nur so zugerichtet haben?«, fragte Doña Maria einmal mehr. »Schwertwunden«, erwiderte der Barbier fachmännisch. »Außer diesem merkwürdigen Punkt am linken Handgelenk.«

Einen Tag später hatte Layla mehr oder weniger erfasst, was geschehen war. Jusuf war ein Ifrit - oder so etwas Ähnliches -, und Ifrits konnten nicht verletzt werden. Er hatte also ihre »Lebenskraft« genommen und all die Begleiterscheinungen eines Kampfes - die Erschöpfung, die Gliederschmerzen, die Verwundungen - auf sie übertragen.

Sie lag verbunden auf ihrem Bett und hörte sich die Strafpredigt ihres Großvaters an, der sich zum ersten Mal hierher bemüht hatte.

»Ich gebe dir Obdach, lasse dir eine christliche Erziehung angedeihen, und was tust du? Sowie wir bei Hof eingeladen sind, lässt du dich verstümmeln! Glaubst du, ich kann eine de Solis in Verbänden der Königin vorstellen? Ich gebe dir noch drei Tage, um dich zu erholen, Lucia, und dann sind wir auf dem Weg nach Cordoba, ganz gleich, wie es dir geht.«

»Euer armer Großvater«, meinte Doña Maria, als er wieder fort war. »Habt Ihr bemerkt, welche Sorgen er sich um Euch macht?«

Layla rümpfte nur verächtlich die Nase und drehte sich zur Wand.

Was ihr vom Tode Ali al Atars blieb, war nicht der Triumph, den sie erwartet hatte, sondern nur ein merkwürdig schales Gefühl der Befriedigung und ein geheimes Grauen vor sich selbst.

Bevor sie abreisten, erzählte sie ihrer Mutter, dass Tariqs Mörder tot war. Isabel reagierte nicht. Als Layla nach einer Weile aufstehen wollte, griff die Mutter nach ihrer Hand und presste sie fast schmerzhaft. Dann ließ sie wieder los und verfiel in ihre alte Starre.

Die große Neuigkeit, welche die Reisenden auf dem Weg nach Cordoba erreichte, war weniger der Tod Ali al Atars als vielmehr die Gefangennahme des jungen Emirs, Abu Abdallah Muhammad. Auch er, so wurde berichtet, befand sich auf dem Weg zum Hof. Da sie von Sevilla aus einige Teile der Strecke mit dem Schiff auf dem Guadalquivir, der gerade Hochwasser führte, zurücklegen konnten, kamen sie Tage vor ihm an.

Cordoba war einmal der Sitz der Kalifen von al Andalus gewesen. Damals waren von überall her Studenten und Gelehrte nach Cordoba gereist, um die riesige Bibliothek zu benutzen, um zu studieren und die besten Ärzte, Dichter und Musiker der islamischen Welt kennen zu lernen. Layla konnte noch die Stimme von Ibn Faisal hören: »ilm und adab, Wissen und Erziehung, trugen einmal nur einen einzigen Namen: Cordoba.«

In Granada befand sich noch ein Teil der Bibliothek von Cordoba, der Teil, den die Banu Nasr hatten erwerben und retten können. Der Rest war entweder über die ganze Welt verstreut oder vernichtet. Aus irgendeinem Grund fiel Layla beim Anblick der Stadt auch ein, dass Jusufs Vater, der berühmte Samuel ha Levi, Ismail Ibn Nagralla, ursprünglich aus Cordoba stammte.

Da Isabella und Fernando Könige zweier unabhängiger Staaten waren, hatten sie keine gemeinsame Hauptstadt, sondern wechselten ihren Regierungssitz ständig. Cordoba war groß genug, um den Hofstaat von Kastilien und Aragon aufzunehmen, und es gab genügend Unterkunftsmöglichkeiten für die Gäste. Don Sancho Ximenes de Solis, der zu den Granden gehörte, wurde direkt in der Zitadelle untergebracht, nicht in einem der Klöster wie die niederen Adligen. So hatte Layla noch an ihrem Ankunftsabend die Gelegenheit, die christlichen Könige beim allgemeinen Mahl zu sehen. Sie hätte es niemandem verraten, aber sie war neugierig, insbesondere auf die legendäre Isabella von Kastilien.

Isabella hatte gerade erst ihren Zweiunddreißigsten Geburtstag hinter sich. Als sie siebzehn war, hatte sie begonnen, um die Macht zu kämpfen, erst mit ihrem Bruder, dann mit seinen Edlen und ihrer Nichte, dann mit dem König von Portugal. Ihre Unabhängigkeitserklärung war die Heirat mit dem Thronfolger von Aragon gewesen, obwohl sie beide so arm waren, dass sie bei einem jüdischen Juristen das Geld für die Hochzeitskosten borgen mussten.

Jetzt war sie die unbestrittene Herrscherin Kastiliens und die Seele des Kreuzzugs gegen die letzten Moslems in den spanischen Landen, zu dem der Papst aufgerufen hatte. Fernando, ihr Gemahl, hielt die Eroberung von Granada um der Macht willen für notwendig, aber für Isabella war sie eine Herzensangelegenheit.

Da sie noch nie einen blonden Menschen gesehen hatte, fiel Layla zunächst das Haar auf, das Isabella - Privileg der Königinnen, während andere verheiratete Frauen auf eine Haube angewiesen waren - an diesem Tag offen trug. Die lachsfarbene Fülle, welche die Königin ihrer entfernten Verwandtschaft mit den Plantagenets verdankte, war das Schönste an ihr, denn Layla dachte überrascht, dass die kleine, unscheinbare Gestalt ohne ihren erhöhten Sitz in der Menschenmenge, die sie umgab, völlig untergegangen wäre. Das Mädchen war etwas enttäuscht; sie hatte jemanden wie Alscha oder ihre Mutter erwartet. Doch als sie sich im Gefolge ihres Großvaters dem Thron näherte, spürte sie die Würde, die von Isabella ausging. Die Art, in der die Königin ihre Granden begrüßte, ließ Layla voll Erstaunen erkennen, dass Isabella über die Fähigkeiten verfügte, jedem einzelnen Gast das Gefühl zu geben, als habe sie nur auf ihn gewartet. Vielleicht war hier die Erklärung dafür zu suchen, wie sie es geschafft hatte, ihre in endlose Privatfehden verstrickten Edelleute so weit zu einigen, dass man sie und ihren Krieg allgemein unterstützte.

»Don Sancho«, rief sie, als der alte Mann vor ihr kniete, und streckte ihm ihre Hand entgegen, die er küsste. »Wie lange ist es her, dass wir Euch bei uns begrüßen konnten! Und doch haben wir Euch nicht halb so sehr vermisst wie unsere Armee einen ihrer tapfersten Ritter.«

Der Angesprochene errötete ein wenig vor Freude und strahlte.

»Ich bin ein alter Mann, leider, Euer Hoheit«, sagte er. Isabella schüttelte lächelnd den Kopf. »Wenn wir, der König und ich, in Eurem Alter noch so viel Kraft und Geist haben, dann hat der Herr uns wahrhaft gesegnet.«

Don Sancho hätte, mutmaßte Layla, wahrscheinlich gerne noch mehr Schmeicheleien von der Königin gehört, doch er besann sich auf den Zweck seines Besuches. »Euer Hoheit«, sagte er zögernd, »gestattet mir, Euch meine Enkelin vorzustellen, Lucia de Solis, und Euch zu bitten, sie unter Eure Hofdamen aufzunehmen.«

Um Isabella herum verstummte das leise Geschwätz der Hidalgos und ihrer Damen. Sie wussten zweifellos alle, dass der alte Mann nur eine Tochter gehabt hatte und wer diese Tochter war, also, dachte das Mädchen, wussten sie auch über ihre Herkunft Bescheid. Noch nie hatte sich Layla so sehr einen Schleier gewünscht, doch das Gefühl der Peinlichkeit und Scham schlug schnell in Zorn um, der ihr Kraft gab. Wer waren sie schließlich, diese Christen? Sie stammte von den Banu Nasr ab, die mit dem Propheten bei Medina gekämpft und neunzehn Generationen von Emiren gestellt hatten, wohingegen Herkunft und Thronanspruch des derzeitigen Herrscherpaares von Kastilien und Aragon sehr umstritten waren. Das Einzige, was sie bedauern musste, war, dass sie als Lucia de Solis eingeführt wurde, nicht als die Sejidah Layla.

Also vollführte sie den vorgeschriebenen Knicks, dann richtete sie sich wieder auf und sah der Königin direkt in die Augen.

Erst aus dieser Nähe wurde ihr die Hellhäutigkeit Isabellas bewusst; Layla hatte noch nie einen Menschen gesehen, dessen Gesicht so ausgesprochen bleich wirkte. Vielleicht lag es an dem blonden Haar oder den Brauen, die sich jetzt hoben; statt sich wie ein dunkler Pinselstrich über Isabellas Augen zu wölben, waren die feinen rötlichen Linien kaum zu erkennen.

»Aber Eure Enkelin ist noch ziemlich jung, Don Sancho. Wie alt seid Ihr, mein Kind?«

Bevor Layla antworten konnte, warf der alte Mann hastig ein:

»Zwölf, bald dreizehn« - das war gelogen, aber das Mädchen bezweifelte, ob er das überhaupt wusste -, »nicht jünger als die königlichen Pagen, Euer Hoheit.«

Layla entdeckte kleine Schweißperlen auf seiner Stirn. Nach christlichen Maßstäben war sie unehelich, und er fragte sich jetzt wahrscheinlich, ob das Blut der de Solis edel genug war, um dennoch anerkannt zu werden.

»Nun«, sagte Isabella langsam, »wenn Ihr meint, dass sie alt genug ist, habe ich nichts dagegen.« Wie einen verspäteten Nachgedanken setzte sie hinzu: »Was meinst du, Lieber?«

Fernando von Aragon, den der Klatsch entweder einen großen Bewunderer weiblicher Schönheit oder weniger höflich einen Schürzenjäger nannte, hatte nach einem enttäuschten Blick auf Layla das Interesse für die ganze Angelegenheit verloren und sich im Geiste bereits anderen Dingen zugewandt.

»Was immer du willst, Isabella«, sagte er jetzt zerstreut. Offenbar hatte er sich unter der Tochter der berüchtigten Isabel de Solis etwas anderes vorgestellt.

Damit wäre die Einführung eigentlich beendet gewesen, und Layla machte bereits Anstalten, sich zurückzuziehen, als die Königin wieder das Wort an sie richtete.

»Und Eure Mutter, Doña Lucia? Warum begleitet sie Euch nicht?«

Der Blick des Königs wurde wieder aufmerksam. »Sie ist krank, Euer Hoheit«, erwiderte das Mädchen, und von einem Impuls getrieben, setzte sie hinzu: »Wir vermissen beide unsere Heimat, doch ihre Gesundheit ist anfälliger als meine. Wir sorgen uns um das, was dort geschieht.«

Ein Ächzen ging durch die Schar der Höflinge. Don Sancho starrte seine Enkelin an, als hätte sie sich in ein Ungeheuer verwandelt. Der Mund des Königs presste sich zusammen, und seine Augen wurden kalt. Nur die Miene der Königin hatte sich nicht verändert.

»Dann werden unsere tapferen Hidalgos dafür sorgen müssen«, sagte sie lächelnd, »dass Ihr Eure Heimat bald wiederseht. Inzwischen jedoch wird es mich freuen, Euch unter meinen Hofdamen zu wissen, Doña Lucia.«

Damit war Layla entlassen. Dem Lärm nach zu urteilen, der einsetzte, stellte sie nicht ohne Befriedigung fest, hatte sie einen mittleren Skandal verursacht. Doña Maria flüsterte entsetzt:

»Mein Kind, wie konntet Ihr nur?«

Der alte Mann war weniger zurückhaltend. Er zerrte sie in eine Ecke und zischte: »Wenn wir hier nicht bei Hofe wären, würde ich dich grün und blau dafür schlagen, du elendes Balg. Was hast du dir dabei gedacht?«

Mindestens ebenso erbost wie er gab Layla zurück: »Ich schäme mich nicht meiner Herkunft, Don Sancho.« Sie hätte sich eher die Zunge abgebissen als ihn mit »Großvater« angeredet.

Er ließ sie los, musterte sie und strich sich über den Schnurrbart.

»Hm. Hm. Nun ja, ist ja alles gut gegangen. Aber darüber sprechen wir noch.«

Doña Maria versetzte die Aussicht, zum Hofstaat zu gehören, in Ekstase, was Layla in Erinnerung an die Burg durchaus verstand. Nicht, dachte sie, dass die Waschgelegenheiten hier bedeutend besser waren. Obwohl sie vorerst noch bei ihrem Großvater untergebracht wurde, fand sie schon bald heraus, dass man die Hofdamen in möglichst wenige Kammern stopfte.

Hofdame zu sein, war ein unbesoldetes Ehrenamt oder, wie Layla sich gegenüber Doña Maria ausdrückte, eine rein christliche Variante der Sklaverei, denn die Hofdamen ersparten der Königin eine Menge Dienstmädchen. Als die Oberhofmeisterin, Doña Catalina, Layla über ihre Pflichten aufklärte, die in etwa denen Fatimas in der Alhambra entsprachen, brachte das Mädchen zunächst kein Wort heraus. Doña Catalina verwechselte das mit freudiger Überraschung.

»Ja, es ist wirklich eine große Ehre, mein Kind!« Für die anderen Hofdamen war Lucia de Solis zunächst eine aufregende Neuerscheinung und sie drängten sich um sie wie Motten um eine Kerzenflamme.

»Seid Ihr wirklich die Tochter des Maurenkönigs?«

»Stimmt es, dass bei den Mauren die Frauen den ganzen Tag eingesperrt sind und immer verschleiert gehen müssen?«

Die jüngsten unter ihnen waren immer noch drei Jahre älter als Layla, aber ihre Fragen kamen dem Mädchen so dumm wie die von Kleinkindern vor. Anfangs bemühte sie sich, sie zu beantworten, und teilte ihnen mit, dass sie die Bestimmungen des Propheten über die Frauen gerechter fand als das, was hier galt, wo Scheidungen eigentlich nur einflussreichen Fürsten möglich waren, die ihre ehemaligen Gattinnen dann in der Regel in ein Kloster verbannten, wie es Isabellas Nichte und Rivalin Juana geschehen war.

»Der Koran gestattet jedem die Scheidung. Ein Moslem, der sich von seiner Gemahlin scheiden lässt, ist verpflichtet, weiter für sie zu sorgen, hat aber nicht das Recht, noch länger über sie zu bestimmen«, erläuterte Layla und zitierte aus der vierten Sure: »O ihr, die ihr glaubt, nicht ist euch erlaubt, Weiber wider ihren Willen zu beerben. Und hindert sie nicht an der Verheiratung mit einem anderen, um einen Teil von dem, was ihr ihnen gabt, ihnen zu nehmen. Verkehrt in Billigkeit mit ihnen; und so ihr Abscheu wider sie empfindet, empfindet ihr vielleicht Abscheu wider etwas, in das Allah reiches Gut gelegt hat.«

Schweigen empfing sie, als sie endete. Diesmal schauten ihre Zuhörerinnen nicht entsetzt, sondern regelrecht abgestoßen drein. Doña Catalina meinte schließlich kühl: »Heidnische Unsitten. Es wundert mich, Doña Lucia, dass Ihr ihnen noch nachtrauert, aber Ihr seid noch sehr jung und in Eurem Glauben vielleicht noch nicht gefestigt genug. Lasst Euch am besten von einem der weisen Patres bei Hofe über die Heiligkeit der Ehe und andere Dinge unterweisen.«

Das war das Ende von Laylas Antworten zu Fragen über Granada und den Islam. Eine der jüngeren Hofdamen sagte später zu ihr: »Doña Catalina hat Recht. Ihr solltet nicht derart über heidnische Dinge sprechen, es könnte… missverstanden werden, besonders von Fray Tomas de Torquemada.«

»Und wer ist Fray Tomas de Torquemada?«, erkundigte sich Layla schlecht gelaunt. Das Mädchen schaute sie verblüfft an.

»Der neue Großinquisitor natürlich, meine Liebe. Er wurde erst im letzten Monat ernannt.«

Auf diese Weise erfuhr Layla, dass die Könige von Kastilien und Aragon beim Papst eine Sonderform der Inquisition durchgesetzt hatten. Über die Inquisition wusste sie einiges, weniger durch Pater Alvaro, der das Thema sorgfältig umgangen hatte, als von Ibn Faisal, der sie als Beispiel für die Methode anführte, welche die Christen offensichtlich nötig hatten, um ihre Anhänger zu behalten. Eigentlich wurde die Inquisition immer von päpstlichen Legaten durchgeführt und unterstand ausschließlich der Kirche; aber Isabella und Fernando hatten nach langen Verhandlungen das Privileg erhalten, selbst Inquisitoren zu ernennen, einschließlich eines Großinquisitors. Der Grund für die Einrichtung der Inquisition waren die conversos, »die Bekehrten«, sagte die junge Hofdame vieldeutig, »von denen man vermutet, dass sie insgeheim noch ihrem alten Glauben anhängen«.

Nach zwei Tagen in Cordoba war Layla sich nicht mehr sicher, ob die Burg des alten Mannes nicht doch vorzuziehen gewesen wäre. Aber sie wollte unbedingt bleiben, und das hatte seinen Grund. Isabella und Fernando bereiteten sich nämlich auf den Empfang ihres fürstlichen Gefangenen vor. Inzwischen war die Nachricht nach Cordoba gelangt, dass Abul Hassan Ali die Stadt Granada zurückerobert hatte. Die Familie der Banu Sarraj zahlte einen grausamen Preis für ihre Unterstützung Muhammads; alle männlichen Mitglieder wurden ausnahmslos zum Tode verurteilt. Alscha hatte sich unbehelligt in die alte Festung der Stadt, die Alcazaba Cadima, in der die Herrscher von Granada vor dem Bau der Alhambra gelebt hatten, zurückgezogen. Die Cadima und der Stadtteil, in dem sie lag, das Albaicin, stellte damit den letzten Teil des Reiches dar, der Muhammad offen unterstützte; ansonsten hatte Granada wieder einen einzigen Herrscher.

Der Graf de Cabra, der Muhammad gefangen genommen hatte, hatte sich eigentlich einen Triumphzug erhofft, aber zu seiner und vieler anderer Enttäuschung wurde nichts daraus. Man brachte Muhammad in aller Stille, in der Nacht, nach Cordoba.

Die große öffentliche Feier würde später kommen, hieß es.

Als Layla hörte, dass er in der Zitadelle war, nahm sie den kleinen Dolch, der sie in ihrem Exil immer begleitete, und ging zu ihm. Die Wachen machten ihr keine Schwierigkeiten, was wohl an ihrer Jugend oder an ihrem Geschlecht lag.

Man hatte ihn wieder einmal sehr großzügig - für einen Gefangenen - untergebracht, dachte Layla, als sie eintrat.

Er spielte gerade die qitar, und er spielte sie gut. Sie blieb stehen, bis er seine Weise beendet hatte und den Kopf hob. Er erkannte sie sofort, was sie nicht erwartet hatte, aber er erschrak nicht.

»Es scheint geschrieben zu stehen«, sagte er sachte, »dass wir uns nur unter ungünstigen Umständen sehen. Willkommen, meine Schwester.«

Layla rührte sich nicht. Ungünstige Umstände? Das war alles?

Diese umständlichen, dichten Kleiderärmel hatten einen Vorteil. Die Damen benutzten sie meistens, um Fächer darin zu verbergen. Sie spürte den kalten Stahl des Dolches beruhigend auf ihrer Haut. Das Grauen, das sie nach dem Tod Ali al Atars gepackt hatte, war abgeklungen. Ich habe einmal getötet, dachte sie. Ich könnte es wieder tun. Vielleicht ist der Verlust von Granada nicht schlimm genug für ihn. Ungünstige Umstände!

»Warum bist du gekommen?«, fragte Muhammad plötzlich in einem veränderten Tonfall. »Um dich an meiner Demütigung zu weiden? Nun, ich bin hier. Macht das Ali al Atars Tat ungeschehen?«

»Nicht in tausend Jahren«, entgegnete Layla leidenschaftlich und froh über die offene Kriegserklärung, »könntest du wieder gutmachen, was du getan hast. Nicht Ali al Atar. Du hast dabeigestanden und zugesehen. Du hast nichts getan, um es zu verhindern, nichts, um die Schuldigen zu bestrafen.«

»Ali al Atar war mein Schwiegervater«, begann er, »und er handelte auf Befehl meiner Mutter…«

»Ich habe meine Mutter verraten«, unterbrach das Mädchen ihn,

»um dir das Leben zu retten.«

Das brachte ihn zum Schweigen. Er hatte zumindest den Anstand, den Kopf zu senken. Langsam näherte Layla sich ihm.

Als sie noch etwa drei Schritte entfernt war, schaute er wieder auf. Sie bemerkte, dass er in den letzten Monaten gealtert war.

Er hatte etwas von dem Glanz des Märchenhelden, der das Volk von Granada - und sie selbst - einmal so bezaubert hatte, verloren, aber nicht alles.

»Warum bist du gekommen?«, wiederholte er, diesmal nicht herausfordernd, sondern müde.

»Fragen«, erwiderte Layla. »Fragen, die ich dir schon lange stellen wollte, mein Bruder. Warum hast du Tariq und mich zurückgewiesen, als wir noch so jung und vertrauensvoll waren, dass wir dir kaum gefährlich werden konnten? Warum hast du Tariq dazu gebracht, auf deinem Pferd zu reiten? Wolltest du ihn unbedingt tot sehen?«

»Es war ein Unfall«, sagte er heftig, mit einer wütenden Aufrichtigkeit, die sie einen Moment lang irritierte, bevor sie sich wieder fing.

»Du lügst«, erklärte sie. »Du und deine Mutter, ihr habt meine Mutter von Anfang an gehasst und hättet alles getan, um sie zu Fall zu bringen…«

»Nein.«

Dass er nur dieses eine Wort sagte, ließ Layla verstummen. Sie biss sich auf die Lippen.

»Nein«, sagte Muhammad noch einmal, »ich habe deine Mutter nicht von Anfang an gehasst. Meine Mutter tat es, und mit Grund, aber ich nicht. Ich begriff durchaus, warum mein Vater sich in Zoraya verliebt hatte. Was hätte er anderes tun können?

Ich liebte sie selbst von dem Augenblick an, als ich sie zum ersten Mal sah.«

Layla wich zurück. Der Boden schien sich unter ihren Füßen aufzutun. »Das ist nicht wahr!«

Er griff nach ihren Händen und hielt sie fest, aber als er sprach, schaute er über sie hinweg. »Wir sind beide etwa im gleichen Alter, weißt du. Als sie in die Alhambra kam, wurde sie nicht sofort die Konkubine meines Vaters, er ließ sie sich noch nicht einmal vorführen. Er hatte nur ihr Alter erfahren und hielt sie noch für zu jung. Die anderen Frauen mochten sie nicht, und sie ging oft allein in den Gärten spazieren, wo wir uns begegneten, immer wieder. Ich versprach ihr, sie zu heiraten; ich wollte zu meinem Vater gehen und ihn bitten, sie freizulassen.«

Vergeblich versuchte Layla, sich loszumachen; sie wollte es nicht hören. Er hielt sie fest, fest genug, um ihr Schmerzen zuzufügen.

»Als ich dann tatsächlich zu meinem Vater ging, war er zuerst entsetzt. Schließlich war sie nur eine christliche Sklavin. Dann ließ er sie holen. Und er sah sie an und bemerkte, dass sie nicht mehr zu jung war.«

»Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr, es ist nicht wahr!«

Muhammad ließ sie los. »Du hast mich gefragt«, sagte er.

Sie wollte fortlaufen, doch sie hatte sich geschworen, nie wieder vor etwas davonzurennen. Also blieb sie. Muhammad schob ihr einen Schemel zu, und sie setzte sich, ohne es wirklich zu bemerken. Geistesabwesend rieb sie die Druckstellen an ihren Handgelenken und beobachtete ihren Bruder, der zu dem Fenster ging, das minarettförmig war wie die Fenster in Granada.

»Weißt du, was ich sah, als ich hierher kam?«, fragte er mit gedämpfter Stimme, ohne eine Antwort zu erwarten. »Ich sah in Cordoba die Zukunft von Granada. Ich habe es schon lange geahnt, schon als ich aus Fez zurückkehrte. Damals mussten wir wegen eines Sturms in einem christlichen Hafen anlegen und einige Tage dort bleiben. Sie haben mehr und bessere Waffen, mehr Land und mehr Menschen. Jetzt, wo sich die Christen geeinigt haben, sind wir zum Untergang verurteilt.«

»Weswegen«, fragte Layla, um überhaupt etwas zu sagen und ihre wiedergewonnene Fassung zu demonstrieren, »kämpfst du dann um den Thron? Und gegen die Christen? Warum gehst du nicht einfach ins Exil?«

Er wandte sich ihr wieder zu. »Ich bin kein Feigling«, entgegnete er verbittert. »Ich werde das Schicksal meines Volkes teilen und versuchen, so viel wie möglich von unserer Welt zu retten.«

Plötzlich konnte sie dieses Gerede von Untergang und Hoffnungslosigkeit nicht mehr aushalten. »Ich glaube, du hast Unrecht, Muhammad«, sagte Layla entschlossen. »Die Lage sieht doch so aus, dass du hier gefangen sitzt und Granada wieder vereint ist. Und die Christen sind nicht unbesiegbar. Al Zaghal und… Abul Hassan Ali haben sie mehrmals geschlagen.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Ich habe vergessen, dass du noch ein Kind bist. Layla, Fernando und Isabella sind gute Rechner.

Was nützt ihnen ein junger Emir in Gefangenschaft, wenn der alte Emir dann sicher auf dem Thron von Granada sitzt? Wo es doch viel besser wäre, den jungen Emir wieder frei und Unruhe in Granada schüren zu lassen? Sie haben mir längst einen Handel angeboten. Das gesamte Reich Granada - als Lehen ihrer Krone.«

Fassungslos sagte das Mädchen: »Und du bist damit einverstanden?«

»Es ist vielleicht die einzige Möglichkeit, um Granada zu retten. Außerdem habe ich ein Recht auf den Thron. Ich bin der Erbe.«

Sie blickte ihn an, diesen Mann, der ihr Bruder und schuld am Tod ihres Bruders war. Er befand sich keine Armlänge mehr von ihr entfernt. Jetzt könnte ich es tun, dachte Layla. Dann stürbe Muhammad fern von Granada, Familie und Freunden, entthront, und mein Wunsch wäre erfüllt.

Er kam näher. Er legte sogar vorsichtig seine Arme um sie. Wie konnte ein Sohn von Alscha al Hurra nur so töricht sein und die Gefahr nicht spüren, in der er sich befand? »Es tut mir Leid, Layla«, murmelte er.

Mit einem Ruck machte sie sich los. Und lief davon.

Sie war nicht einmal überrascht, Jusuf ben Ismail auf einer der endlosen Wendeltreppen des Kastells warten zu sehen. Er trug kastilische Kleidung, aber an sein Wams war ein roter Kreis genäht. »Hierzulande«, sagte er, ihrem Blick folgend, »sind die Juden verpflichtet, sich auf diese Weise kenntlich zu machen.

Sonst verwechselt man sie noch mit conversos, und das ist kein angenehmes Schicksal. Warum hast du ihn nicht getötet? Wegen dieser rührenden kleinen Liebesgeschichte? «

Laylas Wangen flammten, und sie spürte, dass sie errötete. »Ich habe dir gesagt, Ifrit, dass ich nie wieder töten will«, fauchte sie. Jusuf schnalzte missbilligend mit der Zunge.

»Weswegen dann der Dolch im Gewand? Also wirklich…

Doña Lucia.«

Sie ließ sich neben ihm auf die Treppe sinken. Die Kälte, die er ausstrahlte, störte sie nicht, sie hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. »Nenn mich nicht so«, flüsterte sie. »Ich wünschte, ich wäre in Granada, ich wünschte, ich hätte die Alhambra nie verlassen. Kannst du nicht die Zeit zurückdrehen, Jusuf?«

Es musste doch eine Zeit gegeben haben, als alles gut gewesen war, als sie neun und Tariq noch am Leben gewesen war…

»Ich fürchte«, sagte Jusuf ben Ismail höflich, »das liegt außerhalb meiner Möglichkeiten.«

Er sagte das so ernsthaft, dass es schon wieder komisch wirkte und sie zum Lachen brachte. »Gut«, meinte er. »Nun widme dich deinen Pflichten bei der Königin… aber vergiss deinen Dolch nicht. Er wird dich nie im Stich lassen.«

Der offizielle Empfang von Muhammad wurde noch weiter hinausgezögert, und der Hof summte vor Gerüchten. Die einen behaupteten, es gebe Schwierigkeiten mit dem Zeremoniell, die anderen meinten, das Königspaar sei sich noch nicht sicher über das Schicksal ihres Gefangenen.

»Welches Zeremoniell?«, erkundigte sich Layla bei Doña Maria, die alle Zeremonien kannte, die zu kennen sich lohnte.

»Nun, wenn Ihr Recht habt und Euer Bruder den Vasalleneid leisten will, muss er niederknien und den Herrschern die Hand küssen, mein Kind.«

Das war für einen moslemischen Emir eine unerträgliche Demütigung, und Layla konnte sich nicht vorstellen, dass Muhammad darauf einging. Doch bald danach kamen Gesandte aus Granada und Cordoba an, und sie erkannte zu ihrer Verwunderung Ridwan, einen der Hauptleute ihres Vaters, und Omar, einen von Alschas Vertrauten. Zum ersten Mal war sie froh, zur Menge der Hofdamen zu gehören und in ihr zu verschwinden. Wenn Ridwan sie so gesehen hätte, wie sie inzwischen war, wäre sie vor Scham im Boden versunken.

Es stellte sich heraus, dass es zwei verschiedene Botschaften gab. Sowohl Alscha als auch der Emir boten, jeder getrennt, eine beträchtliche Summe Lösegeldes für Muhammad.

»Aber Ihr werdet ihn doch nicht diesem grausamen alten Mann übergeben?«, fragte Luisa de Castro, die sechzehn war und sehr für die Romanzen der Spielleute schwärmte, die Königin, als die Hofdamen ihr abends beim Auskleiden halfen.

Isabella schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht.« Leise und eigentlich nicht für die Ohren ihrer Zuhörerinnen bestimmt, setzte sie hinzu: »Doch es kann nicht schaden, wenn er das annimmt.«

Don Sancho Ximenes de Solis beschloss unterdessen, er könne nicht ewig in Cordoba verweilen, und reiste ab. »Nun, Mädchen, ich bin froh, dass die Königin so gnädig war, dich aufzunehmen. Falls dir irgendjemand einen Heiratsantrag machen sollte, der kein Jude und kein Bauer ist, dann lass es mich wissen, und wenn die Ehre der de Solis es gestattet, werde ich ihn annehmen. Also, leb wohl, und denk immer daran, dass du eine de Solis bist!«

Layla hütete ihre Zunge. Sonst hätte sie ihm höchstens zeigen können, wie sich ihr kastilischer Wortschatz erweitert hatte -

»Fahr zur Hölle« war noch das Harmloseste, was ihr auf den Lippen lag.

Wenn der alte Mann noch drei Tage länger geblieben wäre, hätte er erleben können, wie die Majestäten von Aragon und Kastilien einen arabischen Fürsten empfingen. Die Calatrava-Ritter, der Orden von Santiago, alles erschien in blank polierten Rüstungen und mit vollem Gefolge. Die Mönche in ihren unscheinbaren schwarzen und braunen Kutten waren in so großer Zahl anwesend, um allein auf diese Weise zu beeindrucken. Die Königin trug ein reich besticktes blaues Gewand, der König hatte sich an Rot gehalten. Unmittelbar an ihrer Seite standen die Infanten, die älteste Tochter und der Sohn des Paares, außerdem noch drei Männer, von denen zwei wie Mönche aussahen und der dritte, dem roten Kreuz auf seinem weißen Wams nach zu schließen, ebenfalls Geistlicher war.

»Das ist Kardinal Mendoza«, erklärte Doña Catalina Layla auf ihre Nachfrage hin ehrfürchtig. Mendoza war gekleidet wie ein kastilischer Hidalgo, was nur der Realität entsprach. Layla hatte viele Geschichten über ihn gehört, sowohl in Granada - wo er der berühmteste Christ nach dem Marquis von Cadiz war - als auch hier. Don Pedro de Gonzales de Mendoza war der jüngste Sohn einer der bedeutendsten kastilischen Familien und auf dem Schlachtfeld ebenso zu Hause wie in der Kirche. Er hatte im Krieg gegen Portugal für Isabella gekämpft und durch sein Draufgängertum fast allein die Schlacht von Pelegonzalo entschieden. Außerdem, wie sie nun von den klatschfreudigen Hofdamen erfuhr, hatte er mindestens drei uneheliche Söhne.

»Wisst Ihr, wie er sie der Königin vorgestellt hat?«, wisperte Luisa.

»Er sagte: ›Hier sind meine hübschen Sünden.‹«

»Oh«, sagte Doña Maria.

Die beiden Mönche neben ihm sahen eher wie Asketen denn Ritter aus. »Der Beichtvater der Königin«, erläuterte Doña Luisa hilfreich. »Fray Hernando de Talavera. Talavera ist die Stadt, aus der er kommt, aber niemand kennt seine Eltern, man weiß nur, dass sie conversos sein sollen. Denkt nur! Der Beichtvater der Königin - ein Jude!«

»Ihr redet zu viel, Doña Luisa«, mischte sich Doña Catalina tadelnd ein. »Fray Hernando de Talavera wird von der Königin hoch geschätzt.«

Eine andere Hofdame lenkte ihre Aufmerksamkeit ab, und Luisa sah sich in der Lage, weiter zu klatschen. »Natürlich schätzt ihn die Königin. Wisst Ihr, er hat damals die Kirchenschätze pfänden lassen, um ihr Geld für den Krieg gegen Portugal zu beschaffen. Aber als sie ihn zu ihrem Beichtvater machte und er sich hinknien sollte, stellt Euch vor, was er da gesagt hat! ›Ihr seid hier vor dem Gericht Gottes‹, sagte er zu Ihrer Majestät, ›was bedeutet, ich sitze und Ihr werdet knien.‹«

»Wie hat die Königin geantwortet?«, fragte Layla neugierig.

»Sie lachte und meinte, er sei genau der Mann, den sie brauche. Und sie kniete sich hin.«

Das brachte Laylas Gedanken wieder auf Muhammad. Um sich abzulenken, erkundigte sie sich nach dem dritten Geistlichen, der so nahe bei der königlichen Familie stand. Diesmal hatten weder Luisa noch die anderen Damen viel zu erzählen.

»Fray Tomas de Torquemada«, sagte Luisa kurz. »Der Großinquisitor.«

Trompeten erklangen, und Layla wandte ihre Augen von den dreien ab. Der Ausrufer kündigte Boabdil an, den Emir von Granada. Ein bitterer Geschmack erfüllte ihren Mund. Sie hatte schon länger bemerkt, dass die Kastilier und Aragonier Schwierigkeiten mit den arabischen Namen hatten und dazu neigten, sie zu verkürzen oder ihrer Sprache anzupassen - aus Ibn Sina wurde Avicenna, aus Ibn Ruschd Averroes, Abu Abdallah Muhammad ben Ali wurde zu Boabdil, und Abul Hassan Ali wurde Mulay Hassan -, aber dass sie sich noch nicht einmal hier bei Hof Mühe gaben, die Namen richtig auszusprechen, war ein Zeichen dafür, wie sehr sie sich schon als die Sieger sahen.

Und Muhammad, dachte seine Schwester, spielte ihnen in die Hände, ließ sich von ihnen Granada als Lehen verleihen.

Wahrscheinlich hatte ihn Alschas Gesandter mit neuer Kleidung versorgt, jedenfalls erschien er kaum weniger prächtig als die Könige. Aber sein Gesichtsausdruck war maskenhaft, und er schritt sehr steif auf Fernando und Isabella zu. Kurz vor ihnen blieb er stehen. Die Königin neigte den Kopf.

»Wir begrüßen«, sagte sie mit heller, die ganze Halle erfüllender Stimme, »unseren neuen Lehnsmann, den Fürsten von Granada.«

Alles wartete. Langsam kniete Muhammad nieder und küsste ihre Hand. Dann streckte auch Fernando seine Hand aus.

Muhammad blieb reglos.

»Er wird es nicht wagen!«, flüsterte jemand hinter Layla schockiert. Fernandos Rücken wurde sehr gerade, aber er hielt seine Hand weiter ausgestreckt. Muhammad beugte sein Haupt, und ein allgemeines Aufseufzen ging durch die Halle. Doch kurz bevor er tatsächlich die Hand des Königs berührte, zog Fernando sie wieder zurück.

»Das ist nicht nötig«, sagte er, freundlich wie ein Geier, der sich schon satt gefressen hat. »Erhebt Euch, Boabdil. Ich vertraue auch so auf Eure Vasallentreue und Eure Freundschaft.«

Die Hofdamen flatterten um Isabella wie aufgeregte Motten.

»Oh, der König war so großmütig heute!«

»Und das einem Ungläubigen gegenüber, einem Mauren!« Die Königin von Kastilien überraschte ihre Damen, indem sie sich an die jüngste unter ihnen wandte. Layla hatte sich in die hinterste Ecke des Gemachs zurückgezogen und gehofft, so schnell wie möglich verschwinden zu können.

»Ihr schweigt, Doña Lucia«, sagte die Königin, und schon die Tatsache, dass sie das Mädchen ansprach, machte aus der Feststellung eine Frage. Ihre dunklen Augen fixierten Layla unverwandt.

»Es war«, entgegnete diese, um eine ebenmäßige Tonlage bemüht, »in jeder Beziehung die Tat eines christlichen Ritters und übertraf sicher alle vorherigen Taten christlicher Ritter.«

Isabellas Miene wurde hart, und ihr kräftiges Kinn trat deutlicher hervor. Unwillkürlich fuhr Layla mit der Hand an ihr eigenes. Aus irgendeinem Grund schien diese Geste die Königin zu besänftigen. »Ihr seid noch sehr jung, Doña Lucia«, sagte sie und wandte sich ab. Aber durch den Spiegel, der vor ihr stand, konnte sie das Mädchen noch weiter beobachten. Layla verbeugte sich und wollte gehen, als Isabella, den Blick in den Spiegel gerichtet, hinzufügte: »Ihr habt meine Erlaubnis, Euren Bruder so oft zu besuchen, wie Ihr wollt. Er wird unsere Gastfreundschaft noch länger genießen, so lange, bis sein Sohn als Geisel eintrifft und ihn an unserem Hof ersetzt.«

Die riesige Palastanlage von Cordoba, Medinataz-Zahra, die einmal so berühmt gewesen war wie die Alhambra - in der Tat noch berühmter, denn die Kalifen hatten sie zu einem Juwel von al Andalus gemacht -, war völlig zerstört worden, und nur noch Trümmer waren von der ehemaligen Pracht geblieben. Die derzeitige Residenz der Könige, die Alcazaba, war eigentlich nur die Festung für Kriegszeiten gewesen, doch immer noch prächtiger als die meisten christlichen Burgen, obwohl ein Jahrhundert kastilischer Umbauten die ursprüngliche Harmonie der Formen empfindlich beeinträchtigt hatte.

Nur die Gärten waren noch so, wie sie die Augen der Kalifen und ihrer Wesire erblickt hatten. Dorthin ging Layla, als am nächsten Tag das Fest für den Grafen de Cabra und seine Männer stattfand, um sie für die Gefangennahme Muhammads zu ehren. Sie hatte das neue Wappen gesehen, das der Graf auf königlichen Beschluss hin nun führen durfte - ein gekrönter Araberkopf, um den Hals eine goldene Kette.

»Aber ist es nicht das, was du dir gewünscht hast?«, fragte Jusuf, der mit einem Mal neben ihr ging. Sie schüttelte nur stumm den Kopf, obwohl er Recht hatte. Es war nicht Muhammads, teilte sie sich selbst mit, es war die Demütigung Granadas, die sie so traf.

Die Bäume warfen kühlende Schatten auf ihren Weg, und der betäubende Duft des Oleanders hüllte sie ein.

»Glaubst du«, sagte Layla plötzlich, »er hat die Wahrheit gesagt - über meine Mutter?«

Jusuf gestattete sich ein Achselzucken. »Das macht keinen Unterschied… Lucia«, erwiderte er.

»Aber«, die Worte drangen fast wie gegen ihren Willen aus ihr,

»es hätte alles anders kommen können - wenn er sie geheiratet hätte, und nicht…«

»Du bist ein Kind«, sagte Jusuf missbilligend. »Alscha hätte nie zugelassen, dass ihr Sohn eine christliche Sklavin zu seiner Gemahlin nimmt. Nur spielt es wirklich keine Rolle. Schau ihn dir an, Layla, dann erkennst du den Grund, warum dieses Volk, das einmal al Andalus erobert hat, jetzt gegen die Christen verliert. Ihr seid zu weit von der Wüste entfernt, und er am allermeisten. Er hat nichts mehr von ihrer brennenden Unerbittlichkeit. Und die Kastilier sind Kreuzfahrer.«

»Noch«, sagte Layla scharf, »ist es überhaupt nicht sein Reich.

Mein Vater regiert, und er und al Zaghal haben bewiesen, dass sie herrschen und kämpfen können. Die Könige müssen in Schwierigkeiten sein, sonst hätten sie es doch nicht nötig, ein Kleinkind als Geisel zu verlangen.«

Jusuf legte die Hand auf die Brust und verbeugte sich spöttisch.

»Wie Ihr meint, Sejidah.«

Sie waren am Rand der Gärten angekommen, und man konnte die große Brücke sehen, die sich mit der ehemaligen Moschee verband wie ein Zweig mit dem Baum. Unter ihnen schimmerte der Guadalquivir unruhig im Mondlicht.

»Wo die Milchstraße als schäumender Flussbogen, dessen Schwert aus der Scheide des Laubwerks gezogen, sich mit der Stadt vermählt«, rezitierte Layla in Erinnerung. »So heißt es über Cordoba. Kannst du, der du tot bist, mir sagen, welcher Glaube der richtige ist?«

Mit einer eiskalten Hand hob er ihr Kinn. Sie starrte in die weißgrauen, unmenschlichen Augen. »Zweifel, Lucia? Da kann ich dir nicht helfen, denn keiner meiner Antworten könntest du trauen. Ich könnte aus Eigennutz das Judentum nennen oder aus Bosheit das Christentum, oder den Islam, nur um dir einen Gefallen zu erweisen.«

Sie stand sehr still. »Warum kommst du noch zu mir, Ifrit? Jetzt, wo alles vorbei ist?«

Seine Hand glitt langsam ihre Kehle hinab, dann trat er zurück und lachte sein unirdisches, leises Lachen.

»Aber es ist noch nicht vorbei, kleines Mädchen, und ich habe dir von Anfang an gesagt, was ich von dir will. Ein kleiner Teil genügt nicht. Ein Handel bleibt ein Handel.«

Er war verschwunden. Layla blickte auf ihr linkes Handgelenk.

Alle anderen Schnitte waren verheilt, aber die punktförmige, tiefe Wunde dort blieb ständig frisch verkrustet. Manchmal kratzte sie sie selbst auf, aus Nervosität, aber meistens dachte sie gar nicht daran. Das war das Seltsamste - sie spürte sie überhaupt nicht.

Die Königin verbrachte ihren Vormittag zumeist mit Staatsgeschäften, empfing Botschaften, Bittgesuche, die Abgeordneten der Cortes, der Ständeversammlung, und dergleichen mehr. In dieser Zeit brauchte sie ihre Hofdamen nicht, es sei denn, um kleine Gänge und Aufträge zu erledigen.

Auf diese Weise begegnete Layla einmal Isabellas Beichtvater, Fray Hernando de Talavera. Er verließ gerade die königlichen Gemächer, offenbar im Geiste sehr mit etwas beschäftigt, denn mit gerunzelter Stirn überrannte er sie und den Wasserkrug, den sie trug - Isabella trank keinen Wein - beinahe.

Sie prallten aneinander, und Layla ließ den Krug fallen. Wasser bespritzte sie beide, und er entschuldigte sich als Erster. »Verzeih mir, mein Kind, ich war in Gedanken.«

Layla murmelte ebenfalls eine Entschuldigung und machte sich daran, die Scherben aufzulesen, als sie überrascht feststellte, dass er neben ihr niederkniete, um ihr zu helfen.

Dabei musterte er sie nachdenklich. »Du kommst mir bekannt vor. Oh - verzeiht - seid Ihr nicht die Enkeltochter von Sancho de Solis?« Widerwillig bestätigte Layla seine Vermutung. »Ich habe Euch noch nicht bei der Beichte gesehen«, sagte Fray Hernando de Talavera.

Eigentlich hatten die Damen der Königin das Privileg, bei ihrem Beichtvater zu beichten, aber, wie Luisa Layla versichert hatte, taten die meisten es nur einmal, der Form halber.

»Er ist so streng! Auch der König geht nur sehr ungern zu ihm. Als er König von Aragon wurde, soll Talavera ihm eine Liste von Mahnungen geschickt haben - mehr innere Demut, mehr äußere Autorität, mehr Treue zur Königin. Mein Vetter ist Staatssekretär und er hat mir erzählt, der König wäre beinahe erstickt, als er diese Liste…«

»Ihr geht auch nicht oft zur Messe, glaube ich«, unterbrach der Beichtvater der Königin Laylas Gedanken. Er sagte das durchaus nicht unfreundlich. Sie schaute zu ihm auf. Sein Gesicht war das eines strengen Asketen, aber um Augen und Mund hatten sich Lachfalten eingegraben, und auch jetzt lag ein leichtes Zwinkern in seinen Augenwinkeln.

»Meine neuen Pflichten nehmen, hm, viel Zeit in Anspruch, und es ist alles so überwältigend für mich«, entgegnete sie lahm. Auf keinen Fall hätte sie ihm den wahren Grund genannt, nämlich, dass sie keine weitere Messe in der Kathedrale von Cordoba ertragen konnte. Man hatte die große Moschee der Kalifen gewaltsam in eine Kirche umgewandelt, mitten in die leichte Anmut der Pfeiler und Bögen, die so kunstvoll übereinander strebten, dass sich der Eindruck einer Oase von Palmen in der Wüste ergab, einen wuchtigen, düsteren Kapellenbau gesetzt. Als sie während ihrer ersten Messe in Cordoba sehen musste, wie auf die gefächerten Gewölbe, die an die geöffneten Zweige einer Palme erinnerten, krude Gemälde von christlichen Heiligen gemalt worden waren, hatte sich Layla an Muhammads Prophezeiung erinnert, in Cordoba spiegele sich das künftige Schicksal Granadas, und Grauen hatte sie erfasst. Doch obwohl Talavera nicht unfreundlich erschien, war ein derartiges Gefühl nichts, was man einem christlichen Priester anvertraute.

»Zweifellos«, sagte Fray Hernando. Dann legte er die Tonscherben, die er aufgesammelt hatte, in Laylas geöffnete Handflächen und segnete sie. »Jetzt lauft, mein Kind. Ich will Euch nicht weiter von Euren Pflichten abhalten.«

Er senkte die Stimme und flüsterte, so schnell, dass sie sich später fragte, ob sie es sich nur eingebildet hatte: »Nichts aus der Vergangenheit verliert man für immer.«

Erst da fiel ihr wieder ein, dass Talavera dem Hofgeschwätz zufolge selbst ein converso war.

Der andere Mönch am Hof, Fray Tomas de Torquemada, der Großinquisitor, blieb nicht lange, sondern brach bald nach Toledo auf, zur Erleichterung der Königin. Obwohl sie Torquemada gerade wegen seiner Kompromisslosigkeit als Großinquisitor gewählt hatte, machte ihn diese Eigenschaft immer öfter zu einem Hindernis für den täglichen Ablauf der Geschäfte des Hofes.

»Niemand wäre besser für seine Aufgabe geeignet als Fray Tomas«, sagte sie seufzend, »aber wenn er hier ist, gerät er ständig in Streit mit Abraham Seneor, und das kann ich nicht gebrauchen.«

Abraham Seneor war oberster Richter und oberster Rabbi der jüdischen Gemeinden des Königreiches, außerdem der oberste Steuereintreiber und der Schatzkanzler der Hermandad. Das machte ihn unter den christlichen Höflingen nicht gerade beliebt, aber Isabella kannte ihn schon seit ihrer Kindheit; er hatte sie Fernando von Aragon vorgestellt. So war er in seinen Ämtern ziemlich sicher und der natürliche Feind des Großinquisitors, der offen die Meinung vertrat, die nicht bekehrten Juden sollten vertrieben werden.

Was die conversos anging - dass einem Bekehrten, der heimlich weiter seinem alten Glauben anhing, der Scheiterhaufen drohte, war jedem bekannt.

Layla, die einen solchen Scheiterhaufen noch nie hatte brennen sehen, fühlte sich selbst nicht davon betroffen, so wenig, dass sie, als sie sich überwunden hatte, Muhammad tatsächlich wieder zu besuchen, die abendliche Gebetszeit wählte. Sie war nicht sicher, ob sie noch als Moslemin gelten konnte - nicht nur wegen der Taufe, sondern auch wegen der verbotenen Zauberei -, aber sie sehnte sich danach, noch einmal die vertrauten Silben der salat zu hören, eine Sehnsucht, die bei dem Gedanken an die ehemalige große Moschee von Cordoba vehement zum Ausbruch kam.

Muhammad schien ihren Wunsch zu erahnen. Es war das erste Mal, dass sich ein Gefühl der Gemeinschaft zwischen ihnen erhob. Natürlich hatte Layla ihm nicht verziehen, und außerdem nahm sie ihm sein Bündnis mit den Christen übel, wohl wissend, wie paradox das angesichts ihrer eigenen Lage war, und sie ahnte nicht, was er über sie dachte. Doch an diesem Abend waren die Kinder von Alscha al Hurra und Isabel de Solis nur zwei Verbannte, die ihre Verbannung teilten.

Layla hatte sich so weit entkleidet, um die vorgeschriebenen Waschungen an Füßen und Armen vollführen zu können, während Muhammad den Teppich entrollte, den ihm Alscha geschenkt hatte. Es gab keinen Muezzin, der zum Gebet rief, also richteten sie sich nach ihrem eigenen Zeitempfinden.

Muhammad sprach die niyya, die Aufforderung an die Gläubigen zum Gebet. Dann brachten sie die rakah hinter sich, das Aufstehen und Niederwerfen vor Allah, der allein groß war.

Das Abendgebet forderte zwei rakah, und während sich Layla verneigte, senkte sich zum ersten Mal seit Tariqs Tod Frieden in ihr Herz.

Sie wollte diesen Frieden nicht ziehen lassen, als das Gebet zu Ende war, und schwieg, bis Muhammad aus dem Koran zitierte.

»Was bei euch ist, vergeht, und was bei Allah ist, besteht; und wahrlich, belohnen werden wir die Standhaften mit ihrem Lohn für ihre besten Werke.«

Sie kannte die Sure, hatte sie oft gehört, das wusste sie genau, aber einen Augenblick lang fielen ihr die folgenden Verse nicht ein, und ein blinder Schrecken erfasste sie. Dann erinnerte sie sich wieder und sprach, wie man es sie gelehrt hatte: »Wer das Rechte tut, sei es Mann oder Weib, wenn er gläubig ist, den wollen wir lebendig machen zu einem guten Leben und wollen ihn belohnen für seine besten Werke.«

Es gab keine Unterhaltung an diesem Abend; sie gingen stumm auseinander, und es sollte das einzige Mal bleiben, wo sie in Frieden aufeinander trafen.

Im August erreichte die Gesandtschaft mit Muhammads kleinem Sohn und dem Lösegeld den Hof. Es war sein und Moraymas einziges Kind, ein Junge von fünf Jahren, den sie Suleiman genannt hatten. Selbstverständlich gab es auch für diese Gelegenheit eine große Zeremonie. Wieder war der gesamte Hof versammelt, als Alschas Gesandter das Kind zu seinem Vater führte. Muhammad kniete nieder und umarmte den Jungen, aber er sagte kein Wort, und auch Suleiman blieb still.

Bevor das Schweigen unbehaglich werden konnte, machte Isabella von Kastilien eine der öffentlichen Gesten, für die sie berühmt war und bei denen man nie wusste, ob es sich um Berechnung oder echtes Mitgefühl oder beides handelte. Sie erhob sich und ging zu Muhammad.

»Fürst«, sagte sie, »Euer Sohn hat eine lange Reise hinter sich.

Er muss erschöpft sein. Warum bringt Ihr ihn nicht in Eure Gemächer und kommt dann wieder? Der König und ich würden uns freuen, wenn Ihr heute Abend mit uns speisen würdet.«

Muhammad verbeugte sich und murmelte: »Ich danke Euch, meine Königin.«

Durch die Schar der Höflinge lief ein enttäuschtes Raunen, als er mit dem Kind die Halle verließ. Mit einer Handbewegung signalisierte Fernando, dass der Empfang beendet war.

An der abendlichen Tafel saßen zwar immer noch die Granden und die Damen der Königin, aber es waren sehr viel weniger als bei einem offiziellen Empfang. Sowohl Isabella als auch Fernando taten ihr Möglichstes, um Muhammad wie einen geehrten Gast zu behandeln.

Dennoch gelang es der Königin, alle Anwesenden - außer ihrem Gemahl - zum zweiten Mal an diesem Tag zu überraschen, als sie sich mit strahlender Miene erneut an ihren Vasallen wandte und meinte: »Glaubt mir, ich bin selbst Mutter und weiß, wie sehr es Euch schmerzen muss, Euren Sohn in der Fremde erzogen zu sehen. Doch ich denke, ich habe eine Lösung gefunden, die Euch den Abschied ein wenig leichter macht. Gottes unerforschlicher Wille hat es gefügt, dass ein weiteres Mitglied Eures Hauses an unserem Hof weilt. Wir werden Eure Schwester mit der Erziehung Eures Sohnes betrauen, bis er zu alt für weibliche Aufsicht ist.«

Menschlichkeit oder Strategie? fragte sich Layla. Dank des alten Mannes hielt Isabella sie für älter, als sie tatsächlich war, sonst hätte die Königin wohl eher vorgeschlagen, sie gemeinsam mit Suleiman erziehen zu lassen. Doch der erste Gedanke, der ihr gekommen war, noch ehe die Königin zu Ende gesprochen hatte, war ein anderer gewesen. Der Wille Gottes musste wahrlich unergründlich sein, wenn er sie zwang, sich um Alschas und Ali al Atars Enkelkind zu kümmern.

Der Myrtenhof in der Alhambra war von Säulen aus Jaspis und Alabaster umgeben, die wie Perlen den langen, als perfektes Rechteck gestalteten Teich umrahmten. Abul Hassan Ali stand an eine Säule gelehnt und betrachtete das in Marmor gefasste Wasser, als er hinter sich Schritte widerhallen hörte. Er drehte sich nicht um, denn diese Schritte waren ihm von Kindheit an vertraut.

»Erinnerst du dich«, sagte er abwesend zu seinem Bruder, »an die Geschichte über die Entstehung der Alhambra?«

Al Zaghal brannte vor Ungeduld, er hatte wichtige Neuigkeiten, doch er zwang sich zur Selbstbeherrschung. Seit die Christin fort war und Granada sich im Bürgerkrieg befand, alterte Ali immer schneller. Grübeleien wie diese waren nichts Ungewöhnliches mehr bei ihm.

»Die Verdurstenden in der Wüste sollen kurz vor ihrem Tod die schönsten Träume haben. Und Muhammad Ibn al Ahmar wollte einen solchen Traum in Stein.«

Ali löste sich von der Säule. »Genauso fühle ich mich jetzt, Bruder. Wie ein Verdurstender in der Wüste. Ich weiß schon, was du mir erzählen willst. Der Marquis von Cadiz, Allah verdamme ihn, hat Zahara zurückerobert. Und unsere Armee bei Lopera geschlagen.«

»Er ist wahrhaft ein Sohn von Iblis«, stimmte al Zaghal zu,

»aber wir wurden schon vorher geschlagen, und wir haben uns wieder erholt. Nein, ich wollte aus einem anderen Grund mit dir sprechen. Wir müssen endlich etwas gegen Muhammad unternehmen.«

»Ich habe Alscha und ihre Anhänger aus der Stadt vertrieben«, sagte Ali langsam, »obwohl das gegen unsere Gesetze verstößt, da sie noch immer meine Gemahlin ist. Sie und Muhammad residieren jetzt in Almeria. Was soll ich deiner Meinung nach noch tun? Almeria angreifen, damit die Christen inzwischen in aller Ruhe ihren Krieg fortführen können, während wir uns selbst zerfleischen?«

Al Zaghal schüttelte den Kopf. »Solange wir gegeneinander kämpfen, sind wir nicht stark genug, um die Christen zu besiegen, da stimme ich dir zu. Aber jetzt, wo Muhammad sich mit ihnen verbündet hat, verliert er mehr und mehr seiner Anhänger. Jetzt sollten wir zuschlagen. Ihn ein für alle Mal erledigen, damit die Christen nicht ständig einen Dolch haben, den sie uns in den Rücken stoßen können.«

Abul Hassan Ali schlug mit der Faust gegen eine der Alabastersäulen. »Nein! Du bist der Oberbefehlshaber meiner Streitkräfte und mein wichtigster Ratgeber, und glaube mir, Bruder, ich schätze deinen Rat über alles. Aber diesmal hast du Unrecht. Die Christen sind die größere Gefahr. Erst die Christen und dann Muhammad.«

Während das dritte Kriegsjahr anbrach, dachte Layla oft, dass in einem der Märchen, an die sie früher einmal geglaubt hatte, Suleiman ein anbetungswürdiges kleines Kind gewesen wäre, das sie mit allem versöhnt und ihr endgültig alle Rachewünsche ausgetrieben hätte.

Suleiman erinnerte sie schnell wieder daran, dass sie in der Wirklichkeit lebte.

Die Königin hatte natürlich nicht im Sinn gehabt, ihr die alleinige Verantwortung für die kostbare Geisel zu übertragen; der Mann, der dafür zu sorgen hatte, dass Abu Abdallahs Sohn sich ständig in allen Ehren bei Hofe aufhielt, war Don Martin de Alarcon. Aber Layla war diejenige, die ihn tagsüber beaufsichtigen sollte, seine Sachen packen, wenn der Regierungssitz wieder einmal gewechselt wurde, und was dergleichen mehr anfiel.

Der einzige Vorteil gegenüber dem Dasein als Hofdame war, dass sie dadurch eine eigene Kammer erhielt, direkt neben dem wohl bewachten Gemach ihres Neffen.

Auch wenn es sich nicht ausgerechnet um Suleiman gehandelt hätte, wäre Layla nicht sehr begeistert von ihrer Aufgabe gewesen; sie war noch zu jung, um in Kleinkinder vernarrt zu sein, wie Doña Maria es beispielsweise war. Layla hatte Don Sancho Ximenes de Solis brieflich gedroht, die Ehre der Familie durch offene Bettelei zu beflecken, was dazu führte, dass Doña Maria und sie monatlich eine kleine Summe Geldes erhielten; so konnte die Duena bei ihr bleiben. In Momenten der Schwäche fühlte sich Layla versucht, Suleiman ganz auf Doña Maria abzuwälzen; aber sie hatte das bohrende Gefühl, es sei ihre Pflicht, wenigstens dafür zu sorgen, dass er seine Heimat nicht ganz vergaß.

Das Vergessen war ihre eigene geheime Furcht. Als Suleiman sich lautstark über die christliche Kleidung und den Gestank überall beschwerte, stellte Layla erschrocken fest, wie sehr sie sich selbst schon daran gewöhnt hatte. Es machte ihr auch nichts mehr aus, die Messe zu besuchen, seit der Hof Cordoba verlassen hatte, und sie fasste nicht mehr unwillkürlich nach einem Schleier, wenn sie einem Fremden begegnete.

Daher war sie zuerst froh, mit Suleiman arabisch sprechen und über die Alhambra reden zu können. Der Anfang war bereits nicht sehr viel versprechend.

»Ich weiß, wer du bist«, verkündete er. »Du bist die Tochter der christlichen Hexe.«

Morayma, demütig und sanft, wie der Prophet es forderte, hatte seine Erziehung bisher der beherrschenden Alscha überlassen.

Daher verabscheute der kleine Junge nicht nur den christlichen Hof, sondern auch Layla, und nachdem sie ein paar Tage lang die Sachen, die er zerbrach, aufgelesen hatte, ihm durch die ganze Zitadelle hinterhergerannt war und mehrere seiner Wutanfälle über sich hatte ergehen lassen müssen, erwiderte sie seine Gefühle vollauf und schrie zurück. Da sie sich darauf verließ, dass niemand in Hörweite Arabisch verstand, bediente sie sich all der prächtigen Verfluchungen, die ihr diese Sprache zur Verfügung stellte, und endete schließlich befriedigt: »Und wenn du Sohn eines fünfbeinigen räudigen Esels im Laufe deines Lebens auch nur ein Hundertstel der Klugheit eines Kamels erlangen solltest, dann hat Allah wahrhaft ein Wunder vollbracht!«

Er starrte sie mit großen Augen an, und seine Lippen zitterten; und dann setzte sich das verabscheute Balg zu Laylas Entsetzen auf den Fußboden und begann, lauthals zu weinen.

Hinter ihr räusperte sich jemand. »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee von der Königin war«, meinte Fray Hernando de Talavera zweifelnd. Das Blut stieg Layla in die Wangen, aber sie war noch immer aufgebracht genug, um Suleiman am Arm zu packen und hochzuziehen.

»Die Königin war sehr gütig«, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Mein Neffe und ich verstehen uns hervorragend.« Dabei drehte sie Suleimans Arm auf den Rücken, etwas, das ihr Tariq beigebracht hatte und das Suleiman sehr schnell zum Verstummen brachte. Dank ihrer bauschigen Röcke konnte der Beichtvater der Königin diesen Gewaltakt nicht sehen; er musterte sie nur skeptisch und lächelte dann.

»Es wird sie freuen«, sagte er, »das zu hören. Doch Ihr solltet dem Kleinen unsere Sprache beibringen, Doña Lucia. Sonst wird er sich hier so einsam fühlen wie… ein Kamel in den Bergen.« Nach diesem Abschiedsgruß hastete er in seiner Kutte weiter. Layla blieb in tiefster Verlegenheit zurück und klammerte sich an die vage Möglichkeit, dass das mit dem Kamel Zufall gewesen war.

Wie auch immer, Suleiman ließ sich nicht gerne etwas beibringen, doch sie entdeckte bald, dass er für Süßigkeiten so empfänglich war wie einst Tariq. Also versuchte sie es mit Bestechung und erzielte langsame Fortschritte.

Auf dieses grässliche Kind aufzupassen, nahm sie so in Anspruch, dass sie eine Zeit lang kaum mehr auf die Kriegsneuigkeiten achtete. Sie waren weder ermutigend noch niederschmetternd. Ihr Vater versuchte zweimal vergeblich, Alhama zurückzuerobern; al Zaghal und sein Unterführer, Hamid al Zegri, lieferten sich regelmäßige Gefechte mit dem Marquis von Cadiz, bei denen einmal der eine, dann wieder der andere gewann. Als die lange versprochenen Kanonen und Feuerwaffen aus Italien für die kastilische Armee eintrafen, gelang es Don Rodrigo, zwei Festungen hintereinander zu erobern, Alora und Setenil.

»Aber es würde alles sehr viel schneller gehen«, äußerte er unzufrieden, als man ihm zu seinen Erfolgen gratulierte, »wenn dieser Schwächling in Almeria endlich anfangen würde, um sein Lehen zu kämpfen. Zumindest würde das seinen elenden Onkel ablenken.«

Abends war Layla meistens zu erschöpft, um irgendwelche Feste oder Menschen zu besuchen - sie hatte ohnehin keine Freunde bei Hof, was Doña Maria einmal zu einem stirnrunzelnden Kommentar veranlasste.

»Ihr solltet mehr unter Leute gehen, Lucia. Es ist nicht gut für ein Mädchen in Eurem Alter, immer nur in Gesellschaft von Rindern und älteren Frauen zu sein. Schließlich seid Ihr selbst kein Kind mehr.«

Layla entgegnete ihr, sie sei viel zu beschäftigt, und das auf Wunsch der Königin, aber im Winter, als ihr dreizehntes Lebensjahr begann, erinnerte sie sich wieder an die Worte der Duena. Sie hatte niemandem von ihrem Geburtstag erzählt; Suleiman hatte von Don Martin seine erste Reitstunde erhalten und schlief daher gnädigerweise schnell ein, Doña Maria war für ein paar Wochen nach Sevilla zurückgekehrt, also hatte Layla ihre Kammer und ihre Zeit für sich.

Suleiman als königliche Geisel hatte Anspruch auf Bequemlichkeit, was Layla von Anfang an dazu benutzt hatte, ständig einen Waschbottich zur Verfügung zu haben. Es war nicht das Gleiche wie ein echtes Bad, aber es stellte sie einigermaßen zufrieden. Sie entfachte ein Feuer in dem winzigen Kamin, neben den sie den Bottich gerückt hatte, verriegelte die Tür, zog sich aus und stieg in das inzwischen lauwarme Wasser. Es war ein angenehmes Gefühl, und sie ließ sich so tief wie möglich hineingleiten. Dabei stellte sie fest, dass sie noch etwas gewachsen sein musste, denn Bottiche verkleinerten sich nicht von selbst, und ihre Knie und Brüste schauten noch hervor, selbst wenn sie sich zusammenkauerte. Vor einem Jahr hatte sie höchstens andeutungsweise einen Busen gehabt Sie blickte an sich herab und dachte verstört: Doña Maria hat Recht, ich bin kein Kind mehr.

Noch immer war sie zu dünn, gemessen an allen Maßstäben, die sie kannte, aber niemand würde sie mehr mit einem Jungen verwechseln.

Die Wasseroberfläche hatte sich inzwischen beruhigt und zeigte Layla ihr Gesicht. Nase und Mund hatten ihre unglückselige Form behalten und würden es wohl immer tun, und ihr Kinn war immer noch spitz, aber die Wangenlinie hatte sich etwas gerundet und ließ es nicht mehr so sehr hervortreten, weicher aussehen.

Ach was, dachte sie. Ich will nicht heiraten und Kinder haben, die ich eines Tages verliere. Sie schloss die Augen und überließ sich dem Wasser.

Als sie wieder aufschaute, waren ihre Sachen von dem Schemel, auf den Layla sie gelegt hatte, verschwunden. Stattdessen lag dort ein weißgoldenes Kleid, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es war mit winzigen Perlen und Goldfäden übersät, die in dem flackernden Licht des Feuers glitzerten wie Spinnweben im Tau.

Die Tür war verriegelt. Es gab also nur eine Erklärung, wie das merkwürdige Kleid hierher gekommen war.

»Ifrit«, rief Layla ärgerlich, »bist du das? Bist du hier?«

Sie erhielt keine Antwort. Er hatte sie in diesem Jahr öfter besucht, und sie hatte sich dabei ertappt, manchmal sehnsüchtig darauf zu warten, denn erstens war er der Einzige, mit dem sie offen sprechen konnte, der Einzige, der alles über sie wusste, und zweitens war er so etwas wie ihr Fenster in die Welt. Er wusste, wie es ihrer Mutter ging, dass ihr Vater immer öfter ans Bett gefesselt war, dass Alscha Muhammad regelmäßig und vergeblich bestürmte, doch endlich Granada selbst anzugreifen, und er kannte alle möglichen und unmöglichen Geschichten über das Königspaar und den Hofstaat. Allerdings erzählte er ihr nicht immer, was sie wirklich wissen wollte, und hatte sie schon öfter mit einer unwahrscheinlichen Geschichte hinters Licht geführt, um sich anschließend über ihre Leichtgläubigkeit lustig zu machen. Sie hatte den Verdacht, dass er gerne mit ihr stritt; manchmal gestand sie sich ein, dass sie ihn vermissen würde, wenn er nicht mehr käme, und war zornig darüber.

Aber er war noch nie aufgetaucht, während sie badete.

Layla erhob sich langsam aus dem Wasser, um ihm zu zeigen, dass sie keine Angst hatte, falls er tatsächlich hier war. Es rührte sich nichts, und sie griff nach dem bereitgelegten Tuch, um sich abzutrocknen. Dann sah sie sich das Kleid an.

Es war aus Seide und schön wie eine der verzierten Alabastersäulen in der Alhambra. Vor zwei Jahren hätte sie nicht geglaubt, dass sie etwas Christliches einmal schön finden könnte, aber sie tat es. Als Layla es aufhob, klirrte etwas, und sie bemerkte, dass zwei Kämme aus Silber dabeilagen, um ihr Haar aufzustecken. Bisher hatte sie es noch nicht getan - es war nur für heiratsfähige Mädchen und Frauen üblich -, doch Doña Maria hatte ihr die nötigen Handgriffe beigebracht.

Sie konnte nicht widerstehen. Ob das nun ein Scherz sein sollte oder nicht, sie zog das Kleid an und versuchte dann, mit Hilfe des kleinen Bronzespiegels ihr Haar zu richten. Neben den Augen war ihr Haar das Einzige an ihr, das man ihrer Meinung nach als ansehnlich bezeichnen konnte; schwarz und üppig wie das einer echten Araberin.

Wahrscheinlich war nicht alles völlig korrekt, aber als sie den Spiegel ein letztes Mal hob, war Layla zufrieden. Dann tauchte im Spiegelbild die Gestalt von Jusuf ben Ismail auf.

»Also warst du doch da«, sagte sie anklagend und drehte sich um. Er trug Schwarz, nur Schwarz, doch selbst der anspruchsvollste Hidalgo hätte für einen königlichen Empfang nicht besser gekleidet sein können.

»Natürlich«, erwiderte er. »Es ist dein Geburtstag, Layla, und das ist mein Geschenk für dich.« Mit zusammengezogenen Brauen blickte er sich um. »Aber es ist reichlich eng hier.«

Er reichte ihr seinen Arm, und wie Doña Maria es sie gelehrt hatte, legte sie ihre Hand darauf. Dann öffnete er die Tür, und sie verließen das Zimmer. Erst als sie auch Suleimans Gemach - und seine Wachen - schweigend hinter sich gelassen hatten, blieb Layla stehen.

»Jusuf«, sagte sie bedauernd, »ich kann dieses Gewand nicht tragen. Jeder weiß doch, dass es nicht mir gehört, sie werden glauben, ich hätte es gestohlen.«

»Ich habe es gestohlen«, erwiderte er gleichgültig. »Es ist das neue Kleid der Infantin.«

Vor Empörung und ein wenig auch vor gekränkter Eitelkeit - sie hatte angenommen, er hätte es für sie herbeigezaubert - war Layla sprachlos. Er lächelte.

»Sie hat es nicht gebraucht, aber ich. Nun, kleines Mädchen, erinnerst du dich an unseren Handel? Es ist an der Zeit, dass du wieder an mich bezahlst.«

Layla bedeckte unwillkürlich ihr linkes Handgelenk. Sein Lächeln vertiefte sich. Sie fröstelte, aber sie schluckte ihr Unbehagen herunter und fragte: »Was geschieht eigentlich, wenn du meine Lebenskraft nimmst?«

Jusuf hob eine Augenbraue. »Das verkürzt selbstverständlich dein Leben, Layla. Ist dir nicht aufgefallen, dass du im letzten Jahr ziemlich schnell gewachsen bist? Was mich angeht, mir gibt es die Kraft, Gestalt zu bleiben, deine Wünsche zu erfüllen… und meine.«

Von dem Gang aus, in dem sie standen, konnte man die Spielleute hören, die gerade eine Sarabande anstimmten - oder bildete sie sich das nur ein? »Was für Wünsche«, fragte Layla in der festen Absicht, sich nicht einschüchtern zu lassen, »deinen Fluch?«

Sein Gesicht lag im Schatten, nur die gläsernen Augen spiegelten das schwache, widerspenstige Licht der Fackeln wider, die überall an den Wänden staken. »Im Moment«, sagte er mit seiner melodischen Stimme, »habe ich nur einen Wunsch. Tanz mit mir.«

Unter seinem Blick fand sie es plötzlich schwer zu sprechen.

»Ich kann nicht tanzen«, sagte sie leise; das war nicht ganz richtig, Doña Maria hatte ihr ein paar Grundschritte beigebracht, aber nicht viel mehr. Bei den Moslems tanzten Mann und Frau nicht miteinander, also hatte sie keinen ernsthaften Versuch gemacht, es zu lernen.

Er legte eine Hand auf ihren Mund und zog sie mit der anderen näher. Plötzlich war sie überzeugt, dass sie es konnte. Sie raffte ihr Kleid und begann zögernd die ersten Schritte, etwas sicherer die nächsten. Es gab keine anderen Paare, zu denen sie hätten wechseln können, aber die Schatten um sie herum schienen lebendig zu werden, und wenn es an der Zeit war, sich zu trennen, wirbelte Layla zwischen ihnen mit einem berauschenden Gefühl der Freiheit, das sie hätte warnen sollen. Es erinnerte sie an etwas, doch sie wollte gar nicht wissen, woran.

Das Tanzen machte ihr Spaß, beflügelte sie, ließ sie nicht mehr ungeschickt sein, und sie hätte ewig weitermachen können, wenn die Musik nicht aufgehört hätte. Die Schatten kamen zum Stillstand, bis auf den dunkelsten von ihnen, Jusuf, der sie festhielt.

Er hatte beide Arme um sie gelegt und zog sie langsam immer dichter an sich heran, bis sie seinen Herzschlag hätte spüren müssen. Aber da war kein Herzschlag.

»Es ist zu Ende«, murmelte Layla unsicher.

»Ich glaube nicht«, entgegnete er. Und seine eisigen Lippen legten sich auf ihren Mund.

Al Zaghal hatte ein ungutes Gefühl, als er in Almeria einritt.

Ursprünglich hatte er einen Überraschungsangriff geplant, einen Blitzschlag aus heiterem Himmel. Aber die Stadt leistete keinen Widerstand; die Tore waren für ihn und seine Armee geöffnet, und die Leute auf der Straße jubelten ihm zu. Er wusste, dass er seit dem Sieg bei Malaga als die große Hoffnung des Reiches galt, doch dass die Leute selbst in Muhammads Residenz auf seiner Seite standen, war mehr, als er erwartet hatte.

Wenn es sich nicht um eine Falle handelte.

Er wies einen Teil seiner Männer an, vor der Stadt zu lagern, und befahl den Soldaten, die er mitnahm, bei ihm zu bleiben und auf keinen Fall in ihrer Kampfbereitschaft nachzulassen.

Man gehorchte ihm widerspruchslos. Al Zaghal lächelte und winkte nicht, als er durch Almeria zog, und er sprach zu seinen Soldaten nicht freundlicher als zu jedem anderen. Es war nicht die Begeisterung für einen Märchenhelden, die er hervorrief, auch nicht die Loyalität, die sein Bruder in seinen besten Zeiten erzeugen konnte. Was die Leute veranlasste, den grimmigen, unerbittlichen al Zaghal durch ihre Schreie anzufeuern, war die Gewissheit, dass er sich nur durch den Tod von seinem Ziel würde abbringen lassen.

Die Zitadelle, der Alcazar, empfing ihn ähnlich, und al Zaghal entspannte sich etwas. Vielleicht handelte es sich wirklich nicht um einen besonders fein ausgeklügelten Hinterhalt Muhammads. Der Junge war nie sehr gut in Listen gewesen. Andererseits erschien es ihm unwahrscheinlich, dass sein Neffe sich einfach so ergab.

Er verteilte seine Soldaten über die gesamte Festung, befahl ihnen, alles nach Muhammad abzusuchen. Keine weiteren Verkleidungen dieses Mal. Alscha zu finden, bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Sie wartete mit ihren Frauen und Raschid, Alis Sohn von einer Konkubine, der sich auf Muhammads Seite gestellt hatte, auf ihn.

Al Zaghal verschwendete keine Zeit. »Wo ist dein verräterischer Sohn?«, fragte er sie barsch. Alscha lachte verächtlich.

»Hier gibt es nur einen Verräter«, antwortete sie höhnisch, »und das bist du.« Al Zaghal sagte nichts, und Raschid fühlte sich dadurch ermutigt, noch etwas Öl ins Feuer zu gießen.

»Muhammad ist der rechtmäßige Emir«, sagte er herausfordernd. Al Zaghals Soldaten bewunderten einmal mehr die Schnelligkeit ihres Anführers, als er Raschid packte, ihm die Arme umdrehte und in die Knie zwang.

»Muhammad ist nichts weiter«, sagte al Zaghal, während Raschid der Angstschweiß ausbrach, »als ein Sohn, der gegen seinen Vater rebelliert und sich obendrein noch den Christen verkauft hat. Immerhin, er hatte gewisse Gründe, also kann ich es bei ihm verstehen. Aber nicht bei dir.«

Er ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. »Schlagt diesem Verräter den Kopf ab«, sagte er kalt zu den drei Männern, die ihn begleiteten. Raschid fing an zu schreien und al Zaghals Lippen kräuselten sich verächtlich.

»Das kannst du nicht machen, das kannst du doch nicht tun!«, brüllte Raschid.

»Frag mich das in der nächsten Stunde«, erwiderte al Zaghal,

»und du fragst als Geist. Es sei denn, du erzählst mir, wo Muhammad sich aufhält.«

Bis jetzt hatte Alscha das Schauspiel stumm verfolgt, hatte mit keinem Wort und keiner Bewegung gegen das Schicksal ihres Stiefsohns protestiert. Das änderte sich nun schlagartig.

»Du hast nicht das Recht«, begann sie erregt, »einen Sprössling der Banu Nasr…«

»Nein?«, fragte al Zaghal. Er wandte sich wieder an Raschid.

»Also?« Die Augen des jungen Mannes wanderten zwischen al Zaghal und Alscha hin und her. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Schließlich senkte er den Kopf und wich Alschas Blick aus. »Eure Armee war zu groß für uns, also ist er geflohen, kurz ehe Ihr kamt. Nach Baza.«

»Möge Dschehannam dich verschlingen, du Verräter«, wisperte Alscha. Al Zaghal nickte. »Da hast du Recht. Ich werde dafür sorgen. Männer, köpft diesen doppelten Verräter.«

Während seine Soldaten den aufheulenden Raschid hinausschleppten, starrte Alscha ihren Schwager an. »Ali wird nicht zulassen, dass du Muhammad tötest.«

Al Zaghal war bereits dabei zu gehen. Er drehte sich noch einmal um und sagte hart: »Nein? Nach drei Jahren Rebellion, Bürgerkrieg und Verrat an die Christen?«

Alscha hatte nichts mehr zu verlieren und sie entgegnete erbittert: »Du… du Heuchler. Es ist dir doch gleichgültig, was Muhammad oder Raschid meinem Gemahl angetan haben, Hauptsache, du landest am Ende selbst auf dem Thron. Ohne dich wäre mein Sohn noch in Granada und der Thronerbe.«

Seine Augen verengten sich. »Wenn wir schon von Heuchelei anfangen, wie steht es da mit dir, Alscha? Du und die Christin, euch war Granada nicht mehr als ein Spielzeug für eure Söhne, das jede von euch unbedingt haben wollte, ganz gleich, was inzwischen aus dem Spielzeug wird. Weiber! «

Damit ging er und Alscha betete zu Allah, dass Muhammad auch in Baza rechtzeitig gewarnt wurde. Doch sie fürchtete für ihn. Die Gunst des Volkes war wechselhaft wie der Wind und neigte sich mehr und mehr al Zaghal zu. Es konnte sein, dass Muhammad nichts anderes übrig blieb, als die Christen um Waffenhilfe zu bitten. Alscha war zu klug, um nicht vorauszusehen, welche Wirkung das auf das Volk von Granada haben würde. Ihr Mund verhärtete sich. Das musste man in Kauf nehmen. Später, wenn Muhammad erst sicher in der Alhambra residierte, gab es genügend Gelegenheit, die christlichen Hunde auf ihren Platz zu verweisen.

Eine weitere Befürchtung plagte sie, die sie sich nur widerwillig eingestand. Muhammad hatte bisher nur sehr zögernd und ungern Krieg gegen seinen Vater geführt, und was das Töten überhaupt anging, da hatte er unmännliche Skrupel, die sie vergeblich auszumerzen getrachtet hatte. Vielleicht war es sogar ein Segen, wenn al Zaghal es wagte, sich zum Emir zu machen.

Al Zaghal mit seiner unerbittlichen Härte zum Gegner zu haben, würde Muhammad zwingen, ebenfalls hart zu werden.

Layla spürte als Erstes den kalten Steinboden unter ihrem Kopf, dann die Schläge, die auf ihr Gesicht niedergingen. Verwirrt öffnete sie die Augen. Die Ohrfeigen hörten auf. Über ihr schwebte das besorgt wirkende Antlitz von Fray Hernando de Talavera.

»Ihr seid in Ohnmacht gefallen, mein Kind«, sagte er. Das Mädchen blinzelte und versuchte, sich zu erinnern. Tanzen, und dann das Gefühl von Erregung und Furcht, und dann nichts mehr, nur eine Art feurige Dunkelheit.

Sie setzte sich auf. Der Beichtvater der Königin half ihr dabei, und plötzlich musste sie kichern. »Ent… entschuldigt, Pater«, keuchte sie, als sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte,

»aber Ihr trefft mich immer in den unmöglichsten Situationen an.«

Talavera lächelte. »Ihr wart wohl auf dem Fest und Euch ist vom Tanzen schwindlig geworden.«

Ihr lag schon eine Verneinung auf der Zunge, als sie an sich herabblickte und ihr auffiel, dass sie noch immer das Kleid der Infantin trug. Die Lage war noch unmöglicher, als sie gedacht hatte. Mit etwas Glück achtete Talavera nicht auf so weltliche Dinge wie Kleider.

»Ja«, stimmte Layla langsam zu. »So ist es.« Sie stand auf; die Luft flimmerte vor ihren Augen und der Pater musste sie erneut stützen.

»Besser, ich bringe Euch in Eure Kammer«, sagte er sachlich.

»Ihr jungen Leute solltet nicht so wild sein. Doña Lucia, Ihr müsst Euch den Mund aufgeschlagen haben, als Ihr gestürzt seid. Ihr blutet.«

Talaveras Freundlichkeit machte es ihr schwer, genügend Gegenargumente zu finden, als er ein paar Tage später in Begleitung des Kardinals Mendoza Suleiman aufsuchte. Glücklicherweise geschah diesmal nichts Peinliches. Erst eine Viertelstunde vorher hatte Suleiman sie getreten, und sie hatte ihm eine Ohrfeige verpasst, aber nun saßen die beiden Sprösslinge der Banu Nasr friedlich bei einem Brettspiel. Nicht Schach - Schach, hatte Layla entschieden, war noch zu schwer für Suleiman -, sondern das Spiel, das die Kastilier »Dame« nannten.

Sie wusste, dass sie vor einem Kardinal niederknien und seinen Ring küssen sollte, aber sie brachte es einfach nicht fertig.

Stattdessen knickste sie tief, als er mit Talavera eintrat, und sagte, sie und ihr Neffe seien tief geehrt durch seinen Besuch. Der unglückselige Suleiman verstand inzwischen genügend Rastilisch, um lauthals zu fragen: »Wieso? Er ist ein Ungläubiger und ich bin der nächste Emir von Granada!«

»Du bist das nächste Futter für die Hunde, wenn du nicht den Mund hältst«, zischte Layla auf Arabisch und entschuldigte sich bei Don Pedro Gonzales de Mendoza, Kardinal von Spanien.

Doch was sie befürchtet hatte, trat ein. Der Kardinal fixierte sie streng.

»Ich hatte geglaubt, meine Tochter, Ihr würdet Eurem kleinen Verwandten den Irrtum Eurer alten Lehren aufzeigen und ihn auf den Weg leiten, den Ihr vorangegangen seid. Jedoch scheint mir…« Ihr war schon länger der Verdacht gekommen, dass die christlichen Könige mehr als nur eine Fessel für Muhammad im Sinn gehabt hatten, als sie seinen Sohn als Geisel forderten.

»Euer Eminenz«, erwiderte Layla, bevor sie sich zurückhalten konnte, »Granada würde einen christlichen Emir niemals akzeptieren.« Er runzelte die Stirn und sie fügte hastig hinzu: »Überdies bin ich nur eine Frau und selbst neu im Glauben und daher ungeeignet, einen anderen Menschen zu unterweisen.«

Seine Mundwinkel zuckten. »So viel Bescheidenheit ehrt Euch, meine Tochter, aber immer wenn ich eine Frau sagen höre, sie sei nur eine Frau, warte ich bereits auf den Angriff von hinten.«

Layla erinnerte sich an die drei unehelichen Kinder des Kardinals und schwieg. Unter anderem, weil ihr nicht einfiel, wie sie darauf antworten sollte. Der Kardinal verschränkte die Arme und fuhr fort, sie zu mustern, von oben bis unten. Fray Hernando de Talavera schien die Zeit zum Eingreifen gekommen.

»Niemand«, sagte er begütigend, »will eine Taufe dieses Kindes erzwingen. Erzwungene Bekenntnisse sind ein großes Übel vor dem Herrn, auch wenn einige meiner Brüder bedauerlicherweise… aber lassen wir das. Doch Ihr müsst verstehen, Doña Lucia, dass wir alle die Hoffnung hegen, das Kind durch Erziehung zum wahren Glauben zu bekehren. Wie auch das ganze Reich Granada.«

»Fray Hernando«, sagte Kardinal Mendoza mit schwachem Lächeln, »ist ein Idealist. Ich bin dafür, Granada zu erobern, er ist der Letzte von uns, der noch den Geist der Apostel in sich trägt.

Er will es bekehren.«

Wenn Layla nicht so sehr darauf geachtet hätte, diesmal ihre Beherrschung zu bewahren, wäre ihr der Mund offen geblieben.

Bekehren? Wie, um alles in der Welt, stellte sich der Beichtvater der Königin das vor?

»Die Bekehrung scheint mir immer noch die christlichste Möglichkeit zu sein, den Islam von unseren Gestaden zu vertreiben«, gab Talavera zurück, und Layla hatte den Eindruck, die beiden führten ein freundschaftliches Streitgespräch, das ihnen sehr vertraut war. Mendoza zog eine Grimasse.

»Einigen wir uns darauf, zuerst zu erobern und dann zu bekehren… ohne Zwang, ganz wie Ihr wollt, Fray Hernando.«

Dem Madchen wurde bewusst, von welcher Eroberung sie eigentlich sprachen, und Ärger stieg in ihr auf. Sie waren sich ihrer Sache so sicher. Suleiman hatte bei weitem nicht alles verstanden, was gesagt worden war, aber er konnte es nicht ertragen, wenn allzu lange über seinen Kopf hinweggeredet wurde, und ihre Drohung hatte inzwischen ihre Wirkung verloren. Er setzte sich in Positur und rief lauthals: »U la ghalih ila Allah!«

Der Kardinal und der Mönch tauschten viel sagende Blicke. So viel Arabisch verstand jeder Kastilier, denn es war seit Jahrhunderten der Schlachtruf aller Moslems: Es gibt keinen Sieg außer Allah.

Layla kniff Suleiman heimlich, aber heftig in sein empfindliches Sitzfleisch. Prompt protestierte er laut und deutlich und sie lächelte die beiden Kirchenmänner an.

»Ihr seht, ehrwürdige Väter, das Kind ist aufgeregt. Besser, ich bringe es zu Bett, damit es sich etwas ausruht.«

»Ich bin nicht müde«, zeterte Suleiman und fing an zu brüllen, als sie ihn unsanft in den nächsten Raum beförderte. Angesichts dieses Lärms sagte der Beichtvater der Königin hastig: »O ja, das ist Sicher das Beste. Bringt ihn ins Bett.«

»Du bist gemein«, sagte Suleiman schluchzend in seinem Schlafgemach, »du bist so gemein, dass du bestimmt nach Dschehannam kommst.«

»Hör zu«, entgegnete Layla leise und drohend, »ich versuche gerade, dich vor der Taufe und Dschehannam zu retten, du blödes Balg, also halt endlich den Mund und sei still!«

Sie wusste nicht, ob er das verstand, aber er hörte auf jeden Fall den Schlüssel, mit dem sie hinter sich absperrte.

»Ein reizendes Kind«, sagte der Kardinal. »Aber ein wenig erregbar.«

»O ja«, stimmte Layla demütig zu, »wirklich reizend.«

Zu ihrer Erleichterung blieben die beiden Priester nicht mehr lange. Talavera ermahnte sie, über seine Worte nachzudenken, was sie inbrünstig versprach. Obwohl die Versuchung groß war, Suleiman für den Rest des Tages in seinem Schlafgemach zu lassen, sperrte sie wieder auf, als die Kastilier fortwaren. Suleimans Gesicht war tränenverschmiert, und Layla schämte sich ein wenig. Vielleicht war sie doch zu barsch mit ihm umgesprungen. Schließlich war er nur ein kleines Kind, das man in ein Land voller Feinde als Geisel geschickt hatte.

»Suleiman«, sagte sie so sanft wie möglich, »es tut mir Leid, dass ich dich gekniffen habe, aber wenn ich dir sage, du sollst still sein, dann musst du mir gehorchen. Ich tue das nicht ohne Grund. Die Christen wollen dich zu einem der ihren machen, und dann ist es unwahrscheinlich, dass du je wieder nach Hause kommst. Glaub mir, ich weiß es.«

Bei den letzten Worten hatte sich Sehnsucht in ihre Stimme geschlichen, die sie hastig unterdrückte. An Heimkehr zu denken, hatte für sie jetzt keinen Sinn. Suleiman schaute sie zweifelnd an.

»Ich träume von zu Hause«, sagte er zögernd. »Ich komme nur nie hin, wenn ich träume. Und dann träume ich auch ganz schlimme Sachen und ich habe Angst.«

Er schluckte. »Bleibst du heute Nacht bei mir? Mutter hat gesagt, Erwachsene haben einen Schutz gegen böse Träume.«

Es musste, dachte Layla, sie wohl gerührt haben, als Erwachsene eingestuft zu werden, denn zu ihrer eigenen Verblüffung willigte sie ein. Es dauerte lange, bis sie es fertig brachte, neben einem unruhigen kleinen Kind einzuschlafen, und als die Erschöpfung sie schließlich einholte, hatte sie ihre eigenen Albträume.

Nicht von Tariq oder Ali al Atar, was öfter vorkam. Nein, von etwas, an das sie sich nicht richtig erinnern konnte und das nicht nur Furcht in ihr auslöste.

Am nächsten Tag erfuhr sie, wen Talavera gemeint hatte, als er von »einigen seiner Brüder« gesprochen hatte. Fray Tomas de Torquemada befand sich wieder am Hof und mit sich hatte er ein Inquisitionsgericht gebracht. Seit Layla Mitglied von Isabellas Hofstaat geworden war, hatte sie bereits von mehreren Verbrennungen gehört, doch man hatte sie bisher nicht aufgefordert, diesen beizuwohnen. Sie wusste auch, dass in Toledo ein außergewöhnlicher Prozess unter dem Vorsitz von Torquemada stattgefunden hatte. »Da das heilige Offizium in Aragon noch Schwierigkeiten hat«, so hatte Doña Catalina Doña Maria, mit der sie sich recht gut verstand, bei einem Besuch berichtet, ehe die Duena nach Sevilla abreiste, »hat Fray Tomas in Saragossa von seinen Stellvertretern nur einen symbolischen Prozess durchführen lassen und den wirklichen dann selbst hier in Kastilien geführt. Die Stadt bereitet sich schon seit Wochen auf die Hinrichtung vor.«

Layla hatte bereits beschlossen, diesen Tag ganz in Suleimans Räumen zuzubringen. Diesmal jedoch teilte ihr Luisa de Castro aufgeregt mit, es sei der ausdrückliche Wunsch der Königin, dass Doña Lucia de Solis und die Geisel Suleiman bei dem Autodafé des rückfälligen converso Alfonso da Gama und seiner Familie anwesend wären.

»Schaut nicht so entgeistert drein, Doña Lucia«, schloss die junge Hofdame. »Ich gebe ja zu, Autodafés sind ein wenig schaurig, aber furchtbar aufregend, und die von Toledo rühmt man überall. Ihr werdet mit uns auf der königlichen Tribüne stehen und alles gut sehen können.«

Es war Layla bisher entgangen, dass man die Verbrennung von Ketzern als eine Art Volksfest ansah. Sie hatte angefangen, sich an ihre Umgebung zu gewöhnen, die meisten Kleriker, die sie bisher kennen gelernt hatte, waren ihr sogar sympathisch, und sie empfand aufrichtige Bewunderung für Isabella von Kastilien, die Königin weniger dank ihres Blutes als dank ihres Verstandes und ihrer Fähigkeiten war und anscheinend Fehden zwischen den Granden und Beschwerden der Cortes ebenso souverän beilegen konnte wie Streitigkeiten unter ihren Hofdamen. Doch der Tag, an dem Isabella sie zwang, einem Autodafé beizuwohnen, verwandelte Layla wieder ganz und gar in die Tochter der Banu Nasr zurück.

Die Verbrennung des converso und seiner Familie fand nicht, wie sonst üblich, vor den Stadtmauern, sondern auf dem Hauptplatz von Toledo statt, wo man für die Herrscher und ihren Hof eine riesige Tribüne errichtet hatte.

»Layla«, flüsterte Suleiman, der immer noch nicht begriffen hatte, worum es eigentlich ging, »was wollen die vielen Leute hier? Gibt es ein Fest?«

Sie antwortete nicht. Stattdessen starrte sie auf die Einwohner von Toledo, die anscheinend alle gekommen waren, hörte ungläubig die Trompetenstöße, Paukenschläge und Zimbelklänge, die in der Tat an einen Jahrmarkt erinnerten. An der Spitze der Prozession, die sich dem Platz näherte, erkannte sie einige bunt herausgeputzte Handwerker.

»Die Kohlenbrenner«, erklärte Doña Luisa, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die kleine Maurin mit den Einzelheiten des Festakts bekannt zu machen. »Weil sie die Ehre haben, das Holz für den Scheiterhaufen zu liefern, marschieren sie an der Spitze.«

Hinter den Kohlenbrennern ritten die Calatrava-Ritter, wie für ein Turnier gewappnet; einige trugen ein riesiges Kreuz, das mit grünen Zweigen umwunden war, andere eine goldene Monstranz, die von einem roten Baldachin geschützt war. Layla hörte Luisas Erläuterungen kaum zu. Sie hatte bereits zwischen den Reihen der Ritter die Verurteilten ausgemacht, die nach ihnen kamen.

Wieder zupfte Suleiman, der ihrem Blick gefolgt war, sie am Ärmel. »Was tragen die denn für Hemden? Und warum laufen sie barfuß?«

»Weil sie sterben werden«, entgegnete Layla tonlos. Die Familie, die in groben Hemden voller rot gestickter Zungen hinter den Rittern herstolperte, bestand aus Don Alfonso, seiner Frau, seinem Bruder und ihren vier halbwüchsigen Kindern. In Layla wuchs die Erkenntnis, dass sie selbst dort gehen könnte, den Strick um den Hals, begleitet von zahlreichen Dominikanern in ihren schwarzen und weißen Gewändern, die wie im Chor zur Buße aufriefen. Seit Tariqs Tod hatte sie sich nicht mehr so hilflos gefühlt, doch diesmal war sie entschlossen, nicht wieder einfach nur zuzusehen. Sie spürte das Kind neben sich und empfand nur den Wunsch, es zu beschützen, ganz gleich, wie sehr es ihr sonst auch lästig war.

Mit widerwilliger Faszination sah sie Tomas de Torquemada am Schluss der Prozession auf seinem schwarz verhängten Maultier reiten. Bei dem höfischen Empfang hatte er nichts Ungewöhnliches ausgestrahlt, doch jetzt war es selbst Kindern wie Suleiman, der ihn aufmerksam beobachtete, klar, dass er der Meister dieser ganzen Veranstaltung war. Er glühte förmlich vor Stolz, Überlegenheit und etwas, das wohl Glaubenseifer sein musste. Layla wandte den Blick zu Isabella und fand bei der Königin den gleichen Gesichtsausdruck. Sie gab die vage Hoffnung auf, von Isabella die Erlaubnis zu bekommen, sich zu entfernen.

Wenn Fray Hernando de Talavera hier gewesen wäre, dann hätte sie sich schon längst an ihn gewandt, aber der Beichtvater der Königin konnte es sich anscheinend leisten, auch dem prächtigsten Autodafé fernzubleiben. Also konnte nur noch ihr Verstand sie retten.

Vorsichtig beugte sie sich zu Suleiman nieder und murmelte auf Arabisch: »Tu so, als ob dir schlecht wird, schrei und brülle meinetwegen auch, aber tu es sofort.«

»Wieso?«, gab Suleiman widerspenstig wie immer zurück. »Ich will das Fest sehen!«

Er hatte es immer noch nicht verstanden und sie konnte es ihm jetzt nicht erklären. »Wenn du es nicht tust«, sagte Layla, »wirst du nie wieder nach Hause kommen. Sie werden dich hier behalten und Sklavendienste bei dem grässlichen Mann auf dem Maulesel verrichten lassen.« Torquemada war inzwischen an die Tribüne herangeritten und hatte begonnen, die Anklageliste zu verlesen. »Riechst du, wie er stinkt?«, schloss sie hastig.

»Du wirst ihn abwaschen müssen.«

Das hatte den erwünschten Erfolg. Suleiman begann, zu würgen und lauthals zu weinen. Seine nähere Umgebung gab indignierte Geräusche von sich. Schnell wandte sich Layla an Don Martin de Alarcon, der einigermaßen entsetzt und angeekelt auf die Geisel in seiner Obhut schaute, und sagte leise: »Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir ihn zurück in das Kastell bringen.«

Don Martin zögerte. »Ich möchte das Autodafé nicht…«

»Es genügt, wenn Ihr uns einen Soldaten abstellt«, versicherte ihm Layla, »ich kümmere mich schon um ihn.« Nach einem Blick auf den deklamierenden Torquemada und dann auf den würgenden Suleiman beschloss Don Martin, dem Vorschlag des Mädchens zu folgen. Er nickte, gab einem seiner Männer ein Signal und widmete sich wieder dem Spektakel.

Sie entfernten sich eben rückwärts von der Tribüne, als Layla ein Ziehen in ihrem Rücken spürte. Sie wandte sich um und erkannte, dass Isabella ihre Flucht bemerkt hatte und zu ihr herübersah. Layla rührte sich nicht, obwohl ihr der Moment endlos schien. Sie würde nicht zulassen, dass Suleiman erlebte, wie hier Menschen verbrannt wurden, und sie hatte auch nicht die Absicht, sich selbst an diesem christlichen Fest zu beteiligen. Es war ihr gleichgültig, ob die Königin sie dafür bestrafte. Außerdem ahnte sie, warum Isabella ihre Teilnahme befohlen hatte: Sie wollte ihr vor Augen führen, welches Schicksal rückfällige conversos erwartete, und sie daran erinnern, dass die Taufe in diesem Land für immer galt. Wenn das der Zweck der königlichen Anordnung gewesen war, so hatte er sich erfüllt, und es gab keinen Grund mehr, auf Laylas Anwesenheit zu bestehen.

Isabella drehte sich wieder zu den von Mönchen und Rittern umringten Verurteilten um, vor denen Torquemada noch immer predigte, und Layla, die Suleimans Hand nicht losgelassen hatte, suchte das Weite.

Dämmerung lag über der Alhambra, als al Zaghal am Krankenlager des alten Emirs eintraf. Einige seiner Töchter und Konkubinen waren dort versammelt, doch sie zogen sich beim Erscheinen des Oberbefehlshabers der Armee zurück.

Als er neben dem Bett seines Bruders niederkniete, erkannte al Zaghal schockiert, dass Ali an der gleichen Krankheit litt wie ihr Vater: Auch er war beinahe völlig blind. Seine Augen glitten orientierungslos durch den Raum, und al Zaghal räusperte sich, um sich bemerkbar zu machen.

»Ich bin hier«, sagte er und bemühte sich, so sachlich und knapp wie sonst zu klingen, »um dir endlich einen Erfolg zu melden. Wir konnten den Versorgungszug für Alhama abfangen und alles in unseren Besitz bringen. Also…«

»Unsinn«, entgegnete Abul Hassan mit entschlossener, nicht im Geringsten schwächlich wirkender Stimme. »Du bist hier, weil du der Meinung bist, die Herrschaft sollte an dich übergehen. Ich bin der gleichen Meinung. Du hast sie.«

Es war nicht leicht, Abu Abdallah Muhammad al Zaghal zu verblüffen, doch nun rang er nach Worten. »Bist du sicher?«, fragte er schließlich rau. Alis Züge zeigten ein etwas zynisches Lächeln. »Schau mich an, Muhammad. Glaubst du, ich weiß nicht, dass ich nicht mehr in der Lage bin zu herrschen, glaubst du, mir ist nicht klar, wer in den letzten Monaten der wahre Herrscher von Granada war? Ich mag krank und blind sein, aber nicht dumm.«

Schweigen senkte sich über sie, so schwer, dass es beinahe greifbar war, bis al Zaghal es brach. »Ich will den Thron. Ich wollte ihn schon lange. Aber ich hätte dich nie gestürzt, mein Bruder.«

Es war ihm ungeheuer wichtig, dass Ali ihm glaubte; Ali war der einzige Mensch, der ihm je etwas bedeutet hatte. Die Hand seines Bruders tastete nach ihm und al Zaghal ergriff sie. Glühende Erleichterung durchströmte ihn.

»Ich weiß«, sagte Ali einfach, und diesmal war die Stille zwischen ihnen die jahrelanger Vertrautheit, die Worte unnötig macht. Wieder sprach al Zaghal als Erster.

»Da ist noch etwas, das du wissen solltest. Ich hatte damals die Absicht, Muhammad zu töten, als du ihn wegen der Sache mit dem Pferd eingesperrt hattest. Und ich bin auch nach Almeria geritten, um ihn zu töten. Raschid starb auf meinen Befehl.«

Der Druck von Alis Hand lockerte sich nicht. Der Emir seufzte.

»Muhammad«, sagte er, und einen Moment lang war sich al Zaghal nicht sicher, ob Ali ihn mit dem alten Namen aus ihrer Kinderzeit ansprach oder von seinem Sohn redete.

»Er wäre nie fähig gewesen zu regieren. Deswegen ist es vielleicht sogar gut, dass alles so gekommen ist, Bruder. Du wirst ein guter Emir sein, du bist stark genug, um die Christen aufzuhalten. Ich wünschte nur…«

Der Kranke brach ab, dann schüttelte er den Kopf. »Es stand so geschrieben. Morgen werde ich zu deinen Gunsten abdanken und dann gehe ich nach Almunecar.«

Almunecar war eine kleine Stadt, die nahe am Meer lag; in früheren Zeiten hatten sich die Emire von Granada dort gerne von der Hauptstadt erholt, und Said, ihr Vater, war dort gestorben. »Dein Hakim sagt, du seist nicht reisefähig«, wandte al Zaghal ein. Für eine Sekunde blitzte nochmals das Temperament der Banu Nasr in Ali auf.

»Iblis hole alle Ärzte! Ich bestimme, wann ich reise!« Dann wurde sein Tonfall träumerisch, als spreche er nicht mehr mit al Zaghal, sondern mit sich selbst. »Und weißt du, nach all den Jahren, in denen ich um die Macht gekämpft habe… ist es wunderbar… einfach weggehen zu können.«