KAPITEL 12
Amy stieß die Imbissverpackungen zur Seite, die zerknautscht zu ihren Füßen lagen. Sie saß nicht gern auf dem Beifahrersitz, und schon gar nicht auf diesem. Al Snow saß am Steuer des Chryslers, der ihm vom Department zur Verfügung gestellt worden war und den er schon seit Jahren fuhr. Am Rückspiegel hing ein Duftbaum, und auf das Armaturenbrett hatte Snow ein Foto seiner Tochter im Teenager-Alter geklebt. Sein Kleingeld hob er in der Ablage zwischen den beiden Vordersitzen auf.
Schweigend fuhren sie durch die Seitenstraßen von Mashpee nach Popponesset Beach. Amy war schon mal hier gewesen, aber die Nebenstraßen auf dem Cape glichen einem Labyrinth, und sie hätte ihre Straßenkarte gebraucht, um Squaw’s Lane zu finden. Snow hingegen kannte jede einzelne Abzweigung. Er fuhr Uncle Percy’s Road entlang, Clover Street hinunter und dann Uncle Hank’s Road hinauf, zurück zu Kim’s Path und von da direkt auf die Squaw’s Lane. Amy nahm sich vor, später nachzusehen, ob das der kürzeste Weg war. Sie hatte Gefühl, dass er absichtlich im Kreis gefahren war, um zu beweisen, dass er den Weg besser kannte als sie.
Nach den Angaben des Kfz-Amts wohnte der erste Mister White in der Squaw’s Lane Nr. 2. Sein Name war Robert R. Robertson. Etwas Fieseres konnten sich Eltern wohl kaum ausdenken, und Amy hoffte um seinetwillen, dass sein mittlerer Name nicht auch noch Robert war.
In der Squaw’s Lane gab es nur fünf Häuser, bescheidene Hütten, die dicht beieinander standen und deren winzige Gärten durch verrostete Maschendrahtzäune voneinander getrennt waren. Wer immer diese kleinen Grundstücke erschlossen hatte, hatte vor allem auf die Strandlage gesetzt. Auf sonstige Annehmlichkeiten war verzichtet worden.
»Sommerhäuser«, sagte Amy.
Snow sah stur geradeaus. »Hauptsächlich.«
Nummer 2 stand am Ende der kurzen Straße, ein grauer Bungalow aus Holz mit einer kleinen Veranda auf dem Kamm einer Düne, die sich auf den breiten unberührten Strand am Nantucket Sound ergoss. In der Ferne verschmolz der schiefergrüne Ozean mit dem klaren Himmel.
Der silberfarbene Skylark stand in der Auffahrt.
Snow parkte den Wagen, und sie stiegen aus.
»Irgendwie komisch«, sagte Amy und deutete auf das ärmliche Haus in der unbezahlbaren Lage.
Snow verstand sie nicht oder wollte es nicht zugeben. »Was meinen Sie?«
»Nichts.«
Sie stiegen eine Reihe angefaulter Holzstufen hinauf, die vor einer mit Fliegengitter verkleideten Außentür endeten. Die Tür quietschte, als Snow sie aufzog. Amy drückte auf die Klingel, und sie hörten ein einzelnes, gedämpftes »Ding«. Der Anstrich der inneren Tür war abgeblättert, und weiße Farbschuppen lagen überall herum. Am Zaun hing ein metallener Mülleimer, der von Maishülsen und deren langen goldenen Fasern überquoll.
Schließlich öffnete sich die Tür einen Spalt, und ein Gesicht starrte ihnen entgegen. Der Mann war so weiß, dass er ein Albino hätte sein können. Haar, Haut und Augen verschwammen zu einem einzigen Fleck. Er schloss die Tür und schob sie dann wieder einen Spalt auf. Er wiederholte das Ganze noch einmal. Amy wusste, dass sie an der richtigen Stelle waren.
»Ich bin Detective Cardoza vom Mashpee Police Department. Das hier ist Detective Snow. Sind Sie Robert Robertson?«
Die Augen des Angesprochenen huschten zwischen Amy und Snow hin und her. Schließlich blieb sein Blick an Snow hängen.
»Bob?«, sagte Snow.
Die blassen Augen blinzelten. »Bobby.«
»Was dagegen, wenn wir ein paar Fragen stellen?«
Bobby öffnete die Tür gerade weit genug, um hinauszuschlüpfen. Ganz offensichtlich wollte er sie nicht hineinlassen. Amy konnte nur einen kurzen Blick auf eine ordentlich ausgerichtete Reihe von Schuhen auf einem weißen Teppich und ein hohes Regal mit Taschenbüchern, deren Rücken perfekt in einer Linie standen, richten.
Bobby schwitzte stark. Laut seiner Akte war er zweiundfünfzig Jahre alt, sah aber eher aus wie sechzig.
»Wir untersuchen eine Vermisstenanzeige. Emily Parker.« Amy zeigte Bobby Emilys Bild. »Kennen Sie die Frau?«
Bobbys Blick flackerte dreimal, huschte über die Gesichter der Detectives und landete dann wieder bei dem Foto. Er schüttelte den Kopf.
Er log.
»Sie mögen gern Mais.« Amy nickte in Richtung des Mülleimers am Zaun.
Bobby schwieg.
»Mais war gestern im Angebot im Stop & Shop bei den Mashpee Commons. Kaufen Sie oft dort ein?«
»Immer montags«, sagte Bobby. »Dann gibt es doppelten Rabatt.«
»Sie haben gestern eine riesige Menge Mais gekauft. Leben Sie allein? Oder haben Sie vielleicht eine Party gegeben?«
Er schien nicht zu wissen, welche Frage er zuerst beantworten sollte.
»Leben Sie mit jemandem zusammen?«, wiederholte Amy.
Bobby schüttelte den Kopf. »Ich mag keine Partys. Leute machen mich nervös.«
Das konnte Amy ihm ansehen. Er war auch im Augenblick ziemlich nervös. »Also haben Sie den ganzen Mais gestern Abend allein gegessen?«
»Zum Teil. Für heute Abend ist noch was übrig. Und auch für morgen. Ich mag Mais. Und er war im Angebot.«
Amy verstand: Bobby aß nur das, was im Angebot war. Sonst nichts. Deswegen sah er so ungesund aus. Und er tat alles immer dreimal. Ein Zwangsneurotiker also. Sie würde später nachschauen, ob er schon einmal straffällig geworden war. Vielleicht würde sie auch einen Psychiater finden oder sonst jemanden, der ihr nähere Angaben zu dem Befinden des Mannes und seiner Lebensgeschichte machen konnte. Er könnte Emily in seinem Haus versteckt halten oder irgendwo sonst. Aber möglicherweise war er auch viel zu labil, um so eine Entführung zu organisieren. Das musste sie herausfinden. Könnte Bobby Robertson so etwas durchziehen, würde er es wollen, und wenn, warum?
»Noch eine Frage«, sagte sie.
Sein Blick schnellte zu Amy, und er blinzelte – dreimal.
»Wer war die Frau, mit der Sie sich im Supermarkt gestritten haben? Sie ist Ihnen nach draußen gefolgt. Ist sie mit Ihnen weggefahren?«
Bobby gefiel die Frage nicht. »Ich hab mit niemandem im Laden gesprochen!«, sagte er. »Ich mag nur gerne Mais!«
Er verschwand nach drinnen und verriegelte die Tür.
»Wir kommen mit einem Durchsuchungsbeschluss wieder«, sagte Amy zu Snow, als sie zum Wagen zurückgingen.
»Man braucht ein Verbrechen, um einen Durchsuchungsbeschluss zu bekommen«, sagte er. »Die werden nicht einfach ausgestellt, damit wir uns während des Sommerurlaubs nicht langweilen.«
»Sie sind nicht im Urlaub, Al.«
Er ging nicht auf ihren Kommentar ein. »Ich sag Ihnen, wir brauchen ein Verbrechen.«
»Nein, man braucht nur den begründeten Verdacht auf ein Verbrechen.«
Snow zuckte die Achseln. »Ich schätze, ich sehe das alles etwas anders als Sie.«
»Eine Frau wird vermisst.«
»Ja, aber …«
»Frauen lösen sich nicht einfach in Luft auf.«
Er zog die Augenbrauen in die Höhe. »Amy, verschonen Sie mich. Sie wissen so gut wie ich, dass es Tausende von Ehefrauen gibt, die ihre Männer auf diese Weise verlassen haben.«
Amy blieb stehen. »Und diesen Bobby da drinnen finden Sie ganz normal, oder wie? Er wurde hinter ihr in der Schlange gesehen, und er wurde auch dabei beobachtet, wie er mit einer blonden Frau davonfuhr. Warum reicht Ihnen das nicht?«
»Er wurde aber auch mit einer blonden Frau gesehen, die nicht Mrs. Parker war und mit der er sich angeblich gestritten hat.«
Snow rutschte hinters Lenkrad und zog seine Tür zu. Amy setzte sich neben ihn.
»Der Typ ist nicht ganz dicht, da bin ich Ihrer Meinung«, sagte Snow. »Das heißt aber nicht, dass er auch ein Kidnapper ist. Wir wissen ja nicht einmal, was mit ihr geschehen ist.«
»Al, das versuchen wir ja herauszufinden.«
Snow entgegnete nichts und setzte den Wagen zurück. In Amy brodelte es. Wie sollte sie konstruktiv mit Al Snow zusammenarbeiten, wenn sie sich nicht einmal über grundsätzliche Dinge einig waren? Doch noch waren sie nicht offiziell Partner, noch hatte er ihr nichts zu sagen. Sie würde diesen Fall weiterverfolgen. Das war nicht nur ihr Recht, sondern auch ihre Pflicht. Sie würde Emily Parker nicht in einem Nebel voreingenommener Vermutungen verschwinden lassen.
Mit ihrem Handy rief sie auf der Wache an, verlangte Kaminer und sagte ihm, dass sie einen Durchsuchungsbeschluss für Robertsons Haus wollte. Er stellte keine Fragen, sondern sagte nur, er würde sich darum kümmern. Dadurch ermutigt, sagte sie, dass sie gerne auch das Haus der Mutter der Vermissten durchsuchen würde. Kaminers Reaktion war interessant.
»Gute Idee, aber wissen Sie was, Amy? Ich bin überrascht, dass Sie mich deswegen nicht schon früher angerufen haben.«
Der Besuch bei den Parkers am Gooseberry Way war erst zwei Stunden her. Das hieß, ihr Boss erwartete viel von ihr. Ein gutes Zeichen.
»Chief, noch eine Sache.«
»Schießen Sie los.«
»Ich finde, wir sollten diesen Robertson observieren lassen, zumindest bis der Hausdurchsuchungsbeschluss durch ist.«
»Geht in Ordnung.«
»Wann, glauben Sie, werden wir die Durchsuchungsbeschlüsse haben?«, fragte sie noch, als er aufhängen wollte.
»Sobald ich herausgefunden habe, an welchem Teich der Richter angelt.«
Snow fuhr zügig, knapp unterhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung. Er hatte nicht ein einziges Mal in ihre Richtung geblickt, während sie telefonierte. Sie klappte ihr Handy zu und sah ihn in Erwartung einer Reaktion an, doch er verzog keine Miene. Darauf lief es also hinaus. Er würde keine Initiative zeigen, aber er würde ihr auch nicht in die Quere kommen. Nun, damit konnte sie leben.
Sie fuhren nördlich auf der Route 28 und bogen vor der Bourne Bridge ab. Hier reihte sich ein Autohändler an den anderen, darunter war ein kleines Ausstellungsgelände, auf das ein altes Metallschild hinwies: Ragnatelli’s Vintage Automobiles: Fahren Sie ein Stück Geschichte. Das Nummernschild des Fords, den Mister White Nr. 2 gefahren hatte, war von Ragnatelli’s gewesen.
Ungefähr zwanzig Autos, alles Klassiker, die meisten aus den 40er und 50er Jahren, standen auf dem Hof. Amy war keine große Autoliebhaberin, aber auch ihr gefielen die alten Fords und Chevys in jenen Bonbonfarben, die man heute kaum mehr sah: Kirschrot, Swimmingpoolblau, Sahnegelb, Bronze, Minzgrün oder Schwarz-Weiß wie ein Oreo-Keks. Ganz abgesehen von einem schicken 1947er Ford in Lachskoralle. Er stand ganz unschuldig inmitten der anderen Autos, aber er hatte bestimmt etwas zu erzählen. Wie die anderen letztlich auch, dachte Amy.
Am Ende des Ausstellungsplatzes stand ein mit weißen Schindeln gedecktes Bürohäuschen. Snow konnte sich nicht von den Autos losreißen, daher ging Amy allein in das Büro. Sie wurde von einer Frau in den Vierzigern begrüßt, deren Lippenstift dem kirschroten Chevy heftige Konkurrenz machte.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Amy zog ihre Dienstmarke hervor. »Ich hätte gerne ein paar Informationen zu einem Ihrer Wagen.«
»Sie wollen also nicht kaufen.« Die Frau seufzte.
»Tut mir Leid.«
»Zu welchem Wagen denn?«
»Der rosa Oldtimer da, ein 1947er Ford?«
»Ja, ein Schmuckstück.«
»Sind Sie hier die Besitzerin?«
»Seine Ehefrau. Sal hatte den Tick mit diesen Autos schon, bevor ich ihn kennen lernte. Ich war Lehrerin, und jetzt kümmere ich mich um unser Büro.«
Ein gerahmtes Foto auf dem Schreibtisch zeigte Mister und Mrs. Ragnatelli in inniger Umarmung auf einem Sofa. Der Mann hatte enorme Ausmaße und wog mindestens einhundertfünfzig Kilo.
»Ist dieser Wagen in jüngster Zeit gefahren worden?«
»Gestern erst.«
»Und von wem, Mrs. Ragnatelli?«
»Ich weiß den Namen nicht, ich war gestern Nachmittag nicht hier. Sal hat gesagt, ein Mann hätte ihn zur Probe gefahren und später zurückgebracht.«
»Ist es normal, dass Sie Interessenten mit den Wagen wegfahren lassen?«
»Sicher. Man muss sie zum Kauf verführen. Die Leute fahren gern allein in einem Wagen, um das richtige Gefühl dafür zu bekommen. Es ist vielleicht ein Risiko, aber bis jetzt ist uns noch keiner gestohlen worden. Wir lassen uns immer eine Kreditkarte geben, und dafür ist bisher noch jeder zurückgekommen.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen.« Durch das kleine Fenster des Büros konnte Amy sehen, dass Snow auf dem Fahrersitz eines minzgrünen Ford saß, dessen Vorderteil sie an die Schnauze eines Pavians erinnerte. »Heben Sie Kopien der Kreditkarten auf?«
»Das sollten wir vielleicht mal tun. Ich sag Ihnen was, Sal ist heute unterwegs, oben in Fall River ist eine Oldtimer-Ausstellung. Sie könnten ihn anbeepen, und er ruft Sie dann zurück. Sagen Sie ihm, Sie hätten mit Vera gesprochen.« Sie schrieb die Nummer ihres Mannes auf die Rückseite einer Visitenkarte und reichte sie Amy.
»Danke.« Amy ließ die Karte in ihre Tasche gleiten. »Nach dem Labor Day ist hier nicht mehr viel los, oder?«
»Normalerweise schon, aber es ist insgesamt ein flauer Sommer gewesen. Unsere Branche leidet als Erstes, wenn es wirtschaftlich bergab geht.«
Snow hatte sich anscheinend in den grünen 1940er Ford verguckt und konnte sich nicht davon trennen. Amy sah sich das Innere des rosa Oldtimers an, warf einen Blick unter die Motorhaube und überprüfte den Kofferraum. Alles sah vollkommen normal aus. Snow war inzwischen ins Büro gegangen, um bei Vera den Preis seines grünen Fords zu erfragen. Schließlich kam er heraus, und während des gesamten Rückweges zur Wache lag ein Leuchten auf seinem Gesicht.
Er fuhr auf seinen gewohnten Parkplatz hinter dem Gebäude und lächelte Amy versonnen an. Die Lücke zwischen seinen beiden Vorderzähnen war deutlich zu erkennen, und für einen kurzen Moment fand sie, dass er auf die leicht traurige Weise eines zu groß geratenen Kindes fast niedlich aussah.
»Warum kaufen Sie sich den Wagen nicht, Al?«
»Ich kann mich gut drin sitzen sehen.« Er lachte leise. »An einem Sommerabend übers Cape fahren, Picknick am Strand, ein Glas Wein mit einer netten Dame.«
Amy wollte ihm gerade raten, sich bei einer Partnervermittlung anzumelden, als seine Hand plötzlich auf ihrem Schenkel landete.
»Sie machen wohl Witze!« Sie stieß die Tür auf, stieg, so schnell sie konnte, aus und streckte den Kopf zum offenen Fenster hinein. »Was zum Teufel denken Sie sich, Al?«
»Vergessen Sie’s.« Er sah sie nicht an, ließ den Motor aufheulen und fuhr so schnell davon, dass sie kaum zurücktreten konnte.
Amy ging direkt an ihren Schreibtisch und versuchte sich zu beruhigen. Snow war nicht der Erste, der zudringlich geworden war, und sie wusste, dass er auch nicht der Letzte sein würde. Doch ausgerechnet Snow … Es warf ein schlechtes Licht auf seine Intuition, dass er meinte, Signale empfangen zu haben, die es weit und breit nicht gab. Sie erwog, Chief Kaminer von dem Vorfall zu berichten, aber entschied sich schnell dagegen. Sie war der einzige weibliche Detective im Mashpee Police Department und wollte sich lieber darauf konzentrieren, gute Arbeit zu leisten, bevor sie mit irgendwelchen Beschwerden kam.
Der Nachmittag ging dem Ende zu, und sie zwang sich, konzentriert an die Arbeit zu gehen. Auf ihrem Schreibtisch lag eine Nachricht, dass John Geary zweimal angerufen hatte. Sie rief zurück, erreichte ihn aber nicht. Der Richter war immer noch angeln, und Kaminer hatte für den Tag Schluss gemacht. Sal Ragnatelli hatte sie bereits siebenmal angebeept, aber er hatte sie nicht zurückgerufen. Auch der kriminaltechnische Bericht über Emily Parkers Wagen ergab keine neuen Anhaltspunkte. Nichts außer ein paar Haaren und Fasern, die zur Familie gehörten. Keine ungewöhnlichen Fingerabdrücke an der Kofferraumtür. Der strömende Regen der vergangenen Nacht hatte den Tatort buchstäblich reingewaschen.
Wer immer Emily entführt hatte, war vorsichtig zu Werke gegangen. Und Snow hatte zu lange gewartet.
Den Rest des Tages verbrachte sie damit, sämtliche psychiatrischen Kliniken und Krankenhäuser sowohl auf dem Cape als auch in der Umgebung bis hinauf nach Boston anzurufen und um Auskunft über einen Robert R. Robertson zu bitten. Meist kam sie nicht über den Empfang hinaus. Es war unglaublich, wie viele Psychiater und Betreuer nachmittags zum Lunch außer Haus waren. Und wenn sie doch einmal jemanden erreichte, erfuhr sie nichts.
Schließlich erkundigte sie sich bei dem Team, das Bobby Robertson observierte, nach Fortschritten, aber die beiden Kollegen genossen buchstäblich einen Strandtag: Einer lag in der Nähe des Hauses auf einem Handtuch, während der andere in seinem Wagen unten an der Squaw’s Lane ausharrte. Bobby hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
Es war fast neun Uhr, als Amy in ihr Haus am Plum Hollow Drive zurückkehrte. Sie bewohnte ein hübsches Landhaus auf zwei Morgen Land, das sie zusammen mit ihrem Exmann Peter kurz nach der Hochzeit gekauft hatte. Bei der Scheidung war es nach harten Auseinandersetzungen ihr zugesprochen worden. Ausschlaggebend war gewesen, dass er in seiner Tätigkeit als Bauunternehmer weniger verdient und daher während ihrer zweijährigen Ehe auch weniger von dem Haus abbezahlt hatte. Davon abgesehen hatte er auch keinen Kredit bekommen, um es ihr abzukaufen. Stattdessen hatte sie ihn zum Marktpreis ausgezahlt und würde jetzt bis in ihre alten Tage damit beschäftigt sein, die Hypothek auszulösen – und die zahllosen Wodkaflaschen auszugraben, die er auf dem Grundstück versteckt hatte. Aber sie liebte es hier; es war ruhig und friedlich, und im Großen und Ganzen gefiel es ihr, allein zu leben.
Sie stieg aus dem Wagen und schob ein paar rote Kletterrosen beiseite, die an der Pergola bei der Küchentür wuchsen. Kaum hatte sie den Schlüssel umgedreht und ihre gelb gestrichene Küche betreten, fiel die Anspannung des Tages langsam von ihr ab. Sie sammelte die Post vom Fußboden auf und legte sie zusammen mit ihrer Tasche auf den Tisch mitten im Raum. Nachdem sie sich ein großes Glas Eiswasser eingeschenkt hatte, öffnete sie den Kühlschrank, um nach etwas Essbarem Ausschau zu halten. Viel war nicht da. Sie würde sich mal wieder eines der Tiefkühlgerichte auftauen müssen, wenn sie überhaupt noch eines vorrätig hatte. Tatsächlich: Huhn mit Reis, als Beilage durchweichte Erbsen, und etwas Schokoladenpudding zum Nachtisch. Sie zog den Deckel ab und stellte den Behälter in die Mikrowelle. Als sie sich umdrehte, bemerkte sie, dass der Anrufbeantworter neben dem Telefon auf dem Küchentresen blinkte. Sie hatte zwei Nachrichten.
»Amy, hier ist Al. Das vorhin tut mir Leid.«
Schön. Es tat ihm Leid. Sonst was Neues?
»Detective Cardoza, hier ist John Geary. Ich weiß nicht, ob Sie versucht haben, mich zurückzurufen, ich hab nämlich nicht so ein Gerät, aber Sie ja zum Glück schon. Ich muss gleich morgen früh mit Ihnen sprechen. Wir sehen uns auf der Wache.«