Kapitel 6
Die Vergangenen sind in Westfall allgegenwärtig, sei es in Ruinen, in den Gesängen der Barden, den Predigten der Priester oder den Gebeten der Menschen. Bei meinen Reisen stieß ich einmal auf eine Taverne mit dem Namen »Zum fröhlichen Vergangenen«. Den Wirt traf keine Schuld an diesem Frevel, da weder er noch seine Gäste wussten, was der Schildermaler geschrieben hatte. Tatsächlich war ich in all den Jahren der Erste, der ihn darauf hinwies.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 2
»Alle raus!«
Die Stimme riss Jonan aus dem Schlaf. Um ihn herum grunzten und fluchten Männer.
Er setzte sich auf. Seine Lider waren schwer, die Gedanken langsam. Er hatte nur wenig geschlafen. Instinktiv griff er nach seinem Schwert, aber die Stimme – Garrsys Stimme – hielt ihn auf.
»Lasst eure Waffen hier!«, rief er. »Der Fürst verlangt, euch zu sehen.«
»Warum?«, rief ein Mann zurück.
»Nicht reden – aufstehen!«
Jonan sah zur Tür. Garrsy stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen im Schlafsaal. Er war von sechs schwer bewaffneten Leibgardisten umgeben. Jonan entging nicht, wie angespannt der Leutnant wirkte.
Etwas ist passiert, dachte er.
»Los!«, brüllte Garrsy. Jonan hatte ihn noch nie zuvor schreien hören.
Er stand auf und stellte sich zu den anderen Soldaten, die eine Zweierreihe bildeten. Die Leibgardisten rahmten sie ein wie Gefangene.
»Wo ist euer Sergeant?«, fragte Garrsy.
Schulterzucken antwortete ihm. Jonans Blick glitt über die Gesichter. Nyrdok war nirgends zu sehen.
»Also gut.« Garrsy drehte sich um. »Folgt mir!«
Sie verließen den Schlafsaal. Helles Licht fiel durch schmale Fenster in die Gänge. Jonan schätzte, dass es später Vormittag war. Seine Wache hatte erst im Morgengrauen geendet. Die ganze Nacht über, wann immer er seinen Posten verlassen konnte, hatte er vergeblich versucht, Nyrdok zu finden.
Die Türen zum Thronsaal waren weit geöffnet. Soldaten, Sklaven und einige Magier drängten sich darin. Man hatte Tische und Stühle entfernt und den Fürstenthron auf ein Podest gestellt. Ein hoher Stuhl stand daneben.
Leibgardisten sorgten dafür, dass die Soldaten, die den Saal betraten, sich verteilten und einen breiten Gang in der Mitte frei ließen. Jonan blieb in der Nähe der Tür. Sein Blick glitt über die Gesichter der Soldaten und blieb an Nyrdoks hängen.
Er lehnte an der Wand neben einem Fenster. Der Sergeantenumhang hing bis auf den Boden, war ihm zu groß. Immer wieder wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte Angst.
Garrsy schob sich an Jonan vorbei, ohne ihn zu bemerken. Hinter ihm traten zwei mit Speeren und Schilden bewaffnete Leibgardisten in den Eingang. Ihre Blicke flackerten. Sie wussten wohl ebenso wenig, weshalb sie gerufen worden waren, wie die anderen Soldaten.
Aber Nyrdok weiß es, dachte Jonan.
Garrsy blieb neben dem Podest stehen. Er nickte einem übergewichtigen, kahlköpfigen Eunuchen zu, der daraufhin mühsam auf das Podest stieg.
»Bürger Westfalls!«, rief er mit einer Stimme, so rein und weich, dass sie Jonan an Flusswasser erinnerte. »Verneigt Euch für den Fürsten und die Fürstin von Westfall.«
Alle im Raum verneigten sich tief. Ein paar knieten sogar nieder.
Zwei Sklaven öffneten die Tür hinter dem Thron. Craymorus kam mit langen Schritten heraus, Syrah folgte ihm langsamer. Sie ging geduckt, als trüge sie eine Last auf dem Rücken. Als sie sich setzte, schien sie in dem großen dunklen Stuhl fast zu verschwinden.
Craymorus winkte Garrsy heran, dann setzte er sich ebenfalls. Der Leutnant hörte ihm einen Moment zu, nickte und verließ das Podest. In der Mitte des Saals blieb er stehen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und zwinkerte nervös. Die Situation schien ihm nicht zu behagen.
»In … äh …«, begann er. »Die …« Er räusperte sich. »Jemand«, setzte er erneut an, »hat versucht, Korvellan zu befreien.«
Von einem Moment zum anderen wurde es laut im Saal. Ungläubige Rufe mischten sich in Flüche und Fragen.
»Wer?«, schrie schließlich jemand über den Lärm hinweg.
Garrsy hob die Arme. »Der Name des Mannes ist …«
Der Lärm erstarb so schnell, wie er aufgekommen war.
»Joff. Er hat als Wächter im Kerker gearbeitet.«
Einige Männer begannen aufgeregt, auf die Umstehenden einzureden. Sie schienen ihn gekannt zu haben.
Jonan beachtete sie nicht. Er konzentrierte sich auf Craymorus, der unruhig auf seinem Thron saß, die Lippen zusammengepresst, die Augen geweitet. Er wirkte verstört, als verstünde er nicht, was um ihn herum vorging. Syrah saß reglos neben ihm, die Hände im Schoß ihres langen, dunklen Kleids gefaltet.
»Er versuchte, einen Abdruck von Forderaks Schlüssel zu machen, als der Kerkermeister schlief. Dabei wurde er überrascht. Forderak übergab ihn den Wachen und meldete den Vorfall, aber als ich den Raum betrat, in den Joff gebracht worden war, lag er dort in seinem Blut. Jemand hat ihn getötet. Ich befahl, seine Sachen durchsu…«
»Er hatte Gold«, unterbrach ihn Craymorus. »Viel Gold.« Er stand auf, begann auf dem Podest auf und ab zu gehen. »Dieser …«
»Joff«, sagte Garrsy.
»Dieser Joff war bereit, Korvellan für Gold zu befreien. Für Gold.« Craymorus sah in den Saal hinein. Beinahe hilflos hob er die Hände. »Unser Leben für ein paar Münzen.« Er ließ die Hände sinken. »Jemand hat ihm dieses Gold gegeben.« Hass schlich sich in seine Stimme. Jonan war sich nicht sicher, ob er es überhaupt bemerkte. »Und ihn zum Schweigen gebracht, als der Verrat scheiterte. Ich will wissen, wer.«
Syrah saß stumm und mit gesenktem Kopf neben ihm. Nyrdok starrte sie die ganze Zeit über an, aber sie beachtete ihn nicht.
Sie war es, dachte Jonan. Sie hat Nyrdok Gold gegeben, damit er die Wachen besticht.
Er kannte die Gerüchte, die über Syrah kursierten, wusste von dem Verhältnis, das sie und Korvellan angeblich während des Kriegs miteinander gehabt hatten. Dogart hatte ihm eines Nachts während des Wachgangs davon erzählt. Sein Vater hatte behauptet, sie selbst zusammen gesehen zu haben, damals, als Korvellan noch Baldericks General gewesen war und sich in der Festung von einer Verletzung erholte, während der Fürst mit seinen Armeen durch das Land zog.
Er fragte sich, wer sonst noch davon wusste.
Craymorus stand auf dem Podest. Seine letzten Worte verhallten. Es wurde still im Thronsaal, so still, dass Jonan die Atemzüge der Männer neben sich hören konnte. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie groß Craymorus war. Die Krücken hatten ihn gezwungen, gekrümmt zu gehen, doch ohne sie stand er hoch aufgerichtet vor seinen Untertanen und blickte auf sie herab. Seine Schultern waren zu breit, seine Arme zu muskulös für den Rest seines Körpers. Er trug eine lange Hose und Stiefel, die seine Beine verdeckten, aber bei jeder Bewegung verriet das Schlottern des Stoffs, wie dürr und verkrümmt sie waren. Er hätte grotesk, vielleicht sogar lächerlich wirken müssen, doch das tat er nicht.
»Wer?«, schrie er plötzlich. »Jemand muss doch etwas gesehen haben!«
Einige Soldaten husteten nervös, andere räusperten sich. Nyrdok sah aus, als müsse er sich übergeben.
Jonan schwieg.
»Mein Bruder«, sagte Adelus in die Stille hinein. »Mit Eurer Erlaubnis möchte ich sprechen.«
»Gewährt.«
Der Junge trat vor das Podest. Sein Kinn war vorgestreckt, die Schritte fest und arrogant. Jonan warf einen Blick auf Milus. Der Magier lächelte.
»Wir alle können uns denken, wer Gold für Korvellans Freiheit zahlen würde«, sagte Adelus. Er richtete seine Worte an Craymorus, sprach aber so laut, dass man ihn im ganzen Saal verstehen konnte.
Jonan glaubte ein Zittern zu sehen, das Syrahs ganzen Körper erfasste, doch nach einem Lidschlag war es bereits wieder verschwunden.
Adelus wandte sich an den Saal. »Nur einer würde so etwas tun«, fuhr er fort.
Alle Blicke richteten sich auf ihn. Man sah ihm an, wie sehr er die Aufmerksamkeit genoss.
»Nur einer«, wiederholte er. »Ein Nachtschatten!«
Er schrie das letzte Wort in den Saal hinein.
Schlagartig änderte sich die Stimmung. Soldaten und Sklaven nickten erleichtert, froh, dass der Verdacht weit von ihnen geschoben worden war.
»Genau!«, riefen einige laut. »Er hat recht!«
»Stimmt!«, schrie Nyrdok.
Craymorus setzte sich auf den Thron und stützte den Kopf auf seine Hand. Er wartete die Zwischenrufe ab, dann sagte er: »Ich weiß, Adelus, aber das hilft uns leider nicht weiter.«
»Weil du die Nachtschatten nicht erkennen kannst.« Der junge lächelte. Einen Moment lang sah er aus wie sein Vater.
Jonan wusste, was er sagen würde, noch bevor er die Worte aussprach.
»Aber ich kann es.«
Craymorus ließ die Hand sinken und beugte sich vor. »Was?«
»Vater wollte nicht, dass ich am Großen Zauber mitarbeite«, sagte Adelus, »weil ich noch zu jung bin. Also versuchte ich dir auf andere Weise zu helfen.«
»Du …« Craymorus stand auf. »Du hast einen Zauber erschaffen, mit dem man Nachtschatten finden kann?«
Adelus nickte.
»Garrsy, niemand verlässt den Saal.«
Jonan drehte den Kopf, als die Türen hinter ihm mit einem Knall zugeschlagen wurden. Breitbeinig stellten sich die Wachen davor. Sie hoben die Schilde und klemmten sich die Speere unter den Arm. Mit einer Geste befahl Garrsy zwei weitere Wachen zur Tür hinter dem Thron.
Craymorus sprang von dem Podest und sah Adelus an. »Zeig ihn mir.«
»Hebt die Hände, Bruder, Handflächen nach außen.«
Er tat, was der Junge verlangte.
Adelus schloss die Augen. Jonan wartete auf etwas, einen Blitz, einen Knall oder ein Licht, aber nichts geschah. Nach einem Moment öffnete der Junge die Augen wieder.
»Du bist kein Nachtschatten«, sagte er.
Craymorus lachte. Die Männer im Saal nahmen sein Lachen auf. Laut und falsch hallte es von den Wänden wider. Nur Syrah reagierte nicht.
»Und jetzt die Leibgarde.«
Nacheinander wurden sie zu Adelus geführt, zuerst die an den Türen, dann Garrsy, schließlich die anderen im Saal. Die Männer scherzten untereinander. Die Stimmung war gelöst.
Es geschah beim siebten Leibgardisten, einem jungen bärtigen Mann mit den Schultern eines Holzfällers. Er stellte sich vor Adelus und hob die Hände.
»Dann zeig mal, was du kannst, Kleiner«, sagte er grinsend.
Adelus schloss die Augen. Zeit verging, mehr als bei den anderen Männern.
»Der lässt dich ja ganz schön bra…«, begann der Leibgardist, der hinter ihm stand, doch dann brach er mitten im Wort ab.
»Was ist?«, fragte der jüngere Soldat zurück.
Ein plötzliches Raunen ging durch den Saal. Jonan starrte auf die Handflächen des Mannes. Dunkles Fell bedeckte sie.
»Was ist denn los?« Der Gardist klang nervös. Er drehte seine Hände und wich zurück, so als wolle er vor dem fliehen, was er sah. »Was ist das?«, schrie er. »Sagt mir, was das ist!«
Adelus öffnete die Augen und sagte nur ein Wort: »Nachtschatten.«
Der Gardist wich den Männern aus, die nach ihm greifen wollten. Immer mehr umringten ihn. Die Wachen, die an der Tür hinter dem Thron gestanden hatten, hoben die Schilde, stellten sich schützend vor Craymorus. Nur sein Kopf ragte über sie hinweg.
»Ich bin ein Mensch!« Die Stimme des Gardisten überschlug sich.
Die Tür war unbewacht. Jonan drängte sich durch die Soldaten. Nur drei oder vier Speerlängen trennten ihn vom Thron. Ein wirbelnder Umhang nahm ihm die Sicht. Ein Schwert blitzte auf. Jonan sprang zur Seite und prallte gegen den Schild eines Leibgardisten.
»Pass doch auf!«, brüllte der Mann. Seine Worte gingen in einem kurzen, gurgelnden Schrei unter.
Jonan richtete sich auf. Jemand starb.
Er versuchte nicht daran zu denken. Mit einem Sprung war er auf dem Podest – und stand direkt vor Syrah. Ihre Blicke trafen sich.
»Hat sie dich geschickt?«, fragte die Fürstin. Ihre Augen waren so kalt wie das Eis des Nordens. »Ist es so weit?«
Er hätte sie zur Seite stoßen müssen, um zur Tür zu gelangen, aber das tat er nicht. Hinter ihm war es ruhig geworden. Die Wachen kehrten bereits zurück. Er wäre nie ungesehen an ihnen vorbeigekommen.
»Nein, Mefrouw«, sagte er, ohne zu wissen, wovon sie redete. »Ich bin hier, um Euch zu beschützen.«
»Mefrouw?«
Erst als sie es aussprach, fiel Jonan auf, wie er sie genannt hatte.
»Wieso hast du das getan?«, fragte Craymorus hinter ihm. Im ersten Augenblick dachte Jonan, er würde mit ihm sprechen, doch als er sich umdrehte, sah er, dass der Fürst vor Nyrdok stand.
Der Gardist mit den fellbewachsenen Handflächen lag tot am Boden. Ein Schwert steckte in seinem Hals. Adelus stand ein Stück entfernt und betrachtete die Leiche regungslos.
»Ich dachte, er würde Euch angreifen, Herr«, sagte Nyrdok. Bei jedem Wort zog er die Schultern etwas mehr ein.
»Es stand ein Dutzend Männer zwischen ihm und mir.« Craymorus schüttelte den Kopf. Jonan bemerkte die tiefen Ringe unter seinen Augen. »Verschwinde.«
»Ja, Herr. Verzeiht, Herr.« Nyrdok entfernte sich unter zahlreichen Verbeugungen, aber seine Blicke gingen an Craymorus vorbei.
Er sieht Syrah an, dachte Jonan. Ihr ist er ergeben, nicht dem Fürsten.
Vor der Tür blieb Nyrdok stehen. Er schien zu erwarten, dass sie geöffnet wurde, aber die Leibgardisten senkten ihre Schilde nicht.
»Mein Fürst?«, fragte Garrsy. »Soll ich die Türen öffnen lassen?«
Craymorus sah Adelus an. »Wie steht es um deine Kraft?«
»Gut.«
»Dann werden wir die Türen geschlossen halten, bis sich jeder in diesem Saal dem Zauber unterzogen hat. Dass wir einen Nachtschatten entdeckt haben, heißt nicht, dass es nur einen gab.« Er legte Adelus die Hände auf die Schultern. »Dieser Junge wird uns die Wahrheit offenbaren.«
Jonan tastete nach seinem Schwert. Seine Hand stieß ins Leere.
Es wurde stickig im Thronsaal und heiß. Die Männer waren in zwei Gruppen aufgeteilt worden, diejenigen, die ihre Handflächen Adelus entgegengestreckt hatten, und die, die noch darauf warteten. Der Junge stand in der Mitte des Raums. Er war umringt von Soldaten, die Speere und Schilde trugen. Immer öfter bat er um eine Pause. Schweißnasses Haar hing ihm ins Gesicht. Craymorus ging auf dem Podest auf und ab. Er wirkte angespannt. Syrah saß in ihrem Stuhl. Ab und zu tupfte sie sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn.
»Du.« Garrsy zeigte auf den Soldaten, der neben Jonan stand. Rund dreihundert Menschen befanden sich im Thronsaal, nur noch zwanzig warteten auf ihre Überprüfung.
Der Soldat stellte sich vor Adelus. Der Junge schwankte leicht.
»Der Nächste«, sagte er mit geschlossenen Augen. Der Mann stieß erleichtert den Atem aus und ging auf die andere Seite des Gangs.
»Jonan.« Garrsy nickte ihm zu.
Es war still im Saal, aber Jonan hörte jedes Geräusch überlaut. Räuspern und gelegentliches Husten, das Flüstern, mit dem die Soldaten sich unterhielten. Von draußen drang der Alltag der Flüchtlinge herein. Das Gackern der Hühner, Kinderschreie, das Hämmern eines Schmiedehammers. Das Tier in Jonans Innerem spannte die Muskeln, lauerte auf seine Chance.
Jonan trat vor. Die Speerspitzen der beiden Wachen, die neben Adelus standen, richteten sich auf seinen Bauch. Zwei weitere Soldaten standen hinter ihm, mit Schwertern bewaffnet.
Die Speerspitzen zitterten. Die Männer waren müde. Seit dem ersten Nachtschatten waren die Überprüfungen ereignislos verlaufen. Sie waren unaufmerksam. Die Hitze und die schlechte Luft setzten ihnen zu. Ihre Augen wirkten stumpf.
In seinen Gedanken sah Jonan den Kampf vor sich, sah sich die Wachen niederstrecken und nach dem Jungen greifen. Er würde sich eine ihrer Waffen nehmen, einen Speer, kein Schwert, und sich damit Platz verschaffen. Sie würden es nicht wagen, ihn anzugreifen, solange er den Jungen hatte.
»Heb deine Hände«, sagte Adelus. Er schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können.
Jonan streckte ihm die Handflächen entgegen.
Aber was dann?, fragte er sich. Selbst wenn er aus dem Thronsaal herauskam, wie sollte er die Festung verlassen? Die Bogenschützen auf den Türmen würden ihn erledigen, bevor er das Tor erreichte.
Adelus schloss die Augen.
Das Tier warf sich gegen die Wände seines Gefängnisses, drängte Jonan, die Türen zu öffnen und es hinauszulassen. Dem Tier konnte gelingen, was dem Menschen verwehrt blieb.
Die Wache neben Adelus gähnte.
Jonan ließ sich in sein Inneres sinken, näherte sich dem Tier durch das Labyrinth, das er errichtet hatte. Es lief ihm entgegen. Seine Klauen kratzten an Jonans Geist, rissen die Mauern und Wälle nieder. Er streckte die Hand nach dem Tier aus – und zog die Hand zurück.
Nein, dachte er. Nicht so. Ich will so nicht gehen.
Adelus öffnete die Augen.
»Der Nächste.«
Benommen trat Jonan zur Seite. Das Tier verschwand in den Tiefen seines Gefängnisses. Sein Brüllen verfolgte ihn, lähmte seine Gedanken.
Sein Blick glitt zurück zu Adelus, zu dem Soldaten, der vor ihm stand, zu der Blutlache auf dem Boden und der Leiche, die unter einem Teppich in einer Ecke des Saals lag.
Es gibt keinen Zauber, dachte er. Der Junge lügt.