Bild3305.JPG 

Es war beinahe eine Erleichterung, als auf einmal das Telefon klingelte.

Ich hatte Eddie aus der Küche geschickt, weil ich allein sein wollte, und jetzt war ich unsicher, ob ich abheben sollte. Da ich jedoch dringend auf andere Gedanken kommen wollte, entschloss ich mich, dranzugehen. Vielleicht war es ja einfach eine Telefonumfrage.

Ich war jedenfalls nicht darauf vorbereitet, David Longs Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören. »Können Sie sofort zur Schule kommen?«, fragte er mit leiser Stimme. »Creasley ist hier. Aber er ist gerade dabei, die Schule zu verlassen. Ich war im Lehrerzimmer und hörte einige meiner Kollegen, wie sie über ihn sprachen. Die nächsten zwei Stunden habe ich Unterricht, aber wenn Sie sofort kommen, schaffen Sie es vielleicht noch, ihm vom Parkplatz aus zu folgen. Vielleicht führt er Sie ja zu Cool, ehe Sie ihn kaltmachen.«

»Bin schon unterwegs«, sagte ich und wollte auflegen. Ich war froh, dass ich David nicht sehen musste. Außerdem gefiel mir die Vorstellung, endlich mal wieder einen Dämon in die Hölle zurückschicken zu können. Ist das so schlimm? Ich stand unter Stress und wollte mich eben ablenken. Da kam mir ein Dämon gerade recht.

»Okay. Wir treffen uns dann um fünf bei Cutter«, sagte David.

»Dann berichten Sie mir, wie Sie den Höllenhund beseitigt haben. Außerdem können wir dann gleich auch noch etwas trainieren.«

Ich schwieg, obwohl ich eigentlich protestieren wollte. Aber die Worte kamen mir nicht über die Lippen. David verabschiedete sich und legte auf.

Ich brauchte nur einige Sekunden, um wieder zu mir zu kommen. Schließlich ging es um einen Dämon. Hastig suchte ich Schlüssel und Tasche und rannte eilig durch das Haus, um zu kontrollieren, ob alle Türen verschlossen waren. Als ich den Vorhang beiseiteschob, der vor der Verandatür hing, blickte ich nur wenige Zentimeter von mir entfernt in ein Gesicht. Ich schrie.

Doch kaum hatte der Schrei meinen Mund verlassen, als mein Gehirn wieder funktionierte. Es war Laura. Ihre Haut schien rot und fleckig, und Tränen hatten eine deutliche Spur in ihrem Make-up hinterlassen. Ihre Augen waren von verschmierter Wimperntusche schwarz umrandet.

Ich riss die Tür auf. »Laura! Um Himmels willen – was ist passiert?«

»Paul«, schluchzte sie. »Der Mistkerl hat die Scheidung eingereicht.«

Sie fiel mir in die Arme, und ich hielt sie fest. Auch mir liefen die Tränen hinunter. Gleichzeitig musste ich an Creasley denken, den Dämon, der für heute auf meinem Terminkalender stand. Es lag in meiner Verantwortung, ihn zu beseitigen. Schließlich war ich in dieser Gegend der einzige Dämonenjäger der Forza.

Aber das war mir in diesem Moment egal. So wie ich das sah, war mein Termin mit Creasley geplatzt. Er musste einem menschlichen Dämon Platz machen – einem lügenden, betrügenden Mistkerl von Ehemann.

Für den Moment wollte ich Creasley also verschonen. Ich hatte schließlich auch noch andere Verpflichtungen in San Diablo. Und dazu gehörte sicher an vorderster Stelle das Wohl meiner besten Freundin.

Um zehn vor fünf riss ich die Glastür zu Cutters Studio auf. Ich entdeckte zu meiner Verblüffung meine Tochter, die gerade ein Bein in der Luft hatte. Vor ihr lag David Long flach auf dem Boden.

Als sie die Klingel über der Tür vernahm, blickte sie auf. Ein zufriedenes Grinsen zeigte sich auf ihrem Gesicht. Von einem Moment zum anderen verwandelte sie sich von der Königin der Selbstverteidigung in meine Tochter. Sie sprang wie ein Kind auf mich zu und kreischte begeistert.

»Hast du das gesehen? Ist das nicht total voll cool? Ich trainiere ja schon seit vielen Wochen mit Cutter, aber ich hätte nie geglaubt, dass mir das gelingen würde. Doch es hat geklappt. Ich habe ihn zur Schnecke gemacht!«

Ich warf einen Blick auf den Mann, den sie zur Schnecke gemacht hatte. Er rollte sich gerade zur Seite und setzte sich auf, während er meine Tochter belustigt und voll Zuneigung betrachtete.

Mein Magen verkrampfte sich ein wenig, und ich fragte mich, ob er wohl gerade auch seine Tochter ansah.

Allie nahm mich an den Händen und begann mit mir im Kreis zu hüpfen. »Sagen Sie es ihr! Sagen Sie ihr, wie voll super ich war«, rief sie Cutter zu.

»Das stimmt«, meinte dieser. Er stand hinter der Theke. »Sie hat sich wirklich gut geschlagen. David wusste gar nicht mehr, wie ihm geschah.«

»Herzlichen Dank«, meinte David und warf Cutter einen gespielt finsteren Blick zu.

Ich bemerkte, dass sein Stock einige Meter von ihm entfernt stand, und ich fragte mich, ob er wohl damit gekämpft hatte.

Er nahm den Stock und sah mich fragend an. »Alles in Ordnung?«

»Ja, mir geht es gut«, meinte ich. »Ich bin sehr stolz auf dich.« Ich zog Allie in meine Arme. »Das hast du toll gemacht.«

»Ich weiß«, sagte sie, löste sich aus meiner Umarmung und sprang dann zufrieden durch das Studio, bis sie zu Cutter kam. Er hielt sie fest und setzte sich mit ihr auf eine Bank. Eine Zeit lang sah ich zu, wie er mit ihr jede ihrer Bewegungen durchging.

Eigentlich hatte Allie heute gar kein Training. Sie musste Cutter angerufen und diesen Termin mit ihm vereinbart haben. Ich fragte mich, wie oft sie das schon gemacht hatte, und nahm mir vor, Cutter später danach zu fragen. Wenn das wenige, was ich gesehen hatte, ein Anzeichen ihres Könnens darstellte, dann musste das bedeuten, dass sie öfter, als mir bewusst war, trainierte und wirkliches Talent besaß. Mein kleines Mädchen hatte offenbar gelernt, wie man sich verteidigte.

»Mir war nicht klar, dass sie hier sein würde«, sagte David. Ich stand neben ihm. Offensichtlich wollte er nicht, dass die anderen ihn hörten, denn er redete ziemlich leise. »Mir war nicht einmal klar, dass Cutter hier sein würde.«

»Und wie wollten Sie dann ins Studio gelangen?«, fragte ich.

»Mit einem Schlüssel«, sagte er. »Ich habe hier schon oft trainiert, wenn das Studio geschlossen ist. Cutter ist in Ordnung. Ich vertraue ihm.«

Ich legte den Kopf zur Seite. »Wie sehr vertrauen Sie ihm?«

»Na ja. Ich vertraue ihm nicht einhundert Prozent«, erwiderte er und zeigte mir so, dass er meine Andeutung verstanden hatte. »Wie lief es mit Creasley?«

Ich warf einen Blick über meine Schulter. Allie und Cutter waren noch immer ins Gespräch vertieft. »Ich bin nicht gegangen«, erklärte ich. Hastig berichtete ich von Lauras neuer Situation. »Ich wollte sie nicht allein lassen.«

»Sie sind also bei Laura geblieben, anstatt einen Dämon zu vernichten?«

»Ganz genau«, antwortete ich angespannt. »Das habe ich doch gerade gesagt.« Ich merkte, wie ich nur darauf wartete, ihm über den Mund fahren zu können, falls er Kritik an mir übte. Irgendwie hoffte ich sogar, dass er mich wütend machen würde. Es mochte vielleicht unvernünftig sein, aber am liebsten hätte ich auf der Stelle mit diesem Mann, von dem ich nicht wusste, wer er eigentlich wirklich war, einen Kampf ausgetragen.

Er sagte jedoch nichts Falsches, sondern sah mich nur belustigt an. Seine Augen funkelten, als er mir mit einer Kopfbewegung bedeutete, ihm in den vorderen Teil des Studios zu folgen. Wir gingen gemeinsam zu dem großen Fenster neben dem Eingang. Für einen Moment sprachen wir nicht miteinander, wofür ich eigentlich dankbar war. Andererseits machte mich dieses Schweigen nervös. Es hing wie ein Nebel zwischen uns, und ich kämpfte gegen das Bedürfnis an, einfach etwas über die letzte Elternbeiratssitzung von mir zu geben.

Wir blieben vor dem Fenster stehen und beobachteten die Leute, die aus dem gegenüberliegenden Supermarkt kamen und die Straße hinuntergingen. Nach einigen weiteren Minuten des Schweigens meldete sich David endlich zu Wort. »Sie haben ein gutes Herz, Katie-Kins.«

»Wie haben Sie mich gerade genannt?«, fragte ich mit einer erstaunlich ruhigen Stimme.

»Kate – ich habe Sie Kate genannt. So heißen Sie doch – oder?«

»Nein, so haben Sie mich nicht genannt«, sagte ich. »Sie haben mich Katie-Kins genannt.«

Eric hatte mich früher oft so genannt. Ich hatte es zwar nie gemocht, aber er benutzte diesen Kosenamen immer dann, wenn er mich ärgern wollte. Dieses kleine Spiel zwischen uns war bereits entstanden, als wir uns kennenlernten. Ich war damals dreizehn und er ein Jahr älter gewesen. Später hatte er immer behauptet, sich auf den ersten Blick in mich verliebt zu haben, aber ich hatte ihm das nie so ganz geglaubt. Wie sollte ich auch, wenn er so viel Zeit damit verbracht hatte, mich zu ärgern?

David sah auf, und seine Augen blickten in die Ferne, als ob er versuchte, sich zu erinnern. »Stimmt, das habe ich wohl.«

»Warum?« Es gelang mir, dieses Wort auszusprechen, obwohl mein Mund vor Nervosität ganz trocken waren.

»Warum was?«, wiederholte er.

Ich wollte ihn zur Rede stellen. Ich wollte darauf bestehen, dass er mir die Wahrheit sagte. Aber stimmte das wirklich? Ich brachte nämlich nur ein »Eric hat mich früher so genannt« heraus.

»Hat er das?«, fragte David, wobei sein Blick seltsam sanft wirkte. »Das wusste ich nicht, Kate. Es ist einfach nur ein Wort, das mir leicht über die Lippen geht. Keine Ahnung – vielleicht hat Eric mir mal erzählt, dass er Sie so genannt hat. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.«

Ich blinzelte und schluckte hörbar. »Verstehe«, sagte ich. »Das kann natürlich sein.«

Ohne dass er es bemerkte, ballte ich die Fäuste. Ich fragte mich, was mir wohl bevorstand. Würde er mir alles gestehen? Würde er zugeben, dass er Eric war? Würde er sagen, dass es ihm leidtat, mich zurückgelassen und solche Geheimnisse vor mir gehabt zu haben?

Würde er sagen, dass er mich liebte?

Und was wäre dann?

Ich runzelte die Stirn und betrachtete den Boden. Was wäre dann? Konnte der Eric, den ich geliebt hatte, wirklich wieder zu mir zurückkehren? Und selbst wenn er es könnte – was würde dann geschehen? Die Zeit verändert alles. Ich führte inzwischen ein anderes Leben, hatte eine neue Familie. Selbst wenn dieser Mann tatsächlich Eric war – wollte ich das denn wissen?

Ich war mir nicht sicher. Aber gleichzeitig musste ich es einfach herausfinden. War mir diese Antwort so wichtig, weil sie Hoffnung oder Angst in mir auslöste? Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nur, dass ich sie hören wollte. Trotzdem war ich nicht in der Lage, die Frage zu stellen.

Aber dafür konnte ich etwas anderes tun. Ich konnte diesen Mann testen. Und zwar durch einen Kampf. Durch einen echten Kampf und nicht so einen wie den letzten, bei dem ich ihn mit Weihwasser bespritzt hatte. Ich kannte Erics Bewegungen in- und auswendig. Ich kannte seinen Stil, sein Verhaltensmuster. Als ich das erste Mal mit David gekämpft hatte, hatte ich nicht darauf geachtet, wie er sich bewegte. Doch diesmal wollte ich darauf achten. Und wenn Eric tatsächlich irgendwo tief im Inneren von David steckte, dann würde ich das herausfinden.

Was ich jedoch mit der Antwort anfangen würde, war etwas anderes.

Das wusste ich nicht.

»Das ist ja so was von cool! Ihr beide wollt also wirklich miteinander kämpfen?« Allie sprang aufgeregt vor uns auf und ab. Die Vorstellung, dass ihre Mutter und ihr Lehrer miteinander einen Kampf austragen würden, schien ihr ungemein gut zu gefallen.

»Musst du keine Hausaufgaben machen?«

»Nicht viele.«

»Allie, du solltest nach Hause gehen. Es war sowieso nicht in Ordnung von dir, mir nicht zu sagen, dass du heute hierherkommen würdest.« Ich warf Cutter einen strafenden Blick zu und stemmte die Arme in die Hüften. »Wenn ich so sehe, wie gut du dich schlägst, muss ich annehmen, dass du mir nicht immer sagst, wann du zum Training gehst.«

»Du bist doch diejenige gewesen, die wollte, dass ich gut werde.«

»Und jetzt will ich, dass du nach Hause gehst.«

»Soll ich etwa zu Fuß gehen?«

Sie stellte diese Frage mit der gleichen Empörung in der Stimme, als ob ich ihr vorgeschlagen hätte, einen Bauchtanz aufzuführen.

»Ja«, sagte ich. »Ich möchte, dass du – «

Ich brach ab. Unser Haus lag etwa eineinhalb Kilometer von hier entfernt, und ich wollte wirklich nicht, dass sie allein dorthin lief. »Vergiss es«, sagte ich. »Ich fahre dich.« Ich warf Cutter und David einen raschen Blick zu. »Wir machen das ein anderes Mal.«

»Mami!«, rief Allie empört. Auch Cutter und David protestierten lautstark.

»Deine Tochter hat dich doch schon kämpfen sehen, Kate«, meinte Cutter.

Ich überlegte kurz, ob ich mich weigern sollte, aber im Grunde wusste ich, dass es sinnlos war. Außerdem hätte zu viel Protest meinerseits Allie bestimmt nur misstrauisch gemacht. Sie hatte nie gesehen, wie ihr Vater gekämpft hatte, und würde sich garantiert durch keine Bewegung, die David machte, an Eric erinnert fühlen. Meine eigene Reaktion sorgte mich mehr. Aber ganz gleich, was ich erfahren würde – ich hatte schließlich mein Leben lang gelernt, meine Gefühle in Schach zu halten. Für irgendetwas musste dieses Training doch gut sein.

»In Ordnung. Wie ihr wollt.« Ich wandte mich an David. »Sieht ganz so aus, als ob Sie mir nicht entkommen würden.«

Diesmal kämpfte David ohne Stock. Wir begannen ganz locker, um erst einmal ein Gefühl für den anderen entwickeln zu können. Einige Angriffsbewegungen gefolgt von Gegenangriffen zeigten uns unsere gegenseitigen Reflexe und unser Reaktionsvermögen. Cutter und Allie feuerten uns begeistert von der Seite an.

David war der Erste, der zur nächsten Stufe überging. Wir legten nun so richtig los, bis wir beide außer Atem waren. Keiner befand sich in einer besseren Position. Der Typ war wirklich gut, und ich musste zugeben, dass wir mehr oder weniger das gleiche Können und dieselben Schwächen hatten.

Es gelang ihm, mich in einem unerwarteten Moment mit einem Tritt gegen mein Brustbein zu erwischen. Ich nahm seine Bewegung gerade noch in letzter Sekunde wahr, und es gelang mir, mich durch einen Schritt zur Seite halbwegs zu retten. Dann packte ich David am Bein und versuchte, ihn auf den Boden zu werfen. Er verblüffte mich erneut, indem er höchst geschickt herumwirbelte und seinen Fuß befreite. Gleichzeitig stützte er sich mit den Händen auf der Matte ab und schlug nach hinten aus, so dass er mich unter dem Kinn traf und zu Boden schleuderte.

Ich sprang jedoch sofort wieder auf. Adrenalin pumpte durch meine Adern. Ich hatte diese Drehung früher oft gesehen und das nicht nur bei meinem Training mit Cutter. Es handelte sich um einen komplizierten Bewegungsablauf, den jeder Kämpfer ein bisschen anders ausführte. Und der Mann, der mich jetzt umkreiste, bewegte sich eindeutig wie Eric.

Mein Herz blieb für einen Moment fast stehen. David spürte mein Zögern und griff mich mit seiner Führhand an, die ich automatisch blockierte. Ich ließ mich fallen und rollte zur Seite, um eine gewisse Distanz zwischen uns zu bringen und kurz überlegen zu können. Doch noch ehe er mich wieder erreichte, sprang ich auf die Füße. In dem Bruchteil der Sekunde, in dem ich mich auf dem Boden befunden hatte, waren mir die Lampen an der Studiodecke aufgefallen. Bisher hatte ich noch nie auf die Beleuchtung geachtet.

Nun schienen mich die Neonröhren, die von einem Metallgitter geschützt waren, geradezu zu rufen. Als David auf mich zustürzte, tat ich umgekehrt dasselbe. Ich rannte auf ihn los und rief dabei: »Himmelfahrt!«

Er blinzelte und blieb stehen. Ich hätte schwören können, dass ich ihn nicken sah. Also lief ich weiter und erwartete, dass er mich an der Taille packte und in die Luft warf, wie das Eric so oft getan hatte.

Das war unser »Himmelfahrt«-Bewegungsablauf gewesen, den wir über die Jahre ausgearbeitet hatten. Er funktionierte nur in bestimmten Kampfsituationen, doch war es uns in mehreren schwierigen Lagen gelungen, uns auf diese Weise einen Vorteil zu verschaffen. Eric hatte mich in die Höhe geworfen, wodurch ich einen besseren Blick auf unseren Gegner zu werfen vermochte.

Diesmal funktionierte das Ganze allerdings nicht so gut. Meine Erwartungen prallten hart mit der Wirklichkeit zusammen. Und »prallen« meine ich wörtlich.

Ich rannte in David hinein und bemerkte gerade noch seine verblüffte Miene, als wir gemeinsam auf den Boden stürzten. Allie und Cutter stießen beide einen überraschten Schrei aus und liefen zu uns. Ich lag für einen Moment regungslos da und starrte zu den Lampen hinauf, die mir diese Eingebung beschert hatten. Verlor ich allmählich meinen Verstand?

Ich wusste, was hier schiefgelaufen war. David war nicht Eric, und ein Teil von mir hatte das die ganze Zeit über geahnt. Wie hatte ich nur so dumm sein können, so etwas überhaupt zu vermuten! Eric hätte niemals schwarze Magie benutzt, um seine Seele in den Körper eines anderen gleiten zu lassen. Ich konnte es kaum fassen, dass ich so verrückt gewesen war, an Eddies hanebüchene Theorie zu glauben.

Während ich dalag und von Cutter, Allie und David fassungslos angestarrt wurde, war mir zumindest eines klar. Dieser Mann war nicht Eric.

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Dabei hörte ich kaum, wie Allie mehrmals besorgt rief: »Mami? Mami!«

Ich durfte nicht traurig sein. Ich wollte nicht traurig sein. Schließlich war ich glücklich verheiratet. Ein erster Ehemann, der sich als untot erwies, hätte das Leben, das ich mir so mühsam aufgebaut hatte und das ich so sehr liebte, ziemlich durcheinandergebracht. Nein, ich wollte wirklich nicht traurig sein.

Aber meine Tränen schien das nicht zu kümmern. Sie stiegen mir trotzdem in die Augen. Ich schaffte es zwar, sie zurückzudrängen, aber den Mienen der anderen nach zu urteilen, gelang es mir nicht ganz, meine aufgewühlten Gefühle zu verbergen.

David, der aufgestanden war, kniete sich nun besorgt neben mich. »Kate? Alles in Ordnung, Kate? Was war das denn gerade?«

»Ich… Ich habe die Situation falsch eingeschätzt. Ich wollte etwas Neues ausprobieren. Hat leider nicht ganz funktioniert.«

»Das kann man wohl sagen«, meinte Allie. Sie hockte ebenfalls neben mir und hatte ihre Hand auf meinen Ellenbogen gelegt. Falls sie oder die anderen meinen »Himmelfahrt«-Ausruf irgendwie seltsam gefunden hatten, so ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken.

David betrachtete mich nachdenklich. »Sie sehen nicht so aus, als würde es Ihnen gut gehen. Ist mit Ihnen wirklich alles in Ordnung?«

»Mir geht es…« Ich schüttelte den Kopf. »Wissen Sie was? Es geht mir wirklich nicht so gut. Irgendwie ist mir etwas schwindlig.« In diesem Moment wollte ich nichts lieber, als auf der Stelle verschwinden zu können. Wenn ich dafür vorgeben musste, dass es mir gesundheitlich nicht gut ging, war ich gern gewillt, das zu tun.

»Dann gehen Sie doch besser nach Hause«, sagte er. »Bekommen Sie heute Abend nicht Besuch?«

»Bekomme ich – was?«

»Troy kommt zum Abendessen, Mami«, erklärte Allie. »Mr. Long hat recht. Ich muss mich fertig machen.« Sie stand auf und reichte mir die Hand, damit ich mich ebenfalls erheben konnte.

»Okay«, sagte ich und lächelte Cutter und David unsicher an. »Und ich muss kochen.«

Ich setzte Allie zu Hause ab, damit sie sich herrichten konnte, wie sie das nannte, und holte Timmy von KidSpace ab. Auf dem Weg zurück schaute ich kurz bei Laura vorbei, um sie um Hilfe zu bitten. Ich redete mir ein, dass sie die Abwechslung gut gebrauchen konnte, um von Paul abgelenkt zu werden, aber in Wahrheit brauchte ich dringend ihre Küchenausrüstung, ihre Kochbücher und vor allem ihre kulinarischen Fähigkeiten.

Laura ist weder eine besonders genaue noch eine gut organisierte Köchin, aber das Endresultat war bisher stets ausgesprochen lecker. Solange ich hinter ihr aufräumte und das Chaos wegputzte, das sie hinterließ, war ich mir sicher, dass wir etwas Geeignetes für Troy Myerson fabrizieren konnten, wenn er um acht Uhr bei uns war.

»Bist du dir sicher, dass es dir nicht zu viel ist?«, fragte ich sie. Wir befanden uns in ihrer Küche und packten gerade einige Utensilien in einen Karton. Von jedem dieser Küchengeräte behauptete Laura, dass es absolut essentiell war, wenn man vorhatte, ein einigermaßen annehmbares Essen zuzubereiten.

»Ich bin mir absolut sicher«, sagte Laura. »Ich bin sogar froh, dass du mich gefragt hast. Sonst würde ich sowieso nur hier herumsitzen und mir überlegen, wie ich Paul am besten um die Ecke bringen kann.« Sie warf mir einen durchdringenden Blick zu. »Zumindest weiß ich schon mal, wo ich die Leiche verstecken kann. Das ist doch bereits die halbe Miete – meinst du nicht?«

»Du musst dringend hinter den Herd«, erwiderte ich. »Vielleicht wäre es das Beste, wenn du mit Mindy bei uns zu Abend isst. Wie hat Mindy das Ganze eigentlich aufgenommen?«, fügte ich mit sanfter Stimme hinzu.

»Sie weiß es noch gar nicht«, meinte Laura. »Ich glaube allerdings, dass sie etwas vermutet. Doch das ist nicht dasselbe. Wir wollen bis Januar warten, um es ihr zu sagen. Ich habe Paul erklärt, dass ich ihn bis auf den letzten Cent aussaugen werde, falls er Mindys Weihnachten kaputt machen sollte.«

»Ehrlich?«

Sie lächelte freudlos. »Natürlich plane ich sowieso, ihm den letzten Cent aus der Tasche zu ziehen. Aber das weiß er noch nicht.«

»Ich drücke dir jedenfalls die Daumen. Vielleicht solltest du dir vornehmen, in den Ferien so viel Zeit wie möglich bei uns zu verbringen. Natürlich gemeinsam mit Mindy, meine ich.«

»Das klingt gut«, sagte Laura. »Gerne auch heute Abend. Aber glaubst du überhaupt, dass das in Ordnung geht? Ein weiteres Mädchen am Tisch, wenn der Junge der Träume zum Essen kommt?«

»Da bin ich mir auch nicht ganz sicher. Ich werde mal in der Bedienungsanleitung nachsehen.« Ich schnitt eine Grimasse. »So etwas Dummes! Es gibt ja gar keine Bedienungsanleitung für Teenager. Das sollte aber schnellstens geändert werden.«

Während Laura fortfuhr, alle Küchenutensilien einzupacken, die man für ein Fünf-Sterne-Restaurant brauchte, rief ich meine Tochter an, um sie zu fragen. Zu meiner Erleichterung fand ich heraus, dass in solchen Fällen die Gegenwart bester Freundinnen durchaus erwünscht war.

Das teilte ich Laura mit und warf dann einen Blick in den letzten Karton, den sie gerade gepackt hatte. »Ist dir eigentlich klar, dass wir nur einen Jungen aus der Highschool bekochen? Er ist kein Prinz oder so etwas.«

»Allie ist in ihn verknallt«, meinte Laura. »Willst du, dass sie das schlechte Essen dafür verantwortlich macht, wenn es zwischen den beiden nicht klappt? Willst du dieses Risiko auf dich nehmen?«

Was konnte ich darauf schon antworten? Also packten wir die fünf Kisten (fünf!) in meinen Wagen und stürzten uns dann auf Lauras Kühlschrank und Gefriertruhe. Sie war sicher, dass wir mit den Zutaten aus unseren beiden Küchen bestimmt etwas Annehmbares fabrizieren würden. Wenn man bedachte, dass mein Minivan beinahe aus allen Nähten platzte, glaubte ich ihr gern.

Sobald wir die Sachen in mein Haus hinübergebracht hatten und ich von Laura zum Zwiebelschneiden verdammt worden war, wandte sich unsere Unterhaltung wieder einmal dem Thema Dämonen zu. Manche Frauen sprechen mit ihren Freundinnen am liebsten über Fernsehserien. Laura und ich hingegen plaudern besonders gern über Untote.

Nachdem ich sichergestellt hatte, dass Allie außer Hörweite war, erzählte ich Laura rasch, was in den letzten Stunden geschehen war und dass David und ich vermuteten, das Ganze müsse mit dieser Surfvorführung zu tun haben.

»Und er ist wirklich ein Jäger, der allein arbeitet?« Sie halbierte mit einem Schnitt eine Paprikaschote. »Da ich offenbar kein Glück mit Manager-Typen zu haben scheine, sollte ich mich vielleicht woanders umsehen. Möglicherweise ist dein akademischer Dämonenjäger ja sogar interessiert. Schließlich bin ich wieder zu haben.« Sie zerhackte wie eine Wilde die Paprikaschote.

Ich beobachtete sie eine Weile schweigend und wartete ab, ob sie sich wieder beruhigen würde. Als die Schote nur noch aus grünem Matsch bestand, blickte sie auf und lächelte mich zufrieden an. »Kochen hat etwas sehr Befreiendes – findest du nicht?«

»Manchmal«, murmelte ich. Dann räusperte ich mich. »Es gibt übrigens etwas, was ich mit dir besprechen möchte. David betreffend.«

»Ach, wirklich?« Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Hast du etwa vor, deiner besten Freundin zu eröffnen, dass du bereits selbst ein Auge auf den Mann geworfen hast? Der arme Stuart. Hat eine Frau, die an einen anderen denkt.«

»Ja, so könnte man es ausdrücken«, erwiderte ich.

Mit dieser Antwort hatte ich ihre Aufmerksamkeit gewonnen. Sie hörte auf, die Champignons zu schneiden, und wandte sich mir zu. »Was soll das heißen, Kate?«

Ich schloss die Augen und holte tief Luft. »Mein Gott, Laura, ich bin eine solche Idiotin. Ich war völlig durcheinander, weil ich glaubte, dass David Eric ist. Aber – «

»Einen Moment mal!«, unterbrach sie mich. »David soll Eric sein?«

»Nein, nein. Ich habe nur geglaubt, dass er es ist. Aber ich habe mir geirrt. Das hätte mir von Anfang an klar sein müssen.«

Sie starrte mich eine Weile schweigend an. Offenbar suchte sie in meinem Gesicht nach Anzeichen geistiger Verwirrung. Da sie nach einer Minute wieder zu sprechen begann, nahm ich an, dass sie keine gefunden hatte. »Du meinst das ernst«, sagte sie. »Das hast du wirklich geglaubt? Warum? Ich meine… Wie? Wie sollte so etwas möglich sein?«

Ich erzählte ihr von Eddies Theorie und gestand dann auch gleich noch meine gescheiterte »Himmelfahrt«. »Jetzt weiß ich, dass er nicht Eric sein kann. Ich habe mich absolut lächerlich gemacht. Eric hätte nie den Körper eines anderen Menschen für seine Zwecke benutzt.«

»Bist du dir da so sicher?«

Ich öffnete den Mund, um ihr zu erklären, wie sicher ich mir war. Aber irgendwie kamen die Worte nicht über meine Lippen.

»Vielleicht ist er es ja doch. Vielleicht erinnert er sich nur nicht an alle Einzelheiten, wie zum Beispiel an euer Stichwort«, meinte Laura nachdenklich. »Oder er leidet unter einer seltsamen Art von Gedächtnisverlust und glaubt, in einem früheren Leben einmal das Leben eines Freundes geführt zu haben oder so.«

»Vielleicht«, sagte ich und überlegte. »Könnte natürlich sein.« Aber würde Eric so etwas tatsächlich tun? Würde er sich so weit mit den dunklen Mächten eingelassen haben? Vor einer Woche noch hätte ich diese Frage vehement verneint. Jetzt jedoch war ich mir nicht mehr so sicher.

»Oder vielleicht tut er nur so, als könnte er sich an nichts erinnern«, fuhr Laura fort.

Ich runzelte die Stirn. »Aber warum? Warum würde Eric sich dann nicht zu erkennen geben? Warum würde er mich Katie-Kins nennen, wenn er nicht vorhätte, mir zu sagen, wer er ist?«

»Vielleicht ist ihm das ja nur aus Versehen herausgerutscht.«

»Ich weiß nicht«, sagte ich. Ich hatte keine Ahnung, woran ich eigentlich noch glauben sollte. »Warum würde er außerdem so tun, als ob er David wäre?«

»Was würdest du tun, wenn er dir eröffnete, wer er wirklich ist?«

»Keine Ahnung.« Diese Frage hatte ich mir auch schon gestellt. Aber die Antwort darauf wusste ich nicht. »Ich muss ständig daran denken, wie gut Eric mich kannte, während Stuart von meinem geheimen Leben nicht das Geringste weiß.«

»Du könntest ihm davon erzählen«, schlug Laura vor.

»Nein, das kann ich nicht«, entgegnete ich. »Ich will nicht, dass die Forza ein Teil meines Lebens mit Stuart wird. So war das nicht abgemacht, verstehst du? Ich möchte nicht, dass er eines Tages aufwacht und feststellen muss, eine andere Frau zu haben, als er dachte. Eine Frau, die mit Messer und Weihwasser bewaffnet nachts durch die Straßen zieht und Dämonen jagt. Ich möchte, dass Stuart mich nur mit einem Messer in Verbindung bringt, wenn er mich in ein teures Restaurant einlädt und es dort ein Steak zu essen gibt.«

»Kate.«

Ich hielt eine Hand hoch. »Ich will mein wahres Gesicht nicht preisgeben, Laura. Jedenfalls nicht so. Ich will nicht, dass er mich in diesem Licht sieht. Dass er daran denkt, was ich schon alles hinter seinem Rücken gemacht und erlebt habe. Wenn ich ihm die Wahrheit erzähle, wäre das im Grunde gar nicht ehrlich. Denn die Frau, die ich ihm beschreiben würde, ist nicht die Frau, die er abends vorfindet, wenn er nach Hause kommt.«

»Doch, Kate.«

Ich schloss die Augen und dachte einen Moment lang nach. »Vielleicht hast du recht. Aber ich will das nicht.«

Was das über meine Ehe aussagte, wollte ich mir lieber nicht genauer überlegen. Ich liebte meinen Mann, und ich wollte ihn nicht verlieren. Wovon ich Laura nichts erzählte, waren meine Befürchtungen, wie Stuart reagieren würde. Könnte mein Geständnis den Graben zwischen uns überbrücken? Oder würde er nur noch breiter werden?

Ich hatte bereits einen Mann durch diese verdammte Dämonenjägerei verloren. Ich hätte es nicht ertragen, einen weiteren aus demselben Grund ziehen lassen zu müssen.

»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht bedrängen«, meinte Laura. »Diese ganze David-Eric-Geschichte ist schon so heftig genug.«

»Kann man wohl sagen«, erwiderte ich.

»Es könnte trotzdem stimmen«, sagte Laura. »David scheint sich sehr viel um Allie zu kümmern. Und wenn Eric tatsächlich zurückgekommen ist, dann wäre es das Natürlichste der Welt, dass er seine Tochter sehen und erleben will, wie sie sich entwickelt hat und was sie jetzt beschäftigt.«

»Und das würde er bestimmt vor mir geheim halten«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Laura. »Ich habe schließlich inzwischen einen anderen Mann geheiratet.«

Laura warf mir einen spöttischen Blick zu. »Genau. Du hast zwei Männer, und ich schaffe es nicht einmal, einen zu halten.«

»So habe ich das doch nicht gemeint. Tut mir leid.«

Laura winkte ab. »Vergiss es. Ich wollte nicht schon wieder damit anfangen.« Die Küchenuhr klingelte, und meine Freundin stieß einen leisen Pfiff aus. »Wir haben jetzt sowieso keine Zeit mehr.«

Vielleicht entlarvt mich das als keine gute Freundin, aber ich muss zugeben, dass ich erleichtert war, als wir durch den Küchenwecker unterbrochen wurden. Verstehen Sie mich nicht falsch. Laura tat mir wirklich herzlich leid, aber gleichzeitig war ich mit meinen eigenen Männern – dem gegenwärtigen und dem vergangenen – mehr als beschäftigt. Von den Dämonen ganz abgesehen.

»Sehe ich wirklich gut aus? Ich könnte auch das blaue Top anziehen.« Allie, die oben auf der Treppe stand, hielt ein Oberteil in die Luft. »Oh, Mann«, jammerte sie und lehnte sich an das Geländer. »Was meinst du?«

»Das gelbe«, antwortete ich. »Definitiv das gelbe. Das sieht am besten aus.«

»Echt?«

»Ganz echt. Ich bin mir sicher.«

»Darf ich etwas Lidschatten tragen?« Sie warf mir einen flehenden Blick zu. »Bitte! Ich verspreche dir, dich nie mehr zu fragen, bis ich sechzehn bin. Nein, bis achtzehn. Bitte, bitte, bitte – darf ich? Nur heute Abend?«

»Bis du achtzehn bist?«, meinte ich schmunzelnd. »Schwörst du das?«

»Hoch und heilig«, meinte sie und legte zwei Finger auf ihr Herz, um den Schwur zu besiegeln.

Natürlich glaubte ich ihr kein Wort. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie in einer Woche wieder fragen würde, wenn sie damit begann, mit ihren Freundinnen zu irgendwelchen Partys zu gehen. Nach den Ferien würde es wahrscheinlich so weitergehen. Ich hatte vor, meinen strikten Standpunkt trotz schrecklichem Gejammere und drohenden Tobsuchtsanfällen bis zum Frühjahr durchzuhalten. Dann würde ich wahrscheinlich nicht mehr die Kraft haben, diesen Nervenkrieg noch länger beizubehalten.

»Warte einen Moment«, sagte ich. »Ich werfe nur kurz einen Blick in die Küche, um zu sehen, wie dort alles läuft, und komme dann zu dir ins Badezimmer.« Ich drohte ihr mit dem Zeigefinger. »Fass aber nichts an!«

»Was soll das denn heißen? Ich bin doch nicht Timmy!«, schimpfte Allie.

Sie hatte natürlich recht. Trotzdem wollte ich vermeiden, dass sie das Make-up genauso dick auftrug, wie ihr Bruder ihr das vorgemacht hatte.

Da Lauras Köstlichkeiten entweder vor sich hin köchelten oder bereits fertig waren, konnte ich die Küche für eine Weile verlassen. Bei meinen Kochkünsten war es wahrscheinlich sowieso das Beste, mich so wenig wie möglich einzumischen.

Laura war inzwischen nach Hause gegangen, um sich umzuziehen. Sie versprach mir, rechtzeitig zurück zu sein – umgezogen und mit Mindy im Schlepptau –, um noch die letzten Vorbereitungen zu treffen. Ich warf einen raschen Blick auf die Uhr. Beinahe acht. Die Duponts und unser Ehrengast mussten jeden Moment eintreffen.

Ich trage nicht oft Make-up – meistens halte ich es für einen sinnlosen Aufwand –, doch mit meinen Fähigkeiten auf diesem Gebiet sah es wesentlich besser aus als mit denen in der Küche. Allie und ich würden also bestimmt einen passenden Lidschatten und Kajalstift finden.

Als ich Allie mit hochgesteckten Haaren, meinen Perlenohrringen und einem dezenten Make-up vor mir stehen sah, kamen mir beinahe die Tränen. Mein kleines Mädchen wurde wirklich erwachsen. (Dieser Tatsache musste ich in letzter Zeit immer wieder ins Auge sehen. Ich hatte mich vor zwei Monaten ganz ähnlich gefühlt, als wir gemeinsam BHs einkaufen gegangen waren und ich feststellen musste, dass Allie und ich inzwischen die gleiche Größe hatten. Das war ein Schlag, von dem ich mich noch nicht ganz erholt hatte.)

Da nichts ein festliches Essen schneller zu einem Alptraum werden lassen kann als ein quengelndes Kind, hatte ich Timmy bereits zu essen gegeben. Allie und ich brachten ihn nun zu Bett und riefen Stuart, damit er seinem Sohn einen Gutenachtkuss geben konnte. Nachdem alles so weit fertig war und es noch immer ein paar Minuten dauerte, ehe Troy eintreffen würde, begann Allie nervös durch das Wohnzimmer zu laufen. Sie schüttelte die Kissen auf, legte die Magazine und Zeitschriften so hin, dass Newsweek und Time oben und Vogue, Cosmopolitan und die Fernsehzeitschrift unten lagen.

Stuart warf sie einen finsteren Blick zu, als er seine Füße auf den Couchtisch legen wollte. Schließlich kontrollierte sie noch, ob ich auch Stoffservietten statt unserer normalen Papiervariante herausgeholt hatte, schaltete den Fernseher auf CNN und bat Eddie, diesmal zur Abwechslung einmal keine dummen Witze zu reißen.

Ich saß still auf dem Sofa, da ich befürchtete, beim Durchblättern einer Zeitschrift den Zorn meiner Tochter auf mich zu lenken. Endlich klopften Laura und Mindy an die Verandatür. Ich hatte gehofft, dass ihre Gegenwart die Stimmung etwas aufheitern würde, aber leider war dem nicht so. Mindy war genauso nervös wie Allie. Die beiden Mädchen flüsterten aufgeregt miteinander und machten einen gemeinsamen Kontrollgang durch das Wohnzimmer. Sie rückten Vasen und Kerzenleuchter gerade und begannen sogar mit dem Abstauben. Wenn ich das Ganze nicht so amüsant gefunden hätte, wäre ich wahrscheinlich schwer beleidigt gewesen.

Eine Viertelstunde verging, und meine Belustigung verschwand. Ich starrte auf den Fernseher, ohne auch nur ein Wort der Diskussion über die finanzielle Situation Amerikas aufzunehmen. Allie tat dasselbe. Sie wippte nervös mit dem Fuß auf und ab und warf alle zehn Sekunden einen Blick auf die Wanduhr.

Es bestand kein Zweifel: Troy hatte sich verspätet.

Weitere fünf Minuten vergingen. Dann weitere fünf. Und noch einmal fünf.

»Vielleicht hat er sich verirrt«, schlug Mindy hoffnungsvoll vor.

Allie stürzte sich wie eine Ertrinkende auf diese Vorstellung. Die beiden Mädchen rannten in die Küche, um Troy auf dem Handy zu erreichen.

Er ging nicht dran.

Als die Uhr auf dem Kaminsims halb neun schlug, war uns allen klar: Meine Tochter war versetzt worden.

»Allie«, sagte ich und trat zu ihr, um ihr eine Hand auf die Schulter zu legen.

Sie wich mir aus. »Schon in Ordnung«, murmelte sie und starrte auf den Teppich. »Wahrscheinlich ist irgendetwas dazwischengekommen. Oder er hat sich verspätet. Oder irgendetwas. Mir ist das so was von egal.« Sie presste die Lippen aufeinander. »Ich warte oben.«

Mindy stand ebenfalls auf. Anders als die der Erwachsenen war ihre Gesellschaft wohl erwünscht.

»Mistkerl«, zischte Stuart, sobald sich die Mädchen außer Hörweite befanden. »Wenn ich diesen Typen in die Finger bekomme…«

Ich nickte. Mir ging es ähnlich. In diesem Moment wäre es mir am liebsten gewesen, wenn sich Troy Myerson als Dämon entpuppt hätte. Dann hätte ich ihm nämlich so richtig einheizen können.

Ich ließ eine halbe Stunde verstreichen. Dann hielt ich es nicht länger aus. Ich stand auf. Als Stuart mich fragend ansah, deutete ich nach oben.

»Vielleicht hilft ja Schokolade oder etwas Süßes«, schlug er vor.

»Gute Idee.« Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und ging in die Küche. Als ich kurz darauf wieder durch das Wohnzimmer zur Treppe marschierte, trug ich ein Tablett mit einer Schachtel von Allies Lieblingskeksen, zwei Gläsern und einem Liter Milch.

»Aha. Schweres Geschütz.«

»Ich habe das Gefühl, das könnte gebraucht werden.«

Oben angekommen, klopfte ich an Allies Zimmertür und öffnete sie. Die Mädchen saßen auf dem Bett und hatten sich lange T-Shirts an- und bis über ihre Knie gezogen. Allies Augen waren rot und geschwollen, und auch Mindy sah nicht viel besser aus.

Mindy blickte mich hilflos an, und ich zeigte mit dem Daumen nach unten. »Deine Mutter könnte etwas Hilfe in der Küche gebrauchen.« Das war zwar etwas plump, aber niemanden schien das zu stören.

»Also gehe ich mal«, sagte Mindy. Sie lehnte sich vor und umarmte Allie kurz. Dann verschwand sie nach unten.

Meine Tochter drehte sich weg und umschlang ihr Kopfkissen. Ich setzte mich neben sie und streichelte ihr den Rücken – genauso wie ich das immer gemacht hatte, wenn sie als kleines Mädchen schlecht geträumt hatte.

»Was habe ich falsch gemacht?«, flüsterte sie nach einer Weile. »Warum hat er mich versetzt?«

»Es hat nichts mir dir zu tun, Liebes. Du hast überhaupt nichts falsch gemacht. Du bist perfekt. Sagst du mir das nicht immer wieder?«

Sie wandte sich zwar nicht zu mir um, zuckte aber zumindest mit den Schultern. Auf mich wirkte das beinahe wie ein Lächeln.

»Ein Junge, der dich versetzt, hat weder Geschmack noch Stil«, erklärte ich. »Im Grunde kannst du ihn gleich abschreiben. Er muss ein totaler Idiot sein.« Keine Reaktion. »Wahrscheinlich isst er sogar seinen Popel.«

Nun begannen ihre Schultern zu zucken.

»Möchtest du wirklich mit einem Volltrottel ausgehen, der seine Popel isst? Wahrscheinlich hätte ihm das köstliche Essen, das Laura gekocht hat, nicht einmal geschmeckt.«

»Das ist überhaupt nicht lustig, Mami«, murmelte sie in ihr Kissen. Aber das Zucken ihrer Schultern verriet mir, dass sie kicherte.

Sie drehte sich zu mir um und sah mich an. »Du scheinst zu vergessen, dass ich nicht Timmy bin. Mich kann man mit ekligen Witzen nicht so leicht beeindrucken.«

»Wirklich nicht?« Ich grinste sie an, während ich ihr über das Haar strich. »Gut, in diesem Fall möchte ich mich natürlich entschuldigen.«

»Er hat sich in letzter Zeit wirklich immer wieder wie ein Vollidiot benommen«, meinte Allie nachdenklich. »Obwohl er zuerst doch so nett war. Aber dann…« Sie brach ab.

Ich streichelte ihr sanft über die Schultern. »Was ist denn passiert? Mag Troy jetzt ein anderes Mädchen lieber?«

»Das wäre gar nicht so schlimm«, meinte sie. »Nein, er hat mich nicht wegen einer anderen sitzengelassen. Es ist dieser verdammte Surfclub. Ich meine, das hat natürlich nichts mit Mr. Long oder so zu tun. Der ist ja völlig in Ordnung, weißt du?«

»Ich bin mir sicher, dass er nicht beleidigt wäre, wenn du so etwas sagst«, erwiderte ich und bemühte mich darum, so gelassen wie möglich zu klingen, während sich alles in mir anspannte. »Was ist passiert?«

»Ich weiß es nicht. Als sie mit dem Training für die Vorführung begonnen haben, wurde Troy immer angespannter und nervöser und…« Sie zuckte mit den Achseln. »Es war echt komisch. Irgendwie schien es ihn gar nicht so zu treffen, als er das von Jason hörte. Ich habe mir zwar eingeredet, dass er wahrscheinlich unter Schock steht und so. Aber in Wirklichkeit glaube ich, dass er froh war, jetzt Mannschaftskapitän zu sein und diesen ekligen Ring zu bekommen. Aua, Mami! Du tust mir weh!«

»Sorry.« Ich lockerte meine Finger, die sich fest um ihren Arm geschlossen hatten. »Welchen Ring?«, fragte ich so lässig wie möglich. Innerlich fühlte ich mich jedoch alles andere als lässig.

»Ach, diese hässlichen Goldringe. Beide Mannschaftskapitäne haben einen bekommen. Sie tragen ihn an einer Kette um den Hals. Unter dem T-Shirt, weißt du?«

»Und woher haben sie diese Ringe?«

»Keine Ahnung.« Allie runzelte die Stirn. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Vielleicht hat Cool sie ihnen gegeben.«

Diese Vermutung hegte ich auch.

»Jedenfalls«, fuhr sie fort, »hat sich Troy schon seit einiger Zeit komisch benommen. Aber sobald er diesen blöden Ring bekam, ist er durchgedreht. Den kann man völlig abschreiben!«

»Das bedeutet also, dass er schon immer ein Idiot war«, erklärte ich. »Du bist besser ohne ihn dran, Liebes.«

»Ja, vermutlich«, sagte sie. »Aber wenn das stimmt – warum tut es dann so weh?«

»Wenn ich darauf eine Antwort wüsste, würde ich die Oprah-Winfrey-Show leiten, und wir wären alle reich und glücklich.«

Sie lächelte. »Komm her zu mir«, sagte ich und streckte meine Arme aus. Ich hielt meine Tochter eine Weile an mich gedrückt und dachte an unsere bisherigen Krisen und die zukünftigen, die noch auf uns warteten. Was die Krisen mit dämonischen Gefolgsleuten betraf, so hoffte ich allerdings inbrünstig, dass diese die letzte gewesen war.

Für den Moment mochte meine Tochter vielleicht ein wenig unter Liebeskummer leiden. Trotzdem war ich erleichtert. Zumindest würde sie jetzt auf keinen Fall zu der Surfvorführung wollen, um dort Troy zu bewundern. Diese Sorge war ich wenigstens los.

Außerdem verstand ich nun, was es mit den Ringen auf sich hatte. Cool – oder vielmehr Asmodis – benutzte die Mannschaftskapitäne für seine Machenschaften.

Wie diese Machenschaften aussahen, wusste ich allerdings noch immer nicht. Eines jedoch war klar: Was es auch immer sein mochte – es bedeutete nichts Gutes.