5. Reisepläne

 

 

Ich nehme meine schwarze Clutch, ich hatte ja nicht mehr dabei. Dann gehe ich zu Nicholas und hauche ihm einen Kuss auf die Wange. Er blickt erschrocken auf. "Gehst Du schon?" fragt er schlaftrunken.

"Warte ich gebe Dir noch meine Handynummer. Bitte melde Dich bald. Ich warte darauf!" Ich bin froh, dass ich dieses Haus verlassen kann und Fred nicht noch einmal sehen muss. Ob ich mich wirklich bei Nicholas melde weiß ich noch nicht. Dieser kurze Ausflug hat ein anderes Ende genommen, als erwartet.

Als ich meinen Weg durch den Bergwald suche, denke ich daran, mein Vorhaben, nämlich möglichst bald in die Karpaten zu fahren, umzusetzen. Dieser schreckliche Blutdurst macht mir zu schaffen und ich weiß nicht, wie ich künftig damit umgehen soll. Es wird einfach immer stärker in mir. Ich stehe immer mit einem Fuß im Gefängnis. Deshalb beschließe ich sofort zu dem Autohändler zu gehen, um mir den schwarzen Mercedes zu kaufen. Dann kann ich mich auf den Weg machen, sobald die anderen ihr Semester abgeschlossen haben.

Dann fahre ich mit dem Zug zurück nach München. Es dauert eineinhalb Stunden, weil ich einen Bummelzug nehmen muss. Erst als ich im Zugabteil sitze, fühle ich, wie niedergeschlagen ich bin. Ich muss auch immer noch an Achim denken, der wahrscheinlich tot in seinem Hotelzimmer liegt. Mir gegenüber sitzt eine junge Frau, die in der Süddeutschen Zeitung blättert. Als sie damit fertig ist, bietet sie mir die Zeitung an. Ich bedanke mich und sehe mir das Titelblatt an. Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Das ist Achim, in der Blutlache auf seinem Bett. Es ist ein scheußliches Foto und mir verschwimmen die Buchstaben vor den Augen. Ich kann den Artikel nicht lesen. Ich falte die Zeitung wieder zusammen, weil mein Zug gerade im Hauptbahnhof einfährt. Ich klemme sie unter den Arm, um sie später zu lesen. Dann gehe ich noch in einen kleinen Supermarkt, um mir ein paar Lebensmittel zu kaufen. Für Mareike nehme ich eine Flasche Rotwein mit.

Dann fahre ich mit der U-Bahn zum Autohändler. Er ist überrascht, dass ich doch noch komme und erklärt mir, dass er noch andere Interessenten für den Mercedes hat. Das Auto ist schon ziemlich alt, aber sehr gepflegt. Der Händler versichert mir, dass es die meiste Zeit in der Garage gestanden hat. Nachdem ich die erste war, die ihn deshalb angerufen hat, ist er bereit, ihn mir für 5000 Euro zu überlassen. Ich versuche erst gar nicht, ihn herunterzuhandeln. Es ist mir egal, wenn ich für diese alte Kiste vielleicht etwas zu viel bezahle. Es passt zu mir. Wir vereinbaren, dass er das Auto zulässt und ich es in zwei Tagen abholen kann. Dann mache ich mich auf den Heimweg. Die Zeitung trage ich noch immer unter dem Arm. Ich muss den Artikel so schnell wie möglich lesen.

Als ich in der WG ankomme, steht Mareike in der Küche und brutzelt etwas in der Pfanne. Ich bin schrecklich hungrig und stelle die Flasche Rotwein auf den Tisch. Es riecht wirklich köstlich und Mareike sagt:

"Möchtest Du auch etwas abhaben, dann schäle schon mal die Kartoffeln!" Ich habe noch nie in meinem Leben gekochte Kartoffeln geschält und verbrenne mir gehörig die Finger. Mareike lacht, als ich meine Fingerkuppen blase und sagt:

"Jetzt nimm einfach eine Gabel, dann geht es besser!" Sie hat wie immer Recht, doch es dauert trotzdem lange, bis ich die letzten kleinen Schalenreste abgeschält habe. Das Goulasch, das Mareike gekocht hat, schmeckt hervorragend und ich lobe sie. Dann kommt die übliche Frage von Mareike:

"Na, wie war Deine Nacht? Es fällt mir schwer, Ihr zu erzählen, was ich erlebt habe und ich entscheide mich dafür, nur von Nicholas zu berichten. Sie macht große Augen, als ich ihr sage, dass ich die Nacht in einem Haus in Bad Tölz verbracht habe.

"Das ist ja eine richtige Bonzengegend", sagt sie, als ich ihr erkläre, wo das Haus liegt. Dann fällt mir ein, dass die Sache mit Fred ja schon in der Zeitung steht. Es ist leider zu spät, ich bin eine schlechte Lügnerin. Deshalb füge ich meinem Bericht noch an, dass Nicholas Freund bei einem Unwetter ums Leben gekommen ist. Mareike begreift erst gar nicht, dass ich unmittelbar dabei war, doch dann sagt sie:

"Du kannst da hoffentlich nichts dafür!" Ich schaue sie entrüstet an und antworte:

"Natürlich nicht, oder glaubst du ich habe den Blitz einschlagen lassen?" Mareike füllt sich einen zweiten Teller mit Goulasch und Nudeln und trinkt in großen Zügen vom Rotwein. Sie will natürlich noch weitere Einzelheiten über meine neue Errungenschaft wissen und ich erzähle ihr ausführlich, wie Nicholas aussieht. Plötzlich sagt sie:

"Kann es sein, dass du dich in ihn verliebt hast?" Ich muss erst nachdenken, dann antworte ich:

"Er ist mir jedenfalls nicht egal und ich habe seine Handynummer. Er sieht nicht nur super aus, er ist auch unheimlich nett und Geld scheint er auch zu haben."

"Du hast immer Glück mit diesen Typen", sagt sie und schiebt sich eine weitere Gabel mit Nudeln in den Mund.

"Wenn Du nie weg gehst, kannst du auch niemanden kennenlernen", sage ich und gieße mir noch ein Glas Wein ein. Es ist schön, hier in der Küche zu sitzen und sich daheim zu fühlen. Dann geht die Türe auf und Ikarus kommt mit mehreren Einkaufstüten beladen herein. Er stellt sie auf der Anrichte ab und kommt zu uns. Jeder bekommt ein Links- und rechts Küsschen, bevor er sich auf die Bank fallen lässt. Er hebt die Rotweinflasche hoch und sagt:

"Für mich gibt’s wohl nichts mehr?" Doch Mareike steht auf und holt eine weitere Flasche, die sie unter der Spüle deponiert hat. Dann wendet sich Ikarus an mich:

"Ich habe gehört, dass du jetzt bei uns wohnst, darf ich fragen in welchem Zimmer?" Mareike schaut mich fragend an. Ich antworte:

"In der Besenkammer, oder was hast du gedacht?" Ikarus schöne dunkelblaue Augen weiten sich, werden zu Kraterseen und seine breite Oberlippe, die von einem schmalen Bärtchen geziert wird, kräuselt sich:

"In der Besenkammer", echot er und sieht mich entgeistert an.

"Du weißt doch, dass Lucy-Ferry die Dunkelheit liebt und deshalb habe ich ihr eine Hängematte in der Besenkammer aufgespannt." Ikarus schüttelt den Kopf, sein Lächeln ist schief als er antwortet:

"Da hätte ich etwas Besseres zu bieten!" Ich lege meinen Arm um seine breiten Schultern und sauge seinen intensiven Körpergeruch ein.

"Danke, Ikarus, ich weiß dein Angebot zu schätzen", sage ich und gebe ihm ein kleines Küsschen auf die Wange. Es ist einfach zu gefährlich, wenn ich mich bei ihm einniste, außerdem wären da ja noch Ben und Lukas! Schließlich ist Ikarus ein guter Freund und ich weiß sehr gut, wie schlecht ich mich im Moment im Griff habe. Zum Glück habe ich erst ein Mal genug Blut getrunken und mein Durst kann vorerst auch mit Wein gestillt werden, doch die Versuchung bleibt. Dann erzähle ich auch ihm von meinem Plan, in die Karpaten zu fahren. Doch das ist keine Überraschung für ihn. Mareike hat ihm schon alles anvertraut. Er kommt meiner Frage, ob er auch mit dabei ist, zuvor und erklärt:

"Ich werde mich um den Proviant kümmern. Wenn wir länger als eine Woche unterwegs sind, müssen wir eben dort einkaufen." Ich falle ihm um den Hals.

"Danke Ikarus, ich bin so froh, wenn du mitkommst." Jetzt sind wir zu fünft, das ist fast zuviel für das Auto, doch ich bin trotzdem froh, dass ich so viele Begleiter habe. Meine Angst vor dem Treffen mit meinen leiblichen Eltern verursacht mir schon jetzt Magenschmerzen. Schließlich sind es echte Vampire und ich fühle mich ihnen nicht ebenbürtig. Die paar Mal, wo ich Blut getrunken habe, machen noch keinen Vampir aus mir. Wahrscheinlich lachen sie sich krumm über meine kleinen Abenteuer. Doch diese Bedenken kann ich meinen Freunden nicht begreiflich machen. Sie würden mich für verrückt erklären. Ikarus steht auf, er geht zur Anrichte und holt ein paar frische Feigen heraus, die er auf den Tisch legt, dann sagt er:

"Lasst es Euch schmecken, sie kommen direkt aus Griechenland!" Dann geht er in Richtung Badezimmer, dabei zieht er schon sein T-Shirt über den Kopf und zeigt uns seinen perfekten Oberkörper, denn Ikarus ist nicht nur braun gebrannt, seine Muskeln sind dank seiner Arbeit auf dem Großmarkt sehenswert. Mareike stöhnt leise, als er endlich im Badezimmer ist. Sie sieht mich mit einem resignierten Lächeln an:

"Manchmal tut es mir schon leid, dass ich mich wieder von ihm getrennt habe. Er ist so süß, aber leider ein Mamasöhnchen und elender Macho."

"Da hast du leider recht", sage ich und denke mir, dass mich das eigentlich nicht stören würde. Und zu Mareike hinter vorgehaltener Hand ergänze ich, damit Ikarus es nicht hören kann:

"Das muss dir nicht leid tun, oder hast du vielleicht Lust den Rest deines Lebens in einem griechischen Lebensmittelladen zu stehen und Feigen zu verkaufen? Schließlich wird er den Laden erben und damit ist dann seine Karriere als Schauspieler auch vorbei." Mareike nickt:

"Er glaubt ja selbst nicht an sein Talent, sonst würde er nicht im Großmarkt arbeiten. Außerdem war seine letzte Rolle als Bösewicht nicht gerade ein Erfolg."

Ikarus, der eigentlich Iraklis Galanis heißt, wohnt in Mareikes WG von Anfang an. Er ist mit ihr zusammen eingezogen, weil Mareike unsterblich in ihn verliebt war. Doch bald stellte sich heraus, dass Ikarus nicht nur ein Chaot war und sich an der Hausarbeit auf keinen Fall beteiligte, er war ein Macho erster Güte, der von seiner Mutter verwöhnt wurde. Sie brachte ihm frische Wäsche vorbei und putzte von Zeit zu Zeit sein Zimmer. Mareike war darüber so entrüstet, dass es dauernd Streit gab. Doch Ikarus war nicht zu beeindrucken. Er war der Meinung, dass es die Aufgabe der Frau war, ihm das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Es kam wie es kommen musste. Mareike erklärte Ikarus, dass sie nicht die Putzfrau eines Egomanen sein würde und trennte sich von ihm. Doch Ikarus dachte nicht daran auszuziehen. Er fuhr mit dem LKW für seine Eltern nach Griechenland, um Einfuhren für den Laden zu machen. Deshalb war er oft abwesend. Wenn er dann wieder kam, war er ein angenehmer Mitbewohner, der immer dafür sorgte, dass frische Lebensmittel im Haus waren. Sofern er sie nicht im Großmarkt abstaubte, bediente er sich im Laden seiner Eltern. Dass er deshalb kaum einmal seine Miete zahlte, war ein anderes Problem. Außerdem liebte Ikarus es, selbst zu kochen. Seine Moussaka war das Lieblingsgericht der gesamten WG, wenn danach die Küche auch einem Schlachtfeld glich, das alle außer Ikarus wieder saubermachen mussten. Auch ich hatte schon davon gegessen und ihn entsprechend gelobt.

Mareike stand auf und sagte:

"Komm mal mit, ich zeige dir dein neues Schlafgemach!" Wir gingen zusammen in Richtung Bad, daneben war der kleine Abstellraum, den ich für die nächsten paar Nächte als Schlafraum benutzen konnte. Mareike öffnete die Tür und ließ mich hineinschauen. Ich traute meinen Augen kaum. Sie hatte es geschafft, die zwei Regale bis auf ein paar Weinflaschen komplett auszuräumen und meine Hängematte dazwischen aufzuhängen. Ein paar Kissen und eine Felldecke lagen bereits in der Hängematte, es sah richtig gemütlich aus. Sie nahm den Schlüssel aus dem Schloss und steckte ihn auf der Innenseite wieder ein.

 "Siehst du", sagte sie mit einem schelmischen Blick, "du kannst einfach abschließen und ganz für dich sein, wenn du willst.

"Vielleicht will ich das ja wirklich", antwortete ich nicht gerade überzeugend. "Doch jetzt will ich einmal kurz Probe liegen", sage ich zu Mareike und schiebe sie sanft aus der Besenkammer. Dann hole ich mir meine Tasche mit der Zeitung und verkrieche mich damit in die Hängematte. Der Artikel über den Toten im Hotel ist schon aufgeschlagen. Ich überfliege ihn und kalter Schweiß bricht mir aus. Sie schreiben, dass er der Sohn eines Großindustriellen ist, der als Alleinerbe die Firma des Vaters hätte übernehmen sollen. Er hatte mich also angelogen. Achim war stinkreich und wollte in eine WG einziehen. Das passte alles nicht zusammen. Dann war in dem Artikel auch noch die Rede von einer jungen Frau, die er mit auf sein Zimmer genommen hatte. Es folgte eine Beschreibung, die ziemlich genau auf mich passte, und der Aufruf, dass sich diese Frau bei der Polizei melden sollte. An diesem Abend hatte ich meine Haare aufgesteckt und damit sah ich sehr erwachsen aus. Sie hatten mich deshalb auch wesentlich älter geschätzt. Mit meiner offenen Mähne würde man mich nicht erkennen. Das gelbe Top musste ich jedenfalls verschwinden lassen. Die Polizei hatte auch einen großen Ohrring gefunden und der sollte eine Spur zu der Frau, die mit Achim zuletzt zusammen gewesen war, aufzeigen. Da konnte ich nur lachen. Diese Ohrringe gab es wie Sand am Meer und ich hatte sie an einem Stand auf der letzten Tollwood erstanden. Der zweite steckte noch in meiner Hosentasche, aber ich musste ihn ins Klo hinunterspülen. Dann fiel mir ein, dass die beiden Typen Ferdl und Bruno meinen Vornamen kannten. Doch auch das konnte die Polizei nicht wirklich weiter bringen. Wahrscheinlich hatten sie ihn schon wieder vergessen, schließlich waren sie stockbetrunken gewesen. Während des Lesens hatte ich die Luft angehalten und mein Herzschlag hatte sich bestimmt verdoppelt. Doch nachdem ich den Artikel auch ein zweites Mal gelesen hatte, beruhigte ich mich wieder. Ich war den ganzen Weg vom Hotel bis zu mir nach Hause stundenlang kreuz und quer durch die Stadt gelaufen. Niemand hatte mich unterwegs erkannt, da ich ja Achims Kapuzenjacke getragen hatte. Außerdem war es mitten in der Nacht gewesen. Auf viele junge Frauen in München würde die Beschreibung passen und ich hoffte, dass sich Ingeborg nicht bei der Polizei meldete und eine genauere Schilderung über mich abgab. Aber selbst dann mussten sie mich erst noch finden. Meine Großmutter hatte keine Ahnung bei wem ich untergetaucht war und sie würde bei der Suche keine große Hilfe sein. Ich schwang mich wieder aus der Hängematte und trottete in die Küche, wo alle WG-Insassen beisammen saßen.

"Habt ihr noch ein Glas Wein für mich?", fragte ich und setzte mich neben Lucky. Er machte etwas Platz auf der Eckbank, aber nur so viel, dass ich mit ihm noch Körperkontakt hatte. Mareike holte eine große Kaffeetasse aus dem Schrank.

"Wir haben keine Weingläser mehr, aber das geht doch auch?", fragte sie und stellte das Ungetüm vor mir ab. Ikarus schenkte mir ein.

"Das ist ein Domestica", bemerkte er und stieß mit mir an. Der Wein breitete sich in meinem Magen wie ein warmer Teppich aus und ich spürte, wie sich meine Sorgen augenblicklich verzogen. Ich blickte in die Runde und stellte fest, dass ich wirklich Glück mit dieser Mannschaft hatte. Sie alle würden mich auf meiner Suche in die Vergangenheit begleiten. Das war sehr beruhigend, denn so ganz allein einem Vampirclan gegenüber zu treten, wäre für mich eine große Herausforderung geworden. Ich hoffte, dass sie alle neugierig genug wären, um mit mir dieses Abenteuer zu bestehen. Ich hatte selbst keine Vorstellung, was mir bevorstehen würde. Der blaue Brief war meine einzige Verbindung. Wenn er gefälscht war oder eine Falle dahintersteckte, würde ich unweigerlich hineintappen. Wer waren meine Eltern? Wie konnte ich Kontakt zu ihnen aufnehmen? Würden sie mich nach so vielen Jahren erkennen? Während ich noch vor mich hin grübelte, kamen auch schon die ersten Fragen. Ikarus sagte so beiläufig wie möglich:

"Lucy, wann bekommst du denn dein neues Auto?" Ich grinste ihn frech an und antwortete:

"Meine Staatskarosse wird morgen zugelassen und dann kann ich sie abholen. Willst du mich begleiten?" Ikarus antwortete wie aus der Pistole geschossen:

"Wenn ich sie auch fahren darf?"

"Klar", sagte ich. Vielleicht war das eine gute Idee, denn ich hatte zwar seit zwei Jahren den Führerschein, aber für ein eigenes Auto hatte es nie gereicht und da ich überhaupt keine Fahrpraxis hatte, würde ich mich bestimmt ziemlich blöde anstellen. Außerdem hatte ich auch etwas Bedenken mit dem vielen Verkehr in München. Lucky entgegnete:

"Ich hätte auch den ganzen Tag Zeit."

"Danke Lucky, aber ich glaube einer von Euch genügt fürs Abholen. Auf dem Weg in die Karpaten kannst du dann sicher auch mal für längere Strecken das Lenkrad übernehmen. Ben stand auf und schlurfte in sein Zimmer. Kurz darauf kam er mit seinem Tablet Computer zurück. Er tippte darauf herum und zeigte uns dann bei Google maps die Karpaten.

"Wo in den Karpaten liegt denn dein geheimes Schloss?", fragte er. Ich muss erst den Brief holen und noch einmal nachsehen, wie es heißt, dann können wir es vielleicht finden." Der blaue Brief steckte noch in der Innentasche meiner Lederjacke. Ich holte ihn heraus und las den Namen laut vor: Bran, bei Sibiu. Dann faltete ich den Brief sorgsam wieder zusammen und verstaute ihn im Kuvert. Den ganzen Inhalt kannte nur Mareike und so sollte es auch bleiben. Ben suchte eine Zeit lang herum, dann rief er überrascht:

"Du hast Bran gesagt, bist du ganz sicher?"

"Ja, warum, hast du es gefunden?

"Das ist das Schloss von Dracula", sagte er und zeigte uns eine Abbildung im Internet. Dann las er uns vor, was dazu geschrieben stand. Alle lauschten ihm andächtig. Es war wohl nicht das richtige Schloss von Dracula, sondern nur die Filmkulisse oder die Touristenattraktion in den Karpaten. Es sah schon gespenstisch aus und ich war ziemlich erschrocken, dass man mich an einen solch seltsamen Ort bestellt hatte. Es begann eine heftige Diskussion um dieses Schloss. Lucky war der Meinung, dass es sich nur um einen schlechten Scherz handeln könnte, denn wer fährt schon zum Schloss von Dracula um seine Eltern zu finden. Mir kamen auch langsam Zweifel an der Echtheit des Briefes. Mareike dagegen verteidigte meinen Standpunkt, sie sagte:

"Wenn ihr an Lucy-Ferrys Stelle wärt, dann würdet ihr auch diesen Weg auf euch nehmen, um endlich zu erfahren, wer eure Erzeuger sind. Ich kann gut verstehen, dass sie das jetzt endlich wissen muss. Wenn sie in den Karpaten auf sie warten, so wie es im Brief steht, sollte sie dort hin fahren. Und wir werden sie nicht allein losschicken!", ergänzte sie mit überzeugender Stimme.

Ben fand noch mehrere Seiten im Internet über dieses gespenstische Schloss. Er sagte:

"Wir müssen ja nicht im Schloss übernachten, es gibt da einige Hotels und Pensionen und für ein paar Tage können wir da bestimmt unterkommen." Ikarus erklärte mit seiner tiefen Stimme:

"Also ich will mir dieses Schloss schon genau ansehen, vielleicht gibt es da wirkliche Vampire und wenn man dort übernachten kann, dann will ich dort bleiben."

"Na gut", sagte ich, "irgendwie werden wir schon unterkommen", aber ich glaube, der Weg ist ziemlich weit. Ben antwortete:

"In zwei Tagen ist es leicht zu schaffen."

"Wir haben ja keine Eile, und wenn wir unterwegs sind und es gefällt uns irgendwo besonders gut, bleiben wir einfach einen Tag!", sagte ich. Denn eigentlich fürchtete ich mich vor der Begegnung mit meiner Vampirverwandschaft, konnte das aber meinen Freunden nicht erklären. Sie waren sowieso skeptisch und wenn ich mich selbst schon fürchten würde, dann wäre es vielleicht vorbei mit der Begeisterung, mich zu begleiten. Um sie noch weiter zu motivieren, sagte ich:

"Niemand von euch wird sich Gedanken über die Kosten machen müssen, ich werde alles für euch übernehmen." Plötzlich waren alle Augen auf mich gerichtet. Ikarus fand als erster wieder Worte:

"Willst du damit sagen, dass du so viel Geld hast, dass es dir egal ist, was diese Reise kostet?" Ich nickte nur bedeutungsvoll, ich konnte ihnen ja schlecht sagen, dass das Sparbuch, das ich erhalten hatte einen mehr als siebenstelligen Betrag auswies. Damit war ich für meine Begriffe wirklich reich und konnte mir alles leisten, was ich wollte. Der Mercedes, den ich bestellt hatte, würde nur ein kleines Loch in mein Budget reißen. Ich konnte mir selbst noch nicht wirklich vorstellen, was ich mit dem ganzen Geld anfangen sollte. Meine Eltern hatten regelmäßig Überweisungen auf dieses Konto vorgenommen und im Laufe der Jahre war durch die Zinsen dieser große Betrag entstanden. Doch das wollte ich meinen Freunden auf keinen Fall verraten, da ihre Fantasie sonst mit ihnen durchgehen würde.