52
In jeder historischen Epoche wurde aufs Neue bewiesen, dass sich nur durch Herrschaft Profit erwirtschaften lässt. Und um zu herrschen, muss man den Widerstand der Bürger brechen.
Imperator Shaddam Corrino IV.
Hidar Fen Ajidica spürte, wie das belebende Ajidamal durch seine Adern strömte, während er die Leichen im Speisesaal betrachtete. Zweiundzwanzig widerspenstigste Tleilaxu-Meister waren vergiftet auf den Tischen zusammengebrochen. Tot.
Inspiriert von den Offenbarungen, die er von Gott erhalten hatte, stand er kurz davor, die Machtverhältnisse im gesamten Imperium umzuschichten.
Unter den Leichen gab es einen besonderen Bonus: den anmaßenden Meister Zaaf höchstpersönlich, der erst vor einem Tag zu einer unangekündigten Inspektionsreise eingetroffen war. Er lag auf dem Rücken und war mit pikantem Schwurm-Eintopf besudelt; sein Mund stand offen und seine Augen traten hervor – ein äußerst erbärmlicher Todeszustand für den Meister der Meister. Das Essen war von einem Gestaltwandler, der sich unter die Köche gemischt hatte, mit dem schnell wirkenden Gift präpariert worden. Nach wenigen Minuten hatten Zaaf und seine Tafelgenossen Krampfanfälle bekommen, und ihre graue Haut hatte eine kränkliche Rotfärbung angenommen, als würden ihre Körper von innen verbrennen.
Als der Forschungsmeister im Eingang stand und zufrieden sein Werk betrachtete, sah er einen Draco volans in den Dachsparren, eine der kleinen Eidechsen, die gegenüber allen Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen immun schienen. Das Tier war nur wenige Zentimeter lang und hatte schuppige Fortsätze an beiden Seiten des Körpers, die es ihm ermöglichten, wie ein terranisches Flughörnchen durch die Luft zu gleiten.
Ajidica beschloss, seine überragenden neuen Fähigkeiten, der er dem Ajidamal zu verdanken hatte, an der Echse auszuprobieren. Im nächsten Augenblick schien sich sein geistiges Auge innerhalb des kleinen Drachen zu befinden. Im Schutz des Dachstuhls blickte er mit Reptilienaugen auf das Ergebnis des Mordanschlags herab. Ein Körper zuckte ein letztes Mal, dann kehrte endgültig Ruhe ein.
Fast zwei Dutzend tote Meister ... ein guter Anfang. Die Ketzer der Tleilaxu mussten aus dem Weg geschafft werden, bevor der Große Glaube unter Ajidicas strenger Führung eine neue Chance erhielt.
Er lächelte, als sein erweitertes Bewusstsein rasend schnell die zahllosen Möglichkeiten durchging. Ajidica musste kaum noch schlafen, und er verwendete viel Zeit darauf, mit seinem wunderbaren Geist zu spielen, als wäre sein Kopf ein Vergnügungspark, in dem ihn ständig neue Erfahrungen und Freuden erwarteten. Er konnte gleichzeitig siebenundneunzig verschiedene Gedankengänge verfolgen, die von trivialen bis höchst komplexen Themen reichten. Er besaß die Fähigkeit, ein Mosaik aus Informationen zu studieren, als wären sie ein Filmbuch aus einer Bibliothek.
Ajidamal war viel besser als Melange und vor allem viel wirksamer. Damit konnten die Gildenavigatoren vielleicht den Raum zu anderen Universen falten und waren nicht mehr auf dieses beschränkt. Einer seiner siebenundneunzig Gedanken schob sich in den Vordergrund. Inzwischen mussten Graf Fenring und Zoal mindestens zwei Heighliner mit Ajidamal ausgestattet haben, das demnächst von Navigatoren konsumiert wurde. Demnach war Fenring bereits genauso tot wie diese Opfer. Der Gestaltwandler hatte zweifellos gute Arbeit geleistet und würde bald zurückkehren, um über die Einzelheiten zu berichten ...
Mit seinen imaginären Eidechsenaugen betrachtete der Forschungsmeister die aufgedunsenen Leichen. Jetzt gab es in seiner heiligen Mission kein Zurück mehr. Seine anderen Gestaltwandler würden die Meister der alten Garde ersetzen, und alles würde ganz normal aussehen. Dann konnte er sie nach Kaitain schicken ...
Der Doppelgänger von Meister Zaaf würde von hier aus eine Nachricht nach Bandalong senden, dass er beschlossen hatte, mehrere Monate auf Xuttuh zu bleiben – genauso lange, wie Ajidica noch brauchte, um seine Pläne in die Tat umzusetzen. Wer ihm sonst noch in die Quere kam, würde ebenfalls eliminiert werden.
Er stellte sich vor, wie er seine Eidechsenzunge vorschnellen ließ und damit Insekten fing. Er stieß zu und verschluckte seine Opfer. Er spürte den Geschmack ihrer bitteren, knirschenden Körper. Der Flugdrache sprang von einer Dachlatte und segelte über die Leichen hinweg, als wäre er zu einer Lufterkundungsmission aufgebrochen.
Ajidica blinzelte und löste sein Bewusstsein von der Eidechse, um sich wieder auf seinen eigenen Körper zu konzentrieren, der immer noch im Eingang stand. Er hatte einen bitteren Geschmack im Mund, und seine Zunge fühlte sich rau und wund an.
Mit aufgeregter Stimme rief er seine Gestaltwandler aus der Küche. Sie trafen unverzüglich ein und warteten auf Befehle. »Entsorgt die Leichen. Dann macht euch für eine Reise bereit.«
Als seine Diener an die Arbeit gingen, suchte Ajidica nach der kleinen Eidechse. Aber er konnte sie nirgendwo finden.
* * *
Mit müden Augen und großer Verwunderung stieß C'tair Pilru in der Mülldeponie auf die grausam zugerichteten Leichen. Die verhassten Eroberer waren nur unzureichend unter den Abfällen verscharrt worden.
C'tair hatte sich trotz der strikten Ausgangssperre von Schatten zu Schatten geschlichen und war aufgesprungen, als der Mülltransporter losgefahren war. Im aufgewirbelten Staub des Bodenfahrzeugs hatte ihn niemand gesehen. Er suchte häufig die unterirdischen Deponien auf, um nach Dingen zu suchen, die er für seine Zwecke verwenden konnte.
Aber was hatte dieser Fund zu bedeuten? Mehr als zwanzig tote Tleilaxu-Meister. Allesamt hochrangige Funktionäre, und sie waren eindeutig ermordet worden! Ihre ansonsten bleiche Haut wies eine rote Färbung auf. Daraus zog er die einzige Schlussfolgerung, zu der sein ausgezehrter Geist noch in der Lage war. Hier war der Beweis, dass die Widerstandsbewegung auf Ix nach wie vor aktiv war.
Irgendjemand hat diese Tleilaxu getötet.
C'tair kratzte sich am Kopf, wodurch sein zerzaustes Haar noch unordentlicher wurde. Er blickte sich im schwachen Sternenlicht des projizierten Nachthimmels um. Er wusste nicht, was er nun tun sollte oder wer seine mysteriösen Verbündeten waren.
Vor nicht allzu langer Zeit hatten zwei Männer der Atreides versprochen, dass schon bald Unterstützung eintreffen würde – wie Ritter, die auf weißen Pferden einritten. Diese Hoffnung hatte anscheinend andere Widerstandsgruppen veranlasst, sich zu mobilisieren. C'tair wünschte sich nur, dass er noch lange genug lebte, um die glorreiche Befreiung des ixianischen Volkes miterleben zu können.
Rhombur würde bald kommen! Endlich!
Da er nicht zurückstehen wollte, begab sich C'tair in dunkle Gänge und suchte nach einsamen Tleilaxu. Der jahrelange, verzweifelte Kampf hatte ihn abgehärtet. Als diese Nacht vorbei war, lagen sieben weitere tote Tleilaxu neben den Leichen auf der Mülldeponie.