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›Xuttuh‹ ist ein Wort mit vielen Bedeutungen. Jeder Bene Tleilax weiß, dass es der Name des ersten Meisters war. Doch genauso wie dieser Mann mehr als ein einfacher Sterblicher war, ist auch diese Bezeichnung von großer Tiefe und Komplexität. ›Xuttuh‹ kann je nach Betonung ›hallo‹ oder ›sei gesegnet‹ bedeuten. Es kann auch in einem Wort ein vollständiges Gebet enthalten, wenn sich ein Getreuer bereit macht, für den Großen Glauben zu sterben. Aus diesen Gründen haben wir dieses Wort als neuen Namen für den eroberten Planeten gewählt, der früher als Ix bekannt war.
Instruktionstext der Tleilaxu
Ein Ausweichplan ist immer nur so gut wie der Geist, der ihn entwirft.
Hidar Fen Ajidica, der sich tief im Labyrinth des Forschungspavillons befand, kannte diese Maxime nur zu gut. Eines Tages würde der Mann des Imperators versuchen, ihn zu töten. Also musste er gründlich geplante Verteidigungsmaßnahmen ergreifen.
»Bitte hier entlang, Graf Fenring«, sagte Ajidica in freundlichstem Tonfall, während er dachte: Unreiner Powindah! Sein Blick streifte den Mann. Ich sollte dich hier und jetzt töten!
Aber es war derzeit nicht möglich, dieses Vorhaben auf sichere Weise in die Tat umzusetzen. Vielleicht erhielt der Forschungsmeister niemals eine günstige Gelegenheit. Und selbst wenn er Erfolg hatte, würde der Imperator andere Leute schicken, um den Fall zu untersuchen, und noch mehr Sardaukar-Truppen, die die empfindlichen Arbeiten störten.
»Es freut mich sehr, dass Sie mit dem Projekt Amal endlich Fortschritte machen. Es ist nun schon mehr als zwölf Jahre her, seit Elrood IX. es in Auftrag gegeben hat, hmm?« Fenring schlenderte durch einen schmucklosen Korridor in der unterirdischen Stadt. Er trug eine scharlachrote imperiale Jacke und enge goldene Hosen. Sein dunkles Haar war kurz geschoren und stand an einigen Stellen ab, um seinen übergroßen Kopf zu betonen. »Wir waren in dieser Zeit sehr geduldig.«
Ajidica trug einen weißen Laborkittel mit großen Taschen. Der Stoff, sein Haar und seine leichengraue Haut rochen nach Chemikalien. »Ich habe Sie von Anfang an gewarnt, dass es viele Jahre dauern könnte, bis ein brauchbares Produkt entwickelt wird. Ein Dutzend Jahre sind nicht mehr als ein Lidschlag, um eine Substanz zu synthetisieren, nach der das Imperium viele Jahrhunderte lang vergeblich gesucht hat.« Er zwang sich zu einem dünnen Lächeln.
»Trotzdem kann ich Ihnen nun mitteilen, dass unsere modifizierten Axolotl-Tanks ausgewachsen sind, dass vorläufige Experimente durchgeführt und die Ergebnisse ausgewertet wurden. Auf dieser Grundlage haben wir unpraktikable Ansätze ausgeschlossen und damit die Möglichkeiten deutlich eingeschränkt.«
»Der Imperator ist nicht an der Einschränkung von Möglichkeiten interessiert, Forschungsmeister, sondern nur an Resultaten!« Fenrings Stimme war wie gefrorene Säure. »Sie haben ein immenses Budget verschlungen, ganz zu schweigen von unserer Finanzierung Ihrer Eroberung der ixianischen Einrichtungen.«
»Unsere Aufzeichnungen halten jeder Überprüfung stand, Graf Fenring«, sagte Ajidica. Er wusste genau, dass Fenring niemals einem Bankier der Gilde Einsicht in die entsprechenden Bücher gewähren würde. Insbesondere die Raumgilde durfte niemals einen Hinweis erhalten, welchem wahren Zweck dieses Projekt diente. »Alle finanziellen Mittel wurden ordentlich verbucht, genauso wie die Gewürzvorräte, gemäß unseren ursprünglichen Vereinbarungen.«
»Diese Vereinbarungen haben Sie mit Elrood getroffen, nicht mit Shaddam, hmm? Der Imperator kann Ihre Experimente jederzeit beenden.«
Wie alle Tleilaxu war es Ajidica gewöhnt, von Dummköpfen beleidigt und provoziert zu werden, sodass es ihm leicht fiel, keinen Anstoß zu nehmen. »Eine interessante Drohung, Graf Fenring, wenn man bedenkt, dass Sie höchstpersönlich den ersten Kontakt zwischen Elrood und meinem Volk hergestellt haben. Alles wurde dokumentiert; die Aufzeichnungen befinden sich auf unseren Heimatwelten.«
Fenring schnaufte und marschierte weiter, tiefer ins Innere des Forschungspavillons. »Durch simple Beobachtung habe ich etwas Interessantes über Sie erfahren, Forschungsmeister«, sagte er mit schmieriger Stimme. »Sie haben eine Phobie gegenüber unterirdischen Räumen entwickelt, hmm? Sie haben diese Ängste erst seit kurzer Zeit; es kam wie ein plötzlicher Anfall über Sie.«
»Unsinn!«, stritt Ajidica ab. Trotzdem brach ihm der Schweiß auf der Stirn aus.
»So? Aber ich registriere Anzeichen der Lüge in Ihrer Stimme und Mimik. Sie nehmen deswegen Medikamente ... ein Fläschchen mit Pillen in Ihrer rechten Jackentasche. Ich kann die Ausbuchtung erkennen.«
»Ich bin ... bei bester Gesundheit«, stammelte Ajidica, der sich bemühte, seinen Ärger zu verbergen.
»Hmm-äh ... ich würde sagen, Ihre künftige Gesundheit hängt davon ab, wie gut sich hier alles entwickelt. Je eher Sie das Projekt Amal abschließen, desto früher werden Sie wieder die Gelegenheit erhalten, frische Luft auf ihrer wunderschönen Heimatwelt zu atmen. Wann waren Sie das letzte Mal auf Tleilax?«
»Es ist schon lange her«, gab Ajidica zu. »Sie können sich nicht vorstellen, wie es dort ist. Keinem Powin...« Er räusperte sich. »Keinem Fremden wurde jemals gestattet, mehr als den Raumhafen zu sehen.«
Fenrings Antwort bestand in einem aufreizenden, wissenden Lächeln. »Zeigen Sie mir einfach, was Sie hier geleistet haben, damit ich Shaddam Bericht erstatten kann.«
Vor einer Tür hob Ajidica den Arm, um Fenring zurückzuhalten. Der Tleilaxu schloss die Augen und küsste ehrfürchtig die Tür. Dieses knappe Ritual schaltete die tödlichen Sicherheitssysteme ab, worauf sich die Tür fließend in schmale Ritzen in der Wand zurückzog.
»Jetzt können Sie ohne Gefahr passieren.« Ajidica trat beiseite, um Fenring den Vortritt zu lassen. Im weißen Raum aus Weichplaz hatte der Forschungsmeister mehrere Demonstrationsobjekte aufgebaut, die den Fortschritt der Experimente veranschaulichen sollten. Im Zentrum des riesigen ovalen Raums befanden sich ein hochauflösendes Mikroskop, ein Metallregal mit Glasbehältern und ein roter Tisch, auf dem ein halbkugelförmiges Objekt stand. Ajidica bemerkte die intensive Neugier in Fenrings übergroßen Augen, als er sich den Versuchsaufbauten näherte. »Bitte berühren Sie nichts.«
Über dem Ganzen hing der feine Schleier des Betrugs, doch dieser imperiale Powindah würde ihn nicht erkennen oder erst, wenn es zu spät war. Ajidica beabsichtigte, das Rätsel der künstlichen Gewürzherstellung zu lösen, um dann mit den heiligen Axolotl-Tanks zu einem sicheren Planeten in einer fernen Region des Imperiums zu fliehen. Er hatte eine Reihe Vorkehrungen getroffen, ohne seine Identität zu offenbaren, hatte Versprechungen und Bestechungen eingesetzt und Geldmittel abgezweigt ... ohne das Wissen seiner Vorgesetzten auf den Heimatwelten der Bene Tleilax. Es war einzig und allein sein Werk.
Er war zu der Überzeugung gelangt, dass es in seinem eigenen Volk Häretiker gab, Tleilaxu, die sich so gut in ihre öffentliche Rolle als unterdrückte Sündenböcke gefügt hatten, dass sie vom Großen Glauben abgefallen waren. Sie waren wie Gestaltwandler, die sich so perfekt getarnt hatten, dass sie gar nicht mehr wussten, wer sie wirklich waren. Wenn Ajidica solchen Leuten den Zugang zum Amal, zu seiner großartigen Entdeckung gestattete, würden sie das Einzige aufgeben, das ihnen die Überlegenheit garantierte, die den Tleilaxu zustand.
Ajidica plante, seine Rolle weiterzuspielen, bis er bereit war. Dann konnte er über die Verwendung des künstlichen Gewürzes bestimmen und seinem Volk bei der Erfüllung seiner Mission helfen ... ob die Tleilaxu es wollten oder nicht.
Graf Fenring murmelte leise, als er sich der Halbkugel auf dem Tisch näherte. »Faszinierend. Da ist etwas drin, vermute ich, hmm-äh?«
»In allem ist etwas verborgen«, erwiderte Ajidica.
Er stellte sich mit stiller Befriedigung vor, wie er eine Flut künstlicher Melange auf den interstellaren Markt losließ und die MAFEA und den Landsraad in eine tiefe Wirtschaftskrise stürzte. Wie ein winziges Leck in einem Staudamm würde selbst eine geringe Menge billigen Gewürzes irgendwann zu einem reißenden Strom werden, der die Fundamente des Imperiums unterspülen und einstürzen lassen würde. Wenn er es richtig anstellte, würde Ajidica zum Dreh- und Angelpunkt der neuen ökonomischen und politischen Ordnung werden – natürlich nicht aus Eigennutz, sondern um Gott zu dienen.
Die Magie unseres Gottes ist unsere Erlösung.
Ajidica entblößte seine scharfen Zähne und lächelte Graf Fenring an. »Ich kann Ihnen versichern, Graf, dass wir in dieser Angelegenheit die gleichen Ziele verfolgen.«
Wenn Ajidica eines Tages unvorstellbar reich war, würde er Tests entwickeln, um seine Untergebenen auf ihre Loyalität zu prüfen, und dann würde er damit beginnen, die Bene Tleilax zu assimilieren. Obwohl es zu gefährlich war, sie schon jetzt in seinen Plan einzuweihen, hatte er längst mehrere Kandidaten ins Auge gefasst. Mit angemessener militärischer Unterstützung – vielleicht konnte er sogar einige der hier stationierten Sardaukar dafür gewinnen – gelang es ihm möglicherweise, sein Hauptquartier in der schönen Hauptstadt Bandalong aufzuschlagen ...
Fenring musterte die Demonstrationsobjekte. »Kennen Sie das Sprichwort ›Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser‹? Es stammt noch aus den Zeiten von Altterra. Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, was ich hier und dort aufgeschnappt habe. Meine Bene-Gesserit-Frau sammelt Dinge, Nippsachen und anderen Krimskrams. Ich sammle Informationen, selbst winzigste Fragmente.«
Das schmale Gesicht des Tleilaxu verzog sich zu einem Stirnrunzeln. »Ich verstehe.« Er musste diese ärgerliche Inspektion so schnell wie möglich hinter sich bringen. »Wenn Sie sich bitte das hier anschauen würden ...« Ajidica nahm eine undurchsichtige Plazphiole vom Regal und öffnete sie, worauf sich ein intensiver Duft nach Ingwer, Minze und süßem Klee verbreitete. Er gab das Fläschchen an Fenring weiter, der einen Blick auf die zähflüssige, orangefarbene Substanz warf.
»Es ist noch keine Melange«, sagte Ajidica, »obwohl sie bereits viele Ausgangsstoffe des Gewürzes enthält.« Er goss etwas von der Flüssigkeit auf einen Objektträger, schob ihn in das Mikroskop und forderte Fenring auf, durch das Okular zu schauen. Der Graf sah lange Molekülketten, die an dicke Kabelstränge erinnerten.
»Eine ungewöhnliche Proteinkette«, sagte der Forschungsmeister. »Wir stehen kurz vor dem Durchbruch.«
»Wie kurz?«
»Die Tleilaxu haben ebenfalls Sprichworte, Graf Fenring. Eins lautet: ›Je näher man einem Ziel kommt, desto ferner erscheint es.‹ Wenn es um wissenschaftliche Forschungen geht, scheint sich die Zeit zu dehnen. Nur Gott besitzt exakte Kenntnisse über die Zukunft. Der Durchbruch könnte eine Angelegenheit von Tagen oder Jahren sein.«
»Doppelzüngiges Gerede«, murmelte Fenring. Er verstummte, als Ajidica einen Knopf neben der Halbkugel drückte.
Die trübe Plazoberfläche klärte sich, worauf erkennbar wurde, dass der Boden des Behälters mit Sand bedeckt war. Der Tleilaxu-Forscher drückte einen zweiten Knopf, worauf sich feiner Staub im Innern verteilte. Dann bewegte sich der Sand und bildete einen kleinen Hügel, als würde ein Fisch aus dem Wasser auftauchen. Es war ein Wurm in der Größe einer kleinen Schlange, etwas mehr als einen halben Meter lang, mit winzigen Kristallzähnen.
»Ein junger Sandwurm«, erklärte Ajidica. »Er wurde vor neunzehn Tagen auf Arrakis gefangen. Wir rechnen nicht damit, dass er noch lange überlebt.«
Ein kleinerer Behälter in der Spitze der Halbkugel fiel in den Sand und setzte etwas von der orangefarbenen Gelatine frei. »Amal 1522.26«, sagte Ajidica. »Eine unserer zahlreichen Varianten – die beste, die wir bislang herstellen konnten.«
Fenring beobachtete, wie das Maul des kleinen Wurms hin und her pendelte und offenbarte, dass die glitzernden Zähne bis tief in den Schlund reichten. Das Geschöpf glitt auf die glänzende Substanz zu, doch dann hielt es kurz davor verwirrt an, ohne sie zu berühren. Schließlich machte es kehrt und grub sich wieder in den Sand.
»In welcher Beziehung stehen die Sandwürmer und das Gewürz zueinander?«, fragte Fenring.
»Wenn wir das wüssten, hätten wir das größte Rätsel gelöst. Wenn wir echtes Gewürz in diesen Behälter geben würden, hätte der Wurm es gierig verschlungen. Obwohl der Wurm den Unterschied bemerkte, hat er sich der Probe zumindest genähert. Wir haben das Tier in Versuchung geführt, es aber nicht befriedigt.«
»Mich hat Ihre kleine Demonstration ebenso wenig befriedigt. Wie ich höre, gibt es immer noch eine ixianische Widerstandsbewegung, die Ihnen Schwierigkeiten bereitet. Shaddam macht sich Sorgen wegen dieser Störung seines wichtigsten Plans.«
»Ein paar Störenfriede, Graf Fenring. Sie verfügen weder über genügend Geld noch Ausrüstung. Kein Grund zur Besorgnis.« Ajidica rieb die Hände aneinander.
»Aber sie haben Ihr Kommunikationssystem sabotiert und verschiedene Einrichtungen zerstört, hmm?«
»Die Todeszuckungen des Hauses Vernius, mehr nicht. Sie werden bald aufhören, nachdem die Eroberung nun schon über ein Jahrzehnt zurückliegt. Sie kommen niemals in die Nähe dieses Forschungspavillons.«
»Wie dem auch sei, Ihre Sicherheitsprobleme werden demnächst gelöst. Der Imperator hat eingewilligt, zwei weitere Sardaukar-Legionen als Friedenshüter zu Ihnen zu schicken, angeführt vom Bashar Cando Garon, einem unserer besten Männer.«
Die Miene des kleinwüchsigen Tleilaxu zeigte Überraschung und Erschrecken. Sein verhärmtes Gesicht rötete sich. »Aber das ist nicht notwendig, Herr. Die halbe Legion, die bereits stationiert ist, reicht völlig aus.«
»Der Imperator ist anderer Meinung. Die Truppen werden Ihnen ständig ins Gedächtnis rufen, wie wichtig Ihre Experimente für ihn sind. Shaddam wird alles tun, um das Amal-Projekt zu schützen, doch seine Geduld hat sich nun erschöpft.« Der Graf kniff leicht die Augen zusammen. »Sie sollten es als gute Nachricht betrachten.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil der Imperator noch nicht Ihre Exekution angeordnet hat.«