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Manche Probleme lassen sich am besten mit einer optimistischen Herangehensweise lösen. Der Optimismus wirft ein helles Licht auf Alternativen, die andernfalls gar nicht sichtbar wären.
Sheeana, Gedanken über die Neue Ordnung
In der folgenden Zeit glaubten die Menschen in Synchronia zunehmend daran, dass ihre Spezies überleben würde.
Als Sheeana ihren Blick auf Duncan richtete, wirkte er seltsam fern, auch wenn es sie nicht überraschte. Seine Augen wanderten häufig hin und her, als wäre er gleichzeitig an tausend anderen Orten.
Während die Mutter Befehlshaberin Murbella von ihren kürzlich eingetroffenen Schlachtschiffen Leichter anforderte und die Gilde Shuttles für Arbeiter und Verwalter zur Verfügung stellte, um das Leben in der merkwürdigen Stadt zu konsolidieren, beobachtete Sheeana, wie Roboter die Spuren der blutigen Kämpfe in der Kathedralenhalle beseitigten.
Die Flüchtlinge von der Ithaka hatten Zuflucht im aufgerissenen Schiff gesucht. Es würde nie wieder durch den Weltraum fliegen, obwohl Duncan die Andockklammern aus lebendem Metall zwang, das Nicht-Schiff aus ihrem Griff zu entlassen.
Kurierdrohnen und summende Wächteraugen, die nun von Duncan persönlich dirigiert wurden, führten die Menschengruppen durch die verwüsteten Straßen und versammelten sie an einem Ort, wo sie über das veränderte Universum diskutieren würden. Sheeanas abtrünnige Bene Gesserit aus dem Nicht-Schiff hatten Bedenken, der ehemaligen Geehrten Mater Murbella gegenüberzutreten.
Aber die Mutter Befehlshaberin hatte während des Vierteljahrhunderts seit der Spaltung an Weisheit gewonnen. Hätte sie damals von Sheeanas Plan gewusst, das Nicht-Schiff zu stehlen, hätte Murbella ihre Rivalin auf der Stelle getötet. Sheeana fragte sich, was die frühere Geehrte Mater über all die Jahre dachte, die sich Duncan nach ihr gesehnt hatte. Liebte Murbella ihn immer noch? Hatte sie ihn überhaupt jemals geliebt?
Die Ehrwürdigen Mütter Elyen und Calissa führten eine erschöpfte und verunsicherte Menge in die riesige Maschinenkathedrale. Gildenmänner von den Raumschiffen im Orbit stießen ebenfalls dazu, darunter auch Administrator Gorus. Er wirkte ausgelaugt, da er keinerlei Einfluss auf das Geschehen mehr hatte, und schwieg. Er folgte lieber seinen Kollegen von der Gilde, statt sie anzuführen.
Als der Gesprächslärm fast bis zur Stille abgeebbt war, nahm Duncan seinen Platz in der Mitte der Halle ein, wo einst Omnius und Erasmus über die Denkmaschinen geherrscht hatten. Obwohl er keine Lautsprecher benutzte, hallten seine Worte klar und deutlich durch den großen Raum.
»Dieses Schicksal, dieser grandiose Höhepunkt des Kralizec, ist das, wonach wir so viele Jahre gesucht haben.« Er ließ den Blick über Sheeana und die Bene-Gesserit-Flüchtlinge schweifen. »Unsere lange Reise ist zu Ende, denn dies ist die neue Heimat, nach der ihr euch gesehnt habt. Dieser Planet gehört nun euch. Benutzt die Trümmer von Synchronia, um einen völlig neuen Orden der Bene Gesserit zu bilden, euren neuen Stützpunkt fern von Ordensburg.«
Die versammelten Schwestern waren verwirrt und erstaunt. Selbst Sheeana hatte nicht geahnt, dass Duncan so etwas verkünden würde. »Aber dies ist das Herz des Denkmaschinenimperiums!«, rief Calissa. »Die Heimatwelt von Omnius!«
»Jetzt ist es unsere Heimatwelt. Siedelt euch hier an und baut eure Zukunft auf.«
Sheeana verstand. »Duncan hat völlig recht. Herausforderungen stärken die Schwesternschaft. Das Universum hat sich verändert, und wir gehören hierher, ungeachtet der Schwierigkeiten, die uns bevorstehen mögen. Selbst die Sandwürmer sind nach Synchronia gekommen und haben sich tief in den Boden gegraben.« Sie lächelte. »Vielleicht tauchen sie wieder auf, wenn wir am wenigsten mit ihnen rechnen. Jemand muss den wiederauferstandenen Tyrannen im Auge behalten.«
Unter der Halle glaubte Sheeana zu spüren, wie der Boden zitterte, als würde sich unter den Fundamenten ein Riese bewegen. Viele Roboter waren während des Angriffs der Sandwürmer zerstört worden, aber immer noch gab es tausende Maschinen, die einwandfrei funktionierten. Sheeana wusste, dass die Bene Gesserit hier mehr Arbeitskraft zur Verfügung hatten, als sie sich hätten erträumen können, wenn die Maschinen für sie tätig wurden.
Murbella meldete sich zu Wort. »Ich werde nach Ordensburg zurückkehren. Es wird einige Mühe kosten, die Nachricht von der neuen Wirklichkeit zu verbreiten.« Sie blickte zu Sheeana. »Keine Sorge, meine vereinte Schwesternschaft muss nicht in Opposition zur hier ansässigen traditionellen Bene-Gesserit-Schule treten. Es hat schon immer verschiedene Richtungen und unterschiedliche Vorstellungen gegeben. Im rechten Gleichgewicht fördert die Konkurrenz die Bereitschaft zur Stärkung und zur Innovation – solange wir den erbitterten Konflikt und den Willen zur gegenseitigen Vernichtung vermeiden können.«
Sheeana wusste, dass Duncan mit Murbella nach Ordensburg gehen würde, zumindest für eine gewisse Zeit. Unter seiner Führung würde Murbella für die Wiedereinführung und Integration hoch entwickelter Technik in eine aufblühende Kultur sorgen. Wenn sie richtig gehandhabt wurden, sah Sheeana keinen Grund, warum die Menschen sich vor der Zusammenarbeit mit Denkmaschinen fürchten sollten, genauso wenig, wie sie sich vor der Religion oder der Konkurrenz zwischen den Bene-Gesserit-Fraktionen fürchten mussten. Jede Gruppierung konnte gefährlich werden, wenn die Führung unkluge Entscheidungen traf.
Sheeana jedoch würde hier bleiben. Eine Rückkehr hätte für sie keinen Sinn. Sie wandte sich an Murbella. »Noch bevor die Geehrten Matres Rakis zerstörten, machte mich der Orden der Bene Gesserit zur Galionsfigur einer künstlich geschaffenen Religion. Ich musste mich jahrzehntelang verstecken, während die Missionaria Protectiva Mythen über mich verbreitete. Ich habe die Legende sich selbst überlassen. Was würde ich erreichen, wenn ich jetzt versuche, ihr entgegenzutreten? Also sage ich, dass die Legende weiterleben soll, wenn sie für die Menschen ein Trost ist. Mein Platz ist hier.«
Sie sah, dass Scytale ebenfalls im Publikum war. Der letzte der Tleilaxu-Meister hatte sich schließlich als große Hilfe erwiesen, als er für und nicht gegen sie gekämpft hatte. »Scytale, bleibst auch du bei uns? Wirst du dich unserem neuen Orden anschließen? Wir können dein Wissen und deine Erfahrung als Genetiker gut gebrauchen. Schließlich gründen wir hier eine Kolonie, und wir sind nur ein paar hundert Menschen.«
»Ich erwarte, dass viele von außen zu euch stoßen werden«, sagte Murbella.
Der kleine Tleilaxu reagierte überrascht auf die Einladung. »Natürlich werde ich bleiben. Vielen Dank. Für mein Volk gibt es jetzt keine Heimat mehr, nicht einmal im heiligen Bandalong.« Er sah Sheeana lächelnd an. »Vielleicht kann ich an deiner Seite etwas Sinnvolles leisten.«
Duncan ging zu den Bene-Gesserit-Flüchtlingen. »Ihr seid Gärtner, die die Trittsteine für euren Schicksalsweg verlegen. Viele von uns werden zu Welten zurückkehren, die wir einst als unsere Heimat bezeichnet haben, aber ihr werdet hier bleiben.«
Mit einem warmen Gefühl berührte Sheeana Duncans Arm. Obwohl er noch aus Fleisch und Blut bestand und menschlich war, wusste sie, dass er viel mehr als das war. Und er hatte die Wahrheit ausgesprochen. »Wir haben es dir zu verdanken, Duncan, dass meine Schwestern und ich endlich heimgekehrt sind.«