36
Die Menschheit hat viele tief verwurzelte Glaubensvorstellungen. Die wichtigste davon ist die Idee der Heimat.
Bene-Gesserit-Archiv,
Analyse motivierender Faktoren
Als Edriks Heighliner das nächste Mal Buzzell anflog, verließ das Schiff den Planeten mit etwas an Bord, das von wesentlich größerem Wert als Soosteine war.
Auf dem Labordeck versteckt befand sich ein Paket mit der einzigartigen, hochwirksamen Substanz, die aus dem seltsamen Konzentrationsorgan des geschlachteten Seewurms stammte. Mit überschwänglichem Optimismus hatte Waff sie »Ultramelange« genannt. Erste Untersuchungen bewiesen, dass die Wirksamkeit um ein Vielfaches höher war als bei allen bekannten Gewürzsorten. Durch die bemerkenswerte Substanz würde für die Navigatoren nun alles anders werden.
Gleichzeitig wusste der Tleilaxu-Meister um die Bedeutung seiner Leistung, die er zu seinem Vorteil nutzen wollte. Ohne dass man ihn gerufen hätte, drängte er sich an den Sicherheitskräften der Gilde vorbei und machte sich auf den Weg zu den verbotenen Ebenen, die nur für den Navigator reserviert waren. Großspurig ignorierte er sämtliche Warnungen und öffnete die dicken Türen, bis er vor dem Plaztank stand, in dem Edrik sein kostspieliges Bad in Gewürzgas nahm. Nachdem es ihm gelungen war, wenigstens eine neue Wurmpopulation zu etablieren, war Waff nun kein Speichellecker mehr. Jetzt würde er selbstbewusst Forderungen stellen.
Aufgrund seiner verkürzten Lebensspanne als Ghola hatte Waff nicht mehr viel Zeit, einen Ghola als seinen Nachfolger zu erschaffen, wodurch seine Verzweiflung immer größer wurde. Er hatte seine besten Jahren längst hinter sich, und nun stürzte sein Körper immer schneller in die Degeneration ab und dem Tod entgegen. Wahrscheinlich blieb ihm nicht mehr als ein Jahr.
Voller Trotz baute sich Waff vor Edriks Tank auf und sagte: »Nachdem meine modifizierten Seewürmer jetzt in der Lage sind, Gewürz in einer Form zu erschaffen, die für die Navigatoren nutzbar ist, will ich nach Rakis gebracht werden.« Jetzt hatte er nichts mehr zu verlieren, aber sehr viel zu gewinnen. Triumphierend verschränkte er die dünnen Arme über der Brust.
Mit langsamen Schwimmbewegungen driftete Edrik näher an die Plazscheibe heran. Die Wirbel aus orangefarbenem Gas hatten etwas Hypnotisches. »Die neue Melange wurde noch nicht in der Praxis erprobt.«
»Das spielt keine Rolle. Ich habe sie chemisch analysiert.«
Edriks Stimme drang dröhnend aus den Lautsprechern. »Ich bin besorgt. In der ursprünglichen Form besitzt die Melange Komplexitäten, die sich durch keine Laboranalyse entschlüsseln lassen.«
»Deine Sorgen sind unbegründet«, sagte Waff. »Das Seewurmgewürz ist wirksamer als alles, was du je zu dir genommen hast. Probier es selber aus, wenn du mir nicht glaubst.«
»Es steht dir nicht zu, Forderungen zu stellen.«
»Niemand anderer hätte leisten können, was ich geleistet habe. Buzzell wird eure neue Gewürzquelle sein. Seewurmjäger werden mehr Ultramelange ernten, als ihr je verbrauchen könnt, und die Navigatoren werden nicht mehr von den Bene-Gesserit-Hexen oder dem Schwarzmarkt abhängig sein. Auch wenn es den Schwestern gelingen sollte, das Gewürz der Seewürmer selbst zu ernten, und versuchen sollten, ein neues Monopol zu etablieren, könnt ihr sie einfach ignorieren. Wenn wir die Würmer und nicht den Planeten verändern, können wir sie überall aussetzen. Ich habe euch den Weg in die Freiheit gebahnt.« Waff schnaubte und hob die Stimme. »Jetzt verlange ich meine gerechte Entlohnung.«
»Wir haben dich am Leben gelassen, nachdem die Geehrten Matres auf Tleilax gestürzt wurden. Ist das nicht Entlohnung genug?«, beschied ihm der Navigator mit seiner Flüsterstimme.
Mit einem besänftigenden Seufzer breitete der Tleilaxu-Ghola die Hände aus. »Worum ich dich bitte, verursacht euch wenig Kosten und bringt euch viel Ehre ein. Und den Segen Gottes.«
Das verzerrte Gesicht des Navigators zeigte den Ausdruck des Missfallens. »Was verlangst du, kleiner Mann?«
»Ich wiederhole: Bring mich nach Rakis.«
»Das ist absurd. Diese Welt ist tot«, erwiderte Edrik tonlos.
»Rakis ist der Ort, an dem mein letzter Körper starb. Also betrachte es als eine Art Pilgerreise.« Es drang aus ihm heraus, obwohl er gar nicht so viel hatte sagen wollen. »In meinem Labor habe ich weitere kleine Würmer aus den Sandforellen erschaffen. Ich habe sie stärker gemacht, sie befähigt, auch unter erschwerten Bedingungen zu überleben. Ich kann sie nach Rakis zurückbringen und die Rückkehr des Propheten ...« Abrupt verstummte er.
Nach den ersten Gerüchten, dass die Seewürmer gediehen, hatte Waff sich auf die letzten paar Sandforellen seines ursprünglichen Vorrats konzentriert. Die Wurmchromosomen so umzubauen, dass sie in der lebensfreundlichen Umwelt eines Ozeans existieren konnten, war eine große Herausforderung gewesen. Doch es war viel schwieriger, die Monster abzuhärten, damit sie auch in der Trümmerlandschaft von Rakis ausgesetzt werden konnten. Aber Waff ließ sich von Schwierigkeiten nicht beirren. Die ganze Zeit war es sein Ziel gewesen, die Würmer dorthin zurückzubringen, wohin sie gehörten. Gottes Bote muss auf den Wüstenplaneten zurückkehren.
Er musterte Edrik, der mit den verformten Händen ruderte, während er über seine Forderung nachdachte. »Unser Orakel hat uns vor kurzem eine Botschaft geschickt. Alle Navigatoren sollen der Gilde den Rücken kehren und dem Orakel in einem großen Kampf beistehen. Das ist jetzt von höchster Priorität für mich.«
»Ich flehe dich an, bring mich nach Rakis.« Als sollte Waff an seine Sterblichkeit erinnert werden, zuckte ein Schmerz durch seine Brust und die Wirbelsäule hinunter. Er musste sich alle Mühe geben, seine Angst vor dem Tod und vor dem Versagen nicht zu zeigen. Ihm blieb nur noch sehr wenig Zeit. »Ist das zu viel verlangt? Gewähre mir diese eine Bitte am Ende meines Lebens.«
»Das ist alles, was du dir wünschst? Dort zu sterben?«
»Ich werde meine letzte Kraft auf meine Sandwürmer verwenden. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, sie wieder auf Rakis anzusiedeln und das Ökosystem zu regenerieren. Stell dir vor: Wenn ich erfolgreich bin, habt ihr eine weitere Quelle für das Gewürz.«
»Es wird dir nicht gefallen, was du dort vorfindest. Ohne Flüssigkeitsrecycling, ohne sichere Unterkunft, ohne Ausrüstung ist es schwieriger als je zuvor, auf Rakis zu überleben. Deine Erwartungen sind unrealistisch. Ich sehe darin nicht den geringsten Nutzen.«
Waff bemühte sich erfolglos, sich seine Verzweiflung nicht anhören zu lassen. »Rakis ist meine Heimat, mein spiritueller Kompass.«
Edrik dachte darüber nach, dann sagte er: »Ich kann den Raum falten, um nach Rakis zu gelangen, aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich je zurückkehren werde, um dich zu retten. Das Orakel hat mich gerufen.«
»Ich werde so lange dort bleiben wie nötig. Gott wird mir helfen.«
Waff eilte zurück in seine privaten Forschungslabors. Da er beabsichtigte, auf dem Wüstenplaneten zu bleiben, voraussichtlich bis zum Ende seines Lebens, forderte er so viele Vorräte und Ausrüstungsgegenstände an, wie er in den nächsten Jahren möglicherweise benötigte, damit er als Selbstversorger auf dieser öden und leblosen Welt existieren konnte. Nachdem er seine Bestellung abgegeben hatte, betrachtete er seine Tanks, in denen sich die neuen Panzersandwürmer wanden, begierig darauf, in die Freiheit entlassen zu werden.
Rakis ... der Wüstenplanet ... war seine Bestimmung. Er spürte es in seinem Herzen, dass Gott ihn dorthin gerufen hatte, und wenn Waff auf diesem Planeten starb ... dann sollte es so sein. Er empfand eine warme, tröstende Zuversicht. Er wusste nun, wo er in diesem Universum hingehörte.
* * *
Die geschwärzte, leicht kupferfarbene Kugel erschien auf den privaten Sichtschirmen im Heighliner. Waff war so sehr damit beschäftigt gewesen, seine Sachen zu packen, dass er gar nicht gespürt hatte, wie das Holtzman-Triebwerk aktiviert worden war und den Raum gefaltet hatte.
Edrik überraschte ihn, indem er ihm zusätzliche Vorräte und ein kleines Team aus loyalen Gildenassistenten anbot, das ihm bei der Errichtung seines Lagers und der Ausführung seiner Experimente helfen sollte. Vielleicht wollte er seine eigenen Leute vor Ort haben, um zu erfahren, ob der Tleilaxu auch mit der neuen Sandwurmgeneration erfolgreich war. Waff störte es nicht, solange sie ihm nicht in die Quere kamen.
Ohne sich den stummen Mitgliedern seines neuen Teams vorzustellen, überwachte Waff den Abtransport seiner Panzersandwürmer aus dem isolierten Labor, gefolgt von den Fertigunterkünften und der sonstigen Ausrüstung – alles, was sie zum Überleben auf der verwüsteten Welt benötigen würden.
Einer der glattgesichtigen Gildenassistenten setzte sich schweigend an die Pilotenkonsole des Leichters. Bevor sie die tote Oberfläche von Rakis erreichten, war der Heighliner bereits aus dem Orbit verschwunden. Edrik hatte es eilig, dem Ruf des Orakels zu folgen, und seine Fracht aus Ultramelange und die Kunde von einer neuen Hoffnung für alle Navigatoren zu überbringen.
Waff jedoch hatte nur Augen für die versengte, leblose Landschaft der legendären Welt.