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Eine schwere Tragödie kann Jahre der Freundschaft auslöschen.
Thufir Hawat,
Waffenmeister des Hauses Atreides
In den Tagen, die auf den Angriff folgten, brachte Gouverneurin Kio eine energische – oder übertriebene, wie manche fanden – Untersuchung ins Rollen. Bald gab es Hinweise darauf, dass die Erben dreier Adelsfamilien der alten Garde in das Komplott verwickelt waren, und obwohl die Beweislage dünn war, ließ man sie kurz entschlossen in finsterer Nacht hinrichten. Anschließend beschlagnahmte Kio die Güter der schuldigen Familien und heiratete gleich darauf Preto Heiron.
Paul interessierte sich nicht im Geringsten für die Lokalpolitik. Er hatte seit der schrecklichen Tragödie im Theater nicht schlafen können. Im kritischen Moment hatte Rhombur auch Bronso beiseitegestoßen, doch seine erste Reaktion hatte darin bestanden, Paul zu retten. In jenem Augenblick, als in einem Sekundenbruchteil seine Entscheidung gefallen war, hatte er nicht an seinen eigenen Sohn gedacht. Und Bronso erkannte es in vollem Ausmaß.
In den Tagen, in denen er auf einen Heighliner nach Ix wartete, zog sich Bronso Vernius allein und trauernd in seine Gemächer zurück. Er ignorierte jede Gesellschaft, weigerte sich, Paul zu sehen, und kehrte allen den Rücken zu. Die Ereignisse, deren Zeuge er gewesen war, hatten ihn am Boden zerstört, und er fühlte sich von Paul ebenso betrogen wie von seinem eigenen Vater. »Ist Paul in Sicherheit?« Die Worte waren wie ein Messer, das man tiefer in die Wunde bohrte. Bronso würde Balut so schnell wie möglich verlassen und Rhomburs zusammengeflickten und nun zertrümmerten Körper mit sich nehmen.
Herzog Leto schüttelte den Kopf, während er allein mit Paul dasaß. »Dieser junge Mann ist der einzige Überlebende des Hauses Vernius, der Herrscher von Ix, aber er ist weich und unerfahren. Ich fürchte, dass die Technokraten die Kontrolle übernehmen und ihn in eine bloße Marionette verwandeln werden.«
»Warum redet er nicht mit mir?«, fragte Paul. »Wir haben so viel gemeinsam erlebt. Ich dachte, wir würden alles füreinander tun.«
Leto, dessen Gedanken sich nach innen gekehrt hatten, wich kaum noch von Pauls Seite und erzählte wehmütig Geschichten, wie er und Rhombur einmal nach Korallenjuwelen getaucht hatten und wie die launischen Edelsteine ihr Boot in Brand gesetzt hatten. Er sprach davon, wie Rhombur einen Gildenheighliner gerettet hatte, als der Navigator durch verschmutztes Gewürzgas außer Gefecht gesetzt worden war ... wie die Armeen der Atreides und die treuen Streitkräfte von Vernius Seite an Seite gekämpft hatten, um Ix von den Tleilaxu-Besatzern zurückzuerobern. Paul hatte schon oft von diesen legendären Ereignissen gehört, doch er ließ seinen Vater reden, denn der Herzog musste die Erinnerungen herauslassen.
Gouverneurin Kio hielt eine improvisierte Ehrenfeier für Paul ab, bei der sie ihn für sein kluges und selbstloses Handeln auszeichnete, mit dem er sie vor dem Assassinenanschlag gerettet hatte. Paul interessierte sich nicht für Belohnungen und Auszeichnungen und empfand die demonstrative Würdigung nach dem Tod des armen Rhombur als unangemessen. Die Zeremonie war nur ein weiterer Schlag in Bronsos Gesicht, der ohnehin schon litt.
Im Aufruhr, der auf die Attacke folgte, nahm man Rheinvar, seine Gestaltwandler, die Artisten und die restlichen Angehörigen der Truppe fest, trennte sie voneinander und steckte sie in Gefängniszellen. Selbst ein Meister-Jongleur konnte seine Illusionen und Massenhypnosen nicht endlos aufrechterhalten, vor allem, wenn so viele Leute heulend nach seinem Blut verlangten. Man hatte die Jongleurs gefasst ... und gab ihnen die Schuld.
Paul erkannte von Anfang an, dass das Volk von Balut – und auch Gouverneurin Kio selbst – Sündenböcke brauchten und dass sich die Angehörigen der Truppe dafür bestens eigneten. Doch weil Paul ihr Leben gerettet hatte und sie ihm anbot, ihn mit mehr zu belohnen als bloß einer Medaille, nutzte er die Gelegenheit. Bei der Würdigungszeremonie ersuchte er sie vor einer großen Menge darum, ihm eine Bitte zu gewähren: Rheinvar und seiner Truppe sollte es gestattet werden, unversehrt von Balut abzureisen, unter der Bedingung, dass sie nie mehr zurückkehren würden. Kio murrte zwar, aber trotzdem gab sie widerwillig den entsprechenden Befehl.
»Sie waren mir Freunde, Vater«, erklärte Paul. »Sie haben Bronso und mich beschützt, uns Sicherheit gegeben – und sie haben mir viel beigebracht.«
Er würde seine Zeit bei den Jongleurs niemals vergessen, obwohl er fürchtete, dass er Bronso nie wiedersehen würde.
Zwei Wochen nach ihrer Rückkehr nach Caladan tauchten unerwartet ganze Schiffsladungen von Atreides-Truppen am Raumhafen auf – die beiden Bataillone, die Leto abgestellt hatte, um das Haus Vernius zu unterstützen. Die uniformierten Soldaten marschierten aus den zahlreichen Transportern, doch sie wirkten nicht glücklich, nach Hause zu kommen, zumindest nicht unter diesen Umständen.
Duncan und Gurney traten vor. Beide wirkten empört und wütend. Gurney gab seinen Bericht ab. »Man hat uns des Planeten Ix verwiesen, Mylord. Bei den Göttern der Unterwelt, er hat uns drei Stunden gegeben, um zu packen und an Bord eines wartenden Heighliners zu gehen!«
»Drei Stunden! Nach allem, was wir für das Haus Vernius getan haben!« Duncan war erbost und schreckte nicht davor zurück, es auch zu zeigen. »Wir haben unsere Pflicht getan, Mylord – genau, wie Sie und Graf Rhombur es wollten. Wenn wir nicht dort gewesen wären, hätte Bolig Avati aus dem Großen Palais eine Fabrik gemacht.«
»Ich habe befürchtet, dass Bronso etwas Derartiges tun würde, Herr«, sagte Paul zu seinem Vater. »Er gibt uns die Schuld.«
»Damit täuscht er sich, mein Sohn – und das wird er früher oder später erkennen.«
Die letzte Person, die aus dem Militärtransporter trat, war kein Soldat, sondern ein hagerer, traurig aussehender Mann mit schmalem, blassem Gesicht und langem Haar, das mit einem Suk-Ring zusammengebunden war. Dr. Wellington Yueh wirkte fehl am Platze, sich seiner selbst unsicher.
Yueh trat dem Herzog mit einer sorgfältigen Verbeugung gegenüber. Er holte Luft, wog seine Worte ab und sprach schließlich. »Da ich Graf Rhomburs Leben angesichts seiner schrecklichen Verletzungen nicht retten konnte, hat Bronso keine weitere Verwendung für meine Dienste. Man hat mich von Ix verbannt.« Yuehs angegrauter Schnurrbart hing neben seinen Mundwinkeln herab, als er den Kopf neigte und die schlanken Hände spreizte. »Könnte es vielleicht sein ... dass das Haus Atreides Verwendung für einen Arzt mit meinen Fähigkeiten hat? Vielleicht als Lehrer für den jungen Herrn in Fragen, die weder Kampf noch Militärstrategie betreffen?«
Leto dachte nicht lange über das Angebot des Mannes nach. Schon vor Pauls Geburt hatte der Suk-Arzt auf Caladan Jahre damit verbracht, Prinz Rhombur bei seiner Genesung zu unterstützen, und er hatte sich als kluger, fleißiger und treuer Arzt erwiesen. »Ich habe im Laufe der Jahre Ihre Arbeit und Ihren Mut gesehen, Yueh. Ich weiß, wie hart Sie gearbeitet haben, um Rhombur nach seinem ersten Unfall zu retten und zu reparieren. Sie haben sein Leben um mehr als ein Dutzend Jahre verlängert, und nur deshalb konnte er Bronso ein guter Vater sein. Der Junge weiß es noch nicht zu schätzen, aber ich hoffe, dass er eines Tages dazu in der Lage ist. Ihre Loyalität steht außer Frage.«
Jessica schaute zu Leto und dann zum Suk-Arzt. »Sie sind hier auf Caladan willkommen, Dr. Yueh. Wir wären sehr dankbar für jeden klugen Rat, den Sie Paul anzubieten haben. Seine Ausbildung auf Ix wurde dramatisch verkürzt, und er wird wahrscheinlich nicht dorthin zurückkehren, um sie zu beenden.«
Paul verspürte ein schweres Gefühl der Trauer, und er blickte zu seinen Eltern auf. »Dieser Bruch zwischen unseren beiden Großen Häusern ist entsetzlich. Was glaubt ihr, wie lange er anhalten wird?«
Leto schüttelte nur den Kopf. »Vielleicht wird er nie geheilt.«