12 Blick ins Feuer

Daß die Axt im Haus den Zimmermann erspare, ist ein weitverbreiteter Irrtum; aber Spaß müßte es machen, seine eigene Grube zu haben; Mister O’Donovan in Dublin hat eine, wie viele O’Neills, Malloys, Dalys in Dublin sie haben; Mr. O’Donovan braucht an freien Tagen (und freie Tage gibt es genug) nur mit seinem Spaten den Bus Nr. 17 oder 47 zu besteigen und zu seiner Torfgrube hinauszufahren: Sixpence kostet ihn die Fahrt, ein paar Sandwiches und eine Kanne voll Tee hat er in der Tasche, und er kann in seinem eigenen Claim seinen Torf stechen; ein Lastwagen oder ein Eselskarren wird ihm den Torf in die Stadt hinunter befördern. Sein Landsmann in anderen Grafschaften hat es leichter: ihm wächst der Torf fast ins Haus, und auf den kahlen, grün-schwarz gestreiften Hügeln herrscht an sonnigen Tagen ein Treiben wie an Erntetagen: hier wird geerntet, was Jahrhunderte der Feuchtigkeit zwischen nackten Felsen, Seen und grünen Weiden haben wachsen lassen: Torf, einziger natürlicher Reichtum eines Landes, das schon seit Jahrhunderten des Waldes beraubt ist, das sein tägliches Brot nicht immer gehabt hat und hat, aber fast immer seinen täglichen Regen, und wenn es nur ganz wenig ist: eine winzige Wolke, die an strahlenden Tagen heransegelt und — halb im Scherz — ausgedrückt wird, so wie ein Schwamm ausgedrückt wird.

In großen Meilern trocknen die Klumpen dieses bräunlichen Kuchens hinter jedem Haus, oft wächst der Torfstapel über das Dach hinaus, und so ist eins immer gesichert: das Feuer im Kamin, die rote Flamme, die über die dunklen Klumpen leckt, helle Asche hinterläßt, leichte, geruchlose, fast wie Zigarrenasche: weiße Spitze an der schwarzen Brasil.

Das Kaminfeuer macht einen der am wenigsten sympathischen (und genausowenig entbehrlichen) Gegenstände zivilisierter Geselligkeiten überflüssig: den Aschenbecher; wenn der Gast die Zeit, die er im Hause verbracht hat, in Zigaretten zerstückelt im Aschenbecher hinterlassen hat, die Hausfrau diese stinkenden Schalen leert, bleibt immer noch der zähe, fast klebrige schwarzgraue Dreck. Wunderlich genug, daß noch kein Psychologe die Niederungen der Psychologie erforscht und den Nebenzweig der Kippologie entdeckt hat, dann könnte die Hausfrau, wenn sie die zerstückelte Zeit einsammelt, um sie wegzuwerfen, sich an den Stummeln schadlos halten und sich ein wenig in Psychologie üben: da liegen sie also, die nur halb gerauchten, brutal geknickten Zigarettenstummel dessen, der nie Zeit hat und vergebens mit seinen Zigaretten gegen die Zeit um Zeit kämpft — da hat Eros einen dunkelroten Rand auf dem Filter hinterlassen — der Pfeifenraucher die Asche seiner Gediegenheit: schwarz, krümelig, trocken — dort liegen die sparsamen Reste des Kettenrauchers, der die Glut bis nahe an die Lippen herankommen läßt, bevor er die nächste Zigarette entzündet; leicht ließen sich da in den Niederungen der Psychologie wenigstens ein paar grobe Indizien sammeln als Nebenprodukte zivilisierter Geselligkeiten. Wie gütig ist das Kaminfeuer, das alle Spuren verzehrt; nur Teetassen bleiben, ein paar Schnapsgläser, der rotglühende Kern im Kamin, um den herum der Hausherr von Zeit zu Zeit neue schwarze Torfklumpen auftürmt.

Auch die sinnlosen Prospekte — für Eisschränke, Romreisen, »Goldene Bücher des Humors«, Autos und Eheanbahnung — , dieser Strom, der mit Einwickelpapier, Zeitungen, Billetts, Briefumschlägen beängstigend anschwillt, hier kann er unmittelbar in Flamme verwandelt werden, ein paar Holzstücke dazu, die man beim Spaziergang am Strand auflas: den Splitter von einer Kognakkiste, einen Keil, der über Bord gespült wurde, ausgetrocknet, weiß und so sauber: nur ein Zündholz an den Scheiterhaufen gehalten, und schon züngeln die Flammen hoch, und die Zeit, die Zeit zwischen fünf Uhr nachmittags und Mitternacht ist so schnell von der ruhigen Flamme des Feuers verzehrt; man spricht leise miteinander; wer hier schreien würde, kann nur eins von beiden sein: krank oder lächerlich. Am Kaminfeuer kann man hier die europäische Schule schwänzen, während Moskau seit vier, Berlin seit zwei, selbst Dublin schon seit einer halben Stunde im Dunkeln liegt: heller Schein liegt noch über der See, und der Atlantik trägt beharrlich Scholle um Scholle vom westlichen Vorwerk Europas weg; Geröll fällt ins Meer, lautlos tragen die Moorbäche dunkle europäische Erde in den Atlantik hinaus, in ihrem sanften Geplätscher schmuggeln sie krumenweise im Laufe von Jahrzehnten ganze Äcker hinaus in die offene See.

Die Schulschwänzer legen beklommen neuen Torf auf die Glut; sorgfältig geschichtete Brocken, die die mitternächtliche Dominopartie beleuchten sollen; langsam gleitet der Sucher über die Skala des Radioapparates, um die Uhrzeit abzufangen, aber nur Fetzen von Nationalhymnen werden aufgefischt: noch ist Polen nicht verloren — die Königin gesegnet — Maas und Memel, Etsch und Belt sind immer noch die Grenzen Deutschlands (das wird nicht gesagt und nicht gesungen, aber der unschuldigen Melodie sind diese Worte eingeprägt wie einer Drehorgelwalze) — immer noch hängen die Kinder des Vaterlands die Aristokraten an die Laterne; langsam glüht der grüne Sucher aus, und noch einmal leckt die Flamme am Torf hoch: eine Stunde Zeit liegt dort noch aufgeschichtet: vier Torfklumpen über dem Glutkern; der tägliche Regen kommt heute spät, fast lächelnd, leise fällt er ins Moor, ins Meer.

Das Motorengeräusch der heimfahrenden Gäste entfernt sich auf Lichter zu, die im Moor verstreut liegen, an schwarzen Hängen, die schon im tiefen Schatten liegen, während es am Strand und über der See noch hell ist; langsam nur schiebt sich die Kuppel der Dunkelheit auf den Horizont zu, schließt dann den letzten Spalt im Gewölbe, aber immer noch nicht ist es ganz dunkel, während es am Ural schon wieder hell wird, Europa ist nur so breit wie eine kurze Sommernacht.