21

Ich erwachte zu einem neuen grauen Tag. August hing mit dem Schnabel über der Stadt, wie ein zerzauster Seevogel. Die Wolken lagen wie dunkler Blasentang über Askøy und das erste Regentreiben war schon in der Luft.

Sigrid Karlsen wohnte in einem schmalen, zweistöckigen Holzhaus, dessen Front sich zum Giebel hin nach vorn zu neigen schien. Es war weiß, aber nicht neu gestrichen.

Die Eingangstür stand offen. Ein dunkler Gang führte zu einer Wohnung im Erdgeschoß, an deren Tür ein anderer Name stand. Eine Treppe führte ins erste Stockwerk hinauf. Dort wohnte Sigrid Karlsen hinter einer grünen Tür mit hohen, schmalen Fenstern und geriffeltem Glas. Ich drückte auf die Türklingel. Bald bewegte es sich in der Wohnung dahinter und eine kleine Frau öffnete mit einem vorsichtigen Lächeln die Tür.

»Frau Karlsen? Ich bin Veum.«
Sie öffnete die Tür vollends. »Kommen Sie herein.«

Wir kamen in einen kleinen, schmalen Vorflur, in dem kaum für mehr als eine Kommode und einen Spiegel Platz war. Die Kommode hatte eine deutliche Schramme an einer Ecke und quer über den Spiegel lief ein Sprung.

Sie streckte die Hand aus. »Sigrid Karlsen.«
»Varg Veum. Freut mich!«
»Ich werde Ihnen Ihren Mantel abnehmen, dann …« »Danke.«
»Wir gehen rüber in die Küche. Hier.«
Ich folgte ihr gehorsam. Wir kamen in eine kleine, weißge

tünchte Küche mit blaukarierten Gardinen vor den Fenstern, einem hellen Tuch auf dem Tisch und einem angenehmen Duft von Kaffee vom Ofen her. Die Küchenschränke hatten blaue Türen und an der Wand über dem Kühlschrank hing ein Kalender mit dem Bild eines Jungen und eines Hundes, die über eine dieser Blumenwiesen liefen, wie es sie nur auf solchen Bildern gibt. Auf dem Küchentisch stand ein Radio und erfüllte den Raum mit Kaffeekränzchenmusik, garniert mit entspanntem Geplauder.

Die Küche ging nach Norden hinaus, und über die Dächer der Nachbarhäuser sahen wir die Turmspitze der Nykirke ragen. Sigrid Karlsen zog einen Stuhl heran und holte Tassen, Untertassen und einen Teller für jeden von uns. In einer Schale lagen ein paar Kekse, und sie fragte, ob ich Sahne in den Kaffee haben wolle. Ich sagte nein danke und sie schenkte Kaffee in die Tassen. Während sie sich setzte, an die andere Seite des Tisches, sagte sie: »Ich war ein bißchen überrascht. Als Sie anriefen.«

»Das verstehe ich gut. Es ist ja so lange her.«
»Ja …« Sie sah gedankenverloren aus dem Fenster. Ihre Augen waren blau, hinter großen, silbern eingefaßten Brillengläsern, das Haar blond mit einer Ahnung von grau darin. Die

Gesichtszüge waren regelmäßig und jungmädchenhaft und nur die feinen Fältchen um Augen und Mund verrieten ihr Alter, das ich auf irgendwo zwischen fünfzig und sechzig schätzte. Sie war klein und zierlich, trug ein blaues Baumwollkleid und eine leichte, beigefarbene Strickjacke über den Schultern. Wenn sie Schminke benutzte, dann mit großem Talent.

Sie nahm ihren Blick vom Fenster und sah ein wenig scheu wieder mich an.
»Ich kenne mich gut aus hier draußen«, sagte ich. »Ich bin selbst in Nordnes aufgewachsen, nur ein bißchen weiter draußen.«
»Was du nicht sagst. Wir sagen doch ›du‹, oder? Ich wohne hier seit gleich nach dem Krieg. Wir wohnten hier, als … Holger hatte eine Wohnung versprochen bekommen gleich nach dem Krieg. Die Miete war nicht so schlimm, daß wir es nicht schaffen konnten. Er hatte eine gute Stellung und wir hatten gespart, was wir konnten. Wir haben es hier gut gehabt.«
Ich sah aus dem Fenster. »Dann hast du hier sicher einmal am Fenster gesessen und auf die Straße gesehen – und ich lief da unten, als Junge. Ich erinnere, daß wir hier ab und zu eingekauft haben. Es lag ein Fischgeschäft direkt hier unten, das stimmt doch, oder?«
»Doch.« Sie lächelte schwach. »Es lagen mehrere Geschäfte hier, damals. Jetzt sind nicht mehr viele übrig.«
»Nein.«
»Aber du mußt erzählen …«
»Ja. Aber ich glaube, ich möchte dich anfangen lassen, wenn du nichts dagegen hast.«
»Also gut. Was willst du wissen?«
»Ich möchte, daß du einfach erzählst, alles, was dir so einfällt, was du erinnern kannst von den Ereignissen vor und nach dem furchtbaren Brand.«
Sie nickte langsam. »Ich glaube, ich …«
Sie erhob sich und schenkte mir Kaffee nach. Dann sagte sie: »Ich hole nur eben …« Sie ging ins Wohnzimmer. Die Tür ließ sie nur angelehnt und ich sah einen Streifen eines dunklen Raums mit altmodischer Tapete in seidenartigem Blattmuster, alten Möbeln und einem Fernsehapparat, der dort nicht hinzugehören schien.
Sie kam mit einer eingerahmten Fotografie zurück. Die gab sie mir und ich saß eine Weile damit in der Hand da.
»Das sind wir an unserem Hochzeitstag. Das war 1947.«
Es war ein feierliches, gestelltes Bild. Die zwei jungen Menschen blickten starr in die Kamera, mit einem Lächeln, das wie in die Gesichter hineinretouchiert wirkte. Ich blickte zu ihr auf. Sie hatte sich nicht sehr verändert, aber es war mehr als dreißig Jahre her. Auf dem Bild hatte sie etwas Frisches, Jungmädchenhaftes an sich, etwas Helles und Sonniges. Der Mann an ihrer Seite war größer und dunkler. Das Gesicht war markant, mager mit einem kräftigen Kinn. Es war ein schönes Gesicht, aber er wirkte auffallend deplaziert in dem dunklen Anzug mit den breiten Aufschlägen, und die weiße Nelke im Knopfloch gehörte dort einfach nicht hin. Ich konnte ihn mir gut im Arbeitsanzug vorstellen. Das dunkle Haar war aus der Stirn gestrichen und direkt über den Ohren kurzgeschnitten.
Sie sagte: »Er war neunundzwanzig. Ich war sieben Jahre jünger.«
Ihr Kleid war weiß und weitfallend, der Brautstrauß üppig. »Die Nykirke war noch nicht wieder aufgebaut nach dem Krieg, also heirateten wir in St. Markus. Aber die Hochzeit selbst hielten wir in der Koch- und Stewart-Schule. Das war im November, bei klarem Wetter.«
Ich nickte. »Und er war Vorarbeiter bei Pfau?«
»Ja. Er war es gerade geworden und damit stieg sein Lohn um so viel, daß wir meinten, wir könnten es uns leisten zu heiraten. Wir hatten einander seit 1942 gekannt. Ostern.«
Sie hielt die Kaffeetasse in beiden Händen. »Das ist fast wie ein anderes Jahrhundert, die Zeit nach dem Krieg. Es waren magere Jahre, aber wir waren froh, daß der Krieg vorbei war, und wir waren voller Optimismus. Holger und ich waren jung und glücklich und wir glaubten, wir hätten die Zukunft vor uns. 1949 bekamen wir Anita. Es war eine schwere Geburt, denn ich war etwas zu schmal, aber es ging trotzdem gut. Oh, wenn ich zurückdenke … Ich seh ihn vor mir, frühmorgens, wenn er zur Arbeit sollte. Er saß da – genau da, wo du jetzt sitzt. Er war – ich fand, er war ein wunderschöner Mann. Ich habe ihn ja auch sehr geliebt.«
Leise sagte sie: »Tue es noch immer.«
»Er …«
»Er hatte das karierte Arbeitshemd an, die braunen Schuhe, den etwas zu langen Gürtel um – weil er doch so dünn war, der Arme. Er trank Kaffee und aß sein Brot und wenn Anita wach war, nahm er sie auf seinen Schoß und alberte und lachte. Er war ein guter Vater und er nahm sich Zeit für die Kleine. Sowas war damals durchaus noch ungewöhnlich und die anderen Kerle in der Gegend sahen ihm lange nach, wenn er mit Anita in der Karre den Abendspaziergang machte …« Sie setzte die Tasse ab. »Dann ging er also – oder nahm den Bus. Linie 6 oben vom Haugevei. Und kam nicht vor dem Abendessen, um fünf Uhr, nach Hause. Aber obwohl er müde war – und du weißt, eine Farbenfabrik, damals gab es nicht die gleiche Kontrolle, welche Stoffe benutzt wurden, wie heute – er hatte oft Kopfschmerzen. Er war ein guter Mensch, in Viken aufgewachsen, als jüngster von acht – und dann sollte er so früh sterben und so einen Nachruf bekommen. Es gab Leute, die mich danach noch jahrelang anriefen, Veum. Witwen von anderen, die da oben umgekommen waren. Sie riefen an und kamen mit Drohungen und sagten, daß Holgerdaß sie wünschten, er – würde in der Hölle schmoren, weil er ihre Männer ermordet hätte. Eine von ihnen schickte mir Blumen – jedes Jahr, am Jahrestag des Brandes – noch acht-neun Jahre nachher! Das erste Mal ahnte ich ja noch nicht, von wem sie waren und öffnete den Briefumschlag. ›Herzlichen Glückwunsch‹ stand auf der Karte. ›Gruß …‹ Später warf ich die Blumen in den Müll. Ich rief den Blumenladen an und bat, mir keine mehr zu schicken, aber da ging sie zu einem anderen. Ich rief die Polizei an, aber die sagten, sie könnten nichts tun. Zum Schluß hörte es von selbst auf. – Die Arme, sie war natürlich krank. Aber es waren ein paar böse Jahre, danach. Ich war allein mit Anita und es dauerte lange, bis die Versicherungsgesellschaft die Police auszahlen wollte. Sie behaupteten … – aber wenigstens in dem Punkt war die Polizei in Ordnung. Sie sagten, nichts könne bewiesen werden, weder Holgers Schuld, noch das Gegenteil. Und da es keine Beweise gab, mußten sie zum Schluß bezahlen. Ich sprach mit meinem Anwalt und der half mir. Aber das kostete Kraft, glaub mir. Ich hoffe, daß ich nie mehr was ähnliches erleben muß. Und das Schlimmste war, daß ich – ich wußte doch, daß er unschuldig war. Ich wußte, was er gesagt hatte, und ich kannte doch diesen Mann – besser, als irgendjemand sonst.«
»Erzähl, was er sagte.«
Sie sah an mir vorbei, fast dreißig Jahre zurück in der Zeit. »Er klagte selten. Er war Vertrauensmann im Betriebsrat über mehrere Amtszeiten, aber er gehörte nicht zu den Revolutionären. Von Natur war er Sozialdemokrat.«
»Wie die meisten Norweger.«
»Ja, vielleicht. Jedenfalls war er ein Mann der Zusammenarbeit. Wenn er eine Lösung aushandeln konnte, versuchte er Konflikte zu vermeiden. Aber selbstverständlich entstanden auch Situationen … – während der Lohnverhandlungen zum Beispiel … und er konnte stur sein, er wußte, was er wollte. Doch gerade in solchen Zeiten beklagte er sich nie. Es kam nur etwas über ihn – eine Art Traurigkeit. Er bekam lange, betrübte Furchen in der Stirn, die Augen wurden dunkler und sein Mund bekam einen scharfen, fast verbitterten Zug. Dabei war er so schön. Er konnte an einen jungen Dichter erinnern, einen Rudolf Nilsen vielleicht. Aber das war er ja nicht. Er saß am Verhandlungstisch und da ging es um Zahlen, um Arbeitsstunden und Wochenlohn.« Sie hielt inne, schenkte heißen Kaffee in unsere noch halbvollen Tassen, saß einfach nur da und schien dem Radio zuzuhören, aus dem ein Akkordeonensemble mit viel triefendem Gefühl den »Traum von Elin« spielte.
Dann sagte sie: »Die letzten Tage vor dem Brand war er genauso.«
»Trübsinnig?«
»Ja. Und ihm war unwohl. Ich sah es ihm an. Er war bleich, und mochte kaum was essen. Einmal, nachts – oder früh morgens – als er nicht wußte, daß ich wach lag, hörte ich, daß er auf dem Klo war, um sich zu erbrechen, ohne etwas herauszukriegen. Ich ließ vorsichtig anklingen, ob er nicht mal zum Arzt gehen sollte, aber er schüttelte nur den Kopf. Dann fragte ich, ob er irgendwelche Beschwerden hätte. – Da sah er mich nur mit diesem traurigen Blick an. Ich konnte sehen, wie die Muskeln in seinem Gesicht arbeiteten. Aber er sagte nichts. Nicht bevor er abends von der Arbeit kam. Plötzlich, beim Kaffee, stieß er hervor: Morgen geh ich zur Leitung! – Ich erinnere jedes Wort, als wäre es gestern gewesen – Morgen geh ich zur Leitung. Da muß eine Leckage sein, ich bin mir ganz sicher. Da sind noch andere außer mir, die Beschwerden gehabt haben. – Er erzählte, daß mehrere der anderen, die in der Produktionshalle arbeiteten, in der letzten Zeit von Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit geplagt gewesen seien, und er war überzeugt davon, daß irgendwo eine Leckage sein müsse. Ausströmendes Gas.« Ihre Stimme brach kaum merklich, als sie sagte: »Es hätte auch Explosionsgefahr bestehen können.«
Ich nickte. »Und am Tag danach …«
Mit plötzlicher Heftigkeit stieß sie hervor: »Am Tag danach ging er zur Leitung und gab Bescheid!«
Dann wurde sie ruhiger. »Es war ein komischer Tag. Ich weiß es noch wie … Es war April und es war richtig typisches Aprilwetter. Im einen Augenblick schien die Sonne, im nächsten goß es in Strömen. Ich hatte eingekauft, und als es auf dem Nachhauseweg zwischen den Schauern aufklarte, machte ich eine etwas weitere Runde durch Nordnes. Ich weiß nicht, ob du erinnerst, wie es zu der Zeit hier aussah?«
»Doch, doch.«
»Die Brandstellen nach den Bombenangriffen. Die rotbraunen Reste der Grundmauern und dann die neue Vegetation darüber. Ich sehe noch die sonnengelben, molligen Weidenkätzchen an dem Tag. Die Büsche waren voll davon. Und die Sonne wärmte, der Wind kam in plötzlichen Stößen und zerzauste dein Haar. Anita saß in der Karre und ich dachte: Gottseidank, endlich wird es Frühling. Es würde ein herrlicher Sommer werden, mit dem kleinen Kind und diesem lieben Mann. Wie die glücklichste Frau der Welt kam ich mir vor. – Und genau an dem Tag kam er zum Abendessen nicht nach Hause.«
»Nein?«
»Nein, und das war noch nie vorgekommen. Er kam nie zu spät, sondern immer … Ich hatte Eintopf gekocht und weiße Sagogrütze mit roter Soße zum Nachtisch. Ich rief in der Fabrik an, aber dort konnten sie mir nichts anderes sagen, als daß er zur gewohnten Zeit gegangen sei. Erst so gegen acht kam er nach Hause und da hatte ich noch nicht einmal Anita ins Bett gekriegt. Sie war so unruhig. Ich hörte ihn unten auf der Treppe, er kam schwerfällig herauf. Fummelte am Schloß herum. Ich saß drinnen in der Stube im Dunkeln. Er ging erst hier rein und ich sah ihn ganz deutlich im Licht bevor er zur Tür herüberkam und mich entdeckte. Er … Die Unterlippe war vorgeschoben, wie bei einem schmollenden Kind. Das Haar war wirr und er ging auf eine merkwürdig schlenkernde Weise. Als er zur Tür kam, blieb er stehen und lehnte sich in den Rahmen und das schlechte Gewissen leuchtete aus seinen Augen. Ich hatte ihn nie vorher so gesehen. Mir war klar, daß er getrunken hatte und er stank nach Bier. Alles, was er sagte, war: Sie wollten nicht auf mich hören. ,Wer?’ fragte ich, irritiert vor Sorge. ›Die Leitung‹, sagte er, fast fauchend. Später, als wir Anita endlich im Bett hatten und ich ihm einen Kaffee gekocht hatte und wir in der Stube sitzen und uns wieder beruhigen konnten … Da erzählte er, daß er zur Betriebsleitung gegangen war und sie von seinem Verdacht unterrichtet hatte. Doch die Leitung hatte ihn abgewiesen und gesagt, sie würde es überprüfen, aber ein Produktionsstop käme gerade jetzt überhaupt nicht in Frage.«
»Sagte er, mit wem er gesprochen hatte?«
»Wenn er sich schon so ausdrückte, wenn er nichts weiter sagte als die Leitung, dann konnte es sich nur um einen Mann handeln.«
»Und das war?«
»Hellebust. Der Direktor.«
»Der später abstritt, daß dein Mann überhaupt irgendwas gesagt hätte.«
Es funkelte in ihren Augen. »Ja. Ganz genau!« Die kleinen Fäuste ballten und öffneten sich und an den Schläfen traten plötzlich die Adern hervor.
»Und am Tag darauf …« Sie mußte tief durchatmen. »Am Tag darauf …« Tränen traten in ihre Augen und ihre Stimme war belegt. »Am Tag darauf hörte das Leben auf – auch für mich, Veum.«
Ich nickte stumm.
»Und es war ein wirklich schöner Frühlingstag! Keine Regenschauer. Die Sonne strahlte, aber ich war besorgt als er ging, wegen allem, was am Tag vorher passiert war. Er hatte etwas Verbissenes, Verbittertes, als er ging und ich fühlte mit ziemlicher Sicherheit – ich machte mir solche Sorgen, weil ich …«
»Weil du …?«
»Ich werde immer – bekomme immer Angst in Konfliktsituationen. Und an dem Tag war ich davon überzeugt, daß Holger sich entschlossen hatte, zu streiken, die Leute zum Streik aufzurufen – wenn die Leitung nicht nachgab.«
»Aber weißt du denn …«
»Nein, ich weiß nicht, was passierte, denn an dem Tag war Hellebust ja in Oslo, mit ihm konnte er also auf keinen Fall gesprochen haben – und dann … Als sie anriefen und erzählten …« Sie schluckte und schluckte.
»Ich stand mit dem Telefon in der Hand und war völlig gelähmt. Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nichts sagen. Ich ließ nur den Hörer fallen – sah ihn baumelnd da hängen. Ich konnte noch nicht einmal schreien. Ich war stumm, öffnete den Mund und mein Körper schrie, aber um mich herum war es ganz still. Ich hörte Anita mit ein paar ihrer Puppen plappern, drinnen im Schlafzimmer, hörte das laufende Radio und das Geblubber von irgendwas auf dem Herd. Aber in mir drin war nichts weiter als eine schrille, ohrenbetäubende Stille.«
Sie verharrte über die Kaffeetasse gebeugt. Der eine Zeigefinger strich behutsam an der Kante entlang, wie der Schatten einer Liebkosung. Leise sagte sie: »Danach hab ich allein gelebt.« Sie sah fast wie in Trotz zu mir auf. »Ist es nicht lächerlich, wenn eine Frau von fast sechzig von Liebe erzählt?«
»Nein.«
»Du bist so jung und gehörst in eine andere Zeit. Heute ist alles anders. Die Leute hasten aus der einen Ehe in die nächste, finden nie Ruhe, haben es so eilig, zusammenzukommen, daß sie … Aber haben sie Zeit zu lieben, wirklich zu …? Vielleicht gehörte ich auch zu den Privilegierten, weil ich es erleben durfte. Holger – ich hatte ihn so lieb, daß er mich auf eine Weise erfüllte. Er erfüllte mich – ganz und gar – und als er nicht mehr da war, war da nur noch Leere. Ein Vakuum, in das nichts Lebendes hineinkommen konnte. Verstehst du … Diese Liebe, so wie ich sie erlebte, verbrauchte mein Bedürfnis nach – solchen Dingen. Den Rest des Lebens verwende ich, oder werde ich für Anita verwenden: für das, was mir von Holger geblieben ist.« Sie sah mich jetzt direkt an. »Seit damals habe ich keinen Mann angerührt, niemanden geküßt, nicht – gar nichts.« Und mit einem schwachen Lächeln fuhr sie fort: »Es war nicht einmal eine Entbehrung. Kannst du das verstehen?«
Ich sah in ihr Gesicht. Nicht geküßt seit 1953, nicht den Ausbruch in die Gefilde der Sinnlichkeit erlebt, weil es nicht mehr nötig war. Weil sie dort schon gewesen war. Es hörte sich romantisch an – und ein bißchen altmodisch. Es machte sie eigentlich älter als sechzig. Aber auf eine merkwürdige Weise fühlte ich, daß ich sie verstehen konnte, daß da eine Art Verwandtschaft war zwischen uns, die wir da jeder auf seiner Seite des kleinen Küchentisches saßen: Die Frau von fast sechzig, die seit 1953 nicht mehr geliebt hatte, und der Mann mit den ersten grauen Haarsträhnen und einer erst kürzlich hinter die Stirn geritzten großen Sehnsucht.
Ich fragte: »Was macht deine Tochter?«
»Anita … Sie arbeitet in einer Tagesstätte draußen in Loddefjord. Sie mag Kinder gern, hat aber selbst noch keine. Sie hat nicht geheiratet und wohnt hier, immer noch. Sie konnte eine kleine Wohnung unter dem Dach mieten und ißt meistens hier unten. Auf diese Weise ist da immer noch jemand, der zu mir nach Hause kommt.«
»Wie nahm sie den Verlust auf?«
»Das ist schwer zu sagen. Sie war ja so klein, als es passierte. Sie verstand wohl im Grunde nicht, was geschehen war. Aber sie konnte völlig hysterisch werden, wenn ich mal einen Abend ausgehen wollte. Das war, als hätte sie Angst, daß ich auch einfach so verschwinden würde wie ihr Vater. Aber ich denke oft, daß das, was später mit mir passierte, viel schlimmer für sie war – meine Nervenprobleme, weil es sich so ewig hinzog, bis wir die Lebensversicherung ausgezahlt bekamen und dann all das schmutzige Gerede, die Anklagen gegen Holger, die Untersuchungen, die nie zu etwas führten, Treffen mit Versicherungsleuten, Anwälten, Polizisten … Es war ein fünf-sechs Jahre langer Alptraum, bevor es endlich ruhiger wurde und wir wieder versuchen konnten, wie normale Menschen zu leben. Das, womit sie später zu kämpfen hatte, hat vielleicht damit zu tun.«
»Etwas Bestimmtes?«
»Nein, nein. Aber alle haben ja – gefühlsmäßige Probleme heutzutage, hab ich den Eindruck. Sie hat ihre Quote abbekommen. Ich glaube nicht, daß irgendein Kind ohne Narben aus einer Phase ohne einen Elternteil herauskommt, ob sie nun durch Scheidung oder Todesfall verursacht wird.«
»Das mag sein.«
»Aber vielleicht bin ich altmodisch.« Sie wurde still.
Ihre großen Brillengläser reflektierten das Licht von draußen und schufen eine Form von Ferne: als säße sie auf der anderen Seite eines Fensters und sähe mich an.
»Sag mal«, sagte ich, »hast du jemals mit Hellebust gesprochen, über das, was passiert ist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich schrieb ihm, mehrmals. Ich flehte ihn an, zu sagen, was wirklich passiert war: zuzugeben, daß Holger bei ihm war und sich über die Leckage beschwert hatte.« Ihr Ton wurde bitter.
»Er würdigte mich niemals einer Antwort.«
»Nein. Direktoren haben größtenteils eins gemeinsam. Sie geben niemals Fehler zu.«
»Ich versuchte, ihn anzurufen, aber ich kam nie weiter als zu seiner Sekretärin.«
»Alvhilde Pedersen?«
»Ja, schon möglich. Ich habe keine Ahnung, wie sie hieß. Als ich am Rande der Verzweiflung angelangt war, überlegte ich, dorthin zu fahren und mich vor ihre Tür zu setzen, bis sie gezwungen gewesen wären, mit mir zu sprechen. Aber es wäre wohl nichts weiter passiert, als daß sie die Polizei gerufen hätten
– und mit denen hatte ich ja schon gesprochen. Außerdem erledigten sie die ganze Fabrikgeschichte im Laufe kurzer Zeit und Hellebust verließ das Land.«
»Die Polizei – mit wem hast du da gesprochen?«
»Naja, da waren verschiedene. Ich kann mich noch gut an den erinnern, den du am Telefon erwähnt hast. Nymark, nicht wahr? Er war einer von der soliden, zuverlässigen Sorte, zu denen man automatisch Vertrauen hatte. Ich glaube, er war auf meiner Seite, um es mal so zu sagen. Ansonsten hatte ich das beklemmende Gefühl, daß es mehr zählte, was Hellebust zu sagen hatte. Wenn Aussage gegen Aussage stand, dann mußte es ja Hellebust sein, der Recht hatte. Aber du hast gesagt, Nymark wäre tot, und daß da was Neues aufgetaucht ist?«
»Naja, was heißt neu. Ich kann dir erzählen, daß Hjalmar Nymark sich sehr mit diesem Fall beschäftigt hat, bis zu seinem Tod. Er ließ ihn nie los. Sein Tod kam sehr plötzlich, und irgendwie – irgendwie versuche ich, da weiterzumachen, wo er aufgehört hat. Was ich eigentlich tue, ist wohl, ein paar der Umstände um Hjalmar Nymarks Tod zu untersuchen – weil die Polizei es nicht tun will. Und diese Umstände, die umfassen unter anderem den Brand bei Pfau 1953 – und einen mysteriösen Todesfall, der sich 1971 ereignete. Aber die eigentliche Lösung des Ganzen liegt, glaube ich auf der Brandstelle von Pfau begraben.«
»Ein Todesfall, was …?«
»Sagt dir der Name Harald Wulff etwas?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er arbeitete bei Pfau. Als Bürobote.«
»Wir hatten nie irgendwelchen Kontakt zu denen, die im Büro arbeiteten. Ich habe mal einige von Holgers Arbeitskollegen getroffen, das war alles.«
»Tja. Das ist eine lange, verworrene Geschichte, und ich verspreche dir, daß ich hier rauskommen und dir alles erzählen werde, wenn ich ihr jemals auf den Grund kommen sollte. Und wenn du nicht meinst, daß es schon genug Aufstand gegeben hat, dann gehen wir zur Presse und ich werde dir helfen, deinen Mann endgültig zu rehabilitieren, ob es nun achtundzwanzig Jahre zu spät ist, oder nicht!«
Sie lächelte schwach – und traurig – als könne sie nicht recht an das glauben, was ich sagte.
»Aber, um es kurz zu sagen. Harald Wulff ist als Kollaborateur verurteilt worden, und er wurde stark verdächtigt, hinter einer Reihe zweifelhafter Todesfälle aus den Kriegsjahren zu stehen. Nymark – und ich würde annehmen, auch Konrad Fanebust – hatten den nicht gerade geringen Verdacht, daß der Brand bei Pfau gelegt worden sein könnte …«
»Ich erinnere mich noch gut an Konrad Fanebust. Er war immer so freundlich und er half mir auch später, gegenüber der Versicherungsgesellschaft. Vielleicht kann er etwas erzählen …«
»Er ist bald der einzige noch lebende – abgesehen von Hagbart Hellebust selbst – sodaß ich wirklich hoffe. Ich werde mit ihm reden.«
»Aber wie ging es weiter mit diesem Wulff?«
»Er wurde getötet, 1971. Jedenfalls ist das die offizielle Erklärung.«
»Die offizielle?«
»Ich meine, daß er es vielleicht doch nicht war, der getötet wurde. Vielleicht hat er überlebt, um es mal so auszudrücken. Und ist gar nicht tot. Sondern irgendwo da draußen.«
Unwillkürlich sah ich zum Fenster. Gegen meinen Willen spürte ich, daß meine eigenen Worte in mir ein Gefühl von Angst auslösten, mich in der Magengegend umklammerten und meine Mundhöhle austrockneten. Der Gedanke gefiel mir nicht, und die Stadt war plötzlich in dem grauen Wetter noch dunkler – dunkel und gefährlich. Wenn Harald Wulff wirklich irgendwo da draußen im Halbdunkel war, mit Gott weiß wie vielen Leben auf dem Gewissen, dann würden ein oder zwei Leben mehr oder weniger ihn nicht allzuviel kosten. Vielleicht hatte ich schon zuviel gesagt.
Wieder war da das ungläubige, unsichere Lächeln. »Aber …«
»Du glaubst doch nicht an Gespenster, oder?«
»Neeeiin.«
»Nein, aber ein Mensch mit einem Merkmal, das jedenfalls eine deutliche Gemeinsamkeit mit Harald Wulff darstellt, wurde in der Nähe gesehen, als Hjalmar Nymark starb und das unter meines Erachtens verdächtigen Umständen. Und da ich nun ebenfalls nicht an Gespenster glaube, gibt es nur eine Erklärung, oder nicht?«
»Doch!«
Ich konnte sehen, daß ich sie unsicher und verwirrt gemacht hatte, daß sie nicht mehr hundertprozentig sicher war, ob sie mir vertrauen konnte. Und ich verstand sie. Mir war klar, daß mir viele skeptische Gesichter begegnen würden, wenn ich weiterhin herumging und von dreißig Jahren alten Verbrechen erzählte, von verdächtigen Todesfällen aus dem Krieg und von Gespenstern.
»Findest du, daß sich das unwahrscheinlich anhört?«
Sie betrachtete mich durch ihre großen Brillengläser. »Ich weiß nicht. Es ist nur so schwer, sich umzustellen, sozusagen von vorn anfangen zu sollen. Vielleicht … Vielleicht ist es besser, es so zu lassen, wie es ist, es wird nur noch mehr Unglück mit sich bringen, wieder darin herumzurühren.«
Ich sah über den Rand der Kaffeetasse zu ihr hinüber.
»Ich verstehe, daß du skeptisch bist. Aber – ich empfinde es jedenfalls als eine Verpflichtung, Hjalmar Nymark gegenüber. Ich werde die Untersuchungen fortsetzen, so weit ich komme. Aber ich werde versuchen, dich nicht mehr damit zu belästigen.«
»Du belästigst mich ganz und gar nicht, versteh mich nicht falsch. Nur, ich … Ich bin 58 Jahre alt und Witwe, seit ich 31 bin. Das Leben, das ich einmal hatte, ist verspielt. Ich liebe Holger, ja, ich sage liebe – in der Gegenwart. Für mich wird er immer Gegenwart sein. Aber das bedeutet auch, daß ich 27 Jahre in einem leeren Raum gelebt habe. Jahre, die ich mit ihm zusammen hätte haben sollen, habe ich ohne Liebe, ohne Berührung gelebt. Meine Zärtlichkeit habe ich einem Blumenbeet auf einem Grab gegeben, Freude hat sich an Erinnerungen geknüpft – und an Anita. Du mußt verstehen, daß ein Mensch – daß ich müde werde.«
Ich sagte leise: »Natürlich. Ich will nicht, ich …«
Ich wandte den Kopf zur Seite, starrte verzweifelt um mich, suchte nach etwas, was ich sagen konnte, etwas anderem. Ich sagte: »Was – was tust du sonst? Arbeitest du?«
Sie nahm die Brille ab und legte sie vor sich auf den Tisch. Der Blick wurde schmal und ziellos. Sie massierte sich hart mit den Handflächen die Augen. »Ja, ich habe eine halbe Stelle unten in der Bezirksverwaltung, drei Tage die Woche.«
»Also du arbeitest – da unten?« Ich sah auf das dunkle, hohe Verwaltungsgebäude des Bezirks Hordaland hinunter und bekam eine Gänsehaut. Das Gebäude mit den braunen Metallplatten an der Fassade erhob sich wie ein Staudamm gegen die Strandgate, in grellem Kontrast zu den hübschen, kleinen Holzhäusern auf der anderen Seite des Ytre Markvei. Wenn die Herbststürme und der Sommerregen einsetzten, konnte es wirklich ein dunkler und wenig gastfreundlicher Bezirk sein, aber so lebensfeindlich war er denn doch nicht: ein so häßliches Monument hatte er nicht verdient.
»Ja.« Als läse sie meine Gedanken, sagte sie: »Ich weiß noch … als wir hier einzogen. Wir konnten direkt auf Vågen hinuntersehen. Die Schiffe, die kamen und gingen. Die großen Passagierschiffe auf Skolten – die Amerikalinie …«
»Ja. Das war einmal, wie es heißt. Es wird damit wohl sein, wie mit den Märchen. Bald wird es auch niemanden mehr geben, der daran noch glaubt.« Ich erhob mich und stand unschlüssig mitten im Raum. »Dann werde ich mich wohl verabschieden. Und, danke!«
Sie war auch aufgestanden. »Ja, dann. Ich danke dir.«
Sie begleitete mich in den Vorflur, wo ich meinen Mantel anzog und die Wohnungstür öffnete. Bevor ich hinausging sagte sie: »Dann meldest du dich, wenn du etwas herausfindest?«
»Wenn du willst?«
Sie nickte nur stumm, ohne noch etwas zu sagen. Ich nickte zurück, lächelte hilflos und war wieder auf dem Weg hinaus ins Tageslicht.

22

Das Tageslicht kann befreiend sein, aber auch durchdringend und unbarmherzig wie eine Röntgenlampe. Ich war nicht in der Stimmung, durchleuchtet zu werden und folgte den Schattenreihen der Häuser zurück ins Zentrum. Es war an der Zeit, sich zu erkundigen, ob Konrad Fanebust mich empfangen würde.

In einer an Helden armen Stadt war Konrad Fanebust einer der wenigen. Lebten wir in bombastischeren Zeiten, hätte vielleicht jemand auf der Torgalmenning einen Sockel errichtet und eine Statue von ihm dort aufgestellt. Es waren tatsächlich mehrere Bücher über seine Heldentaten und Aktionen während der Kämpfe 1940 und später im Widerstand während der Okkupation geschrieben worden. Und als Jungs am Anfang der 50er Jahre sprachen wir mit der gleichen Ehrfurcht von ihm, mit der wir Hopalong Cassidy, Roy Rogers und Shetland-Larsen erwähnten. Nach dem Krieg wurde er bald zu einer Art Gallionsfigur und hätte er einer anderen Partei angehört, wäre ihm ein Ministersessel sicher gewesen. So mußte er sich mit einer Amtszeit als Bürgermeister von Bergen zufrieden geben, wobei es mehr geworden wären, wenn er es nicht vorgezogen hätte, sich aus der Politik zurückzuziehen. Danach verschwand er mehr oder weniger hinter die Kulissen. Aus den Zeitungen ging allerdings hervor, daß er eine erfolgreiche und betriebsame Schiffahrtsgesellschaft leitete und das in Zeiten, in denen die Reedereiwirtschaft nicht eben wenige Klippen zu umschiffen hatte. Abgesehen davon zog man ihn nach wie vor hinzu, wenn das eine oder andere Kriegsjubiläum begangen werden sollte, das der Besetzung oder der Befreiung, obwohl er in allen Interviews beteuerte, wie ungerecht es sei, gerade ihn immer wieder und auf Kosten all der anonymen Freiheitskämpfer hervorzuheben, die während des Krieges seine Kampfgenossen gewesen waren.

Konrad Fanebust hatte Büros mit Aussicht auf Byparken, im zweiten Stock, und von einem Vorzimmer gehobenen Stils mit großen, braunschwarzen Möbeln, orientalischem Teppich und einer großen, dunkelgrünen Palme in einer Ecke schirmte seine Sekretärin ihn vor der Umwelt ab. Schon allein in ihr Büro vorzudringen, war kein einfacher Job.

Die Sekretärin war höflich, charmant und abweisend. Sie war Ende dreißig, hatte goldbraunes Haar, trug einen schwarzen Pullover und einen grauen Rock und äußerst gepflegte weiße Hände mit blankem Lack auf kurzgeschnittenen Nägeln. Und sie beherrschte den Refrain:

»Haben Sie einen Termin?«
Ich schüttelte betrübt den Kopf. »Nein, leider nicht.« »Dann fürchte ich …«
»Fürchten Sie nichts. Erzählen Sie einfach Fanebust, daß ich

anläßlich des Todes eines gemeinsamen Freundes hier bin. Hjalmar Nymark. Sagen Sie, es sei wichtig. Äußerst wichtig.« Sie betrachtete mich nachdenklich. »Also gut. Haben Sie Zeit, zu warten?«

Ich machte eine generöse Armbewegung. »Wenn Zeit Geld bedeutete, wäre ich reich.«
»So.« Sie lächelte ein wenig spitz, klopfte dann aber an eine Tür und wartete auf Antwort, bevor sie hineinging.
Solche Büros wirken immer dunkel. Die Fenster sind schmal und altertümlich, die Wände so dick, daß du kaum das Verkehrsrauschen hörst, die Zentralheizung schafft eine gleichbleibende Durchschnittstemperatur während aller zwölf Wintermonate des Jahres und vor den Fenstern könnte die Atombombe fallen, ohne daß du es bemerken würdest. So kommt es einem jedenfalls vor.
Sie kam zurück, ließ aber die Tür hinter sich nur angelehnt. Das war ein gutes Zeichen. »Sie können hineingehen. Er hatte gerade einen Augenblick Zeit.«
Ich dankte und lächelte. Mir war klar, daß sie eine tüchtige Sekretärin war, die mit Umsicht über die Augenblicke ihres Chefs wachte. Ich ging hinein und verschloß sorgfältig die Tür hinter mir.

Konrad Fanebust saß am Schreibtisch und schrieb. Er sah kurz und prüfend zu mir auf. Dann zeigte er mit der freien Hand auf einen Stuhl, während er weiterschrieb. Er war ein Mann mit Sinn für Systematik: ein Ding zur Zeit.

Ich bekam Gelegenheit, sowohl Fanebust, als auch sein Büro eingehend zu betrachten, bevor ein einziges Wort fiel.
Das Büro war groß, Bücherschränke mit Glastüren davor bedeckten die Wände und die hohen Fenster waren mit Hilfe tiefgrüner Samtgardinen noch schmaler gemacht worden. Der Teppich war so dick, daß es sich, als ich den Raum zu dem mir angewiesenen Stuhl hin durchquerte, anhörte, als hätte ich Katzenpfoten. Es war ein altmodischer Stuhl, mit hohem, schmalen Rücken, aber durchaus nicht unbequem.
Fanebusts Schreibtisch hätte selbstverständlich größer sein können, wenn man eine Polonese darauf veranstalten wollte. So war aber reichlich Platz für einen konzentrierten Tango, solange man den Ausfallschritt nicht übertrieb.
Konrad Fanebust mußte ungefähr 65 Jahre alt sein. Ich erkannte ihn aus den Zeitungen wieder, nur sein Haar war weißer, als ich es erinnerte. Das Gesicht war markant, knochig und charaktervoll. Die Augen blitzten blau unter buschigen, grauweißen Augenbrauen und die Gesichtsfarbe war rotbraun und frisch, was durch den Kontrast zu dem weißen Haar noch hervorgehoben wurde. Er trug einen diskreten, koksgrauen Anzug mit Weste, hellblauem Hemd und perlgrauem Schlips. Er schrieb schnell und in langen Zügen mit dem Füllfederhalter.
Dann legte er den Federhalter weg, überflog die letzten Linien und machte ein paar stumme Mundbewegungen, bevor er die Blätter in eine Mappe und das Ganze zur Seite legte. Erst dann sah er wieder zu mir auf. Sein Blick war offen und direkt. Er rieb die Hände leicht gegeneinander und sagte: »So.« Dann erhob er sich hinter dem Schreibtisch und streckte die Hand über die Tischfläche aus, ohne sich um den Tisch herumzubewegen. Ich mußte aufstehen und mich über den Tisch vorbeugen, um ihm die Hand zu schütteln und fühlte mich unbeholfen dabei. Das war effektive Kundenbehandlung und ich notierte es mir für spätere Gelegenheiten. Wenn du von Anfang an die Oberhand behalten willst, dann bleib auf deiner Seite des Schreibtisches.
»Veum.«
»Fanebust.«
Wir grüßten kurz, wie Duellanten. Fanebust setzte sich als erster wieder. Er besaß die Initiative, daran war kein Zweifel.
»Sie sagten zu Frau Larsen, es ginge um den Tod meines alten Freundes Hjalmar Nymark?«
»Ja. Ich war selbst ein Freund von … Sie waren nicht bei der Beerdigung?«
»Nein, leider nicht. Ich war in Athen und sah es erst in der Zeitung, als ich zurückkam. Es war traurig, ich wäre gerne dort gewesen. Wissen Sie – wenn alte Freunde auf diese Weise sterben, dann hat man immer das Gefühl, sie vernachlässigt zu haben, und das hat man in gewisser Hinsicht ja auch. Man hätte sie öfter besuchen sollen, nur dann ist es plötzlich zu spät, und was einem bleibt ist nur ein schlechtes Gewissen. – Nun war es allerdings einige Jahre her, daß Hjalmar Nymark und ich gemeinsame Aufgaben hatten, aber ich habe immer versucht, den Kontakt zu den Jungs von damals aufrecht zu erhalten. Zu denen, die noch übrig sind.«
Er sah mich verständnisinnig an. »Aber lassen wir das. Erzählen Sie mir, weshalb Sie hier sind.«
»Ich bin aus zwei Gründen hier – oder dreien. Hauptsächlich aufgrund gewisser Umstände in Zusammenhang mit Hjalmar Nymarks Tod …«
Er hob die Augenbrauen als Kommentar.
»Und außerdem bin ich hier wegen des Brandes bei Pfau und eines Mannes, den sie ›Giftratte‹ nannten.«
Ich ließ die Worte in Ruhe einsinken. Seine Augenbrauen senkten sich wieder, aber das Gesicht verriet gar nichts. Er besaß das dem erfahrenen Politiker und Geschäftsmann angeborene Pokerface. Alles, was er sagte, war: »So …«
Äußerst kurz referierte ich, was Hjalmar Nymark mir über den Brand bei Pfau, die Ermittlungen danach und den Verdacht gegenüber Harald Wulff erzählt hatte. Zum Schluß sagte ich, das ganze abrundend: »Also mit anderen Worten … Ich bin hauptsächlich hier, um bestätigt zu bekommen, was Hjalmar Nymark erzählte – und außerdem eventuell, um zu erfahren, ob Sie noch mehr erzählen können, was Hjalmar Nymark vergaß, oder nicht wußte.«
Ich hob eine Hand, um anzudeuten, daß er das Wort hätte.
Er betrachtete mich reserviert. »Sagen Sie mir erst, wen Sie repräsentieren und um was für Umstände im Zusammenhang mit Hjalmar Nymarks Tod es sich handelt. Sind Sie Journalist?«
»Ich bin Privatdetektiv, aber ich bin hier als Hjalmar Nymarks letzter Freund, um es mal so auszudrücken. Er war ein einsamer Mann, zuletzt.«
»Privatdetektiv?«
»Ja, aber, wie gesagt – es hat mich niemand engagiert. Ich bin aus eigener Initiative hier, und was die mysteriösen Umstände betrifft …«
Ich griff von der Seite her an. »Glauben Sie, daß ›Giftratte‹ tot ist?«
Er schien erstaunt. »›Giftratte‹? Tja. Nun bekamen wir ja unseren Verdacht nie bestätigt und ich bezweifle, daß das jemals geschehen wird. Ich erinnere mich, in der Zeitung gelesen zu haben, daß Wulff tot sei; das ist nun schon einige Jahre her.«
»Das war 1971.«
»Soso. Das kann stimmen.«
»Wie stark war euer Verdacht gegenüber Wulff?«
Er lehnte sich im Stuhl zurück, steckte die Daumen in die Westentaschen und starrte auf einen Punkt irgendwo über meinem Kopf. Der Blick war gedankenvoll. Er sagte: »Das ist viele Jahre her, Veum. Wenn ich jetzt daran zurückdenke.«
Sein Blick kam wieder herunter. »Aber es gelingt mir nicht oft, die Gedanken daran zu vermeiden. Ich trage noch immer die Narben der Verletzungen, die ich im Krieg bekommen habe, und die Nächte können noch immer quälend sein.«
Dann glitt der Blick wieder nach oben, als befände sich dort über meinem Kopf die Vergangenheit. »Ich durchlebe immer noch wieder die Untersuchungen – nennen Sie es ruhig Verhöre
– die wir damals durchführten, 1953, nach dem Brand. Wir hatten uns ein paar Büros der alten Polizeiwache in der Allehelgensgate zuteilen lassen. Spät abends saßen wir und gingen technische Berichte durch, Zeugenaussagen der Angestellten, zufälliger Passanten und der Brandspezialisten. Es waren ruhige Abende, damals, Anfang der 50er Jahre. Da war abends noch nicht solch ein Verkehr. Wenige Autos, der eine oder andere Bus, ein Taxi. Es war ein recht kleines Büro, das überfüllt wirkte, wenn wir zu dritt waren. Ich saß an einer Längsseite des Schreibtisches, Hjalmar Nymark an der anderen und eingeklemmt zwischen Schreibtisch und Wand saß der, mit dem wir sprachen. Direkt unter dem einzigen Bild im Raum – einer Fotografie König Haakons. Und einer derjenigen, mit denen wir am längsten und häufigsten sprachen, war Harald Wulff.«
Das Gesicht verhärtete sich. »Er fühlte sich getreten, wiederholte er wieder und wieder. Wir hatten ihn auch 1945 verhört, er kannte uns also. Daß er eine Strafe wegen Landesverrats abgesessen hätte, gäbe uns nicht das Recht, ihn so zu behandeln. Wir kümmerten uns wenig um diese Einwände. Sowohl Hjalmar Nymark als auch ich hatten während des Krieges schlimme Sachen erlebt, und das war noch nicht so viele Jahre her. Außerdem war dies alles vor der Zeit der großen Verteidiger. Heutzutage bekommt ja das abscheulichste Nazipack eine Behandlung wie des Königs Schoßhunde.«
Er lächelte schief. »Ich sehe Hjalmar Nymark da am Tisch, groß und gutmütig, aber hart wie Stein. So war er während des Krieges auch. Er wurde nie erschöpft. Morgens um vier, wenn sich mein Gesicht anfühlte wie verschimmelte Spagetti, war er noch immer frisch und energisch. Harald Wulff hing längst in den S eilen, während Hjalmar Nymark um ihn herumtanzte und ihn aus der Reserve locken wollte.«
»Aber er fiel nie um?«
Sein Blick kam schwerfällig zurück ins Jetzt. »Er fiel nie um. Er schwankte nicht einen Fingerbreit. Und das machte uns unserer Sache noch sicherer. Wäre er zusammengebrochen, hätte er um Verständnis gejammert, vielleicht hätten wir gezögert. Aber er war – er zeigte keine anderen Gefühle als Irritation, Wut. Und wenn er noch so müde und erschöpft war, gab er nichts preis. Und genau so – genau solch ein Typ Mensch mußte ein Mann wie ›Giftratte‹ sein. Eine schwarze Katze mit neun Leben, die immer auf allen Vieren landete, egal, von wie hoch sie gefallen war.«
Wieder verhärtete sich sein Gesicht. »Wir waren mit mehreren seiner Opfer während des Krieges eng befreundet. Er machte ihnen gnadenlos den Garaus, auf seine giftige, unsichtbare Weise. Unfälle widerfuhren Menschen, die das Unglaublichste überlebt hatten. Menschen, die hundert Meter senkrecht die Felsen hochgeklettert waren, nachdem man sie von einem Fischkutter bei hartem Seegang an Land gesetzt hatte – solche Menschen fallen nicht die Treppe hinunter und brechen sich das Genick. Sowas passiert einfach nicht. Menschen, die zwei Stunden über einen teilweise vereisten Hardangerfjord geschwommen sind, fallen nicht in Vågen und ertrinken! Ich erinnere mich, daß wir, Hjalmar Nymark und ich, nach einer der nächtlichen Sitzungen ernsthaft diskutierten, ob wir ihn schlicht und einfach ins Auto verfrachten, an einen entlegenen Ort fahren und liquidieren sollten. Wir hatten solche Dinge während des Krieges getan – und für uns war Harald Wulff ein Überbleibsel dieses Krieges, ein Repräsentant des alten Feindes, auch wenn wir uns tausendmal im Jahre 1953 befanden.«
Er schüttelte irgendetwas mit einem Schulterzucken ab. »Aber wir taten es also nicht. Hjalmar stellte sich dagegen. Er war zu sehr Polizist geworden. Im Zweifel für den Angeklagten. Hätten wir sichere Beweise gehabt, dann … aber sonst nicht. Und das war’s dann. Zum Schluß mußten wir ihn gehen lassen. Wieder hinaus in die Freiheit. Wir setzten unsere Arbeit fort. Verhörten andere, versuchten, den einen schwachen Punkt zu finden – denn der mußte da irgendwo sein, glaubten wir.«
»Und was ist mit dem Brand? Dieser Vorarbeiter, Holger Karlsen, der sozusagen die Schuld bekam …«
»Das war ein Skandal. Ein Mann wie Harald Wulff ging frei aus – und ein gewissenhafter, zuverlässiger Arbeiter wie Holger Karlsen bekam die Schuld. Jedenfalls die Verantwortung, im Bewußtsein der Leute. Ich weiß noch, wie seine Frau zu mir kam. Sie war völlig verzweifelt.«
»Ja. Ich habe mit ihr gesprochen. Ich hörte, Sie hätten ihr hilfreich zur Seite gestanden?«
»Oh, das war nicht der Rede wert.«
»Hjalmar Nymark meinte, Holger Karlsen sei vielleicht niedergeschlagen worden.«
Er betrachtete mich mit festem Blick. »Das ist korrekt. Er hatte starke Kopfverletzungen. Im Abschlußbericht hieß es, daß sie wahrscheinlich von herabgefallenen Teilen der Dachkonstruktion herrührten. Es hätte ebensogut ein Schlag mit einem harten Gegenstand gewesen sein können. Für Hjalmar und mich war das ungefähr die Stelle, an der wir dem vermuteten schwachen Punkt am nächsten kamen. Wenn wir nur die – mögliche – Mordwaffe gefunden hätten … Aber wir fanden sie nie und hätten wir sie gefunden, wäre es nicht möglich gewesen, Fingerabdrücke sicherzustellen, es wäre alles versengt gewesen. Aber hör mal, du hast mir noch nicht geantwortet … Was ist denn passiert mit Hjalmar.«
»Hjalmar Nymark wurde im Juni von einem unbekannten Autofahrer überfahren. In der letzten Woche wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, viel zu früh nach meiner Meinung, aber sie schoben es auf den Personalmangel. Ich fuhr hin, um ihn zu besuchen, im dritten Stock in einem Haus in der Skottegate. Die Tür sollte offenstehen, denn er erwartete eine Haushaltshilfe. Aber als ich ankam, war die Tür verschlossen. Die Haushaltshilfe war auch da und wir brachen ein – und fanden ihn im Bett. Auf dem Boden lag ein Kopfkissen. Für mich sah es fast so aus, als könnte jemand ihn erstickt haben, aber die Obduktion ergab Herzstillstand, als Folge der starken Belastungen und der Schäden, die er sich bei dem Unfall zugezogen hatte. Die Polizei fand keinen Grund, den Fall zu untersuchen.«
»Aber Sie?«
»Die Haushaltshilfe sah einen Mann das Haus verlassen, als sie kam. Der Mann hinkte auf einem Bein – wie es ›Giftratte‹ nachgesagt wurde – und wie es jedenfalls Harald Wulff tat.«
Er sah mich skeptisch an. »Naja …«
»Und noch eins. Vor dem Unfall zeigte Hjalmar Nymark mir eine Schachtel mit alten Zeitungsausschnitten, Kopien von Berichten und so weiter von 1953. Ich durchsuchte die Wohnung, nachdem ich ihn fand, und die Polizei tat dasselbe. Wir fanden die Schachtel nirgends. Jemand hat sie entfernt. Und wer sollte daran ein Interesse haben?«
Er nickte langsam. »Da ist etwas Wahres dran. Aber was ist mit – Harald Wulff starb doch damals 1971 wirklich, oder?«
»Oder es starb ein anderer 1971. Ich bin durchaus nicht so sicher, daß es Harald Wulff war. Aber wenn er es wirklich war … Wäre es denkbar, daß ›Giftratte‹ trotz allem jemand ganz anderes war?«
Er betrachtete mich nachdenklich. »Selbstverständlich. Alles ist möglich. Aber in dem Fall sind die Spuren so kalt, daß es hoffnungslos wäre, ihn jetzt noch zu finden.«
»Diese Spuren nicht!«
»Nein, die vielleicht nicht. Aber trotzdem. Ich würde annehmen, daß, was ›Giftratte‹ angeht, abgesehen von ihm selbst, in ganz Norwegen Hjalmar Nymark und ich diejenigen sind, die am meisten über ihn wußten. Und wir hätten beide unsere rechte Hand darauf verwettet, daß Harald Wulff ›Giftratte‹ war.«
»Aber in dem Fall – in dem Fall bist du der einzige, der …«
Es wurde still zwischen uns. Der letzte Gedanke hatte Stille gesät. Wieder einmal fühlte ich, wie mich das schleichende Unbehagen überkam. Wieder einmal spürte ich eine Art unsichtbarer Anwesenheit, als säße Harald Wulff mit uns im Raum und erfüllte uns mit Kälte. Konrad Fanebust durchbrach die Stimmung, indem er auf die Uhr sah. »Tja, also, ich habe leider einen Termin, Veum. Aber egal. Sollte es noch mehr geben, was Sie wissen müssen, dann melden Sie sich ruhig. Ich hege größte Sympathie für das, was Sie tun, und sollten Sie etwas herausfinden, würde ich großen Wert darauf legen, wenn Sie mich auf dem Laufenden hielten. Ich werde – Sie können durchaus davon ausgehen, daß ich für Ihre ökonomische Unabhängigkeit sorge, um es ein wenig formell auszudrücken.«
Ich erhob mich. »Das wäre sehr freundlich, aber ich betrachte das ganze als einen Freundschaftsdienst für Hjalmar Nymark.«
Er erhob sich hinter dem Schreibtisch. »Dann lassen Sie mich die Zeche bezahlen, auch als einen Freundschaftsdienst für Hjalmar.«
Ich öffnete den Mund, aber er winkte kurz ab.
»Wir kommen auf die Frage später zurück.«
Ich hob die Schultern und protestierte nicht, sondern sagte: »Dann bedanke ich mich.«
Er nickte kurz. »Auf Wiedersehen.«
Ich ging zur Tür, leise auf dem weichen Teppich. Ich hatte die Hand schon an der Türklinke, als er mich zurückhielt.
»Veum …«
Ich drehte mich um.
Er hatte sich um den Schreibtisch herumbewegt und stand daneben.
»Hören Sie, Veum … Wenn er tatsächlich wieder davongekommen sein sollte. ›Giftratte‹. Suchen Sie ihn mir, Veum. Finden Sie ihn!«
Wie er da neben dem Schreibtisch stand, wohlgekleidet, mager und weißhaarig, mit einem energischen Gesichtsausdruck und die Finger um den Tischrand gekrümmt, erinnerte er an einen alternden U.S.-Marshai, klar zum letzten, entscheidenden Duell.
Ich nickte stumm, öffnete die Tür und ging, bevor er ziehen konnte.

23

Ich aß in einer dieser Cafeterias zu Abend, in denen sie die norwegische Volksseele auf Tellern servieren: wässrige Kartoffeln, völlig zerkochtes Gemüse und eine Wurst, die in einer Fettlache schwimmend nach Luft japste. Der Nachmittagsdunst lag flach und grau über den roten Dächern am Fjellhang und die Autoschlangen wiesen wie Uhrzeiger vom Zentrum weg. Die Straßen wurden menschenleer gesogen, wie durch eine unerbittliche Zentrifugalkraft. Die Abgase mischten sich mit dem grauen Dunst und umgaben die Nachmittagsstunden mit einem Lichtschein wie von einem rauchigen Lagerfeuer.

Das Haus, das Elise Blom gehörte, war zweistöckig und einmal weiß gewesen. Die verflossenen Jahre hatten auf dem Holz ihre Fingerabdrücke hinterlassen, und hinter den verschlossenen Fenstern hingen grauweiße Gardinen und versperrten die Einsicht. Nur im ersten Stock leuchtete es schwach von einer Stahllampe direkt neben einem der Fenster.

Zwei schiefe Treppenstufen führten zu einer braunen Haustür, aber noch bevor ich die unterste erreicht hatte, wurde die Tür geöffnet. Die Frau, die herauskam, empfing mich mit dunkelbraunen, feurigen Augen, aber es war nichts Einladendes an ihnen. Ich hatte einmal eine Lehrerin mit solchem Blick gehabt und sie hatte nie Disziplinprobleme.

»Wollten Sie zu mir?« fragte sie, als sei die Gasse ihr Privateigentum und als hätte ich mich einer schwerwiegenden Grenzverletzung schuldig gemacht.

»Elise Blom?« fragte ich und fuhr unwillkürlich zusammen. Ihre Lippen strammten sich und sie schob kaum merklich das Kinn vor. Es war ein starkes Kinn und erinnerte mich am meisten an die Elise Blom, die ich aus den Zeitungsberichten nach dem Pfau-Brand kannte. Damals war ihr Haar stramm aus dem Gesicht gekämmt, was ihre knochigen, klassischen Züge noch unterstrichen hatte, die sie selbst auf einem grob gerasterten Foto zu einer augenfälligen Schönheit machten. Nun waren fast dreißig Jahre vergangen und das Gesicht hatte etwas Konturloses, Zerfließendes bekommen. Das Kinn war immer noch da, aber sonst schienen die Züge die Proportionen verloren zu haben. Der Mund hatte etwas Schiefes, Aggressives, als sei sie der Schurke in einem Western und spräche die ganze Zeit nur durch einen Mundwinkel.

Sie war für einen abendlichen Stadtbummel gekleidet: in blauem Mantel, braunen Schuhen, eine rote Handtasche in der einen Hand. Sie war stark geschminkt und der Mund war rotgemalt, mit Konturen, die die schmalen, altjüngferlichen Lippen voller erscheinen ließen. Wie um zu unterstreichen, daß sie wirklich im Begriff war, zu gehen, zog sie die Tür hart hinter sich zu. Sie blieb auf der obersten Treppenstufe stehen. »Wer sind Sie?« fragte sie.

»Ich heiße Veum und ich komme anläßlich einiger Ermittlungen, die ich im Zusammenhang mit dem Brand bei Pfau anstelle, falls Sie sich daran erinnern.«

Ein höhnischer Ausdruck durchzog flüchtig ihre Augen. Es waren die kältesten Augen, die ich jemals gesehen hatte.
»Was für Ermittlungen, wenn ich fragen darf?«
»Es sind Dinge geschehen, die Anlaß geben, sich einmal ausführlich mit dem, was damals, 1953 passiert ist, zu befassen.« Ich unterließ absichtlich, 1971 zu erwähnen. Hier würde es sich unzweifelhaft lohnen, schrittweise vorzugehen.
»Und woher kommen Sie? Von der Polizei?« Ohne auf Antwort zu warten, stieg sie von der Treppenstufe herunter, und ging dicht an mir vorbei mit schweren Schritten zur Øvregate hinunter.
Ich hastete hinterher. »Nein, nicht von der Polizei. Ich bin eine Art Freelancer.«
Sie sah mich kurz an, schnaubte verächtlich und ging weiter die Gasse hinunter. Eine Wolke von Parfüm stand um sie herum, ein Duft von welken Rosen, die zu lange im Rinnstein gelegen hatten. Sie hatte eine auffällige Gangart. Der Oberkörper schien nach vorn zu kippen, während die Hüftpartie hinterherhing, und sie setzte die Beine schwer und plattfüßig auf den Boden. Wäre ich ein ungebildeter Mensch, hätte ich gesagt, sie ging wie eine Kuh. Aber meine Mutter hatte mir beigebracht, solche Dinge für mich zu behalten.
»Es hat nämlich einen Todesfall gegeben«, fuhr ich fort und holte sie ein, als wir auf die Øvregate hinauskamen, gleich hinter Bredsgaarden, wo zwei so verschiedene Kulturinstitutionen wie ›Asmervik Kartoffeln‹ und die Vestlandsabteilung des norwegischen Schriftstellerverbands liegen.
Elise Blom antwortete nicht, sondern ging weiter in Richtung Nikolaikirke.
»Ein Polizist ist tot. Hjalmar Nymark. Er untersuchte den Brand.«
Sie blieb abrupt stehen und schüttelte heftig den Kopf. Das Haar lag in künstlichen Locken um das Gesicht, als fände sie es nicht mehr zweckmäßig, es stramm nach hinten zu ziehen.
»Hören Sie, wie-Sie-auch-immer-heißen …«
»Veum.«
»… und wen-Sie-auch-immer-vertreten.«
»Die Versicherungsgesellschaft Nemesis mit Aktien in der Ewigkeit.«
»Was?« Sie fiel aus der Rolle und verlor den Faden.
Der Souffleur sprang helfend ein. »Oder vielleicht vertrete ich Hjalmar Nymark selbst. Als ein letzter Gruß von uns, die hier unten noch übrig sind.«
Sie sah mich an, als sei ich eine Blase auf ihrer Zunge, die eben geplatzt war und ihre Stimme kam direkt aus dem Kühllager.
»Lassen Sie mich eins ein für alle Mal klarstellen. Ich bin es herzlich leid, daß Leute kommen und nach einem Brand fragen, der hundert Jahre her ist. Vor nicht mehr als einem halben Jahr war dieser Typ hier, dieser – ja, Nymark, oder wie Sie ihn gerade genannt haben – und ich hab nicht mehr zu sagen. Nicht einen Piep. Haben Sie verstanden?«
Ich fuhr sanftmütig fort: »Hjalmar Nymark suchte Sie also auf, vor nur einem halben Jahr? Was haben Sie ihm erzählt?«
Sie verdrehte die Augen und stapfte resolut die schmalen alten Gehsteige der Øvregate entlang weiter. Wir kamen an dem Frisiersalon vorbei, wo die Friseure Vikne, Vater und Sohn, meine Borsten schneiden, wenn ich es mir ein seltenes Mal leisten kann. Vom Turm der Sentralkirke schlug eine spröde Glocke sechs Schläge. Wir befanden uns mitten in der stillen Stunde zwischen Arbeitstag und Feierabend, wenn die Stadt scheinbar die Luft anhält und die Straßen mit einem Mal so gut wie leer sind.
Elise Blom bog entschlossen in Vestlandalmenningen ein und ich folgte, stumm und treu, wie ein wohldressierter Ehemann. Sie tat, als sähe sie mich nicht.
Unten vor der roten Ampel blieb sie stehen. Ich bezog Stellung neben ihr. »Wenn Hjalmar Nymarks Tod etwas mit dem Brand bei Pfau zu tun hätte, könnten Sie sich dann nicht denken, auf ein paar wenige Fragen zu antworten?«
Sie sah geradeaus vor sich hin und sprach wieder durch den Mundwinkel. »Wie kann der Tod eines alten Trottels mit einem Brand von vor dreißig Jahren zu tun haben?«
Es wurde grün und wir überquerten die Straße.
»Genau das ist es, was ich versuche, herauszufinden.«
Ohne ein Wort bog sie plötzlich zur Seite und ging durch eine Tür, an der auf einem großen, prangenden Schild BINGO stand und mit immer noch gleichplatten Füßen eine steile Treppe hinauf. Ich folgte ihr unverdrossen.
Wir kamen in eine grelle Räumlichkeit mit nackten Lichtröhren an der Decke, grauweißen Schmutzflecken auf dem Boden und einem merkwürdigen Geruch von dünnem Kaffee, Zigarettenrauch und etwas zu dick bekleideten Menschen. Eine hohe und dünne Mikrofonstimme leierte eine Zahlenreihe herunter, als sei es die heimliche Liturgie einer Freimaurerbruderschaft, oder nur die Liednummer bei der abendlichen Andacht im Missionshaus. Ich fand die Stimme hinter dem Mikrofon auf einer Erhöhung ganz hinten im Raum. Obwohl sie kaum viel älter als 25 sein konnte, gehörte sie einer Frau mit einem erstaunlich alten Gesicht unter dem gebleichten Haar.
Elise Blom stürzte zu einem freien Platz an einer der Tischreihen und ich setzte mich auf den Platz neben ihr, nur auf der anderen Seite des Durchgangs. Sie knurrte mir leise zu: »Wenn Sie mich noch weiter belästigen, werde ich jemanden bitten, die Polizei anzurufen.«
Ich machte eine unbeholfene Handbewegung und sah mich um. Die Blicke, die uns auf dem Weg in den Raum hinein gefolgt waren, wichen aus. Nur einer hielt stand: eine dickliche Frau mittleren Alters starrte mir intensiv ins Gesicht, als erwarte sie, das Super-Bingo des Abends darin geschrieben zu sehen.
Durch die Tischreihen kamen ein paar Frauen in lila Schürzen mit Geldtaschen über den Schultern. Eine blieb vor mir stehen.
»Wieviele?« fragte sie.
Ich lächelte verwirrt und sagte: »Wieviele kann ich nehmen?«
»So viel du willst«, antwortete sie. Sie hatte ein ansprechendes Gesicht und ein freundliches Wesen und sah aus, als sei sie mir wohlgesonnen.
»Ich nehme zwei«, sagte ich.
»Nur zwei?«
»Na, dann fünf.«
»Okay. Das macht zwanzig Kronen.«
Ich bezahlte gehorsam und bekam fünf Spielbons vor mir auf den Tisch sowie einen kurzgewachsenen Bleistift. Ich strich mir über die Bartstoppeln und versuchte auszusehen, als sei ich ein Mitglied des Klans. Ich hatte Bingolokale früher immer mit einer Mischung aus Verwunderung und Neugier betrachtet. Wenn ich ab und zu an dem Eingang eines solchen Lokals vorbeiging, gegen zehn Uhr vormittags, wenn die Leute Schlange standen, um hineinzukommen, hatte ich mich immer gefragt, was diese Etablissements so attraktiv machte, und was für Menschen sie besuchten. Ich fragte mich, wohin sie gingen, wenn die tägliche Bingo-Runde vorbei war – diese wortkargen Ehepaare mit ihren vielen Kaffeetüten unter dem Arm, diese tüchtigen, graugekleideten Damen mit den auf den Kopf gepressten Hüten, als hätten sie Angst, jemand würde sie ihnen wegnehmen und diese schlappen, pickeligen Jungs in den etwas zu kurzen Lederjacken, mit wackligen Knien und latschiger Gangart. Es war etwas Einsames in den Gesichtszügen der Menschen, die am Abend ein solches Bingolokal verließen. Nicht wenige der Gäste waren Frauen reifen Alters wie Elise Blom. Einige von ihnen hatten magere, leidende Gesichter, als hätten sie nur um ein Haar zwanzig Jahre unglücklicher Ehe überlebt. Andere waren übergewichtig und kräftig und eindeutig siegreich aus ihren hervorgegangen. Der auffallend große Anteil an reifen Frauen und an Jungen in den letzten Wachstumsjahren ließ mich darüber nachdenken, ob es hinter dem ganzen ein erotisches Muster gäbe. Vielleicht waren diese Orte eine Art Treffpunkt für Griesgrämige, eine Wegkreuzung, wo die Verirrten aller Generationen sich spontan begegnen konnten.
Meine Gedankenkette wurde unterbrochen, als ein Mann drei Reihen hinter mir, mit zierlichem Mittelscheitel und großem Luftraum zwischen den Zähnen, plötzlich rief: »Bingo!« Er lachte laut und lärmend, als hätte er etwas Amüsantes gesagt. Die Mikrofonstimme verstummte und eine der Lilagekleideten kam herunter und kontrollierte sein Brett. Rund herum an den Tischen klirrte es in den Kaffeetassen. Der Kaffee wurde aus großen, braunweißen Thermoskannen serviert, und wenn man hungrig war, konnte man vakuumverpackte Kopenhagener kaufen. Der Mann, der gewonnen hatte, wählte als Gewinn ein Zweikilopaket Würfelzucker. Vielleicht wollte er ihn zwischen die Zähne stopfen.
Ein kräftiger Mann in Wildlederjacke, dunkelbrauner Hose und schwarzen Schuhen kam aus einem Hinterzimmer, warf einen langen und forschen Blick auf die Versammlung, wechselte ein paar Worte mit der Blondine hinter dem Mikrofon und verschwand. Die Blondine mit dem alten Gesicht schaltete die Lautsprecher wieder ein. Ein neues Spiel begann. Neue Zahlen wurden in die Versammlung hinausgeworfen und mit der gleichen Erwartung entgegengenommen, wie gesalzene Heringe, die man einem Rudel Seehunde in einem Aquarium zuwirft. Um mich herum kratzten Bleistifte und Kugelschreiber. Elise Blom verfolgte das ganze konzentriert und kreuzte an. Ich beobachtete sie. Im Profil war noch immer etwas von ihrer früheren Schönheit sichtbar, wenn auch der Übergang zwischen Kinn und Hals fließender war, als er 195 3 gewesen sein mußte. Sie hatte den Mantel aufgeknöpft, und ihr Körper sah straff und jugendlich aus. Ihr Taille war schlank, was durch einen breiten, braunen Gürtel hervorgehoben wurde, und der weiße Pullover lag eng um die prallen Brüste, die mich an die falschen Profile der 50er Jahre erinnerten. Der braune Rock lag locker über den Knien bis hinunter zu den Knöcheln und zeigte nicht viel von den Beinen.
Wie alt war sie eigentlich? Sie war 1932 geboren, wenn ich mich recht erinnerte. Dann war sie also 49. 1953 war sie 21 gewesen und Harald Wulff 39. Was hatte eine junge, hübsche Bürodame dazu gebracht, sich in einen achtzehn Jahre älteren Mann zu verlieben, der Bürobote war, wegen Kollaboration verurteilt gewesen und allem Anschein nach im lokalen Milieu wenig geachtet war. Hatte er Eigenschaften besessen, die sich von den Fotos nicht ablesen ließen und die niemand mir gegenüber erwähnt hatte? Charme – erotische Anziehungskraft – vielleicht einen dämonischen Zug?
Es mußte Geheimnisse geben in ihrem Leben, einige davon vielleicht so düster, daß es sowohl für sie als auch für alle anderen das Beste war, sie ruhen zu lassen.
Und weshalb war sie hier? War dies jetzt ihr Leben? Gehörte sie zu den treuen Scharen der Bingo-Gemeinde, oder schaute sie nur zufällig hier vorbei? Ich bezweifelte das Letztere, denn sie kreuzte routiniert auf ihrem Spielbrett ab und eine hektische Röte überzog ihre Halspartie, wenn sie sich einer vollständigen Bingo-Reihe näherte.
Eine knochendürre Frau piepte lautstark aus der ersten Reihe:
»Bingo!« Es entstand eine neue Pause zwischen den Spielen. Ich stand auf und ging zu ihr hinüber. Sie blickte feindselig zu mir auf. Ich sagte:
»Ich will dich wirklich nicht belästigen. Können wir nicht rausgehen, irgendwo hin? Ich kann ein Glas Bier ausgeben, oder einen Drink, wenn du willst. Es ist ganz einfach – notwendig. Und ich werde nicht locker lassen!«
Sie schnaubte zur Antwort.
Ich setzte rasch hinzu: »Und ruf von mir aus die Polizei. Ich kann gerne da meine Fragen stellen. Dort würden sie sicher auch großes Interesse daran haben.«
»Nein, ich – warte!« sagte sie hastig.
In dem Moment kündigte die Mikrofonstimme ein neues Spiel an. Elise Blom sagte kurz: »Warte!«
Das Spiel begann. Ich trottete nach vorn und bezahlte eine Tasse Kaffee. Als ich zurück an meinem Platz war, verfolgte ich die Spielaktivität mit abnehmendem Interesse, zur großen Irritation einer älteren Dame direkt hinter mir. Sie piekte mir in regelmäßigen Abständen auf den Rücken und stieß verärgert aus: »Sie müssen spielen! Sie müssen notieren! Sie können doch nicht einfach so rumsitzen, Mann!«
Draußen vor den schmutzbedeckten Fenstern bekam der Himmel einen dunkleren Ton. Unsichtbare Hände zogen graue Gobelins vor und nur die alte Takelage der Statsraad Lemkuhl zeichnete sich mit scharfen Linien vor dem Hintergrund ab. Alles andere wurde verwischt und undeutlich, wie alte, zerbrökkelnde Bühnenkulissen.
Als sie fünf Spiele gespielt hatte, ohne zu gewinnen, erhob sich Elise Blom, knöpfte den Mantel zu, blickte mich starr an und ging auf den Ausgang zu. Ich folgte ihr hastig. Mit einem verwunderten Blick auf die unbenutzten Spielbons räumte die Lilagekleidete meinen Tisch ab. Als wir das Lokal verließen, hörte ich die Blondine hinter dem Mikrofon ein neues Spiel ankündigen.
Als ich zusammen mit Elise Blom auf den Gehsteig hinaustrat, kam mir der plötzliche Gedanke, daß wir für zufällige Passanten womöglich das typische Bingopaar abgaben. Sie mit der nicht sehr geschmackvollen Zusammenstellung von blauem Mantel und braunen Schuhen, etwas zu stark geschminktem Gesicht und einer Art zu gehen, die einen wachsenden Rausch andeutete; ich mit dem leicht verschlissenen, im Nacken hochgeschlagenen Mantel, den nicht ganz frisch geputzten Schuhen, der braunen Cordhose mit verbeulten Knien und dem ungeschnittenen Haar, das sich im Abendwind leicht lüftete und die grauen Strähnen an der Stirn entblößte. Zwei ausdruckslose Gesichter an einem zufälligen Abend Ende August, während der Herbst mit heftigen Windstößen aus Nordwest sein Kommen ankündigt, leere Plastiktüten die Bordsteinkanten entlanggeweht werden und die Fassaden der Häuser sich stumm und drohend gegen die Nacht erheben.
Ich sagte: »Na? Du kommst also mit?«
Sie sah mich mit verzogenen Gesichtszügen an. Etwas von dem Feuer in ihren Augen war erloschen und die Stimme resignierte, als sie antwortete: »Wir können ein Bier trinken gehen, wenn du mich denn unbedingt belästigen mußt.«
Dann riß sie sich los und peilte eine Richtung an.
»Wohin gehen wir?« fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern und ging los. Ich folgte. Sie sah aus, als wüßte sie, wohin sie wollte.

24

Das Restaurant, das sie aussuchte, hatte, seit es früher einmal anders hieß, eine geschmacklose Renovierung durchgemacht, und auch damals war es nicht besonders toll gewesen. Jetzt war es eine Art Aufreißerlokal für Leute mittleren Alters. Das Durchschnittsalter der Anwesenden lag jenseits der Fünfzig, und die Stimmung an den Tischen wechselte von lautstarker Betrunkenheit bis zu kopfhängender Melancholie. Auf der Tanzfläche führten diverse Vertreter des männlichen Geschlechts veraltete Stilübungen aus den Tanzschulen der 50er Jahre vor, mit ihrem Lieblingspartner: sich selbst. Denn sie hätten ebensogut allein tanzen können. Die selbstgefällig verzückten Halblächeln, die in den unteren Gesichtshälften der Parkettlöwen flackerten, verrieten einen ungetrübten Glauben an die eigene Vortrefflichkeit, und die auffälligen Handbewegungen in Richtung der schwellenden Hinterteile der weiblichen Partner sollten eine Weltgewandtheit andeuten, die wahrscheinlich verschwinden würde, wenn man sich zu gegebener Zeit vorsichtig aus der Unterwäsche pellte. Auf dem Tanzboden traten sie noch als betörende Don Juans auf; im Schlafzimmer, so nahm ich an, trugen sie Zipfelmützen auf allen herausragenden Körperteilen. Es lebe der ewige Vorsprung im Leben! Zum Ziel kommst du immer zu spät.

Die Gesichter an den Tischen um uns herum spiegelten verschiedene Grade von Blässe, für einen Augenblick mit einem Glanz von Heiterkeit, aber mit der Gewißheit der eigenen Sterblichkeit als einem verborgenen Muster hinter den angestrengten Lächeln der Gesichtsmasken und der geschminkten Verzweiflung. Die Männer verbargen ihre Ratlosigkeit hinter einer aufschneiderischen Eleganz, die nie ganz geglückt wirkte, weil der Schlips schiefhing, das Taschentuch in der Brusttasche Eselsohren hatte und die Hose waagerechte Falten über den Knien. Die Frauen ihrerseits tarnten sich durch ausgefranste Kleider oder versuchten, durch Dekolletés zu verwirren, die an der Fleischbörse in Chicago solide Erfolge erzielt hätten. Und als passende Geräuschkulisse für den visuellen Eindruck spielte das Zweimann-Orchester eine ärmliche Version von: ,Wenn bei Capri … ’, so mechanisch in der Instrumentierung und so freudlos im Rhythmus, daß sie eine seltsame Assoziation von einem der dunkelsten Bethäuser des Hinterlands auslöste, wo sie zum Festsoupee am Karfreitag einen Gesang anstimmten.

Aber als Elise Blom und ich uns zu einem freien Tisch mit Fensterplatz hinschlängelten, hatte ich das bedrückende Gefühl, daß wir nicht auffielen. Wir gehörten hierher, genau wie auf den Gehsteig draußen vor dem Bingo-Lokal. In einer Diskothek wären wir aufgefallen wie zwei Dinosaurier in einer Katzenschau. Hier waren wir unter Unsresgleichen.

Wir hatten unsere Mäntel in der Garderobe abgehängt. Der enge Pullover unterstrich die Üppigkeit ihres Körpers, aber der breite Gürtel war gerade so stramm, daß er den Eindruck ein wenig zerstörte. Etwas vom Soft-Eis lief über.

Eine Kellnerin in rosa Jacke nahm unsere bescheidene Bestellung entgegen: für jeden ein Bier und einen Hamburger.
Das Halbdunkel im Raum war dafür berechnet, die Konturen der Gesichter weicher zu machen und es zu erleichtern, sich mit ihnen abzufinden. Bei Elise Blom hatte es die entgegengesetzte Wirkung. Das Konturlose wurde hervorgehoben, und der aggressive Ausdruck in den Augen erhielt noch einen unversöhnlichen Glanz von Irritation.
Ich sagte leichthin: »Bist du oft hier?«
»Was geht dich das an?« fauchte sie.
»Nichts.«
»Eben!«
Ich seufzte und sah an ihr vorbei. Direkt bei unserem Tisch beugte ein Parkettcharmeur mit Fettglanz auf dem Vollmond seine Tanzpartnerin gefühlvoll hintenüber zum Boden – eine Operation, die er von Rudolph Valentino gelernt haben mußte – während er ihr verzückt in die Augen starrte, um zu sehen, ob er sein eigenes Spiegelbild darin entdecken konnte. Seine Partnerin hing hintenüber mit einer Miene, als glaubte sie nicht daran, jemals wieder hochzukommen. In ihrem Ausschnitt war eine veritable Lawine im Anrollen. Ich schloß die Augen, um davon nicht mitgerissen zu werden, aber zum Glück kam die Kellnerin mit unseren Bieren, und das Paar wurde gezwungen, sich wieder aufzurichten.
Elise Blom nahm einen Schluck aus dem Bierglas und stellte es mit einer erregten Bewegung auf den Tisch. Etwas vom Bierschaum blieb an ihrer Oberlippe hängen, wie ein vergessener Wattebausch.
Ich steckte einen Finger in den Hemdkragen und führte ihn langsam herum, bevor ich mich wieder heranwagte. »Als du bei Pfau gearbeitet hast … Wart ihr viele in der Verwaltung?«
Sie sah mich kühl an. »Warum fragst du danach?«
»Um eine Übersicht über die Situation zu bekommen.«
»Welche Situation?«
»Die Arbeitssituation.«
Sie betrachtete mich nachdenklich. Dann sagte sie langsam: »Da war der Direktor, Hagbart Hellebust selbst.«
»Ja, und sonst?«
»Dann war die Verkaufsabteilung. Eine ganze Menge Verkäufer, aber die reisten ja meistens herum. Der Verkaufschef hieß Olsen, aber der reiste auch.«
»Jaha.« Endlich sah es so aus, als kämen wir in Gang.
»Dann war da die Buchhalterin, Frau Bugge. Sie hatte ein eigenes Büro.«
»Ahso.«
»Und dann wir.«
»Und wer war,wir’?«
»Wir im äußeren Büro.«
»Du warst Sekretärin bei Hellebust, stimmt’s?«
»Nein, stell dir vor, das war ich nicht. Ich war Bürogehilfin und übernahm Arbeit sowohl für den Verkaufschef als auch für Frau Bugge. Fräulein Pedersen war Hellebusts Sekretärin, Privatsekretärin hieß es sogar.«
Plötzlich strahlte sie auf. »Und Fräulein Pedersen ist tot.« Mit triumphierender Miene fuhr sie fort: »Sie starb nur ein paar Jahre nach dem Brand. Sie hob all ihre Ersparnisse ab und ging nach Spanien, aber da unten bekam sie irgendeine mysteriöse Krankheit, was sie da unten eben so haben, und schaffte es gerade noch, nach Bergen zurückzukommen, bevor sie starb. Ich war im Krankenhaus und hab sie besucht.« Sie hielt mit überraschter Miene inne, als wunderte es sie, im Laufe einer knappen Minute so viel Informationen von sich gegeben zu haben.
Die Kellnerin kam mit unseren Hamburgern. Die Scheiben waren durchweicht von Fett und fielen, wenn du sie durchschnittst, zum Teil auseinander, aber das Fleisch war eßbar und die Salatblätter tatsächlich knackig.
Zwischen zwei Bissen sagte ich: »Es war doch noch jemand angestellt, oder nicht?«
Sie sah mich feindselig an. »Wer denn?«
»War da nicht ein Bürobote? Ein …« Ich tat, als würde ich nachdenken. »Harald Wulff?«
Wieder leuchtete es höhnisch aus ihren Augen. »Ohja, der. Den hätte ich fast vergessen.« Dann senkte sie den Blick und aß stumm weiter.
Hinter ihrem Rücken sah ich das Orchester die Tribüne verlassen, um Pause zu machen. Die Parkettlöwen ergriffen die Gelegenheit, um zur Toilette zu stürmen. Es sah fast aus wie eine Art Epidemie.
Ich aß auf und schob den Teller zur Seite. »Hör zu … An einem der letzten Tage vor dem Brand. War es nicht so, daß der Vorarbeiter, Holger Karlsen, heraufkam und darüber klagte, daß, wie er glaubte, irgendwo in der Produktionshalle eine Leckage sei?«
Sie sah nicht vom Teller auf und schnitt ihr Brot in winzige Stückchen, wie um die Mahlzeit so lange wie möglich auszudehnen, und antwortete nicht, schüttelte aber bestimmt und verneinend den Kopf.
Ich beugte mich über den Tisch vor und versuchte, ihren Blick heraufzuziehen. »Nein?«
Sie hob das Gesicht. Die Zungenspitze glitt über das Zahnfleisch, um Krümel aufzusammeln und sie sah mir starr in die Augen, als sie sagte:
»Genau danach bin ich gefragt worden, wieder und wieder nach dem Brand. Und meine Antwort ist noch immer die gleiche. Nein. Es ist niemand gekommen und hat sich über sowas beschwert, und schon gar nicht Holger Karlsen.«
Ich machte eine entwaffnende Armbewegung. »Es ist bald dreißig Jahre her. Niemand wird sich darum scheren, die Sache weiter zu verfolgen, wenn du … Wenn du bloß die Wahrheit sagen könntest.«
Einen Augenblick lang sah ich, daß sie unsicher war, welche Reaktion sie wählen sollte. Eine Sekunde lang oder zwei war das Gesicht entblößt, in einem Ausdruck, der an jemanden erinnern konnte, der gelaufen und gelaufen war und nun endlich einsah, daß der Lauf verloren war. Dann schob sie den Stuhl hart zurück und stand abrupt auf. »Ich habe immer die Wahrheit gesagt! Und ich werde mich verdammt nochmal nicht damit abfinden, so überrumpelt zu werden von einem – einem …« Sie ließ den Blick verächtlich an mir herabgleiten, um zu unterstreichen, daß sie keine Worte dafür fand, was ich für einer war.
Ich erhob mich selbst und fühlte Wut in mir aufflammen. Die Leute in der Nähe begannen, auf uns aufmerksam zu werden: einer der Charmeure am Nebentisch drehte den Ton des Hörgeräts lauter und bekam einen auffallend konzentrierten Gesichtsausdruck. Ich sagte mit leiser, gepresster Stimme: »Setz dich wieder hin. Wir sind nicht fertig. Noch nicht. Du hast immer noch was gut, z.B. mir von Harald Wulff zu erzählen. Oder willst du, daß der ganze Laden die Geschichte hört, während wir rausgehen? Wirf einen Blick auf den smarten Jungen da drüben, mit dem Regionalfunk hinter dem Ohr.«
Sie erbleichte und setzte sich schwer hin. Das war ein unbarmherziger Ausfall gewesen, und anständige Männer schlugen Frauen nicht unter die Gürtellinie. Aber sie war so minimal mitteilsam gewesen, und ich sah noch immer Hjalmar Nymark vor mir, auf dem Bett ganz hinten in der dunklen Wohnung liegend, das Kopfkissen auf dem Boden. Und dann eine Pappschachtel voller alter Zeitungsausschnitte, die plötzlich spurlos verschwunden war.
Ich setzte mich hin und machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung in Richtung der Abhörstation am Nebentisch, zum Zeichen, daß er die Lautstärke herunterdrehen sollte.
Während ich noch Oberwasser hatte, lehnte ich mich vor und sagte:
»Ja, denn du hast doch mit Harald Wulff zusammengelebt. Ganz bis zu seinem Tod. Oder hast du das vielleicht auch vergessen?«
»Nein«, flüsterte sie. Die Unterlippe zitterte schwach und sie suchte in der Handtasche nach einem Taschentuch. Es war schnell gefunden, und sie hielt es leicht vor den Mund, wie um ein Zeichen von Schwäche auf den Lippen zu verbergen. Der Blick, den sie mir sandte, war nicht sonderlich schön. Er war dunkel, wie ein geschlossener Tunnel. Das Gesicht hatte sich verschmälert und es waren tiefe Löcher in den Wangen.
Ich sagte: »Ihr habt zusammen gelebt – wieviele Jahre? Fünfzehn? Sechzehn?«
»Sei … seit 1959.«
»Und ganz bis zuletzt?«
Sie nickte.
»Erzähl mir, wie er gestorben ist.«
Sie sperrte die Augen auf. Die Stimme kam stoßweise und sie stolperte über die Worte. »Ich – nein – das nicht. Dann geh lieber zur Polizei. Ich bin fertig damit, habe es weggeschoben. Ich weiß nichts davon. Er ging einfach. Kam nicht wieder. Die Polizei. Erzählte mir. Als sie an die Tür kamen. Es passierte einfach.«
»Keine Vorwarnung? Keine mysteriösen Anrufe?«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Wie habt ihr gelebt? Wovon lebte er?«
»Wie – die meisten Leute. Ich arbeitete ja. Und er übernahm weiterhin solche – Bürojobs. Er – er fand seinen Platz.«
»Seinen Platz, in der Gesellschaft, die er eigentlich haßte und verachtete?«
»Er …«
»Behielt er seine politischen Auffassungen, nach dem Krieg?«
Plötzlich funkelte es wieder in ihren Augen. »Ihr seid ein paar verdammte Idioten, ihr alle – alle zusammen … Nie könnt ihr jemanden in Frieden lassen, wenn er einmal einen Fehler gemacht hat. Nicht einmal, wenn sie tot sind, laßt ihr sie in Ruhe. Ihr kommt daher, trippel, trappel, kleine Gnome und Kümmerlinge und quengelt mit denselben, alten Fragen. Er hat seine Strafe abgesessen für das, was er getan hat – damals – lange bevor ich ihn traf. Ist das nicht genug? Ist eine gesühnte Strafe nicht genug? Müßt ihr alles in den Dreck ziehen?«
»Tut mir leid, aber ich gehöre zu der Generation, die – das früheste, was ich erinnere, und ich kann nicht viel mehr als zwei Jahre alt gewesen sein, ist das Geräusch der Bomben, die über Bergen fielen und die merkwürdige, frostige Stimmung in den Bunkern, wo wir uns zusammendrängten, Nacht für Nacht, Morgen für Morgen.«
»Ich erinnere das selbst. Das waren englische Bomben, Veum.«
»Aber es war der Krieg der Nazis. Den Leute, wie Harald Wulff mitgeholfen haben, zu kämpfen, für andere Nationen, gegen ihre eigenen Landsleute.«
»Tja …« Ihre Schultern sanken zusammen und sie verstummte wieder.
»Das war in dem Fall ein Fehlgriff, für den er nach dem Krieg reichlich hat büßen können. – Nichts desto trotz war er es, in den ich mich verliebte.«
Das war eine Aussage, auf die ich keine unmittelbare Antwort hatte. Ich hielt einen Moment inne. Das Orchester war wieder an seinem Platz. Es tat mir weh, sie ,As time goes by’ spielen zu hören, als sei es eine ganz gewöhnliche Tanzmelodie. Um uns herum tanzten – eben jene – unsere Landsleute, Paar für Paar, eng und zärtlich. Die meisten draußen auf der Tanzfläche waren während des Krieges jung gewesen. Einige von ihnen hatten vielleicht aktiv an den Kämpfen teilgenommen, auf der einen oder der anderen Seite. Jetzt, vierzig Jahre später, sah man nicht mehr, auf welcher Seite sie gekämpft hatten. Die Zeit zähmt alle Raubtiere. Zum Schluß enden alle im Museum.
Als ich dann redete, tat ich es mit leiser Stimme. »Ich gehe davon aus, daß du alles weißt, was es von früher über Harald Wulff zu wissen gibt. Ich brauche dir wohl nicht von all den Untaten zu erzählen, für die er nie eine Strafe bekommen hat, obwohl sehr schwerwiegende Indizien dafür sprechen, daß er sie begangen hat. Während des Krieges und vielleicht auch danach. Unglücksfälle wurden sie genannt. Morde, würden andere sagen!«
Sie betrachtete mich mit runden Augäpfeln. »Wovon sprichst du denn jetzt? Was für Unglücksfälle? Was für Morde?«
»Zufällige Todesfälle, reguläre Liquidierungen, ausgeführt während des Krieges von einem anonymen Massenmörder für ›die gerechte Sache‹. ›Giftratte‹ nannten sie ihn, denn er war unsichtbar, wie ein namenloser Giftmörder.«
»Und dieser – dieser Mensch – das soll Harald gewesen sein?« Sie sah mich ungläubig an.
»Ja. Hat er dir vielleicht nicht davon erzählt?«
Sie presste die Lippen zusammen. Und doch schaffte sie es nicht, die Worte zurückzuhalten. Sie kamen heraus, gepresst und fast unhörbar.
»Nein, das hat er nicht getan, und ich kann dir erzählen: ich kannte Harald besser, als irgendjemand sonst und ich weiß – ich weiß – er wäre nie fähig gewesen, zu …« Plötzlich kamen die Tränen. Ihr Gesicht verzerrte sich und wurde rot und sie stand auf und schmiß die Handtasche auf den Tisch, so daß das Bierglas umfiel, der Inhalt über das Tischtuch floß und die Gäste am Nebentisch erschreckt auffuhren. Einer der Musiker verlor völlig den Takt von ,Wenn der weiße Flieder … ’ und zwei der Kellner waren schon auf dem Weg zu uns.
Elise Blom fauchte mich an: »Ich will nie mehr was von Ihnen hören, Veum. Wenn Sie mich nur noch einmal ansprechen, werde ich – wende ich mich an die Polizei – und, wenn Sie es wagen, Sie werden es bereuen!«
Sie warf einen verächtlichen Blick auf die Kellner, die hinzugekommen waren. »Entschuldigen Sie. Ich werde gehen. Der Herr bezahlt.«
Ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, drehte sie sich auf dem Absatz um und ging zur Garderobe. Die Kellner räumten auf, und die Kellnerin kam resolut mit der Rechnung. Als ich bezahlt hatte, war Elise Blom längst verschwunden. Die Gäste an den anderen Tischen verfolgten mich mit verschlagenen Blicken und zwei Kellner begleiteten mich bis an die Tür, um sicher zu gehen, daß ich auch wirklich ging.
Unten auf dem Gehsteig vor dem Restaurant war nichts zu sehen. Elise Blom war nach Hause gegangen; kein Auto fuhr vorbei; es regnete weich von einem nassen Himmel. Es war an der Zeit, sich nach Hause zu trollen.

25

In Bergen ist das Jahr unberechenbar. Die Jahreszeiten können auftauchen wie Karten aus dem Jackenärmel eines himmlischen Zauberkünstlers: ein unerwartetes Schneewetter im März, eine plötzliche Frostnacht im Mai, ein Sonnentag und fünfzehn Grad Wärme im Januar. Es ist, als spielten die Wettergötter ein gigantisches Ballspiel mit der Sonne, die ständig hinter die AusLinie getreten wird. Alles ist möglich; es gibt keine wasserdichten Regeln.

In diesem Jahr kam der Sommer gerade im Übergang von August und September zurück und die Wärmeperiode dauerte zwei Wochen. Aber die Sonne fiel schnell am Himmel und trotz der hohen Temperaturen ließ sich niemand hinters Licht fuhren.

An einem der allerletzten Tage im August ging der erste Bergen-Marathon unserer Zeit vom Stapel. Ich hatte an dem Wochenende Thomas bei mir. Er kam zeitig am Sonnabendmorgen an meine Tür, mit sonnengebleichtem Haar und MickeyMaus-Hemd unter der Jeansjacke. Als ich öffnete, standen wir einen Augenblick da und sahen uns an. Er sah ein wenig verschüchtert aus, aber als ich mich herunterbeugte und ihm einen Kuß gab, entwand er sich nicht. Er war im Laufe des Sommers gewachsen und die Zähne in seinem Mund wirkten nicht mehr so groß.

Es ist nicht immer leicht, den Kontakt zu einem Kind aufrechtzuerhalten, das du nur alle vierzehn Tage siehst, aber an diesem Wochenende hatte er viel zu erzählen und wir hatten einen gemütlichen Sonnabend. Wegen des Marathonlaufs fragte ich, ob ich ihn am Sonntag früher nach Hause fahren sollte, aber zu meiner Überraschung sagte er, er wolle mitkommen. »Ich komme früh genug nach Hause«, sagte er.

»Aber es kann ein langes Warten werden«, sagte ich. »Vier, fünf Stunden vielleicht.«
»Ich nehme ein Buch mit.«
Er nahm ein Buch mit. Ich fragte nicht, welches.
Am Sonntagmorgen trieben die allerletzten der vielen Wolken dieses Sommers vom Himmel und als wir zum Fana Stadion kamen, war die Sonne dabei, ein ordentliches Spätsommerfeuer zu entfachen. Es würde warm werden, das Hauglandstal hinauf.
Unten auf der Bahn waren die eifrigsten Läufer schon dabei, sich aufzuwärmen. Andere begnügten sich damit, sich an den entsprechenden Stellen mit Vaseline einzuschmieren, Pflaster über die Brustwarzen zu kleben und zu checken, zum zehnten Mal, daß die Schuhe vernünftig geschnürt waren. Die Stimmung vor einem Marathonlauf ist seltsam. Wenn du es nicht besser wüßtest, würdest du glauben, alle Krankenhäuser im Land hätten ihre Intensivstationen geschlossen und die Patienten nach Hause geschickt. Schmerzen in Bein- und Schenkelmuskulatur, Magenleiden vielerlei Art und Neurosen genug, um eine psychiatrische Abteilung zu füllen, entfalteten sich rund um den Start, wo eine Stimmung tiefen und innigen Pessimismus herrschte. Wenn die Hälfte der Läufer in der Lage war, den ersten Kilometer durchzustehen, wäre es ein Wunder.
Auf der inneren Bahn sah ich Eva Jensen in Jeans und grünem T-Shirt. Wir grüßten einander und ich fragte, ob sie die Absicht habe, teilzunehmen. Sie lachte ein ansteckendes Lachen und schüttelte den Kopf.
»Ich werde nur meine moralische Unterstützung geben«, sagte sie und ließ den Blick über die Laufbahn gleiten. Die rote Kunstbahn lag matt und einladend im Sonnenschein und tausend Jogging-Schuhe schlugen einen gedämpften Tam-tamRhythmus in gespannten Zirkeln rund um den Rasen in der Mitte. Ich folgte ihrem Blick und fand Vegard Vadheim da draußen, in gelbem Hemd und den schwarzen Hosen der Polizei und mit einer dunkelblauen Schirmmütze tief in die Stirn gezogen. Der alte Langlaufkämpfer war schon während des Aufwärmens gut in Gang, und er würde auch dieses Mal nicht leicht zu schlagen sein.
»Würdest du bitte meinen Jungen ein bißchen im Auge behalten?«
Ich klopfte Thomas auf die Schulter.
Sie lächelte. »Na klar. Er kann im Auto mitfahren, dann werden wir. euch unterwegs anfeuern.«
»Prima.«
Vegard Vadheim kam zu uns herüber. »Na, hast du dich ins Licht hinausgewagt, Veum?«
»Es ist jedenfalls einen Versuch wert«, sagte ich und machte ein paar schnelle Kniebeugen, um die schlimmste Nervosität zu dämpfen. Als ich mich wieder aufrichtete, sagte ich leise: »Wie geht’s mit den Ermittlungen?«
Er sah mich scharf an. »Überhaupt nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Es hat sich definitiv erwiesen, daß es keinen Zusammenhang geben kann zwischen dem, was damals war und dem, was dieses Jahr geschehen ist. Sollte etwas Neues auftauchen, dann …« Er zuckte mit den Schultern.
»Wenn nicht …« Sein Gesicht war betrübt. Das dunkle Haar war noch ein wenig grauer geworden. Der Kiefer zeichnete sich scharf ab, der ganze Körper war mager und knochig. Das ließ ihn rastlos erscheinen, als warte er nur auf den Startschuß.
Es war auch nicht mehr lange bis dahin. Ich bekam aufmunternde Blicke von Thomas und Eva Jensen und an der Startlinie stellte ich mich neben Vadheim, als könnte seine Laufstärke mich mit sich ziehen. Das tat sie dann auch, die ersten fünfhundert Meter. Dann trieb er langsam von mir, Meter für Meter, Sekunde für Sekunde. Hinauf zur Kirche in Fana hatte ich seinen Rücken noch in Sichtweite. Später sah ich ihn nicht wieder, bis wir einander weit im Hauglandstal begegneten, er auf dem Rückweg und ich auf dem Hinweg.
Ich hatte mich auf eine ungefähre Zeit von 3.30 eingepeilt, mit einer Geschwindigkeit von fünf Minuten pro Kilometer. Das klappte zwanzig Kilometer weit gut, aber dann begann der Weg, steiler und steiler zu werden. Nach 3 6 Kilometern erhielt ich eine ordentliche Lektion über den Unterschied zwischen Marathon und anderen Läufen. Auf den letzten sechs Kilometern wurde es so steil, daß es mir am besten erschien, zu gehen, jedenfalls abschnittweise. Beim letzten Treffpunkt sah mich Thomas mit bekümmerten Augen an und Eva Jensen hatte plötzlich etwas Krankenschwesterhaftes, als sei sie sich nicht sicher, ob ich mich auf den Beinen halten könnte. Aber ich schaffte es, in ziemlich genau drei Stunden, fünfzig Minuten und zehn Sekunden. Das war eigentlich gar nicht so schlecht für einen 39jährigen, der noch nie vorher einen Marathonlauf bestritten hatte. Vegard Vadheim gewann seine Klasse, in 2.55.16 und war schon wieder aus der Dusche heraus, als ich ins Ziel lief. Eva Jensen fragte, ob wir in die Stadt mitfahren wollten, aber ich antwortete, ich führe selbst. Nach rund einer Stunde war ich auch tatsächlich dazu in der Lage.
Als Eva Jensen und Vegard Vadheim das Stadion verließen, sah ich ihnen lange nach. Thomas fragte, wie das Rennen gewesen sei, aber es dauerte eine Weile, bis ich antwortete.

26

Der letzte Montagmorgen im August war mild und sonnenumrandet. Die Frauen trugen die Blusen offener, während sich die Männer an ihre Regenschirme klammerten und skeptisch nach Anzeichen für Regen sahen. Aber es waren keine Wolken über Askøy und das Wasser im Byfjord lag spiegelblank und still. Nicht ein Windhauch war in der Luft; das Wetter schien stillzustehen, genau an der Wasserscheide zwischen Sommer und Herbst. Ich ging mit bedächtigen Schritten ins Büro. Der Marathonlauf rumorte empfindlich in den Beinen, aber es war bei weitem nicht so unangenehm, wie ich befürchtet hatte. Das harte Sommertraining hatte sich ausgezahlt und das Tempo hatte mich auch nicht kaputtgemacht.

Draußen vor meinem Bürofenster lag die Stadt mit klaren, sonnengezeichneten Konturen, von einem morgenfrischen Kunstmaler gemalt, Verschwendung von Farben. Auf dem Markt dominierten die Obststände: goldene Apfelsinen, rotglänzende Äpfel, Birnen so grün wie der Garten Eden. Auf dem Fischmarkt strahlte es weiß in offenem Fisch und die Markthändler standen mit breiten Fäusten in großen Hosentaschen und starrten mit lüsternen Blicken den Frauen nach, die vorübergingen. Direkt unter meinem Fenster, bei den Gemüsehändlern, war Hochsaison. Der Porree streckte sich brünstig, die Kohlköpfe schwollen wolllüstig und über den schneeweißen, frischen Zwiebeln lag eine verspätete Sommerfreude. Die Geschäftigkeit zwischen den Ständen war groß. Der Umsatz würde erfreulich sein. Aber oben bei mir war es still. Niemand sucht am Montagmorgen Privatdetektive auf. Die meisten warten bis Dienstag.

Da, wo ich saß, hatte ich Bergen in Miniatur vor mir. Von den Einkaufenden im Zentrum – auf dem Markt und in den Läden drumherum – über Bryggen zu dem neuen Riesenhotel, das noch nicht fertig war. Am Fjellhang von der Øvregate bis nach Sandviken hinaus lagen die alten Arbeiterviertel, kleine Holzhäuser in den gewundenen Gassen zwischen Øvregate und Skansen, hohe, graue Bergenser Stadthäuser die Vestlidsalmenning entlang und bis nach Sverresborg. Fjellien und Fjellvei entlang lagen die großen, unwirtlichen Villen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, früher einmal Herrschaftshäuser, heute hauptsächlich bewohnt von Rentnern oder Leuten, die sie geerbt hatten. Am Berg darüber wiederum, südlich, in Richtung Ulriken, lagen in Starefossen die Häuser der Neureichen aus den 50er Jahren, mit gekalkten Fassaden, die im Sonnenlicht leuchteten, mit Aussicht über den größten Teil der Stadt und, hinter den Bäumen verborgen, sogar einem friedlichen kleinen Tennisplatz, auf dem junge Menschen in weißer Kleidung dynamisch Sonntagssport für Bessergestellte betrieben. Noch weiter oberhalb davon aber lag Jedermannsland: Fløyen und der Naturpark dort oben, mit schmalen Pfaden zwischen den Bäumen, wo du auf gedämpftem Kiefernadelboden gehen und dich von der Sülle erfüllen lassen, zu plötzlichen Aussichtspunkten finden und Hand in Hand durch laue, blinde Sommerabende gehen konntest, mit jemandem, den du liebhattest, falls du jemanden hattest.

Und als natürlicher Kontrast zu all den trauten Heimen den Fjellhang hinauf, stand eine verwahrloste Versammlung von Stadtstreichern unten auf der Landungsbrücke am Markt und ließ eines der ersten Biere dieses Tages die Runde machen. Dorthin wollte ich. Von dort führte der Weg weiter, zurück bis 1971 und vielleicht ganz bis 1953.

Die Obdachlosen von Bergen haben ihre festen Sammelpunkte, und die meisten von ihnen sind mit diesen Orten verbunden und sammeln sich dort fast wie eine Familie. Es sind immer dieselben Gesichter.
Einer dieser Orte ist die Landungsbrücke am Markt, ein anderer, an kalten Tagen, hinten bei der Korskirke. Frühmorgens an regnerischen Tagen kannst du sie unter der Leeseite des Dachs draußen bei Schuppen 12, am äußersten Ende des Strandkais finden. Später am Tag findest du sie in der Gegend um Marken und die Kong Oscarsgate. Die meisten wohnen in der Herberge der Inneren Mission in der Hollendergate; einige übernachten regelmäßig in der Ausnüchterungszelle.

Ein dritter Platz ist der Theaterpark und das Rondell vor dem Theater. Einige findest du im Nygårdspark und unten bei Møhlenpris, einige wenige in der Umgebung Viken – Danmarksplass, während sich ein großer Zweig der Familie an verschiedene Orte in Sandviken hält, rund um die Herberge der Heilsarmee in der Bakkegate und das neue Blaukreuzler-Heim draußen bei Rothaugen.

Die Obdachlosen sind nie schön anzusehen und es ist nichts Romantisches an ihnen. Sie haben von Suff, psychischen Problemen, Tablettenmißbrauch und Gewalttätigkeit gezeichnete Gesichter, blaurot verfärbt, oft zerschlagen, entweder nach Prügeleien oder durch Stürze im Rausch. Mit der Polizei haben sie eine Art friedlicher Übereinkunft, die meisten Gewalttätigkeiten geschehen innerhalb des Milieus, wegen unbezahlter Schulden oder Streit um eine Flasche. Die Männer sind unrasiert, die Frauen haben schlechte Zähne. Ihr Haar ist zerzaust, die Kleider haben sie getragen, so lange du sie kennst und ihre Körper können verfallen wirken, oft fast wie aufgeblasen. An einem schönen Sonntag im August, wenn sie an der Landungsbrücke eine sorglose Flasche Pils teilen, während du mit dem Stresskoffer in der Hand und neugebundenem Schlips um den Hals auf dem Weg ins Büro bist, kann es passieren, daß dich ein wenn auch noch so kleiner Stich von Neid durchfährt. Aber ein alter Sozialarbeiter weiß es besser. Sieh sie dir an einem Frostmorgen im November nach einer Nacht in einem umgedrehten Boot bei Nygårdstangen an, bei zehn Grad Kälte und ohne anderen Trost, als einen kleinen Schluck Brennspiritus auf dem Boden einer Limonadenflasche. Begegne ihnen am zweiten Ostertag, wenn alle Behältnisse geleert sind, sogar bei den Schnaps-Schwarzhändlern, und sie von Entzugssymptomen geschüttelt werden. Sieh ihnen in die Augen, wenn sie auf dich zukommen und murmelnd um eine Krone für ›eine Tasse Kaffee‹ betteln. Sieh nach, ob du Freiheit und Unabhängigkeit in ihren Augen findest und nicht Angst, Depression und Erniedrigung. Von denen, die in den großen Villen in Fjellvei wohnen, bis zu diesen Elenden am Fuße der Gesellschaftsleiter ist es per Luftlinie nicht weit, aber zwischen ihnen ist ein Abgrund: sie leben in zwei verschiedenen Welten.

Die alten Säufer rund um die Landungsbrücke sind ehemalige Seeleute, Hafenarbeiter, Laufburschen und Handlanger. Die meisten von ihnen sind durch psychische Probleme und Alkoholmißbrauch dort gelandet. Ein paar sind auch tablettenabhängig, aber die wenigsten nur rauschgiftsüchtig zu nennen. Die Rauschgiftsüchtigen gehören einer späteren Generation an und du findest sie rund um den Ole Bulls plass, ganz oben im Nygårdspark und rund um das Lille Lungegårdsvann. Nicht viele von ihnen zeigen sich bei Tageslicht. Ihre Einkäufe finden im Dunkeln statt. Die Säufer dagegen kaufen während der Geschäftszeiten ein: Bier vom Kolonialhändler, Schnaps vom Wein-Monopol, zuweilen durch Mittelsmänner.

Ich überquerte den Markt und schlenderte zu der Clique draußen auf der Landungsbrücke hinaus. Sie betrachteten mich mit nassen Lippen. In den Bartstoppeln glitzerte es von Biertropfen. Ein paar von ihnen nickten. Sie kannten mich von früher.

Es waren sechs Männer und eine Frau. Vier der Männer waren um einiges über fünfzig, der fünfte war ein Junger um die dreißig, mit halblangem, fettigem, in der Mitte gescheiteltem Haar, zerzaustem Bart und verwüsteten Gesichtszügen. Die Frau war in dem oft so unbestimmbaren Alter der Frauen dieses Milieus, irgendwo zwischen zwanzig und sechzig. Es mag unglaublich erscheinen, daß einige von ihnen sich den Schnaps durch Prostitution verdienen; es läßt dich glauben, daß die Transaktionen in völliger Dunkelheit vor sich gegangen sein müssen. Diese Frau hatte einen massigen Körper und ein merkwürdig mageres Gesicht. Der Mund war eingefallen und teilweise zahnlos, das Gesicht bleich wie der Tod, und die Augen schwammen wie Fische mit dem Bauch nach oben in einem vergifteten Teich. Das Haar war graublond, sie trug einen unkleidsamen Herrenmantel mit einem dicken Shetland-Pullover darunter, und die Beine waren von ein paar steifen, fleckigen Jeans bedeckt. An den Füßen hatte sie grüne Gummistiefel.

Einer der Männer war ein Typ, den sie ,Faßband’ nannten, Gott weiß, warum. Er hatte einen braunen, alten Filzhut auf dem Kopf und erinnerte an einen Adolf Hitler, malariaverzehrt und frühzeitig pensioniert, irgendwo im südamerikanischen Dschungel. Das Haar war grau und er hatte eine häßliche rote Narbe am Hals. Früher war er als Maschinist zur See gefahren, doch jetzt hätte er es wohl kaum geschafft, heil die Leiter zum Maschinenraum hinunterzustolpern.

Ich hielt einen zusammengefalteten Zehner vor ,Faßband’ in die Luft und spürte das augenblickliche Interesse, das er bei den anderen weckte.

»Hör zu, Kamerad, ich würd gern mit einem Typen reden, den sie ›Brandstelle‹ nennen. Wo find ich ihn?«
Er sah lange auf den Zehner. »›Brandstelle‹, ja«, murmelte er. Er sah sich in der Runde um.
Einer der anderen sagte: »Er hängt meist mit dem Professor zusammen. Draußen in Sandviken. Versuch’s vor der Unteroffiziersschule.«
Zwei andere nickten zustimmend. Der Junge mit dem Mittelscheitel starrte feucht auf den Zehner. Die Frau betrachtete mich wie durch einen versteinerten Wald, ihr Blick war so tot wie Asphalt.
Als hätte er nicht gehört, was die anderen gesagt hatten, sagte ›Faßband‹: »Ich würd dir empfehlen, ’s mal bei der Unteroffiziersschule zu versuchen. Ich weiß nich, ob du dich an den Professor erinnerst?«
Ich nickte.
»Er is oft mit ihm zusammen.«
Ich schob den Zehner in die Brusttasche seiner graubraunen Tweedjacke und dankte für die Auskunft. Er hatte einen grünen Wollschal um den Hals, und das aufgedunsene Gesicht erstrahlte in einer Art Lächeln, während er den Zehner aus der Brusttasche fischte und ihn, von der Hand bewacht, in die rechte Hosentasche rettete.
»Und dann ist da eine, die Olga heißt«, fuhr ich fort. »Die, die mit Stauer-Johan zusammen war, wenn ihr euch an den erinnert.«
›Faßband‹ bekam einen nachdenklichen Blick.
»Der Johan, ja. Wer erinnert sich nich an den. Der kam doch zum Schluß auch inne Zeitung.«
»Lebt sie noch?«
»Die Olga, klar. Die hängt auch da draußen in Sandviken rum. Mal hier, mal da. Meist isse alleine, aber ich könnt mir denken, daß ›Brandstelle‹ weiß, wo se zu finden is. Hat ’ne Wohnung da draußen irgendwo. Hat’s nich gut verkraftet, das mit’m Johan. Is nich mehr die alte seitdem.«
Ich tastete mich vor. »Weißt du was davon, was damals passiert ist, mit Stauer-Johan?« Ich ließ den Blick durch die Runde gleiten. »Ihr vielleicht?«
Die Gesichter verschlossen sich und wurden wie die der drei Affen: sahen nichts, hörten nichts, wußten nichts. Sie schüttelten die Köpfe.
»Nich mehr, als was inner Zeitung stand«, sagte ›Faßband‹. »Er hat sein Teil abgekriegt, der Johan.«
Ich stutzte. »Hat sein Teil abgekriegt, was meinst du?«
»Ja, ich mein …« Er sah mich verwirrt an. »Er is doch abgetaucht. Verschwunden.«
»Ja, aber wohin denn?«
Er wandte den Kopf zur Seite und starrte hinaus über Vågen. »Das Meer da draußen, das verbirgt viele Geheimnisse, Veum. Das kann ich dir versprechen.«
Ich trat dicht an ihn heran. »Weißt du etwas?«
Er schüttelte schwer den Kopf. »Aber wir denken uns doch unser Teil, nich? Und wenn welche von uns verschwinden, dann geh’n wir meist ins Meer. Das is doch bloß natürlich. Wir sind doch immer hier, um den Hafen rum. Ein kleiner Schritt zu weit raus, ins Dunkle, schon liegs de da und strampeis. Haste zuviel getankt, dann gehört gar nich viel dazu, bis de ohnmächtig wirs oder einfach sinks. So is das Leben, Veum. Goodby and farewell.«
»Jemand von den anderen? Erinnert ihr was?«
Sie schüttelten unisono die Köpfe. Ich holte einen neuen Zehner hervor. »Ich kann bezahlen.«
Sie sahen lange auf den Geldschein. Er schmeckte nach Pils. Einer von ihnen stotterte: »Da war mal Gerede … Du weißt, der Johan, der war bei der ,Hjemmefront’ im Krieg. Ich weiß noch, wie die Olga erzählte, einmal, daß sie Besuch gekriegt hätte, kurz bevor der Johan verschwunden is, von einem, der Leiter von seiner Gruppe war, damals, im Krieg.
Und daß die Olga rausgehn mußte, als die beiden miteinander geredet haben. Se hat geglaubt, daß sie irgendwas geplant haben, aber dann war der Johan verschwunden – und das wars dann.«
Ich starrte auf das große, blaurote Gesicht vor mir. Das Haar war gelblich, die Augen hellbraun, die Nase klumpig wie eine mißgebildete Kartoffel. Ich sagte tonlos: »Einer, der seine Gruppe geleitet hatte … Du weißt nicht – sie nannte keinen Namen?«
Er druckste herum, starrte auf den Zehner. Ich verstand, daß der Zehner nach einem Namen rief, aber ich wollte nicht irgendeinen lose aus der Luft gegriffenen haben. Ich gab ihm den Schein und fragte: »Er hieß nicht Fanebust? Konrad Fanebust?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nich mehr. Ehrlich gesagt.«
,Faßband’ meinte: »Das kannste doch die Olga fragen. Vielleicht weiß die das.«
Ich nickte langsam und zustimmend. »Vielleicht weiß sie es«, wiederholte ich nachdenklich.
Dann hob ich die Hände zu einer Art Gruß, steckte die Fäuste in die Manteltaschen und machte mich, an Bryggen entlang, auf den Weg nach Sandviken.

27

Der Professor saß allein auf dem runden Platz vor der Unteroffiziersschule, wie sie immer noch genannt wurde, obwohl es seit vor dem letzten Weltkrieg in Bergenhus keine Schule für niedere Dienstgrade mehr gegeben hatte. Er hatte den Wintermantel fest zugeknöpft, trotz des warmen Wetters. Die Wangen waren füllig, die Nase krumm und die Augen hinter den dicken horneingefaßten Brillengläsern groß und scharf. Der Kopf schien auf den Schultern zu ruhen, was ihm ein eulenartiges Aussehen gab. Aber das war nicht der Grund, warum sie ihn den Professor nannten.

Es gab so viele Schicksale. Der Professor hatte sein Staatsexamen im Hauptfach Mathematik abgelegt und nur die mündliche Prüfung stand noch aus. Er paukte, was das Zeug hielt, die letzten Tage bis zum allerletzten Examenstag und dann brannte irgendwo in seinem Kopf eine Sicherung durch. Er machte niemals mündliches Examen, verbrachte ein halbes Jahr in einer psychiatrischen Klinik, drei Jahre in einem Sanatorium und kam als ferngesteuerter, lakonischer Roboter wieder heraus, durch Tabletten aufgebaut und von kundigen Reparateuren in Bewegung gesetzt. Aber ganz gesund wurde er nie und trieb in den niederen Gesellschaftsschichten umher wie Leergut auf einer Strömung von Brackwasser. Dreißig Jahre später saß er allein auf dem runden Platz vor der Unteroffiziersschule, in verschlissenen braunen Hosen, eine halbgeleerte Flasche Pils auf dem Boden zwischen den schwarzen Schuhen.

Aber der Blick, den er mir zuwarf, verriet durchaus Intelligenz. Der Professor konnte etwas beunruhigend Waches an sich haben, als würde er eigentlich nur spielen und hätte das dreißig Jahre lang getan, wie ein heruntergekommener Hamlet mittleren Alters. Als hätte er einmal für den Rest des Lebens einen Beschluß gefaßt und hielte nun daran fest.

Ich hatte in weiser Voraussicht auf dem Weg eine Plastiktüte mit Halbliterflaschen Bier gekauft, diskret versteckt hinter den ersten Tageszeitungen. Solche kleinen Fläschchen können in der Gesellschaft, in der ich den Tag zu verbringen gedachte, die reinsten Mauerbrecher sein.

Ich begrüßte den Professor, nahm neben ihm auf der Bank Platz und öffnete ihm zu Ehren die erste Flasche. Um zu zeigen, daß ich einer von den Kumpels war, nahm ich selbst einen ordentlichen Schluck, bevor ich sie ihm hinüberreichte, ohne etwas zu sagen.

Er griff stumm danach, setzte sie an den Mund und leerte sie in einem langen Zug. Dann flammte kurz der Hamlet-Witz in seinen Augen auf, ehe er mir die leere Flasche zurückgab.

»Wie geht’s, Professor?« fragte ich freundlich.

 

Seine Stimme war rauh. »Och, weißt du, es sickert und fließt.«

Er sprach mit gebildetem Tonfall ohne nennenswerten Dialekt. »Und – selbst auch?«

Ich nickte. Wir saßen eine Weile stumm da. Er schielte auf meine Plastiktüte hinunter.

Ich fischte eine neue Flasche herauf und blieb damit in der Hand sitzen, ohne sie zu öffnen. »Eigentlich war es ›Brandstelle‹, nach dem ich Ausschau hielt …«

»›Brandstelle‹? Was willst du von ihm?«
»Mit ihm reden. Über den Brand.«
»Über diese alten Geschichten? Mein Gott nochmal, Mann!« »Und dann Olga. Die mit Stauer-Johan zusammen war.« »Über sie willst du mit ›Brandstelle‹ reden?« Er klang neugierig.

»Nein, nein. Nach ihr suchte ich auch.«
»Ahso.« Nach einer Denkpause sagte er: »Sie geht ab und zu vorbei, die Olga. Aber sie spricht mich selten an. Wir haben nie zum gleichen Kreis gehört, sozusagen.«

»Zu welchem Kreis gehörte sie?«

»Sie … Sie und Stauer-Johan waren oft für sich allein. Nachdem er verschwand, hat sie sich völlig zurückgezogen. Aber ›Brandstelle‹ …«

»Ja?«

Er machte eine schwere Bewegung mit dem Kopf, wie um einen steifen Nacken zu strecken. »An Tagen wie heute, mit Sonnenschein und so, müßtest du ihn draußen beim Flughafen finden können. Versuch’s mal da, äh …« Ich sah, daß er nach meinem Namen suchte und von der Flasche in meinen Händen abgelenkt war.

Ich öffnete die Flasche und gab sie ihm. »Veum«, sagte ich. Er strahlte ein großes Lächeln, aber wohl kaum über den Namen. Als ich aufstand und ging, hatte er die Flasche schon am Mund. Die Sonne schien durch das braune Glas, in goldenem Widerschein.

Ich fand ›Brandstelle‹ an der Sonnenböschung zum Wasser hin, auf der Pier, die zum alten Wasserflughafen in Sandviken führte. Er war in angenehmer Gesellschaft. Sie waren zwei Paare und vier Flaschen und die Plastiktüten versprachen mehr. Die Böschung bestand aus Steinen, Schotter und spärlichen Grasbüscheln, aber wenn man Mantel und Pullover auszog und unter dem Nacken zusammenrollte, konnte man es sich in der Sonne richtig gemütlich machen. Die Damen waren reichlich aufgeknöpft, und es wogte träge, sowohl zu Land, als auch zu Wasser. Die Sonne schien blitzend in die Kräuselungen vor den Ufersteinen. Links von ihnen, die Sjøgate entlang, lagen die Speicher, rechts der Byfjord, wo weiße Möwen schaukelnd auf den Wellen lagen und die Askøy-Fahre sich vorsichtig von der Stadt zu der Insel dort draußen bewegte. Beide Damen waren im gleichen, unbestimmbaren Alter wie die Kollegin auf der Landungsbrücke, aber die beiden Herren waren definitiv über fünfzig. Der eine war ein Zwerg mit schwarzem Schnauzbart und ein wenig zigeunerhaft; ein vierkantiges Halunkengesicht, das in einer Pariser Seitengasse heimisch ausgesehen hätte, wie das eines Liebedieners in einem belebten Bordell. Er hatte den Oberkörper entblößt, aber die Hosenträger anbehalten. Die Haut auf der Brust war kreideweiß und weiblich und der bucklige Rücken schien ihn nicht zu genieren.

›Brandstelle‹ selbst lag auf dem Rücken, die Hände unter dem Nacken und mit zwinkernden Augen. Er trug ein blaugrau kariertes Flanellhemd und eine braune Hose. Er hatte die Schuhe weggeschleudert und spreizte die Zehen durch löchrige Strümpfe. Das Gesicht leuchtete wie eine aufgehende Sonne auf einer japanischen Porzellanmalerei. Die Haut war flammend rot und rissig, die Augen wässerten schwach und er war vollkommen glatzköpfig, als sei ihm das Haar von der Kopfhaut gesengt worden. Ein Blick auf sein Gesicht erzählte mir augenblicklich, welche Tragödie der Pfau-Brand wirklich gewesen war, und ich konnte diejenigen verstehen, die sich gefragt hatten, wer besser dran war; die, die im Brand umkamen, oder die, die überlebten.

Ich ging vorsichtig die Böschung hinunter und begegnete ihren verwunderten Blicken. Die Damen richteten fast anständig ihre Rocksäume und ich sah, daß sie einen Augenblick glaubten, ich sei ein Bulle, denn der Zwerg schmiß seine Jacke über ein paar der Flaschen.

»Tut mir leid, daß ich störe«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob ihr mich kennt. Ich heiße Veum und ich werde für die – Mühe bezahlen.«

Ich streckte die offene Plastiktüte vor und als sie die Bezahlung erblickten, entspannten sie sich zusehends und der Zwerg sagte: »Willkommen im Grünen, wer de auch bis.«

Ich nahm in der Sonne Platz. Wir saßen eine Weile stumm da. In solchen Kreisen war es nie ratsam, übereilt zu handeln. Diese Menschen hatten es nur dann eilig, wenn fünf Minuten später das Wein-Monopol zumachte. Ansonsten lebten sie ruhig und bedächtig, solange nur eine offene Flasche in der Nähe war. Sie tranken auch nicht unbedingt sehr viel, Hauptsache war, es war irgendetwas zu trinken da. Die Tage waren unterschiedlich, für diese wie für alle anderen Menschen. Manche waren gut, und dann reichte ein Bier, oder zwei. Andere Tage waren schlimm, und dann reichten zwei Flaschen Schnaps nicht aus.

Es war zu dieser Tageszeit ein stiller Ort. Der Verkehr von und nach Åsane war gering, und es war lange her, daß in Sandviken viele Boote anlegten, um zu löschen. Hinter uns erhoben sich die Fjellhänge, rund und mollig zum Fløyen hin, auf der Südseite des Skredderdal; steil und dunkel in Richtung Sandviksfjell und Sandvikspil, der standhaft die Windrichtung anzeigte. Der Sonnenschein spiegelte sich in den Glasscheiben am Fjellhang und oben auf einer Felskuppe wuchtete wie ein steingraues Dracula-Schloß auf einer Bergzinne die Rothaugen Schule.

Ich saß die Hände um die Knie gelegt und wandte den Blick hinaus aufs Meer. Die Wellen flimmerten auf Nordnespynten zu, wo Ballangen wie ein vorsichtiger großer Zeh die Temperatur des Wassers prüfte. Ein Westamaran kreuzte auf dem Weg nach draußen, stieg wie ein riesiges Meerestier genau vor Pynten aus dem Wasser, brüllte häßlich gegen den Spätsommerhimmel und stapfte auf hohen Stelzen südwärts in Richtung Sunnhordaland und Stavanger.

Ich sagte: »Eigentlich wollte ich hauptsächlich mit dir sprechen, ›Brandstelle‹.«

Er blinzelte mich mit schmalen Augen an. »Ahja? Und über was?«
»Über das, was damals passiert ist.«
»Wann damals?«
»Als es brannte, 1953.«
Er setzte sich abrupt auf und es knisterte trocken in der Gesichtshaut, als er eine Grimasse schnitt. »Über den Brand?«
»Es sind da Dinge aufgetaucht. Ich habe mit Sigrid Karlsen gesprochen, der Witwe von Holger Karlsen. Und ich habe mit anderen geredet.« Ich beugte mich vor. »Du bist der einzige, der übrig ist. Der noch lebt. Das weißt du, oder?«
Plötzlich sperrte er die Augen auf und betrachtete mich mit starrem Blick. »Doch, das weiß ich. Ich seh’s im Spiegel, jeden Morgen. Ich hab das jetzt bald dreißig Jahre lang jeden Morgen gesehen. Verstehst du?«
Ich nickte hilflos. »Ja.«
»Das hat mir das Leben weggenommen. Ich war ein ganz normaler, ordentlicher Arbeiter, damals, und was is aus mir geworden? Es hat viele Jahre gedauert, bis ich überhaupt soweit in Ordnung war, wie ich jetzt bin. Die ersten Jahre war ich nur ’ne wässernde Fleischwunde aus mißglückten Hauttransplantationen. Mein Leben kaputtgemacht hat’s – und ich erinner mich, Veum – und ich weiß das!« Er griff halbblind nach einer Flasche und nahm einen ordentlichen Schluck. »Komm nich hier an und erzähl mir alte Kamellen.« Nach einem erneuten Schluck sagte er, plötzlich ruhiger: »Was willste wissen?«
Die anderen drei waren stumm. Sie hörten zu. Eine Möwe flog tief über uns hinweg und schrie dünn und heiser, wie zur Erinnerung an eine böse Vergangenheit.
»Ich … Ich möchte gern, daß du – daß du mir nur von dem Brand erzählst. Vom Brand, so wie du ihn erinnerst, wie alles passierte.«
Er wiederholte leise: »Der Brand – wie alles passierte …«

28

»Am Tag, als es brannte … Ich sehe die Produktionshalle noch wie heute vor mir, als ob ich mittendrin stünde. Zwei Etagen hoch, um die Fallhöhe auszunutzen. Die Farbe wurde in Riesentanks hergestellt, mit mehreren Räumen drin. In jedem Stockwerk wurden neue Stoffe beigemischt und neue Prozesse in Gang gesetzt. An jedem Absatz gab es ’ne große Anzahl Kontrollscheiben, Skalen, Konzentrationsmesser und so weiter.«

Sein Blick ging in die Ferne und wir anderen saßen stumm da. »Ganz unten lagen die Tanks, wo die fertige Farbe gemischt wurde, bevor sie zur Zapfstation rausging, wo die leeren Eimer auf dem Fließband reinkamen, gefüllt und in Kartons gesetzt

wurden, die dann wieder zur Auslieferung transportiert wurden.«

Ich sah in das verunstaltete Gesicht und versuchte, es mir 1953 vorzustellen. Olai Osvold war damals ungefähr dreißig Jahre alt gewesen, nicht besonders kräftig, aber klein und drahtig und sicher ein guter Arbeiter. Die Oberarme waren massig, auch jetzt noch und er hatte sicher ordentlich zupacken können. Aber das Gesicht … Hatte er gut ausgesehen? Glattrasiert? Vielleicht ein kleiner Schnauzbart? Und das Haar, welche Farbe hatte es gehabt? Blond? Hell? Dunkel? Das war unmöglich zu sagen.

»Wir hatten unsre festen Stationen mit unsrer festen Routine, aber es war keine gewöhnliche Fließbandarbeit, jedenfalls nicht in der Produktionshalle. Du mußtest die ganze Zeit hellwach sein und du mußtest eine Mischung einschätzen, vielleicht vom einen was ein bißchen überdosieren und dann bei anderen Zusätzen sparsamer sein. Normalerweise saßt du auch nicht still. Du verfolgtest den Prozeß durch deine ganze Station und es mußten Messungen gemacht werden, schwere Griffe, wenn was zugesetzt werden sollte. Du hast deinen Körper eingesetzt, aber das war’s nicht, was die Arbeit am schwersten machte. Das war die Luft. Die war nie ganz sauber. Es blieb immer irgendwas von all den Zusätzen hängen. Damals wurden starke Verdünner benutzt, Stoffe, die heut’ verboten sind, nach dem, was ich so höre. Wenn der Tag vorbei war, hattest du immer einen schweren Kopf, und es konnte ein paar Stunden dauern, bis du dich wieder fit gefühlt hast. Kopfschmerzen kriegtest du auch.«

»Aber habt ihr denn diese Sachen nicht angesprochen, mit der Leitung?«
Er sah mich höhnisch an. »Dochdoch, wir haben es angesprochen. Aber du solltest wissen, das waren damals im Arbeitsleben noch ganz andere Zeiten als heute. Die in der Leitung kümmerten sich nich sonderlich darum, was wir da von ganz unten sagten. Und du kannst sagen, die Schwäche vom Holger, das war, daß er nicht hart genug dranblieb, wenn es wirklich drauf ankam. Ich hab dem Holger nie was vorgeworfen wegen dem, was passiert is. Obwohl da genug Leute waren, die das gemacht haben. Aber es is doch so, wenn er wirklich gefürchtet hat, daß irgendwo in der Produktionshalle eine Leckage war, hätte er sich auf die Hinterbeine stellen müssen und uns die Arbeit niederlegen lassen. Streiken, bis alles gehörig gescheckt war.«
»Meinst du, daß er nicht sicher war?«
»Ich weiß nich, was ich meine. Ich sag, wenn er das wirklich gefürchtet hat, dann hätte er Bescheid sagen müssen und die Leute aus der Halle abziehen.«
»Er hat also mit euch anderen nicht darüber gesprochen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich konnte sehen, daß er rumging und über irgendwas nachgrübelte. Ich hatte meine Station auf der vorletzten Etage, aber der Holger, als Vorarbeiter, hatte seine ganz unten am Boden.
Er hatte ’ne kleine Kabine mit Glasfenstern, hinten an der Tür, wo er Überstundenlisten führen konnte und aufschreiben, wieviel von den verschiedenen Stoffen wegging und so Sachen. Manchmal sah ich, daß er nur da drinnen saß und in die Luft starrte, ohne überhaupt was zu sehen. Einmal war er oben bei mir und ging rum und guckte. Dann fragte er, wie zufallig: Merkst du irgendwas in der Luft, Olai? – Ich prüfte mal nach, aber wie ich gesagt hab: es war immer was in der Luft. Die war nie so sauber wie draußen auf der Straße. Also zuckte ich einfach mit den Schultern und antwortete nich weiter. – Aber am Tag, bevor es brannte, da kam er wieder zu mir rauf. Olai, sagte er. Ich muß mal was erledigen, es kann sein, daß ich ’ne Zeit wegbleibe, kannst du nicht die Dinge da unten im Auge behalten? Doch, das war in Ordnung. Ich war sozusagen der nächste auf der Liste und wenn er weg war, dann war das eben auch Routine. Als er zurückkam, ging er rein in sein kleines Büro und da sah ich ihn sitzen und wieder vor sich hinstarren. Ein paarmal war er draußen und zog richtig den Atem ein, dann ging er wieder rein. Einmal sah ich, daß er den Telefonhörer nahm und eine Nummer wählte, aber dann legte er wieder auf, ohne abzuwarten, ob jemand abnahm. Als wir an dem Tag nach Hause gingen, hab ich gefragt, ob was nich in Ordnung wär, aber er starrte nur vor sich hin und sagte leise: Ich bin ehrlich nicht sicher, Olai. Kann ja sein, daß es nur mir schlecht geht. Und dann redeten wir nich mehr davon. Und am Tag danach knallte es.«
Er machte eine kurze Pause. Seine Trinkkumpane sahen ihn mit großen Augen an. Es war offensichtlich, daß sie dies hier noch nicht gehört hatten. Es war faszinierend, ihm zuzuhören, dem einzigen Augenzeugen des Brandes, der noch lebte, der tatsächlich da drin gewesen war, in der Produktionshalle bei Pfau, als sie in Flammen aufging.
»Ich erinnere mich gut an den Tag. Es war ein milder warmer Morgen – genau wie heute – nur daß Frühling war. Ich nahm das Fahrrad zur Arbeit und ich war früh dran, weil ich Lust hatte, zu duschen. Zuhause hatten wir sowas nich, aber in der Fabrik war ’ne richtige Dusche und Garderobe. Wir brauchten das, damit wir uns nach der Arbeit abspülen konnten.«
»Warst du verheiratet?« Die Frage kam wie von allein, aber hinterher hätte ich mir selbst auf die Zunge beißen können.
Ich sah, daß er vom Thema abkam. »Nee. Ich wohnte zuhause bei meinen Eltern. Ich hatte wohl schon eine im Kopf, aber nach dem Unglück, da – verschwand das irgendwie im Sand.«
Seine Augen blickten nachdenklich und es kam ein dunkler Zug über sein Gesicht. Ich hielt die Luft an und sagte nichts mehr.
Langsam kehrte er wieder in die Produktionshalle zurück.
»Um sieben Uhr fingen wir an und der erste Teil vom Tag lief wie immer. Nichts Ungewöhnliches. Und als es dann knallte, da ging alles so schnell, das war fast so wie Lichtbilder. Die Explosion selbst …«
»Also hat die Explosion das ganze ausgelöst? Es kam keine Vorwarnung?«
Er schüttelte den Kopf. »Nichts weiter, als die Vorwarnung vom Holger jedenfalls. Ich seh das genauso deutlich vor mir, als hätte es sich in meinem Kopf festgebrannt. Und das hat es sich wohl irgendwie auch. Alles wurde weiß.«
»Habt ihr denn weiße Farbe gemacht?«
»Nein, nein«, antwortete ›Brandstelle‹ abwesend. »Das Licht. Der ganze große Raum, ein großer weißer Augenblick. Die Explosion war über mir in einem der obersten Tanks. Ich sah den Holger – er stand halb aufgerichtet in seinem Glaskäfig, gerade so, als hätte er drauf gewartet, daß es passieren würde. Einer der Jungs aus der Etage über mir wurde einfach in die Luft geschleudert, und dann, in dem weißen Augenblick, da hing er da einfach, in der Luft, zwölf Meter über dem Betonfußboden. Im nächsten Augenblick …«
Er schluckte schwer. »Alles ging so schnell. Es gibt was, was sie St. Elms Feuer nennen, oder so ähnlich, auf See: Feuer, was sich plötzlich über eine ganze Bohrplattform ausbreitet. So war das hier auch: Die Farbe von oben stand in Flammen und regnete auf uns runter, wurde in alle Richtungen geschleudert – als ob es Flammen regnete. Die Schreie – Herrgott, wie sie schrien, wie besessene Teufel, die – ich weiß nich was. Der Holger, der war aus seinem Glaskasten rausgekommen, er hatte einen Feuerlöscher gegriffen und versuchte rumzusprühen. Aber es war hoffnungslos. Das war, wie in einen Vulkan zu pissen, genauso viel hat es genützt. Ich stürmte die Leiter zum Boden runter. An meinen Kleidern war Feuer und ich fühlte – mein Gesicht – wie eine starre Maske, als wenn ich eine Neujahrsmaske aufgehabt und die sich in meiner Haut festgebrannt hätte. Als ich runterkam, stolperte ich über einen von denen am Boden. Er lag auf dem Bauch, mit dem Gesicht zum Beton. Ich faßte ihn unter den Armen und zog ihn zur Tür hin. Ich sah zur Tür. Der Holger hatte den Feuerlöscher weggeschmissen und ich sah ihn deutlich, als er die Tür aufmachte, sah ihn genau in der Türöffnung stehen und wie er rausstolperte und die Hände vors Gesicht hielt. Die ganze Zeit brannte es um uns rum und es kamen kleine Explosionen, das ganze Gebäude zitterte, das war wie ein Erdbeben, oder, als wenn eine Atombombe explodiert wär. Ich fühlte, daß ich in die Knie ging. Ich schaffte nich, den andern weiter zu zerren. Ich sah verzweifelt zur Tür und da kam er rein, der Bürobote, Harald Wulff. Er war’s, der mich rausgeholt hat. Wenn er nich gewesen wär, dann …«
»Erinnerst du …«
»Nein, genau da bin ich ohnmächtig geworden«, unterbrach er mich.
»Ich erinnere nich mehr, als daß ich ins Gesicht von Harald Wulff raufsah, und dann wurde alles dunkel, bis ich im Krankenhaus aufwachte, von oben bis unten in weiß eingepackt und mit solchen Schmerzen im Körper, daß es sich anfühlte, als wenn ich am Spieß gegrillt würde, lebendig. Ehrlich gesagt, du, ich hab geglaubt, ich war in der Hölle aufgewacht.«
»Gott, wie grauenhaft«, sagte eine der Frauen in der kleinen Zuhörerschar.
»Das ist gräßlich«, sagte die andere.
»Mensch, du mußt froh sein, daß du überhaupt mit’m Leben davongekommen bist, du, Olai«, sagte der Zwerg.
›Brandstelle‹ sah ihn starr an. »Genau das hab ich mich all die Jahre danach gefragt, du. Ob ich wirklich Glück hatte, oder ob’s nich am Besten gewesen wär, wenn ich auch draufgegangen wär.«
»Bloß, dann hättste uns nich getroffen!« sagte der Zwerg.
»Fünfzehn Mann gingen drauf. Nur ich und noch zwei überlebten, und die gingen ein paar Jahre später auch übern Jordan. Der Holger, der Piddi, jahrelange Arbeitskollegen – was hatte ich gemacht, daß ich überleben durfte? Sie hatten Familie, mehrere von ihnen, Frau und Kinder, es wär besser gewesen, wenn einer von denen rausgekommen wär … Ab und zu krieg ich fast ein schlechtes Gewissen.«
Die eine Frau legte eine mollige Hand auf sein Knie. »Das sollste nich haben, Brandstelle. Das sollste nich.«
»Nich?« Er sah sie wie benommen an. Er war noch immer nicht ganz von 1953 zurückgekommen.
Ich sagte langsam: »Holger Karlsen ging also durch die Tür raus, und gleich danach kam Harald Wulff rein?«
»Ja, ja – und hat mich gerettet. Er hat mich gerettet, verstehst du? Und der, den ich mit mir gezerrt hatte, das war einer von den andern, die überlebt haben, eine Weile …«
»Genau. Er rettete dich.« Das war das Wichtigste für ›Brandstelle‹, und ich würde ihm nicht widersprechen. Aber warum hatte er nicht Holger Karlsen gerettet? Warum war Holger Karlsen nicht ganz hinausgekommen, wenn er lebendig aus der Produktionshalle gekommen war? Selbstverständlich gab es da Explosionen und selbstverständlich konnte er einen Stahlbalken auf den Kopf bekommen haben, draußen vor der Halle – aber war das wahrscheinlich? Zufälligkeiten bestimmen über uns alle, aber – Raum für Zweifel gab es immer.
Langsam öffnete ich eine Bierflasche und reichte sie ›Brandstelle‹.
»Guck mal, hier. Du mußt ein trockenes Maul haben!«
Er sah mich leer an, nahm die Flasche, setzte sie an den Mund und trank. Dann sagte er: »Ich hab viele Jahre ein trockenes Maul gehabt, Veum.«

29

Mit der Sonne schräg von rechts überquerten wir Sandvikstorget, und in einem spiegelnden Fenster sah ich uns, alle fünf. Der Zwerg, der Riesen-Olsen genannt wurde, und die zwei Damen gingen vor. Die Damen mußten aufs Klo und Riesen-Olsen hauste in einer Kellerwohnung gleich oben im Sandviksvei. Am Schluß kamen ›Brandstelle‹ und ich. Er hatte versprochen, mit mir zu Olga Sørensen zu gehen, falls sie noch am gleichen Ort wohnte, wie vor zwei Jahren.

Als ich uns geschlossen im Fenster sah, schoß es mir wieder ein: ich unterschied mich nicht von den anderen. Für einen Privatdetektiv war ein gewisser Grad von Anonymität nicht zu verachten, aber daß ich so glatt ins Bild paßte, als Bingo-Spieler, im Aufreißerlokal der alternden Singles und jetzt, in versoffener Gesellschaft, mit schweren Plastiktüten an den Fäusten baumelnd, das machte mich niedergeschlagen. Ich fuhr mir mit der freien Hand durchs Haar und versuchte, meine Kleidung zu ordnen. Aber eine ältere Dame, die vorbeiging, warf einen strammen Blick auf uns alle, ohne mich mit Verwunderung herauszusondern.

»Aber die Olga hat doch wohl nichts mit dem Brand zu tun, oder?« sagte ›Brandstelle‹.
»Nein, nein. Hier geht’s um was anderes«, antwortete ich vage.
»Stauer-Johan?« fragte er vorsichtig.
Ich sah ihn schnell an, bevor ich nickte. »Hast du ihn gekannt?«
»Nee. Nich mehr, als alle die andern. Weißt du, wenn man erst drin is im Milieu, dann isses gar nich so groß.« Er zögerte etwas. Dann sagte er leise: »Aber ich bin der Olga mal nachgestiegen, vor’n paar Jahren. Sogar die hat mich abgewiesen. Da siehst du, was für Chancen ich hab. Was ich an Liebe gekriegt hab, die letzten dreißig Jahre, das hab ich mir kaufen müssen. Oder sonst isses im Suff passiert, wenn sie sowieso mit jedem X-beliebigen pennen.«
Ich antwortete nicht, sondern nickte und biß mir auf die Lippe.
»Kommt doch mit zu mir«, sagte Riesen-Olsen und kam zu uns herüber. »Wir können für einen Genever zusammenlegen, dann nehm ich ein Taxi rein nach Greggen und kauf einen. Na los!«
»Wir müssen nur hoch, was erledigen«, sagte ›Brandstelle‹ feierlich.
»Und Geld hab ich auch nich.«
»Und du?« Er sah hoffnungsvoll zu mir.
Ich klaubte fünf Zehner aus der Innentasche. »Guck hier. Das is von ›Brandstelle‹«.
Seine Hände waren groß, und sie schlossen sich um das Geld, wie eine Kinderfaust um Schokoladenpapier. »Du bist eingeladen, wenn du willst. Brandstelle weiß, wo es is.«
Riesen-Olsen und die Damen bogen nach rechts ab, während wir weitergingen, die Treppen bei Søre Almenning hinauf. ›Brandstelle‹ mußte nach jedem Absatz eine Atempause einlegen, also dauerte es seine Zeit.
Olga Sørensen wohnte im ersten Stock eines grauen Bergenser Stadthauses in der Kirkegate. Wir gingen die Treppe zum ersten Stock hinauf. Jensen stand an der braunen Tür, aber nichtsdestotrotz wohnte dort, laut ›Brandstelle‹, Olga Sørensen. Wir bekamen es allerdings nicht bestätigt, denn es machte niemand auf.
Ich sah zweifelnd auf das Türschild. »Du bist sicher, daß sie nicht umgezogen ist?«
»Klar, sag ich doch. Dann hätt ich davon gehört.«
»Aber – der Name an der Tür?«
»Dasselbe Schild hing hier letztes Mal auch. Sie hat sich nur nich die Mühe gemacht, es auszuwechseln. Unten am Briefkasten steht sicher ihr Name.«
Die braune Tür verriet nichts. Hinter zwei schmalen, welligen Glasscheiben erkannten wir undeutlich eine geblümte Gardine, aber das Licht drinnen brannte nicht.
»Sie kommt sicher gleich wieder«, sagte ›Brandstelle‹. »Jetzt weißt du jedenfalls, wo sie wohnt. Wir können solange zu Riesen-Olsen runtergehn und warten.«
Auf dem Weg nach draußen überprüfte ich die Namen auf den Briefkästen. Er hatte Recht. Auf einem von ihnen stand O. Sørensen.

Wir kamen genau in dem Moment zu Riesen-Olsen hinunter, als eine der Damen aus einem Taxi stieg, mit einer blauen Tüte vom Wein-Monopol in der einen Hand und einer Topfpflanze in der anderen. »Sie haben mich zum Monopol geschickt. Ich denk mir, Riesen-Olsen wollte ’ne Nummer schieben, während er wartete. Aber ich hab die Blume hier gekauft. Dachte, wir könnten’s ein bißchen hübsch machen.«

In dem klaren Tageslicht war ihr Gesicht offen und ein wenig naiv, mit großen Poren und vollen Lippen mit Konturen wie denen einer Qualle, nur teilweise durch eine unregelmäßige Schicht roter Farbe getarnt.

Ich taumelte eine Treppe hinunter und in einen dunklen kalten Keller hinein. Ganz hinten im Keller leuchtete es durch die Ritzen der Tür und als wir sie öffneten, landeten wir direkt im Schoß von Riesen-Olsen und seiner Freundin. Sie lagen in luftiger Bekleidung auf dem Boden und sahen aus, als hätten sie die Klimaanlage getestet. Es war ein kleiner Raum und als wir nun mit drei Leuten ankamen, gab es ein Gedränge wie im Stadion während eines Endspiels. Riesen-Olsen zog die Hosen hoch und seine Freundin schob routiniert den Rock zurecht. ›Brandstelle‹ setzte sich in den einzigen Stuhl im Raum, ein Überbleibsel aus dem Dreißigjährigen Krieg, während die Dame mit der Topfpflanze durch den Raum und in die Küche hinausging, um zu wenden. Die Küche bestand aus einer Zinkspüle und einem Eimer auf dem Boden. Neben dem Eimer stand ein offener Milchkarton und zehn leere Bierflaschen. Sie war augenscheinlich schon einmal hiergewesen, denn sie griff einen Küchenschemel und nahm in der Türöffnung Platz.

»Nimm Platz«, sagte Riesen-Olsen höflich zu mir. Ich sah mich um. Ich hatte die Wahl zwischen einem Heizstrahler, den Riesen-Olsen und seine Freundin bei ihren Freiübungen zur Seite getreten hatten, und einer umgestülpten Bierkiste. Ich wählte die Bierkiste und Riesen-Olsen setzte sich auf den Ofen. »Dann servier du mal, Lisbeth«, sagte er zu seiner Freundin, und die Dame ging gehorsam in die Küche und holte fünf schmutzige Wassergläser.

Der Genever schimmerte in den Gläsern und wir prosteten in die Runde. Die Wände waren nackt, bis auf eine, an die er eine Seite von Bergens Tidende geheftet hatte. Ich hatte keine Ahnung, weshalb. Es war die Landwirtschaftsseite. Der Raum lag im Halbdunkel und die Sonne reichte nicht so weit herunter. Es war zu spät im Jahr, oder zu früh am Tag. »Geht’s uns nich prima?« sagte Riesen-Olsen und sah strahlend um sich.

Seine Freundin war mitten im Raum stehengeblieben, und ihr blieb nichts weiter übrig, als sich einfach da zu setzen, wo sie stand. Vorläufig sah ich, daß sie zögerte und ich konnte erraten, warum. Hinten in einer Ecke lag ihr Höschen, das er ihr noch hatte ausziehen können, bevor wir kamen.

Ihr altersloses Gesicht wandte sich mir zu. Die Augen waren braun, das Haar dunkel und zerzaust, mit ein paar unsymmetrisch verteilten hellbraunen Strähnen, und um ihren Mund lag ein verwüsteter Zug. Ich hatte sie selbstverständlich schon längst wiedererkannt. Es war mir nur bis dahin nicht klar geworden.

»Sag mal – kenn ich dich nich von irgendwoher?« fragte sie mit rauher Stimme und kniff das eine Auge zu, als könne ihr das helfen, mich besser zu sehen.

»Ich bin viel auf Achse«, sagte ich. »Überall und nirgends, in der Stadt.«
»Was biste denn eigentlich?«
Ich antwortete nicht direkt. »Ich war mal beim Jugendamt.«
»Ohja.« Ihr Gesicht wurde flach. »Die haben meine Kleine geholt. Erst ins Kinderheim. Dann kriegte sie Pflegeeltern. Heut weiß ich nich mal, wo sie is.«
»Ich glaube nicht, daß ich was damit zu tun hatte.«
»Nee, ich weiß. Aber es kann doch sein, daß ich mich daher an dich erinner.«
»Ja. Vielleicht«, sagte ich neutral. Ich mochte ihr nicht sagen, daß wir in der Volksschule in Parallelklassen gegangen waren. Es würde ihr vielleicht nicht gefallen, daß sich jemand daran erinnerte, wie sie vor langer Zeit gewesen war. Sie war ein schönes junges Mädchen, damals, nur ein bißchen wild. Und das war vor dreißig Jahren, ungefähr zu der Zeit, als Pfau abbrannte.
»Ach ja, hier sitzen wir und uns geht’s gut«, sagte RiesenOlsen und leerte sein Glas, bevor er sich einen neuen Schnaps eingoß.
›Brandstelle‹ war drüben im Lehnstuhl still geworden. Er starrte vor sich hin, ohne zu sehen, ohne zu hören. Die Dame in der Küchentür saß noch immer mit der Topfpflanze im Schoß, als hätte sie es aufgegeben, einen Platz dafür zu finden.
»Die Menschen können einem leidtun«, sagte die Freundin von Riesen-Olsen. Lisbeth hieß sie, und ich erinnerte mich immer deutlicher an sie. Sie war in die sechste Klasse gegangen, und ein paar der Jungs hatten in einem der neuen Gebäude, die noch im Bau waren, mit ihr schlafen dürfen. Wir anderen wurden mit den lebhaftesten Beschreibungen ihrer vielen Vorzüge gefüttert. Jetzt hatte sie sich endlich auf den Boden gesetzt, und wenn ich frech genug gewesen wäre, hätte ich wenigstens eine der Beschreibungen überprüfen können.
Ja, die Menschen konnten einem leidtun. Mädchen wie Lisbeth konnten einem leidtun, für die wir eine Art ängstlicher Verliebtheit empfunden hatten, wir, die damals, so früh im Leben zu den Zurückhaltenden gehört hatten. Mädchen wie Lisbeth konnten einem leidtun, mit ihrem damals langgestreckten, linkischen Jungmädchenkörper, in Strickjacke und Baumwollrock und mit einem tiefen, männlichen Lachen … Schade, daß sie dreißig Jahre später hier auf einem Kellerfußboden hockte und die Menschen und sich selbst bemitleidete.
Und ›Brandstelle‹ konnte einem leidtun, dem durch die Gleichgültigkeit anderer Menschen das Gesicht und damit sein Leben zerstört worden war. Riesen-Olsen konnte einem leidtun, ein schlecht zugeschnittener Däumling, der seinen Partnerinnen nicht höher reichte, als daß er ihnen gerade in die untersten Haare beißen konnte. Die Dame mit der Topfpflanze konnte einem leidtun, weil sie zum Monopol geschickt wurde, während andere liebten; und konnte ich einem nicht eigentlich auch leidtun, wie ich da saß, Genever im Glas, eine lichte Ahnung hinter der Stirn und eine Reihe von unaufgeklärten Verbrechen auf dem Programm?
Ich sah auf die Uhr. Ein paar Stunden waren vergangen, seit wir bei Olga Sørensen gewesen waren. Es war nicht sehr viel gesagt worden und auch nicht sehr viel getrunken. Wir hatten im Kellerdunkel gesessen und das Tageslicht seinen rechteckigen Abdruck über den Boden bewegen gesehen, Stück für Stück. Das Licht fiel durch ein schmales Fenster, mit Kaninchendraht davor, und durch das Fenster konnten wir die Schuhe der Leute sehen, die oben auf dem Gehsteig vorbeigingen.
Lisbeth schlief halb in ihrer Ecke, der Mund öffnete sich, die Lippen wurden weich wie bei einem Kind: pitt-pitt-pitt sagte es aus ihrem Mund. Riesen-Olsen legte seinen freien Arm um ihre Schultern und stützte sie. Einen Augenblick lang schien es mir, als sähe ich einen Anflug von Zärtlichkeit in seinem Blick, dann nahm er sich zusammen und schickte mir einen ironischen Augenaufschlag, wie um zu sagen: Guck, womit ich mich rumzuschlagen hab!
›Brandstelle‹ saß und murmelte vor sich hin. Die Frau in der Küchentür strich der Topfpflanze weich über die Blätter: zarte, süße Liebkosungen.
Ich erhob mich steif von der Bierkiste, stellte das leere Glas darauf ab und streckte mich.
›Brandstelle‹ sah plötzlich auf. »Willst du los?«
»Ich glaub, ich versuch’s noch mal bei Olga«, sagte ich.
Er nickte. »Ich bleib hier«, sagte er.
Ich holte ein Stück Papier hervor und schrieb meine Büroadresse und die Telefonnummer darauf.
»Falls dir noch mehr einfallen sollte, meld’ dich bei mir.«
»Noch mehr? Wozu?«
»Zum Brand.«
»Ach der … Dazu gibt’s nix mehr zu sagen.«
»Nein, nein, nur für den Fall.«
Er nickte. »Grüß mal die Olga.«
»Ja, grüß mal!« stimmten die anderen zu. Lisbeth hatte die Augen wieder geöffnet.
Ich nickte in die Runde und verließ sie. Als ich die Tür hinter mir schloß, hörte ich Lisbeths Stimme: »Ich frag mich, woher ich den da kenn. Ich weiß, ich hab ihn schon mal geseh’n.«
Der Übergang vom Halbdunkel zum Licht war blendend. Es war, als käme ich hinaus in eine neue Welt, weißgewaschen und strahlend, direkt aus der Waschmaschine zum Trocknen aufgehängt, zum Ansehen für Kellermenschen. Aber nur ansehen, nicht berühren.

30

Auch dieses Mal öffnete niemand die Tür, an der Jensen stand. Ich lehnte mich mit meinem vollen Gewicht gegen die Türklingel, wie ein nostalgischer Vertreter, der in dieser Wohnung einmal ein paar Damenstrümpfe verkauft und danach die Hoffnung nie aufgegeben hat. Es klingelte, daß selbst lote hätten aufwachen müssen, aber niemand kam und öffnete, und zum Schluß mußte ich aufgeben.

Ich ging langsam die Treppen hinunter. Eine der Türen im Erdgeschoß öffnete sich leise einen Spalt und über einer Sicherheitskette starrten ein Paar neugierige Augen zu mir hinaus. Als ich ihrem Blick begegnete, wollte sie die Tür sofort wieder schließen. »Heh, warte«, sagte ich. »Mach nicht zu.«

Sie machte nicht ganz zu. Die Nase war groß und spitz über der blanken Kette, die Haut alt und faltig. Die Augen waren blauschwarz und pfiffig und ich dachte: Die altbekannte, wache Dame im Parterre, immer zur Stelle, immer zu Diensten.

Ich kam direkt zur Sache. »Verzeihung, Sie haben nicht zufällig eine Ahnung, wo sich Fräulein Sørensen aus dem ersten Stock aufhält?«

Sie schüttelte den Kopf und sah mich wißbegierig an. »Worum geht es?«
»Ich sollte ihr einen Gruß überbringen, von einem alten Bekannten …«
»Ach wirklich?« Sie sah nicht aus, als würde sie mir glauben.
»Ist sie oft weg, lange?«
Abrupt sagte sie: »Sie hatte auch gestern Besuch. Vielleicht ist der Gruß schon überbracht.«
»Wer ist denn dagewesen?«
»Das weiß ich nicht. Aber es war ein Herr. Ich hab ihn nur von hinten geseh’n, als er ging.«
»Wie sah er aus? Hatten Sie ihn schon mal gesehen?«
»Nein. Es war so dunkel. Es war abends und er war ganz normal gekleidet. Hut und Mantel, schönes Zeug.«
Ich spürte eine Unruhe zwischen den Schulterblättern heraufkriechen. »Keine Kennzeichen? Nichts Besonderes, was Ihnen auffiel?«
»Ich weiß nicht …«
Zögernd sagte ich: »Es war nicht was – an der Art, wie er ging?«
Sie schien nachzudenken. Dann leuchtete ihr Gesicht plötzlich auf.
»Doch, jetzt, wo Sie es sagen – ich glaube tatsächlich, daß er das eine Bein nachzog. Ja, er hinkte.«
Im einen Augenblick schwitzte ich und mir war heiß, im nächsten zitterte und fror ich. Meine Lippen waren erstarrt, als ich sagte: »Sie haben nicht zufällig einen Schlüssel für die Wohnung?«
»Schlüssel, nein!« Sie schüttelte verärgert den Kopf. »Und der Hausmeister ist von der Gemeinde angestellt, den erwischt man also nie. Nein, Sie werden warten müssen, bis sie zurückkommt.« Sie wollte die Tür schließen.
Ich atmete langsam aus. »Sie haben also gesehen, daß sie wegging?«
»Neeein, das will ich nicht sagen.«
»Also … Sie würden nicht so nett sein und mit mir raufgehen. Ich glaube, es bleibt mir nichts übrig, als die Tür aufzubrechen. Ihr kann was passiert sein.«
»Die Tür aufbrechen? Ich glaub, Sie sind verrückt, Mann! Dann rufe ich die Polizei!« Die Tür knallte vor mir zu, aber ich hörte drinnen keinen Laut. Sie stand direkt dahinter und lauschte.
Ich sagte zur verschlossenen Tür: »Tun Sie das.« Dann ging ich die Treppe wieder hinauf.
Das Leben läuft in Zirkeln, größeren oder kleineren. In gewissen Abständen findest du dich in Situationen wieder, in denen du dir selbst sagst: Das hier hast du schon einmal erlebt.
Als ich vor Olga Sørensens Tür stand, erlebte ich erneut den Augenblick vor Hjalmar Nymarks Tür, ein paar Wochen vorher.
Auch diese Tür bereitete keine Probleme. Ich ging auf die gleiche Weise vor: trat die Glasscheibe ein, streckte die Hand hindurch und öffnete das Schnappschloß mit Hilfe des Drehknopfs.
Die Tür ging auf und das gleiche tat die Nachbartür. Der Typ, der da stand, war zwei Meter groß und trug rote Hosenträger. »Was, zum Teufel?« sagte er.
»Ruf sofort die Polizei an, bevor ich es tue«, sagte ich und starrte mutig an ihm hoch.
»Ich hab verdammt nochmal nichts mit der Polizei zu tun«, antwortete er, verschwand wieder und zog die Tür mit einem kräftigen Knall hinter sich zu.
Ich zuckte mit den Schultern und ging in die Wohnung hinein. Der Vorraum war dunkel und recht klein. An der einen Wand standen alte Wildlederstiefeletten und ein Paar Gummistiefel und an ein paar Haken hingen ein graubrauner Mantel und eine alte Schürze.
Ich holte vorsichtig Luft. Die Wohnung stank nach Bier und noch Schlimmerem.
Ich öffnete die erste Tür, zu der ich kam. Es war die Küche. In der Spüle standen Stapel von Tellern und Gläsern und auf dem Boden lagen einige leere Bierflaschen. Eine ungeöffnete Dose Erbsen stand mitten auf dem Tisch. Sie sah unfaßbar einsam aus, wie ein Symbol einer kläglichen Festmahlzeit.
Ich ging zurück in den Vorraum und öffnete die nächste Tür zum Wohnzimmer. Weitere Türen brauchte ich nicht zu öffnen.
Es sah aus, als hätte hier ein Fest stattgefunden. Überall lagen leere Flaschen. Ein Lehnstuhl lag umgeworfen auf dem Boden und ein verschlissener Couchtisch stand an ein fransiges Sofa geklemmt. Ein Aschenbecher lag umgestülpt auf dem Boden und die zerdrückten Zigarettenstummel schufen ein unordentliches Muster auf dem schmutzigbraunen Fußbodenbelag.
Eine Frau mit grauem, verfilztem Haar und eingefallenem, verwüstetem Gesicht lag mit dem Rücken halb über einem braunschwarzen Sekretär. Auf der scharfen Kante des Sekretärs war ein dunkler, klebriger Fleck, an dem ein paar lange, graue Haarbüschel hingen. Die steifen Finger der rechten Hand umklammerten einen Flaschenhals, und sie lag in einem See von Bier, der aus der Flasche gelaufen war. Sie starrte zur Decke hoch, als sähe sie direkt in die ewigen Supermärkte und wäre schon auf dem Weg zum Bierstand.
Wenn das hier Olga Sørensen war, hatte die Frau im Erdgeschoß Recht gehabt: dann war der Gruß schon überbracht.

31

Ich ging wieder ins Erdgeschoß hinunter und klingelte. Niemand öffnete. »Hallo!« rief ich gegen die Tür. »Haben Sie die Polizei angerufen? Wenn nicht, dann können Sie es jetzt tun.«

Niemand antwortete. Wahrscheinlich stand sie zitternd vor Schreck gleich hinter der Tür, voller Angst, was ich mir jetzt wohl einfallen ließ.

Das nächste Telefon war in der Snack-Bar unten in der Ekregate. Der Inhaber war aus Haugesund, aber ich durfte sein Telefon trotzdem benutzen. Der Wachhabende auf der Kripostation sagte, sie würden sofort einen Wagen herschicken. Ich ging zurück in die Kirkegate und blieb vor dem Haus stehen und wartete.

Der Wagen kam und Dankert Muus stieg aus. Als er mich erblickte, drehte er sich zum Auto um und sagte: »Wer hat die Meldung entgegengenommen? Warum haben die nicht erzählt, daß es Veum war, der angerufen hat? Der Leichengräber.«

Er sah mich giftig an. Der Mantel war derselbe alte, der Hut hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Der Blick, den er mir sandte, hätte von einem Kannibalen kommen können, der auf strenge Diät gesetzt war.

»Wen hast du diesmal um die Ecke gebracht, Veum?« Ich nickte zum Haus hin. »Komm mit.«
Ich führte ihn in den ersten Stock.
Als wir an der Tür im Erdgeschoß vorbeigingen, hörte ich, wie

sie sich wieder einen Spalt öffnete, aber ich sah mich nicht um.

Dankert Muus wurde von Peder Isachsen begleitet, blaßblond und sauertöpfisch wie immer. Sie paßten zusammen. Keiner von beiden mochte mich. »Veum ist eine Art Nekrofiler, wenn du das Wort kennst«, hörte ich Muus Isachsen hinter meinem Rücken unterhalten. Als wir oben an die Tür kamen, kläffte er: »Wer ist denn hier eingebrochen?«

Ich betrachtete ihn ruhig. »Wenn ich nicht das Fenster eingetreten hätte, hätte ich sie nie gefunden.«
»War es denn so unbedingt nötig, sie zu finden?« Ein boshafter Blick leuchtete in seinen Augen auf. »Das ist doch nicht etwa eine von deinen Drogenhuren?« Für Isachsen fügte er hinzu: »Veum hat es mit den Minderjährigen. Und Leichen. Er ist ein Mann mit einem weiten Interessengebiet.«
»Sie heißt Olga Sørensen und ist sicher sechzig, und …«
»Du magst sie älter, mit den Jahren?«
»Sie war die Freundin von Stauer-Johan, der 1971 verschwand. Das Verfahren wurde eingestellt. Gestern hatte sie Besuch von einem Mann, der hinkte. Ein hinkender Mann wurde auch beim Verlassen des Hauses gesehen, als Hjalmar Nymark getötet wurde.«
»Getötet wurde?«
»Ja. Aber das Verfahren habt ihr ja auch eingestellt, oder nicht?«
Vor seinen Augen ging ein Vorhang herunter. »Wollen wir reingehen oder hier draußen stehenbleiben und Blödsinn reden?« Er spendierte noch eine Nebenbemerkung für Isachsen: »Hörst du, er hat seine Geschichte parat, die ganze Theatermaschinerie in Bereitschaft.«
Wir gingen in die Wohnung. Die Frau hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Jetzt konnte ich sie eingehender betrachten. Sie trug eine braune Hose von der geräumigen Sorte und einen gelbbraunen Pullover, in den zwei hineingepaßt hätten. Das Gesicht war von grauweißen Furchen durchzogen und das Gebiß lag verrutscht im eingefallenen Mund.
Muus legte mir eine große, schwere Hand auf die Brust und schritt ins Wohnzimmer. »Du bleibst da draußen, Veum.« Hinter der Türöffnung blieb er stehen. Er ließ den Blick forschend durch den Raum gleiten. Dann klaubte er einen angekohlten kleinen Zigarettenstummel aus der Manteltasche, steckte ihn zwischen die Lippen und zündete ihn mit einem Feuerzeug an. Muus war der Typ, der die Taschen immer voller alter Zigarettenstummel hatte. Es war undenkbar, ihn eine frische, lange und weiße Zigarette anzünden zu sehen. Sie würde sich von seinem graubleichen Gesicht abheben.
Von hinten sah es aus wie ein Genrebild aus einem amerikanischen Kriminalfilm der 40er Jahre. Muus im Mantel und Hut, der Zigarettenrauch wie eine blaue Wolke über seinem Kopf kreisend. Das ärmliche Interieur. Und dann die Frauenleiche auf dem Boden, die allerdings nicht die hollywoodschen Schönheitsansprüche erfüllte, die aber ganz sicher ein wohlverdientes Statistenhonorar würde kassieren können, wenn die Szene fertig war.
Es war nur so, daß diese Sache nie fertig wurde. Wie im Film wurde sie wieder und wieder gedreht, bis niemand mehr richtig wußte, wie sie eigentlich sein sollte. Das einzig Sichere war, daß die Dame wirklich tot war, daß es sich nicht um einen Film handelte, und daß Dankert Muus sich nicht mit Humphrey Bogart messen konnte, nicht einmal mit Edward G. Robinson.
Muus drehte sich langsam um. »Und nun erzähl mir ein für alle Mal, was du hier zu suchen hattest, Veum.«
»Wie ich gerade gesagt habe …«
»Und sei so nett und gib uns gleich die endgültige Version. Ich habe nicht die Absicht, mehr mit dir zu reden, als absolut notwendig. Du kennst mein Verhältnis zu Leichen. Es ist nicht dasselbe wie deins.«
»Nein, du bist der, der immer zu spät kommt, stimmt’s?« sagte ich leise.
»Noch einen von diesem Kaliber und du verschwindest für den Rest des Tages hinter Gittern«, antwortete er. »Möglicherweise jedenfalls, aber …«
Ich hob die Hände und er hielt inne. »Wie ich gesagt habe: die Dame war die Freundin von Stauer-Johan, der 1971 getötet wurde, zur gleichen Zeit, zu der ein Mann mit Namen Harald Wulff getötet wurde. Harald Wulff, der wahrscheinlich mit dem Massenmörder ›Giftratte‹ aus dem Krieg identisch war und der außerdem vielleicht 1953 in den Brand in der Pfau-Fabrik verwickelt war.«
Muus machte eine kauende Mundbewegung. »Hör zu, Veum. Vielleicht und wahrscheinlich, 1971 und 1953, hergottnochmal! Ich frage, warum du heute hier bist. Ich hab dich nicht um eine Geschichtsvorlesung gebeten.«
»Nein? Also gut. Ich bin heute hier, weil ich ein bißchen in diesen Sachen ermittle – sowohl was den Brand von 1953 angeht, als auch nicht zuletzt das Verschwinden von StauerJohan 1971. Das war’s jedenfalls, wonach ich Olga Sørensen fragen wollte.«
»Olga Sørensen? Heißt sie also?«
»Das ist jedenfalls der Name der Frau, die hier wohnt. Aber frag doch die Frau im Erdgeschoß rechts. Sie hat mir nämlich erzählt, daß Fräulein Sørensen – gestern – Besuch hatte, von einem Mann, der hinkte.«
»Manche mögen Leichen, andre mögen Leute, die hinken – was ist schon dabei?«
»Hör zu, Muus. Harald Wulff hinkte. Stauer-Johan hinkte. Der Mann, der gestern abend hier war, hinkte. Der Mann, der beim Verlassen des Hauses, in dem Hjalmar Nymark starb, gesehen wurde, hinkte. Findest du nicht, daß sich das merkwürdig anhört?«
»Tja, dann sind wir also eine Nation von Leuten, die hinken, na und? Die einen hinken, die anderen werden Privatdetektiv. Ich ziehe die ersteren vor.«
»Aber …«
»Wo wir gerade dabei sind, Veum. Ist wohl gerade Sauregurkenzeit in eurer Branche? Ich meine, wenn du schon ganz bis 1953 zurückmußt, um einen Fall zu finden, in dem du rumschnüffeln kannst?« Fr drehte den Kopf leicht zu Isachsen, um zu sehen, ob sein Publikum mitging. Das tat es. Isachsen lachte höflich, aber trocken.
»Und 1971, Muus. Das ist nicht so lange her.«
»Nein, nur zehn Jahre. Aber das ist ja vielleicht auf deinem Kalender nicht so lange. Ist wohl ungefähr die Zeit, die jedesmal vergeht, bevor du wieder ein Honorar kassierst, was?«
»Ich finde das jedenfalls auffällig. Und ich würde dir empfehlen, es ein bißchen genauer zu untersuchen. Herauszufinden, wer hier war, zum Beispiel.«
Er sagte ruhig: »Das werden wir, Veum. Du brauchst uns unseren Job nicht beizubringen. Ich war schon in dieser Branche, als du noch in die Windeln gemacht hast, also komm bloß nicht so.«
Er wandte sich von mir ab und ging ein kleines Stück weiter. Mit der Schuhspitze trat er gegen eine der leeren Flaschen. Breitbeinig blieb er mitten im Zimmer stehen. Nach einem erneuten Blick über das Ganze, wandte er sich wieder mir zu. »So wie ich dieses Bild hier einschätze, ist es am wahrscheinlichsten, daß es ein Unglücksfall war. Die Dame hat sich ein Bier zuviel genehmigt. Im Suff hat sie Schlagseite gekriegt und den Kopf gegen die Kante dieses Sekretärs geschlagen.« Er zeigte auf den blutigen Fleck. »Und der Schlag war tödlich.«
»Eben. Ein Unglücksfall. Und genau das war Harald Wulffs Markenzeichen. Unglücksfälle.«
»Aber hast du nicht gerade gesagt, Harald Wulff wurde 1971, in diesem berühmten Jahr getötet?«
»Angeblich wurde er das.«
»Du besitzt einen reichen Wortschatz, Veum. Vielleicht und wahrscheinlich und angeblich. Aber schließlich und endlich bedeutet es dasselbe, oder? – Ich nix wissen, weiße Mann sein dumm in Kopf, ja?«
»Ihr solltet euch zum Turnier in den lateinamerikanischen Tänzen anmelden, ihr zwei«, sagte ich schneidend. »Ihr seid mir vielleicht ein Pärchen.«
Er ignorierte mich und wandte sich an Isachsen. »Sind die anderen unterwegs? Die Obduktion wird zeigen, wieviel Promille sie hatte, und was die Todesursache war. Wenn wir ein paar Worte mit den Nachbarn wechseln und einsammeln, was es hier drinnen an technischen Indizien gibt, dann sollten wir die Situation wohl unter Kontrolle haben.«
Isachsen nickte.
Ich sagte: »Und vergeßt nicht, daß Olga Sørensen eine wichtige Zeugin gewesen wäre, in einem Fall, der plötzlich wieder aktuell geworden ist.«
»Willst du jetzt Rätselraten mit mir spielen, Veum?« sagte Muus müde.
»Wenn sie von dem, was 1971 passiert ist, mehr wußte, als sie bis jetzt erzählt hat, dann könnte es für irgendwen wichtig geworden sein, sie aus dem Weg zu schaffen, jetzt, wo da jemand anfing, wieder in dem Fall herumzuwühlen.«
»Auch wenn dieser jemand niemand anders war, als der kleine, wilde Veum? Überschätz nicht deine eigene Bedeutung. Und überlaß das Grübeln uns. Du verläßt den Ort des Geschehens – jetzt.« Er wurde plötzlich noch brüsker. »Ich will dich nicht eine Sekunde länger hier herumschnüffeln sehen. Wenn du nicht mehr zu sagen hast, dann verschwinde und überlaß den Tatort denen, die hier einen Job zu leisten haben.«
»Schon gut, schon gut. Meinst du, du brauchst mich morgen?«
»Ich werd dich überhaupt nicht mehr brauchen, Veum. Warum fragst du das noch? Du hast doch wohl nicht die Absicht, morgen ins Ausland zu fahren, oder?«
»Nein, ich bin allerdings morgen den ganzen Tag beschäftigt. Mit einem Fall.« Ich hütete mich, zu sagen, daß es sich, so wie ich es sah, noch immer um den gleichen Fall handelte, nur jetzt mit dem Gewicht auf 1953. Der nächste Tag war der erste September: der einzige Tag im Jahr, den Hagbart Helle in Bergen zubrachte. Das war ein Ereignis, das ich nicht zu versäumen gedachte.
»Um Himmels willen, Veum, solange du nicht in meine Beete trampelst, kannst du von hier bis zum Pluto beschäftigt sein. Ich werde dich schon finden, falls ich dich brauchen sollte. Auf der richtigen Seite der Anklagebank, von meinem Blickwinkel aus gesehen. Und du kannst dir selbst denken, welche Seite das ist. Wünsche einen richtig guten Arbeitstag, Veum. Wann ist der Fall denn datiert – 1947?«
Er wieherte leise, sodaß er beinah seinen Zigarettenstummel verschluckt hätte und Peder Isachsen stimmte freudlos ein. Das zweistimmige Gelächter folgte mir bis in den Vorraum, aber schon an der Eingangstür war es verstummt.
Ich war also wieder einmal zu spät gekommen. Zum zweiten Mal in kurzer Zeit war jemand vor mir dagewesen. Ein Mann, der hinkte. Ich nahm diese Tatsache nicht so leicht, wie es Muus anscheinend tat. Und ich war sicherer denn je, daß hier mehr als eine Leiche begraben lag. Es wurde nur schwerer und schwerer, zu wissen, wo man graben sollte.
Ich ging nach Hause, kochte Essen und saß dann mit einem Glas Aquavit in der einen Hand und einem Buch in der anderen in meinem Wohnzimmer, ohne zu lesen. Ich hatte mehr als genug zu überdenken.
Der Raum um mich war still und tot. So still und tot, wie ein Raum nur sein kann, wenn du einmal darin geliebt hast, mit einer Frau, die dir wirklich etwas bedeutete.

32

Als die erste Morgenmaschine aus Kopenhagen auf Flesland gelandet war und die Passagiere auf dem Weg in die Ankunfthalle waren, ging ich zum Informationsschalter und sagte: »Entschuldigung, aber könntest du vielleicht Hagbart Helle bitten, sich am Schalter zu melden?«

Es gibt vereinzelte junge Männer, die für hängende Gärten noch nicht genug Bartwuchs haben, die aber statt dessen einen unansehnlichen, flaumigen Oberlippenbart anlegen, als zweifelhafte Bestätigung dafür, daß sie das geschlechtsreife Alter erreicht haben. Der Junge hinter dem Informationsschalter gehörte dazu, war aber immerhin alt genug, um diese Frage schon einmal gehört zu haben. Er maß mich vom morgenzerzausten Haar bis zu den ungeputzten Schuhen und sagte: »Sind Sie von der Presse?«

Ich antwortete nicht, ließ nur durchblicken, daß ich auf Antworten wartete, nicht auf Fragen.
»In Anbetracht der Umstände«, fuhr er fort, mit einem höhnischen Schimmer in den Augen, »spielt das allerdings kaum eine Rolle. Hagbart Helle kam vor ungefähr einer Stunde mit seinem privaten Jet auf Flesland an. Er ist längst weitergefahren.« Sein Lächeln lag jetzt offen zutage, wie eine Haifinne direkt vor einem öffentlichen Badestrand.
»Das waren viele Worte um nichts«, murmelte ich und wandte mich ab, damit er nicht an meinem Gesicht sah, daß ich dastand wie jemand, dem der Schlips der Länge nach im Krabbensalat hing. Genau genommen hätte ich mir vielleicht selbst einen solchen Bart anlegen sollen.
Ich trank in der Cafeteria eine Tasse Kaffe, während ich darauf wartete, daß sich die Uhrzeiger dem Zeitpunkt näherten, zu dem andere Menschen sich in ihre Büros setzten und die ersten Tageszeitungen aufschlugen. Geschäftige Männer mit schwarzen Stresskoffern düsten hinaus zur ersten Maschine nach Oslo. Die Luft war warm, also trugen sie die hellen Mäntel lässig über dem Arm. Nicht eine einzige Frau war unter ihnen. Sie würden am Abend zurück sein, also hatten sie keinen Grund, ihre Sekretärinnen mitzunehmen.
Gegen neun rief ich bei der Trikotagenfabrik an, die Hagbart Helles Bruder betrieb, und fragte nach dem Geschäftsführer Hellebust. Eine morgenfrische Frauenstimme antwortete, daß der Geschäftsführer an diesem Tag leider nicht anzutreffen sei, aber ich könne mit dem Prokuristen sprechen, ich fragte, ob sie wisse, wo sich der Geschäftsführer aufhielte, aber als die perfekte Vermittlungsdame, die sie war, antwortete sie nur, er sei ,außerhalb’ beschäftigt. Ich dankte, legte auf und verließ die Telefonzelle.
Als ich wieder in die Stadt fuhr, war der Himmel hoch und offen. Die weitläufige Landschaft in Fana lag wie ein grüner Flickenteppich da und das Fjell um Bergen herum erhob sich blaugrau am Horizont, der bei jedem Kilometer, den ich zurücklegte, näher und näher kam. Zwischen den Bergen lag ein flacher Dunst, über dunkelgrünen, üppigen Baumkronen. Ungefähr dorthin wollte ich.

Paradis, so haben sie in aller Bescheidenheit einen Stadtteil genannt, durch den du kommst, bevor du dich Bergens Zentrum ernsthaft näherst. Nicht ganz ohne Grund, obwohl man das Gebiet bis Koppedal und Hop im Süden und bis Fjøsanger im Norden ausweiten könnte. Diese Gegend, am Hang zum Nordnesvann, gehört zu den fruchtbarsten der gesamten BergenRegion, und in eine grün-goldene Decke gepackt liegen dort die herrschaftlichen Villen mehrerer Generationen. Einige der Straßen haben Namen nach Schiffsreedern.
An einem stillen Straßenende mitten in dieser Gegend lag die

Villa, die Hagbart Helles Bruder gehörte. Als ich meinen alten, grauen Morris auf der Schattenseite der Straße parkte, ging er beinah in die Schatten der Baumkronen über. Die ersten Berberitzen dieses Herbstes sprühten rot in zurückgezogenen Gärten, und über dunkelgrünen Hecken zeichnete die eine oder andere Blutbuche ihre schicksalsschwangere Silhouette gegen den klaren, blauen Septemberhimmel, wie ein Baum in einer griechischen Tragödie.

Ich stieg aus dem Wagen und schlenderte ein kleines Stück die Straße entlang. Ein großes, schwarzes, schmiedeeisernes Tor versperrte die Einfahrt zu Hellebusts Villa. Hinter dem Tor sah ich, daß der Schotterweg sich teilte. Rechts lag eine weiße Garage mit zwei schwarzen Toren; links, zurückgezogen hinter knorrigen Apfelbäumen und fülligen Rhododendronbüschen lag das Haus; breit, weiß und mit glänzenden, schwarzen Dachziegeln. Vor dem Haus war eine breite Terasse, leer. Die Terassentüren standen halb offen und ich hörte ferne Stimmen und das Klirren von Besteck auf Tellern. Die Bewohner dieses Hauses gehörten wohl zu denen, die ihr Frühstück mit Messer und Gabel aßen.

Am Tor hing ein Schild, auf dem stand: Vorsicht, bissiger Hund! Ich sah und hörte nichts von einem Hund, aber trotzdem ging ich weiter. Vorläufig rekognoszierte ich nur. Rasch kam ich ans Ende der kleinen Sackgasse. Ich kehrte um und ging zurück zum Wagen.

Es lagen nicht viele Häuser in der Straße und die Gärten waren groß. Hier wohnten Menschen mit großem Vermögen und niedrigen Steuerprozenten, mit Luxusyachten in großen Bootshäusern unten am Nordnesvann und Ehefrauen, die vormittags in Diskussionsgruppen gingen und nachmittags Wohltätigkeitsbasare arrangierten. Ich richtete unwillkürlich meinen Schlips. Hier fürchtete ich, viel mehr aufzufallen, als unter den BingoSpielern, alternden Frauenjägern und Bergens losen Vögeln. Hier würden sie wahrscheinlich darum bitten, meinen Ausweis sehen zu dürfen.

Ich sah auf die Uhr. Es war noch früh, aber ich sah keinen Grund, aufzuschieben, was ich zu tun hatte. Ich konnte Hagbart Helle ebensogut beim Frühstück wie beim Mittagessen stören.

Das schwere Tor knarrte schwach, als ich es öffnete, und der weiße Marmorschotter knirschte, als ich den langen Garten entlangging, vorbei an zierlich arrangierten Blumenbeeten mit frühen Herbstblumen, aber noch immer kam kein Hund und bewies, daß er bissig war.

Der Gartenweg führte nicht zur Terasse, und ich hatte nicht die Absicht, jemanden unnötig zu irritieren, indem ich über seinen Rasen ging, also folgte ich dem Gang bis zur schwarzen Eingangstür und drückte auf den Klingelknopf.

Das Mädchen, das öffnete, war in den Zwanzigern, hatte langes, blondes Haar und trug ein schwarzes Kleid mit weißer Schürze. Ihre Augen waren blau wie gefrorene Veilchen und die Stimme war ziemlich kühl, als sie sagte: »Was wünschen Sie?«

Ich antwortete munter: »Ich würde gern mit Hagbart Helle sprechen.«
»Sind Sie angemeldet?«
»Nein, leider nicht. Ich habe ihn im Voraus nicht erwischt, aber …«
Sie wollte die Tür wieder schließen. Ich setzte einen Fuß in den Türspalt und fuhr fort: »Ich bin sicher, daß er mit mir sprechen will.«
»Das sagen alle«, sagte sie. »Nehmen Sie bitte den Fuß weg.« Sie sah mit einem Ausdruck auf meinen Schuh hinunter, als wäre er eine Katzenleiche.
»Was ist denn los?« ertönte eine dunkle, volle Stimme hinter ihr.
Ich sah an ihr vorbei in eine grauweiße Halle mit Wänden aus Naturstein und weißem Kalk in den Fugen. Ein Mann war von hinten neben sie getreten.
Es war ein junger Mann, jünger als ich. Er war groß und gut gebaut, hatte kurzgeschnittenes, blondes Haar und eine Gesichtsfarbe, die auf reichliche Betätigung im Freien schließen ließ. Die Haut war sonnenverbrannt und die Zähne stark und weiß. Die Augen waren blau und durchsichtig, wie äußerst feines Porzellan, aber das war das Einzige an ihm, was zerbrechlich wirkte. Er sah aus, als bestünde er aus wohltrainierten Muskeln und starkem Willen und ich zog den Fuß vorsichtig wieder an mich, damit er ihn mir nicht wegnehmen konnte.
»Wer sind Sie?« fragte er. »Womit kann ich Ihnen dienen?« Er sprach Ostnorwegisch, auf die ausdruckslose Art, die die Kinder besserer Leute aus dem Osloer Westend kennzeichnete.
Ich hielt mich an die Bergenser Variante derselben Sprache, gebildet, wohlartikuliert und schnarrend mit einem nicht geringen Anstrich von Aristokratie. »Guten Tag. Mein Name ist Veum und ich würde gern ein paar Worte mit Hagbart Helle wechseln.«
»Und worum handelt es sich?«
»Entschuldigung, wie war doch gleich Ihr Name?«
Er sah mich leicht befremdet an. »Mein Name ist Carsten Wiig und ich bin Helles Privatsekretär. Sie können ohne Skrupel mit mir reden. Aber Sie kommen wohl von der Presse, kann ich mir denken.«
»Ganz und gar nicht«, sagte ich in einem Tonfall, als hätte ich nie im Leben meine Finger mit Druckerschwärze beschmutzt. »Ich bin freier Unternehmer.« Das war an und für sich eine korrekte Bezeichnung, obwohl mein Steuerbescheid mir wohl kaum einen besonderen Kredit eingebracht hätte, weder bei Wiig, noch bei anderen Interessenten.
»So«, sagte er und betrachtete mich abwartend, unter müden Lidern hervor. Er war gut gekleidet, in schneeweißem Hemd, das die kupferbraune Gesichtsfarbe unterstrich, mit einem leichten, graukarierten, zierlich gebundenen Halstuch aus Seide im Halsausschnitt, in blauem Blazer und einer grauen, gutgebügelten Hose und schwarzen Schuhen, die so blank geputzt waren, daß du den Widerschein seines Hemdes darin sehen konntest.
»Es geht um eine Fabrik, die Hagbart Helle einmal betrieben hat, hier in der Stadt. Die Pfau-Fabrik. Farben.«
Sein Gesichtsausdruck war unbeweglich. »Aha?«
»Ich benötige in der Angelegenheit ein paar Auskünfte.«
»Ich fürchte, Hagbart Helle beschäftigt sich nicht mehr mit Dingen, die so lange Zeit zurückliegen.«
Ich fuhr unverdrossen fort: »Aber ich bin sicher, daß es ihn interessieren würde, zu hören – daß es ihn persönlich interessieren würde, zu …«
Er unterbrach mich in einem etwas lauteren Ton und mit nur leicht erhöhter Stimmstärke: »Ich fürchte, ich kann Hagbart Helle auf gar keinen Fall mit Sachen belästigen, die so lange Zeit zurückliegen. Ich kann ihnen versichern: Hagbart Helle ist heute aus ausnahmslos privaten Gründen in der Stadt. Dieser lag ist einer der äußerst wenigen Ferientage, die er sich im Laufe des Jahres gönnt, und es wird mir tatsächlich vollkommen unmöglich sein, Ihren Besuch ihm gegenüber auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Ist das klar?«
»Nein.«
»Nein? Was meinen Sie mit – nein?« Sein Gesicht bekam eine noch frischere Farbe. Er war jetzt vorn in die Türöffnung getreten, wie um mich zu hindern, vorbeizustürmen. Das Mädchen war weg.
Ich sagte mild: »Nein gehört tatsächlich zu den Worten, deren Bedeutung zu verstehen die meisten Menschen in sehr jungen Jahren lernen. Es ist möglich, daß ihr, die ihr am Holmenkollenåsen aufwachst, nicht gewohnt seid, ihm in freier Wildbahn zu begegnen, aber hier, in unserem Teil des Landes, verbinden wir es praktisch mit einer Form von Verneinung. – Nein: das bedeutet … Ist das klar? Nein, das ist nicht klar. Ich würde nach wie vor äußerst gern mit Hagbart Helle sprechen.«
Er beugte sich vor und wuchtete über mir, auf jeden Fall mindestens fünf Zentimeter. »Hören Sie zu, Sie, Veum, oder wie auch immer Sie heißen. Wir kommen aus einem internationalen Geschäftsleben, das ist nicht mit Sonntagsschullehrern bevölkert. Spiel mir hier nicht den Bogart, dazu hast du nicht das Rückgrat. Wenn mir danach ist, kann ich dich zusammenfalten, in einen Briefumschlag stecken und ins südliche Patagonien schicken, ohne Rücksendeadresse. Also, mach mich nicht an, ja, Veum?«
Ich sah ihm starr in die Augen. »Ich habe genug über Helle, um ihn bei der Polizei anzuzeigen.«
»Ach ja? Da, wo wir herkommen, kaufen wir Polizisten im Supermarkt.«
»Nicht in Bergen.«
»Ach nein? Ich hab was anderes gehört. Außerdem kenne ich Helles Vergangenheit gut genug, um zu wissen, daß es da nicht ein Staubkorn von etwas gibt, was in der ganzen Welt auch nur einer herausfinden kann. Glaubst du, er würde sonst jedes Jahr hierherkommen? – Und nun sind die Höflichkeitsfloskeln definitiv vorbei, Veum. Vielen Dank für das Gespräch. Wiedersehn.« Er legte eine breite Hand auf meine Brust und schob mich hart zurück.
Ich taumelte von der Treppe und wäre um ein Haar gefallen. Als ich die Balance wiedergewonnen hatte, hatte er die Tür hinter sich geschlossen und stand breitbeinig auf der Treppenstufe vor der Eingangstür, die Arme frei an den Seiten baumelnd und die Fäuste leicht geballt.
Ich hätte selbstverständlich versuchen können, an ihm vorbeizugehen. Ich hätte auch versuchen können, einen Zementmischer zu verführen. Das Resultat wäre dasselbe gewesen.
»Ich komme wieder«, versprach ich ihm, machte auf dem Absatz kehrt und ging den Schotterweg hinunter, ohne mich umzusehen. »Tell them, Zorro is coming!«
»Dann vergiß deinen Zwillingsbruder nicht – und den Onkel aus Amerika«, knurrte er mir nach. »Und vergiß nicht Polizeimeister Bastian.«
Ich war mal als witziger Hund bekannt gewesen. Jetzt fühlte ich mich immer häufiger wie ein geprügelter Köter. Vorsicht, bissiger Hund! stand am Tor. Jetzt verstand ich, wen sie meinten.

33

Ich setzte mich in den Wagen. Von dort aus starrte ich auf das schwarze, schmiedeeiserne Tor. Nach einer Weile stieg ich aus und stand gegen die Kühlerhaube gelehnt da. Ich war rastlos und nichts geschah.

Solche abgelegenen Villenviertel haben ihre eigene Atmosphäre.
Einerseits ist etwas Anziehendes an ihnen: große, grüne Gärten, die daliegen und still vor sich hin atmen; Häuser mit vielen Räumen und weichen Teppichen; Balkontüren, halb geöffnet für den Duft von Äpfeln und Herbstrosen und die Töne aller Vögel des Himmels. Du befindest dich in einer Oase, unendlich weit weg von den Anstrengungen und der Hetze des Alltags.
Andererseits ist es genau das: irgendwie scheint es, als läge die ganze Gegend in Watte gepackt. Den Verkehr hörst du nur von weit her, keine Dampfhämmer, die gegen widerspenstige Schiffskörper schlagen und keine giftigen Farbdünste, die deine Nasenlöcher reizen. Einmal im Laufe des Tages kommt vielleicht ein grüngekleideter Postbote an deinem Tor vorbei. Zweimal in der Woche kommt ein großes, graues Müllauto und leert deine Abfalleimer, aber sie kommen normalerweise so früh, daß du noch nicht einmal aufgestanden bist. Andere Werktätige siehst du selten. Der einzige Krach kommt von deinem Pudel, wenn er eine umherstreifende Katze entdeckt hat, aber das ist schnell vorbei.
Es war also kein Wunder, daß sie in dieser Straße Privatdetektive nicht mochten. Eine Frau kam aus einem Tor etwas weiter oben an dem kurzen Wegstück. In dem Augenblick, als sie heraustrat, die kurze, graue Pelzjacke in der gleichen Farbe wie der langhaarige, kleine Hund, den sie an der Leine führte, sah ich, daß sie mich entdeckte. Sie ging los, aber mit behutsamen Schritten, als bewege sie sich auf brüchigem Eis. Die Beine waren schön, der Rock schwarz. Als sie näher kam, schätzte ich sie auf irgendwo in den Vierzigern, blond und schön und ohne sichtbaren Makel. Sie paßte zu den wohlfrisierten Rasenflächen und den regelmäßigen Hecken. Aber nun hatte sie mich längst aus dem Blick verloren. Ich war in der Luft verschwunden und mit mir der Mini und alles andere. Wie ein Geist aus Tausend und eine Nacht war ich verflogen, direkt vor ihren Augen. Ihr Blick war starr und wasserklar, als sie vorbeiging. Ich räusperte mich leise und ein Muskel an der Seite ihres Halses straffte sich, aber sie ging an mir vorbei weiter.
Vielleicht hätte ich ihr nachpfeifen sollen. Aber ich tat es nicht. Ich fürchtete, sie könnte ohnmächtig werden.
Ich ging wieder ein Stück die Straße hinauf, kam an dem Tor vorbei und sah zum Haus hinauf. Es lag noch immer ebenso still und zurückgezogen da, und nichts deutete darauf hin, daß jemand die Absicht hatte, herauszukommen.
Ich ging zurück zum Wagen, setzte mich auf den Vordersitz und kurbelte das Fenster herunter. Im September ist das Licht wie im April, aber irgendetwas ist doch anders. Im April sickert es klar und weiß durch nackte Baumkronen und die Menschen wenden die Gesichter nach oben und schnuppern nach dem Sommer, mit frohen, optimistischen Augen. Im September hat das Licht einen traurigen Goldton und es schwebt schwer durch die Baumkronen herab, in denen die Blätter schon den ersten Schimmer von Herbst tragen. Der September ist wie ein reicher Mann mit viel Geld in den Taschen, der nichts anderes als Alter und Tod vor sich sieht. Auf die Visitenkarte des Septembers hat jemand mit durchsichtiger Tinte Wehmut geschrieben.
September, das ist der Duft bleichroter Rosen. An einem Spätsommerabend vor unendlich vielen Jahren hatte ich mit einem gleichaltrigen Mädchen neben mir auf einer Gartentreppe gesessen, und in der Verzückung des Augenblicks hatte ich die fast weißen Rosenblätter über ihr dunkles Haar gestreut. Ich erinnere noch den Duft der Rosen – fast besser, als ich sie erinnere.
Die Liebe verwirrt und verwundert dich. In regelmäßigen Abständen stößt du in deinem Leben auf sie, kreist um sie, läßt dich einfangen, bis sie dich wieder wegtreibt. Und die Liebe ist es, die das Spiel dirigiert: du folgst nur kopflos und gehorchst jedem noch so geringen Zeichen. Eine Frau kommt in dein Leben, geht durch ein paar Jahre davon, wie ein lichtes Wesen durch einen dunklen Raum; und dann plötzlich ist sie verschwunden und hat die Tür hinter sich zugemacht, während du zurückbleibst, im Dunkeln.
An einem frühen Vormittag im September in einem niedrigen Auto zu sitzen, kann dir die wunderlichsten Assoziationen verschaffen. Es gab keinen Grund dafür, gerade jetzt dazusitzen und über so etwas nachzudenken. Ich hatte eigentlich Wichtigeres zu tun.
In dem Haus, vor dem ich geparkt hatte, befand sich Hagbart Helle. Auf die eine oder andere Weise mußte ich dort hineinkommen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, wußte aber jedenfalls, wo ich anfangen wollte.
Die Frage war nur, ob ich überhaupt die Chance bekommen würde. Es tat sich etwas. Hinter dem Tor dort war der junge Carsten Wiig aufgetaucht. Fr stand da lässig und blinzelte in meine Richtung, als glaubte er, nicht richtig zu sehen. Die Sonne glitzerte in seinem blonden Haar, schimmerte in seinem weißen Hemd. Als er durch das Tor trat, geschah das mit zielbewußten, langen Schritten. Ich kurbelte das Fenster ein Stück hoch.
Wenn du in einem Morris Mini sitzt und jemand kommt, um ein ernstes Wort mit dir zu reden, kann es angebracht sein, sitzenzubleiben. Der Wagen reicht dem, der davorsteht, nicht höher als zur Gürtellinie, der Betreffende muß sich herunterbeugen, um mit dem, der drinnen sitzt, Kontakt zu bekommen, und es bedarf nur einer Geringfügigkeit, daß er sich in dieser Haltung ziemlich dämlich vorkommt. Carsten Wiig wurde mir jedenfalls nicht wohlgesinnter dadurch. »Weshalb zum Teufel sitzt du hier?« kläffte er mich an, über die halb aufgekurbelte Scheibe.
Ich nahm mir Zeit, zuckte demonstrativ mit den Schultern und sah mich träge um. »Die Aussicht ist gar nicht so schlecht, für jemand, der langsame, italienische Filme mag. Der hier könnte von Antonioni sein, aus den frühen 60er Jahren.«
»Von wem?« Er hatte sicher kaum von anderen als John Wayne gehört.
»Einem Typ, der Filme gemacht hat, die hauptsächlich aus Pausen bestanden. Aber schönen Pausen, ohne Frage. Solchen wie dieser Straße.«
»Hören Sie zu, wie Sie auch hießen …«
»Veum war mein Name.«
»Sie, Veum – entweder Sie verschwinden augenblicklich, oder ich rufe die Polizei.«
»Augenblicklich? Rufen Sie die Polizei?«
»Ja.«
»Das könnte interessant werden. Dann könnten wir ja mit der ganzen Gang zu Hagbart Helle reingehen und alle miteinander reden.«
Sein Gesicht verhärtete sich. »Wenn Sie nicht … Dann haben wir andere Methoden.«
Ich schenkte ihm eins meiner leichten Lächeln, flüchtig wie fröhliche Finanzbeamte. »Was du nicht sagst! Könntest du ein paar davon für mich aufmalen?«
Er beugte sich vor und versuchte, die Tür zu öffnen. Ich öffnete sie hart und traf ihn an den Knien. Er verlor das Gleichgewicht. Ich sprang auf die Straße, schlug die Autotür hinter mir zu und stand direkt vor ihm.
Wir standen da und starrten einander an. Er war rot im Gesicht. Seine Fäuste waren geballt.
»Was zögerst du noch?« fragte ich. »Kannst du nicht malen?«
Er entblößte die Zähne, doch ohne zu lächeln. »Wenn es mir nicht darum ginge, Helle um keinen Preis irgendwelche Scherereien zu machen, dann würd ich dir jetzt ein paar Kniffe aus dem Ausland zeigen. Aber wir sind noch nicht fertig miteinander, also fühl dich bloß nicht zu sicher. Eins kann ich dir im Vertrauen sagen: Hagbart Helle wird sich in diesem Haus aufhalten bis kurz bevor er zurückreist. Er wird sich nicht vor die Tür bewegen und du hast keine Möglichkeit, ins Haus reinzukommen, um mit ihm zu sprechen. Wenn du also keine Lust hast, den Tag völlig zu vergeuden, würde ich dir empfehlen, ihn auf bessere Weise zu nutzen. Ich kann dir versichern – es findet hier niemand, daß du die Straße sonderlich schmückst.«
Ich sah mich verwundert um. »Nein? Fehlt mir vielleicht der Blazer? Die Mitgliedschaft im königlichen Automobilclub? Wir leben in einem freien Land, Wiig, jedenfalls dem Anschein nach, und ich halte mich genau da auf, wo ich will und solange ich will.«
»Also gut.« Er öffnete die Fäuste, aber die Augen waren noch immer gleich hart. »Komm nicht und sag, du wärst nicht gewarnt worden.« Dann drehte er sich um und ging ebenso zielbewußt zurück, wie er gekommen war.
Ich setzte mich wieder ins Auto und beobachtete weiter. Es verging eine halbe Stunde, und noch eine.
Als ein Versuch, Bewegung in die Sache zu bringen, startete ich den Wagen, fuhr demonstrativ am Tor vorbei, um zu wenden und ließ den Motor extra laut aufheulen, als ich aus der Straße bog. Direkt hinter der Kurve parkte ich aber wieder und behielt im Rückspiegel die Ausfahrt im Auge. Sie sollten nicht ungesehen an mir vorbeikommen.
Die Frau, die mir in dieser Straße begegnete, war zirka zehn Jahre jünger als ihre Vorgängerin, ihr Haar war dunkel und sie saß in einem niedrigen, silbernen Sportwagen, der an mir vorbeistrich, ohne viel Geräusch von sich zu geben. Ich sah die Frau in einem kurzen Augenblick: sie erinnerte mich an ein Gesicht. Es war in dem gleichen Sommer gewesen, vor langer Zeit, aber die Rosen waren noch nicht verblaßt, und es war die Zeit des Flieders. Dieses Mädchen war blond und ihr Name hatte einen biblischen Klang: Rebecca. Mit langem Hals und ernstem Gesicht hatte sie auf dem Stuhl neben mir gesessen, plötzlich waren wir allein im Raum und wir waren gerade achtzehn. Ohne etwas zu sagen, aber mit einem klaren Gefühl der Vorbestimmung, hatten wir uns langsam zueinander vorgebeugt und uns geküßt, lange. Draußen hatte es gerade gewittert, die Straßen waren naß und die Gärten sattgrün und üppig wie das, was mich jetzt umgab. Ich klatschte die Hand auf das Steuerrad. Die Gärten hatten es ausgelöst. Denn auch so ist die Liebe: die Erinnerungen verblassen mit den Jahren, die Wunden schließen sich, und du findest eine Art Frieden mit dir selbst; aber plötzlich werden sie aufgerissen, plötzlich erlebst du dasselbe noch einmal, stärker und deutlicher, als jemals vorher. Kleine Stücke der Vergangenheit, die du immer mit dir trägst.
Aber ich hatte Erinnerungen, die frischer und schmerzhafter waren als Rebecca, und die aufzufrischen ich gerade jetzt keine Lust hatte. Die grünen Gärten waren aufdringlich, die Sonne war weißer geworden. Es dröhnte blau vom unnahbaren Himmel und ich fühlte mich mit einem Mal müde, resigniert. Es war nutzlos, hier zu sitzen und auf jemanden zu warten, der doch nicht kommen würde. Ich entschloß mich, aufzugeben. Fürs Erste. Aber wir würden noch eine Partie spielen, bevor der Tag vorüber war, das schwor ich mir.
Ich startete den Motor und ließ den Wagen den Weg zurück zur Hauptverkehrsader nach Bergen rollen. Wir trieben mit dem Strom stadteinwärts, während der Lärm um uns anstieg.
Auf dem Nygårdatang lag eine Art Klein-Manhattan und wartete auf uns; ein unansehnlicher kleiner Teil eines Baustils, den die Amerikaner schon lange hinter sich gelassen hatten. Ich fand einen freien Parkplatz auf dem Festplatz und ging das letzte Stück zur Polizeiwache zu Fuß. Dort fragte ich nach Hamre.