Kapitel 12

Sechs Wochen später hatte Sophie immer noch das Gefühl, dass die Vermählung viel zu schnell näher rückte. Sie hatte gerade zum wiederholten Mal ihr Brautkleid anprobiert. Fünf Näherinnen waren damit in den oberen Teil des Hauses verschwunden und hatten es davongetragen, als handele es sich um ein Altargewand, das der Papst höchstpersönlich bestickt hatte. Sophie seufzte. Wäre das ein gewöhnlicher Nachmittag, würde sie sich hinsetzen und ein oder zwei Stunden arbeiten. Sie schlenderte zu ihrem Schreibtisch hinüber und starrte auf die türkische Grammatik, die dort regelrecht auf sie zu warten schien.

Aber genau in dem Moment, in dem sie das Buch ergriff, das auf ihrem Schreibtisch den Platz einnahm, der bei anderen Damen Briefen und Rechnungen vorbehalten war, öffnete sich die Tür und ihre Mutter betrat das Schlafzimmer.

»Sophie, ich denke -« Eloise blieb stehen. »Sophie, ist das etwa eines dieser Sprachenbücher?«

Sophie blickte auf das kleine braune Buch in ihrer Hand hinunter. »Ja, Maman.«

»Wie habe ich nur eine solch törichte Tochter großziehen können?« Ohne eine Antwort abzuwarten sprach Eloise weiter. »Verstehst du nicht, dass man kindische Dinge beiseite schieben muss, wenn man heiratet? Deine Sprachen sind – sind wie das Spielzeug aus Kindertagen, das man zurücklässt.«

Sophie zögerte. »Vielleicht würde es Patrick nicht stören, wenn er wüsste, dass ich ein paar Sprachen beherrsche. Er scheint sehr umgänglich zu sein.«

»Sei nicht albern, Sophie. Männer haben natürlich etwas gegen Blaustrümpfe, und das mit gutem Recht. Übertrieben gebildete Frauen sind die langweiligsten Lebewesen auf der Welt!«

Sophie verbiss sich ihre auf der Zunge liegende Erwiderung. Eloises Tochter zählte wohl zu den blaustrümpfigsten Damen ganz Londons, und keiner der Herren hätte sie je langweilig genannt.

»Gott, ich wünschte, ich hätte dir nie gestattet, diese alberne Beschäftigung fortzusetzen«, sagte Eloise gereizt. »Dem Studium der Sprachen haftet etwas furchtbar Gewöhnliches an.«

Sophie sah Eloise zu, wie sie ruhelos durch das Schlafzimmer wanderte und kleine Gegenstände gerade rückte. Ihre Mutter interessierte sich nicht im Mindesten für Sophies unerwartetes Talent für Sprachen. Mit Ausnahme der Entscheidung, dass Sophie nicht von einem männlichen Lehrer unterrichtete werden sollte, hatte Eloise Sophie freie Hand bei Französisch, Italienisch, Walisisch, Gälisch und schließlich Deutsch und Türkisch gelassen. Letztere Sprache zu lernen war nur möglich geworden, da Sophie das Glück hatte, von der deutschen Frau, die sie jeden Tag unterrichtete, von einer türkischen Immigrantin zu erfahren.

»Ich bin keine Närrin«, sagte ihre Mutter kurz angebunden, während sie Sophies Schrank öffnete und die Kleider kritisch begutachtete. »Dein Vater versucht, mir etwas vorzumachen, aber ich habe eine recht gute Vorstellung, warum diese Ehe so übereilt geschlossen wird. Ich kann mir also die Erklärungen zur Hochzeitsnacht schenken.«

Sophie schlug vor lauter Scham und Verlegenheit das Herz bis zum Hals.

Ihre Mutter fuhr fort, obwohl ihr das nicht leicht zu fallen schien. »Das ist aber eigentlich nicht so wichtig, Sophie. Ich möchte dir gerne einen Ratschlag geben, damit deine Ehe anders verläuft als meine. Ich weiß jedoch nicht, wie ich es sagen soll.«

Tränen stiegen Sophie in die Augen. »Ist schon gut, Maman.«

Eloise drehte sich um und setzte sich in den hohen Sessel neben dem Kamin. »Es ist nicht gut, Sophie. Ich habe meine Ehe zerstört. Nachdem ich all die Jahre deinem Vater die Schuld gegeben habe, frage ich mich langsam, ob ich etwas anders hätte machen können. Vielleicht war ich zu bitter.«

Sophie ließ sich in den gegenüberliegenden Sessel sinken. Ihre Mutter war zu dem gleichen Schluss gekommen, den Sophie gezogen hatte: Wenn ihre Mutter nur die Geliebten ihres Vaters ignoriert hätte, hätten sie ein glücklicheres Leben miteinander geführt. Mit Sicherheit hätte Sophie Geschwister bekommen.

»Ich konnte es nicht«, flüsterte Eloise rau. »Es war nicht meine Art und außerdem war ich erst achtzehn, als ich heiratete. Du bist beinah zwanzig, Sophie, und nimmst die Dinge leichter. Bitte, ich flehe dich an, wende den Blick ab, wenn dein Mann andere Frauen hofiert. Heiße ihn ohne ein Wort des Vorwurfs in deinem Bett willkommen, wenn er zurückkehrt. Tue nichts, wodurch er dich weniger mögen könnte, wie zum Beispiel zur Schau stellen, dass du mehrere Sprachen beherrschst.«

Sophie holte tief Luft. »Ich werde es versuchen, Maman.« Sie gab sich Mühe, einen überzeugenden Ton anzuschlagen. »Ich werde Patrick nicht wissen lassen, dass ich etwas anderes als Englisch spreche. Und ich werde nicht wütend sein, wenn er mit anderen Frauen schläft. Ich weiß, dass ich einen Lebemann heirate.«

»Lass dir nichts anmerken«, sagte Eloise. Sie hatte sich nach vorne gebeugt und blickte ihrer Tochter ernst in die Augen. »Ignoriere es. Das wahre Vergnügen - die echte Freude - einer Ehe entspringt den Kindern.«

Sophie schenkte ihr ein schiefes Lächeln.

»Ich sehnte mich danach, dir die Geschwister zu schenken, die du so gerne gehabt hättest, Sophie!«, rief ihre Mutter leidenschaftlich. »Erinnerst du dich? Du betteltest mich an, dir eine Schwester zu schenken. Aber was konnte ich tun? Dein Vater und ich sprachen nicht mehr miteinander, und ich wusste nicht, wie ich die Kluft überbrücken konnte. Du bist das Einzige, was wir jetzt noch gemein haben, Sophie. Wir lieben dich beide. Glaube mir, Kinder können wirklich ein Bindeglied zwischen dir und Patrick sein, wenn dir dein Stolz nicht im Weg steht.«

Sophie schluckte erneut und platzte dann heraus: »Patrick möchte nur ein Kind, Maman.«

Eloise schwieg einen Moment lang. »Das tut mir sehr Leid. Ich weiß, wie sehr du Kinder liebst. Dann behüte dieses eine Kind sehr gut. Hast du dich je gefragt, warum ich im Hinblick auf deine Spielkameraden so streng war?«

Sophie nickte. Sie durfte niemals die anderen Kinder besuchen und ihr Kindermädchen hatte strikte Anweisungen, jeden wegzuscheuchen, der sich ihnen auf den kurzen beaufsichtigten Spaziergängen näherte.

»Ich musste dich beschützen, Sophie. Du bist mein einziges Kind.« Eloise hatte sich offensichtlich wieder gefangen. »Aber wichtig ist nicht die Anzahl der Kinder, sondern die Freude, die du aus deiner Ehe ziehen kannst. Eine Ehe wie meine - voller Bitterkeit auf der einen und Desinteresse auf der anderen Seite - ist schlimmer, als gar keine Kinder zu haben.«

Eloise wirkte ein wenig peinlich berührt. »Um es ungeschminkt zu sagen: Verwehre deinem Mann niemals den Zutritt zu deinem Bett. Ich denke seit Jahren, dass ich deinen Vater vielleicht nicht so übereilt aus meinem Schlafzimmer hätte weisen sollen. Ich war eine launische kleine Närrin. Nun bin ich beinah vierzig und würde alles dafür geben, diese Worte zurücknehmen zu können. Tu es nicht, Sophie. Egal, wie wütend du bist, lass es Patrick niemals wissen. Verbanne ihn niemals aus deinem Schlafgemach. Es sei denn, du erwartest ein Kind«, fügte sie hinzu.

Sophie nickte schweigend.

»Das werde ich nicht, Maman«, flüsterte sie.

In diesem Moment betrat Simone, nun Sophies Zofe, gefolgt von einer kleinen Armee von Dienerinnen das Zimmer. Simone hatte die Arme voller knisterndem Seidenpapier.

»Ich bitte um Verzeihung, Mylady«, sagte Simone und machte einen Knicks vor der Marquise, »aber wir können jetzt anfangen, Lady Sophies Koffer zu packen.«

Eloise nickte und stand auf. Dann blieb sie stehen und schaute auf ihre Tochter hinunter. Sie strich mit der Hand über Sophies Haar. »Er kann gar nicht anders, als sich in dich zu verlieben, mignonne. Ich bin sicher, all meine Ratschläge sind überflüssig.«

Sophie lächelte sie an, aber nachdem Eloise den Raum verlassen hatte, saß sie einen Moment lang da und umklammerte das kleine ledergebundene Buch. Ihre Mutter hatte Recht. Eloises Fehler als Ehefrau hatte darin bestanden, ein Verhalten abzulehnen, das sich ihrer Kontrolle entzog. Mit anderen Worten; sollte Patrick sich anderen zuwenden, muss ich so tun, als würde ich es nicht bemerken, dachte Sophie.

Lord Breksby trommelte mit den Fingern auf seinen Schreibtisch, obwohl er sich seine Aufregung sonst nie anmerken ließ. »Das ist infam!«

Ein kleiner, unauffällig gekleideter Mann warf Breksby einen amüsierten Blick zu. »Napoleon war schon immer ein unbequemer Kerl«, pflichtete er ihm bei.

»Das ist jenseits der Grenzen des Erlaubten«, sagte Breksby und erstickte beinah an seinem Zorn. »Wie zum Teufel glaubt er, damit durchzukommen?«

»Es ist reines Glück, dass wir es herausgefunden haben«, sagte sein Gast.

Breksby seufzte. »Ich nehme an, ich sage es besser Patrick Foakes.«

»Meines Wissens bricht Foakes gerade zu seiner Hochzeitsreise auf... er segelt an der Küste entlang.«Durch ein leichtes Hochziehen der Augenbraue gab der kleine Mann zu verstehen, dass er die Gründe für Patricks Reise nach Wales kannte.

»Ja, das stimmt. Verdammt.« Breksby trommelte wieder mit den Fingern auf dem Tisch.

»Warum sollte man es ihm sagen?« Der Ausdruck in den Augen des kleinen Mannes war nicht zu deuten.

Breksby musterte ihn eindringlich. Sein Gast wusste mehr über die inneren Abläufe einiger Regierungen als er selber. Es wurmte ihn, entsprach aber nun einmal der Wahrheit.

»Wie kann ich es Foakes nicht sagen? Er könnte der Gefahr direkt in die Arme laufen. Was, wenn die Sache schief geht und das Zepter explodiert?«

»Das Zepter wird erst explodieren, wenn wir den Austausch des Originalexemplars zulassen«, sagte der kleine Mann. »Das Zepter ist der Schlüssel, und es ist nicht in Foakes' Besitz - sondern in unserem.« Er ging zur Tür hinüber. Offensichtlich war sein kurzer Besuch zu Ende. »Wir dürfen nichtriskieren, dass Foakes gegenüber seiner Frau irgend etwas fallen lässt«, murmelte er, bevor er den Raum verließ. »Verliebte Männer sind gefährlich.«

Breksby starrte auf die geschlossene Tür. Der Mann war einfach gegangen und Breksby hatte ihn ziehen lassen. Gott allein wusste, in welchen geheimen Dokumenten er in den nächsten Stunden herumwühlen würde. Breksby zuckte die Achseln. Man konnte ihn sowieso nicht aufhalten.

Breksby nahm Platz und zog ein Blatt Papier hervor. Aber einen Moment später zerriss er die elegant verfasste Nachricht an den Ehrenwerten Patrick Foakes.

Der kleine Mann hatte Recht. Es war ärgerlich, dass er immer Recht hatte, aber ... Vielleicht war es am besten, das Zepter auf anderem Wege zu transportieren. Wenn Foakes das Zepter erst Stunden vor der Überreichung an Selim erhielt, wäre das Risiko recht gering. Ein explodierendes Zepter! Was für eine absurde Vorstellung. Aber - und Breksby wurde bei der Vorstellung todernst wenn Foakes tatsächlich solch eine Vorrichtung zu Selims Krönung brachte und es in die Luft flog, dann würden die daraus resultierenden Verwicklungen sich für England zu einem Desaster auswachsen. Selims empfindliche Gefühle wären gekränkt, falls er die Explosion überlebte. Er würde sich ohne Zweifel auf Napoleons Seite schlagen und England auf der Stelle den Krieg erklären.

Verdammt und zugenäht«, murmelte Breksby. Er» rief seinen Diener und stülpte sich den Hut auf den Kopf. Das Schatzamt musste über Napoleons kleinen Plan in Kenntnis gesetzt werden.

Am gleichen Abend trafen sich der Marquis und die Marquise von Brandenburg alleine im Salon, wo sie auf die Ankunft ihrer Tochter warteten. Die Familie würde gemeinsam speisen. Das letzte Mal, dachte Eloise mit einem Kloß im Hals. Am nächsten Tag würde ihr Kind das Haus in Richtung St. George's Chapel verlassen und niemals zurückkehren, es sei denn als Besucherin.

Sie nahm das Glas Sherry, das Carroll ihr reichte, und ging zu dem großen Fenster hinüber, das den Blick auf den Garten freigab. Etwas an der Unterhaltung mit Sophie ... Eloise hatte die Dinge, die sie Sophie erzählt hatte, noch nie laut ausgesprochen. Es war ihr sogar ein wenig peinlich, mit ihrem Mann im gleichen Raum zu sein.

Aber falls George die leicht angespannte Stimmung im Zimmer spürte, so sagte er nichts. Fröhlich spazierte er ebenfalls zum Fenster hinüber und stellte sich neben sie.

»Ich denke, sie geben ein hübsches Paar ab, finden Sie nicht auch, meine Liebe?«

Eloise war plötzlich ganz atemlos. Seit sie George noch einmal nackt gesehen hatte, tauchte immer wieder das Bild von seiner Brust und seinen Beinen vor ihrem geistigen Auge auf. Während er vollständig angezogen neben ihr stand, überlief ein Schauer ihren Körper, als die Erinnerungen aus den Anfängen ihrer Ehe auf sie einstürzten.

Plötzlich musste sie daran denken, wie George immer ihren Nacken geküsst hatte. Eloise wandte sich zur Seite und blickte zu ihrem Gatten hoch. Er schaute in den Garten hinaus und hatte offensichtlich gar nicht bemerkt, dass sie seine Frage nicht beantwortet hatte.

»George«, sagte Eloise. Sie spürte, wie Sie errötete.

George blickte sie an und seine grauen Augen wurden ernst. Dann streckte er die Hand aus und legte seine Finger auf ihren Nacken genau an die Stelle, an die sie eben gedacht hatte. Er hatte sie seitjahren nicht mehr so intim berührt.

Eloise verharrte regungslos wie ein erschreckter Hase. Es war der richtige Moment, sich ein Herz zu fassen. Aber den Mut, Jahre der Entfremdung zu überwinden, bringt man nicht so schnell auf. Der Atem brannte ihr heiß in der Brust und die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie senkte den Nacken und fühlte sich hilflos und beschämt.

Aber George spreizte die Finger und rieb mit dem Daumen in kreisförmigen Bewegungen über ihre Haut. Er ließ die Hand erst sinken, als Carroll die Türen zum Salon öffnete und Sophie in den Raum ließ.

02 - Heiße Nächte der Leidenschaft
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