Wer wird überleben?

(Who Wants to be a Survivor?)

Teil 1: Die Vorbereitung

Der körperlich eher unbeeindruckende Mann schlenderte mit einem unverschämten Grinsen im Gesicht auf den Wachmann zu. Er trug eine große, zerschlissene Sporttasche bei sich. Sie war von einer Schmutzschicht bedeckt und Markenname und Logo waren im Laufe der Zeit durch die Abnutzung stark verblasst.

Der Wachmann betrachtete ihn von oben bis unten. Der ziemlich schmuddelige Mann erinnerte ihn spontan an einen übrig gebliebenen Hippie. Tatsächlich konnte der Typ aber kaum älter als 30 sein, war also höchstens ein Möchtegern-Hippie. Der Wachmann lächelte in sich hinein, nickte dem zierlichen Kerl jedoch pflichtbewusst zu, als dieser sich ihm näherte.

Ich frage mich, was für Drogen der Typ dabei hat, dachte der Wachmann, während er einen Blick auf die abgenutzte Tasche warf.

»Wie geht’s, …«, grüßte der Mann, während er einen Blick auf das Namensschild des Wachmanns warf, »… Mike?« Er grinste.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Wachmann.

Der Mann kratzte sich an seinem kahlen Schädel und schniefte.

Kokain?, wunderte sich der Wachmann. Hätte ja eher auf Hasch getippt.

»Heiß heute Abend«, sagte der Mann. »Da kommt man echt ins Schwitzen.«

»Das kann man wohl sagen. Ich wär auf jeden Fall lieber da drin als hier draußen.«

Der kleine Hippie lachte über die Bemerkung des Wachmanns. Es war ein Lachen aus tiefstem Herzen, das angesichts der eher beiläufigen Bemerkung übertrieben wirkte. Er beruhigte sich jedoch schnell wieder und wischte sich über die Augen.

»Da bin ich ganz bei Ihnen«, erwiderte er. »Hat die Show schon angefangen?«

Der Wachmann nickte. »Ich fürchte ja, Sir. Haben Sie eine Karte?«

Der Mann seufzte und nuschelte: »Ja. Ich will Martys Show schon seit Ewigkeiten mal sehen. Bin extra den ganzen Weg aus San Francisco hergekommen. Mit dem Bus, Mann.«

Der Wachmann atmete tief ein und sah auf die Uhr. Dann blickte er wieder auf den Kerl mit dem Bart hinunter. »Ich schätze, ich kann Sie noch reinlassen. Aber ich muss Sie persönlich reinbringen und warten, bis sie eine Werbepause machen.«

»Die Show ist live, oder?«, fragte der Mann mit einem Lächeln, in dem sich ein Anflug von Wahnsinn abzeichnete.

»Das ist sie. Eine der Letzten ihrer Art. Dürfte ich dann bitte Ihre Karte sehen, Sir?«

Der Mann nickte. Er stellte seine ausgebeulte Tasche auf dem Bürgersteig ab und öffnete den Reißverschluss. Er steckte einen Arm hinein und wühlte darin herum. »Sie muss irgendwo da drin sein. Wahrscheinlich ist sie rausgef… Ah! Da ist sie ja.«

Er richtete sich wieder auf.

Der Wachmann streckte eine Hand aus. »Die Show hat gerade erst angefangen, also …«

Sein Atem blieb ihm im selben Moment im Halse stecken, als das Messer in seinen Bauch eindrang.

»Nimm das, du mieses Schwein«, raunzte der Mann und spuckte auf den Asphalt, während er dem Wachmann die Klinge immer wieder mit wütenden Stichen in Magen und Brust rammte. Blut schoss aus dem Mund des Wachmanns und er stieß bei jedem Messerstich ein hilfloses Ächzen aus.

Während er auf den unscheinbaren Mann hinunterschaute und seine Hände auf den Bauch presste, spürte er, wie der warme Lebenssaft aus seinem Körper tropfte.

»Beschissenes Schwein! Du bist ein wertloses Instrument der faschistischen Ideale des Establishments!«

Als der Wachmann auf den warmen Betonboden prallte, sah er Bilder von Segeljachten auf fernen Ozeanen und Filmen, die in New York spielten, vor seinem inneren Auge. Er nahm nur vage wahr, was der Andere ausrief. Er lag auf dem klebrigen Bürgersteig, während Szenen aus Taxi Driver durch sein benommenes Bewusstsein huschten. Dann hörte er die Schreie.

»Komm schon! Lass uns abhauen!«

Er hörte das Trampeln unzähliger Schritte, die an ihm vorbeistapften. Nur sehr schwach nahm er wahr, dass einige aus der Meute ihn anspuckten, und spürte mehrere heftige Tritte.

Als er starb, spulten sich in seiner Erinnerung verschwommene Szenen aus Serpico ab.

Es klopfte an die Tür des Regieraums. Craig erhob sich. »Ich mach auf, Jungs.«

Er durchquerte das schwach erleuchtete Kabuff, entriegelte das Schloss und öffnete die Tür. Er lächelte und nickte.

Craig machte einen Schritt zur Seite und die beiden Männer traten in den verrauchten Regieraum.

»Hey, wer seid ihr?«, fragte einer der Wachmänner, die sich im Raum aufhielten.

Der Vordere der beiden zog eine Waffe aus seiner Jacke. »Wenn sich auch nur einer von euch bewegt, schießen wir euch ein hübsches Loch in den Schädel.«

Craig machte die Tür zu und schloss wieder ab.

»Wir übernehmen jetzt die Show«, sagte der Mann mit der Waffe. »Schiebt eure Ärsche da rüber in die Ecke.«

Alle vier Anwesenden blickten Craig an und aus ihren Augen sprachen Angst und Verwirrung.

»Tut, was sie sagen«, forderte Craig sie auf.

Sie sprangen von ihren Stühlen auf und schlurften in die ihnen zugewiesene Ecke hinüber. Der zweite Mann zog ein Gewehr aus seiner Tasche und richtete es auf die kleine Gruppe. »Überraschung!«, rief er. Er kicherte, als sie zusammenzuckten.

»Wie kann ich mit dem Kameramann unten reden?«, wandte sich der erste Mann an Craig.

»Ich zeig’s dir.« Craig gesellte sich zu seinen Komplizen und setzte sich an das große Pult. Er griff nach dem Kopfhörer. »Was soll ich ihnen sagen, Flag?«

Der Mann ließ sich neben ihm nieder und setzte sich ebenfalls Kopfhörer auf. »Kannst du es so einstellen, dass ich mit dem Kameramann sprechen kann?«

»Sam hat gesagt, dass ich hier oben das Sagen habe.«

Flag seufzte. »Okay. Sam will, dass wir nur eine Kamera benutzen.«

»Hey, willst du dich von Shorty echt so rumkommandieren lassen, Flag?«

»Halt dein beschissenes Maul, Bobby.«

»Ja, sei still«, sagte Craig.

Bobby kicherte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Gruppe in der Ecke zu. »Wer von euch ist der Regisseur?«

»Das bin ich«, antwortete ein kleiner, hagerer Mann. »Seid ihr Terroristen?«

»Scheiße, nein«, kicherte Bobby.

»Was wollt ihr denn dann?«

»Der Welt zeigen, welches Übel das Ferns…«

Flag wirbelte herum. »Ich dachte, ich hätte euch gesagt, dass ihr die Klappe halten sollt!« Er warf Bobby einen warnenden Blick zu. »Kannst du nicht einfach mal still sein?«

Bobby nickte. »Tut mir leid, Flag.« Ein wahnsinniges Grinsen breitete sich auf seinem dicken Gesicht aus. »Können wir sie erschießen? Können wir?« Er fuchtelte mit dem Gewehr in Richtung der in der Ecke kauernden Männer.

»Mein Gott. Nein«, seufzte Flag. »Sam hat gesagt, wir sollen sie nicht umbringen. Wir brauchen ihre Hilfe.«

Flag wandte sich wieder zu dem Kontrollpult um und ließ seinen Blick über die Reihe der Bildschirme schweifen, die ihm zeigten, welche Kamera unten im Studio gerade welchen Ausschnitt einfing. Auf den meisten Monitoren war Marty Laffin zu sehen, der in der Mitte der Bühne stand. Einer zeigte die Band. Außerdem gab es einen normalen Fernseher, auf dem das Sendesignal zu sehen war, das in diesem Moment über Millionen von Mattscheiben im ganzen Land flimmerte. Ihn würde Flag besonders im Auge behalten müssen.

Craig stieß Flag in die Seite. »Ich bin so weit. Du rufst das FBI an. Das Telefon ist da drüben.«

»Okay«, sagte Flag.

Das Publikum applaudierte. Dank der 200 begeisterten Fans, die laut klatschten und grölten, musste kein Lachen aus der Konserve eingespielt werden. Die Zuschauer veranstalteten praktischerweise einen derart ohrenbetäubenden Lärm, dass die Schreie draußen auf dem Flur völlig unbemerkt geblieben waren.

Marty Laffin grinste und forderte die Zuschauer mit einer winkenden Handbewegung auf, ihren begeisterten Applaus für einen Augenblick im Zaum zu halten.

Er wartete, bis Ruhe im Studio eingekehrt war, und hielt einen perfekt getimten Moment lang inne, bevor er die Pointe ablieferte: »Und das war nur diese Woche.« Erneut ertönte schallendes, noch lauteres Gelächter, unter das sich begeisterte Pfiffe und Gejohle mischten. Der Moderator hob einen Arm und wollte gerade Dave Morrison und seine Band ansagen, als die Flügel der Hintertür aufgestoßen wurden.

Als sich sämtliche Köpfe umdrehten, lachte Marty.

»Na, was ist denn jetzt los?«, stieß er aus und fragte sich, ob das vielleicht Teil eines zusätzlichen Sketches war, in den sein Team ihn absichtlich nicht eingeweiht hatte. Er sah zu seinem Produzenten rüber und erwartete, ihn bei dem Versuch zu erwischen, ein leichtes Grinsen auf seinem Gesicht zu verbergen. Marty runzelte die Stirn, als er sah, dass der Produzent genauso verblüfft zu sein schien wie er selbst.

Marty schätzte die Gruppe auf etwa 20 Personen. »Ah! Hallo, zusammen!«, rief er ihnen entgegen. »Wir sind wohl ein bisschen spät dran, wie?«

Einige Zuschauer kicherten, während andere das Geschehen interessiert beobachteten.

Marty blickte in die Kamera und zuckte mit den Schultern. »Wusste ich doch, dass ich besser zur Probe hätte gehen sollen.«

Noch mehr nervöses Gelächter aus dem Publikum.

»Okay, setzt euch auf eure Plätze«, sagte Marty in dem Versuch, das Publikum ein wenig zu beruhigen.

Ein Mann rannte durch die Zuschauerreihen direkt auf die Bühne zu. Martys Gesichtszüge entgleisten und er wich ein paar Schritte zurück.

»Hey, Mann. Bleib da stehen, ja? Wir wollen keinen Ärger.«

Marty konnte hören, wie der Produzent neben der Bühne den Sicherheitsdienst rief.

Der zerzauste Typ sprang auf die Bühne. Er schleppte eine abgewetzte Tasche mit sich herum. Was Marty jedoch am meisten beunruhigte, war der wahnsinnige Glanz in den starren Augen des Mannes.

»Bleib einfach ruhig, Marty.«

Die Stimme des Mannes klang so eiskalt, dass Marty ein Schauer über den Rücken lief. Der Moderator schielte zu den großes Kameras hinüber und erkannte, dass an allen Dreien noch immer ein rotes Licht brannte.

Warum haben sie uns denn noch nicht vom Sender genommen?

»Äh, wir machen eine kleine Pause und sind gleich wieder zurück«, verkündete Marty in Kamera 1. Aber das rote Licht erlosch nicht.

Die Zuschauer wurden allmählich unruhig. Sie tuschelten nervös miteinander und auf die ansonsten unbesorgten Gesichter der meisten trat ein verwirrter Ausdruck. Sie waren sich nicht sicher, ob das Geschehen da vorne auf der Bühne wirklich noch zur Show gehörte.

Marty versuchte, die Aufmerksamkeit von einem der Kameramänner auf sich zu ziehen, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, als der Fremde ein blutverschmiertes Messer zückte.

Auf der Bühne, im Licht der Scheinwerfer, schweißüberströmt und mit zum Bersten gespannten Nerven wurde Marty Laffin bewusst, wie ernst die Situation tatsächlich war. Er beobachtete, wie sich der Rest der ungebetenen Studiogäste zu den Eingängen begab. Sie alle trugen ähnliche Taschen bei sich.

Als Marty seinen Blick wieder dem Wahnsinnigen auf der Bühne zuwandte, nahm er wahr, wie dieser ihm zuzwinkerte.

»Bleib einfach cool, okay?«

Dann drehte sich die zerrissene Gestalt zur Kamera um und richtete das Wort ans Publikum. »Guten Abend, liebe Zuschauer. Mein Name ist Sam, aber ihr könnt mich Uncle Sam nennen. Wenn ihr alle tut, was ich sage, wird niemand verletzt. Meine Familie bewacht momentan sämtliche Ausgänge. Solltet ihr also den Wunsch verspüren zu fliehen, fürchte ich, dass das nicht möglich sein wird. Erstens sind die Ausgänge blockiert und zweitens werdet ihr euch auf der falschen Seite einer Kugel wiederfinden, falls ihr es trotzdem versuchen solltet.«

Alle 200 Zuschauer schnappten erschrocken nach Luft und drehten ihre Köpfe, um sich zu vergewissern, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Die meisten begannen zu weinen, als sie die bewaffneten Männer vor den Türen stehen sahen, die ihre Taschen vor sich auf den Boden gestellt hatten und ihre Gewehre in ihren Armen wiegten.

Marty spähte zum im Dunkeln liegenden Regieraum hinauf. Er fragte sich, warum zur Hölle noch niemand die Polizei gerufen hatte. Und wo waren eigentlich die Wachleute, verdammt noch mal? Er ermahnte sich, Ruhe zu bewahren und sich an das zu halten, was diese Psychopathen von ihm verlangten. Und vor allem zu versuchen, sich selbst vor diesen Typen zu retten.

»Äh … entschuldigen Sie bitte.« Es war die schwache Stimme des Aufnahmeleiters, der aus der Dunkelheit trat. Angsterfüllt legte der korpulente Mann seine Stirn in Falten.

»Ja?«, sagte Sam mit einem Lächeln.

»Ich, äh, hab hier eine Nachricht für Sie. Von … Shorty.«

»Über Kopfhörer?«

Der Aufnahmeleiter, Bill, nickte.

»Gut. Sag ihm, dass hier unten alles nach Plan läuft.«

Marty beobachtete, wie Bill die Nachricht weiterleitete.

»Er sagt … oben auch«, erwiderte der Aufnahmeleiter.

Der Mann nickte.

»Hey! Was ist da los?« Der Zwischenruf kam von einem Mann aus dem Publikum.

Marty hätte den Mann am liebsten angebrüllt und ihm gesagt, er solle die Klappe halten. Sein Mund fühlte sich jedoch so ausgetrocknet an, dass er kein Wort herausgebracht hätte, zumal ihm momentan ohnehin der Mut fehlte, irgendetwas zu sagen.

Es folgte eine lange Pause, bevor Sam antwortete: »Eine Reinigung.«

Was soll das denn bedeuten?, fragte sich Marty. Und wie sind die Kerle überhaupt in den Regieraum gekommen?

»Und was wollt ihr von uns?«

Marty hörte, wie einige Zuschauer dem Mann zuflüsterten, er solle endlich still sein.

»Das werdet ihr schon sehr bald erfahren«, antwortete der Mann, der sich Sam nannte. »Aber jetzt wollen wir erst mal mit der Show weitermachen. Seid ihr alle bereit?«

Er drehte sich um und grinste Marty breit an. »Kann’s losgehen?«

Marty nickte langsam. Das Atmen fiel ihm schwer und er befürchtete, in Ohnmacht zu fallen.

»Ray! Slide!«, rief der Mann.

Zwei der Komplizen des Mannes schossen auf die Bühne. Sie sahen jung aus, noch keine 20, waren beide kahl rasiert und trugen eine Waffe bei sich. Die Tatsache, dass ihre Gesichter so frisch und unverbraucht wirkten, machte das Ganze nur umso furchteinflößender – vor allem aufgrund des bösen, leeren Glanzes in ihren Augen.

Sam starrte Marty noch immer an. »Warten deine Gäste im Green Room?«

Marty nickte.

»Wo ist der?«

»Äh, da drüben. Durch die Hintertür, dann die Treppe runter, ganz am Ende des Flurs. Es ist die letzte Tür rechts.«

Der Mann bedankte sich mit einem Grinsen.

Marty fühlte sich ganz elend, weil er dem Mann verraten hatte, wo sich die prominenten Gäste aufhielten, aber er sagte sich, dass sie ihn womöglich umgebracht und die Stars trotzdem gefunden hätten. Schweigen hatte also keinen Sinn.

»Los«, befahl der Mann seinen jungen Handlangern. Sie nickten und eilten davon.

Der Mann drehte sich wieder zum Publikum um. »Ihr müsst keine Angst haben. Ihr seid nun alle unter den Fittichen von Uncle Sam. Jetzt wird alles gut.« Der Mann verstummte. Alles wurde ruhig. Im Studio herrschte Totenstille, bis plötzlich das leise Echo verhallender Schüsse zu ihnen empordrang. Es waren vier in kurzen Abständen abgefeuerte Schüsse.

Aus den Kehlen von 200 Zuschauern lösten sich entsetzte Schreie. Ungläubige Angst hing in der Luft. Die Vorstellung, dass einige der berühmtesten Stars in diesem Moment gestorben waren, überforderte die meisten Menschen im Studio, Marty eingeschlossen.

Wie konnte das passieren?, fragte er sich.

Aber er redete sich ein, dass er selbst nichts zu befürchten habe. Er war einer der erfolgreichsten Talkshow-Moderatoren der Welt. Seine Show wurde in mehr Ländern ausgestrahlt als jedes Konkurrenzformat. Er war so populär, dass ihm seine Berühmtheit quasi als Lebensversicherung diente.

Mir wird nichts passieren, versicherte er sich selbst.

Darum war Marty Laffin auch nicht darauf vorbereitet, als sich der Mann plötzlich auf ihn stürzte. Schon im nächsten Moment hatte er Marty das Messer in den Hals gerammt. Marty schrie auf – die Schmerzen waren unerträglich. Sein Schrei verwandelte sich kurz darauf in ein Gurgeln, als sich seine Kehle mit Blut füllte.

Er hörte die Schreie des Publikums und spürte, wie das Blut über seine Brust rann.

»Stirb, du elendes Schwein. Stirb!«

Bevor Marty auf den Boden der Bühne knallte, nahm er noch das Gebrüll der Anhänger des Mannes wahr: Sie stießen regelrechte Freudenschreie aus. Trotz der Qualen, die er litt, rang sich Marty noch den Gedanken ab, dass dies wohl eine Art Triumph für sie sein musste. Es wirkte fast, als wäre das Ganze nur ein Spiel für sie.

Das Letzte, was Marty mitbekam, während immer mehr Blut aus seiner Kehle strömte, waren die Schlachtrufe des Mannes: »Tod dem Fernsehen! Lebt in Reinheit! Herzlich willkommen zum Spiel des Überlebens!«

Teil 2: Das Spiel

1: (im Haus von George und Francis Murly)

Es war ein ganz gewöhnlicher Freitagabend für George und Francis Murly. Sie hatten sich Popcorn gemacht – auf die altmodische Art: in der Pfanne und mit einer absolut gesundheitsgefährdenden Menge Öl. Jetzt saßen sie auf ihrem alten, zerschlissenen Sofa aus Synthetikfasern, während der große elektrische Ventilator dringend benötigte Luft auf ihre alternden Gesichter blies. Im Fernsehen lief die x-te Wiederholung von The Sound of Music.

»Ich sag dir, diese Hitze bringt mich noch um.«

»Ach, hör auf«, lachte Francis. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Du bist einfach nur ein alter Brummbär.«

»Bin ich nicht«, schnaubte George und stopfte sich eine großzügige Handvoll Popcorn in den Mund.

»Ich sag dir, was dich umbringen wird: wenn du dir zu viel Popcorn auf einmal reinschiebst. Daran erstickst du nämlich.«

George schnaubte erneut und schnappte sich die Fernbedienung. »Der verdammte Film hängt mir zum Hals raus. Den hab ich schon mindestens 50 Mal gesehen.«

»Ach, jetzt übertreib nicht«, sagte Francis kichernd und steckte sich eine weitaus bescheidenere Portion Popcorn in den Mund. »Du hast ihn genauso oft gesehen wie ich. Vielleicht vier-oder fünfmal.«

»Das reicht auch. Ich guck mal, was sonst noch läuft.«

Francis zuckte mit den Schultern und kaute. Es war ihr egal, solange es irgendetwas Anständiges zu sehen gab.

George zappte durch verschiedene Programme – Filme, Sportübertragungen, Dokumentationen –, bevor er bei Kanal sechs landete.

Auf dem Bildschirm war ein dürrer, ungepflegt wirkender Mann zu sehen. Er saß hinter einem Schreibtisch und trug ein breites Lächeln zur Schau. Er nickte jemandem zu, der sich außerhalb des Bildes befand.

»Wer zur Hölle ist das denn?«, erschrak Francis. »Der sieht ja ganz dreckig aus.«

»Sei still«, schnappte George. »Ich will das hören.«

Die Kamera schwenkte auf den ziemlich verhärmt wirkenden Bandleader Dave Morrison. Mit einem matten Winken bedeutete der seltsame Moderator seiner Band, den Song abzubrechen, und beugte sich zu seinem Mikrofon. »Hiiiiier iiiiist Sammy!«

Als die Kamera über die Bühne schwenkte und schließlich an dem Mann hängen blieb, war nur sehr verhaltener Applaus zu hören. Das leise Klatschen klang seltsam und hallte im gesamten Studio wider. Der Mann hinter dem Schreibtisch lächelte und fing ebenfalls an zu klatschen. »Danke, Dave.« Er zog das Mikrofon, das auf dem Schreibtisch stand, näher zu sich heran. »Willkommen, liebe Zuschauer, zu … ›Wer wird überleben?‹« Er fuchtelte mit seinen Armen in der Luft herum. Erneut waren vereinzeltes Klatschen und Pfiffe im Studio zu hören. Die Kamera blieb auf den Mann gerichtet.

»Mein Name ist Sam. Ich bin heute Abend Ihr Gastgeber. Ihr alter Gastgeber, Marty Laffin, ist tot. Ich habe seine Kehle mit diesem Messer durchbohrt.« Er hielt ein großes, blutverschmiertes Messer in die Höhe. »Etwa so«, fuhr er fort. Dann führte er noch einmal vor, wie er Marty erstochen hatte, verdrehte die Augen und streckte seine Zunge heraus, als er nachahmte, wie Marty ausgesehen hatte, als er gestorben war. Als er fertig war, legte er das Messer auf den Schreibtisch zurück. »Nun, ich schätze, Sie als Zuschauer möchten endlich erfahren, worum es bei dieser Show eigentlich geht. Ihr Ungläubigen!«, bellte er.

Die Mikrofone im Studio fingen die Reaktionen mehrerer Personen ein, die ebenfalls das Wort Ungläubige riefen.

»Eure Religion ist das Fernsehen! Möge euch die Verachtung unseres Herrn und Erlösers treffen!«

Wieder ertönte ein Echo aus allen Ecken des Studios.

Der Mann verschaffte sich mit einer Geste Ruhe. Er starrte direkt in die Kamera und proklamierte: »Ich bin eure einzige Hoffnung auf Erlösung, Leute! Lasst nicht zu, dass wir von Maschinen und Propaganda regiert werden! Lasst uns frei sein und in der Wahrhaftigkeit des einzigen Weges leben!«

Er schüttelte den Kopf. »Bevor wir mit der Show des heutigen Abends beginnen, möchte ich euch als potenziellen Konvertiten einige Videos unserer letzten Opfer zeigen. Sie mussten dargebracht werden, damit wir und unsere Mitmenschen gereinigt und von dem Übel des Fernsehens befreit werden können.«

Er nickte jemandem zu, der neben der Kamera stand.

Die Studioaufnahmen wurden durch das unruhige Bild eines kleinen Hauses ersetzt. Es war Nacht. Der Kameramann, wer immer er auch sein mochte, rannte auf eine Tür zu. Gelächter und Flüstern waren zu hören. Jemand, nicht die Person mit der Kamera, klingelte an der Tür, und dann ertönte ein Flüstern, alle sollten still sein, aus dem Off. Kurz darauf wurde die Tür von einem jungen Mann geöffnet, dem die Verblüffung ins Gesicht geschrieben stand.

»Was ist …?«, brachte er noch hervor, bevor eine Horde von Leuten, die teilweise nicht älter wirkten als 20, an der Kamera vorbeirannte und ins Haus drängte. Es war eine Menge Gejohle und Gelächter zu hören, während die Person mit der Kamera den anderen hinterherrannte. Die Horde hatte den Mann und eine Frau zu Boden geworfen, riss dem unglückseligen Paar die Kleider vom Leib und skandierte lautstark: »Ungläubige! Ihr betet das Böse an!«

Die Kamera fing ein, wie die beiden schreienden Opfer splitternackt ausgezogen und mit Seilen an die Beine eines Tisches gefesselt wurden. Im Bild befanden sich mindestens zehn Personen, die allesamt Messer und Schusswaffen in der Hand hielten. Sie buhten das gefesselte, zu Tode erschrockene Pärchen aus und beschimpften es brüllend. Dann fingen sie unter dem stets wachsamen Auge der Kamera an, ungefähr fünf Minuten lang unaufhörlich auf beide einzustechen und zuschlagen. Endlich, als der Teppichboden vollkommen mit Blut getränkt war und die zwei ihre letzten, blutigen Atemzüge getan hatten, erschoss die Meute sie – den Mann in den Kopf, die Frau in die Brust.

Die Kamera folgte einigen Mitgliedern der Bande, die ihre Finger in das Blut tauchten und über den gesamten Fernsehbildschirm DAS IST DAS BÖSE und TOD DEN MASSENMEDIEN schrieben.

Nachdem die Kamera noch ein letztes Mal über die entsetzlich zerstückelten Leichen gewandert war, wurde das Bild schwarz.

Auf dem Bildschirm erschien nun wieder das grell erleuchtete Studio und auf dem Gesicht des Mannes, der noch immer hinter dem Schreibtisch saß, lag ein wahnsinniges Stirnrunzeln. »Na, na, na«, sagte Sam. »Wie hat euch das gefallen?«

Überall in den Zuschauerrängen klangen Schreie und Schluchzer auf.

»Bill, frag Shorty, ob wir immer noch auf Sendung sind.«

Bill sprach in sein Headset, lauschte kurz und nickte.

»Gut«, erwiderte Sam und grinste. »Gut.«

»Das ist ja furchtbar«, stieß Francis entsetzt aus. »Mach das aus, George.«

»Das hat so entsetzlich real gewirkt«, nuschelte George. »Ich frag mich, was das für ’ne Sendung ist.«

»Sie ist krank, das ist sie. Manche Leute haben einfach einen kranken Sinn für Humor.«

»Aber der kleine Glatzkopf ist lustig. Auf seine ganz eigene, seltsame Art.«

»Also, ich schau mir das auf jeden Fall nicht länger an«, sagte Francis und erhob sich. »Ich geh ins Bett.«

George bedeutete ihr mit einem Winken, still zu sein, und Francis marschierte schnaubend aus dem Wohnzimmer.

2: (im Haus der Familie McGregor)

Stewart McGregor klopfte an die Tür des Schlafzimmers seiner Eltern, wartete ein paar Sekunden ab und trat dann ein. Sein Vater sah von seinem Taschenbuch auf und lächelte ihn an.

»Hey, Stew. Was gibt’s?«

Seine Mutter hatte ihr Gesicht noch immer in die Akte ihres aktuellen Falls vergraben.

»Mum, Dad«, sagte er.

Sein Dad nahm seine Lesebrille ab und runzelte die Stirn. »Was ist denn los?«

»Ich glaube, ihr kommt besser mit und seht es euch selbst an.«

Zu dritt gingen sie ins Wohnzimmer, in dem immer noch der Fernseher lief. Stewart bat seine Eltern, sich auf die Couch zu setzen, während er sich auf einem der Sessel neben ihnen niederließ. Auf dem Bildschirm war ein kahlköpfiger Mann mit langem, ungewaschenem Bart hinter einem Schreibtisch zu sehen.

»Das sieht aus wie die Kulisse von Marty Laffin«, sagte Luke McGregor.

»Das ist sie auch. Na ja, war sie«, korrigierte Stewart sich.

»Was ist das denn alles?«, fragte Pam McGregor. »Was ist denn da los?«

»Ich glaube, das wird euch interessieren«, sagte Stewart. »Der Mann da, der hat Marty Laffin umgebracht. Im Fernsehen. Vor laufender Kamera.«

»Das ist doch lächerlich«, schnappte Luke mit einem nervösen Kichern.

»Es ist die Wahrheit«, versicherte Stewart ernst.

Luke und Pam starrten ihren 20-jährigen Sohn an. Sie konnten es in seinen Augen sehen.

»Oh, mein Gott«, murmelte Pam. Sie richteten ihren Blick wieder auf den Bildschirm. »Wer ist das denn?«

»Ein Terrorist?«, fragte Luke.

»Ich glaube nicht. Ich denke, eher der Anführer eines Kults. Wie Charles Manson oder David Koresh. Er nennt sich Uncle Sam. Er hat die Show übernommen.«

»Mein Gott«, stieß Luke aus.

»Er hat schon ein Video von seinen Leuten gezeigt, wie sie ein Paar in ihrem eigenen Haus umgebracht haben. Es war … schrecklich.«

»Wo bleibt denn die Polizei?«, fragte Pam.

Stewart zuckte mit den Schultern. »Von der Polizei hat er noch nichts gesagt. Aber er muss den ganzen Laden unter Kontrolle haben. Er hat zwei von seinen Anhängern befohlen, die Gäste zu erschießen.«

»Er hat die Prominenten erschossen?«

Stewart nickte. »Und die Show ist live.«

Sie drehten sich wieder um und starrten auf den Fernseher.

Eine extrem verängstigt wirkende Frau saß auf einem der Sessel neben dem Schreibtisch. Sie war ziemlich korpulent und trug Unmengen von Make-up, das in schwarzen und roten Strömen über ihr aufgedunsenes Gesicht rann.

»Und hier haben wir Doris. Herzlich willkommen, Doris, bei ›Wer wird überleben?‹!«

Außer dem Heulen der Frau und dem Klatschen des glatzköpfigen Mannes war nichts zu hören.

»Doris kommt aus … woher, sagten Sie doch gleich?«

Sie antwortete mit einem neuerlichen lauten, nassen Tränenausbruch.

»Sagen wir: Miami. Sie sieht aus, als käme sie aus Miami, oder, Dave?«

Die Kamera schwenkte hektisch zu dem Bandleader hinüber. Er blickte verloren in die Kamera und nickte kaum merklich. Die Kamera fing kurz weitere Mitglieder der Band ein. Ein paar von ihnen weinten. Dann blieb sie eine Weile auf Dave gerichtet, bevor sie wieder zu dem kleinen Mann hinter dem Schreibtisch zurückschwenkte.

»Du bist kein Mann der großen Worte, was, Dave?« Er kicherte. »Wie läuft’s da oben, Shorty?«

Der Mann sah an der Kamera vorbei. Dahinter murmelte irgendjemand etwas. Der Mann nickte und wandte sich dann wieder Doris zu.

»Bei Shorty, Bobby und Flag läuft alles bestens«, verkündete er mit einem Grinsen.

Doris schniefte und wischte sich mit der Hand über Nase und Augen.

»Also, passen Sie auf, so funktioniert das Spiel: Ich werde Ihnen jetzt zehn Fragen stellen. Wenn Sie sie alle richtig beantworten, bleiben Sie am Leben, aber wenn auch nur eine falsche Antwort dabei ist, lasse ich Sie selbst wählen, wie Sie sterben möchten. Verstanden?«

Die Frau, die nun unkontrolliert flennte, versuchte wegzulaufen. Sie wurde von zwei kahlköpfigen Männern aufgehalten, die sie packten und unsanft zurück in den Sessel stießen.

Einer der Männer beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie nickte nervös und blieb auf ihrem Sessel sitzen.

»Haben wir’s jetzt alle schön bequem?«, erkundigte sich der Mann.

»Ja.« Die Frau sprach sehr leise.

»Okay. Erste Frage. Wie …« Er unterbrach sich und warf Dave einen Blick zu. »Hey, Dave, wie wär’s mit ein bisschen Musik für Doris? Damit sie besser nachdenken kann.«

Er grinste, als Dave ein sanftes, stimmungsvolles Arpeggio anstimmte.

»Perfekt. Also, Doris. Wie viele Eier hatte Hitler?«

Die Frau schniefte und sah den Mann mit einem verwirrten Stirnrunzeln an. »W… Was?«

»Wie viele Hoden hatte Adolf Hitler?«

Die Frau schluckte und flüsterte: »Einen?«

»Sehr gut«, lachte der Mann. »Das war eine leichte Frage zum Einstieg. Nächste Frage: Wie heißt die Hauptstadt von Australien?«

Mit ängstlichem Stirnrunzeln senkte die dicke Frau ihren Blick und schluchzte. Sie schüttelte den Kopf.

»Schnell. Sie haben nur noch zehn Sekunden.«

Aus dem Publikum war ein entfernter Zuruf zu hören. Er war so leise, dass die Mikrofone ihn kaum einfingen, aber es war deutlich das Wort »Canberra« zu hören.

Der Mann verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.

»Canberra?«, wiederholte die Frau und blickte hoffnungsvoll zu ihrem Peiniger empor.

Der Mann schaute an der Kamera vorbei und nickte.

Ein Schuss ertönte und das Publikum schrie auf. Der Mann stand auf und hob seine Hände. »Ruhe! Seid still, sonst ereilt euch das gleiche Schicksal!«

Die Musik verstummte. Es dauerte eine Weile, bis sich die Zuschauer wieder beruhigt hatten. Der Mann setzte sich wieder. Über das Weinen aus zahlreichen Kehlen sagte er in die Kamera: »Dreh dich um und zeig es.«

Das Bild begann zu wackeln, als die Kamera sich umdrehte und den dunklen Zuschauerraum einfing.

»Licht an!«, brüllte der Mann hinter der Kamera.

Ein Scheinwerfer erleuchtete die Zuschauerränge und förderte den entsetzlichen Anblick eines Mannes, dem man den Schädel weggeschossen hatte, zutage. Die Menschen um ihn herum waren über und über mit seinem Blut bespritzt und an ihnen klebten blutige Fetzen seines Gehirns und Gewebes. Als eine Frau anfing, sich zu übergeben, schwenkte die Kamera wieder zu dem Mann hinter dem Schreibtisch zurück.

Auf seinem Gesicht lag ein breites Grinsen.

»In dieser Show erlauben wir nicht, dass jemand schummelt, stimmt’s, Dave?«

Ein schneller Schwenk auf Dave zeigte, dass er sein Gesicht in den Händen vergraben hatte und weinte. Die Kamera schwenkte wieder zurück zu dem Mann.

»Dave ist im Moment ein bisschen mitgenommen. Aber wir machen trotzdem weiter. Ich werde Ihnen eine neue Frage stellen, Doris, okay?« Er blickte ins Publikum. »Und dass mir niemand mehr die Antworten dazwischenruft!« Er drehte sich wieder zu der zitternden Doris um.

»Welcher der Monde des Saturns ähnelt dem Todesstern aus Krieg der Sterne?«

Doris schluckte einige Tränen hinunter. Sie sah aus, als müsse sie sich übergeben.

»Kommen Sie, Sie haben nur noch zehn Sekunden. Welcher sieht aus wie der Todesstern?«

»Ich weiß es nicht«, brüllte Doris. »Der größte«, schluchzte sie.

»Nein!«, schrie Stewart McGregor auf seinen Fernseher ein. »Es ist Mimas. Blöde Kuh.«

»Stewart«, zischte seine Mutter. Sie starrte ihn an und verzog das Gesicht.

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Stewart, ohne seinen Blick vom Fernseher abzuwenden.

»Ich fürchte, das ist nicht korrekt«, seufzte der Mann hinter dem Schreibtisch. »Die Antwort, auf die ich gehofft hatte, ist Mimas. Also, wie möchten Sie sterben?«

Für die Frau war das nun endgültig zu viel. Sie stieß ein kreischendes Heulen aus und sprang aus ihrem Sessel auf. Die beiden Männer packten sie erneut, warfen sie unsanft zurück und drückten sie mit ihren behandschuhten Händen auf das Polster. Sie wehrte sich und trat um sich, aber es gelang ihr nicht, sich zu befreien.

Aus dem Publikum war Geschrei zu hören, und irgendjemand rief: »Neeeiiin!«

Auf Befehl des Mannes hinter dem Schreibtisch drehte sich die Kamera erneut um und fing einen alten Mann ein, der mit den Armen in der Luft herumfuchtelte, während er den Gang hinunterrannte. Tränen strömten über sein Gesicht. »Doris! Lasst sie in Ru…«

Seine Schreie erstarben, als ein Schuss ertönte und der Mann auf den Boden des Zuschauerraums stürzte. Die wackelnde Kamera zeigte, dass er in den Rücken getroffen worden war. Während er keuchend um sein Leben rang, schwenkte die Kamera zurück auf die Bühne und zeigte einen lächelnden glatzköpfigen Mann und eine vollkommen hysterische Frau.

»Alfred!«, schrie sie. »Al…freeeed!«

»Wie wollen Sie sterben?«, brüllte der Mann unbeirrt über den Lärm hinweg. Die Frau schluchzte jetzt hemmungslos. Der Mann sah zu den anderen beiden Glatzköpfen hinüber und nickte.

Die beiden hoben ihre Waffen und feuerten zwei Kugeln in den Hinterkopf der Frau. Ihr Gesicht explodierte und sie kippte nach vorne.

Pam McGregor schrie auf und hielt sich die Hände vor die Augen. »Warum hören sie nicht damit auf?« Sie schnappte kurz nach Luft. »Warum schalten sie denn die Kameras nicht aus?«

Luke beugte sich zu ihr und nahm sie fest in den Arm. »Ich weiß es nicht, Schatz. Ich weiß es nicht.«

»Ich glaube, da sind ungefähr 20 von ihnen«, erläuterte Stewart. »Und sie sind alle bewaffnet.«

»Wahrscheinlich haben sie das ganze Publikum als Geiseln genommen«, vermutete Luke. »Und benutzen sie als eine Art Schutzschild, damit die Polizei das Studio nicht stürmen kann.«

»Das hab ich mir auch schon gedacht«, pflichtete Stewart bei. »Ich meine, es ist besser, ein Dutzend Leute zu töten als 200. Richtig?«

Sein Vater nickte.

Die Aufmerksamkeit der Familie McGregor richtete sich wieder auf den Bildschirm, als die unverwechselbare Stimme vom Anführer des Kults ertönte.

»Kommt schon! Irgendwelche Freiwilligen?«

Im Publikum blieb es totenstill.

»Wie wär’s mit Ihnen?«, fragte der Mann und deutete in die Zuschauermenge.

Die Kamera machte einen Schwenk und fing einen groß gewachsenen Mann ein. Er saß in der zweiten Reihe und versuchte, trotz der offensichtlichen Angst in seinen Augen einen selbstbewussten Eindruck zu vermitteln.

»Das ist der Typ, der vorhin dazwischengerufen hat«, informierte Stewart seine Eltern. »Er wollte wissen, was los ist und was der Mann eigentlich will.«

»Tapferer Mann«, stieß Luke aus.

»Oder dumm«, entgegnete Stewart und sah zu seinem Vater hinüber. Sie warfen sich ein nervöses Grinsen zu und schenkten ihre Aufmerksamkeit dann erneut dem Geschehen auf dem Bildschirm.

»Ja, Sie«, sagte der Mann. »Sie hatten doch vorhin auch eine Menge zu sagen. Kommen Sie auf die Bühne.«

Der hoch aufgeschossene Mann erhob sich und schaute sich eingeschüchtert um.

Die Kamera zeigte die Meute der glatzköpfigen Anhänger, die grinsend ihre Waffen im Arm wiegten. Sie hatten sich in einem Abstand von zwei Metern am Rand des gesamten Zuschauerraums verteilt.

Der Ausgewählte trat aus seiner Sitzreihe und schritt den Gang entlang.

»Einen Applaus bitte für unseren Freiwilligen«, brüllte der Mann hinter dem Schreibtisch. Er begann zu klatschen, aber wenig überraschend blieben die Zuschauer still und ließen ihn allein applaudieren.

»Dave, wie wär’s mit ein bisschen Musik?«, rief er. »Irgendwas Jazziges.«

Während die Kamera dem nächsten Kandidaten folgte, erklang eine schwache Version von »One« aus A Chorus Line im Studio – es war eine widerliche Farce. Der Mann betrat die Bühne und setzte sich auf den Sessel, den Doris zuvor nicht benutzt hatte.

Der Mann hinter dem Schreibtisch brachte mit einer Handbewegung die Band zum Verstummen.

»Also, wie heißt denn unser großer Junge?«

Der Hüne starrte auf Doris’ blutige Leiche hinunter. Er schloss die Augen. Sein Gesicht war entsetzlich blass. »John«, antwortete er.

»John! Willkommen in meiner Show. Sie wissen ja, wie das Spiel funktioniert. Ich wette, Sie haben im Lauf ihres Lebens schon viele Gameshows gesehen, Sie hirnloser Zombie. Auch Sie wurden von den reichen Schweinen darauf programmiert, was Ihnen zu gefallen hat und was Sie sich anschauen sollen. Die senden über ihre Fernsehshows nämlich geheime Botschaften, die Ihnen regelrecht das Gehirn waschen. Ich weiß genau, wie sie dabei vorgehen, und meine Familie auch!«

Der Mann erhob sich und richtete seine Arme gen Himmel, fast als wolle er ein kollektives »Gepriesen sei der Herr!« in seiner Kirche anstimmen.

»Dies ist das Böse, das zerstört werden muss. Es wurde auf diese Erde geschickt, um unseren Glauben und die tiefe Überzeugung unserer Seelen zu testen!«

Der Mann schloss die Augen und hörte zu, wie seine Anhänger seine Bezeugung nachsangen. Die Kamera blieb auf den schwitzenden Mann gerichtet. Schließlich setzte er sich wieder und atmete tief ein. »Wir werden euch alle bekehren und das wahre Böse enthüllen.«

Er öffnete seine Augen und grinste den großen Mann an. »Musik, bitte, Dave.«

Erneut erklang das Arpeggio-Stück im Hintergrund.

»Erste Frage, Little John. Was ist das Böse, das wir zu zerstören suchen?«

Der große Mann blickte ins Publikum und sah dann wieder den kleinen, kahlköpfigen Irren an.

»Äh, das Fernsehen«, antwortete er.

»Das ist korrekt!«, rief der Mann aus. »Es besteht also doch noch Hoffnung für die Menschheit!«

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und seufzte. »Nächste Frage, Little John. Wer hat am Ende des ersten Rocky-Films gewonnen – und wie?«

John legte seine Stirn in Falten. Er schien verwirrt darüber zu sein, dass der Mann ihm eine verhältnismäßig einfache Frage gestellt hatte. Er räusperte sich.

»Äh, Apollo Creed hat gewonnen. Weil, äh … also … er hatte die meisten Punkte?«

»Sehr gut.« Der Mann klatschte. »Sie sind wohl ein Rocky-Fan?«

»Ja.«

»Ich auch. Großartige Filme. Sie machen das sehr gut, Little John. Stimmt’s, Dave?«

Die Kamera schwenkte erneut.

»Wenn Sie es sagen«, sagte Dave, und seine Finger huschten blitzschnell über die Klaviatur.

Die Kamera wanderte wieder zu dem seltsamen Moderator zurück, der breit grinste und mit dem Kopf nickte. »Das ist richtig, Dave. Wenn ich es sage. Nächste Frage: Wie viele Menschen hat Andrej Chikatilo umgebracht?«

John starrte auf Doris’ leblosen Körper hinunter und begann zu schluchzen.

»Weißt du das?«, fragte Luke seinen Sohn.

»53. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Rekord hält.«

»Ich glaube nicht, dass John es weiß«, seufzte Luke.

»Ich kann mir das nicht anschauen«, schrie Pam McGregor und erhob sich. »Das ist furchtbar.«

Sie stürmte aus dem Wohnzimmer. Einen Moment später streckte sie ihren Kopf durch die Tür. Sie weinte. »Aber sagt mir Bescheid, ob er die richtige Antwort wusste, ja?«

3: (im Wohnheim-Zimmer von Mike Barry und Lou Montgomery)

»Schneller, Little John. Der Countdown läuft. Wie viele Menschen hat Andrej Chikatilo brutal ermordet?«

Lou Montgomery schleuderte eine Handvoll Kartoffelchips gegen den Fernseher. »Komm schon, John! Rat einfach, um Himmels willen!«

»Weißt du’s denn?«, wollte Phillip Adams wissen und trat Lou in den Rücken.

Lou drehte sich zu ihm um und hob seinen Mittelfinger. »Nein. Du?«

Die anderen Jungs im Zimmer lachten.

»Seht’s ein, ihr seid beide Idioten«, sagte Jay Waterhouse. »Wenn irgendeiner von euch da sitzen würde, wäre er schon längst tot. Er hat 53 Menschen umgebracht. Wisst ihr, er konnte nur dank des beschissenen totalitären Systems in Russland so viele Leute umbringen und so lange unentdeckt bleiben …«

»Halt verdammt noch mal die Klappe«, warf James Gardiner ein. »Johns Zeit ist abgelaufen.«

Im Zimmer wurde es vollkommen still und alle Gesichter fixierten sich wieder auf den Fernseher.

»… aber ich lasse Sie raten«, sagte der kahlköpfige Mann gerade. »Weil ich so ein netter Kerl bin.«

Der brabbelnde Mann wischte sich über die Augen. »Bitte, bringen Sie mich nicht um«, heulte er. »Bitte!«

Der Mann hinter dem Schreibtisch seufzte. »Raten Sie.«

»35«, stieß John unter lautem Schluchzen aus.

Der Mann schüttelte langsam den Kopf. »Aah … Leiiideeer faaalsch«, sang er. »Ich schätze, Sie hätten sich ein bisschen mehr für die weltweite Nachrichtenlage interessieren sollen, als andauernd nur in die böse Gehirn-Waschmaschine zu glotzen. Also, wie wollen Sie sterben?« Er drehte sich um und blickte direkt in die Kamera.

»Echt scheißunheimlich, der Typ«, murmelte Phillip Adams.

Die anderen im Zimmer brummten zustimmend.

»Ich hoffe, Ihnen zu Hause gefällt meine Show. Ich wette, dass uns die meisten Haushalte des Landes heute Abend zuschauen.«

Er drehte sich wieder zu dem völlig hysterischen Mann um. »John! Wählen Sie Ihr Schicksal!«

Seine beiden glatzköpfigen Handlanger traten ins Bild. Sie packten John an den Armen und rissen sie von seinem Gesicht weg.

»Antworte unserem Anführer!«, brüllte einer der beiden. »Antworte oder wir werden für dich entscheiden!«

Die Tür des Zimmers öffnete sich und Mike Barry kam herein. Er ließ den Blick über seine Freunde schweifen, die auf dem Boden und dem Bett – seinem Bett! – saßen, und schloss die Tür hinter sich.

»Hey, Mike«, rief Lou über seine Schulter zurück. »Du wirst nicht glauben, was da abgeht, verdammt.«

»Ja, ich hab’s schon gehört«, erwiderte er und warf seine Tasche auf den Boden. »So ’n Typ ist in die Bibliothek reingeplatzt und hat erzählt, dass irgendein Psycho-Kult die Marty Laffin Show übernommen hat und dass sie jetzt Leute umbringen. Erst hab ich gedacht, das wär ’n übler Scherz, aber …«

»Lass dich erschießen!«, schrie Phillip Adams.

»Quatsch«, schnaubte Jay Waterhouse. »Ich würde mir aussuchen, dass sie mich in den Bauch stechen, bis ich am Blutverlust sterbe.«

Alle außer Mike lachten.

»Ihr seid doch alle krank«, sagte er. »Wie könnt ihr euch so darüber amüsieren, dass Leute umgebracht werden?«

Eine unangenehme Stille breitete sich im Raum aus.

»Wir amüsieren uns ja gar nicht«, entgegnete Lou schließlich. »Es ist schrecklich. Du hast recht. Aber es ist real. Das passiert wirklich in diesem Moment.«

»Ja, das ist die Wirklichkeit«, fügte Jay hinzu. »So, als ob man die Nachrichten anschaut oder eine von diesen Reality-Shows. Nur dass das da nicht manipuliert oder zensiert ist. Hey, Lou, kannst du mir mal die Chips rübergeben?«

Ein Schuss, laut und authentisch, erfüllte dröhnend das kleine Zimmer.

»Heilige Scheiße«, murmelte Phillip.

»Verdammt, ich hab’s verpasst«, seufzte Jay. »Was ist passiert?«

»John hat entschieden, sich erschießen zu lassen. In den Hinterkopf.«

»Die beste Art, abzutreten«, nickte Jay.

»Das ist verflucht noch mal unglaublich«, stöhnte Mike.

»Setz dich hin«, rief Lou ihm zu. »Komm schon, Mike. Wir machen uns nicht über die Sache lustig. Das ist alles nur so … unglaublich schrecklich.«

»Ja, na ja, ich geh erst mal duschen«, sagte Mike.

Phillip zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst.«

Mike warf einen Blick auf den Bildschirm. Was er sah, entsetzte ihn. Die Kamera verweilte noch immer auf der Leiche des Mannes. So wie sein Kopf zu Boden gefallen war, gleich neben einer Frau, starrte sein Gesicht – oder was davon noch übrig war – direkt in die Linse.

»Widerlich«, ächzte James Gardiner.

Die Kamera schwenkte wieder zurück zum Moderator. Der kahlköpfige Mann mit dem langen Bart grinste. Er schaute zu Dave Morrison hinüber. »Was meinst du, wie läuft die Show bisher so?«

Die Kamera fing das sehr blasse Gesicht und die verquollenen Augen von Dave Morrison ein. »Sie sind krank«, keuchte er. »Unschuldige Menschen umzubringen.«

Die Kamera zeigte weiterhin den verheulten, aber wütenden Dave. Von der Seite war ein Grummeln zu hören, das vermutlich von dem kahlköpfigen Mann stammte.

»Warum hört ihr bloß auf diesen Irren?«, schrie Dave und schaute ins Publikum. »Er erzählt uns hier, dass das Fernsehen den Leuten das Gehirn wäscht, aber genau dasselbe macht er doch auch mit euch! Er benutzt euch nur! Er nutzt eure Verletzlichkeit aus und wäscht euch allen das Gehirn!«

Einer der Anhänger des Mannes rannte über die Bühne ins Blickfeld der Kamera.

Dave blieb hinter seinen diversen Keyboards stehen. »Fickt euch! Ich hab keine Angst vor euch armen Irren. Ihr seid krank! Ihr seid Loser, unbedeutende Nieman…«

Erschrocken rang das Publikum kollektiv nach Luft, als der kahlköpfige Mann von oben ein riesiges Messer in Dave Morrisons Kopf rammte.

Das Luftschnappen wich Schreien, die vom lärmenden Stampfen zahlreicher Füße untermalt wurden. Plötzlich schwenkte die Kamera nach oben und blieb an den Sparren unter der Decke hängen. Unzählige Schüsse knallten und dann war auf dem Bildschirm nur noch Schneegestöber zu sehen.

»Mein Gott, was ist denn jetzt passiert?«, stieß Jay Waterhouse aus.

»Habt ihr gesehen, wie das Messer …?« James Gardiner stöhnte laut und schüttelte den Kopf.

»Ich schätze, der Kameramann ist in Ohnmacht gefallen.«

Die anderen zuckten zusammen, als sie Mike Barrys Stimme hörten.

»Ich dachte, du wolltest duschen«, bemerkte Lou. Er drehte sich um und blickte seinen Mitbewohner an, der sich mit starrem Blick auf das andere Bett setzte.

Mike Barry zuckte die Achseln. »Die Dusche kann warten.«

4: (im Haus der Familie Layford)

Julie schlurfte wieder ins Wohnzimmer, in dem ihre 15-jährige Tochter das weiße Schneegestöber auf dem Fernsehbildschirm anstarrte.

»Ich hab ihn endlich erreicht«, sagte Julie. Sie ließ sich mit einem Seufzer in den Sessel fallen.

Thalia Layford drehte den Kopf. »Ist Dad auf dem Polizeirevier?«

»Ja. Er ist mit ein paar anderen Beamten dort geblieben.«

Gott sei Dank, dachte sie.

Thalia schenkte ihre volle Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher, sah, dass die Übertragung immer noch ausgefallen war, erhob sich und setzte sich neben ihre Mum in den Sessel. »Weiß er, was los ist? Was hat er gesagt?«

Julie griff nach der Zigarettenschachtel, die auf dem Couchtisch lag, schüttelte eine Kippe heraus und steckte sie zwischen ihre Lippen. »Anscheinend gleicht die Stadt einem Irrenhaus. Das FBI ist da und Polizisten aus ganz New York. Dad hat gesagt, dass einer der Typen dieses Kults am Anfang der Show im FBI-Hauptquartier angerufen und ihnen mitgeteilt hat, dass sie die Marty Laffin Show unter ihre Kontrolle gebracht haben. Er hat dem FBI gesagt, sie seien 30 Mann, allesamt schwer bewaffnet und hätten sämtliche Türen verschlossen.«

Julie unterbrach sich und atmete tief ein. Dann zündete sie ihre Zigarette an.

»Schon okay, Mum. Dad ist nicht dort. Er ist auf dem Revier, er ist in Sicherheit.«

»Ich weiß«, erwiderte Julie und lächelte ihre Tochter flüchtig an, während sie eine Rauchwolke in die Luft blies. »Aber vielleicht wird er ja trotzdem noch angefordert. Diese Typen sind vollkommen wahnsinnig. Das ist ein Kult. Weißt du, was das bedeutet?«

Thalia verdrehte die Augen. »Natürlich weiß ich, was ein Kult ist. Ich bin kein Idiot, Mum.«

»Nein«, kicherte Julie. »Ich meine, weißt du, wie ein Kult normalerweise funktioniert?«

»Wie meinst du das?«

Julie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette, bevor sie fortfuhr. »Kulte begehen oft Massenselbstmord. Diese Leute würden lieber durch ihre eigene Hand sterben, als von der Polizei geschnappt zu werden. Na ja, in Wahrheit ist es eigentlich der Anführer, der nicht geschnappt werden will. Er befiehlt seinen ergebenen Anhängern dann, ihm ins Königreich der Himmel zu folgen – oder irgend so einen Scheiß.«

»Wow«, murmelte Thalia.

»Genau.« Julie nahm zwei weitere hektische Züge. »Und es ist ihnen völlig egal, wen sie dabei mit in den Tod reißen. In diesem Fall würde es mich nicht überraschen, wenn sie den ganzen Laden anzünden.«

»Meinst du wirklich? Würden sie sich nicht eher … ich weiß nicht … erschießen oder so?«

Julie zuckte mit den Schultern und stieß eine weitere Rauchwolke aus. »Vielleicht. Aber sie müssen ja das ganze Publikum und … die Polizei umbringen.«

Thalia senkte ihren Blick. Erst jetzt verstand sie völlig, warum ihre Mutter solche Angst hatte. »Weißt du, du solltest wirklich aufhören zu rauchen.«

»Ich weiß«, schnaubte Julie.

»Was hat Dad noch gesagt?«

»Wenn sie sich irgendwie verar… hintergangen vorkommen, wenn ihnen zum Beispiel der Strom abgedreht wird oder so, haben sie anscheinend damit gedroht, so viele Menschen wie möglich umzubringen. Ihr Befehl lautet, dass sie auf Sendung bleiben müssen, bis sie mit ihrer Show fertig sind. Was zur Hölle das auch immer bedeuten mag. Dann werden sie die Überlebenden gehen lassen. Sie haben gesagt, sie werden … ein paar Leute … opfern, aber …« Sie unterbrach sich wieder, um an ihrer Zigarette zu ziehen. »Im Prinzip haben sie gesagt, es sterben entweder ein halbes Dutzend Leute oder 200. Das müsse das FBI entscheiden.«

»Sie haben sie erpresst?«

»In gewisser Weise schon, schätze ich.«

»Hat Dad gesagt, was die Polizei tun wird?«

»Er musste auflegen, bevor wir darüber reden konnten. Aber er hat versprochen, dass er bald wieder anruft.«

Sie waren beide gleichermaßen überrascht, als der vertraute Ton der Show wieder zu hören war. Sie richteten ihren Blick auf den Fernseher.

»Wie geht’s dir?«, fragte Julie.

»Mir geht’s gut.«

»Du musst dir das nicht anschauen, weißt du? Das ist kein Film …«

Stirnrunzelnd warf Thalia ihrer Mutter einen flüchtigen Blick zu, der besagte, dass ihr das selbstverständlich klar war und sie nun bitteschön die Klappe halten sollte.

Die Kamera fing den kahlköpfigen Mann ein, der noch immer hinter dem Schreibtisch thronte. Schweiß tropfte von seinem knallroten Gesicht. Etwas hatte sich geändert. Bald war zu erkennen, dass sie das Geschehen nun aus einem leicht veränderten Winkel filmten.

»Willkommen zurück«, sagte der Mann in die Kamera. »Wir hatten ein paar kleinere technische Schwierigkeiten.«

Aus dem Publikum war noch lauteres Weinen zu hören als zuvor.

»Hier ist es ganz schön wild zugegangen«, kicherte der Mann. »Wirklich eine Schande, dass Sie zu Hause alles verpasst haben.« Er lehnte sich über den Schreibtisch. »Na, ich will Ihnen die Auswirkungen aber nicht vorenthalten«, flüsterte er.

Die Kamera machte einen Schwenk. Sie zeigte mehrere leblose Körper, die noch immer dort lagen, wo sie aufgeprallt waren. Einigen hatte man die Köpfe weggeschossen, anderen klafften blutige Löcher in Brustkorb und Bauch. Viele von ihnen lagen über den Boden des Auditoriums verstreut und in der Luft hingen noch immer dünne Rauchschwaden. Es war ziemlich offensichtlich, was passiert sein musste. Ein paar der kahlköpfigen Kult-Anhänger waren damit beschäftigt, ihre Waffen nachzuladen.

Es waren immer noch gut 100 Zuschauer am Leben, die alle entweder weinten oder reglos ins Leere starrten, vermutlich kurz davor, durchzudrehen.

Die Kamera wandte sich von dem Massaker ab und kehrte zu dem Mann zurück. »Wir haben ihnen gesagt, dass sie nicht versuchen sollen abzuhauen«, sagte er. »Wir haben sie gewarnt. Nun, also, tut uns leid wegen des kleinen Zwischenfalls. Der Kameramann ist in Ohnmacht gefallen und hat dabei den Stecker rausgezogen oder so. Aber wir haben ja noch einen – Shaun, an Kamera 2? Ja, Kamera 2.«

Er drehte sich ein wenig und schielte an der Optik vorbei. »Wie geht’s meinen Jungs da oben? Sind wir noch auf Sendung?«

Zustimmendes Gemurmel war zu hören, dann nickte der Mann.

»Gut«, sagte er und drehte sich wieder zu den Zuschauern. »Das war Bill, der Aufnahmeleiter. Er lebt noch«, kicherte der Mann. »Zeig uns Bill noch mal, ja, Shaun?«

Die Kamera schwenkte zu dem untersetzen Aufnahmeleiter. Der blasse Mann schenkte ihr einen flüchtigen Blick und schaute dann nach unten.

»Einen Applaus für Bill, bitte«, rief der kahlköpfige Mann und klatschte in die Hände. Seine Anhänger klatschten mit, sonst jedoch niemand.

»Danke, Bill, du warst uns heute Abend eine große Hilfe.«

Die Kamera war inzwischen wieder auf den Mann gerichtet.

»Wissen Sie, ich fürchte, meine Jungs sind da oben im Regieraum jetzt ganz alleine. Scheint so, als wären der Regisseur und seine Leute in dem ganzen Durcheinander abgehauen. Sie haben’s bis zur Tür des Regieraums geschafft.« Er schüttelte den Kopf. Es war offensichtlich, dass er allmählich die Selbstbeherrschung verlor. Er kratzte sich andauernd am Kopf und stolperte immer wieder über seine Worte.

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte er einen seiner Anhänger.

Die Kamera schwenkte zu dem kahlköpfigen Kult-Mitglied. Er zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

»Keine Ahnung, Sam. Noch mehr Leute wegen der bösen Macht des Fernsehens opfern?«

»Nee, scheiß drauf«, erwiderte dieser.

Die Kamera schwenkte schnell wieder zum Anführer zurück.

»Ich weiß!«, rief er aus. »Lasst uns das Haus des Teufels zerstören!« Er stand auf und hob die Arme. Auf seinem Gesicht lag ein bösartiges Grinsen.

»Es wird Zeit, dass wir dem Herrn beweisen, was wir wert sind. Lasst uns dieses beschissene Studio abfackeln!«

Im Hause Layford klingelte das Telefon. Julia sprang auf. »Das wird Dad sein.«

Sie eilte in den Flur und nahm das Telefon ab.

Zwei Minuten später kehrte sie wieder ins Wohnzimmer zurück. Sie ließ sich in den Sessel fallen.

»Was hat er gesagt?«

»Das Sondereinsatzkommando wird das Studio jetzt stürmen«, teilte sie ihre Tochter mit.

»Na, das wird aber auch langsam Zeit«, entgegnete Thalia.

Teil 3: Die Abrechnung

Als die Beamten des Sonderkommandos sich endlich Zugang zum Gebäude verschafft hatten, wurde klar, dass sie es definitiv nicht mit einer Terrorgruppe zu tun hatten. Sämtliche Polizei-und Ordnungskräfte vereinte zwar die Annahme, dass es sich bei der Gruppe in der Sendeanstalt um einen Kult handelte. Aber sie waren sich erst vollkommen sicher, als sie das Schloss vorsichtig und leise geknackt hatten und sehen konnten, dass sich im Foyer keine Mitglieder des Kults aufhielten. Eine Terrorgruppe hätte dort auf jeden Fall Wachen postiert.

Manche Sekten wären vielleicht ebenfalls auf den Gedanken gekommen, dort Wachposten abzustellen, aber das war eher die Ausnahme. Die meisten dieser Vereinigungen waren vollkommen desorganisiert und wurden von Vollidioten angeführt, die mehr Charisma als Grips besaßen.

Dieser Kult bildete offensichtlich keine Ausnahme.

Das Sonderkommando war schnell und mit äußerster Präzision vorgegangen und hatte den Lärm auf ein absolutes Minimum beschränkt. Sie hatten die Wachmänner gecheckt, die ausgestreckt in ihrem eigenen Blut am Boden lagen, aber sie waren alle längst tot gewesen.

Jetzt hatten sich die zwölf Beamten des Sonderkommandos auf die drei Eingangstüren des Studios verteilt. Jede Gruppe bestand aus vier Beamten, von denen jeweils zwei mit Sturmgewehren bewaffnet waren, während die anderen beiden einen kleinen, aber durchschlagkräftigen Rammbock schleppten. Ihre Befehle erhielten sie über Kopfhörer von ihrem Einsatzleiter, der das Geschehen von draußen über einen tragbaren Fernseher verfolgte.

Mit erhobenen Waffen und einsatzbereiten Rammböcken warteten die Beamten im Inneren des Gebäudes auf den finalen Befehl.

Hinter den Türen hörten sie den Anführer brüllen: »Es wird Zeit, dass wir dem Herrn beweisen, was wir wert sind. Lasst uns dieses beschissene Studio abfackeln!«

Direkt im Anschluss erhielten die Beamten das Kommando.

Sam starrte auf das Meer zu Tode erschrockener Gesichter. Seine Gedanken kreisten nur noch darum, wie brillant sein Plan war. Wie brillant er selbst war.

Er wusste, dass es zu einer Massenhysterie kommen würde, wenn er das Studio in Brand steckte, aber seine Leute würden die Türen bewachen und auf jeden schießen, der versuchen würde, abzuhauen. Er hatte keine Schuldgefühle, weil er seine Anhänger in den Tod schickte. Sie waren Niemande, Ausreißer ohne die Fähigkeit, selbstständig zu denken.

Beschissene Vollidioten, dachte er. Die würden sogar glauben, dass ich schwarz bin, wenn ich es ihnen erzählen würde.

Aber er liebte die Macht. Er war für diese Menschen wie ein Gott. Diesen Aspekt würde er durchaus vermissen.

Man weiß ja nie, ich könnte vielleicht eine neue Gruppe um mich sammeln, wenn ich ganz weit weg von hier bin, dachte er. Ich könnte mein Aussehen verändern, in ein anderes Land ziehen …

Unvermittelt wurden alle drei Eingangstüren gleichzeitig aufgebrochen und Polizeibeamte stürmten das Studio.

Sam sah völlig perplex zu, wie etwa ein Dutzend bewaffneter Polizisten in den Raum strömte.

»Legen Sie Ihre Waffen auf den Boden und nehmen Sie die Hände über den Kopf!«

Sam hörte, wie die Zuschauer aufschrien, und rutschte unter den Schreibtisch.

Als er das Geschehen nun aus seinem improvisierten Kartenhaus beobachtete, sah er, dass sämtliche Polizisten mit ihren Waffen auf die Kultmitglieder zielten. Selbst jene Beamten, die eben noch die Türen mit den Rammböcken aufgestoßen hatten, waren mittlerweile mit Gewehren bewaffnet.

»Legen Sie sofort Ihre Waffen ab!«, brüllten die schwer bewaffneten Beamten, die außerdem Schutzkleidung trugen.

Die Angehörigen des Kults zögerten einen Augenblick lang und dachten darüber nach, was sie nun tun sollten.

Genau, wie Sam es ihnen wieder und wieder gepredigt hatte, entschieden sich die Jünger aus Uncle Sams Familie dafür, lieber kämpfend unterzugehen als festgenommen zu werden.

Sämtliche Bewaffneten nahmen einen Gegenspieler ins Visier. Überall im Studio hallte das Donnern von Schüssen auf.

Die Kultanhänger, die die Eingänge bewacht hatten, wurden von Kugeln förmlich durchlöchert.

Als die Schlacht zu Ende war, lag Sams gesamte Gefolgschaft tot am Boden. Dagegen war nicht ein einziger Beamter verletzt.

»Sam«, rief einer der Polizisten ihm zu. »Kommen Sie mit erhobenen Händen raus. Wenn Sie auf uns feuern, sind wir gezwungen, zurückzuschießen. Das ist eine Warnung. Kommen Sie langsam da raus.«

Während die Sirenen der Krankenwagen aufheulten und die verbliebenen Zuschauer aus dem Studio geführt wurden, erhob sich Sam.

»Bitte nicht schießen. Es tut mir leid. Es war nicht meine Schuld. Ich war gar nicht der Anführer, wissen Sie. Sie haben mich gezwungen, das zu tun. Ich war nur der Sündenbock.«

Sam beteuerte noch immer seine Unschuld, als ihm zwei Beamte Handschellen anlegten und ihn aus dem Studio führten.

»Hey, was ist mit Flag, Shorty und Bobby passiert?«, fragte Sam, während er nach draußen eskortiert wurde.

»Um die haben wir uns auch gekümmert«, antwortete einer der Polizisten.

»Gut«, sagte Sam. »Ich hab diese Arschlöcher gehasst. Flag war der Anführer, wissen Sie. Er hat sich das Ganze hier ausgedacht.«

Zwei Männer saßen unter einem Schatten spendenden Sonnenschirm und nippten in dem überfüllten Café an ihrem Kaffee.

»Okay, Bill, wie lautet Ihr vollständiger Name?«

»William Anthony Crivelli. Aber ich bevorzuge Bill.«

»Ist das Italienisch?«, erkundigte sich der Mann von der Zeitung mit einem Lächeln.

»Ja. Meine Familie stammt ursprünglich aus Venedig.«

Der Mann kritzelte etwas in sein Notizbuch. »Das stört Sie doch nicht, Bill, oder?«

»Natürlich nicht. Wie wollen Sie sich denn sonst die ganze Story merken?«

Der Mann lächelte und nickte. »Okay. Was war Ihr Job bei der Marty Laffin Show?«

»Ich war der Aufnahmeleiter.«

»Wie lange waren Sie dort schon Aufnahmeleiter?«

Bill atmete tief ein und nagte auf seiner Unterlippe herum. »Gott! Lange. Ich bin ziemlich schnell zum Team gestoßen, nachdem die Show zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Ich hab den Job von Carlo übernommen … Carlo … Ich kann mich nicht mehr an seinen Nachnamen erinnern. Wie auch immer, das war vor, oh, ungefähr 15 Jahren.«

»Waren Sie gut mit Marty befreundet?«

»Wenn man das so sagen kann. Er kapselte sein Privatleben sehr stark ab. Er hatte nicht viele enge Freunde. Ich schätze, man könnte also sagen, dass wir befreundet waren. Ich war ein paarmal zum Abendessen bei ihm zu Hause.«

Die beiden Männer kicherten.

»Wie kommen Sie zurecht mit dem, was passiert ist? Ich meine, es klingt, als gehe es Ihnen gut, aber, na ja, es ist auch erst ein paar Tage her.«

Bill nippte an seinem Café Latte und zuckte mit den Schultern. »Ich schlafe schlecht. Manchmal hab ich auch Albträume. Das Übliche eben. Aber, wie Sie schon sagten, es ist ja erst ein paar Tage her. Meine Frau ist einfach wunderbar. Die Kinder auch.«

»Das ist großartig«, sagte der Reporter. »Eine Familie ist die beste Therapie. Aber was empfinden Sie, wenn Sie diesen Mann, Sam Drayton, jetzt hören oder sehen?«

»Hass.«

»Sie verspüren kein, ich weiß nicht, Mitleid mit ihm?«

»Der Mann hat über 100 unschuldige Menschen auf dem Gewissen. Er war ein Niemand, ein Loser, der alles getan hätte, um beachtet zu werden.«

»Denken Sie das wirklich?«

»Ob ich denke, dass das der Grund dafür ist, warum er getan hat, was er getan hat? Ja. Nach allem, was ich von der Polizei gehört habe, war Sam Drayton ein Penner. Er hat nicht gearbeitet und staatliche Unterstützung eingesackt, während er leichtgläubige, mittellose Menschen ausgenutzt hat. Ein paar von denen waren praktisch noch Kinder.«

»Er war ein aufstrebender Schauspieler und Komiker, wussten Sie das?«

Bill nickte. Er trank einen weiteren Schluck Kaffee. »Anscheinend wurde er bei jedem Vorsprechen, zu dem er gegangen ist, abgelehnt. Hat jahrelang versucht, als Schauspieler oder Komiker erfolgreich zu werden. Hat’s nie zu was gebracht. Haben Sie mal diesen Film gesehen, King of Comedy?«

Der Mann von der Zeitung nickte.

»Ich glaube, er war einfach stinkwütend auf die Filmbranche. Dachte, die ganze Welt habe sich gegen ihn verschworen.«

Der Reporter blickte auf. »Sie klingen wie ein Psychologe.«

Bill lächelte. »Das ist nur meine persönliche Meinung.«

»Denken Sie, dass er all das getan hat, um sich zu rächen?«

»Na ja, ich glaube schon, dass da noch ein bisschen mehr dahintersteckt als …« Bill hielt inne, als er sah, dass ein Mann an den Tisch getreten war. Er hatte lange Haare und war unglaublich dünn.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Bill.

Der Reporter drehte sich um.

»Sind Sie Bill Crivelli? Der Bill Crivelli?«

»Ja«, antwortete Bill.

»Wow. Ich kann’s kaum glauben, dass Sie das wirklich sind. Ich hab Sie im Fernsehen gesehen, Mann. Ich finde, Sie sind ein Held!« Der Mann streckte ihm ein kleines Buch und einen Kugelschreiber hin. »Wü… würden Sie das für mich unterschreiben?«

Bill nickte und nahm dem strahlenden Mann das Notizbuch aus der Hand. »Wie heißen Sie denn?«

»Ray«, sagte der Mann stolz.

Bill schrieb:

Für Ray. Wenn Sie an sich glauben, können Sie mit allem fertig werden. Ich habe es auch geschafft.

Alles Gute,

Bill Crivelli.

Nachdem er unterschrieben hatte, trug er noch das Datum nach. Dann reichte er das Notizbuch an Ray zurück.

»Wow«, murmelte Ray, als er die Widmung las. »Vielen Dank, Mr. Crivelli.«

»Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, sagte Bill.

Als Ray sich mit schlurfenden Schritten wieder von ihrem Tisch entfernte, lächelte der Mann von der Zeitung Bill an.

»Passiert Ihnen das jetzt öfter?«

»Sicher«, erwiderte Bill. »Ich werde andauernd von Leuten angesprochen, die nicht glauben können, dass ich es wirklich bin. Ich habe in den letzten paar Tagen unzählige Autogramme gegeben. Es ist wirklich seltsam. Ich meine, wer bin ich denn schon? Letzte Woche war ich nur der Aufnahmeleiter der Marty Laffin Show und jetzt werde ich überall erkannt, wo ich hinkomme.«

»Stört Sie das?«

»Es gefällt mir«, sagte Bill. »Ich wollte schon immer berühmt werden. Erst gestern hat man mir eine Gastrolle in einer erfolgreichen Fernsehserie angeboten.« Er grinste. »Aus rechtlichen Gründen darf ich den Namen noch nicht nennen.«

»Das verstehe ich«, sagte der Reporter.

»Ich hab jetzt sogar einen Agenten«, fuhr Bill fort.

»Sie werden noch berühmter als Sam Drayton.«

Bills Lächeln verblasste ein wenig. Er trank seinen Kaffee aus und sah den jungen Reporter mit festem Blick an. »Ich schätze schon.«

Berühmter als Sam Drayton.

Die Worte verfolgten Bill noch während des gesamten Interviews.

NOTIZEN ZUR ENTSTEHUNG:

Das ist die zweite meiner Geschichten, die jemals einen Abnehmer fand, und auch die zweite, die auf Horrorfind.com veröffentlicht wurde. Ich habe sie 2001 geschrieben, als es mit dem Boom der Reality-Formate im Fernsehen gerade richtig losging. In dieser Geschichte habe ich meine Vorliebe für miese Gameshows und Late-Night-Talks mit meiner Faszination für Kulte kombiniert.