Slurnus Lordicus

Als sie sicher war, dass sie jeden Schwarzweißfilm gesehen hatte, der je gedreht worden war, stieg meine Mutter auf Kabel um und sah bis tief in die Nacht Verkaufsfernsehen in der Küche. Gegen vier kam mein Vater aus dem Keller hoch, und die zwei machten sich eine halbe Stunde lang über das laufende Programm lustig »Jetzt ist aber genug«, glucksten sie. »Aufhören! Bitte!«

Die einzige dieser Sendungen, die sie ernst nahmen, wurde von einem Selfmademan präsentiert, der sich mit Immobilien eine goldene Nase verdient hatte und auf sein Studiopublikum einredete, als handle es sich um Studenten, die fürs Examen büffelten. Die Tafel war ständig in Gebrauch. Mit einem Zeigestock erläuterte er Tabellen und Grafiken, aber so oft er es auch erklärte, ich begriff nie, worüber der Typ redete. Wie es schien, hatte er durch die Refinanzierung seines Hauses siebzehn weitere gekauft, sie vermietet und sich so gleich noch ein Einkaufszentrum und mehrere Golfplätze geangelt. In seinen Taschen würde man mit viel Glück zwanzig Dollar finden, aber auf dem Papier besaß er Millionen. Zumindest behauptete er das.

Wenn das Anhäufen von Eigentum tatsächlich einfach war, hätte eigentlich jeder den Ratschlägen dieses Millionärs folgen müssen, aber genau da lag der Haken: Nicht jeder war nachts um vier wach. Während der Rest der Welt schlummerte, hatte der Zuschauer daheim vor dem Fernseher entschieden voranzukommen, und war das nicht schon die halbe Miete? Ich hatte zu der Zeit keine Wohnung und sah die Sendung zweimal, bevor ich das Haus meiner Eltern verließ und in eine eigene Wohnung zog. Das war im Frühjahr 1980. Ein Jahr später besaßen mein Vater und meine Mutter ein Dutzend Doppelhäuser im Süden von Raleigh und waren auf dem sicheren Weg nach oben.

Wir nannten meine Eltern Slumlords, dabei sahen die Doppelhäuser nicht einmal schlecht aus. Jede Wohneinheit verfügte über einen Erker mit Fenster, Parkettboden und einen passablen Garten mit schattigen Bäumen. Zuerst waren weiße Mieter eingezogen, doch dann veränderte sich das Viertel, und mit Ausnahme einer älteren Frau im Rollstuhl waren alle Mieter schwarz. Einige wenige hatten Jobs, aber die meisten lebten von der Sozialhilfe, was für uns bedeutete, dass die Miete vom Staat bezahlt wurde, in der Regel pünktlich.

Die Idee meiner Eltern war, als Team zu arbeiten – sie würde sich um die Verträge kümmern und er um die anfallenden Reparaturen. Ich nahm an, dass mein Vater wie üblich alles an sich reißen würde, aber diesmal hielt er sich tatsächlich an die Abmachung. Verträge wurden unterzeichnet, und binnen eines Monats kannte meine Mutter sich bestens aus mit den diversen Abkürzungen der Sozialfürsorge und der Wohnämter. Die Durchschläge der eintreffenden Formulare wurden in Stapeln abgelegt, die sich in Kürze vom Abstellraum im Keller bis hinauf in mein ehemaliges Schlafzimmer ausbreiteten, das jetzt als provisorisches Büro diente. »Muss das unter RHA oder FHA?«, fragte meine Mutter. »Hat B. J. Anspruch auf AFDC oder bloß auf SSI?« Sie saß am Schreibtisch, die Ellbogen mit Kopierflüssigkeit verschmiert, und ich empfand Mitleid mit allen Beteiligten.

Zu meinen Gunsten verschaffte mir »Das Empire«, wie wir es gerne nannten, den einen oder anderen Gelegenheitsjob – eine Woche lang Wände anstreichen oder wetterfest machen oder in einem Garten ein Rohr freibuddeln. Der Nachteil an der Sache war, dass ich für meinen Vater arbeitete und der Lohn somit verhandelbar war. Ich hielt ihm einen Zettel mit den geleisteten Arbeitsstunden hin, die er sofort infrage stellte und auf eine Zahl herunter rechnete, die ihm angemessener erschien.

»Du willst mir doch nicht weismachen, du hättest jeden Tag von neun bis fünf gearbeitet? Ohne Mittagessen, ohne Zigarettenpause, ohne im Schrank zu sitzen und in der Nase zu bohren?«

Der Videomonitor in meinem Kopf zeigte mich bei genau diesen Tätigkeiten, und irgendwie bekam er etwas davon mit. »Hab ich’s doch gewusst. Ich zahle dir dreißig Stunden, und das nur, weil ich so gutmütig bin.«

Wenn wir uns auf einen Festpreis geeinigt hatten – sagen wir, dreihundert Dollar in bar für ein gestrichenes Apartment –, gab’s zuletzt einen Scheck über zweihundertzwanzig Dollar und am Ende des Jahres ein Steuerformular zum Nachweis besonderer Einkünfte. Jeder Job endete mit einem Streit, wobei ich mir meine leeren Drohungen und kindischen Flüche immer für den Heimweg aufsparte. Die Mieter hätten es gerne gesehen, wenn wir uns vor ihren Augen angebrüllt hätten, doch hatte ich mir fest vorgenommen, ihnen diesen Gefallen nicht zu tun. Zu zweit im Wagen waren wir Wilde, aber auf dem Gelände des Empire waren wir Botschafter unserer Rasse und benahmen uns nicht wie die übrigen Weißen, mit denen wir aufgewachsen waren, sondern wie die weißen Ausnahmegestalten, an die wir uns vage aus verschiedenen Folgen von Masterpiece Theatre erinnerten. Man hielt sich gegenseitig die Türen auf und verbrachte große Mengen Zeit damit, dem jeweils anderen den Vortritt zu lassen.

»Nach dir, Vater.«

»Aber nicht doch, mein Sohn, nach dir.«

Ohne meine Mutter hätten wir womöglich den ganzen Tag dagestanden. »Jetzt geht schon durch die verdammte Tür!«, schnauzte sie. »Mein Gott, ihr zwei seid wie ein Paar alte Damen«.

Im Empire waren die Rollen meiner Eltern auf seltsame Weise verkehrt. Meine Mutter war zwar auch hier die umgänglichere Person, aber wenn ein Mieter einen Aufschub wollte, lernte er schnell, damit zu meinem Vater zu gehen, der ein Maß an Mitgefühl zeigte, das wir von zu Hause nicht kannten. Seine eigenen Kinder konnten keine zehn Cent aus ihm herausbekommen, aber wenn Chester Kingsley sein Portemonnaie verlor oder Regina Potts sich das Schlüsselbein brach, war er stets bereit, ihnen entgegenzukommen. Als Dora Ward mit ihrer Miete in Rückstand geriet, gewährte er ihr eine Verlängerung nach der anderen. Und als sie dann mitten in der Nacht auszog und dabei noch Herd und Kühlschrank mitgehen ließ, sagte er nur: »Was soll’s. Da mussten eh neue rein.«

»Von wegen neue«, sagte meine Mutter. »Der Herd war gerade einmal zwei Jahre alt. Was bist du nur für ein Vermieter?«

Ich hatte gehofft, ich könnte mit der Renovierung von Doras leerem Apartment ein paar Dollar verdienen, aber damit war es vorbei, als ein gemischtfarbiges Paar auftauchte, das sich als Lance und Belinda Taylor vorstellte. Meine Eltern und ich waren gerade dabei, uns die ausgeräumte Küche anzusehen, als sie an die Tür klopften, sich die Wohnung ansahen und auf der Stelle erklärten, sie würden die Wohnung so nehmen, wie sie war. Sie bräuchten lediglich einen Herd und einen Kühlschrank, um alles andere würden sie sich kümmern. »Schreinerarbeiten und was sonst noch, davon versteh ich was«, sagte Lance. Er hielt uns zum Beweis die Hände hin, und wir sahen die dicken Schwielen auf den Handflächen.

»Zeig ihnen auch die andere Seite«, sagte seine Frau. »Sie sollen auch deine Knöchel und alles sehen.«

Meine Mutter schlug vor, sie sollten in ein paar Monaten wiederkommen, aber mein Vater sah beinahe etwas Biblisches in ihrer Situation. Ein Zimmermann und seine Frau auf der Suche nach einer Herberge, fehlte nur noch der erschöpfte Esel. Er stöhnte auf, als er hörte, dass sie in einem Motel wohnten, und klappte völlig zusammen, als sie ihm ein Foto von ihren drei Kindern zeigten. »Eigentlich wollten wir hier erst ein bisschen renovieren, aber was soll ich sagen? Sie haben mich überzeugt.«

»Lass uns noch mal darüber nachdenken«, sagte meine Mutter, aber mein Vater hatte genug nachgedacht. Lance hinterlegte die Kaution in bar,

und er und seine Familie zogen am nächsten Tag ein.

Als er seine neuen Nachbarn sah, bemerkte Chester vertrauensvoll, ihm täten die Kinder Leid. »Sie und der Mann. Ich meine, ist die weiße Frau nicht abgrundtief hässlich?«

Mein Vater gab sich großherzig und versuchte es ihm auszureden. »Oh, das meinen Sie doch nicht wirklich.«

»Und ob er das meint«, sagte meine Mutter.

Sie waren tatsächlich ein komisches Paar, nicht wegen ihrer unterschiedlichen Hautfarbe, sondern weil sie äußerlich so verschieden waren. Lance sah gut aus und war es gewohnt, bewundert zu werden. Belinda hingegen war dürr und machte einen »unvorteilhaften Eindruck«, wie meine Mutter sagte, »und das ist noch die schonendste Art, es auszudrücken«.

Nach ihrem Einzug waren die Taylors ausgesprochen freundlich und voller Eifer. Ob sie einen Gemüsegarten anlegen dürften? Aber sicher! Das Wohnzimmer streichen? Warum nicht? Aber im Garten wurde nie etwas gesät, und die Farbeimer blieben ungeöffnet.

Sie stritten oft und laut, und mehr als einmal musste die Polizei kommen und dazwischen gehen. Als er zum ersten Mal mit der Miete im Verzug war, rief Lance bei uns zu Hause an und verlangte von meinem Vater, er solle seine Auffahrt mit Kies bestreuen. »Ich zahle keine dreihundert Dollar im Monat, um über zerstoßene Austernschalen zu laufen«, sagte er. »Das ist schlecht für meine Reifen und für meine Schuhe, und ich zahle nicht eher, bis Sie was getan haben.«

Lances Einfahrt mit Kies zu bestreuen hieß, sämtliche Einfahrten mit Kies zu bestreuen, und es überraschte uns alle, dass mein Vater einwilligte.

»Und ich rede nicht von billigem Kies«, sagte Lance. »Ich will die hübschen Steine.«

»Sie meinen Kiesel?«

»Genau die.«

Die Einfahrt gehörte bestimmt nicht zu den Dingen, die am dringendsten gemacht werden mussten, aber es war ermutigend, dass jemand sich für irgendetwas einsetzte. Mein Vater hätte genauso gehandelt, wenn er Mieter gewesen wäre, und indem er dies eingestand, konnte er seine widerwillige Anerkennung nicht verhehlen. »Der Kerl hat Unternehmungsgeist«, sagte er. »Keine Frage.«

Eine Fuhre Kies wurde angeliefert, und ich ließ mir drei Tage Zeit, ihn gemächlich in der Einfahrt zu verteilen. Lance zahlte die Miete, bis er einige Monate später anrief und sich beschwerte, im Baum vor seinem Schlafzimmerfenster würden sich Vögel versammeln. Bei Geiern hätten wir Verständnis gehabt, aber hier handelte es sich um Singvögel, deren einziges Verbrechen ihre gute Laune war.

»Was erwarten Sie von mir?«, fragte mein Vater. »Dass ich persönlich vorbeikomme und sie vertreibe? Vögel gehören zum Leben, Kumpel. Man muss lernen, mit ihnen auszukommen.«

Lance bestand darauf, der Baum müsse gefällt werden, und als mein Vater Nein sagte, machte er es kurzerhand selbst. Es war kein besonders alter oder schöner Baum, aber das war meinem Vater egal, der Bäume liebt und für sie schwärmt wie ein Playboy für Frauen. »Jetzt sieh dir das an!«, konnte er unvermittelt sagen und mitten an einer belebten Kreuzung anhalten.

»Sieh dir was an?«

»Na was wohl? Den Ahorn, Blödmann. Ein Wahnsinnsteil.«

Als er erfuhr, was Lance gemacht hatte, zog mein Vater sich in sein Schlafzimmer zurück und starrte auf die Eichen vor dem Fenster. »Zurückschneiden ist eine Sache«, sagte er. »Aber einen Baum einfach abzusägen? Sein Leben tatsächlich auszulöschen? Was für ein Tier ist dieser Typ?«

Lance hatte den Baum mit einer Axt gefällt und dann einfach liegen gelassen. Ein paar Wochen später, mittlerweile einen ganzen Monat mit der Miete im Verzug, beschwerte er sich, dass Ratten in den Zweigen hausten. »Ich rufe bei der Stadt an und melde Sie«, sagte er zu meinem Vater. »Und sollte eines meiner Kinder gebissen werden, rufe ich bei der Stadt und bei meinen Anwälten an.«

»Seine Anwälte, dass ich nicht lache!«, sagte mein Vater.

Meine Mutter hatte versucht, es mit Humor zu nehmen, doch jetzt fürchtete sie, Lance selbst könne die Kinder beißen. Gespräche mit anderen Vermietern hatten sie davon überzeugt, dass er zu der Sorte Mieter gehörte, die ihre Miete nicht zahlten und einen dann so lange bearbeiteten, bis man schließlich nachgab. Wenn ein Vermieter eine Fähigkeit mitbringen musste, dann die, solche Leute auf Anhieb zu erkennen und niemals ins Haus zu lassen. Lance und seine Frau hatten es geschafft, und nun mussten meine Eltern sie wieder loswerden, zielstrebig und nach allen Regeln der Kunst. Um den Taylors keine weitere Handhabe zu bieten, beschlossen sie, den Baum zu entfernen. »Ich sehe keine andere Möglichkeit«, sagte meine Mutter. »Der Mistkerl setzt uns die Pistole auf die Brust, und wir müssen springen.«

Ich fuhr mit meinem Vater hin, um den Baum zu zersägen und wegzuschaffen. Vom ersten Moment an hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Es war wie in einem Western – Zwölf Uhr mittags, und kein Mensch auf der Straße. »Nur ruhig bleiben«, sagte mein Vater, mehr zu sich selbst als zu mir. »Wir erledigen das hier, und dann sind wir wieder weg.«

Wir waren keine zehn Minuten zugange, als Lance in Jeans und karamellfarbenen Cowboystiefeln aus dem Haus kam. Vielleicht waren die Stiefel zu klein oder noch nicht eingelaufen, jedenfalls ging er sehr langsam und unsicher, als habe er gerade erst laufen gelernt.

»Na bitte«, sagte mein Vater.

Als Erstes beschwerte sich Lance, der Lärm der Kettensäge würde seine Kinder erschrecken, von denen eins mit einer Grippe im Bett läge.

»Im September?«, fragte mein Vater.

»Meine Kinder können krank werden, wann immer sie wollen«, sagte Lance. »Ich warne Sie nur, leiser zu sein.« Es war schwerlich möglich, eine Kettensäge leiser zu halten, aber das war auch nicht der springende Punkt. Mein Vater war in Hörweite der anderen Mietparteien verwarnt worden, und das würde Komplikationen nach sich ziehen.

Lance humpelte zurück in seine Wohnung, war kurz darauf aber schon wieder da. Statt der Stiefel trug er jetzt ein Paar Turnschuhe. Ich schleifte gerade einen Ast zur Straße, als er mir vorhielt, ich würde seinen gepflegten Vorgarten ruinieren, der aus abwechselnd kahlen Stellen und dichtem Gestrüpp bestand und so gepflegt war wie eine Müllhalde. »Du musst die Zweige hochnehmen«, sagte er. »Schleift noch einmal einer über den Boden, kannst du was erleben. Kapiert?«

Mein Vater war gut fünfzehn Zentimeter kürzer als Lance und musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen. »He«, sagte er, »reden Sie nicht so mit meinem Sohn.«

»Sie haben nicht anders mit meinem Sohn geredet«, sagte Lance. »Sie haben ihn einen Lügner genannt und gesagt, er könne im September keine Grippe haben.«

»Also, zu ihm habe ich überhaupt nichts gesagt«, sagte mein Vater.

»Das kommt auf dasselbe raus. Wenn Sie meinen Sohn blöd anmachen, dann kriegt’s Ihrer in gleicher Münze zurück.«

»Hören Sie«, sagte mein Vater. »Bitte nicht in diesem Ton.«

Beide redeten gleichzeitig aufeinander ein, und als mein Vater lauter wurde, sagte Lance, er solle ihn gefälligst nicht anschreien. »Ich lasse mich nicht anbrüllen«, sagte er. »Wir sind hier nicht auf den Baumwollfeldern. Die Zeit der Sklaverei ist vorbei.« Er redete wie auf der Bühne, die Arme weit zu den Nachbarfenstern ausgebreitet.

»Mit wem reden Sie?«, fragte mein Vater.

»Sie glauben, ich wäre irgendein Nigger, den man anbrüllen kann? Sie wollen sagen, ich wäre ein Nigger? Nennen Sie mich einen Nigger?«

Ich hatte meinen Vater dieses Wort noch nie sagen gehört, deshalb war es doppelt gemein von Lance, es ihm in den Mund zu legen. Die Leute würden reden, und mit der Zeit würde man glauben, mein Vater hätte Lance tatsächlich Nigger genannt. So ist das immer, wenn Geschichten verbreitet werden, und man kann nichts dagegen machen.

»Sie sind nicht ganz bei Trost«, sagte mein Vater.

»Aha, jetzt bin ich also auch noch ein verrückter Nigger, was?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Nein, aber Sie denken es.«

Mein Vater vergaß für einen Moment seine guten Manieren. »Sie reden einen Haufen Müll.«

»So, ich bin also ein Lügner?«

Sie standen sich jetzt so nahe gegenüber, dass ihre Schuhspitzen beinahe aneinander stießen. Im Hintergrund sah ich Belinda im Fenster stehen, etwas weiter Chester, Regina Potts, Donald Pullman – alle mit dem gleichen erwartungsvollen Blick. Hätte jemand meinen Vermieter bedroht, wäre ich genauso gespannt gewesen, aber hier ging es um meinen Vater, und ich hasste sie dafür, dass sie sich so prächtig amüsierten.

Ich weiß nicht mehr, was meinen Vater und Lance dazu brachte, sich wieder zu beruhigen, jedenfalls regten sich beide allmählich ab, wie ein kochender Wasserkessel, den man von der Herdplatte zieht. Die geballten Fäuste lösten sich, die Entfernung zwischen beiden wuchs, und nach und nach sank ihre Stimme auf normale Lautstärke. Meine erste Reaktion war Erleichterung. Ich musste nichts machen. Die schmähliche Pflicht, meinen Vater kämpfen sehen zu müssen, war mir erspart geblieben. Die Vorstellung, wie er sich prügelte, war schlimm genug, aber sich vorzustellen, wie er unterlag, wie sein Gesicht auf den Boden gedrückt wurde und er vor Schmerz oder Erstaunen aufschrie, war unerträglich.

Meine nächste Sorge war, dass die Geschichte damit längst nicht vorbei war. Heute war es noch einmal gut gegangen, aber was würde passieren, wenn Lance und mein Vater das nächste Mal aneinander gerieten? Ein Mensch, der Cowboystiefel trug und Bäume fällte, um Vögel zu vertreiben, war zu allem fähig: ein Angriff aus dem Hinterhalt, gelöste Radmuttern, eine Brandbombe. Mit so etwas musste man rechnen, doch wenn mein Vater Befürchtungen dieser Art hatte, ließ er sich nichts davon anmerken. Als Lance sich umdrehte und ging, zog sich mein Vater einfach seine Arbeitshandschuhe über und machte weiter wie nach einer ganz normalen Unterbrechung, so als hätte Chester ihn gebeten, nach einem tropfenden Wasserhahn zu sehen, oder als hätten die Barrett-Schwestern ihn darauf aufmerksam gemacht, dass die Dachrinne gereinigt werden musste. Lance mochte anders empfunden haben, aber mein Vater kannte diese Art Umgang nicht. Bei IBM oder im Raleigh Country Club ging man nicht aufeinander los, und selbst wenn er sich kleine Böswilligkeiten erlaubte und Leuten im Supermarkt den Einkaufswagen in die Hacken rammte oder hinterm Steuer anderen Autofahrern zubrüllte, sie sollten sich doch einen Blindenhund anschaffen, hatte er bestimmt seit Ewigkeiten nicht mehr ernsthaft daran gedacht, sich zu prügeln. »Das muss man sich nur mal vorstellen«, war alles, was er sagte, dann schüttelte er den Kopf und zog den Anlasser der Säge.

Die Sonne ging bereits unter, als wir das Holz auf den Wagen luden. Mein Vater fischte den Schlüssel aus seiner Tasche, und wir blieben noch eine Weile im Führerhaus sitzen, bevor wir uns auf den Heimweg machten. Gegenüber bei Minnie Edwards öffnete ein Kind die Haustür und ließ Minnies Freund ein, der unangemeldet bei ihr wohnte. Solche Dinge interessierten das Sozialamt, ganz besonders, wenn der Freund einen Job hatte und mit in den Haushalt einzahlte. In regelmäßigen Abständen kam ein Sachbearbeiter vorbei, um nach männlichen Kleidungsstücken oder ungewöhnlichen Neuanschaffungen Ausschau zu halten, und von meinen Eltern wurde dasselbe erwartet. Der Mann ging ins Haus, kurz darauf kam Minnie vor die Tür und winkte meinem Vater, sein Wagenfenster herunterzulassen.

»Mein Bruder«, sagte sie. »Gerade aus der Armee entlassen.« Das ewige Versteckspiel. Die immer gleichen Ausreden.

»Und? Wie denkst du darüber?«, fragte mein Vater. Er meinte nicht Lance oder Minnie Edwards Freund, sondern alles zusammen. Technisch gesehen gehörte das alles uns – die Rasenflächen, die Häuser, die mit Kies bestreuten Auffahrten. Es war der Lohn für besondere Geschäftstüchtigkeit: ein Fleckchen Erde, das mit der Zeit weiter wachsen würde, Grundstück um Grundstück, bis man sich nicht mehr weiter von diesem Ort entfernen konnte, ohne von Sorge und einem schlechten Gewissen geplagt zu werden.

Lance und seine Familie zogen schließlich aus, aber erst, nachdem eine scheinbar grundsolide Badezimmerdecke ohne Fremdeinwirkung seiner Frau auf den Kopf stürzte. Mit dicken Verbänden und einem Halskorsett kam sie in den Gerichtssaal gehumpelt, ein ebenso lächerliches wie leicht zu durchschauendes Manöver, aber die Geschworenen fielen darauf herein und sprachen ihr eine Entschädigung zu. Später erfuhren wir, dass sie sich getrennt hatten. Er war mit einer anderen durchgebrannt. Sie war Zimmermädchen in einem Hotel. Auch Chester trennte sich später von seiner Frau und nahm nicht nur sämtliche Armaturen, sondern obendrein auch die Winterfenster mit.

Eine Sorge folgte der anderen, und mein Vater schien sie beim Blick durch die Windschutzscheibe alle vorbeiziehen zu sehen: die Frau, deren Sohn sein Zimmer anzünden würde, der Mann, der eine Autobatterie durch das Fenster seiner Nachbarn werfen würde, ein undeutlicher, wirbelnder Strom böswilliger Mieter, die sein Imperium Stein um Stein auseinander nehmen würden.

»Ich wäre dir zu Hilfe gekommen, wenn Lance dich geschlagen oder sonst wie angegriffen hätte«, sagte ich.

»Aber sicher«, sagte mein Vater, und für einen Moment glaubte er es sogar. »Der Typ wusste nicht, mit wem er es zu tun hatte, was?«

»Absolut nicht.«

»Wir beide, Seite an Seite, mannomann, das wäre ein Anblick gewesen!« Wir mussten beide lachen, Claudius und Nero im Führerhaus eines Toyota Pritschenwagens. Mein Vater schlug mir mit der Hand aufs Knie und fuhr los. »Ich gebe dir zu Hause einen Scheck«, sagte er. »Aber glaube bloß nicht, ich bezahle dich fürs blöde Rumstehen. Das läuft nicht. Jedenfalls nicht bei mir.«