Homosexualität als Druckmittel
Das Jahr 2005 steht in der kirchlichen Zeitgeschichte nicht nur für den Beginn des Pontifikats Benedikts XVI., sondern markiert zugleich auch eine deutliche Verschärfung im Umgang der katholischen Kirche mit Homosexualität.
Dies ist kein Zufall: Eines der ersten Dokumente, das Joseph Ratzinger als Papst im Sommer 2005 unterschrieb, hatte er schon viele Monate zuvor in der Glaubenskongregation federführend mit vorbereitet. In dem Dokument mit dem sperrigen Titel »Instruktion über Kriterien zur Berufungsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesteramt und zu den heiligen Weihen« [43] stellt der Vatikan »mit aller Klarheit« fest, dass die Kirche »jene nicht für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen zulassen kann, die Homosexualität praktizieren, tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine sogenannte homosexuelle Kultur unterstützen«.
Wichtig ist hier der Ausschluss auch jener Personen, die lediglich homosexuell veranlagt sind, diese Veranlagung aber gar nicht praktizieren, und von Heterosexuellen, die die »homosexuelle Kultur« unterstützen. Die Frage, was unter einer solchen Kultur zu verstehen ist, bleibt offen, dafür folgt eine Begründung der restriktiven Maßnahmen: »Die genannten Personen befinden sich nämlich in einer Situation, die in schwerwiegender Weise daran hindert, korrekte Beziehungen zu Männern und Frauen aufzubauen. Die negativen Folgen, die aus der Weihe von Personen mit tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen erwachsen können, sind nicht zu übersehen.«
Wie bereits erwähnt, ist zunächst der Begriff der »homosexuellen Kultur« äußerst diffus und dadurch je nach Bedarf extrem dehnbar. Unterstützt diese Kultur schon, wer sich ein Bild der homosexuellen Maler Caravaggio oder Michelangelo aufhängt oder gar seine Hauskapelle damit schmückt, zumal wenn die Männer darauf nackt sind? Oder gilt dies nur für katholische Priester, die anstelle der Fronleichnamsprozession einen Christopher Street Day in ihrer Pfarrei organisieren? Auch woher die im Dokument nicht weiter begründete These stammt und was für sie spricht, dass homosexuell Veranlagte angeblich keine korrekten Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen können, bleibt schleierhaft.
Was mit »negativen Folgen« gemeint ist, wird dagegen ziemlich deutlich: Vorausgegangen waren dem Dokument zahlreiche Missbrauchsskandale in den USA, die die Kirche dort moralisch und finanziell schwer belastet hatten. In Europa war der Fall des Wiener Kardinals Groer allen Beteiligten noch lebhaft in Erinnerung. Groer hatte 1995 zurücktreten müssen, nachdem bekannt geworden war, dass er Jahre zuvor abhängige Jugendliche sexuell missbraucht hatte. Die Affäre löste in ganz Österreich eine enorme Welle von Kirchenaustritten und ein von mehr als einer halben Million Gläubigen unterstütztes Kirchen Volksbegehren aus. In beiden Fällen hatte sich, zunächst noch hinter verschlossenen Türen, bei den meinungsführenden konservativen Kirchenmännern die auf der Gleichsetzung von Pädophilie und Homosexualität gründende Lesart durchgesetzt, dass an den Missbrauchsfällen nur die Homosexuellen schuld seien.
Einen aktuellen Hintergrund mit ganz eigener Dimension bildete der Skandal um das Priesterseminar der von Bischof Kurt Krenn geleiteten österreichischen Diözese St. Pölten. Sicher hatte Papst Benedikt auch seinen Duzfreund und ehemaligen Regensburger Kollegen Krenn vor Augen, als er das Dokument Unterzeichnete.