Chorröcke aus bernsteinfarbener und blauer Seide

Ein weiterer, zunächst ebenfalls mehr äußerlich erscheinender Aspekt erschließt sich bei der Lektüre von Oscar Wildes Bildnis des Dorian Gray. An einer Stelle des Romans kommt der homosexuelle Wilde auf ein Hobby seiner autobiographische Züge tragenden Hauptperson zu sprechen: Dorian hat eine besondere Leidenschaft für alle Gegenstände, die mit dem katholischen Kult Zusammenhängen, besonders für die kirchlichen Gewänder, die er in großer Zahl sammelt und immer wieder betrachtet, wenn die Leidenschaften ihn bedrängen. Darunter etwa ein Priestergewand aus grünem Samt, eine italienische Arbeit aus dem 16, Jahrhundert: »Die Borten waren aus roter und goldener Seide in fortlaufendem Muster gewebt und besetzt mit Medaillons von vielen Heiligen und Märtyrern, unter ihnen der heilige Sebastian. Er besaß auch Chorröcke aus bernsteinfarbener und blauer Seide, aus Goldbrokat und aus gelbseidenem Damast und Goldtuch, Dalmatiken aus weißer Seide und rosa Seidendamast und viele Messdecken, Kelchschleier und Schweißtücher.«

Wilde erklärt diese Vorliebe folgendermaßen: »In den mystischen Handlungen, denen diese Dinge dienten, lag etwas, das seine Phantasie aufstachelte.« Die Beschäftigung mit den kirchlichen Gewändern ist für Dorian paradoxerweise zugleich ein »Mittel«, seine Leidenschaften »zu vergessen«.

Wer in der neuen, eher schlichten katholischen Liturgie groß geworden ist, dem wird auffallen, dass das »Verkleiden« mit prachtvollen Gewändern und kostbaren Stoffen in der traditionellen Liturgie eine bedeutende Rolle spielt. Die Leidenschaft traditionsorientierter Kleriker für dieses »Verkleiden« und ihre Bereitschaft, dafür auch große Geldsummen aufzuwenden, ist kein Geheimnis. Im traditionellen Pontifikalamt ist das Ankleiden des Bischofs von seinem Thron aus sogar Teil der Liturgie, der vor den Augen der Gläubigen, begleitet von Gesängen, nach festem Ritual vonstattengeht.

Auch mich beeindruckten diese Gewänder schon als Kind und weckten in mir den Wunsch, Priester zu werden. Ein mit der Familie gut befreundeter Geistlicher schenkte mir daraufhin zu jedem Weihnachtsfest und jedem Geburtstag ein mit reicher Ornamentik in vornehmen Farben besticktes Messgewand, eine schöne Beichtstola mit reichverziertem Manipel, einen prachtvollen Chormantel, auf dem mit Goldfaden in Frakturbuchstaben groß »IHS« (Jesus Hominum Salvator = Jesus Retter der Menschen) eingestickt war. Alles Dinge, die man in diesen wilden Jahren des Freikämpfens von miefigen, mit Unterdrückung verbundenen Traditionen ohnehin häufig entsorgt hätte und die so erhalten geblieben sind.

Als die Gewänder nach meinem Verzicht auf den Priesterberuf und meinem Entschluss, homosexuell zu leben, ihre Funktion der Sublimierung bei mir längst eingebüßt hatten, versuchte ich sie vor etwa fünfzehn Jahren in »gute Hände« abzugeben. Dabei machte ich eine überraschende Entdeckung: Fast alle, die nun zur Besichtigung bei mir zu Hause vorbeikamen und ihr nachhaltiges Interesse anmeldeten, waren schwule Männer oder sedisvakantistische »Geistliche«.

Einen der Homosexuellen lernte ich bei der Verkaufsaktion näher kennen. Er war einige Zeit im Priesterseminar der Petrusbruderschaft gewesen, wo ausschließlich die alte Liturgie zelebriert wird, hatte das Seminar aber aufgrund seiner Veranlagung, mit der er verhältnismäßig offen umgegangen war, verlassen müssen. Daraufhin baute er gemeinsam mit anderen Klerikern in Bonn eine Art Gemeinde auf, in der ausschließlich die alte Liturgie gefeiert wurde, und zwar mit Billigung der ordentlichen kirchlichen Autorität, in diesem Fall des Erzbischofs von Köln. Seine persönliche Leidenschaft war das Sammeln seltener liturgischer Bücher und Gewänder. Vor allem über Internetauktionshäuser ersteigerte er einen ganzen religiösen Kostümfundus, der einer Domkirche gut angestanden hätte.

Unter demselben Namen ersteigerte er bei eBay aber auch Gegenstände, die seiner zweiten großen Leidenschaft neben der Liturgie dienten: erotischen Abenteuern. Fast jeder im traditionalistischen Lager wusste das, aber da es offiziell nicht bekannt wurde, ließ man ihn gewähren. Man konnte ihn gebrauchen: Unter dem Schutz des heiligen Scheins der katholischen Kirche erstellte er die wichtige Edition eines liturgischen Buches, des Nocturnale Romanum, und betreute die Internetseite der deutschen Una Voce, einer Organisation, die sich den Kampf für alte Liturgie und Rechtgläubigkeit auf die Fahnen geschrieben hat und für deren Zeitschrift er ebenso Beiträge verfasste wie für das Organ des »Päpstlichen Liturgischen Instituts«. Im Jahr 2005 starb er im Alter von dreiunddreißig Jahren an einer heimtückischen Krankheit.

Es gehört mit zur Verlogenheit der ganzen Geschichte, dass der Eintrag des offen schwul lebenden Bundestagsabgeordneten Volker Beck sehr schnell aus dem virtuellen Kondolenzbuch, das Freunde der klassischen Liturgie daraufhin eingerichtet hatten, gelöscht wurde.

Dieser junge Theologe war kein Einzelfall, sondern steht exemplarisch für eine große Zahl von Laien und Priestern, die mit all ihrer Kraft und unter großem Einsatz von Zeit und materiellen Mitteln für die klassische Liturgie gekämpft haben und deren Veranlagung man akzeptierte, solange sie diese versteckten.

Bis zur Stunde ist der florierende gewerbsmäßige Handel mit kirchlichen Gewändern für die traditionelle Liturgie in Deutschland weitgehend in homosexueller Hand. Alles, was das 18. und 19. Jahrhundert an kirchlicher Bekleidung von rosa bis violett und stets mit viel Goldfaden ornamental dekoriert hervorgebracht haben, gibt es inzwischen bei schwulen Händlern im Internet wieder zu kaufen. Zuweilen bemüht man sich aufgrund der ganz speziellen Nachfrage sogar, den Glanz der vergangenen Jahrhunderte durch noch längere und filigranere Spitzen, durch noch mehr Goldstickerei und Farbigkeit zu überbieten, so dass das Ganze fast wie eine Karikatur des ohnehin bereits zum Kitschigen neigenden klerikalen Bekleidungsgewerbes der vergangenen Jahrhunderte wirkt.

Ähnliches ließe sich über den Bereich der Kirchenmusik sagen, die ebenfalls in ihrer klassischen Form Homosexuelle besonders anzieht. Bezeichnend ist hier der Fall eines bekannten Bad Reichenhaller Weinhandlers, der über viele Jahre m der Salzburger Barockkirche St. Sebastian, in der einschließlich die traditionelle Liturgie gepflegt wird, die Orgel spielte. Obgleich Markus Enders als exzellenter Organist überall eine Stelle bekommen hätte, entschied er sich für diese verhältnismäßig weit von seinem Heimatort entfernte Gemeinde. Grund war, dass hier unter der Ägide des Salzburger Erzbischofs - neben der traditionalistischen Liturgie - die alte Kirchenmusik und der gregorianische Choral intensiv gepflegt werden, so dass viele Menschen den dortigen Gottesdienst vor allem wegen der exzellenten liturgischen Musik besuchen.

Über fünf Jahre ging die Sache gut, bis zum September 2009. Die Stelle des Kirchenrektors war etwa ein Jahr zuvor neu besetzt worden, und man hatte offensichtlich einen neuen Orgelspieler in der Hinterhand. Am 22. September des Jahres erhielt Enders einen Telefonanruf des Priesters aus der Petrusbruderschaft, der die dortige Gemeinde betreute: Da er inzwischen offen zu seiner sündhaften Veranlagung stehe, diese skandalöserweise vielleicht sogar praktiziere, sei Enders für die Gemeinde als Organist nicht mehr tragbar. Es sei den Geistlichen äußerst peinlich, wenn er im Rektorat ein und aus gehe. Stattdessen solle er auf den Weg des wahren heterosexuellen Glaubens zurückkehren und seine Missetaten beichten!

Da mich die Sache interessierte, nahm ich Kontakt zu dem Kirchenmusiker auf, der mir sehr anschaulich die Vorgänge schilderte. Das Interessante an dem Fall ist freilich wieder, dass die »Kündigung« zu einem Zeitpunkt erfolgte, als man den Orgelspieler loswerden wollte; dabei wusste man anscheinend bereits seit vielen Jahren über den Lebensstil des Mitarbeiters Bescheid. »Die Geistlichen sind bei mir zu Hause über Jahre hinweg ein und aus gegangen, mussten also wissen, was mit mir los ist. Mein Coming-out liegt zwanzig Jahre zurück, und ich habe nie einen Grund gesehen, mich zu verstecken oder mir ein Warnschild umzuhängen ... Die haben rund 12000 Euro Honorar an mir eingespart und sich darüber hinaus von mir mit drei wertvollen Messkelchen beschenken lassen, die im Übrigen von einem schwulen alten Priester stammten«, so Markus Enders im persönlichen Gespräch.

Der heilige Schein
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