Wir leben das Leben in wachsenden Ringen:
Älter werden
Wann fängt man an, »älter« zu werden?
Manchmal fühlte ich mich mit 30 Jahren schon
steinalt. Mit 40 war ich kurzzeitig irritiert, mit 45 packte ich
neue Herausforderungen an, und nun werde ich in wenigen Monaten 50
Jahre alt. Das ist schon »älter«, ich kann es nicht
verleugnen.
Meine Themen haben sich in den letzten Jahren
verändert, sowohl beruflich wie privat. Eine Freundin beschrieb die
jetzige Lebensphase bei sich mit »Pubertät rückwärts«. Mir geht es
ähnlich. Auch ich rolle scheinbar alles noch einmal auf und
gleichzeitig ist mein Blick nach vorne gerichtet.
Mein Lebensgefühl ist kraftvoll, ich will noch
vieles anpacken und bewegen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass
das geht, weil ich immer auf gezielte Weiterentwicklung in meinem
Leben bestanden habe. Für mich ist Lernen so etwas wie ein
Grundnahrungsmittel. Ich, die als Jugendliche zweimal aus Faulheit
eine Klasse wiederholen musste, bin neugierig und will so viel
lernen, wie es geht. Wenn möglich bis ins hohe Alter.
Katharina, eine frühere Kollegin von mir, die
heute noch als Erzieherin im Kindergarten arbeitet, sieht ihr Leben
nicht ganz so enthusiastisch. »Es gibt so viele ähnliche Abläufe,
und die permanente Unruhe macht mir mehr und mehr zu schaffen.«
Wenn ich sie im Kindergarten besuche, kann ich das verstehen. Ein
Raum, eher klein als groß, täglicher Aufenthaltsort für zwei
Erzieherinnen und zehn Kinder. Katharina, die Erzieherin, und ich
unterhalten uns - am Kindertisch, meine Knie befinden sich direkt
unter meinem Kinn. Die jüngere Kollegin, die mit Katharina
arbeitet, hockt vor einem Buchregal auf der Erde. Nach meiner
Schätzung dürfte sie etwa Mitte 20 sein. Der Boden ist aus Linoleum
- klar, bei so vielen Kinderfüßen sind Teppiche verständlicherweise
unhygienisch. Die junge Kollegin steht leichten Fußes auf, als vom
Flur aus jemand nach ihr ruft. Katharina und ich schauen uns
lächelnd an. Ja, das war mal so. Auch wir können zwar heute noch
aus dem Schneidersitz aufstehen, aber es sieht nicht mehr ganz so
anmutig und geschmeidig aus. »Ich brauche jetzt eine Lesebrille«,
erzählt mir Katharina. Die trage ich schon lange auf der Nase.
»Außerdem bin ich manchmal echt vergesslich.« »Das kann auch durch
die Hektik kommen«, erwidere ich. Nicht jede Vergesslichkeit ist
gleich ein Symptom von Alter. Katharina liebt ihren Beruf, dennoch
wünscht sie sich Anreize und Verbesserungen.
Das Alter bringt eine Menge mit sich:
Erleichterungen ebenso wie Ärger. Wer hat als Frau schon gerne
Cellulitis oder Krähenfüße? Und welche Frau berührt es nicht, wenn
sie sich umschaut und leise mitzählt, wie viele frühere
Klassenkameraden inzwischen wesentlich jüngere Geliebte oder
Partnerinnen haben? Der Trend geht zur Zweitfamilie. Zwischen den
Kindern der beiden Familien liegen zuweilen 20 Jahre
Altersunterschied.
Auch im Beruf ist älter zu werden nicht gerade ein
Zuckerschlecken. Es gibt nur wenige Angebote für die Mitarbeiter
»40 plus«, und die Karriereentwicklung spricht bei
Mitarbeitergesprächen keiner an. Bislang. Nach und nach wird sich
das ändern. Der demographische
Wandel macht sich bemerkbar und immer mehr
Personalentwicklungsabteilungen wissen: die jungen Mitarbeiter gilt
es zu gewinnen, die älteren Mitarbeiter zu pflegen. Ohne uns Ältere
geht es nicht, in keinem Bereich. Auch nicht bei Ihnen im
Kindergarten.
Altersgerechtes Arbeiten im Kindergarten
Erst langsam beginnen sich die Träger damit zu
beschäftigen, welche Themen der demographische Wandel uns in den
kommenden Jahren bringt. Würde man auf der Straße jemand nach dem
durchschnittlichen Alter von Erzieherinnen fragen, bekäme man wohl
zu hören: »So um die 20.« Die Realität sieht jedoch heute anders
aus. Der Altersdurchschnitt unter Erzieherinnen liegt meist um
Einiges höher. Während in früheren Generationen viele Erzieherinnen
nach einigen Jahren in der Kita aus familiären Gründen aus dem
Beruf ausstiegen, wollen oder müssen die meisten heute länger
berufstätig bleiben. Die TBS, eine Beratungsstelle des Deutschen
Gewerkschaftsbunds NRW, schreibt:
»Der Altersdurchschnitt liegt meist über 40 Jahren.
Jüngere Erzieherinnen und Erzieher sind oft nur mit Zeitverträgen
beschäftigt und gehören zu den ersten, die bei Personalabbau wieder
ausscheiden. Damit entsprechen Erzieherinnen zumindest nicht dem
bisher verbreiteten Bild dieses Berufs und sind z.B. oft älter als
die Mütter der Kinder, die sie betreuen.«
Die beruflichen Anforderungen für Erzieherinnen
steigen durch den gesellschaftlichen Wandel (Krippenausbau,
berufstätige Mütter, »späte« Eltern, Patchwork-Familien,
multikulturelle Gesellschaft, steigende Anforderungen an
Bildungsvorbereitung, Entwicklung weg von Horten zu Offenen
Ganztagsschulen), und immer mehr Ausund Fortbildungen sind
erforderlich, um speziellen Anforderungen genügen zu können. So
ergeben sich zwar zusätzliche Perspektiven und Felder, um
persönliche Kompetenzen einzubringen, gleichzeitig
steigen aber auch Druck und Belastung der Erzieherinnen. Dazu noch
einmal die TBS: »Für die Einrichtungen und ihre Träger ergibt sich
die Problemlage, dass sie ihre Aufgaben mit begrenzten Mitteln und
einer älter werdenden Belegschaft bewältigen müssen, für die
Beschäftigten, dass sie bei ständig steigenden bzw. sich
verändernden Anforderungen ihre Perspektiven und Potentiale
erkennen und bewusst in der betrieblichen Organisation einsetzen«
müssen.
In einem Modellprojekt zur Beschäftigungs- und
Zukunftsfähigkeit in Kitas, die sich durch eine veränderte
Altersstruktur ergibt, wurden folgende Gestaltungsziele benannt:
• Neue Aufgabenverteilung
• Neue Perspektiven und Herausforderungen für
ältere Erzieherinnen
• Gesundheitsmanagement
• Mitarbeiterschulungen hinsichtlich »Wir
arbeiten zusammen: Alt und Jung«
• Potentialanalyse für ältere
Mitarbeiterinnen
• Wandel in der Arbeits- und
Zeitorganisation
• neue Strukturen
Was bedeutet das nun aber für Sie persönlich? Es
gibt eine Reihe von Befragungen, die sich mit der Arbeitswelt von
Berufstätigen über 40 beschäftigen. Bestimmte Themenfelder werden
dabei immer wieder benannt:
• Gesundheit (Wie gesund ist, empfinde ich meinen
Arbeitsplatz?)
• Kompetenz (Kann ich meine Fähigkeiten
einbringen?)
• Perspektiven (Welche beruflichen
Entwicklungsmöglichkeiten werden angeboten?)
• Netzwerk (privat und beruflich)
• Selbstmanagement (Zeitmanagement)
• Eigenverantwortung (Gestaltungsfreiraum)
• Mentoring (Wem gebe ich mein Wissen
weiter?)
Vielleicht möchten Sie sich zu jedem Thema ein
paar Notizen machen? Wie gesund fühlen Sie sich, zum Beispiel? Es
ist erwiesen, dass ältere Mitarbeiter mehr Pausen benötigen und
schneller durch Lärm und Hektik unter Druck geraten. Dafür halten
sie seelische Belastungen besser aus, da sie über weit mehr
erprobte Lösungswege verfügen als jüngere Kolleginnen.
Und was ist mit den Perspektiven? »Ich will nicht
noch weitere 15 Jahre im Kindergarten arbeiten«, erklärte mir
Katharina. Allerdings muss Katharina berufstätig bleiben, schon
allein aus finanziellen Gründen. Wie könnte also ihr Berufsalltag
sich in den nächsten Jahren wieder hin zu mehr Engagement wandeln?
Gibt es Schritte, die dabei zu beachten sind, und überhaupt: Wo
geht denn die Reise hin? Haben Sie selbst sich darüber schon einmal
Gedanken gemacht?
Wo möchten Sie in den nächsten 5, 10, 15 Jahren
stehen? Welche Art von beruflicher Tätigkeit üben Sie wohl mit 63
Jahren aus?
Katharina möchte in die Elternbildung. Sie weiß,
dass sie sich in kleine Kinder gut hineinfühlen kann und möchte
jungen Eltern von diesem Wissen etwas weitergeben. Eine
ausgezeichnete Idee, denn junge Eltern brauchen das
Erziehungswissen der älteren Generation, noch besser, wenn es sich
dabei um Profis handelt. Insofern ist diese Planung von Katharina
goldrichtig.
Und? Sind Sie bereits inspiriert? Wie könnte Ihre
Perspektive sein?
Ihre Perspektive
Mit... Jahren werde ich...
Der Gewinn des Älterwerdens im Beruf
Älter geworden im Kindergarten- wer kann das schon
von sich behaupten? Als älter werdende Erzieherin arbeiten Sie in
einem jungen Bereich. Sie haben es mit Kindern zu tun, jungen
Eltern, jungen Kolleginnen. Das kann Ihnen viele Impulse geben, Sie
anspornen, aufheitern und flexibel machen. Alltagstrott kommt da
nicht auf. Jeder Tag bringt neue Stimmungen mit. Aber es ist laut.
Als junge Frau liebte ich laute Musik. Dröhnen musste es und beim
Einkaufen wollte ich Menschen, Musik und bunte Lichter. Jetzt lege
ich mehr Wert auf Qualität, auch in den Eindrücken und der
Beschallung. Mein Leben hat sich verändert, es sind neue Ringe
dazugekommen. Ich habe Zwänge abgelegt und gebe meinen Bedürfnissen
Raum. Vieles muss ich nicht mehr. Ich muss z.B. keinen Lebenslauf
mehr schreiben. Welch eine Erleichterung, auf Bewerbungsfotos sah
ich schon immer schrecklich aus. Manch ein Zeugnis hat gar keine
Bewandtnis mehr. Habe ich einst darüber geheult, heute liest es
niemand mehr. Ich weiß und akzeptiere, dass ich niemals ein
Supermodel werde. Und ich bin auch zu alt für den Bildschirm und
brauche mich in meiner Fernsehredaktion deswegen gar nicht mehr zu
melden.
Dafür werde ich ernster genommen. Man hört mir zu
und lässt sich von mir beraten. Ich gehe auf diese Fragen gerne
ein, weil ich mich sicher fühle. Die Sicherheit hat auch etwas mit
meinem Alter zu tun. »Sie sind so gelassen«, sagen Menschen zu mir
und ich lächle dazu gütig, obwohl ich weiß, dass es nicht stimmt.
Aber in dem Moment, das glaube ich schon, kann ich sehr gelassen
wirken. Meine Jahre haben mich gelehrt, mehrere Facetten meiner
selbst zu leben. Das ist der Gewinn des Älterwerdens. Ich weiß,
dass ich nicht nur eine Christine bin, sondern viele Seiten
habe. Deswegen muss ich mich auch nicht mehr verändern, wie ich das
als junge Frau immer wieder versuchte. Ich darf die sein, die ich
bin. Mit all der Vielfalt. Für die einen eine gelassene Frau, für
die
anderen ein Paradiesvogel und für die nächsten ein verrücktes
Huhn. Es irritiert mich nicht, wenn mich Menschen unterschiedlich
beschreiben. Dank meiner Lebenserfahrung weiß ich, dass das genau
der Reichtum des Alters ist, von dem mir früher ältere Frauen
freudvoll erzählten.
Interview
Meine Freundin Cornelie ist etwa so alt wie ich
und arbeitet, mit einer Unterbrechung, seit unserer gemeinsamen
Ausbildung als Erzieherin. Für sie spielt das Älterwerden im
Kindergarten nur eine untergeordnete Rolle. Die kleinen Stühlchen
beeinträchtigen sie nicht und die langjährige Zusammenarbeit mit
den Kolleginnen hat für sie einen besonderen Vorteil, findet sie:
»Wir werden zusammen älter und wir merken es gar nicht so.«
Christine: »Wie geht es dir mit der Arbeit?«
Cornelie: »Ich habe noch einmal gewechselt und
arbeite jetzt mit den Minis, den Kindern unter drei Jahren. Dieser
Wechsel war sehr wichtig für mich. Ich habe gespürt, dass ich
flexibel bin, und die Beschäftigung mit den neuen Aufgaben war wie
eine Erfrischung.«
Christine: »Wie ist die Zusammenarbeit mit den
jüngeren Kolleginnen?«
Cornelie: »Für mich eine Selbstverständlichkeit.
Wir kommunizieren gut miteinander. Die Älteren mit den Jungen und
umgekehrt. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir ein offenes
Kindergartenkonzept haben. Jeder arbeitet mal mit jedem, man muss
sich immer wieder neu einstellen und es gibt keinen Trott. Bei uns
werden nicht zwei Erzieherinnen miteinander in einer Gruppe alt.
Wir hören alle einander gerne zu und profitieren
wechselseitig.«
Christine: »Welche Perspektiven hast du?«
Cornelie: »Es gibt Weiterbildungen, aber ansonsten
komme ich mit Erzieherinnen aus anderen Kindergärten wenig
zusammen. Eine Vernetzung wäre gut, das würde auch den Alltag
beleben,
weil man sich mit anderen Kolleginnen und anderen Konzepten
auseinandersetzen würde.«
Christine: »So etwas wie ein Jobtausch? Zwei
Erzieherinnen tauschen für einen Monat oder länger den
Arbeitsplatz?«
Cornelie: »Das gibt es nicht, aber ich habe schon
in anderen Einrichtungen hospitiert, und das war für mich jedes Mal
beruflich eine große Bereicherung.«
Christine: »Was täte dir noch gut?«
Cornelie: »Die Möglichkeit, meine Arbeitszeit so
zu gestalten, dass ich Zeiten ansammeln kann und mir Auszeiten
nehmen. Auszeiten bringen so viel Inspiration. Ich bin mir ganz
sicher, dass ich mit vielen neuen Ideen und großer Energie in meine
Arbeit zurückkäme.«
Christine: »Was wäre noch wertvoll?«
Cornelie: »Wenn mein Arbeitsplatz so wäre, dass
ich auch immer wieder zu mir finden könnte. Der Lärm und die Unruhe
um mich herum strengen mich schon sehr an.«
Christine: »Habt ihr einen Personalraum?«
Cornelie: »Ja, aber da hört man ja auch die
Kinder. Ich verlasse die Einrichtung lieber in der Pause und komme
dann erholt zurück.«
Christine: »Hast du Perspektiven?«
Cornelie: »Ja, wir Erzieherinnen überlegen immer
wieder, was es noch an ganz neuen und flexiblen Angeboten
gäbe.«
Christine: »Was könnte das sein?«
Cornelie: »Eine Kinderkrippe auf die Bedürfnisse
der Kinder zugeschnitten und nicht nur auf die der elterlichen
Arbeitszeiten. Ein Kindergarten, der den Kindern gut tut, mit
kleinen Gruppen. Wenn die Gruppen kleiner sind, dann geht es
nämlich nicht nur den Erzieherinnen besser, sondern vor allem den
Kindern. Sie spielen ganz anders und kommen mehr in die
Ruhe.«
Christine: »Was ist der Gewinn deines
Alters?«
Cornelie: »Dass ich viel gelassener geworden
bin.«
Frage an die Älteren unter Ihnen
Welches ist der Gewinn Ihrer Jahre und was
schätzen Sie an der Zusammenarbeit im Team?
Sicher reichen die wenigen Zeilen gar nicht
aus.
Mentoring: Wie Alt und Jung voneinander profitieren
Mein Lieblingsthema in diesem Zusammenhang ist
Mentoring. Nach meinen Recherchen und Umfragen werden bislang noch
wenige (keine) Mentoringprogramme im pädagogischen Bereich
angeboten, obwohl der Begriff »Mentoring« sich doch gerade aus
diesem Beziehungsfeld ableitet.
In Deutschland wird Mentoring eher mit »Bildung«
als mit »Erziehung« in Zusammenhang gebracht. Bildung meint den
ganzheitlichen Entwicklungsprozess von Individuen über lebenslanges
Lernen innerhalb von Beziehungen. Menschen, die bereits einen
langjährigen beruflichen Erfahrungshintergrund erworben haben,
erklären sich bereit, dieses Wissen anderen zur Verfügung zu
stellen. Man könnte auch von einer Art »Patenschaft« sprechen.
Mentoring ist nicht nur ein individuelles, frei gestaltbares
Weiterbildungstool, sondern auch ein überaus wirksames
Personalentwicklungsinstrument für berufliche Förderung. Darüber
hinaus ist ein Charaktermerkmal von Mentoring so etwas wie
»Freundschaft« im Sinne von vereinbarter Begleitung und
Unterstützung.
Was ist Mentoring?
In der Odyssee von Homer war Mentor der
Erzieher, Hauslehrer und Beschützer von Odysseus’ Sohn Telemachos.
Sie erinnern sich, Odysseus war ziemlich häufig außer Haus, also
vertraute er Telemachos Mentor an. Heute würden wir sagen, Mentor
war der Vaterersatz, ein väterlicher Freund. Telemachos konnte sich
vertrauensvoll an ihn wenden, bekam Zusammenhänge erklärt und
Wissen vermittelt. Die Beziehung zwischen Mentor und Telemachos war
von Zuneigung, Achtung, Vertrauen und gegenseitigem Respekt
geprägt.
Der Begriff »Mentor« wurde damit zum Synonym für
einen geachteten und gebildeten Menschen, der bereit ist, einen
Jüngeren an seinem Wissen und seinen Verbindungen teilhaben zu
lassen. Dabei spricht man von einem Mentor, wenn es sich dabei um
einen Mann handelt, von Mentorin bei einer Frau. Aus Telemachos ist
englisch ausgesprochen der oder die »Mentee« geworden.
Die Mentorin nimmt Anteil, hört zu, spiegelt
Stärken wieder und macht auf Schwächen liebevoll aufmerksam. Sie
kennt und berücksichtigt im besten Fall die Feedback-Regeln.
Insofern ist eine gute Mentorin ein Vorbild - auch in der Hinsicht,
dass die Mentee später selbst einmal Mentorin werden soll.
Im Unterschied etwa zum Coaching nimmt der Mentor
keine neutrale Position gegenüber der zu beratenden Person ein,
sondern zeichnet sich durch besonderes Engagement und Wohlwollen
aus. Zudem gibt es in einer Mentor-Mentee-Beziehung keinen
finanziellen Ausgleich. Für den Mentor ist die Unterstützung eine
Ehre, für die oder den Mentee ein großes, achtungswürdiges
Geschenk.
Heute werden Mentoring-Programme besonders zur
Förderung des weiblichen Nachwuchsmanagements eingesetzt, wobei
sich die
Idee auf alle hierarchischen Ebenen übertragen lässt. Für mich ist
Mentoring so wertvoll, weil verschiedene Bedürfnisse mit diesen
Programmen gestillt werden.
Vorteile für Sie als ältere
Erzieherin
• Sie geben Ihr Wissen weiter.
• Ihr Erfahrungsschatz ist gefragt.
• Ihre langjährige Arbeit wird gewürdigt.
• Ihre Kompetenz wird anerkannt.
• Ihr Engagement als Mentorin trägt zu
Nachhaltigkeit von Konzepten bei.
• In Seminaren tauschen Sie sich mit anderen
Mentorinnen aus und erarbeiten neue Wirkungsfelder.
Gleichzeitig kommen Sie in einen neuen Kontakt mit
jüngeren Kolleginnen, erfahren von deren Erleben und Gedankenwelt
und profitieren von deren Weiterentwicklung.
Vorteile für Sie als jüngere
Erzieherin
• Sie erhalten persönliches und wohlwollendes
Feedback, Unterstützung, Beratung und Förderung.
• Sie können in einem vertrauensvollen
Miteinander über Herausforderungen und Perspektiven sprechen und
Ziele für sich erarbeiten.
• Und, das ist mir ganz wichtig: Sie erfahren,
wie wertvoll und wertschätzend es ist, wenn eine erfahrene Kollegin
Sie von ihrem Wissen profitieren lässt. Die beste Voraussetzung
dafür, Sie irgendwann später als Mentorin begrüßen zu
dürfen!
Fragen, mit denen sich Mentorinnen
auseinandersetzen
• Wie gebe ich mein Wissen weiter?
• Wie ist ein beratendes Gespräch
strukturiert?
• Wie erkenne ich Grenzen?
• Wie motiviere ich einen erwachsenen
Menschen?
• Wie lasse ich die Verantwortung bei meiner
Mentee?
• Wie öffne ich Türen?
Für mich gibt es kaum eine andere Maßnahme, von
der so viele Menschen gleichzeitig profitieren. In wirtschaftlichen
Kontexten spricht man von der »Sichtbarmachung« weiblicher
Mitarbeiter. Das ist im Kindergartenbereich nicht vordergründig.
Wichtig jedoch ist das Signal »Wir wollen uns entwickeln« und »Es
gibt einen Bedarf an speziellen Angeboten«.
Was können Sie tun, um ein Mentoring-Programm zu etablieren?
In der Regel werden Mentoringprogramme von der
Führungsspitze initiiert. Sie können aber auch selbst aktiv werden,
indem Sie Ihren Arbeitgeber dafür interessieren oder mit Verbänden
und Gewerkschaften zusammenarbeiten. Darüber hinaus können auch
Vereine Mentoring anbieten, oder Sie überlegen, wie Sie und andere
Interessierte solch ein Programm ins Leben rufen.
Wichtig dabei ist nur, dass Mentorin und Mentee
nicht in der gleichen Einrichtung arbeiten und einen inhaltlichen
Abstand zueinander haben. In der Wirtschaft ist die Mentorin
üblicherweise zwei Stufen weiter als ihre Mentee. Programme sind
jedoch dafür da, dass wir sie den eigenen Bedürfnissen anpassen und
entsprechend modellieren. Lassen Sie sich nicht von festen
Konzepten abschrecken. Lassen Sie sich überhaupt nie abschrecken,
sondern werden Sie lieber kreativ! Wie finden ältere und jüngere
Erzieherinnen zusammen? Wie können Sie mitgestaltend sein? Projekte
sind eine lebendige Abwechslung im Arbeitsalltag. Durch die
Projektgestaltung werden Sie mit neuen Gedanken und Bereichen
vertraut, das lockert Routine auf und gibt Ihnen neue
Anreize.
»Sie haben mir gar nichts zu sagen!« Kommunikation zwischen älteren und jüngeren Kolleginnen
Vor zwei Jahren gestaltete ich in einer Redaktion
ein Projekt mit. Meine Kollegin Nina war zu diesem Zeitpunkt gerade
30, überaus flink und wach. Wenn sie mir etwas erklären wollte,
sprach sie unglaublich schnell, und wenn sie mir am Computer etwas
zeigte, flogen ihre Finger nur so über die Tastatur. Manchmal kam
ich kaum mit. Während mich andere Teile des Projektes weit mehr
beschäftigten als Nina, fand sie meine Einwände manchmal schwer
nachvollziehbar.
»Weißt du, Nina«, erklärte ich ihr eines Tages,
»ich bin 17 Jahre älter als du.«
»Was soll das heißen?«, entgegnete sie
irritiert.
Ich erinnere mich noch, dass mit einem Mal ein
Gefühl von »Angriff« im Raum stand, so als wolle ich als Ältere auf
mein Recht pochen oder mich lustig machen nach dem Motto: »Werd du
erst mal trocken hinter den Ohren!« Aber so war es nicht gemeint.
Es ging mir viel eher um Verständnis füreinander. Ich war zu diesem
Zeitpunkt 17 Jahre älter als Nina. Das sind 17 mal 365 Tage mal 24
Stunden. Ein Haufen Leben. Tausende von Situationen, Erfahrungen
und Eindrücken, die ich schon mehr gesammelt hatte. Ich war in
einer anderen Lebens- und Berufsphase als Nina. Benutzte andere
Bilder und andere Begriffe. Ich sage z.B. nicht »krass«, und ich
verkürze Beschreibungen auch nicht mit »bla«: »Und dann kam er und
wollte mir erklären, wie das geht - bla -, auf jeden Fall kamen wir
dann darauf...«
Für Nina und mich wurde mein Satz bald eine sehr
vergnügliche Einleitung, wenn wir der anderen etwas aus der eigenen
Erlebenswelt mitteilen wollten: »Weißt du, Christine, ich bin 17
Jahre jünger als du. Würdest mir noch mal erklären, wie du darauf
kommst?«
Wenn Alt und Jung aufeinandertreffen, dann ist
Neugier und Wohlwollen wichtig und zwar von beiden Seiten. Ein
Wissenwollen, wie die andere denkt, ein vorurteilsfreies Prüfen,
welche Vorschläge passen, und ein Nachfragen, um besser zu
verstehen. Alt und Jung können viel voneinander lernen und sehr
viel Freude miteinander haben. Wenn wir ein solches Zusammentreffen
wertschätzen, wird es zu einer wunderbaren Bereicherung, denn jedes
Lebensalter hat besondere Juwelen. Gemeinsam sind sie alle ein
großer Schatz!
Ich lebe mein Leben in wachsenden
Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausende lang;
und ich weiß noch nicht:
bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausende lang;
und ich weiß noch nicht:
bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
Rainer Maria Rilke