Das Pippilotta-Prinzip: Die Zukunft mitgestalten
»Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt«, singt Pippi Langstrumpf in dem Superbestseller von Astrid Lindgren. Sich die Welt zu machen, wie sie einem so recht gefällt, das klingt wirklich sehr verlockend, nicht wahr? Pippi Langstrumpf ist Heldin eines schönen Reichs. Mutig, lustig, flexibel, störrisch, direkt, nachdenklich und kreativ. Etwas zu gestalten ist ein aktiver und befriedigender Akt, der, soll er Erfolg haben, jedoch auch Weitsicht und Rücksicht benötigt.
In diesem Kapitel geht es um das Erschaffen neuer Perspektiven. Sie sind die Steuerfrau auf Ihrem Boot und Sie geben den Kurs an! Es kann dabei nicht schaden, anderen Seefahrern kurz zuzuhören, z.B. Pippi Langstrumpf; sie ist Seemannstochter. Ihr steckt das Navigieren in den Genen, und Sie haben den Überblick, um Pippis manchmal vielleicht etwas blauäugige Sicht um eine alltagstaugliche zu ergänzen.
Pippis Freunde Thomas und Annika erscheinen neben der wilden Heldin fast wie platte Figuren, brav und ein bisschen farblos. Aber lassen Sie sich nicht täuschen: Ohne Thomas und Annika wären die ganzen Pippi-Langstrumpf-Geschichten nichts, und diese beiden brauchen wir auch, wenn wir Zukunftsgestaltung kreativ und wirksam betreiben wollen.
Gemeinsam mit Ihnen will ich hier entwickeln, wie wir die Energien von Pippi, Thomas und Annika in brauchbares Handwerkzeug und wirkungsvolle Instrumente der (Selbst-) Beratung verwandeln können.

Veränderungen initiieren

Vielleicht denken Sie jetzt, Pippi und ihre Villa Kunterbunt, das ist doch zu albern! Bei mir geht es um den rauen Alltag, den Stress und körperliche Herausforderungen.
»Ich möchte gar nicht gestalten«, gestand mir Susanne, eine Erzieherin in einer städtischen Einrichtung, »ich möchte am liebsten erst mal alles rausschreien, was mich seit Jahren belastet und quält.« Wenn man lange nicht »gehört« wurde, es sich so anfühlt, dass Anweisungen über die Köpfe hinweg ausgesprochen werden und im Team jeder nur noch so viel Kraft hat, dass es gerade mal für die eigenen Bedürfnisse reicht, dann ist der Gedanke verlockend, sich Luft zu machen und alles hinzuwerfen, was stört und schon lange nicht mehr passt. Genau an diesem Siedepunkt befand sich die Erzieherin, von der ich eben erzählte. »Was glauben Sie, welche Auswirkungen es hat, wenn Sie das tun?«, erkundigte ich mich. »Na, da werden ein paar ganz schön sauer auf mich sein.« »Und danach?«, fragte ich weiter. »Dann ist die Luft rein«, meinte Susanne.
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich selbst habe in meinem Leben oft zu lange geschluckt bis meine Frustration irgendwann wie ein Vulkan ausbrach. Was ich danach an Schadensbegrenzung zu tun hatte, überstieg all den Ärger, den es ohnehin schon gab. Daher versuche ich heute, nicht den Ärger, sondern das Bedürfnis zu artikulieren. Und ich versuche zweitens, möglichst früh damit zu beginnen.

Den Fokus verändern

Im Berufsalltag klingt die Wandlung vom Fokus auf den Ärger zum Fokus auf die Bedürfnisse so:
Alt: »Du unterstützt mich nicht wirklich. Immer drückst du dich in der Teeküche herum.«
Neu: »Ich würde mir wünschen, dass wir einen Plan für die gemeinsame Arbeit machen. Es würde mir helfen, manche Tätigkeiten von dir und von mir zeitlich besser einzuschätzen.«
Sagen Sie das, was Sie wollen, und nicht das, was Sie nicht wollen. Geradeso, wie es auch Pippi macht. Wenn Sie damit beginnen, haben Sie bereits den ersten Schritt unternommen: vom »Reagieren« zum »Agieren« und damit zum Gestalten.

Visualisierungen als Unterstützung

Sie haben - und dies ist ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt im Selbst-Coaching - die Macht, jeder Situation und jedem Zeichen Ihre ganz eigene Bedeutung zu verleihen. Sie entscheiden, wie Sie etwas sehen und wie wichtig es für Sie ist. Nehmen wir die Villa Kunterbunt als Beispiel: Für mich ist sie ein Symbol und die Aufforderung, mehr Farbe in mein Berufsleben zu bringen. Es dürfen ein paar sehr bunte Farben dabei sein und auch ein paar unaufdringliche, sanfte. Ich kann nicht immer auf Hochtouren leben, deswegen benötige ich auch Farben, die leise sind und die mit Ruhe geben. Wofür könnte die Villa Kunterbunt in Ihrem Leben stehen?
Egal, ob wir uns etwas vor unserem geistigen Auge bildlich vorstellen oder es in Form einer Visualisierung direkt aufmalen: Unser Gehirn kann konkrete Bilder leichter verarbeiten als Worte oder schwammige Konzepte. Mit Hilfe von Visualisierungen können Sie z.B. herausfinden, wie intensiv oder schwach ausgeprägt Sie einzelne Lebensbereiche leben, wo mehr Entspannung und an welcher Stelle deutliche Anregung notwendig ist.
Um ein Gefühl, ein Bedürfnis oder einen Wunsch bildlich darzustellen, sind verschiedene Visualisierungen möglich. Sie können
• Ballons zeichnen
• MindMaps malen
• Listen erstellen
• Ideensterne in unterschiedlicher Größe basteln
• Farben in verschiedenen Stärken auftragen
• eine Messlatte aufzeichnen
• mit der Hand eine Größe anzeigen
• oder Collagen erstellen
Ich arbeite, wenn es gleichzeitig um verschiedene Bereiche geht, gerne mit dem Bild der Luftballons. Susanne, die gefrustete Erzieherin, von der ich Ihnen oben erzählte, fühlte sich, wie sie sagte, »komplett allein gelassen und überfordert«.
Im ersten Schritt betrachteten wir gemeinsam, was »komplett« für Susanne eigentlich bedeutet. Statt einer riesigen Wolke, die sie zu erdrücken schien, wurden so die ganz konkreten Bereiche ihrer Tätigkeit sichtbar:
• Elterngespräch
• Einzelarbeit mit Kind
• Gruppenarbeit
• Kollegialer Austausch
• Ruhezeiten, Rückzug
• Weiterbildung
• Gemeinsame Planung
Ich bat Susanne, in Form von Luftballons zu skizzieren, wie viel Zeit und Energie sie pro Woche in welche Bereiche steckte.
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Wie Sie sehen, waren manche Ballons sehr dick. Andere Bereiche, wie Rückzug und Erholung, scheinen leer, regelrecht welk zu sein. Wenn wir aber nur die Arbeitszeit von einer Woche haben, dann müssen wir die Luft in den Ballons ein wenig umverteilen, mehr Luft gibt es nämlich nicht. Bevor ich Ihnen erzähle, für welchen Weg sich Susanne entschied, wäre es doch schön, wenn auch Sie Ihren aktuellen Luftballonstand hier oder in Ihr Heft aufzeichnen würden.
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Frage
Was ist der Bereich, der Luftballon, wo es aus Ihrer Sicht den deutlichsten Handlungsbedarf gibt? Wo meldet sich am klarsten ein hungriges Bedürfnis?
Visualisierungen unterstützen uns dabei, bildhaft zu erkennen, wo wir stehen und welche Bedürfnisse wir haben. Sie helfen uns, diffuse Gefühle in eine aktive Lösungssuche zu verwandeln. Bereits damit verlassen wir die passive Ecke und werden aktiv und gestalterisch. Geradeso, wie es auch Pippi macht, die ja auch nicht sitzt und darauf wartet, dass etwas von allein geschieht.
Kreativität beginnt im Kopf, oder aber wir nehmen sie als Gefühle im Körper wahr. Doch wenn wir die Gedankenblitze, die spontan in uns auftauchen, lediglich aufblitzen lassen, womöglich von einer Idee zur anderen hüpfen und keine weiterverfolgen, dann passiert gar nichts. Dieses Herumspringen, dieses »Das eine anfangen und darüber das andere vergessen«, das ist ein wenig Pippilotta: Sie folgt dem Lust- und Laune-Prinzip und hat wenig Durchhaltevermögen. Sich über etwas viele Gedanken zu machen ist nicht ihr Ding: Entweder es klappt oder es klappt eben nicht. Eine solche Herangehensweise hilft jedoch, besonders im Beruf, langfristig nicht viel weiter.

Vom Impuls zur Realität

Jetzt sind Thomas und Annika gefragt! Pippilotta »macht« einfach. Sie geht beherzt, aber nicht wirklich überlegt im Leben vor. Kennen Sie diese Energie aus Ihrem eigenen Leben? In den meisten von uns steckt auch eine kleine Pippi Langstrumpf. Ihre innere Pippilotta wird vielleicht rebellisch, wenn man sie einengt, bevormundet und übergeht. Oder Sie agieren sehr schnell, wenn Sie auf etwas Lust haben und deswegen davon ausgehen, dass es Ihnen gut tut. Solche Impulse tauchen sehr schnell in uns auf und unsere Reaktionen darauf sind oft nicht wirklich überlegt: Das typische Pippi-Verhalten, so, wie Pippi eben ist.
Wenn wir aber nicht mehr nur reagieren wollen (auch auf uns selbst!), sondern tatsächlich gestalten, ist die Energie von Thomas und Annika absolut entscheidend: Sie hilft, kreative Ideen in Realität zu verwandeln.
Thomas: zuverlässig, ruhig, strategisch, mit Überblick
Annika: die Macherin mit Intuition, Umsicht und Gefühl
Ohne diese beiden Mitspieler könnte Pippi nicht die sein, die sie ist. Erst durch Thomas und Annika kann Pippi sich ausprobieren. Thomas und Annika sind gleichsam ihr Sicherheitsnetz. Die beiden bringen vermeintlich verrückte Ideen auf den Boden. Jetzt, wohl durchdacht und nicht mehr ganz so hitzig, können die kreativen Eingebungen angegangen und gestaltet werden.
Bei der Erzieherin Susanne ging es darum, mehr Ruheinseln im Berufsalltag zu finden. Das ist wichtig und für die Arbeitskraft, ihre körperliche und seelische Gesundheit, Motivation und den Teamgeist nötig. Wenn eine das Gefühl hat, alles allein zu machen, dann kann es schnell zu wirklichen Konflikten kommen. Ganz nach der Art der Villa Kunterbunt malte Susanne ein Bild und wählte dabei bestimmte Symbole für ihre Fragen und Ressourcen.

Ressourcen entdecken

• Pippi hat eine Schatztruhe: Wo liegen meine Ressourcen?
• Pippi liebt ihre Sommersprossen: Wie kann ich freundlich meine Ecken und Kanten betrachten?
• Pippi hat Kraft: Die habe ich auch! Wie drückt diese sich aus und wo mangelt es mir an Energie?
• Pippis Limonadenbaum: Gibt es versteckte Ressourcen, die ich entdecken sollte? Sehe ich alle Geschenke, die das Leben mir anbietet?
• Pippi lebt nicht allein, sie hat Herrn Nilson und das Pferd: Auf wen kann ich mich verlassen?
• Pippi hat Freunde - Thomas und Annika: Wer hilft mir, meine Wünsche zu realisieren?
Genügend Ressourcen hatte Susanne, was die Elterngespräche anging. Die fielen ihr leicht, der Ballon konnte so bleiben. Was die tägliche Abwicklung anging, fühlte sie sich momentan (das bedeutet, tagesaktuell) etwas zu sehr »ausgefüllt«. Zwei ihrer Kolleginnen, mit denen sie »sommersprossig« darüber sprach, sagten ihr zu, sie die nächsten beiden Wochen probeweise darin zu entlasten. Danach wollen alle drei sehen, ob es zu einer generellen Neuverteilung der Aufgaben kommt. Ganz spürbar war aber für die Erzieherin das Gefühl, dass sie sich auf sich selbst verlassen konnte. Sie hatte nicht alles herausgeschrien, sondern tatsächlich etwas verändert. Etwas, dass ihr jetzt das Bedürfnis erfüllte, das ihr so wichtig war: ein paar Pausen mehr in einem trubeligen Alltag.
Pippi, Thomas und Annika können Sie unterstützen, die Bedürfnisse und Wünsche, die in Ihrer Visualisierung sichtbar geworden sind, konkret umzusetzen.
• Pippi ist die Ideengeberin.
• Thomas ist der Organisator.
• Annika schaut auf die Beziehungen.
Mögen Ihre Wünsche auch noch so »verrückt« oder scheinbar weltfremd sein, Thomas und Annika bringen die tanzende Pippi schon wieder auf den Teppich und unterstützen, damit sich die ganz verrückten Ziele von den verrückten und die von den machbaren lösen.
Im NLP ist übrigens eine ganz ähnliche Strategie zu finden, die ich Ihnen noch kurz vorstellen möchte: die sogenannte Walt-Disney-Methode.

Die Walt-Disney-Methode

Walt Disney sagte einst, dass alles, was wir uns vorstellen können, auch gestaltbar ist. Ihre inneren Bilder zeigen Ihnen Ihre Wünsche und Ziele auf, das, was Sie ersehnen und erreichen möchten. Gleichzeitig ist eine solche Visualisierung auch der erste Schritt, wenn es um Realisierung geht. Wenn Sie Lust haben, dann können Sie nun Ihr Anliegen auch noch einmal mit dieser altbekannten Methode betrachten.
Robert Dilts, Mitbegründer des NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren) stellte fest, dass es unsere unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile sind, die uns helfen, kreativ zu sein und Lösungen zu finden. Der kritische Standpunkt kann mit der reinen Fantasie ein Traumpaar bilden, wenn alle Argumente gehört werden dürfen und als Schritte zum Ergebnis dienen. Genauso sah das wohl auch Walt Disney. Der Erfolg des Zeichentrickfilmkönigs ist u.a. darauf zurückzuführen, dass er im Brainstorming, wie es heißt, drei verschiedene Sessel benutzt haben soll:
• einen Sessel zum Träumen (Pippi)
• einen Sessel, um alles kritisch zu reflektieren (Thomas)
• einen Sessel zum Planen (Annika)
In manchen Büchern liest man auch, dass er in verschiedene Räume ging (so gesehen kann man die Methode auch als Teamerfahrung einsetzen). Aber vielleicht waren es auch drei Hüte, die er aufsetzte, oder drei Gläser, aus denen er trank. Wir wissen es nicht und ich war nicht dabei. Wichtig bleibt, dass zur Zielfindung verschiedene Zustände eingenommen werden: Erst wird nur geträumt, dann nur kritisiert, dann nur die Umsetzung geplant.
Üblicherweise springen wir mit den Gedanken hin und her: Wir träumen, wir kritisieren und wir setzen um. Das Durcheinander im Kopf führt dazu, dass wir wertvolle Informationen nicht wirklich wahrnehmen bzw. nicht zu Ende denken. Die Aspekte behindern einander, wenn sie gleichzeitig aktiv sind.
Lösungen lassen sich besser finden, wenn Sachverhalte nacheinander aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden.
Je mehr Wahlmöglichkeiten und Lösungen wir zur Hand haben, desto flexibler können wir reagieren und desto größer sind die Chancen, dass wir das gewünschte Ziel erreichen. Das gilt auch für Gespräche in Ihrem Team, mit Ihrem Arbeitgeber oder einem Verband. Wer in einer Situation nur eine oder zwei Möglichkeiten zur Auswahl hat, steckt schnell fest und weiß nicht mehr weiter. Häufig wird ein Ziel dann aufgegeben oder vergessen. Eine Palette verschiedener Handlungsoptionen bedeutet viele Alternativen. Alternativen machen Sie beweglich und helfen Ihnen, Ihre Strategie schnell wechselnden Umständen anzupassen. Die Erhöhung der Wahlmöglichkeiten ist das zentrale Ziel von Coaching. Und über diese Wahlmöglichkeiten und kurz- und mittelfristigen Ziele entsteht dann manchmal - und das würde ich Ihnen sehr wünschen - auch eine Vision.