18

Lady Tressilian empfing Treves mit offensichtlichem Vergnügen.

Es dauerte nicht lange, bis die beiden alten Leute Erinnerungen austauschten und über gemeinsame Bekannte plauderten.

Eine halbe Stunde später stieß Lady Tressilian einen tiefen Seufzer der Befriedigung aus.

«Ach, das war schön! Nichts geht über ein bisschen Klatsch.»

«Ein wenig Bosheit verleiht dem Leben Würze.»

«Was halten Sie übrigens von unserem Dreieck?»

Treves schien ausweichen zu wollen.

«Die zweite Mrs Strange ist eine sehr anziehende junge Dame», sagte er.

«Audrey ebenfalls», erklärte Lady Tressilian.

«Ja, sie hat Charme», gab Treves zu.

«Wollen Sie mir etwa erzählen, dass Sie es verstehen können, wenn ein Mann Audrey, die ein Mensch mit seltenen Eigenschaften ist, um… um einer Kay willen verlässt?»

Treves erwiderte ruhig: «Gewiss. Dergleichen geschieht oft.»

«Schrecklich! Wenn ich ein Mann wäre, hätte ich Kay sehr bald über und würde es bereuen, so eine Dummheit begangen zu haben!»

«Auch das geschieht oft. Eine plötzliche leidenschaftliche Verliebtheit ist selten von längerer Dauer», sagte Treves, der selber völlig leidenschaftslos aussah.

«Und was geschieht dann?», fragte die alte Dame.

«Meist gewöhnen sich die Beteiligten aneinander. Manchmal kommt es zu einer zweiten Scheidung. Dann heiratet der Mann manchmal zum dritten Mal – einen mitfühlenden Menschen.»

«Unsinn! Nevile ist doch kein Mormone.»

«Gelegentlich heiratet der Mann auch seine erste Frau wieder.»

«Ausgeschlossen! Dazu ist Audrey viel zu stolz.»

«Glauben Sie?»

«Ich bin dessen sicher.»

«Meiner Erfahrung nach hört bei den Frauen der Stolz auf, wenn es sich um Liebe handelt.»

«Sie verstehen Audrey nicht. Nachdem Nevile sie verlassen hatte, wünschte sie ihn nie mehr wiederzusehen.»

Treves hüstelte diskret.

«Und doch ist sie hier.»

«Nun ja», sagte Lady Tressilian ärgerlich. «Ich gebe zu, dass ich diese modernen Anschauungen nicht begreife. Wahrscheinlich ist Audrey nur hier, um zu beweisen, dass es ihr nichts ausmacht.»

«Möglich. Das kann sie sich sehr gut einreden.»

«Sie meinen, dass sie im Grunde noch an Nevile hängt, und dass… o nein! So etwas will ich nicht glauben!»

«Eine Spannung ist jedenfalls vorhanden», sagte Treves bedächtig. «Sie ist fast greifbar.»

«Sie fühlen sie also auch?», fragte Lady Tressilian scharf.

«Ich bin verwirrt, das muss ich gestehen. Die wahren Empfindungen der Beteiligten bleiben verborgen, aber meiner Meinung nach hocken wir auf Dynamit. Die Explosion kann jede Minute erfolgen.»

«Was lässt sich dagegen tun?»

«Das weiß ich leider auch nicht. Irgendwo gibt es einen Brennpunkt, aber da er im Dunkeln liegt, lässt sich schwer sagen, wo man ansetzen sollte.»

«Ich habe keineswegs die Absicht, Audrey zu bitten, abzureisen. Soweit ich es beurteilen kann, hat sie sich in dieser schwierigen Lage tadellos benommen. Sie war stets höflich, aber reserviert. Ihr Verhalten ist untadelig.»

«Sicher, sicher», nickte Treves. «Aber trotzdem übt sie auf Nevile eine starke Wirkung aus.»

«Nevile benimmt sich nicht korrekt. Ich werde mit ihm darüber sprechen. Aber ich könnte ihn keinesfalls an die Luft setzen. Matthew betrachtete ihn nun einmal als seinen Adoptivsohn.»

«Ich weiß.»

Lady Tressilian seufzte. Mit gedämpfter Stimme fragte sie: «Wissen Sie auch, dass Matthew hier ertrunken ist?»

«Ja.»

«Viele Leute haben sich gewundert, dass ich hiergeblieben bin. Aber hier fühle ich mich ihm nahe. Ich hatte immer gehofft, dass ich ihm bald folgen würde, aber es scheint, dass ich noch lange auf Erden bleiben soll – hilflos, von andern abhängig – »

«Aber Sie haben sehr treue und ergebene Angestellte, nicht wahr? Und sicher ist es auch ein großes Glück für Sie, dass Sie Miss Aldin haben.»

«O ja. Ich bin froh, dass Mary da ist.»

«Ist sie verwandt mit Ihnen?»

«Eine entfernte Nichte. Sie gehört zu jenen selbstlosen Geschöpfen, die sich immer für andere aufopfern. Erst hat sie ihren Vater gepflegt, und nun sorgt sie für mich und mein Haus. Sie ist außerordentlich gescheit und belesen. Zudem hat sie eine geschickte Art, alle Streitigkeiten und Ärgernisse zu vermeiden.»

«Ist sie schon lange bei Ihnen?»

«Seit zwölf Jahren – nein, schon länger. Dreizehn… oder vierzehn. Sie war mir von jeher ein großer Trost.»

Treves nickte.

Lady Tressilian, die ihn durch halbgeschlossene Lider betrachtete, sagte plötzlich:

«Was ist los? Sie machen sich über etwas Gedanken?»

«Ein bisschen», antwortete Treves. «Nur ein bisschen. Sie haben sehr scharfe Augen.»

«Ich liebe es, die Menschen zu beobachten. Ich merkte immer sofort, wenn Matthew sich irgendwelche Sorgen machte.»

Sie seufzte abermals und lehnte sich in die Kissen zurück.

«Ich muss Ihnen jetzt gute Nacht sagen. Ich bin müde. Aber es war mir ein großes Vergnügen. Kommen Sie bald wieder zu mir.»

«Sie können sich darauf verlassen, dass ich von Ihrer freundlichen Einladung Gebrauch machen werde. Ich hoffe nur, dass ich Sie nicht zu sehr angestrengt habe.»

«O nein. Ich werde immer ganz plötzlich müde. Seien Sie so gut und läuten Sie für mich, ja?»

Treves zog bedächtig an dem altmodischen Glockenstrang, der in einer großen Quaste endete.

«Eine richtige Antiquität», bemerkte er.

«Meine Glocke? Ja. Ich mag dieses elektrische Zeug nicht. Meistens ist so eine elektrische Klingel nicht in Ordnung, und dann drückt man vergebens auf den Knopf. Dieses Ding versagt nie. Die Glocke läutet oben in Barretts Zimmer – sie ist über ihrem Bett angebracht. So kann Barrett immer rasch kommen, und wenn es einmal länger dauert, läute ich einfach nochmal.»

Als Treves das Zimmer verließ, hörte er, wie der Strang abermals gezogen wurde, und vernahm von irgendwo über seinem Kopf das Klingeln. Er schaute auf und bemerkte die Drähte, die sich längs der Decke hinzogen. Barrett kam eilends die Treppe herunter und ging an ihm vorbei, um dem Ruf ihrer Herrin Folge zu leisten.