20.

Als es längst dunkel ist, trudeln Exorzist, Bio, Ingenieur und Banker völlig erschöpft im Lager ein. Sie haben bei der letzten Challenge so total versagt, dass sie mit einem Van abgeholt werden mussten. Ihre Fahrt wird rausgeschnitten werden, ihr Scheitern nicht. Würde die vierte Episode von Im Dunkeln je gesendet werden, sähe man als Erstes die Szene, wie sich der fiktive Eli Schuster mit einem blutbefleckten Lappen um die Stirn durch den Wald schleppt. Ein Flashback, der unaufgelöst bleibt.

Alle noch verbliebenen Kandidaten sitzen um ein Feuer herum.

»Was wohl mit ihm passiert ist?«, sagt Bio.

Zoo wirft einen Stock in die Flammen. »Unserer ist von einer Klippe gestürzt«, sagt sie.

Bio starrt sie an und fragt: »In echt?«

Zoos Reaktion ist unmissverständlich: ein Blick, der besagt, nein, nicht in echt, schon vergessen, wo wir hier sind? Ein Blick, der nicht gezeigt werden kann, nicht gezeigt werden wird, auch wenn der Cutter gerade das an ihr mag. Trotz der Erschöpfung, die ihn vor seinem Monitor überkommt.

Exorzist versucht, sich einen Eichhörnchenschwanz ums Handgelenk zu binden. »Wir finden ihn schon noch«, sagt er. Er nimmt ein Ende des Schwanzes zwischen die Zähne und zieht den Knoten fest. Durch das Fell hindurch fügt er hinzu: »Wenn nicht in dieser Welt, dann in der nächsten.«

»Halt die Klappe«, fordert die Kellnerin ihn auf, aber halbherzig.

Auch Exorzist ist müde. Er tut so, als hätte er nicht hingehört.

Tracker sitzt abseits, eine schemenhafte Figur weit vom Feuer entfernt. Als die Kellnerin anfängt, über ihren schmerzenden Fuß zu lamentieren, steht Zoo auf und geht zu Tracker hinüber. Sie setzt sich so nah neben ihn, dass ihre Knie sich berühren. »Alles okay?«, fragt sie.

Tracker hält sein Mikro mit einer Hand zu und sagt dann: »Nein.«

In der Nacht schlafen die Kandidaten gemeinsam auf engstem Raum in einem wackeligen, hastig errichteten Unterschlupf. Am nächsten Morgen versammeln sie sich vor dem Moderator, argwöhnisch.

Der Moderator, der neben dem Pfahl steht, an dem Cheerleaders pinkes Bandana hängt, begrüßt sie, zieht dann ein neongelbes Bandana aus seiner Jackentasche und rammt es gleichfalls an das Holz. Das Überraschendste an der Aktion ist diesmal die Erinnerung daran, dass seit Schreiner-Girls Aufgeben erst eine Nacht vergangen ist. Banker denkt an den stabilen, prächtigen Unterschlupf in ihrem letzten Lager, wirft dann einen Blick nach hinten auf die hässliche Konstruktion aus herabgefallenen Ästen, in der sie letzte Nacht geschlafen haben.

»Gestern«, sagt der Moderator, »war für uns alle ein harter Tag.«

Uns alle?, formt Zoo lautlos mit den Lippen.

»Was weiß der denn schon?«, flüstert die Kellnerin.

Der Moderator spricht weiter: »Aber wie ihr wisst, war eine Gefährtin von euch überfordert, die schon ausgestiegen ist, noch ehe ihr mit eurer letzten Challenge angefangen habt.« Er schreitet vor ihnen auf und ab und hält dabei Schreiner-Girls Rucksack hoch. »Heute habe ich nur einen Ausrüstungsgegenstand zu vergeben.« Er holt eine volle Wasserflasche aus dem Rucksack hervor.

Hätte er dieses Material je zu sehen bekommen, hätte der Cutter jetzt auf Schreiner-Girl übergeblendet, wie sie im Fond eines Autos mit getönten Scheiben davonfährt. »Meiner Ansicht nach gibt es nur eine andere Frau, die die Chance hat, irgendwas zu gewinnen«, sagt sie. »Sie soll mein Wasser kriegen. Frauenpower und so.«

Der Moderator reicht Zoo die Trinkflasche.

»Danke«, sagt sie, nicht sonderlich überrascht. Sie hat sich eine fünfzigprozentige Chance auf die Flasche ausgerechnet, die anderen fünfzig Prozent bei Ingenieur gesehen. Ingenieur hat die Chancen in etwa genauso verteilt, allerdings Zoo im Vorteil gesehen – sechzig:vierzig, dachte er.

Der Moderator geht zurück zu dem Pfahl. »Der heutige Tag verspricht noch anspruchsvoller als der gestrige zu werden.«

Ein Kameramann unterbricht ihn mit einem lauten, trockenen Husten. Alle drehen sich zu ihm um. Er steht links von der Gruppe, derselbe Kameramann, der sie gestern auch unterbrochen hat. Zoo hat allen Kameramännern insgeheim einen Spitznamen verpasst, und der da heißt für sie Dussel. »’tschuldigung«, sagt Dussel. »Sorry.« Seine Stimme klingt schwach. Er hustet erneut und krümmt sich dabei. Er hat einen richtigen Hustenanfall. Der Produzent geht zu ihm, und die beiden sprechen leise miteinander, immer wieder unterbrochen von lauten Hustern. Der Moderator hält Abstand, sichtlich angewidert. Nach einem Moment entfernt sich der Kameramann zusammen mit dem Produzenten, der dem Moderator bedeutet, weiterzumachen.

»Gut, dass sie jede Menge Ersatz haben«, sagt Ingenieur zu Zoo und deutet auf das halbe Dutzend andere Kameramänner, die in der Nähe herumlaufen. Für Zoo heißen sie: Marathonmann, Slim, Wallaby, der Klempner, Ziegenfresse und Kaffee-Atem, obwohl sein Atem nur einmal nach Kaffee roch, aber das genügte. Nur ein Bruchteil der Crew.

Der Moderator hüstelt ein Alle-mal-herschauen-Hüsteln. »Der heutige Tag verspricht noch anspruchsvoller als der gestrige zu werden«, sagt er noch mal. »Kommt mit.«

Während sie dem Moderator folgen, sagt Air Force zu Black Doctor: »Wir haben gar keine Belohnung dafür bekommen, dass wir den Typen gestern gefunden haben.«

»Stimmt«, sagt Black Doctor. »Das ist seltsam.«

Zoo hat mitgehört und denkt: Eure Belohnung war, dass ihr kein Portemonnaie aus einer blutgetränkten Hosentasche fischen musstet. Dass ihr nicht mitansehen musstet, wie der Mann abstürzt. Tracker geht neben ihr und denkt darüber nach, wie aberwitzig es ist, Belohnungen für eine Farce zu erhalten.

Die Gruppe erreicht die kleine Lichtung oben auf der Klippe von gestern, wo der Experte mitten zwischen zehn farblich markierten Stationen steht. Er trägt dasselbe Flanellhemd wie bei seinem ersten Auftritt und begrüßt die Teilnehmer mit einem unwirschen Kopfnicken. Der Moderator tritt neben ihn und sagt: »Bis jetzt habt ihr moderne Hilfsmittel zum Feuermachen zur Verfügung gehabt. Jetzt müsst ihr lernen, wie Feuer gemacht wurde vor der Erfindung von Streichhölzern, vor der Erfindung von« – er schaut gezielt Zoo an – »Feueranzündern. Ihr müsst einen Drillbogen benutzen.«

»Ich bin hier, um euch die Methode zu zeigen«, sagt der Experte. »Kommt näher und passt gut auf.« Er kniet sich hin und zeigt nacheinander die Einzelteile seines Drillbogen-Sets: ein Holzbogen, der mit einer Schnur aus Hirschsehne bespannt ist, ein dünnes Holzbrett als Unterlage, eine daumendicke Spindel aus härterem Holz, ein handtellergroßer Stein und ein Bündel Zunder aus zusammengezwirbelten Grashalmen und Bastfäden. Im Nu hat er die Spindel in die Bogenschnur eingespannt und drückt sie auf das Brettchen, das er mit einem Fuß auf der Erde stabilisiert. Den Stein nimmt er in die Hand und legt ihn oben auf die angespitzte Spindel. Er drückt mit dem Stein die Spindel auf das Brettchen und fängt an, den Bogen waagerecht zum Boden vor und zurück zu bewegen, was die Spindel in Drehung versetzt. Der Experte beschleunigt das Tempo der Bogenbewegungen. Ein dünnes Rauchfähnchen weht auf. Für die Uneingeweihten: Zauberei. Die Kellnerin schnappt nach Luft. Sogar Tracker ist beeindruckt – er hätte es selbst nicht besser machen können.

Der Experte nimmt die Spindel vom Holzbrettchen, und zum Vorschein kommt eine angekohlte Mulde mit weichem schwarzem Abrieb. Er schneidet mit seinem Messer eine Kerbe bis in die Mitte der Mulde. »Jetzt geht es darum, in der Kerbe Glut zu erzeugen«, sagt er. Er legt ein Stück Rinde unter das Brettchen, spannt die Spindel wieder ein und lässt sie mit dem Bogen kreisen. Rauch steigt auf, aber der Experte macht weiter. Der Rauch wird dichter. Der Experte nimmt die Spindel vom Brettchen, und in der eingekerbten Mulde liegen winzige glühende Kohlepartikel, die er auf das Zunderbündel kippt. Er nimmt das Bündel in die Hände und bläst vorsichtig auf die Glut, die orange aufflackert. Noch einmal blasen, und die ersten Flammen züngeln.

Der Experte hält den brennenden Zunder von seinem Gesicht weg. »Den Rest kennt ihr«, sagt er. Er lässt das Bündel fallen und tritt es aus. »Viel Glück.«

Der Moderator tritt hinzu. »Wer als Erster sein Zunderbündel zum Brennen bringt, hat gewonnen«, sagt er. »Los!«

Die Kandidaten streben zu ihren jeweiligen Stationen – außer Exorzist, der an seinem giftgrünen Holzbrettchen vorbeigeht und zu Trackers rotem sprintet. Er schnappt sich das Brettchen und schleudert es über den Klippenrand. »Jetzt haben wir anderen –«

Air Force packt Exorzists Arm und dreht ihn ihm auf den Rücken. Exorzist schreit auf.

»Was soll der Scheiß?«, sagt Air Force.

»Ich hab bloß für Chancengleichheit gesorgt«, sagt Exorzist, der sich windet, um den schmerzhaften Druck zu lindern.

Tracker tritt an den Klippenrand und schaut nach unten. Er bereut, dass er nicht zu seiner Station gerannt ist. Er hatte es nicht für nötig gehalten, sich zu beeilen, weil er sicher war, diese Challenge auf jeden Fall zu gewinnen.

Black Doctor berührt Air Force am Arm. »Hey, reg dich ab«, sagt er.

Air Force erstarrt kurz, entspannt sich dann. »Sorry«, sagt er. Er lässt Exorzists Arm los.

Exorzist schlägt ihm mit der Faust in den Magen.

Air Force fährt zurück, eher vor Überraschung als vor Schmerz.

»Das war kein Schlag ins Gesicht!«, sagt Exorzist. »Und auch nicht in die Genitalien!« Er greift in seine Tasche, zieht einen Eichhörnchenschwanz heraus und wirft ihn in Richtung Air Force. Der Schwanz flattert nach unten und landet vor seinen Füßen. »Zeig uns doch mal deine Embryonalhaltung«, ruft er. Ein zweiter Eichhörnchenschwanz fliegt, trifft Air Force am Knie. Air Force starrt Exorzist perplex an.

Black Doctor tritt zwischen sie. »Na, na, na«, sagt er. Ein Eichhörnchenschwanz klatscht ihm an die Brust.

Tracker entfernt sich von der Gruppe; er wird die Sache selbst in die Hand nehmen.

Exorzist schnallt seinen Rucksack ab. Er geht in die Hocke und holt eine weitere Handvoll Eichhörnchenschwänze heraus.

Black Doctor blickt den Moderator hilfesuchend an.

»Ich bin sicher, ihr könnt das unter euch regeln«, sagt der Moderator.

Ein Eichhörnchenschwanz zischt dicht am Ohr von Black Doctor vorbei.

»Nimm doch einfach sein Brettchen«, ruft Bio von ihrer orangen Station aus Tracker zu.

Tracker hat ein Stück Holz gefunden. Er nimmt sein Messer.

»Der schnitzt sich ein neues!«, ruft Exorzist. Er wirft einen Schwanz in Richtung Tracker; er landet gut fünf Meter vor ihm.

»Riecht ihr Rauch?«, fragt Air Force. Alle an dem Konflikt Beteiligten drehen sich um und sehen, dass Ingenieur mit dem Drillbogen die Spindel rotieren lässt und dass von seinem weinrot-braun gestreiften Brettchen bereits Rauch aufsteigt. Ingenieur ist ein Naturtalent und selbst denjenigen weit voraus, die sich gleich an die Challenge gemacht haben, statt sich von Exorzists Theater ablenken zu lassen. Zoo hat es noch nicht einmal geschafft, ihre blaue Spindel zum Rotieren zu bringen, die ihr immer wieder aus der Bogensehne springt. Die Kellnerin versucht, ihre Spindel auf das Brettchen zu stellen, ohne sie in den Bogen einzuspannen. Auch Bio gelingt es nicht, die Drehbewegung hinzubekommen. Banker reißt seinen Bogen kräftig vor und zurück, doch die Spindel erzeugt statt Rauch ein quietschendes Geräusch.

Exorzist hastet zu seinem giftgrünen Set, und Air Force wendet sich seinem dunkelblauen zu. Black Doctor tritt auf dem Weg zu seiner senfgelben Station auf einen Stein, rutscht ab und fällt schwer auf die rechte Hand. Er hört, wie ein Gelenkband reißt. Er stemmt sich auf die Knie, das Handgelenk fest an den Körper gedrückt. Es schwillt bereits an; Blut, das sich sammelt, drückt schmerzhaft gegen die Haut.

Air Force ist bei ihm. »Doc? Alles in Ordnung?«, fragt er.

»Brauchst du einen Sani?«, fragt der Moderator.

»Ist nicht so schlimm«, beruhigt Black Doctor seinen Freund, doch dann sieht er dem Moderator in die Augen und nickt. »Sani, bitte.« Eine Praktikantin führt ihn weg. Air Force sieht ihm nach, bis er zwischen den Bäumen verschwunden ist, wendet sich dann widerwillig erneut seiner Station zu. Er weiß, dass er bereits zu viel Zeit verloren hat, um die Challenge überhaupt noch gewinnen zu können.

Ingenieur hat die Kerbe in die Mulde geschnitzt und spannt die Spindel wieder in den Bogen. Tracker ist mit seinem neuen Brettchen fast fertig, aber es ist zu spät. Als er anfängt, die Spindel zu drehen, hat Ingenieur bereits Glut erzeugt. Es wird noch einmal kurz spannend, als Ingenieur die Glut auf das Bündel Zunder kippt und pustet, doch dann entzündet sich das Bündel, und der Moderator ruft: »Wir haben einen Gewinner!«

Ingenieur legt seinen brennenden Zunder vorsichtig auf die Erde. Er lächelt verlegen, aber stolz. »Muss ich es austreten?«, fragt er.

Tracker lässt sein Set fallen und marschiert auf Exorzist zu.

Der sitzt im Schneidersitz auf der Erde, die Spindel in einer Hand, den Drillbogen in der anderen. »Hey, ich –«, setzt er an.

Tracker packt ihn an der Jacke und zieht ihn auf die Beine. Exorzist lässt Spindel und Bogen fallen.

»Du denkst, du bist irgendwie unheimlich«, sagt Tracker. Er hat das Gesicht ganz nah an das von Exorzist geschoben, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, während die von Exorzist weit aufgerissen sind. Trackers Stimme ist kalt, ruhig. »Aber da liegst du falsch. Noch so eine Nummer von dir, und ich sorge dafür, dass du die Eichhörnchen beneidest, mit deren Fell du Schindluder treibst. Ist das klar?«

»Ach du Scheiße«, flüstert die Kellnerin, deren Miene zwischen Schock und Schadenfreude schwankt, als sie Exorzist wie verrückt nicken sieht. Alle gucken zu. Der Moderator kommt unsicher näher. Er hätte nie gedacht, dass Tracker, der immer ruhig Blut bewahrt hat, so aus der Haut fahren würde. Auch Exorzist hat nicht damit gerechnet, nicht mal, als er es förmlich kommen sah. Zoo versteht als Einzige, dass es hier nicht um Exorzist geht. Sie würde Tracker gern am Arm fassen und wegführen, ihm sagen, er soll sich nicht aufregen, es ist bloß ein Spiel. Ihn daran erinnern, warum er hier ist. Aber sie hat Bedenken, wonach es aussehen könnte, wenn sie zu ihm geht, was es bedeuten könnte – also tut sie es nicht.

Tracker lässt Exorzist los, behält aber seine reglose Haltung und den stählernen Blick so lange bei, bis Exorzist klein beigibt und einen Schritt zurückstolpert. Als Exorzist anfängt, eine leise Entschuldigung zu stammeln, wendet Tracker sich ab und geht zu seiner Station zurück. Ehrfürchtige Stille legt sich über die Lichtung.

Ingenieurs brennender Zunder ist vor seinen Füßen erloschen. Der Moderator versucht, wieder Herr der Lage zu werden, und klopft ihm auf den Rücken. »Zeit für deine Belohnung!«, ruft er. Die Kandidaten kommen nach und nach zu ihm herüber. Exorzist ist als Letzter da und stellt sich möglichst weit weg von Tracker.

Unterdessen sagt Black Doctor außer Sicht zu dem Sanitäter: »Ich hab es reißen hören«, und sie tauschen einen wissenden Blick. Dann sieht Black Doctor direkt in die Kamera, und er sagt mit nur einem ganz leichten Anflug von Verbitterung: »Ad tenebras dedi.«

Der Moderator sagt zu Ingenieur: »Als Erstes darfst du dir jemanden von den anderen aussuchen, der mit dir von deiner Belohnung profitiert.«

Ingenieur nennt Zoo, ohne groß zu überlegen. Sie tritt vor und stellt sich neben ihn.

Der Moderator holt zwei Packungen Nudeln aus der Sporttasche hervor.

Zoo hat beschlossen, so zu tun, als wäre nichts Ungewöhnliches passiert – die Rolle zu spielen, die ihr zugeschrieben wurde. Sie nimmt die 500-g-Packung Penne und grinst, bis es weh tut. »Pasta!«, sagt sie, tut alles, um ihre Entgleisung vom Vorabend wettzumachen. »Danke.« Ingenieur freut sich über ihre Reaktion genauso wie über seine eigene Packung Penne.

»Und außerdem«, sagt der Moderator, »dürft ihr beide von einem anderen Kandidaten einen Ausrüstungsgegenstand stehlen.« Die Kellnerin keucht auf; Bio verzieht das Gesicht; Air Force ist es egal, er sorgt sich um Black Doctor. »Aber bevor ihr euch entscheidet, solltet ihr wissen, dass die nächste Stufe dieses Wettbewerbs eine längere Solo-Challenge ist. Von heute Abend an ist jeder von euch völlig auf sich allein gestellt.«

Wird auch Zeit, denkt Zoo. Tracker blickt zu Boden und denkt das Gleiche. Die meisten anderen stöhnen auf.

Ingenieur sucht sich als Erster etwas aus und nimmt Trackers Thermodecke. »Sorry, Mann«, sagt er. Ingenieur friert leicht, selbst jetzt, in der warmen Nachmittagsluft, ist ihm kalt.

»Alles andere, außer der Decke, kann jetzt dir gehören«, sagt der Moderator zu Zoo.

Zoo denkt an ihre Pasta und daran, wie sie sie zubereiten soll. Ihre Plastikflaschen würden im Feuer schmelzen. Auch den Versuch, sie auf heißem Stein zu erhitzen, würden sie wohl nicht unbeschadet überstehen. »Ich nehme eine von deinen Metalltassen«, sagt sie zur Kellnerin. Sie hat kein schlechtes Gewissen, sieht keinen Grund, sich zu entschuldigen. Die Kellnerin hat schließlich zwei.

Ein Praktikant taucht aus dem Wald auf; er schleppt einen Rucksack und den Pfahl mit den rosa und gelben Bandanas. Er stellt den Pfahl neben dem Moderator auf und flüstert ihm etwas ins Ohr.

»Was ist passiert?«, fragt Air Force und dreht sich rasch zum Wald um. »Wo ist Doc?«

»Der gute Doc hat es nicht geschafft«, sagt der Moderator. Mehr weiß er nicht, aber er sagt das so, als ob er irgendetwas verschweigt, und Air Force würde ihm am liebsten eine reinhauen. Der Moderator holt Black Doctors senfgelbes Bandana hervor und rammt es an den Pfahl.

»Was ist passiert?«, fragt Air Force noch einmal.

Der Moderator ignoriert ihn, geht dann zum Setproduzenten hinüber und berät sich mit ihm. Als er wiederkommt, spricht er so, als wäre er gar nicht weg gewesen. »Im Hinblick auf die Bedingungen eurer nächsten Challenge werden wir seine Ausrüstungsgegenstände verteilen.« Er nimmt zwei Wasserflaschen und die Wasserreinigungstabletten aus dem Rucksack. »Es wird sicher keinen von euch überraschen, an wen die Sachen hier gehen.« Er reicht Air Force die Tabletten und eine Flasche. Die zweite Flasche bekommt Banker, der so nett zu Black Doctor war, als der sich die Hand verletzte. »Aber eine Überraschung haben wir.« Mit Schwung fördert er die schwarze Mülltüte zutage, die Black Doctor von Cheerleader bekommen hat. »Die hier geht an …« Er mustert die Kandidaten, und dann dreht er den Kopf ruckartig zu Zoo. »Dich.«

»Was?«, sagt Zoo. Sie hat ein paarmal mit Black Doctor geplaudert, aber nie ein persönliches Gespräch mit ihm geführt. Das Geschenk, so klein es auch sein mag, ist ihr ein Rätsel.

Die Kellnerin guckt mürrisch aus der Wäsche, als sie das sieht. Würde diese Folge je bearbeitet, je gesendet werden, würde an dieser Stelle von ihrem angesäuerten Gesicht auf Black Doctor übergeblendet. »Ich hoffe, Ethan gewinnt«, sagt er. Er sitzt auf einem Baumstamm, den Arm in einer Schlinge. »Gebt ihm die Tabletten und eine von den Wasserflaschen. Elliot kann die andere haben.« Er schließt für einen Moment die Augen, hat sichtlich Schmerzen. »Die Mülltüte? Gebt sie der Frau, der Blonden mit den grünen Augen, die sich so anstrengt. Sie hat die richtige Motivation.« Und dann hilft ihm ein Sanitäter auf und führt ihn den Pfad hinunter. Einen Moment später dreht sich der Kameramann weg, und der Sanitäter lässt Black Doctors Arm los.

Der Moderator reicht jedem Kandidaten eine markierte Orientierungskarte. »Auf diesen Karten sind die Stellen eingetragen, wo ihr jeweils übernachten werdet. Neue Instruktionen erhaltet ihr morgen früh. Im Lauf dieser Solo-Challenge werden jedem von euch neue Vorräte zur Verfügung gestellt, aber sie werden nicht auffällig platziert sein. Haltet also die Augen auf und denkt dran, welche Farbe ihr habt, sonst verhungert ihr.«

»Wie lange wird die Challenge dauern?«, fragt Rancher.

»Ihr werdet es merken, wenn sie zu Ende ist.«

»Was sollen wir essen?«, fragt die Kellnerin. Sie hat fast keinen Reis mehr. Ihr vorwurfsvoller Blick gleitet zu Air Force.

»Wie gesagt, haltet die Augen auf – sonst verhungert ihr.« Dem Moderator gefällt der Spruch. Heute Nacht wird er in einem Hotel schlafen, und während er sich bettfertig macht, wird er ihn mit unterschiedlichen Betonungen und Gesten üben. »Viel Glück«, sagt er und tritt ein paar Schritte beiseite, ins Off.

Tracker orientiert Karte und Kompass und wendet sich dann der Gruppe zu. Er sucht Augenkontakt mit Zoo und formt lautlos mit den Lippen: Du schaffst das. Dann geht er davon, in Richtung des ersten auf seiner Karte markierten Orientierungspunktes: ein kleiner See etwa eine Meile nördlich. Der Verlust seiner Thermodecke macht ihm nichts aus; er hat sie kein einziges Mal benutzt.

Ingenieur und Zoo sind noch dabei, ihre neuen Utensilien zu verstauen, als Rancher, Air Force, Bio und Banker bereits ihre jeweiligen Routen einschlagen. Die Kellnerin schaut auf ihre Karte und beißt sich auf die Lippe – unbewusst. Sie hat Angst. Exorzist sieht das. Er ist selbst noch immer ein bisschen aus der Fassung, und zum ersten Mal spricht er sie freundlich an. »Du kriegst das schon hin«, sagt er.

»Ich weiß«, blafft sie.

In Exorzist steigt sofort wieder Wut hoch. »Vielleicht ja auch nicht. Vielleicht verhungerst du oder fällst in irgendein Loch. Wäre so oder so kein Verlust.« Er grinst sie ein letztes Mal höhnisch an, geht dann den Pfad hinunter zurück zu der Stelle, wo die Gruppe die Nacht verbracht hat.

Ingenieur bleibt kurz bei der Kellnerin stehen, ehe er Exorzist folgt. »Viel Glück«, sagt er.

Die Kellnerin erwidert sein aufrichtiges Lächeln. Dann holt sie tief Luft. »Du schaffst das«, sagt sie zu sich selbst.

Zoo schaut ihr nach und folgt dann ihrer eigenen Karte in den Wald nach Osten.

Die Kandidaten erreichen nach und nach ihre jeweiligen Lagerplätze – kleine Stellen im Wald oder auf einer Wiese, nur markiert mit einem Drillbogen-Set in der ihnen zugewiesenen Farbe – und richten sich für die Nacht ein, mit mehr oder weniger Annehmlichkeiten. Zoo wirft den Drillbogen beiseite, macht mit ihrem Anzünder Feuer und lässt sich Pasta ohne alles schmecken. »Es ist schön, allein zu ein«, sagt sie. Ingenieur ist wieder mit seinem Drillbogen erfolgreich und bereitet sich ebenfalls etwas Warmes zu, in einem mit Blättern ausgelegten Erdloch. »Selbst ist der Mann«, sagt er. Er legt sich die Thermodecke über die Schultern, während er isst. Schon bald bibbert er trotzdem.

Die Kellnerin baut einen niedrigen Wetterschutz und lenkt sich von ihrer Angst ab, indem sie sich auf die aufsteigende Übelkeit in ihrem ansonsten leeren Bauch konzentriert. »Ich verhungere«, sagt sie, obwohl sie weiß, dass das nicht stimmt. Exorzist pult aus einem halbverrotteten Baumstamm ein paar Maden, die er mit großer Theatralik kaut und schluckt. Bio denkt an ihre Lebensgefährtin zu Hause und knabbert Minzeblätter, die sie in der Nähe ihres Lagers gepflückt hat. Rancher zieht seine Stiefel aus und bringt ein Sporenrädchen zum Kreisen, während er die Zehen streckt. Banker fährt sich mit einer Hand durchs schweißnasse Haar, baut dann ein kleines Lagerfeuer. »Bloß noch neun Streichhölzer übrig«, sagt er.

Zwei der Solo-Lager sind anders. Auf Air Force wartet ein dunkelblaues Zelt, auf Tracker ein rotes. Keinem der beiden Männer ist klar, dass das ihre Belohnung ist, weil sie gestern innerhalb der gesetzten Frist ihren verirrten Wanderer gefunden haben. Sie nehmen an, dass auch die anderen ein aufgebautes Zelt bekommen haben. Tracker kriecht wortlos hinein, streckt sich aus und schließt die Augen. Air Force bleibt kurz vor dem Zelteingang stehen; er ist noch immer wütend. Er möchte zurückgehen und Black Doctor holen. Aber das hier ist kein Kriegsgebiet oder auch nur eine Militärübung, und andere zurücklassen ist nun mal das Wesen eines Wettkampfes. »Was sagst du zu –«, setzt sein Kameramann an, doch Air Force unterbricht ihn mit einem barschen »Nein«.

Einige hundert Meter entfernt baut ein Praktikant ein senfgelbes Zelt ab.