Aus der Reihe »Utopia-Classics« Band 6

Frederik Pohl und Jack Williamson

Städte unter dem Ozean

Der Kampf um die Tiefsee-Festung

Titel des Originals: UNDERSEA FLEET

Aus dem Amerikanischen übertragen von Lern Sobez

1. Tiefenrausch

Um vier Uhr morgens marschierten wir an Bord des Übungsschiffs.

Es dämmerte noch nicht einmal. Die See war ein glatter, schwarzer Spiegel, der langsam unter den Sternen heranrollte. Wir standen stramm. Aus dem Augenwinkel sah ich die Docks der Tiefsee-Akademie, nur ein Lichtspritzer vor der dunklen Linien der Bermudas.

»Kadetten - Ach-tung!« bellte Captain Roger Fairfane.

Die ganze Formation bewegte sich wie ein Mann. Das Übungsschiff war ein riesiges Tiefsee-Floß und ungefähr so schön und gemütlich wie ein Eisberg. Die Tiefsee-Schlepper schwärmten wie geschäftige kleine Tümmler herum, zogen und zerrten an uns und schleppten uns hinaus auf die See. Wir waren noch an der Oberfläche, doch das Floß begann nun schon zu tauchen und wurde von den langen Wellen der offenen See verschluckt.

Mich fröstelte, und daran war nicht nur der Wind schuld, der vom Atlantik hereinwehte. Es war die Aufregung. Ich war wieder an der Tiefsee-Akademie! Deutlich spürte ich auch den begeisterten Eifer von Bob Eskow neben mir. Wir beide hatten schon alle Hoffnung aufgegeben gehabt, jemals wieder auf der Musterrolle der Kadetten zu stehen, und jetzt waren wir doch wieder hier!

»Jim«, wisperte mir Bob zu, »dir geht es doch auch sehr nahe, was? Ich hoffe allmählich ...«

Plötzlich schwieg er, weil von der ganzen Formation nicht einmal mehr ein Atemzug zu vernehmen war. Ich wußte aber auch so, was er gemeint hatte.

Bob und ich - übrigens, ich bin Jim Eden, Kadett an der Tiefsee-Akademie - hatten ja für eine ganze Weile die Hoffnung aufgegeben. Wir waren praktisch aus der Akademie hinausgeworfen worden, aber wir hatten uns den Weg zurück erkämpft, und nun waren wir wieder Kadetten mit allem, was dazugehörte. Für uns begann ein neues Jahr mit den traditionellen Eignungstests im Sporttauchen. Und das war Bobs Problem, denn da war etwas in seinem Wesen, gegen das er ankämpfte, doch er wurde nie ganz damit fertig. Für ihn war das Sporttauchen etwa so schwierig wie das Fallschirmspringen für einen Mann, der sich vor Höhen fürchtet. Nein, Angst war es nicht, auch nicht Schwäche, es war nur ein Teil von ihm.

»Abzählen!«

Der Befehl kam von Captain Fairfane, und einer nach dem anderen aus der langen Reihe röhrte seine Zahl. Noch immer war es dunkel, und ich konnte nicht einmal das Ende dieser Reihe sehen, doch Cadet Captain Fairfane war im Licht seines Stabes, in dessen Spitze ein Licht brannte, zu erkennen. Es war ein großartiges Bild, dieser straffe Offizier und die strammen Reihen der Kadetten, die fast in der Finsternis untergingen, und das mattglänzende Deck des Übungsschiffs, eingerahmt von den weißen, phosphoreszierenden Wellenkämmen.

Wir waren die Männer, die bald die Tiefsee-Flotte kommandieren sollten!

Alle hatten wir unerhört hart gearbeitet, um da sein zu können, wo wir waren. Deshalb ging Bob Eskow Tag für Tag mit grimmiger Entschlossenheit durch die harten Tests, die einen Schwächeren hätten umbringen können, durch Arbeit und Studium. Die Tiefsee ist eine Droge, pflegte mein Onkel Stewart Eden zu sagen, und er widmete ihr sein ganzes Leben. Manchmal ist sie tödlich bitter, doch hat man sie erst einmal geschmeckt, kann man nicht mehr ohne sie sein.

»Crew-Kommandeure, Bericht!« röhrte Captain Fairfane.

»Crew eins, alleanwesendundeinsatzfähigSir!«

»Crew zwei, alleanwesendundeinsatzfähigSir!«

»Crew drei, alleanwesendundeinsatzfähigSir!«

Der Captain erwiderte den Salut der drei Crew-Kommandeure, machte eine zackige Kehrtwendung und salutierte vor Lieutenant Blighman, unserem Seetrainer. »Al-leanwesendundeinsatzfähigSir!« schmetterte er.

Seetrainer Blighman erwiderte den Salut; er stand im Lee des Bugaufbaus. Schnell trat er vor. Er hatte den leichten, lockeren Schritt eines alten Tiefsee-Mannes und war ein großer, brauner, grobknochiger Mann mit dem Gesicht eines verhungernden Haies. Für uns war er nur ein Schatten, denn erst eine Ahnung rosafarbenen Glühens erschien am Horizont. Ich fühlte aber, wie seine hungrigen Augen über uns schweiften. Trainer Blighman war in der ganzen Akademie bekannt als harter, äußerst genauer Offizier. War es nötig, so verbrachte er Stunden damit, sich davon zu überzeugen, daß auch der allerletzte Kadett in seinen Crews bis zur Perfektion gedrillt war in jeder Bewegung, die er unter der Wasseroberfläche zu machen hatte. Seine Verachtung für Schwächlinge war legendär. In Bligh-mans Augen war jeder, der ihm an Tiefenrekorden und Ausdauer unterlegen war, ein Schwächling.

Vor fünfzehn Jahren hatte er absolute Weltrekorde aufgestellt, und es war wirklich nicht leicht, sie auch nur annähernd zu erreichen. Aber wenn er redete, hörte ihm jeder wie gebannt zu.

»Rührt euch!« bellte er uns an. »Heute gehen wir zu den Qualifikationstests hinunter. Ich wünsche, daß jeder beim erstenmal durchkommt! Ihr seid alle in bester Verfassung, wie ich von den Ärzten weiß. Ihr wißt, was ihr zu tun habt, und falls einer von euch taub ist oder schläft, gehe ich die ganze Sache noch einmal durch. Es gibt also keinen Grund dafür, falls einer durchfallen sollte!

Sporttauchen ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Akademie-Trainings. Jeder Kadett hat sich in einem Tiefsee-Sport zu qualifizieren, um graduieren zu können. Und wenn ihr euch nicht hier und heute im Tauchen qualifiziert, gibt es keine sportliche Qualifikation!«

Er schaute uns alle der Reihe nach an. Nun konnte ich auch sein Gesicht sehen, ein wenig verschattet zwar, aber doch klar in seiner Markigkeit. »Vielleicht denkt ihr jetzt, Tiefsee-Sport sei eine rauhe Sache«, fuhr er fort. »Natürlich, das ist richtig. Das ist unsere Absicht. Was ihr hier beim Sport lernt, kann eines Tages Leben retten, und es kann euer eigenes sein.

Richtig, Tiefsee-Sport ist rauh, weil auch die Tiefsee rauh ist. Wenn ihr je gesehen habt, wie die See durch ein Leck im Rumpf strömt, oder wenn euch je eine vom Wasserdruck zusammengepreßte Stadtkuppel vor Augen gekommen ist, dann wißt ihr das auch! Und habt ihr so etwas noch nicht gesehen, dann nehmt mein Wort dafür: die See ist rauh!

Gentlemen, wir haben einen Feind. Er heißt hydrostatischer Druck. Wir haben in jeder Minute, die wir unter der Meeresoberfläche verbringen, diesen Feind neben uns! Er wartet immer, und er ist immer tödlich! Fehler könnt ihr euch nicht leisten, wenn ihr zwei Meilen tief seid! Habt ihr also die Absicht, einmal Fehler zu machen, dann nehmt meinen Rat an und tut es hier und heute! Wenn ihr unten seid in den Tiefen, dann bedeutet jeder Fehler, daß jemand sterben muß.

Hydrostatischer Druck. Vergeßt ihn niemals! Auf jedem Quadratzoll kommt fast ein halbes Pfund für jeden Fuß Tiefe, den ihr taucht. Rechnet euch das einmal selbst aus. Eine Meile tief, Gentlemen, und eine Meile ist noch gar nichts, das ist erst der Beginn der Tiefe! Eine Meile tief, das ist mehr als eine Tonne Druck auf jedem Quadratzoll. Etliche tausend Tonnen, die auf die Oberfläche eines menschlichen Körpers drücken!

Eine solche Hölle hat noch kein Mensch ertragen, um darüber reden zu können. Das kann man ohne Druckanzug auch nicht, und der einzige Anzug, mit dem sich ein solcher Druck ertragen läßt, ist der aus Edenit.« Bob Eskow neben mir stieß mich leicht mit dem Ellbogen an. Edenit! Meines Onkels große Erfindung. Ich richtete mich noch ein Stückchen strammer auf und war ungeheuer stolz auf ihn.

Hell war es noch immer nicht, doch Lieutenant Blighman schien Röntgenaugen zu haben, denen nichts entging. Er schaute Bob Eskow an, dann erst sprach er weiter. »Wir versuchen etwas Neues. Heute werdet ihr Landratten der ganzen Flotte helfen. Wir greifen nach größeren Tiefen aus, nicht nur mit den Edenit-Anzügen, sondern auch im Sporttauchen. Wir müssen nicht nur ständig unsere Ausrüstung verbessern, sondern die Seemedizin muß dies auch mit uns tun!

Heute gehört es zum Beispiel mit zu eurem Test, einen neuen Typ von Tiefsee-Adaptionsinjektionen auszuprobieren. Nach dem Tauchen melden sich alle beim Arzt zu dieser Injektion. Sie soll dazu helfen, die Gewebeschäden und die Benommenheit zu bekämpfen, mit anderen Worten: sie macht euch stärker und klüger! Vielleicht wirkt sie sich tatsächlich so aus. Ich weiß es nicht. Man sagt mir, nicht immer wirkt die Injektion so, manchmal bewirkt sie sogar das Gegenteil ...

Benommenheit. Männer, hier liegt die Gefahr beim Sporttauchen. Unterhalb einer gewissen Grenze lassen sich leicht die Seekühe von den Geleeheringen unterscheiden. Denn wenn wir unter fünfzig Faden[1] hinabgehen, erleben wir den Tiefenrausch.

Ja, Tiefenrausch.« Er sah uns ernst an. »Das ist eine Form von Wahnsinn und tödlich. Ich habe Männer gesehen, die da unten ihre Atemmasken abrissen. Ich habe sie nach dem Grund gefragt - die paar, die es überlebten -, und sie sagten mir solche Dinge wie: >Ich wollte die Maske einem Fisch geben.< Wahnsinn. Und diese Injektionen sollen euch helfen, dagegen anzukämpfen. Jedenfalls sagen es die Seeärzte, daß sie ein paar von euch Geleeheringen nützlich sein können. Aber einige von euch könnten entdecken, daß sie zu Rückschlägen führen. Ihr könntet empfindlicher werden als vorher.«

»Das bin ich«, hörte ich Bob Eskow flüstern. »Genau mein Pech.«

Ich wollte ihm schon Mut zuflüstern, aber Blighmans hungrige Augen schweiften zu unserem Reihenende. Ich hielt also den Mund.

»Also zuhören - und am Leben bleiben!« röhrte er. »Einige können Drücke aushalten, andere nicht. Wir wollen heute die herausfinden, die es nicht können. Und wenn ihr es nicht könnt, dann paßt auf die Warnsignale auf. Erst könnt ihr plötzliche schlimme Kopfschmerzen bekommen. Danach seht ihr möglicherweise farbige Blitze. Denen folgt das, was die Seemediziner auditorische Halluzinationen nennen, also daß Glocken läuten unter dem Wasser und ähnliche Dinge.

Bemerkt ihr solche Zeichen, dann kommt sofort an die Schleusen zurück! Wir ziehen euch herein, und die Ärzte beseitigen die Gefahr.

Wenn ihr aber diese Signale mißachtet .«

Mit seinen kalten Augen schaute er Bob Eskow an. Bob stand stramm da, doch ich spürte, wie er innerlich gespannt war.

»Vergeßt nicht«, fuhr der Trainer fort, ohne den letzten Satz zu beenden, »die meisten von euch können zur Handelsflotte stoßen, wenn ihr es hier nicht schafft. Wir wollen keine toten Kadetten.« Er schaute auf die Uhr. »Das wär’s also. Captain Fairfane, Sie können Ihre Männer jetzt entlassen.«

Cadet Captain Fairfane trat vor und bellte: »Frühstückspause! In vierzig Minuten taucht das Schiff, und alle Crews werden zu den Tiefeninjektionen hereinkommen, ehe sie die Tauchausrü-stung anlegen. Formation ab-tre-ten!«

Wir aßen im Stehen und eilten die Leiter hoch, nur Bob und ich. Die meisten anderen aßen noch, aber wir waren daran nicht übermäßig interessiert. Die Akademie probierte nämlich Tiefenrationen aus, die etwas modrig schmeckten; und dann wollten wir vor allem die Sonne über der See aufgehen sehen.

Bis dahin war noch viel Zeit. Die Sterne standen noch hell über uns, obwohl der Horizont nun deutlich farbig abgesetzt war. Wir standen fast ganz allein auf dem langen, dunklen Deck, gingen zur Reling und hielten uns mit beiden Händen am Geländer fest. Am Heck entlud ein Tender zwei Fadenmesser, denn damit sollten vom Deck des Tiefseefloßes unsere Tauchtiefen gemessen werden. Eine Arbeitsgruppe hievte eines gerade auf Deck. Beide sollten mit Männern der Oberklassen in Edenit-Druckanzügen bemannt werden, damit eine durchgehende graphische Aufzeichnung unserer Qualifikationen möglich und garantiert war.

Der Tender tuckerte weg, und die Crew begann den ersten der beiden Fadenmesser mit Schrauben zu befestigen. Bob und ich drehten uns zum Bug um und schauten in das dunkle, tintige Wasser.

»Du schaffst es, Jim«, sagte er. »Du brauchst keine Tiefeninjektionen.«

»Du doch auch nicht.«

Er schaute mich nachdenklich an, dann schüttelte er den Kopf. »Danke, Jim. Ich wollte, ich könnte dir glauben.« Seine Stirn furchte sich. Es war eine alte Geschichte, daß er ständig gegen die Wirkungen des Sporttauchens anzukämpfen hatte. »Tiefenrausch. Jim, fast wäre es ein hübscher Name, aber es ist eine häßliche Sache ...« Er streckte sich und lachte. »Ich muß mich eben selbst übertreffen. Muß ich doch, was?«

Was sollte ich dazu sagen? Es war auch gar nicht nötig. Ein anderer Kadett kam über das Deck auf uns zu. Er stand neben mir und schaute über das schwarze Wasser hinweg, in dem sich die Sterne spiegelten und der Lichtrand am Horizont fing. Ich erkannte ihn nicht. Er schien das erste Jahr da zu sein, aber er war nicht von unserer Crew.

»Wie seltsam, das zu sehen«, sagte er. »Ist es immer so?«

Bob und ich wechselten einen Blick. Das mußte noch eine richtige Landratte sein, vielleicht aus irgendeiner Stadt in Indiania, der zum erstenmal im Leben die See richtig zu sehen bekommt. »Wir sind daran schon gewohnt«, meinte ich ein wenig herablassend. »Ist das dein erstes Erlebnis mit tiefem Wasser?«

»Tiefes Wasser?« Er schüttelte den Kopf. »Ich rede ja nicht vom Wasser, sondern vom Himmel. Man sieht so unendlich weit. Und die Sterne ... Sind immer so viele Sterne am Himmel? Und dazu geht die Sonne auf .«

»Meistens sind noch viel mehr da«, antwortete Bob kurz. »Hast du noch nie die Sterne richtig gesehen?«

Der fremde Kadett schüttelte den Kopf. In seiner Stimme lag ehrfürchtiges Staunen. »Sehr selten«, sagte er.

Wir beide waren verblüfft. »Wer bist denn du?« fragte Bob schließlich.

»David Craken.« Der Kadett wandte mir seine dunklen Augen zu. »Dich kenne ich. Du bist Jim Eden. Dein Onkel ist Stewart Eden, der Erfinder des Edenit.«

Ich nickte ein wenig verlegen, denn verlegen wurde ich immer, wenn man mir gegenüber die Bewunderung ausdrückte, die doch allein meinem Onkel gebührte. Natürlich war ich auf meinen Onkel unendlich stolz, weil er es war, der es den Menschen ermöglichte, den Grund des Ozeans zu erreichen, doch er hatte mich auch gelehrt, nie damit zu prahlen.

»Mein Vater hat deinen Onkel gekannt«, fuhr David Craken rasch fort. »Vor langer Zeit. Als sie beide noch versuchten, das Problem des Tiefendrucks zu lösen.«

Da brach er plötzlich ab, und ich schaute ihn ein wenig zornig an. Wollte er mir da erzählen, daß mein Onkel einen Helfer hatte, als er das Edenit entwickelte? Das war nämlich nicht der Fall, denn Onkel Stewart hätte mir das unter allen Umständen gesagt, und er hat nie so etwas erwähnt. Ich wartete also auf die Erklärung; doch es gab keine, nur einen raschen, verblüfften Atemzug.

»Was ist los?« fragte Bob Eskow.

David Craken schaute angestrengt über das Wasser. Es war noch immer glatt und so schwarz wie ein Ölsee, nur ein schwacher Schimmer von der aufgehenden Sonne strich darüber hin. Aber etwas hatte ihn entsetzt.

Er deutete. Ich sah einen schwachen Lichtwirbel, dann einen Fleck, etwa ein paar hundert Meter entfernt vom Floß, wo sich das Wasser rippelte, ein Stück weiter hinaus auf See. Sonst war nichts.

»Was war das?« keuchte er.

Bob Eskow lachte leise. »Er hat etwas gesehen«, sagte er zu mir. »Ich bemerkte es auch. Sah aus wie ein Thunfischschwarm. Vermutlich aus der Zuchtanstalt der Bermudas ... Was hast du gemeint, daß es sein könnte? Eine Seeschlange?« fragte er den anderen.

David Craken sah uns mit ausdrucksloser Miene an. »Nun ja, genau das dachte ich«, gab er zu.

Und wie er das gesagt hatte! Er schien es tatsächlich für möglich zu halten, daß aus den seichten Gewässern der Bermudas eine Seeschlange auftauchte; er sprach so, als gebe es sie wirklich. Wir hätten da nur bemerkt: »Nun, dort draußen scheint ein Hai zu sein.«

»Hör doch mit diesen Witzen auf, das kannst du doch nicht ernst meinen«, sagte Bob ein wenig barsch. »Oder wenn - wie bist du dann zur Akademie gekommen?«

David Craken schaute weg. Er lehnte sich über das Geländer und schaute hinaus, wo sich das Rippeln allmählich auflöste. Die Phosphoreszenz war verschwunden, es gab nichts mehr zu sehen.

Da hob er die Schultern. »Vielleicht war es wirklich ein Schwärm Thunfische. Ich hoffe es«, meinte er lächelnd.

»Da bin ich sicher«, antwortete Bob. »Es gibt keine Seeschlangen. Das ist dummer Aberglaube.«

»Ich bin nicht abergläubisch, Bob, aber du darfst mir glauben, es gibt Dinge da unten, die ... die du nicht glauben wür-dest.«

»Lieber Freund, über die Tiefsee braucht mir niemand etwas zu erzählen«, erklärte Bob. »Jedenfalls keine Landratte. Ich war nämlich unten. Was, Jim?«

Ich nickte, denn ich war ja zusammen mit ihm in Marinia gewesen, diesem Tiefsee-Staat mit seinen Kuppelstädten unten im dunklen Pazifik, und fast hätten wir dort gegen die Sperrys verloren.

»Die Tiefsee-Flotte hat die Ozeane ziemlich genau erforscht«, redete Bob weiter. »Ich habe noch nie gehört, daß sie eine Seeschlange gefunden hätten. Natürlich gibt es dort merkwürdige Dinge, aber die sind doch alle vom Menschen hingebracht worden! Wie U-Bahnen fahren Züge unter dem Meeresboden, und die modernen Städte unter den Kuppeln, die Prospektoren, die auf dem Grund nach Mineralien suchen; aber Seeschlangen? Nein! Man hätte sie sehen müssen. Wir an der Akademie glauben nicht an so etwas.«

»Vielleicht solltest du’s doch tun«, meinte David Craken.

»Junge, wach auf! Ich war unten. Und von Seeschlangen erzählen nur solche, die ein richtiges Seemannsgarn spinnen, damit man ihnen Drinks spendiert. Woher kommst du, Craken, daß du an solche Sachen glaubst?«

Er zögerte ein wenig. »Ich ... bin in Marinia geboren«, erzählte er. »Und dort habe ich, in fast vier Meilen Tiefe, mein ganzes bisheriges Leben verbracht.«

2. Plünderer der See

Die gedrungenen Tiefseeschlepper tuckerten und zerrten an den Kabeln und zogen uns langsam mit neun Knoten zu den vor der Küste liegenden Gefällstrecken. Nun war heller Tag, vor uns stand eine riesige goldene Sonne, und der Himmel leuchtete in roten Farbtönen. Am Horizont hing dünner Wol-kendunst.

»Marinia?« fragte Bob Eskow. »Du kommst aus Marinia? Aber was tust du denn hier?«

»Ich bin in der Nähe von Kermadec im Südpazifik geboren und kam als Austauschstudent zur Akademie. Da sind noch ein paar aus Europa, Asien, Südamerika - und ich von Marinia.« Er lächelte. »Und du hast mich für eine Landratte gehalten, die nie die See sah. Bis vor zwei Monaten habe ich nichts anderes gesehen, weißt du. Wenn man in vier Meilen Tiefe geboren ist, dann erscheinen einem Himmel, Sonne und Sterne einfach so märchenhaft wie dir die Seeschlange.«

»Aber der Meeresboden ist doch gründlich erforscht .«

»Nein. Das ist er nicht. Es gibt etliche Städte, die durch Tunnels miteinander verbunden sind, es gibt auch Forscher und Prospektoren in allen Tiefen, Tiefsee-Farmen rund um die Kuppelstädte, aber, Bob, der Meeresboden ist von mehr als der dreifachen Fläche der Trockengebiete. Mit Mikrosonar findet man einiges, durch Beobachtung noch etwas dazu, aber der Rest des Meeresbodens ist kaum bevölkert und ebenso unbekannt wie die Antarktis.«

Das war das Ende unserer Unterhaltung, denn der Alarm erklang, und schon hörten wir den Seetrainer Blighman, der uns zu den Tiefsee-Injektionen aufrief. »In zehn Minuten wird getaucht!« warnte er uns.

Ein dunkler, magerer Kadett kam zu uns, als wir liefen. David machte uns mit ihm bekannt; es war Eladio Angel, ebenfalls Austauschstudent, aber aus Peru. Und während wir rannten, schaute er genauer hin zum Heck und blieb stehen. Wir taten es auch, aber da kam Blighman aus der Luke herauf, und wir rasten weiter.

Da stellte sich heraus, daß ein Fadenmesser fehlte. Er hatte noch auf der Ladebühne gestanden, und jetzt war er verschwunden, ein etwa hundert Pfund schweres Gehäuse, wasserdicht und noch nicht befestigt gewesen. Spurlos verschwunden!

Fairfane meinte, als wir uns zur Injektion anstellten, da müsse wohl eine große Welle gekommen sein, die das Ding mitgerissen habe.

»Es gab aber keine Welle«, bemerkte David Craken leise.

Fairfane funkelte uns an, und wir schwiegen. Aber David Craken hatte recht; es hatte keine Welle gegeben, die einen Instrumentenkasten von hundert Pfund über Bord hätte spülen können. Ich erinnerte mich auch genau, daß dies nicht der erste derartige Vorfall war. In der Woche vorher war ein pneumatisch angetriebenes Tiefsee-Dory verschwunden, direkt vom Freizeitstrand weg. Jemand in einem Tiefsee-Dory konnte, während die Crew an Deck vollauf beschäftigt war, heimlich auf das Floß gekommen und den Fadenmesser gestohlen haben.

Nein, unmöglich! Das Dory war nicht schnell genug, das Floß einzuholen, und die Mikrosonaranlage hätte es auf jeden Fall entdeckt. Vielleicht ein sehr raffinierter Sporttaucher ... Aber so weit draußen im Atlantik war kein Sporttaucher zu vermuten.

Da fiel mir David Crakens Bemerkung von der Seeschlange ein. Nein, das war doch lächerlich! Doch da kam der Tauch-alarm, das Tiefseefloß senkte die Nase und ging in die Tiefe. Über uns würden ständig die kleinen, stärken Schlepper kreuzen, um im Notfall zur Hand zu sein und uns vor anderen Schiffen zu warnen.

Die Injektion war nur ein Stich, mehr nicht. Ich fühlte mich danach auch nicht anders als vorher. Bob zuckte dabei zusammen und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

Das Übungsschiff vibrierte leise unter unseren Füßen. Die Motoren waren gerade stark genug, um Tiefe und Position beizubehalten. Die Frischluft von oben war abgeschnitten, und nun roch es hier richtig nach Schiff. Ich konnte mir vorstellen, wie die grünen Wellen über das Deck spülten, während wir in die geheimnisvolle Tiefe tauchten. Bob fühlte so wie ich; wir waren beide aufgeregt, da wir die See um uns hatten.

Da kam Cadet Captain Fairfane zu mir, und seine Augen blitzten zornig. »Eden, ich habe mit dir zu reden. Von Mann zu Mann.«

»Jawohl, Sir.« Ich war erstaunt. Mit Roger Fairfane stand ich nicht besonders gut. Als Bob und ich zurückkamen, hatte er sich erst sehr freundlich gezeigt, dann plötzlich aber recht kalt. Bob hatte gemeint, er glaube vielleicht, ich würde den Posten als Cadet Captain, also den seinen, anstreben, doch der hing ausschließlich von der allgemeinen Beurteilung ab, und die Fairfanes war ausgezeichnet. Bob mochte ihn nicht. Er hatte zuviel Geld, und sein Vater gehörte einer der größten TiefseeSchiffahrtslinien an. Er mußte ein wichtiger Mann sein.

»Eden«, sagte er scharf zu mir, »wir werden betrogen, du und ich. Dieser Craken schwimmt wie ein Teufelsfisch. Wenn wir den gegen uns haben, bleibt uns keine Chance.«

»Schau mal, Roger, das ist doch kein Rennen«, antwortete ich. »Es spielt keine Rolle, daß er ein paar Faden mehr Druck erträgt als wir ...«

»Für dich ist es vielleicht unwichtig, für mich nicht. Hör mal, Eden, er ist ja nicht einmal Amerikaner, sondern Transferstudent. Er weiß mehr über Druckverhältnisse als der Trainer. Ich will bei Lieutenant Blighman protestieren, ihm sagen, es sei nicht fair, wenn Craken gegen uns schwimmt. Das heißt, du sollst das tun.«

»Warum tust du das nicht selbst?«

»Schau mal, ich bin doch Cadet Captain und so ... Und außerdem .«

»Und außerdem hast du das schon getan und eine Abfuhr gekriegt, was?« warf Bob ein.

»Vielleicht«, gab Fairfane zu. »Nun, genau protestiert habe ich nicht, aber das spielt keine Rolle. Auf dich wird er hören, Eden. Von mir meint er vielleicht, ich sei voreingenommen.«

»Und bist du’s etwa nicht?« fragte Bob.

»Möglich«, schnappte Fairfane. »Aber ich bin besser als er und sein Freund, dieser Peruaner. Ich mag nur nicht wie ein Trottel dastehen, wenn er in seinem natürlichen Element ist. Eskow, wir tauchen gegen Menschen, nicht gegen Fische!«

Bob war sehr ärgerlich geworden, und ich berührte seinen Arm, um ihn zu beruhigen. »Tut mir leid, Roger«, sagte ich. »Aber ich glaube, ich kann dir da nicht helfen.«

»Hör mal, Jim, du als Stewart Edens Neffe .«

Das hatte Fairfane trotz seiner ausgezeichneten Beurteilung noch immer nicht gelernt, daß ich mir für Onkel Stewarts Ruf nichts kaufen konnte oder wollte, jedenfalls nicht an der Akademie. Die kümmerte sich nur darum, wer wie und was ist und tun kann. »Entschuldige, Fairfane, ich muß mich jetzt umziehen«, sagte ich.

»Das wird dir noch leid tun«, platzte Fairfane heraus. »Er weiß mehr über die Tiefen als ... Er hat etwas Merkwürdiges an sich .« Aber damit wandte er sich abrupt ab und ging.

Bob und ich schauten uns nur kurz an und beeilten uns, denn die anderen Kadetten stellten sich schon gruppenweise auf. Unsere Sporttaucherausrüstung war aber schnell angelegt.

Wir hatten die neueste Entwicklung einer Elektrolunge in unserer Ausrüstung, die durch Elektrolyse des Seewassers Sauerstoff erzeugt. Dechlorinatoren ziehen giftige Gase aus dem Salz heraus. Damit sparten wir Gewicht und hatten eine viel größere Reichweite, denn Seewasser stand uns ja unbegrenzt zur Verfügung. Solange die Strontium-Batterie Strom erzeugte, hatten wir also auch reichlich Atemluft, Bob legte seine Elektrolunge ein wenig zögernd an, und ich kannte den Grund. Die alten Sporttaucher hatten die Erfahrung gemacht, reiner Sauerstoff sei nicht ganz ungefährlich, und dosierte man ihn nicht ganz genau, konnte man leicht und früher als mit der alten Aqualunge dem Tiefenrausch verfallen. Vielleicht halfen da die Injektionen ...

Wir hatten engsitzende Thermoanzüge erhalten, und daraus war zu schließen, daß dies keine ganz gewöhnliche Tauch-übung wurde. Wir mußten also so tief hinabgehen, daß das Wasser vor Kälte biß.

Als wir auf den Bänken der Schleuse saßen, gab uns Trainer Blighman die letzten Anweisungen: »Jeder von euch hat eine Nummer. Wenn wir die Schleusenkammer fluten, schwimmt ihr zum Bugaufbau, sucht dort eure Nummer und drückt den Knopf darunter. Dann geht das Licht über der Nummer aus. Wir wissen dann, daß ihr den Test gemacht habt. Danach schwimmt ihr hierher zurück und kommt in die Schleuse. Damit keiner von euch verlorengeht - es gibt eine Führungsleine, an die ihr euch haltet. Denn wenn ihr das nicht tut, müssen wir für euch - oder für eure Leiche - eine Suchgruppe hinausschicken. Das wird eine teure Sache.«

Er schaute einen nach dem anderen an und wartete. Niemand sagte etwas. Bestand denn eine Gefahr, daß wir verlorengehen konnten? Doch kaum. Allerdings, ein Fadenmesser fehlte, aber wir hatten ja eine ausgezeichnete Mikrosonaranlage. Aber wenn ein vom Tiefenrausch benommener Taucher herumirrte Ich beschloß, genau auf Bob aufzupassen.

»Noch Fragen?« schnarrte Trainer Blighman. »Keine? Gut. Gesichtsmasken aufsetzen und befestigen. Ventile eins und drei öffnen .«

Der Kadett am Instrumentenbrett salutierte und drehte zwei Plastikknöpfe. Die See strömte herein; weißes, schäumendes Wasser donnerte an das Schott, Gischt besprühte unsere Linsen, und die Kälte war sofort in den Füßen zu spüren.

Trainer Blighman hatte sich zum Kommandoport zurückgezogen und beobachtete uns hinter dickem Glas. »Seetüren offen!« hörten wir über den Kommunikator seine hohlklingende Stimme. Die Motoren surrten, die Türblende öffnete sich weit. »Abzählen und hinaus!«

Bob Eskow war Nummer vier in unserer Crew, direkt vor mir. Er klopfte viermal, ich fünfmal. Dann waren wir draußen.

Rausch der Tiefe. Deshalb war ich ja auf der Akademie. Die See hatte mich längst berauscht. Sie war mein Leben.

Die Elektrolunge wisperte und blubberte hinter meinem Ohr, maß meinen Atem und lieferte mir den Sauerstoff, der mich am Leben hielt. Oben war heller Tag, aber hier unten herrschte schwachgrünliches Licht. Das Deck des Übungsschiffs war graugrün, eine Zauberhöhle mit transparenten Wänden. Die Führungsleine glich einer glühenden grünlichen Schlange, die sich in das grünliche Wasser spannte. Ich hatte nicht das Gefühl, im Wasser zu sein, sondern zu fliegen. Die Führungsleine berührte ich nicht, doch ich hielt mich an sie.

Bob schwamm vor mir, so langsam, daß ich ein wenig ungeduldig wurde. Am Bug fummelte er etwas ungeschickt herum. Dort waren unsere Nummern, und die Troyon-Röhre blühte bläulich über den Signalknöpfen. Sie waren sehr klar zu sehen, doch Bob schien Schwierigkeiten zu haben.

Helfen durfte ich ihm nicht, denn an der Akademie war es Ehrensache, jede gestellte Aufgabe selbst zu erfüllen. Er schien sich kaum mehr an die Führungsleine halten zu können und schwamm ziellos herum - in nur hundert Fuß Tiefe! Was würde bei dreihundert oder fünfhundert Fuß passieren?

Endlich waren wir alle wieder in der Schleuse, die Pumpen begannen ihr tiefes Surren. Kaum schauten unsere Oberkörper aus dem Wasser, fauchte uns Trainer Blighman an: »Eden, Eskow! Ihr Geleeheringe, was habt ihr so herumgetrödelt? Ihr habt die ganze Crew aufgehalten!«

Wir warteten auf einen gründlicheren Anpfiff, doch der kam nicht. Die Ärzte waren schon da, als das Wasser noch nicht ganz abgelaufen war. Einer der Kadetten tat einen Schrei und stürzte, ich fing ihn auf und hielt ihm den Kopf aus dem Wasser, und die Ärzte nahmen ihn mir schnell ab und streiften ihm die Maske herunter. Er war bewußtlos, sein Gesicht sah schmerzverzerrt aus.

»Ohrstöpsel!« schrie Trainer Blighman, der hereingestapft kam. »Hundertmal hab ich schon erklärt, daß sie unterhalb eines Fadens nutzlos sind. Wenn ihr die See nicht ertragen könnt, dann versteckt das nicht hinter Ohrstöpseln. Man kann damit nur ein bißchen mehr Druck aushalten, aber dann ist die Wirkung plötzlich beim Teufel, nur euer Trommelfell ist es auch. Dann seid ihr aber aus der Akademie draußen. So wie Dorritt hier.«

Schade um Dorritt. Aber da torkelte Bob, und ich mußte ihn auffangen. »Was ist los?« fragte ich ihn. Er schaute mich merkwürdig an, dann entglitt er mir.

Ich durfte mit ihm zum Lazarett gehen, ich trug sogar das eine Ende der Trage. Er wachte auf, als wir sie absetzten. »Jim«, fragte er, »kannst du mich hören?«

»Natürlich, Bob. Ich ...«

»Du bist so weit weg ... Bist du’s auch wirklich, Jim? Ich sehe dich nicht ... Da ist nur grüner Nebel mit Blitzen ... Jim, wo bist du?«

»Im Lazarett, Bob, und Lieutenant Saxon wird dich gleich wieder in Ordnung haben .«

Er schloß die Augen, als einer der Ärzte ihm eine Injektion gab, auf die er sofort einschlief. Er wisperte mir nur noch zu! »Ich wußte doch, daß ich es nicht schaffen würde ... Benommenheit .«

»Tut mir leid, Eden«, sagte Lieutenant Saxon.

»Er ist ... Ihn hat es hinausgewaschen, Sir?«

Er nickte.

»Druckempfindlich. Tut mir leid. Und Sie, Eden, gehen jetzt besser zu Ihrer Crew zurück.«

3. Rekordtauchen

In siebenhundert Fuß Tiefe schwamm ich hinaus in die Schwärze.

Die mächtigen Tiefsee-Flutleuchten des Übungsschiffs erzeugten höchstens schwache Schatten. Von der Sonne drang kaum eine Lichtspur in diese Tiefen, und die Bugaufbauten ließen sich nur in einer leichten Umrißandeutung ahnen. Ich fühlte mich benommen, fast unwohl.

War es der Druck, der so auf mich wirkte oder mein Freund Bob Eskow, der im Lazarett lag? Ich mußte immer an ihn denken, so sehr ich auch versuchte, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, zurückzuschwimmen zum Bugaufbau, um meine Nummer zu drücken.

Wir waren nur noch siebzehn, die anderen waren von den Ärzten disqualifiziert worden oder hatten sich selbst disqualifiziert. Oder sie waren, wie Bob Eskow, unter der Belastung zusammengebrochen.

Von meiner 20-Mann-Crew waren zwei übrig, noch einer und ich, und die übrigen fünfzehn stammten von allen anderen Gruppen. David Craken und Eladio, der Junge von Peru, waren dabei, Cadet Captain Fairfane, der diese beiden finster musterte, und ein paar andere.

Ich ließ sie hinter mir und holte kräftig aus. Druck spürte ich keinen, denn die wispernde, kichernde Elektrolunge auf meinem Rücken füllte meinen Blutstrom und meine Lungen mit Gas. Alle Giftspuren wurden herausgefiltert, so daß keine Gefahr bestand, unter der Beugekrankheit zu leiden, die vielen den Tod oder ein Krüppeldasein eingebracht hatten.

Eine Wassersäule von siebenhundert Fuß war enorm; wenn auch mein Körper den Druck abwehrte, so fühlte ich mich doch erschöpft, wenn ich auch nicht wußte, weshalb. Alle Energie schien aus mir herausgeronnen zu sein, und jede Bewegung der Flossen an meinen Füßen oder meiner Arme schien ungeheure Kraft zu erfordern. Es wäre viel einfacher gewesen, sich einfach treiben zu lassen .

Doch immer wieder fand ich die Kraft zur nächsten Bewegung. Allmählich kam die grünliche Korona der Bugaufbauten näher, zeichnete sich klarer ab, die Flutleuchten strahlten, und dann machte ich die Nummernreihe aus. Ich fand meine eigene Nummer, drückte den Knopf, das Licht erlosch. Langsam kehrte ich entlang der Führungsleine zur Schleuse zurück.

Neunhundert Fuß. Nur elf hatten den 700-Fuß-Test überstanden. Und von den elf restlichen wurden wieder sechs ausgeschieden. Sogar Eladio war unter ihnen, denn Lieutenant Saxons Elektro-Stethoskop hatte ein schwaches Herzgeräusch entdeckt.

Fünf waren noch geblieben, und zwei erwiesen sich als angeschlagen, als das Wasser in die Schleusenkammer strömte. Sie wurden schnell wieder hereingeholt. Drei waren der Rest. Ich war dabei. Und Cadet Captain Roger Fairfane, erschöpft, gereizt, aber grimmig entschlossen. Und David Craken, der Kadett aus Marinia.

Jetzt war nicht einmal mehr andeutungsweise ein Schimmer der Bugaufbauten oder der Scheinwerfer vom Übungsschiff zu erkennen. Ich schleppte mich durch das Wasser und konzentrierte mich auf das schwache Glühen der Führungsleine. Und wie schwach es in neunhundert Fuß Tiefe war!

Stundenlang schien ich mich durch eine Gallertmasse zu mühen, ohne voranzukommen. Plötzlich bemerkte ich einen matten Schimmer und davor irgend etwas, ein nicht erkennbares Seewesen ...

Zwei waren es. Und dann wußte ich auch, was es war: David Craken und Roger Fairfane. Sie hatten die Schleuse einen Augenblick vor mir verlassen, ihre Ziele erreicht und nun den Rückweg angetreten. Kaum daß sie mir einen Blick zuwarfen. Ich kämpfte mich mühsam zurück. Als ich einen Knopf gedrückt hatte, sah ich sie nicht mehr, sondern erst wieder, als sie erneut auf dem Rückweg waren.

Oder das dachte ich wenigstens. Etwas bewegte sich neben mir im Wasser. Ich schaute genauer hin. Fische. Dutzende von kleinen Fischen, die direkt meinen Kurs an der Führungsleine querten.

Nun, Fische in den Bermuda-Gewässern sind nichts Ungewöhnliches, nicht einmal in neunhundert Fuß Tiefe. Aber diese Fische schienen Angst zu haben. Wovor nur? Ich schaute in die Richtung, aus der sie kamen ...

Und da sah ich etwas, das ich nicht glauben konnte. Es war ein Schatten vor dem tieferen Schatten des Portgeländers am Übungsschiff, und er hing, wie mir schien, über dem Geländer. Das Ding sah aus wie ein Kopf; unfaßbar, doch es hatte genau diesen Umriß, ein riesiger, hoch erhobener Kopf mit winzigen Schlitzaugen ...

Vielleicht hätte ich nun Angst haben sollen, aber in neunhundert Fuß Tiefe fehlte mir dazu die Kraft. Ich zweifelte jedoch nicht an dem, was ich sah.

Und dann war es plötzlich weg, als sei es nie da gewesen.

Nichts geschah mehr. Ich wartete eine Weile, bis mir einfiel, daß ich hier ja gar nicht sein sollte. Ich mußte etwas tun, ich hatte ein Ziel. Ich mußte zur Schleuse zurück ... Ich zwang mich dazu, mich wieder in Bewegung zu setzen, und es fiel mir ungeheuer schwer.

Diese Führungsleine schien Millionen Meilen lang zu sein. Ich bot meine ganze Kraft auf, um möglichst rasch an ihrem Ende anzukommen, und schließlich sah ich tatsächlich die Aufbauten und die Schleuse. Mühsam zog ich mich hinein und schaute zurück.

Es war nichts mehr da.

Das äußere Schleusentor schloß sich, die Pumpenmotoren begannen zu summen und das Wasser hinauszudrängen.

Ich weiß nicht, was die anderen beiden gesehen hatten, doch sie sahen ebenso erschöpft aus wie ich, als Trainer Blighman hereinkam. Seine Stimme klang wie Donner in dem kleinen Raum, doch er lachte.

»Gratuliere, Männer! Ihr seid richtige Seekühe, ihr habt das bewiesen. Neunhundert Fuß! Das ist ein Rekord, und während meiner ganzen Trainerzeit an der Akademie habe ich nicht einmal ein halbes Dutzend Kadetten gesehen, die das schafften! Und jetzt seid ihr sogar drei in einer Klasse!«

Ich kam allmählich wieder zu Atem. »Trainer«, sagte ich. »Lieutenant Blighman, ich .«

»Moment, Eden. Bevor du was sagst, will ich etwas fragen.« Jetzt, in dem kleinen hellen Raum, war ich mir nicht mehr sicher, was ich gesehen hatte. Es schien alles so weit weg zu sein .

»Ihr seid alle qualifiziert, daran ist nicht zu rütteln«, sagte Blighman. »Aber Lieutenant Saxon läßt fragen, ob jemand von euch einen weiteren Versuch machen will mit noch zweihundert Fuß tiefer. Das ist absolut freiwillig, und niemand soll sich verpflichtet fühlen, es zu tun. Aber er hofft, diese neuen Injektionen könnten einen weiteren Tiefenrekord ermöglichen. Das würde er gerne ausprobieren. Nun, was meint ihr dazu, Männer?«

Er schaute uns mit seinen glühenden Haiaugen an.

»Eden? Alles in Ordnung? Du siehst aus, als würdest du allmählich Reaktion zeigen.«

»Vielleicht trifft das auch zu, Sir.« Ich zögerte, denn wie sollte ich ihm das mit einem riesigen Schlangenkopf begreiflich machen?

Er ließ mir keine Chance. »Na, gut, Eden. Ist erledigt, und du kommst also nicht in Frage. Kein Wort mehr darüber. Hast deine Sache großartig gemacht. Hat keinen Sinn, etwas zu riskieren ... Craken?«

»Jawohl, Sir«, antwortete er so leise, daß er kaum zu verste-hen war. »Ich bin bereit.«

Fast hätte ich ihn vor dieser Schlange gewarnt, aber da fiel mir ein, was ich vorher über Seeschlangen zu ihm gesagt hatte. Es gab doch keine Seeschlangen, und jeder wußte es. Vielleicht war dies nur eine Einbildung von mir gewesen, verursacht von der übergroßen Anstrengung der Tiefe.

»Fairfane?«

»Ich bin okay«, antwortete dieser etwas mühsam. »Gut. Wir tauchen.«

Seetrainer Blighman musterte ihn nachdenklich, dann zuckte er die Schultern. Ich wußte genau, was er dachte. Fairfane sah gar nicht so gut aus, aber Blighman war der Meinung, die Ärzte würden es schon entdecken, falls etwas nicht in Ordnung wäre.

Die Ärzte kamen und stellten fest, die beiden seien fit, den Versuch zu wagen. Dann schickte Blighman die Ärzte und mich aus der Schleuse. Ich sah gerade noch, daß Roger Fairfane David anfunkelte und etwas zu ihm sagte; ich glaubte zu hören: »Du wirst aus mir nie einen Geleehering machen.«

Elfhundert Fuß. Trainer Blighman nahm mich mit in den Kontrollraum, damit ich Fairfane und David Craken bei ihrem Test beobachten konnte.

Die Schiffsmotoren rumpelten und sangen und brachten uns weitere zweihundert Fuß nach unten. Die Ballasttanks wurden genau ausgewogen, denn es war ungeheuer wichtig, daß das Übungsschiff ganz ruhig im Wasser lag; die Wasserbewegung würde nämlich die Schwimmer wegtragen. Die Tauchflossen waren in diesem Fall nutzlos, die Lage des Schiffes im Wasser wurde allein von den Ballasttanks stabilisiert.

Das Schiff lag endlich ruhig da, die Schleuse wurde geflutet. Ich sah, wie sich die Blende öffnete wie eine Kameralinse, und David und Roger kamen langsam durch die Schleusentür.

Durch die dicken Linsen des Beobachtungsports sahen sie klein und verzerrt aus. Sie schwammen langsam und schwerfälliger weg, und als sie aus unserem Blickfeld verschwanden, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Verrückt oder nicht - ich hätte sie vor dem warnen müssen, was ich gesehen hatte. Ich wartete. Sie kamen nicht zurück. Allerdings waren auch erst Sekunden vergangen.

»Sir«, platzte ich heraus. »Trainer Blighman, diese Reaktion ... Ich sagte es Ihnen nicht, aber ich glaube etwas gesehen zu haben .«

»Da sind sie!« rief er, und ganz bestimmt hatte er nicht ein Wort von dem gehört, was ich heraussprudelte. »Beide kommen zurück! Sie haben es geschafft!«

Ich sah sie auch, und sie kamen recht mühsam herangeschwommen. Ich war überdies der Meinung, Roger Fairfane habe Schwierigkeiten. Er sah schwach aus, und seine Bewegungen waren nicht gezielt.

David Craken schwamm neben und etwas über ihm und paßte auf ihn auf. Sie kamen in die Schleuse, und surrend schloß sich die Außentür.

Es war vorüber. Jetzt war ich froh, von dieser Seeschlange nichts gesagt zu haben. Sie waren sicher zurück, die Tests wurden damit abgeschlossen, und wir konnten unser altes Akademieleben wieder aufnehmen. Das dachte ich wenigstens.

Der Trainer platschte in die Schleuse, ehe noch das Wasser abgelaufen war, und ich folgte ihm. Roger Fairfane war so erschöpft, daß David Craken ihn besorgt musterte.

»Männer, ihr seid wunderbar gewesen und habt neue Rekorde aufgestellt«, schwärmte Blighman. Dann sah er Roger scharf an. »Irgendwelche Reaktionen?«

Roger Fairfane blinzelte ihn mit glasigen Augen an. »Ich bin okay«, behauptete er.

»Und du, Craken?«

»Absolut in Ordnung, Sir. Ich versuchte Lieutenant Saxon zu erklären, daß ich diese Injektionen nicht brauche. Ich bin gegen Drücke nicht empfindlich.«

Blighman sah die beiden nachdenklich an. »Wie denkt ihr über einen neuen Tauchversuch?«

Ich platzte heraus: »Sir, sie sind schon zweihundert Fuß tiefer gegangen als die Vorschriften .«

»Eden!« Die Stimme war wie ein Peitschenschlag. »Diese Tests sind meine Sache. Ich entscheide darüber, was die Vorschriften sagen.«

»Jawohl, Sir. Aber ...«

»Eden!«

»Jawohl, Sir.«

Er starrte mich einen Moment lang mit seinen kalten Haiaugen an, dann wandte er sich wieder an Roger und David. »Nun?« fragte er.

Roger Fairfane sah weiß und erschöpft aus, aber er nahm all seine Kraft zusammen, um David anzufunkeln. »Ich bin bereit, Trainer«, erklärte er. »Ich zeig dem da schon, wer ein Geleehering ist.«

»Roger, so hör doch«, beschwor ihn nun auch David. »Ich glaube nicht, daß du das probieren solltest. Du hattest es schon schwer, bei elfhundert Fuß zur Schleuse zurückzukommen. Bei dreizehnhundert .«

»Trainer, wollen Sie mir den Burschen vom Hals schaffen?« rief Roger. »Er will mir einen Rekord ausreden, weil er selbst .«

»Nein«, unterbrach David. »Wenn der Rekord so wichtig ist, mache ich auch Schluß. Lassen wir’s, wie es jetzt ist. Verstehst du nicht, Roger, daß es für dich nicht sicher ist? Für mich ist es anders. Ich wurde in vier Meilen Tiefe geboren. Druck ist für mich unwichtig.«

»Ich will aber weitermachen«, erklärte Roger dickköpfig.

Und das geschah dann auch. Trainer Blighman veranlaßte die Ärzte, die beiden diesmal besonders gründlich zu untersuchen.

Beide kamen mit dem Spruch heraus: keine körperlichen Reaktionen ... Gab es aber geistige Reaktionen? Gefühlsmäßige? Die narkotische Wirkung der Tiefe? Das ließ sich nicht messen, und nur David und Roger hätten es sagen können. Beide verneinten Reaktionen.

Dreizehnhundert Fuß! Wir waren eine Viertelmeile tief unten, und auf jedem Quadratzoll der zähen Edenit-Haut unseres Tiefsee-Floßes lag ein Druck von mehr als fünfhundert Pfund. Dasselbe Gewicht lag auf den Körpern von David und Roger, sobald der Test begann.

Die Seetür öffnete sich. David kam langsam heraus, seiner selbst sicher. Dann erschien Roger. Beide eilten die Führungsleine entlang zu den Bugaufbauten, die nicht zu sehen waren.

Roger hatte Schwierigkeiten. Ich sah, wie er von der Leine abwich, zurückzuckte, sich einen Moment lang treiben ließ. Seine Arme und Beine bewegten sich unkoordiniert.

»Hab’ ich doch gefürchtet, daß er Reaktion zeigt!« rief Trainer Blighman. »Aber die Tests waren doch alle gut .«

»Rufen Sie ihn sofort zurück«, forderte Lieutenant Saxon hinter ihm. Ich war sehr froh, daß der Arzt da war.

Blighman nickte. »Sie haben recht. Behalten Sie ihn im Auge. Ich versuche ihn zu erreichen.« Er trottete zum TiefseeRufgerät, das einen konzentrierten Schwingungskegel in das Wasser sandte. In der Nähe der Wasseroberfläche waren diese Schwingungen gut zu hören, aber hier unten? Sie schienen die enormen Drücke der Tiefe nicht zu durchdringen, denn Roger kam nicht zurück. Er zuckte krampfhaft, dann begann er langsam, gleichmäßig und scheinbar ruhig zu schwimmen - in die falsche Richtung, also zu Portgeländer und den dahinter liegenden Tiefen.

»Rettungsmannschaft!« bellte Blighman, und Kadetten in Edenit-Tiefenausrüstung trotteten zu den Schleusen.

Aber David Craken schaute sich nach Roger um, fand ihn und kehrte um. Er erreichte ihn noch in Sicht der Beobachtungsports. Es sah ganz so aus, als habe Roger Schwierigkeiten, doch klar zu sehen war nichts.

David gewann. Sie kamen zurück, David hatte Captain Roger Fairfane im Schlepp, und so erreichten sie die Schleuse. Wir mußten auf die Pumpen warten.

Als wir in die Schleusenkammer kamen, lag Roger auf der Bank, hatte die Gesichtsmaske abgenommen, und das Mundstück blies pfeifend an seinem Schulterharnisch. Er sah totenblaß aus, seine Augen waren glasig und blutunterlaufen.

»Fairfane, bist du in Ordnung?« fragte der Trainer.

Roger Fairfane holte tief Atem. »Er hat mich geschlagen. Dieser Geleehering hat mich geschlagen!«

»Sir, das ist nicht wahr!« fuhr David Craken auf. »Roger hatte Schwierigkeiten, also habe ich .«

»Craken, ich habe gesehen, was da draußen los war«, schnappte Blighman. »Es ist möglich, daß du ihm das Leben gerettet hast. Jedenfalls sind die Tests damit zu Ende. Alle ‘raus aus den Klamotten!«

Roger Fairfane richtete sich mühsam auf. »Dagegen protestiere ich! Lieutenant Blighman, ich wurde von Kadett Craken angegriffen, weil er Angst hatte, ich könne ihn übertreffen. Ich habe die Absicht, dies vor das Schiedsgericht .«

»Du meldest dich im Lazarett!« rief Blighman scharf. »Ob du’s nun zugeben willst oder nicht, du reagierst auf Saxons Serum oder auf den Druck. Ich will kein Wort mehr von dir hören!« Zornig ging er.

Ich dachte, das sei nun wirklich das Ende der Tests, doch auch diesmal irrte ich.

»Sir«, bat David Craken, der auch müde aussah, »ich bitte um die Erlaubnis, den dreizehnhundert-Fuß-Test vervollständigen zu dürfen!«

»Was?« Blighman starrte ihn entgeistert an.

David wiederholte seine Bitte und fügte hinzu: »Ich habe Captain Fairfane nicht geschlagen. Ich möchte beweisen, daß ich den Test bewältigen kann.«

»Craken«, antwortete Blighman zögernd, »du bist auf dreizehnhundert Fuß, und das ist kein Kinderspiel.«

»Ich weiß es. Ich bin in Marinia geboren, Sir. Ich habe Erfahrung mit solchen Drücken.«

»Na, gut, Craken. Lieutenant Saxon sagt, diese Tests seien sehr wichtig wegen seines Serums. Du kannst also deinen Test machen.«

Ich sah David zu, wie er in die kalte Schwärze hinausschwamm. Er holte regelmäßig aus, bis er an der Führungsleine außer Sicht kam. Wir warteten auf seine Rückkehr, erst Sekunden, dann Minuten.

Er kam nicht. Er schwamm die Führungsleine entlang und darüber hinaus, über die Schwelle der Sichtbarkeit. Und kehrte nicht zurück.

4. Die Gezeiten warten nicht!

Der nächste Tag war ein böser Traum, doch zum Träumen blieb uns keine Zeit. Es war ein voller Akademie-Tag, der uns forderte.

Die Gezeiten warten nicht. Über dem Korallenportal des Verwaltungsgebäudes stand dies in großen Silberbuchstaben. Sie warteten auf nichts und niemanden, nicht auf Tragödien, verlorene Kameraden, auf Zwistigkeiten. David Craken war verschwunden, die Akademie lief weiter.

Wir standen in unseren leuchtendroten Uniformen auf der weißen Rampe aus Korallensand. Die heiße Bermuda-Sonne schien von einem tiefblauen, mit federigen Wolken durchzogenen Himmel, und die Kadettoffiziere bellten ihre Befehle. Ich riskierte einen Blick auf David Crakens Crew, doch die Lücke war schon aufgefüllt. Eladio Angels Gesicht sah angestrengt aus, doch ich hatte das Gefühl, David sei im Geist bei ihm.

Der offizielle Ausdruck für Davids Verschwinden hieß: Verschwunden, vermutlich ertrunken.

Die Band spielte die Tiefsee-Hymne, als wir uns vor der Inspektionsplattform am Verwaltungsgebäude aufstellten. Noch war nicht Mittag, doch die Sonne schien mörderisch heiß. Keiner verzog darüber eine Miene, keiner zuckte mit der Wimper, als die Oberklassenmänner durch die Reihen gingen. Der Kommandant hielt eine kurze Ansprache, dann schritt er die Reihen ab, kontrollierte Waffen und übersah keinen blinden Knopf und nicht das geringste Stäubchen an den Uniformen.

Dann marschierte eine Crew nach der anderen ab und wurde am Rampenende entlassen. Bob Eskow und ich trotteten in unser Quartier. Wir hatten zwanzig Minuten Zeit, ehe wir zur ersten Unterrichtsstunde des Tages antreten mußten.

Ein Kadett von den Posten hielt uns auf. »Eden? Eskow?« schnappt er. »Sofort beim Kommandanten melden. Beide. Aber plötzlich.«

Wir starrten einander an. Wir hatten doch nichts verbrochen, das einen Tadel verdient hätte ...

»He, plötzlich, hab’ ich gesagt, ihr Landratten! Worauf wartet ihr noch?« bellte der Posten. »Die Gezeiten warten nicht!«

Zuerst wurde ich aufgerufen. Bob blieb im Vorzimmer sitzen. Ich holte tief Atem und ging hinein. Meine Uniform war makellos - das dachte ich jedenfalls -, und die Mütze trug ich vorschriftsmäßig unter dem Arm. Ich salutierte zackig. »Sir, Kadett Eden, James, wie befohlen zur Stelle!«

Der Kommandant wischte sich den dicken Hals mit einem seeroten Taschentuch trocken und musterte mich. »Na, gut, Eden, stehen Sie bequem«, sagte er gemütlich. Dann ging er zur zweiten Tür des Büros. »Kommen Sie ‘rein, Lieutenant!« rief er.

Seetrainer Blighman marschierte steifbeinig herein. Der Kommandant stand am Fenster und schaute düster auf die weißen Stände hinaus. »Eden«, sagte er, ohne sich umzudrehen, »gestern haben wir bei den Tauchertests einen Mann verloren, David Craken. Ich hörte, Sie kannten ihn.«

»Jawohl, Sir, wenn auch nicht sehr gut. Ich lernte ihn erst kurz vor den Tests kennen.«

Er schaute mich nachdenklich an. »Aber Sie kannten ihn. Und ich sage Ihnen etwas, Eden, das Sie vielleicht nicht wissen. Es sind sehr wenige Kadetten an der Akademie, die das sagen können. Sein Zimmerkamerad, Kadett Angel. Sie. Sonst niemand. Es scheint, Kadett Craken lag nicht besonders viel daran, sich Freunde zu machen.«

Ich schwieg. Der alte Herr würde schon genauere Fragen stellen, wenn er etwas wissen wollte. Er schaute mich recht ernst an. Dann sagte er: »Lieutenant Blighman, haben Sie Ihrem Bericht über Kadett Craken noch etwas hinzuzufügen?«

»Nein, Sir«, ratterte Trainer Blighman. »Ich sagte schon, als Kadett Craken in angemessener Zeit nicht zurück war, alarmierte ich die Brücke und forderte eine Mikrosonarsuche an. Das Gerät war jedoch nicht voll einsatzbereit, und so wurden die Begleitschlepper um diese Suche gebeten. Es dauerte ein paar Minuten, bis die Schlepper uns erreichten, und sie fanden keine Spur von Kadett Craken.«

Ich dachte an David, wie er im eisigen, dunklen Wasser ganz allein einem Druck von dreizehnhundert Fuß Wasser standhalten mußte. Kein Wunder, daß die Schlepper keine Spur mehr von ihm fanden. In den unendlichen Weiten des Ozeans ist ein menschlicher Körper winzig klein.

»Was war mit dem Mikrosonar?« erkundigte sich der Kommandant.

»Nun, Sir, ich verstehe es nicht recht. Es klingt so unvernünftig.«

»Das entscheide ich«, erklärte der Kommandant gereizt.

»Jawohl, Sir.« Der Trainer fühlte sich sehr unbehaglich und sah mich düster an. »Erst ging offensichtlich schon ein Fadenmesser vom Deck des Übungsschiffs verloren, ehe wir tauchten. Das Mikrosonargerät war auf zwei Fadenmesser eingestellt, und vielleicht lag hier der Grund für die Funktionsstörung. Jedenfalls meldete der Suchtrupp ein ... Geisterbild. Als Craken verschwunden war, bauten sie das ganze Gerät auseinander, um die Fehlerquelle zu finden.«

»Ein Geisterbild«, wiederholte der Kommandant. »Erzählen Sie mal Kadett Eden, wie das aussah, Lieutenant.«

»Die Sonarcrew hielt es für ... hm ... eine Seeschlange.«

»So. Eine Seeschlange. Kadett Eden, der Lieutenant erzählte mir, Sie hätten etwas von einer Seeschlange erwähnt.«

»Jawohl, Sir«, bestätigte ich steif. »Bei elfhundert Fuß glaubte ich so etwas gesehen zu haben. Aber es hätte auch etwas anderes sein können, Sir, ein Fisch . Oder auch nur ein Fantasiegebilde von mir; Tiefenrausch oder so, Sir. Aber .«

»Aber Sie sprachen von einer Seeschlange, nicht wahr?«

»Jawohl, Sir.«

»Hm. Ich verstehe.« Der Kommandant setzte sich wieder. »Kadett Eden, ich habe das Verschwinden von Kadett Craken so gründlich durchgehen lassen, wie ich konnte. In verschiedenen Punkten sehe ich noch nicht recht klar. Dieser Fadenmesser ... Sicher, er war noch nicht angeschraubt, und die verantwortliche Crew hat dafür ihren Anpfiff schon bezogen; er kann über Deck gerutscht sein. Aber es gab mehrere ähnliche Vorfälle, und die haben uns jedenfalls einen Kadetten gekostet.

Und dann könnte ja wirklich eine Seeschlange damit zu tun haben. Eden, ich neigte bisher immer zu der Ansicht, alle Seeschlangen kämen aus Flaschen. Ich bin seit sechsundvierzig Jahren im Dienst und habe vieles gesehen, aber noch keine Seeschlange. Die Crew vom Mikrosonar ist sich dessen nicht ganz sicher, was sie gesehen hat - falls sie überhaupt etwas sahen -, und das Gerät arbeitete wegen des fehlenden Fadenmessers nicht einwandfrei. Können Sie positiv sagen, daß Sie eine Seeschlange gesehen haben?«

Ich überlegte fieberhaft. »Nein, Sir. So ganz sicher kann ich das nicht sagen. Es könnte eine Reaktion vom Tiefenserum oder vom Druck gewesen sein.«

»Hm. Das dachte ich mir. Bleibt also Punkt drei. Kadett Eden, ich habe schon mit Cadet Captain Roger Fairfane gesprochen. Er sagte, es habe zwischen ihm und Kadett Craken Unstimmigkeiten gegeben, und Craken könnte vor dem letzten Tauchversuch irgendwie verwirrt gewesen sein. Mit anderen Worten: Captain Fairfane deutete an, Craken könne absichtlich nach unten oder seitlich weggeschwommen sein, um Selbstmord zu begehen.«

Ich vergaß alle Akademiedisziplin. »Sir!« platzte ich heraus. »Das ist absolut lächerlich! Fairfane ist wahnsinnig, wenn er glaubt, David habe sich selbst umgebracht. Der Streit ging doch von Fairfane aus, und David hatte nicht den geringsten Grund, an so etwas zu denken! Sicher, er hat sich nicht besonders angeschlossen, aber er war ganz entschieden kein Selbstmordkandidat! Er war .«

Blighman starrte mich wütend an, und auch der Kommandant kniff die Augen zusammen.

»Verzeihung, Sir«, sagte ich schnell. »Aber es ist ausgeschlossen, daß Kadett Craken sich selbst getötet hat.«

Der Kommandant überlegte. »Na, schön, Kadett Eden. Wenn es für Sie von Interesse ist, sollen Sie hören, daß sich Ihre Meinung mit der von Lieutenant Blighman deckt. Er sagte, Craken sei, so etwa wie Sie, wenn ich das sagen darf, ein sehr vielversprechender junger Mann gewesen. Abtreten!«

Ich salutierte und ging, bemerkte aber, daß Blighman etwas verlegen dreinsah. Dieser alte Hai! Hinter diesen wütenden, hungrigen Augen war er also doch ein Mensch .

Am Nachmittag hatten wir nur eine Klasse, und da war Eladio Angel dabei. Bob war noch nicht vom Kommandanten zurück, und deshalb gingen Laddy, wie David ihn genannt hatte, und ich zusammen hin.

Laddy war ebenso wütend wie ich wegen Fairfanes Andeutung, David könne Selbstmord begangen haben. »David ist ein erstklassiger Taucher, nicht? Dieser Tintenfisch will seinen Namen zerstören. Und ich glaube nicht, daß David tot ist.«

Ich blieb stehen und starrte ihn an. »Aber .«

»Nein, bitte sage nicht, er sei tot. Ich kenne David, und ich weiß, daß er lebt. Ich kann nicht sagen, warum ich es weiß, aber ich weiß es. Er ist vermißt, ja. Man glaubt, er wäre ertrunken. Und ich muß akzeptieren, was die Akademie sagt. Ich packe daher seine Sachen, um sie an seinen Vater zu schicken ... Willst du etwas sehen, Jim?«

»Vielen Dank, Laddy. Aber ich will nicht neugierig sein.«

»Nein, das hat nichts mit Neugier zu tun, aber es mag interessant sein für dich. Du solltest das Bild anschauen, bevor ich es einpacke.«

Nun ja, warum nicht? Ich begleitete ihn also auf sein Zimmer und sah es sofort. Den Platz an der Wand über dem Kopfende des Bettes kann der Kadett so verwenden, wie er will. Die meisten hängen dort Fotos ihres Mädchens oder ihrer Familie auf, Bilder ihrer Lieblingsschiffe oder Sportidole. Aber über David Crakens Bett hing ein ungerahmtes Aquarell.

Er hatte es selbst gemalt und mit DC rechts unten signiert. Und es stellte eine Tiefsee-Szene dar. Aus einem Wald von Tiefseepflanzen brach eine Kreatur .

Die Vegetation war mir fremd, und auch sonst erschien mir die Szene unglaubhaft. Die dicken Blätter der Pflanzen schienen im dunklen Wasser zu glühen. Die Kreatur hatte einen merkwürdigen langen Hals, ein Maul mit spitzen Fangzähnen und genau den Kopf, den ich über dem Geländer des TiefseeFloßes gesehen hatte.

Als ich das Bild noch genauer anschaute, sah ich, daß es nicht allein war. Auf dem Rücken hockte wie ein Mahut auf einem Elefanten mit einem langen Stachelstock in der Hand eine menschliche Gestalt.

Seeschlangen .

Nein, ich glaubte doch nicht daran. Dieses Bild war etwas, wie es die Sonarleute gesehen zu haben glaubten, wie ich es mir selbst vielleicht vorgesagt, wovon David gesprochen hatte.

Aber die menschliche Gestalt auf dem Rücken des gepanzerten Tieres - nein, das Monstrum war das Phantasiegebilde eines Jungen aus Marinia.

Ich bedankte mich bei Eladio, daß er mir das Bild gezeigt hatte und ging.

Bob war noch immer nicht zurück. Ich ging zum Essen und kam zurück; Bob war noch nicht da. Könnte es sein, daß Trainer Blighman Bob hatte disqualifizieren lassen? Nun, ein Grenzfall war er jetzt ganz gewiß. Jeder von uns mußte jährlich, um auf der Akademie bleiben zu können, besondere Leistungen in einem Tiefsee-Sport aufweisen. In drei von vier Möglichkeiten hatte es Bob nicht geschafft. Jetzt hatten wir nur noch das Marathon-Tiefsee-Schwimmen vor uns. Und wenn er da auch .

Es hatte keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Ich setzte mich also an den Tisch und begann einen Brief an David Crakens Vater in Marinia. Die Adresse hatte ich von Eladio: Mr. J. Craken, c/o Morgan Wensley, Esq. Kermadec Dome, Marinia.

Natürlich würde die Akademie selbst an den Vater schreiben, aber ich wollte ihm etwas über das Allzuförmliche hinaus sagen. Wenn ich jedoch von der Seeschlange spräche oder vom Zwist mit Cadet Captain Roger Fairfane, so wäre dies sicher sehr töricht.

Ich schrieb also nur, daß ich David zwar noch nicht lange gekannt habe, doch er sei ein tapferer und geschickter Schwimmer gewesen, und er hinterlasse eine sehr bedauerliche Lücke. Falls er irgendwelche Fragen zu stellen habe, möge er mir schreiben.

Ich klebte gerade den Umschlag zu, als Bob kam.

Er sah erschöpft drein, aber nicht besorgt oder betrübt, eher aufgeregt. Ich bestürmte ihn mit Fragen, was geschehen sei, ob es Neues zu Davids Verschwinden gebe.

Er lachte, und ich fühlte mich erleichtert. »Jim, mach dir nicht so viele Sorgen. Nein, es gibt nichts Neues. Natürlich wurde ich wegen David gefragt, doch ich wußte ja nichts.«

»Und dazu hast du so lange gebraucht?«

Er schüttelte den Kopf und sah wieder aufgeregt drein. »Nein, dazu habe ich nicht so lange gebraucht«, antwortete er, und damit hatte sich’s. Mehr erfuhr ich nicht. Ich fragte auch nicht weiter. Aber ganz sicher hatte man ihn durch eine Mangel gedreht.

Vielleicht ging es doch um den Sport, und je mehr ich darüber nachdachte, desto überzeugter war ich.

Später erfuhr ich, wie sehr ich danebengeraten hatte.

5. Besuch aus der See

Das war im Oktober.

Wochen vergingen. Von Morgan Wensley, Kermadec Dome, bekam ich eine Bestätigung, daß mein Brief eingegangen sei und an Mr. Craken weitergeleitet werde. Dieser Morgan Wensley fand kein Wort des Bedauerns wegen Davids Verschwinden.

Soweit es um die Akademie ging, hätte David Craken nie existiert. Er wurde ganz einfach gestrichen. Laddy Angel und ich unterhielten uns ein paarmal über ihn, aber das war alles. Wir gehörten nicht der gleichen Crew an, waren nicht einmal im selben Gebäude untergebracht. Wir trafen uns immer seltener. Und fast vergaß ich David.

Wir hatten auch wenig Zeit, über die Vergangenheit nachzubrüten. Unterricht, Inspektionen, Sport, Training - jede Minute wurde ausgenützt, und hatten wir einmal eine Stunde frei, so übten Bob und ich draußen in den seichteren Gewässern Sporttauchen. Bob war fest entschlossen, für das Marathonschwimmen in bester Form zu sein. »Vielleicht falle ich durch, Jim«, sagte er, »aber das werde ich nicht, denn ich habe mein Bestes getan.« Er war unermüdlich, und manchmal hatte ich zu tun, um bei ihm mitzuhalten. Er schaffte schließlich zweieinhalb Minuten.

Ich war von frühester Kindheit an ein Dreiminutentaucher, doch das war so ziemlich die Grenze. Um Weihnachten herum hatte mich Bob eingeholt. Vierzig und fünfzig Fuß gingen wir hinab, nur mit der Atemluft in unseren Lungen, und schließlich blieben wir dreieinhalb Minuten unten. Wir waren bei jedem Wetter draußen, auch wenn es goß und wenn der Himmel so düster war, daß wir unsere Unterwassermarkierungen nicht mehr sahen. Für Bob hatte sich das auf jeden Fall gelohnt.

Auch sonst wurde er im Wasser viel geschickter. Er verlor Gewicht, wurde drahtiger und dabei muskulöser. Vor den Weihnachtsferien musterte ihn Lieutenant Saxon gründlich. »Sie sind doch beim Tauchtest ausgefallen, nicht wahr?« fragte er.

»Jawohl, Sir.«

»Und jetzt wollen Sie sich wohl ganz umbringen? Mann, schauen Sie doch Ihre Karte an! Sie haben zwanzig Pfund verloren. Sie sind nur noch Haut und Knochen. Was tun Sie denn die ganze Zeit?«

»Nichts, Sir. Ich fühle mich absolut fit.«

»Das beurteile ich.« Aber am Ende ließ ihn Saxon brummend gehen. Bob verausgabte sich, aber es gibt keine Vorschrift, daß ein Kadett sich schonen müsse. Zu den verrücktesten Zeiten trainierte Bob. Ihm lag unendlich viel daran, im Marathonschwimmen nicht durchzufallen. Ich dachte, wenn er schnell mal eine halbe Stunde einlegte, dann übe er, vielleicht Laufen oder sonst etwas zur Verbesserung seiner Atemtechnik.

Nun, ich irrte wieder einmal.

Monate vergingen. Endlich wurde es Frühling.

David Craken hatten wir fast vergessen, diesen seltsamen, verschlossenen Jungen aus der Tiefsee. Im Mai sollte das Marathonschwimmen stattfinden.

Kurz nach dem Mittagessen gingen wir an Bord des Übungsschiffs. Seit Davids Verschwinden waren Bob und ich zum erstenmal wieder auf dem Floß, und Bob schaute mich lächelnd an. »Armer David«, sagte er, und das war alles.

Für ihn; denn ich sah etwas anderes am Geländer, etwas Reptilhaftes, mit einem riesigen, eckigen Kopf, der aus der Tiefe wuchs. In meinen Träumen hatte ich ihn oft gesehen. Aber dieses erste Mal - war es da wirklich auch ein Traum gewesen?

Jetzt war nicht die richtige Zeit, darüber nachzudenken. Als wir ein Stück auf See waren, rief uns Cadet Captain Roger Fairfane auf, uns zu Crews zu sammeln, und Trainer Blighman drillte uns noch gründlich, jeweils eine Viertelstunde, dann zehn Minuten Pause.

Schließlich wurden wir alle unter Deck befohlen. Die Luken wurden versiegelt, das Schiff tauchfertig gemacht. Die Schlepper erhielten ihre Signale, und wir gingen auf zehn Faden hinab, um unsere Fahrt unter Wasser fortzusetzen. Unser Ziel lag zehn Seemeilen entfernt, eine Meile zu sechstausend Fuß, also insgesamt sechzigtausend Fuß, fast elfeinhalb Landmeilen.

Diese Meilen sollten wir zum Stützpunkt zurückschwimmen, alles in zehn Faden Tiefe, bis wir das seichte Wasser erreichten.

Wir hatten etwa den halben Weg zurückgelegt, als wir in unsere Tauchkleidung befohlen wurden mit Maske, Flossen, Elektrolunge und Thermoanzug. Diese Anzüge brauchten wir, wenn sie uns auch beim Schwimmen hinderten. In zehn Faden Tiefe war unser Feind nicht der Druck, sondern die Kälte. Die Wassertemperatur liegt selbst in den Bermudagewässern Ende Mai nur bei etwa 25° C. Stellt man einen Stahlblock von der menschlichen Körpertemperatur ins Wasser, so kühlt er sehr bald ab. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Stahl und Körper: es tut einem Stahlblock nichts, wenn er nur 25° C warm ist, sehr viel aber einem menschlichen Körper. Der hält das nicht lange aus.

Natürlich erzeugt der Körper ständig Wärme und verbraucht dafür viele Kalorien. Dazu kommt dann noch der Kalorienverbrauch durch die Bewegung - das ist Raubbau am Körper, und deshalb mußten wir die Thermoanzüge tragen.

Früher, ehe es diese Thermoanzüge gab, hatten zum Beispiel die Kanal schwimm er dicke Lagen Fett auf ihren Körper geschmiert, doch das nützte nichts, denn das Fett verteilte erst recht die Wärme. Manche schafften es trotzdem, die meisten mußten aufgeben.

Wir waren hunderteinundsechzig auf dem Schiff, und traditionsgemäß durfte keiner hier durchfallen. Ich drückte also Bobs Arm, als wir die Leiter zur Schleuse hochstiegen. »Du schaffst es«, flüsterte ich Bob zu.

Er grinste mich an, doch er schien besorgt zu sein. »Muß ich doch«, wisperte er zurück, und dann waren wir in der Schleuse. Die Seetorblende ging auf. Hunderteinundsechzig Schwimmer in Thermoanzügen mit Elektrolunge verließen das Übungsschiff.

Grünes Sonnenlicht filterte von oben durch. Wir hatten erst noch Aufwärmübungen zu machen, nur fünf Minuten, dann rief Trainer Blighman die Crewführer auf. Zehn Sekunden Pause, dann ein schrilles Biepsignal, und wir legten ab.

Bob und ich gehörten der letzten Crew unter Roger Fairfane an. Ich war fest entschlossen, Bob nicht allein zu lassen. Fast sofort brach unsere normale Formation auf. Zehn, zwanzig, vielleicht dreißig Schwimmer verteilten sich um uns herum im Wasser.

Bob sah mich an und lachte, dann konzentrierte er seine ganze Aufmerksamkeit auf die lange Strecke.

Während der ersten Meile kam Cadet Captain Roger Fairfane nahe an uns heran und winkte uns ärgerlich. Wir waren ein Stück hinter den anderen, und er wollte, daß wir aufholen sollten. Ich schüttelte bestimmt den Kopf und deutete auf Bob. Roger schnitt eine fürchterliche Grimasse, schoß voran und kehrte dann um. Verdrossen blieb er auf der ganzen Strecke neben uns. Als Crewoffizier war es seine Pflicht, ein Auge auf Nachzügler zu haben, und das waren wir.

Die zweite Meile ging ganz gut. Bob zeigte keine Müdigkeit. Während der dritten Meile spürten wir allmählich die Kälte und die Müdigkeit. Die anderen waren nun alle außer Sicht. Bob machte eine kurze Pause, rollte sich auf den Rücken und streckte sich aus .

Und beschrieb eine richtige Schleife. Roger und ich schossen besorgt auf ihn los, doch er richtete sich aus, grinste und machte mit den Fingern das V-Zeichen. Nun war ich überzeugt, Bob würde es schaffen. Die langen Monate seines verbissenen Trainings schienen sich gelohnt zu haben.

Ungefähr eine Meile vom Akademiegelände entfernt zogen wir in die leichte Brandung. Es war jetzt dunkel, and die letzten Schwimmer mußten längst da sein.

So müde wir auch waren, Bob und ich klatschten begeistert in die Hände. Roger stand ungeduldig im seichten Wasser und schnarrte etwas Gereiztes, doch das war uns egal. Bob hatte es geschafft!

Roger nahm aus seinem wasserdichten Hüftbeutel eine Signalpistole und schoß das Signal ab, daß wir gut angekommen seien. Das war deshalb nötig, weil sonst Suchgruppen ausgeschickt worden wären. »Na, kommt schon endlich«, knurrte er.

Wir nahmen Masken und Mundstücke ab und taten tiefe Atemzüge in der warmen, duftenden Luft. Dann schlüpften wir aus den Thermoanzügen und grinsten. »Kommt doch!« schrie Roger. »Worauf wartet ihr noch?«

Noch immer lachend stapften wir zu ihm durch das seichte Wasser. Drüben, jenseits des Akademiegeländes, brannten schon die gelben Lichter in den Ferienhotels, und der Himmel über Hamilton war hell. Ein voller, dicker, goldener Mond erhob sich über den Horizont. Von der Akademie her stieg eine scharlachrote Rakete auf zum Zeichen dafür, daß unser Signal gesehen worden war und alle durchgehalten hatten.

Roger schrie wütend: »He, Eskow, willst du endlich aufwachen? Du hast die ganze Crew aufgehalten, du Geleehering!« Da schwieg er plötzlich und schaute in das Wasser zwischen uns. Eine Welle hatte etwas an uns vorbeigewaschen, etwas, das schwach blau schimmerte.

Es war ein kleiner Metallzylinder, nicht größer als eine Seerationsdose. Die Welle zog sich zurück und nahm die Dose mit. Bob bückte sich und fischte die Dose aus dem Wasser.

Wir sahen es sofort. Das schwache Glühen stammte von einer Edenitbeschichtung!

»He, Jim, das ist beschichtet!« rief er. »Was, in aller Welt ...«

Es mußte also etwas aus der Tiefsee sein, denn Edenit war für Tiefsee-Tauchen, für nichts sonst. Ich nahm das Ding. Es war schwer, konnte aber noch schwimmen. Hier in der Atmosphäre schimmerte das Edenit nur schwach, aber der winzige Feldgenerator innen mußte noch arbeiten. Ich sah, wie sich das Licht rippelte, als mein Atem an den Zylinder schlug und eine Druckveränderung bewirkte. Und dann bemerkte ich eine dunkle Linie, wo zwei Hälften zusammengefügt waren.

»Das Ding ist zu öffnen«, stellte ich fest, und Roger kam nun ebenfalls herangeplatscht.

»Was habt ihr da? Laßt mich mal sehen.« Instinktiv reichte ich es Bob, und er hielt es zögernd Roger entgegen, ohne es abzugeben.

»Gib her!« knurrte Roger. »Ich hab’s zuerst gesehen.«

»Moment mal«, widersprach Bob ruhig. »Ich spürte es an meinem Bein, bevor du es gesehen hast. Du warst damit beschäftigt, mich einen Geleehering zu nennen, und ...«

»Es gehört mir!«

Da mischte ich mich ein. »Warum machen wir’s nicht auf und sehen nach, was drinnen ist?«

Beide schauten mich an. Roger zog eine verächtliche Grimasse. »Na, schön. Aber vergeßt nicht, ich bin euer Kadettoffizier. Ist der Inhalt wichtig, so ist es meine Pflicht, ihn in Verwahrung zu nehmen.«

»Klar«, meinte Bob und reichte mir den Zylinder. Ich bemerkte, wie er mir kaum merklich zublinzelte und nahm das Ding an beiden Enden. Es ließ sich leicht öffnen. Sofort hörte der Schimmer der Edenitbeschichtung auf. Ich schüttelte den Inhalt in meine Hand. Es war eine dicke Rolle Papier - Geld! Sehr viel Geld, zusammengerollt und mit einem Gummiband zusammengehalten. Dann kam ein Dokument zum Vorschein, das wie ein Brief aussah. In diesem Brief steckte ein winziges Samttäschchen. Und als ich da hineinschaute, verschlug es mir den Atem.

»Was ist?« herrschte mich Roger an.

Ich schüttelte den Kopf und schüttete den Inhalt des Täschchens in meine Hand. Es waren dreizehn riesige, schimmernde Perlen, die wie milchiges Edenit im gelben Mondlicht glühten.

Dreizehn Perlen! Sie waren ungewöhnlich schön und perfekt, alle von einheitlicher Größe.

»Perlen!« stöhnte Roger. »Tonga-Perlen! Ich hab’ einmal eine gesehen. Sie sind unbezahlbar!«

»Tonga-Perlen«, flüsterte Bob ehrfürchtig. »Stell dir vor .«

Wir alle hatten von ihnen gehört, kaum einer hatte je eine gesehen. Und hier waren ganze dreizehn Stück, riesig und vollkommen! Das waren die wertvollsten und geheimnisvollsten Perlen der See überhaupt, denn sie leuchteten aus sich heraus in einem geisterhaft silbernem Schimmer von solcher Schönheit, die keine Wissenschaft je hatte erklären können. Die Perlengründe, von denen sie stammten, hatte noch niemand entdeckt. Ein Tiefsee-Mann hatte einmal gesagt: »Es heißt, sie stammen aus dem Tonga-Graben aus einer Tiefe von sechs Meilen, und deshalb heißen sie Tonga-Perlen. Aber Austern leben nicht in dieser Tiefe, unter fünftausend Fuß gibt es keine mehr, jedenfalls keine großen. Ich war dort, soweit ich mit dem Edenit hinunterkam, und da ist nichts als kaltes Wasser und toter, schwarzer Schlamm.«

Aber von irgendwoher mußten sie ja wohl kommen ...

»Ich bin reich!« rief Roger erregt. »Steinreich! Jede ist viele Tausender wert, und ich hab’ dreizehn Stück davon!«

»Moment mal«, wandte ich scharf ein. Er blinzelte mißtrauisch und griff nach meiner Hand, doch ich entzog sie ihm.

»Die gehören mir!« schrie er. »Verdammt, Eden, gib sie her! Ich hab’ sie gesehen und geb’ sie nicht her! Meines Vaters Anwälte werden .«

Bob Eskow holte tief Atem. »Nun, Roger, mein Vater hat zwar keine Anwälte, aber ich meine, wir drei haben sie gemeinsam gefunden. Also teilen wir drei auch.«

»Eskow, du stinkiger kleiner .«

»Moment«, unterbrach ich ihn. »Ihr habt beide vergessen, daß uns dies nicht gehört. Jemand hat sie verloren und will sie zurückhaben. Vielleicht haben wir gewisse Fundrechte, aber im Moment müssen wir die ganze Sache wohl dem Kommandanten übergeben. Er hat zu entscheiden, was dann zu geschehen hat. Und dann .«

»Seht, leise!« warnte Bob, schaute über meine Schulter den Strand entlang und kniff die Augen zusammen. »Ich fürchte, du hast recht, Jim«, flüsterte er. »Jemand hat sie verloren. Und jemand kommt jetzt und holt sie zurück.«

6. Perlenaugen

Bob stand da und deutete auf die See hinaus. Für einen Moment sah ich nur den Mond, der sich im Wasser spiegelte, doch dann erblickte ich den Mann, der aus dem Wasser gewatet kam.

»Wer ist das?« fragte Roger scharf. »Ein Kadett?«

»Nein.« Ich wußte, dies war unmöglich. Als Kadett, der am Marathonschwimmen teilgenommen hatte, wäre er so gekleidet gewesen wie wir. Er trug nur Schwimmhosen von heller, metallischer Farbe, und je näher er uns kam, desto seltsamer sah er aus. Etwas an ihm war merkwürdig; anders ließ sich das nicht beschreiben.

Das Mondlicht ist ein Farbendieb; das polarisierte Licht zieht Rot und Grün heraus und verwäscht alle Zwischentöne, bis nur noch Grau bleibt. Aber seine Haut schien viel zu weiß, zu fischbäuchig blaß zu sein. Und sein Gang war sonderbar. Das kam nicht von seinen Flossen ... Nein, er trug gar keine. Das sah ich, als er näher kam. Oder sie waren viel kleiner als die unseren. Und seine Augen glichen kalten, milchigweißen Perlen mit einem schwarzen Pupillenpunkt.

Schnell warf ich die Perlen zurück in das Samttäschchen und legte alles wieder in den Edenit-Zylinder. Den schraubte ich zusammen, und sofort schimmerte die Edenit-Beschichtung wieder.

Ein paar Schritte vor mir blieb der Fremde stehen. Seine Augen hingen an dem Zylinder. Vom Gürtel seiner Badehose hing ein langes Messer.

»Hallo«, sagte er keuchend, »ich sehe, Sie haben etwas gefunden, das ich verloren habe.« Seine Stimme war barsch und flach, ohne Akzent, doch das Atmen schien ihm Schwierigkeiten zu machen. Erstaunlich fand ich das nicht, denn wenn man lange schwimmt, kann man schon außer Atem kommen. Zusammen mit diesen Augen und der farblosen Haut war das alles so sonderbar, daß ich ihn lieber bei Tageslicht und zwischen mehreren Menschen getroffen hätte.

»Das gehört uns!« rief Roger. »Wenn Sie sich nichts Besseres einfallen lassen, können Sie die P.«

»Haben Sie etwas verloren?« unterbrach ich Roger schnell. »Dann können Sie’s auch sicher genau beschreiben.«

Erst überflog Zorn das Gesicht des Fremden, doch dann lachte er entwaffnend, und ich bemerkte, wie weiß und ebenmäßig seine Zähne waren.

»Natürlich, warum auch nicht?« Er deutete mit einer seltsam geformten Hand. »Sehr genau brauche ich mein Eigentum nicht zu beschreiben, denn Sie halten es ja in der Hand. Es ist der Edenit-Zylinder.«

»Gib’s ihm nicht«, riet Roger scharf. »Er soll beweisen, daß es ihm gehört. Und er soll sagen, wer er ist.«

Seltsam, der Fremde keuchte noch immer, und dabei hatte er doch schon vor einigen Minuten das Wasser verlassen ...

»Ich kann schon sagen, wer ich bin«, antwortete der Fremde. »Ich heiße Joe Trencher.«

»Und woher kommen Sie?«

»Das ist weit von hier. Ich komme aus Kermadec.«

Kermadec! Dort hatte doch David Craken gelebt, halbwegs um die Erde herum, vier Meilen unter der See, auf einem Seeberg mit abgeflachtem Gipfel zwischen Neuseeland und den Kermadec-Tiefen. »Mr. Trencher, Sie sind aber weit weg von zu Hause«, sagte ich.

»Viel zu lange.« Er lachte ein wenig atemlos. »Ich bin nicht an dieses trockene Land gewöhnt. Es ist nicht so wie in Kermadec.«

Daß er nicht von Kermadec Dome sprach, war wohl eine lokale Frage, doch das fiel mir auf. »Würden Sie uns erklären wollen, weshalb Sie hier sind?« fragte ich.

»Natürlich. Ich verließ Kermadec ...« - zwischendurch keuchte er immer wieder - »in einer geschäftlichen Sache und reiste in meinem eigenen Seewagen. Sie verstehen deshalb, daß ich mit diesen Gewässern hier nicht vertraut bin. Mein Sonargerät muß wohl schadhaft gewesen sein. Vor einer Stunde kreuzte ich auf Autopilot in fünfhundert Faden Tiefe in Richtung Sargasso City. Und dann weiß ich nur noch, daß ich um mein Leben schwamm ... Ich denke, ich lief mit meinem Wagen auf Grund. Dabei trieb dann diese Edenit-Kapsel an die Oberfläche. Ich werde Sie gerne belohnen dafür, daß Sie mir halfen, sie wiederzufinden. Wenn Sie mir daher .«

Er griff nach der Kapsel, doch ich trat zurück.

Roger Fairfane war sofort zwischen uns. »Wenn Ihnen das Ding gehört, bekommen wir eine Belohnung vom Fundbüro, doch Sie müssen erst beweisen, daß Ihnen das auch gehört, daß Sie ein Recht darauf haben.«

»Das kann ich tun. Aber Sie sehen doch, daß ich alles verloren habe außer diesem Zylinder. Mein Seewagen ist doch auch verloren. Welchen Beweis verlangen Sie von mir?«

Bob Eskow hatte bis jetzt nachdenklich geschwiegen. »Sie könnten uns ja etwas erklären, Mr. Trencher«, schlug er vor. »Was geschah mit Ihrem Thermoanzug, falls Sie einen hatten?«

»Natürlich hatte ich einen.« Der Fremde funkelte uns an. Offensichtlich verlor er allmählich sein Gleichgewicht. »Und eine Elektrolunge hatte ich auch. Wie hätte ich sonst den Aufprall überleben sollen?«

»Was haben Sie denn damit gemacht?«

Trencher krümmte sich in einem Hustenanfall zusammen. Ich überlegte mir, was davon echt war und was nur der Versuch eines Zeitgewinnes. »Der Anzug war schadhaft«, keuchte er schließlich. »Ich konnte, als ich die Oberfläche erreichte, die Gesichtslinse nicht öffnen, also mußte ich sie aufschneiden und wegwerfen.«

»Trencher, das ist eine Lüge«, erklärte Roger brutal.

Ich dachte schon, jetzt werde er uns anspringen. Er duckte sich auch zusammen, und seine Hand lag am Messergriff. Sein Atem pfiff, und die milchig-perligen Augen glühten böse im Mondlicht. Dann richtete er sich hoch auf, und seine weißen Zähne schimmerten, als er lächelte. Er schüttelte den Kopf.

»Junger Mann, Ihre Manieren lassen sehr viel zu wünschen übrig. Mir gefällt es nicht, ein Lügner genannt zu werden.«

Roger schluckte und trat einen Schritt zurück. »Na, schön«, meinte er einlenkend, »ich meinte ja nur, Ihre Geschichte ist nicht sehr überzeugend. Das müssen Sie doch selbst zugeben. Dieser Zylinder ist nämlich recht wertvoll.«

»Ich weiß«, erklärte der Fremde.

»Wenn Sie derjenige sind, der zu sein Sie behaupten, dann kann Sie doch sicher jemand identifizieren?« fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. Wieder fiel mir die tödlich weiße Haut auf. »Ich bin hier nicht bekannt«, antwortete er.

»Wen wollten Sie in Sargasso City besuchen? Wir könnten uns ja dort erkundigen.«

Er kniff seine merkwürdigen Augen zusammen. »Meine Geschäfte kann ich doch hier nicht diskutieren. Aber Ihre Forderung ist vernünftig. Fragen Sie doch in Kermadec Dome an. Ich kann Ihnen den Namen meines Anwalts dort nennen, Morgan Wensley.«

»Morgan Wensley!« Ich schrie den Namen heraus. »Das ist doch der Name des Mannes, der meinen Brief an Jason Craken beantwortete.«

»Craken?« Der Fremde tat einen Satz rückwärts, als sei der Name eine Drohung für ihn. »Craken? Was wissen Sie ... von Jason Craken?« Keuchend holte er Luft, und seine zusammengekniffenen Augen blitzten.

Ich erklärte es ihm. »Sein Sohn David war hier Kadett, ein Freund von mir, bis er vermißt wurde. Kennen Sie Mr. Cra-ken?«

Joe Trencher schien zu frösteln; entweder war ihm kalt vom Wasser, oder der Name Craken flößte ihm Angst ein. Ja, es war Angst, und die ließ ihn noch seltsamer und noch gefährlicher erscheinen.

»Den Namen habe ich gehört«, murmelte er, und seine sonderbaren Augen musterten hungrig den Edenit-Zylinder. »Ich habe keine Zeit zu verlieren, und ich will mein Eigentum zurückhaben!«

»Dann sagen Sie uns doch, was da drinnen ist.«

Sein weißes Gesicht sah häßlich aus, dann glättete es sich wieder. »Da ist Geld drinnen ...« Er zögerte und hustete. »Ja, Geld. Und Dokumente ...« Wieder ein Hustenanfall. »Und ... Perlen.«

»Schaut ihn doch nur an!« rief Roger. »Er rät ja nur!«

Ich meinte auch, daß er seiner Sache nicht besonders sicher zu sein schien, doch bis jetzt hatte er recht gehabt. »Welche Perlen?« wollte ich wissen.

»Tonga-Perlen.« Nun, für einen Mann aus Kermadec war das leicht zu erraten.

»Wieviele?«

Das blasse Gesicht zeigte einen Ausdruck von Wut und Angst. Sein keuchender Atem war für eine Weile das einzige Geräusch, das wir hörten. Dann gab er zu: »Ich weiß es nicht. Ich bin nur Agent, wissen Sie. Agent für Morgan Wensley. Er hat mich mit dieser Reise beauftragt, und er gab mir auch den Zylinder. Genau kann ich den Inhalt nicht beschreiben, denn er gehört ihm.«

»Dann gehört das Ding sowieso nicht Ihnen!« rief Roger triumphierend.

»Ich bin aber dafür verantwortlich. Also muß ich den Behälter zurückbekommen. He, Sie! Geben Sie ihn her!« sagte er zu mir.

Gewalttätigkeit lag in der Luft, aber Bob Eskow trat zwischen uns. »Hören Sie, Trencher«, sagte er. »Wir gehen zum Kommandanten. Er wird diese ganze Geschichte in die Hand nehmen. Gehört der Behälter Ihnen, dann wird er auch veranlassen, daß Sie ihn bekommen. Und er wird dafür sorgen, daß niemand betrogen wird.«

»Da bin ich nicht ganz so sicher«, brummte Roger Fairfane. »Ich würde das Ding lieber behalten, bis mir die Anwälte meines Vaters sagen, was damit geschehen soll.« Dann warf er einen Blick auf Trenchers langes Messer. »Ah, gut«, meinte er dann. »Gehen wir zum Kommandanten.«

Mr. Trencher hatte zwar Schwierigkeiten mit dem Atmen, doch er nickte. »Eine annehmbare Lösung«, keuchte er. »Sie brauchen nicht zu denken, daß ich das Gesetz fürchte. Ich bin bereit, Ihrem Kommandanten zu vertrauen, daß er meine Rechte anerkennt.« Plötzlich starrte er auf die offene See hinaus. »Schaut!« rief er.

Wir drehten uns in die Richtung, in die er deutete. »Was ist das in der See?« hörte ich Bobs Stimme, die fast ebenso atemlos klang wie die Trenchers.

Es ließ sich schlecht beschreiben, was es da zu sehen gab. Vielleicht eine Meile weiter draußen war etwas im Wasser. Es war riesig, doch zu erkennen war es im Mondlicht nicht. Ich dachte für einen Moment, ein dicker Hals hebe sich aus dem Wasser, ein Kopf - ein Reptilkopf, den ich über dem Geländer des Übungsschiffs gesehen hatte. Dann traf mich etwas direkt unter dem Ohr, und die Welt fiel unter mir weg.

Es tat eigentlich nicht sehr weh, doch für den Moment war ich gelähmt; ich sah und fühlte nichts. Nein, bewußtlos war ich nicht. Ich wußte nur, daß ich stürzte, doch ich konnte keinen Muskel rühren. Ein Judoschlag vermutlich, der momentan ein Nervenzentrum lahmte.

Dann klärte sich mein Gesichtsfeld. Ich hörte rennende Schritte auf dem Sand, dann das Platschen von Wasser.

»Eskow, halt ihn auf!« schrie Roger. »Er hat die Perlen!«

Aber Bob beugte sich besorgt über mich. Die Taubheit verließ allmählich meinen Körper, und ich spürte, wie Bob meinen Kopf abtastete.

»Nichts gebrochen«, murmelte er. »Aber dieser elende Hai hat dir ordentlich eine geknallt, als ich gerade nicht hinschaute. Mit der Handkante. Aber du hast Glück, Jim. Du scheinst keinen bleibenden Schaden davonzutragen.«

Ein paar Minuten später konnte ich aufstehen. Bob half mir. Mein Hals war steif und tat weh, aber er ließ sich bewegen.

Am Wasserrand stand Roger und starrte hungrig hinaus. Der Fremde war verschwunden. »Er hat dich geschlagen, dir den Edenit-Zylinder entrissen und ist ins Wasser getürmt. Roger verfolgte ihn, aber da wedelte der andere mit dem Messer herum, und Roger blieb zurück. Dann tauchte er und war verschwunden.«

Roger kam zurückgerannt. »Aufstehen!« schrie er. »Paßt auf das Wasser auf. Er kann nicht weit kommen. Viel länger kann er nicht unten bleiben, er muß doch ‘rauf zum Luftholen. Er hat keine Tiefsee-Ausrüstung. Ich will diese Perlen zurückhaben!« Er griff nach meinem Arm. »Eden, du verfolgst ihn! Bring die Perlen zurück, dann kriegst du einen ordentlichen Anteil.«

»Da mußt du dir schon ein bißchen mehr einfallen lassen«, erklärte ich ihm. Allmählich ging es mir wieder besser. »Bob ist mit einzuschließen. Und für alle von uns dreien gleichmäßige Anteile von allem, was dabei herausschaut. In Ordnung?«

»In Ordnung«, gab Roger widerstrebend nach. »Aber laß ihn nicht davonkommen!«

»Gut. Wir ziehen alle unsere Tiefsee-Ausrüstung wieder an, mit Elektrolunge, aber den Thermoanzug werden wir nicht brauchen. Wir gehen hinaus und warten, bis er seine Nase zum Luftholen aus dem Wasser steckt, dann packen wir ihn und holen ihn herein. Du hast recht, Roger, mehr als ein paar hundert Meter kommt er ohne Luft nicht aus.« Wir befestigten schnell die Elektrolunge und die Maske. »Und paßt auf sein Messer auf«, rief ich noch, als wir schon hinausschwammen, um auf das blasse Gesicht mit den merkwürdigen Augen zu warten.

Minuten vergingen. Roger war links, Bob Eskow rechts von mir. Nichts war zu sehen. Verzweifelt zog ich meine Beine an und tauchte, um zu versuchen, im Wasser etwas zu sehen. Es war wie Tinte, und es gab wie in einem Raum der Schwerelosigkeit kein Oben und kein Unten, und vor allem nicht einmal ein phosphoreszierendes Glühen. Das war gefährlich, weil man unter diesen Umständen leicht die Orientierung verlieren konnte. Ich hörte zu schwimmen auf und fühlte bald Luft an meinen Schultern und am Rücken. Ich hob den Kopf aus dem Wasser und schaute mich um.

Etwa hundert Meter rechts von mir rief Bob Eskow etwas und plantschte herum. Roger Fairfane schwamm auf ihn zu. »He! Beeil dich! Bob scheint ihn gefunden zu haben!« rief er mir zu.

»Aber paß auf sein Messer auf!« warnte ich ihn.

Im Wasser schwamm eine Gestalt. Messer? Da war kein Messer zu sehen, und es gab keine Perlaugen, kein milchigweißes Gesicht.

Wir schauten die Gestalt an, dann einander, schließlich packten wir zu und schwammen schnell zum Strand. Den offensichtlich leblosen Körper zogen wir auf den Sand.

Wie geheimnisvoll dies doch alles war! Dieser seltsame riesige Reptilkopf, der weißäugige Mann, der mich geschlagen und den Zylinder gestohlen hatte - wo waren sie nun?

Und was war nun dieses Geheimnis wieder? Denn der Körper, den wir herausgefischt hatten, war nicht der von Joe Trencher. Wir erkannten ihn sofort. Es war David Craken, bewußtlos und offensichtlich mehr als halb ertrunken.

7. Zurück aus den Tiefen

Bobs Stimme war voll Staunen und Ehrfurcht, und sogar Roger Fairfane schaute recht verblüfft drein. Ich konnte es ja selbst kaum glauben. Wenn ein Mann in dreizehnhundert Fuß Tiefe beim Tauchen ohne Spezialtaucheranzug verloren geht, dann rechnet man nicht damit, ihn nach Monaten noch lebend zu finden.

»Was steht ihr denn da herum?« rief ich. »Bob, hilf mir. Wir müssen ihn künstlich beatmen. Roger, du mußt zur Ablösung bleiben.«

Wir zerrten ihn auf den trockenen Sand, Bob kniete neben ihm nieder und sorgte dafür, daß er nicht an seiner Zunge erstickte. Ich bewegte seine Arme auf und ab, wie wir es gelernt hatten.

Aber es war kaum nötig. Denn nach einer knappen Minute rollte sich David herum und hustete. Dann versuchte er sich aufzusetzen.

»Er lebt!« schrie Roger Fairfane. »Jim, paß du auf, ich hole eine Ambulanz und einen Seedoktor. Dann melde ich es dem Kommandanten .«

»Warte«, bat David Craken matt. Er stützte sich auf einen Ellenbogen. »Bitte, noch nichts berichten. Noch nichts .«

Er zog sich an mir in die Höhe. Roger musterte ihn besorgt, dann schaute er hinaus auf die See, wo dieser Trencher verschwunden war. »Aber das müssen wir doch berichten«, erwiderte er wenig überzeugend.

»Bitte«, wiederholte David. Er schien erschöpft und durchgefroren zu sein, doch lebendig war er. Die Spuren an seinen Schultern zeigten, wo die Elektrolunge gesessen hatte, die er vermutlich nach seinem Auftauchen verloren hatte. »Berichtet noch nichts. Ich ... werde vermißt nach den Listen der Akademie. Lassen wir’s dabei.«

»Was war eigentlich mit dir los, David?« fragte Bob. »Wo warst du?«

David schüttelte den Kopf und sah Roger an; der musterte David, dann schaute er zu den Lichtern der Akademie hinüber. »Na, schön, Craken«, sagte er schließlich. »Wie du meinst.

Aber du solltest zu einem Seearzt gehen.«

David hustete, doch er lachte. »Ich brauche keinen. Ich komme auch nicht als Kadett zurück, verstehst du. Ich bin in Geschäften hier. Für meinen Vater. Ich war in einem Seewagen und wurde da unten angegriffen.« Er machte eine Kopfbewegung zu den schwarzen Wassern. »Tiefsee-Piraten«, rief er zornig. »Sie haben meinen Wagen angegriffen und mich ausgeplündert. Ich hatte Glück, mit dem nackten Leben davonzukommen.«

»Piraten?« Roger schüttelte den Kopf. »Im Vorgarten der Akademie! Craken, da muß etwas geschehen. Wie haben sie ausgesehen? Wieviele waren es? Welchen Seewagen benützten sie? Gib mir doch alle Tatsachen, Craken. Ich mache einen Bericht an die Flotte, und dann werden wir ...«

»Nein, warte, Roger«, protestierte David. »Ich brauche die Flotte nicht. Die kann mir jetzt nicht helfen. Und es soll niemand wissen, daß ich hier bin.«

Roger musterte ihn mißtrauisch, dann schaute er Bob und mich an. Ich sah direkt, wie sein Gehirn arbeitete, und ich wußte auch, wie er sich entscheiden würde. »So, du willst die Flotte nicht. Und es soll niemand wissen, daß du hier bist. Vielleicht deshalb, weil man dir etwas ganz Bestimmtes raubte?«

»Ich ... weiß nicht, wovon du redest«, erwiderte David matt.

»Du weißt es genau, Craken! Ich wette um einen ganzen Sommerurlaub. Waren es Perlen, was? Dreizehn Perlen? Tonga-Perlen, in einem Edenit-Zylinder?«

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, dann stand David auf. Sein Gesicht war ausdruckslos. »Sie gehören mir«, erklärte er. »Wo sind sie?«

»Dachte ich mir doch ... Was meinst du dazu, Eden? War doch ein bißchen zuviel Zufall, daß Craken genau in diesem Moment auftauchte. Er hat mit diesem Joe Trencher zu tun, der mir meine Perlen gestohlen hat.«

David richtete sich hoch auf. Ich dachte schon, er sei zornig, doch das war er nicht. »Trencher hast du gesagt? Trencher?«

»Ja, genau. Als ob du das nicht wüßtest. Ein komischer, kleiner weißhäutiger Bursche. Hatte Asthma, glaube ich. Trencher. Jetzt versuch uns nur nicht weiszumachen, daß du von dem noch nie was gehört hast!«

David lachte bitter. »Wenn ich das nur sagen könnte, Roger«, antwortete er nüchtern. »Aber ich muß zugeben, ich habe schon von ihm gehört. Besser gesagt, von ihnen. Trencher, das ist kein Name, verstehst du. Trencher ... Er kommt aus dem Tonga-Graben, dem Tonga-Trench.« Er schüttelte den Kopf. »Joe Trencher. Natürlich würde er einen solchen Namen angeben. Und ihr habt ihn gesehen?«

»David«, sagte ich, »wir haben ihn nicht nur gesehen, ich fürchte sogar, er ist uns mit den Perlen durch die Lappen gegangen.« Ich berichtete ihm rasch, was geschehen war von dem Moment an, da Bob den Zylinder an seinem Knöchel gespürt hatte, bis der Fremde mich schlug, ihn mir entriß und damit in die See tauchte. »Er kam nie mehr hoch«, schloß ich, »und dabei hatte er keine Elektrolunge, keinen Thermoanzug, nichts. Er müßte eigentlich jetzt draußen schon ertrunken sein.«

»Er und ertrunken?« David sah mich merkwürdig an, dann schüttelte er wieder den Kopf. »Nein, der ist nicht ertrunken, darauf kannst du dich verlassen. Ich werde es dir später einmal erklären, aber Leute wie diese Joe Trenchers werden nie ertrinken ... Und ich dachte, ich sei ihnen entkommen. So weit weg von Kermadec Dome ... Aber sie haben mich eingeholt. Das ließ sich wohl nicht vermeiden. Ich wußte es doch, als ich auf dem Mikrosonar sah, daß sich etwas sehr schnell näherte. Dann explodierte wohl ein Projektil, und dann weiß ich nur noch, daß mein Seewagen außer Kontrolle geriet und leckte. Diese Teufel kamen durch den Notausstieg herein. Ich kam weg, aber sie hatten die Perlen.« Er seufzte. »Ich brauche diese Perlen. Ich sollte sie verkaufen, um etwas für meinen Vater zu besorgen; etwas, das er sehr dringend braucht.«

»Woher hast du die Perlen?« fragte Roger. »Das mußt du uns schon sagen. Sonst, Craken, werde ich die ganze Sache berichten. Ich warne dich!«

»He, Moment mal, Roger«, warf ich ein. »Es hat wirklich keinen Sinn, David erpressen zu wollen.«

David Craken lächelte mich an, dann musterte er Roger Fairfane. »Erpressung, das ist genau das richtige Wort. Aber vergiß nicht, Roger, was ich dir sage: Ich werde dir niemals verraten, woher die Tonga-Perlen kommen. Es sind schon viele Menschen gestorben, die das herauszufinden versuchten. Ich sage es nicht. Ist das eindeutig klar?«

»Hör mal«, plusterte sich Roger auf, »mich kannst du nicht einschüchtern! Mein Vater ist ein sehr wichtiger Mann. Hast du je von der Trident Linie gehört? Siehst du, mein Vater ist einer der wichtigsten Männer dort. Und wenn ich meinem Vater erzähle .«

»Moment«, unterbrach ihn David. Sein Ton klang beruhigend, doch ihm schien etwas eingefallen zu sein. »Trident Linie hast du gesagt?«

»Ja, genau. Ich dachte doch, das würde dich beeindrucken. Gegen die Trident Linie kommst du nie an.«

»Nein, nein«, entgegnete David ungeduldig. »Das ist doch diese Tiefsee-Linie, nicht wahr?«

»Die drittgrößte der ganzen Welt«, erklärte Fairfane stolz.

David Craken holte tief Atem. »Roger, wenn du an den Tonga-Perlen interessiert bist, können wir uns vielleicht etwas ausdenken. Aber dazu brauche ich Hilfe. Nur nicht von der Flotte. Ich will da keinen Bericht, hörst du?«

Roger blies sich auf, weil die Angelegenheit nach seinem Wunsch zu laufen schien. »Vielleicht ist das auch gar nicht nötig, Craken. Was schlägst du vor?«

»Ich ... muß mir das erst einmal überlegen. Ich kam her, um etwas für meinen Vater zu erledigen, doch ohne die Perlen geht das nicht; oder ich brauche mindestens Hilfe. Erst einmal verschwinden wir von hier. Wo können wir uns unauffällig darüber unterhalten?«

»Ungefähr eine Meile von hier entfernt ist ein Strandhaus, es gehört dem Atlantik-Direktor der Trident Linie. Er ist aber nicht da. Und er sagte mir, ich könne es jederzeit benützen.«

»Ja, das geht. Kannst du mich dorthin bringen?«

»Ich denke schon. Aber glaubst du wirklich, daß dies nötig ist? Ich meine, machst du dir solche Sorgen, daß dich jemand von der Akademie sehen könnte?«

David schaute auf See hinaus. »Um jemanden von der Akademie mache ich mir keine Sorgen«, erklärte er Roger Fairfa-ne.

Wir trafen eine Vereinbarung, ließen David im Bootshaus, wo er auf uns warten sollte, und wir drei, Roger, Bob und ich, eilten zur Akademie und meldeten uns zurück. Alle Schwimmer, die das Marathonschwimmen bestanden hatten, bekamen als Belohnung für die ganze Nacht Ausgang, so daß wir keine Schwierigkeiten befürchten mußten. Der Posten in seiner scharlachroten Uniform warf uns nur einen flüchtigen Blick zu, doch Rogers Tasche musterte er mit hochgezogenen Brauen. »Zivilkleider?« wollte er wissen. »Was willst du damit?«

»Ich muß sie zur Reinigung bringen«, antwortete er, und das entsprach auch einigermaßen der Wahrheit. »Da ist ein ordentliches Geschäft in Hamilton.«

»Na gut. Weiter, Kadetten«, sagte er. Dann stand er wieder stramm. Ich fühlte mich erst sicher, als wir das Tor schon ein Stück hinter uns hatten. Roger hatte nicht gerade gesagt, daß wir nach Hamilton gehen wollten, doch wenn uns der Posten in eine andere Richtung davonhuschen sah, wurde er sicher mißtrauisch und stellte danach Fragen.

Ohne Zwischenfall kamen wir zum Bootshaus und fanden David vor. Und dabei war ich schon bereit, alles für einen Traum zu halten. Aber er war in voller Lebensgröße da, und wir warteten, bis er Rogers trockene Kleider angezogen hatte. Erst danach gingen wir weiter zum Strandhaus.

Über uns flog laut pfeifend der Nachtjet zum Festland weg. Bob, Roger und ich achteten kaum darauf, denn wir waren daran gewöhnt. Aber David versteifte sich und blieb lauschend stehen.

Doch dann lachte er mich verlegen an. »Das war doch nur das Linienflugzeug, nicht wahr? Ich kann mich an diese Geräusche nicht gewöhnen. Verstehst du, wir in Marinia haben so etwas nicht.«

Roger murmelte etwas, und es schien verächtlich zu sein. Vor uns ging er über den Strand. Er schien aber selbst nervös zu sein, und deshalb sagte ich zu David: »Hör nicht auf ihn. Wir sind froh, daß du wieder da bist. Sogar Roger. Er ist nur .«

»Er will die Tonga-Perlen in die Hand bekommen, nicht wahr?« David grinste breit. Jetzt schien er viel entspannter zu sein als vorher, doch seine Augen hingen immer an der schwarzen See. »Nun, verständlich wäre das. Natürlich sind sie von unschätzbarem Wert. Selbst jemand, dessen Vater ein großes Tier bei Trident ist, könnte den Wunsch haben, ein paar dieser Perlen für einen Regentag aufzuheben.«

Ich wollte fair sein. »Ich glaube, es ist nicht nur das, David. Roger will immer gewinnen, glaube ich. Für ihn ist das wohl sehr wichtig. Erinnerst du dich an diesen Tauchtest? Erinnerst ...« Ich unterbrach mich selbst und starrte ihn an. »Solltest du dazu nicht doch eine Erklärung abgeben?«

»Jim, glaub mir«, erwiderte er ernst, »ich werde jede Frage beantworten, für die ich eine Antwort weiß, auch diese. Aber nicht jetzt ...« Er zögerte und sprach leiser weiter. »Ich wurde entführt, Jim. Vom Übungsschiff weg. Von der Person, die sich Joe Trencher nannte.«

»Entführt? In einer Tiefe von dreizehnhundert Fuß? Das ist doch unmöglich, David! Wie sollte ein menschliches Wesen ... Und dazu wäre mindestens ein Seewagen nötig gewesen und weiß Gott was noch alles!«

David sah mich ernst an. »Jim, was läßt dich vermuten, daß Joe Trencher menschlich ist?«

8. Die Halbmenschen

Roger hatte von einem »Strandhaus« gesprochen, doch es war sehr weitläufig und zweistöckig und hatte zehn Morgen subtropischer Gärten mit zahlreichen Nebengebäuden. Der ganze Besitz war umgeben von einer sechs Meter hohen Dornenhecke mit winzigen roten Blüten. Eine Landkrabbe hätte sich da vielleicht mit Mühe durchzwängen können, aber für ein menschliches Wesen war dies ausgeschlossen.

Roger führte uns zu einer Tür in der Hecke, eine drei Meter hohe getriebene Metalltür, über der die Hecke dicht zusammengewachsen war. Die Tür stand weit offen, und niemand war zu sehen, doch unbewacht war sie nicht.

»Halt!« rief uns eine metallene Stimme an. »Halt, ihr da! Wohin geht ihr? Was wollt ihr?« Die Tür bewegte sich ein wenig, obwohl kein Wind ging. Sie schien sich vor uns schließen zu wollen.

»Das ist der automatische Wächter«, erklärte uns Roger ein wenig nervös, dann schrie er: »Ich bin Roger Fairfane. Ich habe Erlaubnis, hier ‘reinzukommen!«

»Roger Fairfane«, krackelte die mechanische Stimme. »Tritt vor!« Es zischte etwas, Statik knisterte, als suche ein unsichtbares elektronisches Gehirn eine Datenbank nach einem Roger Fairfane durch.

Roger tat einen Schritt vorwärts, und von einem Projektor seitlich an der Tür zuckte ein roter Lichtstrahl über ihn. In diesem Licht sah er nervös und ängstlich aus.

»Roger Fairfane«, ratterte die mechanische Stimme, »du hast Erlaubnis, zum Bootshaus zu gehen. Folge dem bezeichneten Pfad.« Es klickte, das Summen des Lautsprechers verklang. Die Tür schüttelte sich ein wenig, als bedaure sie es, sich nicht schließen zu dürfen.

Eine Linie aus dem violetten Licht von reiskorngroßen Troy-on-Leuchtkörpern leuchtete auf und bezeichnete einen Pfad, der durch die Palmen und Hibiskusbüsche zum Wasser führte.

»Kommt mit und bleibt auf dem Pfad«, drängte Roger.

Wir folgten dem gewundenen Korallenweg, der vom violetten Licht gekennzeichnet war. Das Bootshaus erwies sich als so groß wie ein normales Wohnhaus für eine mittelgroße Familie. Es gab hier ein Becken für einen privaten Tiefsee-Kreuzer, um das herum ein Haus gebaut war, in dessen Oberstock sich eine Wohnung befand. Rötliches Licht schoß uns aus dem Eingang heraus entgegen und erfaßte Roger Fairfane. Die Tür ging auf. Wir traten ein, die Tür schloß sich hinter uns. Ich fühlte mich so unbehaglich wie in einer Falle.

Erst mußten wir uns etwas zu essen suchen, denn wir alle waren hungrig, nicht nur David. Keiner von uns hatte seit dem Marathonschwimmen etwas gegessen. Roger verschwand in die Küche, und wir hörten ihn, als er mit den Instrumenten des elektronischen Haushälters herumprobierte. Nach ein paar Minuten kam er mit einem Tablett heraus und brachte Milch und belegte Brote mit. »Mehr konnte ich nicht finden«, erklärte er bedauernd. »Die Wohnung gehört dem Piloten des Seewagens und ist nicht sehr gut bestückt.«

Aber es genügte uns. Wir verschlangen die belegten Brote und saßen dabei vor dem röhrenden Kaminfeuer, das sich selbst entzündet hatte, als wir den Raum betraten. Wenn dies die Pilotenwohnung war, wie mochte erst die des Hausherrn aussehen! Wir waren sehr beeindruckt von dem Luxus, der uns umgab, sogar Roger. Und dann redeten wir.

David schluckte den letzten Bissen hinunter und schaute uns an. »Es ist schwierig, ich weiß nicht recht, wo ich anfangen soll«, sagte er schließlich.

»Nun, dann fang mal mit den Tonga-Perlen an«, schlug Roger vor.

David sah erst ihn an, dann Bob und mich. Er sah besorgt drein.

»Ehe ich damit beginne, müßt ihr mir etwas versprechen. Das, was ich euch jetzt erzähle, dürft ihr ohne meine Erlaubnis an keinen Menschen weitergeben. Besonders wichtig ist, daß ihr keinen Bericht an die Flotte macht.«

»In Ordnung«, erwiderte Roger sofort.

Ich zögerte. »Ich weiß nicht recht, ob wir das versprechen sollten«, wandte ich ein. »Schließlich sind wir Kadetten und werden für die Flotte ausgebildet .«

Bob Eskow schien sich auch mit einem Gedanken herumzuschlagen, wollte schon etwas sagen, ließ es dann aber sein.

David Craken sah mich fest an. Seine Stimme drückte große Sicherheit und Bestimmtheit aus. »Jim, wenn du nicht versprechen kannst, den Mund zu halten, muß ich dich bitten, zu gehen. Es hängt zuviel davon ab. Ich brauche dringend Hilfe, aber ich kann das Risiko nicht auf mich nehmen, daß etwas nach außen dringt. Leben und Tod hängen davon ab, Jim. Meines Vaters Leben.«

»Hör mal, Jim, da gibt es doch gar kein Problem«, fuhr mich Roger an. »David verlangt doch nicht von dir, daß du gegen deinen Eid verstoßen sollst. Du bist ja noch gar nicht vereidigt. Also, warum willst du dieses Versprechen nicht geben?«

»Moment, Roger«, bat David. Er wandte sich wieder an mich. »Angenommen, ich bitte dich, diese Unterredung solange geheim zu halten, als dies nicht gegen deine Pflichten der Flotte gegenüber verstößt. Und wenn du darüber sprechen zu müssen glaubst, daß du vorher mit mir darüber redest.«

Ich überlegte. Das erschien mir vernünftig, aber ehe ich etwas sagen konnte, stand Bob Eskow auf. »Ich rede für mich«, sagte er. »Ich finde das in Ordnung. Das besiegeln wir mit einem Handschlag.«

Wir reichten einander alle ein wenig düster die Hände.

»So, und woher hast du die Perlen?« fragte Roger.

»Sei nicht so ungeduldig«, wehrte David lachend ab. »Weißt du, Roger, ich könnte dir die Stelle ganz genau beschreiben, sie auf der Tiefsee-Karte bezeichnen und dir den Weg dorthin angeben. Aber das würde dir gar nichts nützen. Verstehst du, Roger, lebendig würdest du nämlich nicht davon zurückkommen.« Das fügte er sehr ernst hinzu.

Er lehnte sich zurück und schaute ins Feuer. »Mein Vater ist ein sehr erfahrener Benthologe, ein Wissenschaftler, der Flora und Fauna des Meeresbodens genau kennt. Seinen Ruf erwarb er sich viele Jahre vor meiner Geburt und unter einem anderen Namen. Er machte viele Forschungsreisen und entdeckte unter anderem die Austernbänke, von denen die Tonga-Perlen stammen ... Ich wollte, das hätte er nie getan, denn diese Perlen sind sehr ... gefährlich.«

»Das sind doch dumme Legenden«, warf Roger verächtlich ein.« Aberglaube! Seit vielen Jahrtausenden gibt es die Unglücksgeschichten über berühmte Edelsteine, aber das einzige Unglück besteht darin, sie nicht zu besitzen.«

David Craken schüttelte den Kopf. »Die Tonga-Perlen haben wirklich schon viel Unheil gebracht. Vielleicht deshalb, weil sie so ungeheuer kostbar sind, vielleicht auch nur wegen ihrer Schönheit. Ich weiß es nicht. Aber glaubt mir, an diesen Geschichten ist schon einiges. Sie sind die Ursache dafür, daß alle Männer dieser Expedition starben - mit der einzigen Ausnahme meines Vaters.«

»Willst du damit sagen, sie haben einander wegen der Perlen umgebracht?« fragte Roger.

»Oh, nein! Es waren lauter tadellose Männer - Wissenschaftler, Forscher, Tiefsee-Fachleute. Aber die Perlenbänke sind sehr gut bewacht. Deshalb ist noch nie jemand zurückgekommen von den Tonga-Bänken, der ihre Lage hätte beschreiben können.«

»Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Von wem bewacht?«

David runzelte die Brauen. »Jim, du darfst nicht vergessen, daß die Ozeane größtenteils noch so fremd und unerforscht sind wie andere Planeten. Es gibt auf der Erde dreimal soviel Ozeanboden wie Festland. Und Ozeanboden ist sehr schwer zu erforschen. Wir können im Ozean reisen, wir können mit Fadenmessern und Mikrosonar suchen, aber wie weit reicht äußerstenfalls diese Suche? Es ist ungefähr so, als wollten wir die Bermudas während eines Gewitters vom Flugzeug aus kartographisch aufnehmen. Wir sehen Flecken, wir können mit Radar die Wolken durchdringen, aber da bekommen wir nur die großen, groben Umrisse und keine Feinheiten. Unter der See gibt es Dinge, die du nie glauben würdest.«

Ich hätte ihn jetzt gerne gefragt, ob er diesen schrecklichen Saurierkopf meinte, den ich über der Reling des Übungsschiffs gesehen hatte, oder das Geheimnis seines eigenen Verschwindens und seiner Rückkehr, oder die seltsamen Augen der Kreatur, die sich Joe Trencher genannt hatte. Aber etwas hieß mich schweigen.

»Das Schiff ging verloren«, fuhr David fort. »Mein Vater kam mit seiner Taucherausrüstung durch und brachte die ersten paar Perlen mit. Ich denke, er hätte genau berichten müssen, was der Expedition zugestoßen war, doch er tat es nicht.« Er schien sich für seinen Vater entschuldigen zu wollen. »Versteht ihr, damals waren die Zeiten noch anders. Die Eroberung der Tiefsee-Welt begann ja erst. Es gab damals keine TiefseeFlotte, Piraterie war an der Tagesordnung. Er wußte, daß er seine Rechte als Entdecker verlieren würde, vielleicht sogar sein Leben, wenn das Geheimnis der Perlen durchsickerte.

Also berichtete er nichts. Er änderte seinen Namen ab in Jason Craken. Kraken - nur die Schreibweise ist leicht verän-dert - ist der Name für die legendären Ungeheuer der Tiefsee. Der war sehr geeignet, wie ihr seht. Er nahm die Perlen, die zu retten ihm gelungen war und verkaufte sie, immer nur ein paar, und er war darin sehr sorgfältig. Es war auch nicht immer ganz legal, doch ihm blieb keine andere Wahl, müßt ihr wissen.«

David richtete sich höher auf, und seine Augen blitzten. »Nun, ich sagte euch ja schon, daß er ein erfahrener Bentholo-ge war. Er erfand eine neue Technik, mit der mehr Perlen geerntet werden konnten, ohne daß er dabei sein Leben verlor. Glaubt mir, leicht war das nicht. Diese ganzen Jahre hindurch hat er die Tonga-Perlenbänke abgeerntet .«

»Und das ganz allein!« rief Roger Fairfane, schob seinen Stuhl zurück und sprang auf. Wie ein Tiger im Käfig lief er auf und ab. »Ein Mann allein, der alle Tonga-Perlen erntet! Welch eine Gelegenheit!«

»Viel mehr als das, Roger«, bemerkte David. »Denn ganz allein war er nicht. Er hatte - nun, wir können sie Angestellte nennen - er hatte also Leute, die ihn beschützten und ihm bei der Perlenernte halfen.«

Bob Eskow stand auf. »Ich meinte, du sagtest, dein Vater sei der einzige gewesen, der die Lage der Perlenbänke kannte.«

David nickte und schwieg eine Weile. »Diese Angestellten waren ja auch keine Menschen.«

»Keine Menschen? Aber .«

»Bitte, Bob. Laß mich das auf meine Art erzählen.« Bob setzte sich wieder. »Mein Vater hat sich in der Nähe der Perlenbänke ein Heim geschaffen, eine Tiefsee-Festung, mit Edenit gepanzert. Er hat viele Perlen gesammelt. Er hat für sich selbst in den Tiefsee-Städten eine neue Identität geschaffen, so daß er die Perlen verkaufen konnte. Er hat damit viel Geld verdient.

Solange meine Mutter noch lebte, hatten wir jeden Luxus. Es war ein phantastisches, wundervolles Leben, halb in den Tiefsee-Städten, halb in unserer eigenen geheimen Kuppel.

Aber dann starb meine Mutter. Danach wurde alles anders.«

Seine Stimme wurde nun ein wenig undeutlich, sein Gesicht sehr blaß. Ich bemerkte auch, daß seine Hände zitterten, doch er sprach schon weiter.

»Alles hatte sich verändert. Mein Vater ist jetzt ein alter, kranker Mann. Er kann seine ... Angestellten nicht mehr so regieren, wie er es tat. Sein Tiefsee-Reich entgleitet ihm langsam. Die Leute, denen er vertraute, haben sich gegen ihn gewandt. Er hat niemanden mehr. Deshalb brauchen wir Hilfe!«

Bob und Roger waren ganz aufgeregt, und ich selbst fühlte auch meinen Puls jagen. Eine geheime Festung, die ein Tiefsee-Reich beschirmte! Tonga-Perlen, die wie Monde in der Dunkelheit glühten! Die Herausforderung unbekannter Gefahren in der Tiefsee ... Das schien die Geschichte wundervoller Abenteuer zu sein.

»Welche Art Hilfe brauchst du, David?« fragte ich.

Er schaute mich eindringlich an. »Helfer beim Kampf, Jim! Meines Vaters Leben ist kein Stückchen Austernschale mehr wert, wenn ich ihm keine Hilfe bringen kann. Wir brauchen ... ein Kampfschiff, Jim. Einen bewaffneten Tiefsee-Kreuzer.«

Wir alle starrten ihn entgeistert an, als sei er wahnsinnig geworden. »Einen Kreuzer?« fragte ich. »Aber, David, ein privater Bürger kann doch keinen Flottenkreuzer benützen. Warum wendet ihr euch nicht an die Flotte? Wenn die Lage so ernst ist ...«

»Nein, mein Vater will die Flotte nicht!«

Wir schauten ihn entgeistert an.

David lachte. »Nein, ich bin nicht verrückt. Er will die Lage der Perlenbänke nicht verraten, denn er würde damit alles verlieren, was er hat. Und außerdem sind dort ... die Kreaturen. Wenn die Flotte mit hereinkommt, müßten sie getötet werden. Und das will mein Vater nicht.«

»Welche Kreaturen?« fragte ich, doch ich glaubte die Ant-wort schon zu kennen. Diesen riesigen gepanzerten Kopf, den ich über der Reling des Übungsschiffs gesehen hatte, konnte ich nicht vergessen.

David winkte ab. »Ich werde das alles erklären, wenn ich weiß, daß ihr mir helfen könnt. Ich habe nicht viel Zeit. Meines Vaters - nennen wir sie Angestellte - haben sich gegen ihn gewandt. Sie haben ihn abgeschnitten und in seinem TiefseeFort umzingelt. Wir müssen ein Kampfschiff und Kämpfer haben, um ihn zu retten. Wirklich, viel Zeit haben wir nicht.«

Er stand auf und schaute uns eindringlich an. »Aber nicht die Flotte!« betonte er.

»Was dann?« fragte Roger Fairfane bestürzt.

»Habt ihr je von dem Tiefsee-Kreuzer Killer Whale gehört?« fragte David.

Wir schauten einander an. Irgendwo und irgendwann, wahrscheinlich sogar erst kürzlich, hatten wir den Namen schon einmal gehört.

Mir fiel es zuerst ein. »Natürlich!« rief ich. »Die ÜberschußVerkäufe der Flotte! Unten in Sargasso City - da gibt es zwei, nicht wahr? Zwei außer Dienst gestellte Tiefsee-Kreuzer, die zum Schrottwert verkauft werden, soviel ich weiß.«

David nickte, schüttelte dann aber doch den Kopf. »Fast genau stimmt das, aber es gibt nur ein Schiff. Das andere, die Dolphin, ist nur ein Haufen Rost. Ich will die Killer Whale haben. Richtig, die Waffen dafür muß ich anderswo kaufen. Die Flotte verkauft das Schiff nackt. Aber es ist ein Schiff, das sich ausrüsten läßt. Mein Vater kennt es gut. Früher war es in Kermadec Dome stationiert, noch vor wenigen Jahren. Wenn ich es bewaffnen könnte ... und wenn ich drei oder vier gute Männer fände .«

»Da könnten wir dir helfen, David!« rief Bob eifrig. »Wir haben vollständige Kurse in Tiefsee-Taktik und Kampfmanövern gehabt, sogar ein Training in simulierten Kämpfen. Aber der Preis, David! Solche Dinge kosten auch nackt ein Vermö-gen.«

David nickte. »Das dachten wir uns schon, mein Vater und ich. Sie würden ungefähr soviel kosten wie eine Handvoll Tonga-Perlen.«

Eine Weile schwiegen wir. Dann lachte Roger Fairfane hart. »Dann hast du also unsere Zeit verschwendet«, sagte er. »Denn du hast die Perlen verloren. Und ohne sie bekommst du kein Geld.«

David musterte ihn nachdenklich. »Nein?« meinte er und schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Du sagtest doch, Roger, du würdest helfen. Und dein Vater ist ein reicher, ein sehr wichtiger Mann bei der Trident Linie .«

Roger errötete vor Zorn. »Laß meinen Vater aus dieser Geschichte!« fuhr er auf.

David nickte. Überrascht schien er nicht zu sein. »Ich dachte mir schon, daß es so ausgeht«, bemerkte er ruhig, und Roger schien zu verstehen, obwohl David nichts weiter erklärte. Erst wurde er tiefrot, dann sehr blaß, sagte aber nichts.

»Ich wußte, daß es nicht ungefährlich sein würde«, fuhr David fort. »Joe Trencher war früher meines Vaters Vormann, und jetzt führt er die Revolte gegen ihn an. Wir wußten, womit wir zu rechnen hatten. Mein Vater sagte mir schon vorher, Trencher würde sicher eine Möglichkeit finden, mich der Perlen zu berauben.«

»Und hat er dir auch gesagt, was du in diesem Fall tun solltest?« fragte Roger.

David nickte und schaute mich an. »Er sagte: >Bitte um Hilfe. Versuche, Jim Eden zu sehen, und bitte seinen Onkel um Hilfe.<«

Noch mehr hätte mich nichts überraschen können, nicht einmal, wenn er sich jetzt vor meinen Augen in ein Seeungeheuer verwandelt hätte.

»Mein Onkel Stewart? Aber .« »Mehr weiß ich nicht, Jim. Mein Vater ist krank, wie ich schon sagte. Vielleicht hat er das im Fieber gesagt. Aber gesagt hat er es.«

Ich schüttelte den Kopf und überlegte. »Aber ... mein Onkel ist doch in Marinia. Mehr als zehntausend Meilen von hier entfernt. Und er ist selbst nicht allzu gesund.«

David hob die Schultern und sah plötzlich sehr müde aus. »Mehr weiß ich wirklich nicht, Jim. Nur ...« Er brach ab und lauschte. »Was war das?«

Wir alle spitzten die Ohren. Ja, da war ein schwaches mechanisches Wispern. Es klang wie nahes, aber sehr gedämpftes Motorengeräusch.

Bob sprang auf. »Das Becken für die Seewagen! Daher kommt es!«

Kaum zu glauben, aber so schien es wirklich zu sein. Wir rannten alle vier zur Wohnung hinaus, die Treppen hinab und auf die Plattform, die das Becken umgab, wo der TiefseeWagen des Atlantikdirektors lag, wenn er hier war.

Aber zu sehen war nichts. Wir schauten uns um. Über allem lag dünnes violettes Troyon-Licht. Es gab einen kleinen Landesteg mit Geländer, die weißen Mauern, das Wasser - nichts sonst; aber die Seetüren standen weit offen.

Wir schauten nach draußen; dorthin, wo das Wasser des Bek-kens überging in den geraden, engen Kanal, der zur offenen See führte. Da waren Wellen, geschrumpfte Imitationen der Brecher von draußen.

Kein Seewagen war zu sehen.

»Ich überlege ...«, sagte David Craken. »Nein, es kann nicht sein.«

»Was kann nicht sein?« wollte ich wissen.

»Ich meine, ich habe Gespenster gehört. Für einen Moment glaubte ich, Joe Trencher sei uns vielleicht hierher gefolgt, und habe dann im Becken gelauscht, was wir sagten. Aber das kann nicht stimmen.« Er deutete zum Tor mit dem elektronischen Wächter. »Jeder, der hier ein- oder ausgeht, unterbricht den Stromkreis«, erinnerte er uns. »Und der elektronische Posten gab keinen Alarm. Also kann das nicht zutreffen.«

»Aber ich bin sicher, daß ich Motoren hörte«, erklärte Bob Eskow nachdrücklich.

»Ich meinte es auch, aber es scheint doch unmöglich zu sein. Vielleicht war es ein merkwürdiges Echo von der Brandung her. Oder draußen auf See kam ein Oberflächenboot vorüber.«

»David, ich bin doch keine Landratte!« widersprach Bob. »Und ich erkenne das Geräusch eines Seewagens, sobald ich es höre.« Doch dann schien er verwirrt zu sein. »Du hast recht, es ist unmöglich. Der elektronische Posten hätte ihn sofort bemerkt.«

Wir trotteten wieder nach oben, aber die alte Stimmung war nicht mehr da. Alle waren wir ein wenig nachdenklich, sogar besorgt.

Und spät wurde es überdies. Schnell machten wir Pläne, was wir tun konnten. »Ich versuche meinen Onkel anzurufen«, versprach ich. »Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, wie das nützen soll. Versuchen will ich es trotzdem. David, du könntest inzwischen hier bleiben und dich nicht zeigen. Wir müssen zur Akademie zurück, aber morgen kommen wir wieder, und dann .«

»Dann machen wir uns an die Arbeit«, versprach Bob.

Und das war dann alles für diesen merkwürdigen, aufregenden Tag.

Oder fast alles. Wir verließen David und schlenderten durch den Märchengarten zurück zum Tor. Wir waren hundemüde und erschöpft, nicht nur vom Marathonschwimmen, sondern auch von der seltsamen Begegnung mit David Craken und Joe Trencher, wer immer er auch sein mochte.

Vielleicht war es deshalb, daß wir schon etwa hundert Meter weiter auf der Straße waren, ehe ich es bemerkte. Ich blieb stehen. »Du hast das Tor zugemacht«, sagte ich zu Bob.

Er schaute zurück. »Ich stieß es zu, als wir durchgingen. Ich wollte es nicht offen lassen, falls jemand ...«

»Nein, du hast es geschlossen! Erinnerst du dich? Es stand halb offen. Verstehst du nicht, was ich meine? Komm mit, schnell!«

So müde ich auch war, ich lief zurück. Das Tor war geschlossen, wie Bob es zugeschlagen hatte. Und da war die sechs Meter hohe Dornenhecke, und das Tor mit dem Überwachungsturm des elektronischen Postens an der einen Seite.

Keuchend blieben wir davor stehen. Nichts geschah.

»Seht ihr?« rief ich, und sie blinzelten mich an. »Versteht ihr denn noch immer nicht? Paßt mal auf.« Ich stieß die Tür an, sie flog weit auf.

Und nichts sonst geschah.

Roger Fairfane begriff, dann auch Bob Eskow.

»Der elektronische Wächter«, flüsterte Bob. »Er ist ausgeschaltet. Das ist ein automatisches Tor. Man dürfte es nicht bewegen können, solange der rote Suchstrahl einen nicht identifiziert ...«

Ich nickte. »Seht ihr, dieser Posten wurde irgendwie ausgeschaltet. Vermutlich wurden Drähte durchschnitten.«

Roger sah mich besorgt an. »Dann wären also diese Motoren, die wir zu hören glaubten .«

Ich nickte. »Die haben wir uns nicht eingebildet, sie waren echt. Sie haben den Posten abgeschaltet und kamen herein. Und sie hörten jedes Wort, das wir sprachen.«

9. Sargasso Dome

Nach Osten und hinab. Unser Ziel war Sargasso City.

Bob und Roger Fairfane bekamen keinen Paß; es blieb also David und mir überlassen, nach Sargasso City zu gehen und die Killer Whale anzuschauen. Wenn ein Kadett ihn sähe und erkannte, würde man Fragen stellen. Es schien aber, daß es keine andere Möglichkeit gab als mit uns beiden.

Wir buchten eine Fahrt von Hamilton nach Sargasso City im regulären Pendelverkehr. Es waren hundertfünfzig Meilen östlich von Bermuda und lag gute zwei Meilen tief. Ehe unser Schiff ging, versuchte ich meinen Onkel Stewart in Thetis Dome telefonisch zu erreichen. Ich bekam keine Antwort.

»Es ist sehr wichtig«, bat ich die Dame von der Fernvermittlung. »Können Sie noch weiter versuchen?«

»Ganz gewiß, Sir«, versicherte sie mir voll beruflicher Tüchtigkeit. »Geben Sie mir Ihre Nummer. Ich rufe zurück.«

Jetzt mußte ich ganz schnell denken. Hier hatte ich bis zur Abfahrt unseres Schiffes nur noch ein paar Minuten. In der Akademie wollte ich mich nicht anrufen lassen, da jemand mithören konnte. Ich sagte also: »Bitte, versuchen Sie’s weiter. Ich rufe Sie in etwa zwei Stunden von Sargasso Dome aus an.«

David gestikulierte heftig vor der Kabine. Ich legte auf, und wir rannten den langen, dunklen Schuppen entlang, der das Dock der Pan-Carib Line war. Wir erreichten das Schiff gerade noch, ehe die Gangway eingezogen wurde.

Natürlich hatte mein Onkel sehr wenig Zeit und um so mehr Arbeit, und wenn er im Moment nicht zu Hause war, so mußte das nicht unbedingt ein Grund zur Besorgnis sein. Doch jetzt war es auf der anderen Erdseite Nacht. Und der Zweifel, ob mit ihm auch alles in Ordnung wäre, ließ mich nicht los.

Irgendwie packte mich dann aber doch wieder die Tiefe. Von Hamilton zogen wir an der Oberfläche weg, aber als wir die Seichtwasser über dem Schelf hinter uns hatten, ging es steil nach unten mit Kurs auf Sargasso Dome.

Natürlich war dieses Schiff ein Zwerg gegen die riesigen Pazifik-Linienschiffe, mit denen ich nach Thetis Dome gereist war, doch es war immerhin zweihundert Fuß lang, also etwa sechzig Meter. Auf kleinen Schiffen ging alles lockerer vor sich, und so konnten David und ich ohne viel Umstände die Mannschaftsquartiere und Maschinenräume besichtigen. Uns verging die Zeit sehr schnell. Die ganze Reise dauerte sowieso nur knapp zwei Stunden.

In Sargasso City gingen wir durch Edenit-Verbindungstunnels von Bord, und ich hielt sofort Ausschau nach einer Telefonkabine. Ich warf die Münzen ein und bekam die gleiche Vermittlung wie vor.

Aber noch immer kam keine Antwort. Ich ließ die Anmeldung weiterlaufen, und dann fragten wir uns zum Liegeplatz der Überschußschiffe durch, die bald in einer öffentlichen Auktion versteigert werden sollten.

Die Killer Whale lag neben der alten Dolphin in den Lagerdocks unten am Grund von Sargasso Dome.

Sie waren nicht sehr groß, diese Schiffe, sonst hätten sie auch nicht die in die Kuppel führenden Schleusen passieren können. Aber neben der Killer Whale sah die Dolphin aus wie ein Einbaum. Die Dolphin ließen wir daher buchstäblich links liegen und bestiegen durch die Hauptluke das andere Schiff.

Wir besahen es vom Bug bis zum Heck. »Sie ist eine Schönheit«, erklärte David, und seine Augen leuchteten.

Ich nickte. Die Killer Whale gehörte zu den zuletzt gebauten Schiffen der K-Klasse bei den Tiefsee-Kreuzern. Diese Klasse war absolut in Ordnung, nur hatte es in den letzten zehn Jahren so viele Verbesserungen gegeben, daß allein schon für die neuen Waffen ein ganz anderes Baumuster nötig war. Die Flotte hatte daher alle Schiffe ausgemustert, die älter waren als zehn Jahre. Die Ersatzschiffe waren schon alle in Dienst gestellt worden, und diese beiden Schiffe gehörten zu den letzten, die noch zu ersetzen waren.

Quartiere gab es für sechzehn Mann Besatzung. »Wir werden uns darin ja fast verlaufen können, aber fertig werden wir mit ihr«, erklärte ich David. »Einer von uns kommt an die Maschinen, der andere an die Kontrollen, und das in zwei Zwölfstundenschichten. Du wirst sehen, das Schiffchen läuft wie ein Traum.«

Er legte eine Hand versuchsweise auf das Ruder, als sei dies ein heiliger Gegenstand. »Eine Schönheit«, flüsterte er. »Gut. Gehen wir nach oben. Wir müssen ein Angebot darauf abgeben.«

Diese Notwendigkeit nahm etwas weg von dem Zauber, der uns einhüllte. Was hatten wir, um ein Angebot abzugeben? Falls mein Onkel Stewart nicht helfen konnte, und ein reicher Mann war er ja auch nicht, hatten wir nicht einmal soviel, daß wir die Rettungskapsel des Schiffes bezahlen konnten, vom Kreuzer selbst gar nicht zu reden.

Im Büro des diensttuenden Lieutenant-Commanders erfuhren wir, daß der Mindestpreis fünfzigtausend Dollar sei. Der Offizier musterte uns und grinste breit. »Bißchen teuer, was? Für euer Taschengeld, meine ich. Warum sucht ihr euch nicht was Billigeres aus? Etwa ein Spielzeugsegelboot?«

Zum erstenmal bedauerte ich es, die scharlachrote Ausgehuniform der Akademie anzuhaben. Wäre ich in Zivil gewesen, so hätte ich ihm meine ungeschminkte Meinung schon gesagt.

»Was müssen wir tun, um das Angebot abzugeben?« fragte David.

Jetzt verging dem Offizier denn doch das Grinsen. »Nun ja, wenn ihr das wirklich ernst meint, braucht ihr nur ein Angebotsformblatt auszufüllen. Name, Adresse und Betrag, der geboten wird. Ein Drittel dieses Betrages ist zu hinterlegen, ehe die Angebote geöffnet werden, sonst kommt ihr nicht in Frage. Das ist alles.«

»Dann kann ich also ein Formular für die Killer Whale bekommen, Sir?«

»Killer ... Hm. Hier«, sagte er und blätterte die Formulare auf seinem Tisch durch. »Dumm seid ihr nicht. Die Dolphin ist nämlich nur ein Rosthaufen. Ich weiß es. Hab’ als Fähnrich dort gedient. Aber was wollen Sie mit dem Kreuzer, junger Mann? Selbst wenn Sie das Geld dafür haben.«

David hüstelte. »Ich will ihn für meinen Vater«, erklärte er.

Wir zogen uns mit den Formularen ins Vorzimmer zurück. Viele Leute waren da, und etliche musterten uns neugierig. Wir fanden eine ruhigere Ecke, wo wir ziemlich ungestört blieben.

Die Formulare waren Kaufanträge für die beiden Schiffe. Die Namen Killer Whale und Dolphin waren schon eingesetzt, und David machte neben dem Killer ein großes Kreuz. Dann setzte er meinen Namen und die Adresse ein und zögerte wegen des Betrags.

»Warte einen Moment«, bat ich, »erst will ich noch mal meinen Onkel anrufen. Gleich gegenüber ist eine Telefonkabine.«

Er lachte. »Ich geh lieber gleich mit, damit ich sehe, ob wir auch dafür bezahlen können.«

Diesmal hatte ich Glück, nur war nicht mein Onkel am Telefon. Als sich das Visionphonbild klärte, erkannte ich Gideon Park, meines Onkels vertrauenswürdigsten Helfer, der in den Kanälen von Thetis Dome mein Leben wiederholt gerettet hatte.

Er lachte so breit, daß seine sämtlichen weißen Zähne blitzten. »Der junge Jim! Wie schön, dich zu sehen, Junge.« Aber dann wurde sein Gesicht besorgt. »Du willst mit deinem Onkel reden? Hm. Im Moment ist er nicht zu erreichen, Jim. Kann ich dir helfen? Hast du Ärger an der Akademie?«

»Nein, nichts dergleichen, Gideon. Wo ist mein Onkel?«

»Hm. Ja, Jim, das ist so .«

»Ist etwas passiert, Gideon?«

»Nein, nein. Er schläft im Moment. Ich hatte das Telefon den ganzen Tag ausgehängt, damit er nicht gestört wird, und ich wecke ihn nicht gerne auf, wenn es nicht unbedingt .«

»Gideon, du sagst mir jetzt sofort, was mit meinem Onkel ist!«

»Es ist nicht schlimm«, erwiderte er nüchtern, »ganz gewiß nicht. Aber er ist krank.« Sein schwarzes Gesicht war sehr besorgt. »Vor ein paar Tagen hatte er eine Attacke. Er bekam einen Brief von einem alten Bekannten, den las er an seinem Schreibtisch, und da fiel er plötzlich um.«

»Herzanfall?«

Gideon schüttelte den Kopf. »Nein, Jim. Der Seearzt sagt, dein Onkel habe unter zu großem Druck gestanden. Er habe zu lange in zu großer Tiefe gelebt.«

Ich wußte, daß dies zutraf, denn mein Onkel hatte sein aufregendes Leben fast ausschließlich in den Tiefen gelebt. Und es lag erst wenige Monate zurück, da er lange am Grund des tiefsten Grabens im südwestlichen Pazifik in dem winzigen Schiffchen eingeschlossen war. Er schien sich ganz erholt zu haben, als Gideon und ich ihn zurückbrachten, aber der Mensch ist nun mal kein Tiefseefisch. Drogen und hoher Druck haben oft unerwartete Wirkungen.

»Kann ich mit ihm reden?«

»Hm. Weißt du, der Arzt sagt, er soll sich nicht aufregen, Jim. Kann ich dir irgendwie helfen?«

Ich überlegte nur eine Sekunde, denn ich wußte, Gideon konnte ich voll vertrauen. Deshalb sprudelte ich die ganze Geschichte von den perläugigen Männern, den Tonga-Perlen und David Craken heraus.

»Hast du David Craken gesagt?«

»Ja, genau, Gideon. Sein Vater ist Jason Craken. So nennt er sich wenigstens.«

»Nein, sowas, Jim! Der Brief, den dein Onkel las, war nämlich von Jason Craken . Wart mal, Jim, bleib da . Der Teufel soll die ganzen Seemediziner holen, ich wecke ihn auf.«

Es dauerte einen Moment, dann flackerte ein Schatten über das Bild, und Gideon legte das Gespräch ins Schlafzimmer meines Onkels um.

Ich sah ihn im Bett sitzen. Sein Gesicht wirkte hohlwangig und mager, aber er lachte, als er mich sah. Er schien schon wach gewesen zu sein.

»Jim!« Seine Stimme kam mir matt vor, aber irgendwie war sie doch voll Spannung. »Was erzählt mir da Gideon?«

Schnell berichtete ich ihm, was ich vorher Gideon erzählt hatte und auch alles übrige bis zum Moment, wo wir die Angebotssumme in das Formular für die Killer Whale einzutragen hatten. »Und er sagte, Onkel Stewart, ich solle mit dir reden, also hab’ ich’s auch getan.«

»Da bin ich aber froh, daß du das getan hast, Jim.« Er schloß für einen Moment die Augen. »Hör mal, wir müssen ihm helfen. Das ist eine Ehrenschuld.«

»Eine was? Onkel, ich ahnte gar nicht, daß du je von Jason Craken gehört hattest.«

»Davon habe ich dir auch nie etwas gesagt, Jim. Vor Jahren, als dein Vater und ich noch jung waren, forschten wir am Rand des Tonga-Grabens, soweit wir eben mit unserer damaligen Ausrüstung nach unten konnten. Wir suchten Perlen. TongaPerlen.

Wir fanden sie. Aber wir konnten sie nicht behalten, Jim, denn wir wurden, als dein Vater und ich am Rand der Sicherheitszone in unseren Druckanzügen draußen waren, angegriffen. Ich habe mein Wort gegeben, nicht zu sagen, wer oder was uns angegriffen hat. Vielleicht werden es dir die Crakens eines Tages selbst erzählen, aber wir wurden in immer größere Tiefen gezerrt, viel tiefer, als es für uns sicher war. Und da begann unsere Taucherausrüstung zu versagen.«

Seltsam, er lächelte, als er weitersprach. »Ich dachte, wir seien jetzt erledigt, Jim. Aber wir wurden gerettet. Der Mann, der uns rettete, war Jason Craken.

Ja, Jason Craken.« Er saß jetzt richtig auf im Bett, und seine Stimme klang kräftig. »Ein Mann! Er war fast ein bißchen grob, auch etwas sonderbar. Er trug einen Bart und war wie ein Dandy gekleidet. Sein Geschmack ging nach Luxus, er gab Geld mit vollen Händen aus, war ein großzügiger Gastgeber. Und sehr seltsam. Er verkaufte Tonga-Perlen. Niemand kannte die Bänke, von denen sie stammten. Für ihn war dies Monopol ein Riesenvermögen, Jim.

Nur dein Vater und ich kannten das Geheimnis dieser Bänke. Und er hat uns das Leben gerettet. Dabei riskierte er sein eigenes Leben, auch das Geheimnis seiner Perlen. Doch er vertraute uns. Wir versprachen, niemals mehr zum TongaGraben zurückzukommen, wir gaben unser Wort, niemals zu verraten, woher die Perlen kamen.

Jim, wenn er jetzt Hilfe braucht, dann muß er sie bekommen. Das sind wir ihm schuldig, du und ich.« Er runzelte die Brauen. »Jim, ich kann im Moment wenig tun, ich bin für einige Zeit ans Bett gefesselt. Es war wohl der Schock von Jasons Brief. Aber er erwähnte, es sei möglich, daß er Geld brauche für ein Kampfschiff, und ich konnte eine Summe aufbringen. Kein Vermögen, aber ich denke, es genügt. Ich werde veranlassen, daß du das Geld so schnell wie möglich bekommst. Du kaufst für ihn die Killer Whale. Und du hilfst ihm, wo du helfen kannst.«

Er ließ sich in die Kissen zurückfallen und lachte mich an. »Jim, das wäre alles. Jetzt leg aber auf, dieser Anruf kostet ja ein Vermögen! Vergiß nur nie, daß wir Jason Craken sehr viel schulden, denn wäre er nicht gewesen, wären wir auch nicht da, du und ich.«

Und das war alles. Ziemlich erschüttert wandte ich mich zu David um, der vor der Kabine wartete.

»Ist in Ordnung, David«, sagte ich und warf einen Blick durch den Raum. »Er wird uns helfen. Von ihm bekommen wir Geld. Genug, meint er. Und ... David!« rief ich. »Schau doch dorthin, wo wir unsere Formulare ausgefüllt haben!«

Er wirbelte herum. Er hatte die Formulare auf dem Tisch zurückgelassen. Sie waren auch noch da, aber über sie beugte sich die Gestalt eines Mannes.

War es ein Mann? Die Gestalt wandte sich uns zu. Die Augen waren perlig weiß. Es war jene Person, die sich Joe Trencher genannt hatte.

Er rannte davon durch die Tür, hinaus in den breiten Gang dahinter, in dem sich viele Menschen drängten. »Schnell!« rief David. »Den müssen wir erreichen! Vielleicht hat er noch die Perlen!«

10. Tencha vom Tonga-Graben

An diesem Tag durchsuchten wir ganz Sargasso City, aber Joe Trencher fanden wir nicht mehr.

Schließlich blieb David vor Anstrengung keuchend stehen. »Wir haben ihn verloren. Er verschwand und war nicht wieder zu finden.«

»Aber er muß doch irgendwo in der Stadt sein! Wir können eine Ebene nach der anderen durchsuchen.«

»Nein.« David schüttelte den Kopf. »Jim, er braucht gar nicht mehr in der Stadt zu sein. Er ist anders als du und ich. Er kann in aller Ruhe in eine Schleuse gehen und in der See verschwinden, und wir suchen hier ewig herum; dabei ist er längst etliche hundert Meilen weit weg.«

»In fast drei Meilen Tiefe? Das ist doch unmöglich!«

»Jim, unterschreib jetzt den Antrag«, sagte David nur. »Wir müssen ihn abgeben.« Mehr wollte er dazu nicht sagen.

Wir kehrten in das Büro des Lieutenant Commanders zurück. Ich unterschrieb den Antrag, ohne richtig hinzuschauen und gab ein Angebot über die Mindestsumme ab, also fünfzigtausend Dollar. Natürlich hatte das Schiff neu ein Vielfaches davon gekostet.

Die Tiefsee-Fähre zurück nach Bermuda erreichten wir gerade noch. Beide waren wir recht schweigsam, und ich glaube, wir dachten über dasselbe nach. Seltsam, daß Joe Trencher uns in Sargasso Dome hatte finden können! Wahrscheinlich gehörte er zu den Leuten, deren Motor wir gehört hatten. Und da diese Leute vermutlich unsere Unterhaltung mitangehört hatten, wußten sie alles, was wir geplant hatten.

Daran konnten wir jedoch nichts ändern, und unsere Pläne auch nicht. Wie hätten wir das auch bewerkstelligen sollen?

Schweigend saßen wir etwa eine Stunde lang in der Passagierhalle des Schiffes herum; um uns herum waren nur wenige Menschen. Aus den Lautsprechern erklang leise Musik, und am anderen Ende der Halle saßen ein paar Ferienreisende. Um diese Jahreszeit gab es zwischen Bermuda und Sargasso City nicht sehr viel Geschäft.

Plötzlich platzte ich heraus. »David, das geht jetzt lange genug. Verstehst du denn nicht, daß ich wissen muß, was im Grund los ist? Wer ist dieser Joe Trencher? In welcher Beziehung steht er zu deinem Vater, und was hat er mit den TongaPerlen zu tun?«

David sah mich bedrückt an.

»Na, schön, Jim«, sagte er schließlich. »Ich denke, du hast recht. Ich habe meinem Vater versprochen ... Aber er ist ein kranker Mann und weit weg. Ich denke, ich muß mich jetzt auf mein eigenes Urteil verlassen.«

»Willst du mir von Trencher und diesen . Seeschlangen erzählen, oder was sie sind?«

Er nickte. »Joe Trencher war früher der Vormann meines Vaters, sein Angestellter, dem er am meisten vertraute. Und jetzt führt er die Meuterer an.«

»Gegen wen meutern sie?« Das klang ja sehr aufregend, aber ich begriff es nicht.

»Gegen meinen Vater natürlich. Ich erzählte dir ja von der Kuppel meines Vaters, von seinem Unterseereich, das er sich mit diesen Tonga-Perlen aufbaute. Nun, es entgleitet ihm allmählich. Seine früheren Helfer haben sich gegen ihn gewandt. Trencher ist nur einer davon.«

Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Davids Vater sein Reich ganz legal aufgebaut hatte, mit ganz ehrlichen Methoden. Aber natürlich lag das schon sehr lange zurück.

»Es fing mit den Seeschlangen an. Sie lagen im TongaGraben und hatten ihre Brutgründe dort, wo mein Vater sein Fort gebaut hatte. Seit Millionen von Jahren, Jim. Manchmal kannst du eine Rekonstruktion dieser Tiere in Museen finden, und sie reichen in eine Zeit zurück, in der es noch lange keine Menschen auf der Erde gab. Sie sind unglaublich alt, und in diesen vielleicht hundert Millionen Jahren haben sie sich nicht verändert. Bis mein Vater kam. Und er versucht ... etwas mit ihnen zu tun, etwas, das kaum zu glauben ist. Er versucht sie so auszubilden und zu dressieren wie Pferde und Hunde, damit sie ihm helfen, für ihn arbeiten.«

Das konnte ich kaum glauben, doch ich erinnerte mich genau des Kopfes, den ich über dem Geländer des Übungsschiffs gesehen hatte. So etwas zum Haustier zähmen? Das wäre ja etwa so, als wolle man einer Klapperschlange beibringen, die Zeitung auszutragen!

»Natürlich konnte Dad das nicht allein schaffen«, fuhr David fort. »Aber er hatte Hilfe, eine merkwürdige Hilfe, fast so unglaublich wie die Seeschlangen selbst.

Joe Trencher und ein paar hundert andere, die so sind wie er. Ohne sie hätte mein Vater gar nicht erst an die Saurier herankommen können. Trenchers Leute waren eine große Hilfe.«

»Sie sehen häßlich aus, wenn Trencher ein Muster für sie ist«, erklärte ich ihm. »Diese weißen, perlfarbenen Augen, diese blasse Haut. Und wie er geatmet hat! Diese Leute scheinen nicht einmal menschlich zu sein.«

David nickte dazu. »Das sind sie auch nicht. Jedenfalls nicht mehr. Sie stammen wohl von Menschen ab, von Polynesiern vermutlich, die irgendwo auf einem untergegangenen Land in die Falle geraten waren. Du hast doch von den Seegebirgen des Pazifiks gehört?«

Ja, davon wußte ich. Das sind unterseeische Gebirge, meistens mit abgeplatteten Kuppen - vermutlich ein Werk der Wellen -, aber jetzt tief unter der Wasseroberfläche.

»Das waren früher Inseln. Und auf einer dieser Inseln müssen Trenchers Vorfahren gelebt haben. Ich nehme an, sie waren Taucher, doch wann dies war, läßt sich nicht annähernd feststellen. Da sie polynesische Namen haben, kann es nicht sehr lange zurückliegen. Trenchers Vater hieß Tencha, und Trencher nahm seinen neuen Namen aus einer Laune seines Vaters heraus an. Trencher, ein Wesen vom Tonga Trench, dem Tonga-Graben.

Als die Inseln im Meer verschwanden, gelang es ihnen irgendwie, zu überleben. Sie kehrten in ihre eigene Vergangenheit zurück, dorthin, wo alles Lebende aus dem Wasser kam.«

»Du meinst, Joe Trencher ist so etwas wie ein Meermensch?«

»Mein Vater nennt sie >Amphibianer<. Das sind Mutanten. Ihre Lungen haben sich so verändert, daß sie wie Kiemen arbeiten. Jetzt sind sie eher im Wasser zu Hause als auf dem Land.

Trencher war mein Freund. Ich schnallte mir eine Lunge um und tauchte mit ihm, natürlich nicht im Trench, aber bis etwa auf tausend Fuß. Ich sah ihm zu, wie er diese ... Kreaturen trainierte. Er zeigte mir Dinge auf dem Meeresgrund, die noch keiner von der Flotte sah.

Aber dann veränderte er sich. Dad gibt sich selbst die Schuld. Er meint, die Mutation machte diese Amphibianer temperamentmäßig sehr labil, und als sie dann etwas von der Welt außerhalb des Wassers erfuhren, veränderten sie sich. Jetzt haßt er Dad und alles Menschliche. Er hat mich aus diesem Übungsschiff entführt. Er hatte auf diese Gelegenheit gewartet. Erinnerst du dich, daß viele merkwürdige Kleinigkeiten vorkamen, verschiedene Instrumente auf geheimnisvolle Art verschwanden? Das war alles Joe Trencher.

Ich habe nichts vermutet, als er bei dreizehnhundert Fuß damals auftauchte. Ich habe mich gefreut, ihn zu sehen, doch ich wußte nicht, was in der Kuppel meines Vaters vorging.

Vermutlich hat mich Trencher bewußtlos geschlagen, ich weiß es nicht. Ich wachte in seinem Seewagen auf, und da war er auf dem Rückweg zum Tonga Trench.

Er drohte mir, mich umzubringen. Ich war seine Geisel. Er bedrohte meinen Vater. Aber mein Vater ist ein dickköpfiger Mann. Er regierte sein Reich lange Zeit und gab nicht nach.«

»Wie bist du dann weggekommen?« fragte ich.

Nun lächelte David zum erstenmal. »Maeva, meine Freundin. Sie ist ein Amphibienmädchen, aber sie ist loyal. Wir sind zusammen aufgewachsen und haben oft zugesehen, wie Joe Trencher die Saurier zähmte. Wir gingen zusammen auf Forschungsausflüge, sie ohne Gerät, ich in meinem Edenit-Anzug, und so durchstreiften wir die Höhlen des Seeberges. Sicher war das gefährlich, denn diese Höhlen gehörten den Sauriern. Dort legten sie ihre Eier ab und zogen ihre Jungen auf. Natürlich paßten wir auf, daß wir im Sommer, wenn sie brüteten, nicht in ihre Nähe kamen. Selbstverständlich gibt es unter Wasser keine Jahreszeiten, doch die Saurier erinnerten sich . Es war gefährlich, doch das, was Maeva vor zwei Monaten für mich tat, war noch gefährlicher.

Sie fand mich in Joe Trenchers Seewagen, brachte mir den Edenitzylinder von meinem Vater und eine Botschaft von ihm, und sie half mir dann in diesem Seewagen weiter.

Natürlich folgte Trencher, er schwamm frei oder ritt auf einer Seeschlange. Sie sind unglaublich schnell, und sie holten mich auch ein. Den Rest weißt du. Alles übrige liegt jetzt an uns. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Sie verging viel zu schnell für uns. David kehrte in die Wohnung über dem Bootshaus zurück und wartete. Roger, Bob und ich machten unseren Dienst. Zum Nachdenken blieb uns wenig Zeit, denn zur Graduierung hatten wir nur noch eine Woche für etliche Prüfungen. Mit einem solchen Abenteuer im Hintergrund war es nicht leicht, sich auf Theorien und die Physik von Flüssigkeitsmassen zu konzentrieren.

Auch nach der letzten Prüfung gab es keine Pause, sondern Paradedrill und dergleichen. Damit wurden wir vorbereitet für unsere Vereidigung vor der ganzen Akademie. Es war unmenschlich heiß, doch wir wurden erbarmungslos hergenommen. Im Lauf des Nachmittags bildeten sich über der See Gewitterwolken, und unmittelbar vor dem abendlichen Dienstschluß brach das Gewitter über uns herein. Innerhalb von Sekunden waren wir bis auf die Haut durchnäßt, und jeder rannte nach irgendeinem Unterschlupf.

Ich kauerte mich zusammen mit einem anderen Kadetten, der ebenso naß war wie ich, in den Windschatten eines umgedrehten Walboots. Er wischte sich lachend Regenbäche von seiner Mütze aus dem Gesicht und schaute mich an.

Es war Eladio Angel. »Jim Eden!« rief er, »wie lange habe ich dich schon nicht mehr gesehen!«

Ich nahm seine Hand und schüttelte sie, habe wohl auch etwas gesagt, doch was es war, weiß ich nicht mehr. David Crakens alter Zimmerkamerad, sein bester Freund auf der Akademie außer Bob Eskow und mir, der David nach dessen Verschwinden sehr vermißt hatte. Was sollte ich ihm sagen?

»Ah, David ... Jim, ich denke noch immer an ihn. Ich kann immer noch nicht glauben, daß er ertrunken sein sollte. Nein, mein Herz weiß, daß er irgendwo lebt ... Aber sag mir, Jim, wie geht es dir? Ich habe dich nur ein paarmal von weitem gesehen. Dieser Regen kommt ganz gelegen, so kamen wir doch wieder einmal zusammen.«

Ich räusperte mich. »Hm, ja, Laddy. Ja, es ist wirklich nett, dich wieder einmal zu sehen ... Schau mal, ich glaube, der Regen läßt schon nach. Ich muß jetzt zurück ... Ich sehe dich bald wieder.« Und damit floh ich geradezu durch den Wolkenbruch, denn ich fühlte mich überaus unbehaglich. Eigentlich war ich richtig ungehobelt zu ihm gewesen. Hoffentlich hatte ich ihn nicht allzu sehr gekränkt. Aber ich durfte ihm noch nichts von Davids Geheimnis erzählen und daß er noch lebte!

Mir blieb wenig Zeit, darüber nachzugrübeln. Als ich quer über den Hof rannte, rief mich jemand an. »Kadett Eden! Melden!«

Tropfnaß wie ich war, kam ich rutschend zum Stehen und salutierte. Es war ein Oberklassenmann und vorübergehend im Büro des Kommandanten. Er hatte Regenkleidung an, und als er den Arm hob, um meinen Gruß zu erwidern, lief ihm das Wasser in den Ärmel.

»Kadett Eden, sofort beim Kommandanten melden! Jemand will dich sehen!«

Wer konnte das sein? Ich war sehr gespannt, und ich brauchte mich nicht der Akademie-Vorschrift zu erinnern, daß man wie ein geölter Blitz erscheinen müsse, wenn man zum Kommandanten befohlen wurde.

Keuchend kam ich im Vorzimmer an und schnarrte salutierend meine Meldung herunter. Mitten im Satz unterbrach ich mich, denn eine hohe, schwarze Gestalt erhob sich aus einem Stuhl, und ich kannte sie recht gut. Gideon Park!

Seine weißen Zähne blitzten, als er mich anlachte. »Jim«, sagte er mit seiner sanften Stimme. »Dein Onkel sagte, daß du Hilfe brauchst. Da bin ich.«

11. Die Woche der Graduierung

Gideon Park, dieser treue Freund! Daß er da war, nahm mir eine ungeheure Last von den Schultern. Gideon und ich hatten miteinander viele Gefahren bestanden, und ich hatte ungeheuren Respekt vor ihm. Vielleicht hatten wir nun doch eine Chance, unsere Pläne durchzuführen!

An diesem ersten Nachmittag konnte ich mit Gideon nur ganz kurz sprechen. Ich wisperte ihm zu, wo er David Craken finden könne - im Bootshaus des Trident-Direktors; er nickte, winkte mir zu und ging. Und mir war viel wohler als seit Tagen.

An diesem Abend konnte ich das Akademiegelände nicht verlassen, aber Bob hatte noch nicht alle seine Pässe aufgebraucht. Nach dem Abendessen begab er sich also sofort zum Bootshaus, um mit Gideon und David Craken alles zu besprechen. Fast vier Stunden blieb er aus und kam erst unmittelbar vor dem Zapfenstreich zurück.

»Ist in Ordnung«, flüsterte er mir zu, als er sich eiligst auszog. »Gideon hat das Geld mitgebracht.«

»Wieviel?« wollte ich wissen.

»Genug. Siebenundneunzigtausend Dollar, Jim. In bar. Soviel Geld hab ich noch nie auf einmal gesehen.«

»Komisch ungerader Betrag«, murmelte ich. »Wahrscheinlich sein ganzes Geld, bis zum letzten Cent ... Bob, wir müssen diese Sache schaffen! Wenn ich meinen Onkel kenne, dann hat er dafür Schulden gemacht. Er löst damit eine alte Dankesschuld ein. Und wenn etwas nicht richtig läuft, und ich kann das Geld für meinen Onkel nicht wieder zurückbekommen, dann ist er in Schwierigkeiten.«

»Natürlich, Jim, das weiß ich. Gideon geht morgen nach Sargasso Dome und legt die Garantiesumme vor, damit unser Angebot auch gezählt wird. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

»Hast du David gesagt, daß ich Laddy Angel gesehen habe?«

»Jim, das habe ich glatt vergessen. Weißt du, viel Zeit habe ich ja nicht gehabt. Ich war nur ein paar Minuten dort.«

Da saß ich kerzengerade im Bett. »Aber du warst doch etliche Stunden weg!«

»Ja, das stimmt schon. Aber mich hat etwas aufgehalten, Jim. Äh .«

Wir hörten draußen im Korridor die Schritte des diensttuenden Offiziers, und das war das Ende unserer Unterhaltung. Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war der: Was hatte Bob mit seiner Zeit getan, was konnte ihn aufgehalten haben, wenn er nur ein paar Minuten lang im Strandhaus gewesen war?

»Ach-TUNG!«

Die Stimme des Kommandanten röhrte durch die Lautsprecher, und alle Mann der Akademie standen zackig stramm.

»Abteilung ... MARSCH!«

Die Band spielte die Akademie-Hymne, und die verschiedenen Klassen zogen im Paradeschritt vorbei. Das war das Ende der Graduierungswoche und des Schuljahrs. Bob Eskow und ich waren nun Angehörige der Oberklassen, und vor uns lag der ganze Sommer.

Heute war aber auch der Tag, da unsere Angebote für den Flottenkreuzer geöffnet wurden. Dann konnten wir erfahren, ob wir die Killer Whale bekamen oder nicht.

Ich raste mit Bob zu unseren Unterkünften zurück. Die Disziplin konnte vorläufig zu den Akten gelegt werden. Die Halle war angefüllt mit lachenden, schwatzenden Kadetten, die Pläne für den Sommer machten. Selbst die diensttuenden Offiziere, sonst so streng und soldatisch, zeigten sich entspannt und lachten mit den Kadetten, die sie vor ein paar Stunden noch zusammengestaucht hatten.

Schnell vertauschten wir unsere Paradeuniformen mit dem Freizeit-Weiß und eilten zum Tor. Die Posten dort waren noch steif wie Ladestöcke, doch als wir instinktiv nach den Pässen griffen, die wir gar nicht hatten, grinste einer breit. »Ihr könnt jetzt tun, was ihr wollt, Kadetten. Viel Spaß!« sagte er leise zu uns.

Wir nickten, gingen an ihm vorbei, kamen aber nicht weit.

»Bob Eskow! Jim!« Wir drehten uns um. Es war Eladio Angel, der uns nachlief. Er sah sehr entschlossen drein.

Bob und ich schauten einander an. Wir hatten ihn in den letzten Monaten kaum gesehen, ich ihn nur kürzlich während des Gewitters, wo ich ihn dann so abrupt verlassen hatte. Jetzt konnten wir ihn doch nicht brauchen. Wie sollten wir ihn abschütteln?

Dann stand er schweratmend vor uns. »Jim«, sagte er scharf, »ich gehe mit euch.«

»Mit uns? Aber Laddy .«

Er schüttelte den Kopf. »Hat keinen Sinn, Jim, mit mir zu streiten. Ich habe nachgedacht, und ich habe recht.« Er lächelte ein bißchen. »Wenn Jim Eden grob ist zu mir, dann warum? Das habe ich mich gefragt, Jim. Du tust das sonst nicht. Also ist die Antwort die, daß du mir etwas nicht sagen willst. Also warte ich, Jim. Unter dem Boot, nachdem du so schnell davongerannt bist. Und ich schaue in den Regen hinaus, in den Wolkenbruch. Es schüttet wie aus Eimern, und du sagst, der Regen ist fast vorüber. Und ich sage mir: Jim Eden hat ein Geheimnis. Wie kann dieses Geheimnis aussehen? Ich denke nach. Da fällt mir ein, wie komisch du dreinsiehst, wenn ein bestimmter Name erwähnt wird. Also stelle ich Fragen und finde heraus, daß du oft vom Akademiegelände weggehst. Immer zum gleichen Platz. Und da besuchst du einen, den niemand gesehen hat.

Also ist das Geheimnis kein Geheimnis mehr, Jim, denn ich hab’s herausgefunden.« Jetzt lachte er über das ganze Gesicht. »Dann gehen wir alle drei, Jim. Ich will auch meinen Freund besuchen, den du heimlich besucht hast - David Craken!«

Der elektronische Strahl spielte korallenrot über mein Gesicht. »Du kannst eintreten«, sagte die mechanische Stimme des Wächters, und das Tor bewegte sich ein wenig.

Wir liefen durch den Märchengarten und folgten den blaßschimmernden Troyonlichtern, die den Pfad bezeichneten, der uns vorgeschrieben war. Seit dieser Wachmann repariert worden war, hatte es keinen Zwischenfall mehr gegeben. Der eine hatte auch schon gereicht.

Wir kamen an eine Wegkreuzung, und Laddy schlug geistesabwesend die falsche Richtung ein zu einem Brunnen, der zu spielen begann, als wir uns näherten. Sofort sprang der rote Strahl aus seiner versteckten Beobachtungsstelle, und die mechanische Stimme quäkte: »Zurück, zurück! Zugang verboten!«

Ich griff nach Laddys Schulter und brachte ihn auf den richtigen Weg zurück. Man gehorchte besser dieser Stimme. Sicher, es war unwahrscheinlich, daß der Wächter jemanden erschießen würde, doch er hatte seine Waffen und konnte im Polizeiquartier von Hamilton durchaus einen Alarm auslösen, wenn Gefahr bestand für das Eigentum seines Herrn. Und die Polizei wollten wir bestimmt nicht im Nacken sitzen haben.

»Komisch«, sagte Bob Eskow hinter mir, und ich schaute um. »Roger Fairfane. Er redet so viel davon, wie wichtig sein Vater ist, und wie er die Trident Line mit der linken Hand dirigiert, und doch darf er nur zum Bootshaus gehen. Ist das nicht komisch, Jim? Ich meine, wenn sein Vater ein so hohes Tier ist, dann müßte er doch Zugang zum ganzen Besitz haben.«

»Darüber wollen wir uns keine Sorgen machen«, schlug ich vor. »Laddy, da sind wir schon. David wartet in der Wohnung über dem Bootsbecken.«

Ich hatte mir ein bißchen Sorgen gemacht, weil ich Laddy mitbrachte, doch das wäre nicht nötig gewesen. Nach ein paar Worten der Erklärung lachte David. »Laddy, du bist ein richtiger Detektiv«, sagte er. »Und um die Wahrheit zu sagen - ich bin froh, daß du das ‘rausgekriegt hast. Ich freue mich, dich zu sehen.«

Gideon war noch nicht von Sargasso City zurück, und so konnten wir wenig tun. Wir vier - Roger kam ungefähr eine halbe Stunde später - unterhielten uns gut über alte Zeiten. David hatte in der automatischen Küche Essen fertig, wir bekamen eine gute Mahlzeit und sahen in Stereovision ein Baseballspiel. Es war sehr gemütlich, der entspannendste Nachmittag, den ich seit langer Zeit verbracht hatte.

Nur ... leider dauerte er nicht an.

Es wurde schon spät, als wir den Torlautsprecher hörten, der jemanden anrief, und wenige Augenblicke später sah ich vom Fenster aus die winzigen violetten Funken des Troyon-Lichts, die den Pfad markierten.

»Das muß Gideon sein!« rief ich. »Er kommt hierher. Ich hoffe, er bringt gute Nachrichten mit.«

Es war Gideon, und er kam herein, und alle fünf schossen wir unsere Fragen auf ihn ab, kaum daß er unter der Tür erschien. »Haben wir das Schiff bekommen? Was gibt es Neues? Gehört uns die Killer Whale?«

Er sah uns alle einen Augenblick lang schweigend an. Jeder von uns wußte im gleichen Moment, daß etwas nicht so war, wie es sein sollte, und wir standen wie versteinert da und warteten.

»Jim«, sagte er schließlich, »hast du in Sargasso City diesen Joe Trencher gesehen?«

»Ja, Gideon . Wir . sahen ihn. Er schnüffelte in den Papieren herum, aber ich glaube nicht, daß er .«

»Da glaubst du etwas Falsches, Jim.« Gideons schwarzes, ausdrucksvolles Gesicht wirkte recht nüchtern, und seine sonst so weiche Stimme hatte etwas Gereiztes an sich. »Kannst du dich an sonst noch etwas erinnern, was an diesem Tag geschah?«

»Hm. Laß mich mal nachdenken ... Wir gingen hinab zum Flottenbecken. Dort lagen die Überschußschiffe, die verkauft werden sollten, die Killer und die Dolphin, dieser Rosthaufen. Wir schauten uns die Killer an und füllten die Formulare aus. Dann rief ich meinen Onkel an, und Joe Trencher schnüffelte in den Papieren herum. Aber wir konnten ihn nicht mehr erwischen. Wir gaben also nur den Antrag ab und bekamen gerade noch die Tiefsee-Fähre hierher.«

Gideon nickte düster.

»Was stimmt nicht?« rief David. »Ich muß doch diesen Kreuzer haben! Meines Vaters Leben hängt davon ab. Wenn wir nicht genug geboten haben - nun, vielleicht können wir mehr Geld aufbringen. Aber ich muß das Schiff haben!«

»Oh, das Angebot war ausreichend«, erwiderte Gideon. »Aber .« Er seufzte schwer. »Ich fürchte, Joe Trencher wußte genau, was er tat. Versteht ihr, er hat selbst ein Angebot abgegeben.«

Das war eine sehr schlechte Nachricht, und wir schauten einander bestürzt an. »Joe Trencher«, sagte David nach einer Weile mit heiserer Stimme. »Joe Trencher. Mit den Perlen, die er mir gestohlen hat, kaufte er das Schiff, das ich brauchte, um meines Vaters Leben zu retten. Und wir haben jetzt keine Zeit mehr, etwas anderes zu versuchen.«

Zeit, wofür? dachte ich, aber Roger Fairfane unterbrach ihn. »Ist es wirklich so, Gideon? Hat Trencher das höhere Angebot gemacht, so daß wir kein Schiff haben?«

Gideon schüttelte den Kopf. »Nein, es ist ein bißchen anders. Trencher hat jetzt die Killer Whale, und er bekam sie für fünfzigtausend Dollar, für euer Angebot also.«

»Aber was dann?«

»Versteht ihr, Trencher hat die Papiere nicht nur durchge-schnüffelt. Er hat sie ... gefälscht. So wie er sie brauchte. Ich verlangte vom Flottenkommandanten, daß ich sie zu sehen bekam, und sie waren ganz eindeutig gefälscht. Beweisen konnte ich natürlich nichts ... Das Schiff, auf das ihr euer Angebot abgegeben habt, war nicht die Killer Whale. Nicht mehr, nachdem Trencher die Papiere durchgesehen hatte. Ihr habt euer Angebot für das abgegeben, was euch jetzt gehört, für das andere Schiff. Diesen Rosthaufen, wie du es nanntest, Jim. Für die Dolphin.

12. Die Flotte zum Rostigen Eimer

Am nächsten Tag fuhr ich mit David Craken nach Sargasso City, um unser Preisschiff abzuholen.

Die Killer Whale lag noch daneben. Überzählig, ganz gewiß, aber schlank und tödlich wie das Seeungeheuer, nach dem sie benannt war. Sie lag tief im Wasser, und im blassen Licht schimmerte der Edenit-Rumpf. Neben der Killer sah die Dolphin genau wie der Rosthaufen aus, der sie war. Ein Wrack.

Joe Trencher war natürlich nirgends zu sehen. Ich hatte gute Lust, auf ihn zu warten, bis er kam, um das Schiff abzuholen, um das er uns betrogen hatte, und dann mit ihm abzurechnen.

Was hätte uns das genützt? Nichts. Und Zeit hatten wir sowieso nicht. David hatte von Anfang an betont, daß wir nur ein paar Wochen hatten, und im Juli mußte etwas passieren. Was, das sagte er nicht, doch es mußte ziemlich gefährlich sein.

Jetzt hatten wir Anfang Juni, also gerade noch knapp vier Wochen Zeit, die Dolphin so gut wie möglich herzurichten und sie mit Vorräten auszustatten und dann die lange Reise um das Kap Hörn zu machen. Wir konnten den Kanal nicht benützen, wenn wir eine Flotteninspektion vermeiden wollten.

Es war ein großer Job - und ein kleines Schiff.

David schaute mich an und lachte mühsam. »Dann wollen wir mal an Bord gehen«, schlug er vor.

Vor dreißig Jahren war die Dolphin ein feines Schiff gewesen, doch jetzt wühlten wir uns durch einen Haufen Gerät und Ausrüstungsgegenstände; offensichtlich hatte es die letzte Besatzung so eilig gehabt, das Schiff zu verlassen, daß nichts mehr gepackt worden war.

Im Wachraum waren Messingplatten an das Schott geschweißt, auf denen die großen Stunden des Schiffes festgehalten waren. Wir lasen sie. Trotz aller Enttäuschung fühlte ich nun doch einige Erregung.

Drei volle Jahre lang hatte die Dolphin alle Schnelligkeits-und Tiefenrekorde ihrer Klasse gehalten. Das war schon etwas!

In der Zeit vor meiner Geburt war sie das Flaggschiff von Admiral Kane gewesen, als er auf Polarexpeditionen war und er den Seeboden unter dem Eis sonargraphisch aufnahm. Und sie hatte den Seepiraten Davy Jones gejagt und sein TiefseeSchiff versenkt.

Später, als sie für den regulären Dienst bei der Flotte zu alt, aber immer noch seetüchtig war, hatte sie als Übungsschiff der Akademie gedient. Vor zwei oder drei Jahren, also ehe jemand von uns zur Akademie gekommen war, hatte man sie ausgemustert und zur Versteigerung freigegeben.

Jetzt gehörte sie uns.

Für die Nacht nahmen wir uns ein Zimmer in einem Hotel von Sargasso Dome. Es war ein Luxushotel und bot Urlaubern und Touristen jedes nur denkbare Vergnügen. In den Souvenirläden konnte man jede Imitation der Geheimnisse der sagenumwitterten Sargasso See kaufen, doch wir waren nicht in der Stimmung, dies alles zu genießen. Wir gingen beide bald zu Bett und dachten immer nur darüber nach, ob die alte Edenit-Panzerung der Dolphin noch den Drücken der Tiefsee standhalten würde.

Roger Fairfane rüttelte uns wach. Ich setzte mich blinzelnd auf. Es war erst fünf Uhr morgens. »Roger, was tust du hier?« murmelte ich verschlafen. »Ich dachte, du bist noch in Bermuda.«

»Da war ich.« Er sah sehr besorgt drein. »Wir mußten alle kommen. Laddy, Bob und Gideon sind bei mir. Wir nahmen die Nachtfähre.«

David war aus dem Bett gesprungen. »Was ist los, Roger?«

»Eine ganze Menge. Schon wieder dieser Joe Trencher. Das Angebot, das er auf die Dolphin machte, war im Namen irgendeiner Tiefsee-Bergungsfirma. Aber man fand heraus, daß es eine solche Firma gar nicht gibt. Und Gideon entdeckte, daß heute um neun Uhr vormittags eine Anweisung herausgeht des Inhalts, daß alle Verkäufe storniert werden. Wenn du also deinem Vater mit der Dolphin helfen willst, David, dann müssen wir vor neun Uhr auslaufen.«

Da hatten wir also nicht mehr viel Zeit.

David und ich hatten uns gefreut, weil wir einen vollen Tag hatten, um die Maschinen des Schiffes durchzuprobieren. Selbst dann, wenn wir auch die Druckverhältnisse überprüft hätten, wäre es gefährlich gewesen, die Dolphin in die Tiefsee hinauszubringen. Und jetzt blieben uns nur noch ein paar Stunden!

»Na, Gott sei Dank, daß wir wenigstens Hilfe haben«, murmelte David. Wir zogen uns eiligst an und verließen das Hotel. »Bin ich froh, daß Gideon von Marinia hierher flog! Und daß Laddy mittut. Wir brauchen jede Hand, um diesen alten Rosteimer flott zu kriegen.«

»Ich hoffe nur, daß wir auch fertig werden damit«, brummte ich und rannte hinter Roger Fairfane drein, um mit dem Lift nach unten zu fahren, wo die Dolphin und die Killer Whale ruhig dümpelten.

»Die Killer ist weg!« rief David, als wir am Becken ankamen.

»Natürlich ist sie weg. Hab’ ich euch das nicht gesagt? Trencher muß es auch gehört haben, und als wir hier ankamen, war die Killer schon weg. Trencher hat doch all diese Schwierigkeiten verursacht, aber natürlich ist er mit der Killer weggekommen.«

Gideon hatte sich schon an die Arbeit gemacht und überprüfte die Edenit-Panzerung. Er sah ziemlich besorgt drein, als wir über die Gangplanke zur Luke über den Decks kamen.

»Meinst du, Gideon, daß das Schiff dem Druck standhält?« fragte ich.

Er schob seine Mütze zurück und musterte die Linie, wo die Wellchen an den Rumpf leckten. »Ob ich meine? Nein, Jim.

Ich sag dir lieber gleich die Wahrheit. Ich glaube es nicht, nach all dem, was ich sehe. Sie müßte ins Schlepptau genommen, hinausgezogen und auf den Meeresboden gesetzt werden. Die Edenit-Schicht hat Fehler, und zur Reparatur der Generatoren wären an die hundert Stunden nötig, bevor man ihnen trauen kann. Die ganze Kraftanlage hätte schon vor zehn Jahren ausgemustert werden müssen. Eine Pumpe ist völlig hin. Und alles ist heiß vor Strahlung. Ich würde die ganze Maschine hinauswerfen, bis auf die Bodenplatten, wenn es nach mir ging.«

»A-a-aber Gideon ...«:, stotterte ich.

Er hob die Hand. »Trotzdem, Jim. Sie schwimmt. Und ich habe hier mit dem Schrottoffizier geredet. Den hab’ ich eigens dazu aus dem Bett geholt. Sie ist mit eigener Kraft ‘reingekommen, sogar wasserdicht. Das ist ja schon Monate her; aber wenn sie’s damals konnte, dann kann sie das jetzt auch.« Er lachte breit. »Diese Tiefsee-Schiffe sind ja nicht nur eine Ansammlung von Maschinerie, Junge. Sie leben! Und dieses Schiff hier sieht aus, als sei es gerade richtig für den Schiffsfriedhof, aber das Ding läuft und schwimmt. Und wenn es schwimmt, dann nehm ich das Risiko auf mich!«

»Das reicht für mich«, sagte David sofort.

»Für mich auch. Und wie steht es mit Laddy und Bob?«

»Die sind schon unter Deck«, sagte Gideon. »Versuchen eben die Maschinen zum Laufen zu bringen. Hört ihr das?«

Nein, wir hörten nichts. Oder ich nicht, aber ich spürte etwas, an den Sohlen meiner Füße, wo sie auf dem Deck standen; ein leises Vibrieren. Das Schiff lebte! Die alten Maschinen vibrierten, sie liefen wieder!

»Ja, Jim. Das wär’s also. Wir können verschwinden, sobald sie die Seetore für uns aufmachen.« Er wandte sich zu Roger Fairfane um. »Du hast deine Meinung noch nicht gesagt. Was meinst du? Willst du mitkommen? Oder ist dir die Sache zu gefährlich?«

Er grinste breit. »Natürlich komme ich    mit,    und    nicht    nur das! Aber vergiß unseren Rang nicht. Ich    bin    der Senior    der Kadetten, und Gideon und David sind nicht mal Kadetten, Offiziere schon gar nicht. Also bin ich der Kapitän. Nicht vergessen!«

In den ersten fünf Minuten wäre es fast    zu einer    Meuterei gekommen. Gideon beruhigte uns alle.

»Was macht das schon aus?« fragte er mit seiner leisen, sanften Stimme. »Laßt ihn doch Kapitän sein! Wir brauchen einen, und wir ziehen doch alle an einem Strang .«

»Na, ich weiß nicht recht, ob er mitzieht«, brummte Bob. Wir waren im alten Wachraum und räumten unsere Navigationskarten weg, bis uns der Flottenoffizier Erlaubnis zum Auslaufen gab. »Aber du hast vielleicht recht. Soll er der Kapitän sein, wenn ihm soviel dran liegt. Mir ist es egal.«

Vom Deck über uns kam ein Rattern und Plärren. Wir rannten hinaus.

»Ahoi, Schiff Dolphin!« röhrte die Stimme im Lautsprecher des Flottenbüros. »Ihr könnt auslaufen durch die Baker Schleuse. Gute Fahrt!«

»Danke schön!« schrie Roger Fairfane zurück, durch den Lautsprecher der Brücke. Es rappelte das Warnsystem, dann krachte etwas, seufzte, und wir wußten, es waren die Maschinen. Wir rannten auf unsere Posten. Für den Anfang waren sie doppelt besetzt.

Ich hatte neben Roger Fairfane auf der Brücke zu stehen. Er signalisierte Laddy Angel und Bob Eskow, die unten an den Maschinen standen, Maschinen langsam voraus. Wirklich und buchstäblich zollweise kroch die Dolphin zur Baker Schleuse, und wir hatten die Mikrosonarkarten vor unseren Nasen. Dann bohrte sich die Schiffsnase in ein wiegenartiges Seilsystem. Hinter uns schlossen sich die Tore, und die Dolphin rollte ordentlich, als das Wasser der Tiefsee unter Druck hereingepumpt wurde. Der Edenit-Feldgenerator, der zuerst leise und tief gesummt hatte, stieg gleich um eine ganze Oktave an, nahm aber alle Kraft des Druckes auf, wandte ihn gegen sich selbst und bewahrte unser Schiffchen vor dem Zerquetschtwerden. Als der Druck gegen die Edenit-Panzerung schlug, gab der ganze Rumpf grünliche Funken ab. Dann ging das Schleusentor vor uns auf.

Roger Fairfane gab den Maschinentelegrafen Maschinen langsam voraus, und unser Schiff fuhr hinaus in die Tiefsee.

Ich glaube, es war reines Glück, das uns am Leben erhielt.

Gideon kam aus dem Maschinenraum gelaufen. »Setzt Kurs zur Oberfläche!« schrie er. »Das ist ein altes Schiff, Roger, und die Edenit-Beschichtung ist nicht mehr das, was sie war. Junge, bring sie ‘rauf, wir nehmen Wasser auf!«

Roger wurde rot und wollte Gideon schon zurechtweisen, denn er war ja schließlich der Kapitän, doch gegen den Druck der Tiefen gab es kein Argument. Er stellte also die Tauchflü-gel auf Steigen ein und läutete auf dem Maschinentelegrafen das Signal Volle Steiggeschwindigkeit. Die alte Dolphin schüttelte sich ein wenig und stieg.

Ich lief nach unten, um die Leckstellen zu untersuchen, und Gideon folgte mir.

Sie waren nicht allzu schlimm, doch wenn zwei Meilen Wasser auf ein Schiff drücken, ist auch das kleinste Leck gefährlich. Es war nur ein dünner Nebel, der durch eine vom Edenit nicht mehr völlig abgedichtete Schweißnaht kam. »Das kann ich reparieren«, murmelte Gideon mehr zu sich selbst. »Wenn wir an der Oberfläche kreuzen, zerlege ich den Edenit-Generator, und dann wird der Rumpf halten. Aber jetzt eiligst nach oben!«

Zwei Meilen. Aber die Dolphin schaffte sie.

Wie Tümmler schwindelten wir uns hinauf. Das war nicht seegerecht, doch wir hatten es eilig. Dann setzten wir Kurs für den langen Weg um das Kap herum in den Südpazifik. Oben konnten wir nicht mit voller Geschwindigkeit reisen, denn die Dolphin war, wie andere Tiefsee-Schiffe auch, für Höchstgeschwindigkeiten unter Wasser gebaut. Die gedrungene Form machte das Kreuzen an der Oberfläche beschwerlicher. Trotzdem kamen wir gut voran.

Gideon machte sich sofort an die alten Generatoren. Unter dem Edenit-Feld lagen Stahlplatten, die für Oberflächenfahrten völlig ausreichten. Und wenn Gideon mit seiner Arbeit fertig wäre, könnten wir wieder in die Tiefen zurückkehren, wohin wir gehörten. Dann würden wir eiligst den Tonga-Tiefen entgegenstreben. Es war ein wenig mehr als um die halbe Erde herum, und der Umweg um Südamerika machte den Weg noch länger - Tausende von Meilen zusätzlich! -, doch Gideon versprach uns eine Leistung von vierzig Knoten, so daß wir in etwa zwei Wochen am Tonga-Graben sein konnten.

David Craken und ich überprüften mit einem Solarbesteck unsere Position und errechneten unseren Kurs nach den Navigatorkarten. »Zwei Wochen«, sagte ich, und er nickte.

»Zwei Wochen ... Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig an«, sagte er leise.

»Craken! Eden!«

Rogers Stimme klang schrill vor Erregung. Wir taten einen Satz aus dem Navigatorhaus und rannten zur Brücke. »Schaut euch das mal an!« rief er und deutete auf den Mikrosonarschirm. »Was haltet ihr davon?«

Da war ein winziger Lichtklecks, direkt hinter und ein Stück unter uns, mindestens hundert Faden tief. Ich engte das Feld ein, um den Lichtfleck genauer sehen zu können.

»Da ist es!« rief Roger, und verriet damit Besorgnis, wenn nicht Angst. Ich konnte es ihm nicht verdenken, denn für einen Moment war der Lichtklecks hell und sehr klar.

Dann wurde er wieder nur zu einem kleinen Fleck. Aber der Umriß ... Konnte das ein Schiff sein? Vielleicht. Aber wenn es eines war, dann mußte es ziemlich merkwürdig aussehen; es hatte einen konisch zulaufenden Turm, der wie ein großer, dreieckiger Kopf geformt war, und dieser Kopf saß auf einem langen, beweglichen Hals.

Ich schaute zu David Craken, mußte aber die Frage nicht stellen. Er war sehr blaß geworden und nickte. »Ja, Jim. Du hast recht. Das ist eine Seeschlange. Sie liegt genau auf unserem Kurs.«

13. Die Verfolger der Tiefen

Es »schlauchte« uns ordentlich, wie wir auf der Akademie sagten. Allmählich gewöhnten wir uns aber daran, und sogar Witze machten wir schließlich darüber. Im Grund war unser Humor eher Galgenhumor, denn wir waren uns darüber klar, daß der uns verfolgende Saurier mit Joe Trencher und der Killer Whale zu tun hatte.

Wir überquerten den Äquator und hatten eine kleine Zeremonie, wie einst die alten Seefahrer, mit der die Landratten in die Geheimnisse von Davy Jones eingeführt wurden. Wir hatten aber nur eine einzige Landratte bei uns. Gideon und David Craken hatten den Äquator schon so oft überquert, daß sie das Zählen längst aufgegeben hatten. Laddy Angels Heimatland war Peru, und selbst Bob und ich waren ja schon in Marinia gewesen.

Unsere Landratte war Roger. Zu unserer Überraschung nahm er die Sache mit Humor auf. Da wir wieder untergetaucht fuhren, holten wir einen Eimervoll eisigen Salzwassers aus der Schleuse und lachten uns halb tot, als er schrie: »Nur zu, Jungens! Ihr sollt euren Spaß haben! Wenn das vorbei ist, bin ich ja doch wieder der Kapitän, und ich vergesse nichts!«

Aber das war Spaß und keine Drohung, und fast mochte ich nun Roger Fairfane zum erstenmal, seit ich ihn kannte.

Als die Zeremonie vorbei war und er in trockenen Kleidern wieder aus seiner Kabine kam, war er erneut sehr reserviert.

In Brasilien liefen wir einen kleinen Hafen an, da wir in Sargasso keine Vorräte hatten laden können. Wir hatten genug Geld, um alles zu kaufen, was wir brauchten, und wir bekamen auch alles - bis auf eines. Gideon ging an Land und blieb stundenlang aus, und als er zurückkam, wirkte er bedrückt. »Nichts zu machen, Jim«, berichtete er mir. »Ich hab’ alles versucht, aber Waffen waren einfach nicht zu bekommen. Ein Kriegsschiff haben wir, aber nichts, womit wir kämpfen können.«

David Craken hatte zugehört und nickte nüchtern. »Das geht schon in Ordnung«, meinte er. »Ich wußte ja, daß wir Schwierigkeiten haben würden, Waffen zu bekommen. Die Flotte verkauft die Schiffe ja unbewaffnet. Aber mein Vater hat Waffen in seiner Kuppel. Wenn wir nur dorthin kommen .«

Allmählich kamen wir in die Gewässer, die Spuren der Schmelzwasser der Antarktis aufwiesen. Die Wassertemperatur fiel um einen Gradbruchteil, der Salzgehalt lag etwas niedriger, das Wasser war etwas dichter - wir näherten uns der Spitze Südamerikas. In einer dunklen Nacht durchliefen wir nach Karte und Sonar die Meerenge, aber auf Terra del Fuego gab es eine Flottenbasis, und wir wollten kein Aufsehen erregen.

Aber unser Verfolger hatte hinter uns die Meerenge genommen.

Und er war auch noch hinter uns, als wir in den Pazifik einfuhren.

»Die Peru-Strömung«, sagte Angel sehnsüchtig, »ist kalt und schnell. Ich glaube, ich habe Heimweh.«

»Heimweh nach einer kalten Strömung?« fragte Roger Fairfane und lachte.

Laddy hob die Brauen. »Ach, Kapitän, lach nur ruhig, aber die Peru-Strömung ist Peru. Es ist eine launische Strömung, sie wandert und setzt manchmal ganz aus, als wolle sie ausprobieren, ob ihr die Tiefsee besser gefällt. Aber das sind dann schlechte Jahre für mein Land. Die Strömung bringt nämlich Nahrung und kleine Fische für die Seevögel, von denen der Guano stammt, und die sind dann wieder Nahrung für die großen Fische. Von all diesen Dingen hängt mein Land ab. Lacht nur über die Strömung, aber für mein Land ist sie das Leben.«

Die Dolphin hatte die geheimnisvollen Osterinseln hinter sich; wir hielten uns gut vom Land fern, aber wenn wir die Längengrade von Inseln oder Inselgruppen querten, trug David Craken dies gewissenhaft ein, prüfte seinen Kalender nach und seufzte. Die Zeit verging zu schnell.

Und der Saurier folgte uns noch immer.

Manchmal schienen es sogar zwei zu sein, dann wieder sah es aus, als sei bei dem größeren ein viel kleinerer Fleck. »Könnten es vielleicht zwei Seeschlangen sein?« fragte ich David.

»Manchmal reisen sie in riesigen Herden, Jim. Aber dieses andere ist, fürchte ich, kein Saurier.«

»Was könnte es dann sein?«

Er schüttelte den Kopf. »Das finden wir früh genug heraus, wenn es das ist, was ich glaube. Und wenn nicht, hat es keinen Sinn, lange darüber nachzugrübeln.«

Gideon war gerade wieder an einer sehr heiklen Reparatur; diesmal war es der Monitor der Feuerkontrolle, aber wir hatten ja keine Waffen, und so benützte er nur die Zeit, die ihm blieb, um alles in Ordnung zu haben, wenn wir Jason Crakens Tiefsee-Kuppel erreichten. Bekamen wir dort Waffen, dann war eben auch der Monitor schon in Ordnung. Er hatte alles durchgesehen, von der Fluchtkapsel im Kielschwein bis zum Mikrosonar auf der Brücke.

»David«, sagte ich leise, »wir haben jetzt keine tausend Meilen mehr. Wäre es nicht an der Zeit, uns ins Vertrauen zu ziehen?«

»Worüber?« wollte David wissen.

»Nun, über diese Saurier, wie du sie nennst. Jim sagt, du hast ihm etwas darüber gesagt, aber es gibt da einiges, das ich nicht verstehe.«

David zögerte. Er war gerade am Ruder, doch es gab wenig für ihn zu tun, denn die Dolphin kreuzte bei 5500 Fuß mit Autopilot. Das war die für den Verkehr nach dem Westen vorgeschriebene Tiefe. Die Indikatoren zeigten, daß das Ede-nit-Drucksystem perfekt arbeitete. In der Bilge gab es keine Wasserpfützen, keine heulenden Sirenen, die ein Leck im Rumpf anzeigten, keine Undichtigkeiten bei den Maschinen. Wir reisten schnell und trocken.

David schaute auf den Schirm des Mikrosonars, wo der winzige Leuchtpunkt noch immer hinter uns hing, dann holte er eine Karte aus dem Schrank und breitete sie vor uns aus.

Wir versammelten uns um ihn, Gideon, Bob, Lady, Roger und ich. Die Karte trug die Bezeichnung Tonga Trench; es war zwar eine normale Flottenkarte, doch es waren sehr viele Einzelheiten dort eingezeichnet, wo die Flotte weiße Flecken gelassen hatte. Der lange, nackte Graben selbst maß von einem Ende zum anderen mehr als tausend Meilen.

Und jemand - David oder sein Vater, nahm ich an - hatte ganze Nester von Bergen und Abgründen eingezeichnet, dazu Strömungspfeile und Echolotmessungen. Auf einen dieser Seeberge deutete David.

»Hier ist etwas, wofür viele Leute eine Million Dollar bezahlen würden, wenn sie es wüßten. Von hier kommen die TongaPerlen.« Roger neben mir tat einen tiefen, fast keuchenden Atemzug. »Und hier sind die Laich- und Nistplätze der Saurier. Das sind riesige Seereptilien! Mein Vater sagt, sie seien die Abkömmlinge jener Kreaturen, die vor hundert Millionen Jahren und mehr die See beherrschten. Plesiosaurier, wie er sagt. Vor vielen Millionen Jahren, also lange vor dem ersten Erscheinen der Menschen, verschwanden sie von der Oberfläche. Ein Teil zog sich in den Tonga-Graben zurück und überlebte dort.«

Er faltete die Karte zusammen, ein wenig eifersüchtig, wie mir schien, als fürchte er, wir könnten uns das alles einprägen. »Vor vierzig Jahren«, fuhr er fort, »griffen sie meines Vaters Seewagen an, als er in den Tonga-Graben zu tauchen versuchte. Er schlug sie in die Flucht und kam mit den ersten TongaPerlen zurück, die je das Tageslicht erblickten, aber vergessen hat er sie natürlich nicht. Seit dieser Zeit studiert er sie auch. Sogar zu zähmen versuchte er sie mit der Hilfe der Amphibia-ner; zum Teil wenigstens. Er hat auch aus Eiern einige aufgezogen, aber sie sind nicht sehr intelligent und schwer zu dressieren.

Habt ihr die alten Seefahrergeschichten über Seeschlangen gehört? Mein Vater sagt, das sind alles Saurier. Ein- oder zweimal im Jahrhundert werde ein junges Männchen von der Herde vertrieben, und das durchstreift dann die Meere und sucht nach einem Weibchen. Meistens scheuen sie die Oberfläche, denn der fehlende Wasserdruck verursacht ihnen Schmerzen. Ein paar werden aber immer wieder gesehen und nie vergessen. Sie sind etwa so groß wie Wale, geschuppt und mit sehr langen Hälsen, sie haben Paddelgliedmaßen und bewegen sich ungeheuer schnell. Und da sie größer sind als viele der früheren Windjammer, müssen sie denen einen gehörigen Schrecken eingejagt haben.«

»Ja, von diesen Plesiosauriern habe ich gehört«, bestätigte Bob. »Es sind Abkömmlinge der Saurier, die früher auf dem Festland lebten. Und dieses Ding, das uns da folgt, ist auch einer?«

David nickte. »Einer von den gezähmten. Das machen die Amphibianer. Joe Trencher bedient sich ihrer bei der Rebellion gegen meinen Vater.«

Und die Dolphin durchpflügte weiter die Tiefsee.

David Craken schaute endlich von seinen Karten auf. Er sah sehr besorgt drein. »Wir sind ein Stück von den normalen Hauptseewegen entfernt«, sagte er. »Den letzten Sonarstrahl haben wir lange hinter uns. Aber ich denke, wir sind hier.« Sein Finger deutete auf einen winzigen Punkt auf seiner Karte. Der Tonga-Graben!

Jetzt lachte er Roger an. »Kapitän, ich habe eine Kurskorrektur für Sie«, berichtete er förmlich, »Azimut, geradeaus fünfundzwanzig Grad, Höhe negativ fünf Grad.« Er grinste breit und übersetzte: »Geradeaus und ‘runter!«

»Dann also nur noch ein paar Stunden?« fragte Gideon. »Werden wir rechtzeitig da sein?«

David Craken hob die Schultern. »Ich hoffe es.« Er schaute auf das Sonarskop, und der kleine Lichtpunkt, der verfolgende Saurier, war noch immer da. »Seht ihr, es ist fast Juli, und das ist die Brutzeit für sie. Mein Vater ist ein sehr eigenwilliger Mann, Gideon. Er hat seine Kuppel auf einen kleinen Vorsprung am Hang eines Seebergs gebaut, aber er mußte lange bevor die Arbeit fertig war, gewußt haben, daß der Platz schlecht gewählt war, denn dorthin gehen die Saurier zum Eierlegen. Sie kommen aus dem Graben heraus. Dad sagt, das ist ein Verhaltensmuster, das viele Millionen Jahre zurückreicht, vielleicht bis in eine Zeit, da dies alles einmal Festland war. Die Schildkröten tun dies ja auch.

Jedenfalls ist Vaters Kuppel direkt auf ihrem Weg. Solange er gesund war, hatte er die Amphibianer zur Hilfe, er konnte sie abwehren, und das schien ihm auch Spaß zu machen. Jetzt ist er krank und allein, und die Amphibianer werden etwas gegen ihn versuchen .«

Er schaute auf den Mikrosonarschirm. »Gideon! Jim!« schrie er.

Wir schauten. Da war wieder der andere Lichtfleck, der kleinere, den wir früher schon gesehen hatten. Jetzt war er jedoch viel größer geworden, und während wir zusahen, wuchs er immer mehr und immer schneller.

»Hm. Da kommt etwas ungeheuer schnell heran«, bemerkte Gideon besorgt. »Noch ein Saurier? Nein, der andere ist viel schneller, und er holt zusehends auf, als ließen wir uns nur treiben ...«

David war sehr blaß geworden. »Das ist kein Saurier, Gideon.«

Roger, Laddy und Bob redeten alle miteinander. Ich drängte mich zum Mikrosonar durch. Der kleine Fleck wurde undeutlich, schärfer und wieder undeutlicher. Ich stellte schärfer ein, die beiden Punkte wurden größer, heller und schärfer ...

»Du hast recht, David, das ist kein Saurier«, sagte Gideon leise.

Es war ein Seewagen, viel größer als der unsere.

Ich stelle noch eine Spur schärfer ein: der Umriß auf dem Mikrosonarschirm war schlank und tödlich - die Killer Whale!

14. Tiefsee-Scharmützel

Die Killer Whale hielt direkt auf uns zu. Roger sah einen nach dem anderen an. Er war sehr blaß. »Was können sie tun? Sie haben doch keine Waffen, oder? Die Killer war sicher ebenso nackt wie die Dolphin.«

»Damit kannst du nicht unbedingt rechnen«, meinte David. »Vergiß nicht, Trencher ist unter dem Wasser zu Hause. Etwas scheint sie aufgehalten zu haben, und den Saurier haben sie uns nachgeschickt, weil sie etwas anderes zu tun hatten. Aber was? Roger, das weiß ich auch nicht. Möglich wäre, daß sie versunkene Schiffe kannten und die Waffen dort ausbauten ... Ich weiß es nicht. Aber wenn du glaubst, Roger, daß sie uns schaden können .«

»Eden!« rief Roger, »ruf sie über Sonarphon an und frag sie, was sie wollen.«

»Aye, aye, Sir.« Sofort gab ich die Anfrage an das Schiff hinter uns durch. »Dolphin an Killer Whale!«

Keine Antwort. Ich versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Wir warteten schweigend. Das Sonarphon nahm die verstärkten Geräusche des Schiffes hinter uns auf, das fast musikalische Summen der Atomturbinen, das leise Zischen des Wassers, das an der Edenit-Beschichtung vorüberströmte. Aber Antwort bekamen wir keine.

Roger funkelte mich zornig an und nahm das SonarphonMikrophon auf.

»Killer Whale!« schrie er. »Hier ist die Dolphin, Kommandant Roger Fairfane. Ich fordere Antwort von euch!«

Ich hatte auf den Schirm geschaut. Vor dem dunklen Feld, dem Seewasser, sah ich einen kleinen hellen Fleck von der hellen Umrißlinie des Schiffes wegrasen. Ich drängte mich an Roger vorbei zum Autopiloten, schaltete ihn aus, packte das Ruder und ging mit der Dolphin senkrecht nach unten.

Jeder hielt sich irgendwo fest, und wer es nicht tat, wurde herumgeschleudert. Roger Fairfane rappelte sich wieder auf und kam zornbebend auf mich zu. »Eden, das Kommando hier führe ich! Wenn du .«

Wummmm!

Eine dumpfe Erschütterung unterbrach ihn. Die alte Dolphin schüttelte sich, das Metall ihres Rumpfes ächzte gefährlich.

»Was war das?« rief Roger.

Gideon antwortete ihm. »Das war eine Jet-Rakete. Wenn Jim nicht so plötzlich weggetaucht wäre, würden wir jetzt alle nur noch Wasser atmen .«

Jetzt rannten wir um unser Leben. Wir waren im Nu alle auf Kampf Station. Irgendwo schien die Killer Whale Waffen gefunden zu haben - entweder aus Wracks, oder durch illegale Käufe. Wir standen mit leeren Händen da.

Bob Eskow und Gideon standen an den Maschinen und kitzelten jedes Watt Energie aus den alten Reaktoren. Es reichte nicht. Die Killer Whale war neuer, größer und schneller und holte auf. Roger schwitzte und schlug nutzlos auf den Maschinentelegrafen. Dann griff er nach dem Sprachrohr: »Maschinenraum, Eskow, zuhören! Sicherheitsventile herausschrauben und die Reaktoren mit Hand regeln. Wir brauchen mehr Energie!«

»Aber Roger!« erwiderte Bob Eskow. »Die Reaktoren sind alt, und wenn wir die Sicherheitsventile herausschrauben und per Hand .«

»Das ist ein Befehl!« schrie Roger und knallte das Sprachrohr auf den Halter. Mich schaute er besorgt an, denn ich stand am Mikrosonar. »Kommen wir voran, Eden?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, sie holen auf. Ich nehme an, sie wollen so nahe an uns herankommen, daß wir ihre Geschosse nicht mehr unterlaufen können.«

David Craken arbeitete neben mir am Fadenmesser und versuchte unseren Kurs genau auf der Karte festzulegen. Jetzt schaute er auf und lächelte. »Roger, Jim!« rief er. »Ich glaube, wir schaffen es!« Er deutete mit dem Bleistift auf die Karte. »Wir haben gerade einen wichtigen Punkt durchlaufen. Bis zu meines Vaters Seeberg sind es nur noch zwanzig Meilen!«

Das kleine Bleistiftzeichen gab an, daß wir schon ein Stück über dem Tonga-Graben waren. Von der Wasseroberfläche bis zum Schlamm am Seeboden waren ganze dreißigtausend Fuß, also neuntausend Meter, und wir befanden uns etwa in der Mitte dazwischen. Tausend Meilen lang waren die eckigen, zerfransten Linien des Tonga- und des Kermadec-Grabens und reichten weit über die Karte hinaus, die David benützte. Wir befanden uns jetzt direkt über den Klippen der riesigen Erdfurche, deren Felsen steil nach unten abfielen.

Gerade noch rechtzeitig schaute ich wieder auf den Schirm. »Ausweichen, neues Geschoß!« schrie ich.

Roger riß das Rad herum und nach unten, und die alte Dolphin ging in engen Spiralen nach unten.

Wumm! Diesmal war es noch näher als vorher. Roger fluchte etwas Unverständliches und rief in den Maschinenraum: »Bob, wir brauchen mehr Leistung!«

Diesmal antwortete Gideon. Auch jetzt war seine Stimme sanft. »Ich fürchte, Roger, mehr Leistung können wir nicht herausholen. Der Reaktor ist schon überhitzt.«

»Ich brauche aber mehr Leistung!«

»Im Schild ist ein Leck. Ich nehme an, die alten Leitungen waren ziemlich angerostet. Das letzte Geschoß kann sie beschädigt haben. Wir haben immer versucht, das Schiff am Laufen zu halten, aber einen Reaktor der Serie K kannst du nicht reparieren, Roger. Jetzt ist er heiß, weit über die rote Linie hinaus. Wird er noch heißer, müssen wir ihn entweder abstellen, oder das Schiff aufgeben.«

Für eine Weile glaubte ich, wir könnten es schaffen. Mit voller Kraft voraus, fraß die alte Dolphin die Meilen zu Jason Crakens Seefestung und zur Kuppel. Die Killer Whale, die größer, neuer und schneller war, holte nur ganz langsam auf. Sie schossen noch ein paar Minuten lang, und der kleine Lichtpunkt, der Crakens Kuppel war, wurde immer klarer sichtbar.

Nach einer Feuerpause fingen sie wieder zu schießen an, diesmal eine volle Salve; sechs Raketen schossen uns aufgefächert nach.

Wir schwangen wie irr herum, als Roger das Ruder herumriß.

Wummm, wummmwummm ...

Aber sie schossen zu kurz. Roger grinste. »Vielleicht schaffen wir’s. Wenn wir noch zehn Minuten durchhalten .«

»Raketen!« schrie ich. Wieder die Ausweichbewegung, wieder lagen die Geschosse zu kurz, wenn auch näher. Viel näher.

Joe Trencher schien entschlossen zu sein, uns unter keinen Umständen zur Kuppel kommen zu lassen!

Die Sprechanlage vom Maschinenraum her rappelte. »Brük-ke, in drei Minuten müssen wir die Leistung drosseln. Alle Reaktorventile sind draußen. Ich wiederhole, in drei Minuten wird die Leistung gedrosselt.«

»Laß sie laufen, solange es geht!« schrie Roger zurück und tauchte wieder steil. »An alle! In die Druckanzüge! Die nächste Salve wird uns vermutlich treffen. Dann gibt es Leckstellen im Rumpf.« Er schüttelte den Kopf und lachte grimmig. »Die füllen unser Schiff mit Wasser, aber ich bringe uns hinein, naß oder trocken!«

In diesem Moment mußte ich Roger Fairfane bewundern. Er war nicht von der Art, die man instinktiv mag, aber die Akademie macht selten einen Fehler, und ich hätte wissen müssen, daß er tatsächlich das Zeug zu einem Kadetten hatte.

Er muß wohl meine Miene richtig gedeutet haben, denn er grinste mich breit an. »Jim, du hast mich noch nie richtig gemocht, und das nehme ich dir nicht übel«, sagte er. »Ich . hm ... muß zugeben, daß ich auch nicht besonders liebenswert bin.«

»Und ich hab’ nichts zuzugeben«, brummte ich.

»Du nicht. Ich ... Übrigens, mein Vater ist gar kein so großes Tier, Jim. Er ist Buchhalter bei Trident, das ist alles. Sie ließen mich das Bootshaus benützen, weil ich ihnen leid tat, aber ich habe immer gehofft, eines Tages und irgendwie würde ich schon .«

Dann schwieg er kurz, fügte aber nach einer Weils nüchtern hinzu: »Wenn ich helfen könnte, für Trident eine neue, wichtige Route zu eröffnen, hier unten zum Tonga-Graben, dann wäre das für meinen Vater eine ganz große Sache.«

Ich schüttelte den Kopf. Komisch. Bob und ich, wir hatten insgeheim über Roger gelacht und ihn nicht gemocht, aber er war im Grund doch ein feiner Kerl .

Wir waren nun alle in unseren Druckanzügen, hatten aber die Helme noch nicht geschlossen, weil wir da besser arbeiten konnten. Wenn ein Treffer unseren Rumpf einriß, war noch Zeit genug .

Fast war es soweit.

Aber vorher brüllten erst noch die Warnhupen los, und an der Instrumentenwand blinkte alles auf einmal rot. Das Deckenlicht flackerte, als der Strom von den Hauptmaschinen ausfiel und die Batterien einsprangen. Die Dolphin wurde ordentlich durchgeschüttelt und viel langsamer.

Der Ruf vom Maschinenraum bestätigte das, was wir schon wußten: »Reaktor aus! Wir haben keinen Antrieb mehr, nur noch die Batterien!«

Roger schaute mich an und lachte. Jetzt war er echt, ohne Angabe. Er besah sich die Instrumente und kam schnell zur Entscheidung.

Er stieß die Sperren aus dem Ruder und stellte die alte Dolphin praktisch auf die Nase, so daß sie senkrecht in den Abgrund tauchte.

Minuten vergingen. Oben hörten wir das ferne Wummm! der Detonationen, aber das lag sehr hoch über uns. Die Schwerkraft zog an uns, also tauchte das Schiff viel schneller, als die batteriegetriebenen Maschinen dies hätten bewerkstelligen können. Roger behielt Fadenmesser und Mikrosonar scharf im Auge. Im letzten möglichen Moment zog er das Ruder zurück, und die Tauchflügel brachten das Schiff in die Waagerechte. Er stellte den Schraubenantrieb ab. Dann gab es einmal ein rutschendes Geräusch und einen kleinen Rumpier.

Wir waren am Grund des Tonga-Grabens - ohne Waffen, ohne Antrieb, mit zwanzigtausend Fuß Seewasser über uns.

15. Schiff aufgeben!

Jetzt konnten wir nur noch darauf warten, daß uns die Killer den Rest gab.

Gideon und Bob Eskow kamen aus dem Maschinenraum. »Das Schiff geht in die Luft! Wir haben zu lange die Maschinen strapaziert, der Reaktor ist zu heiß. Wir müssen hier ‘raus, Roger!«

Roger nickte in aller Ruhe. Sein Gesicht war so gesammelt, als rechne er für sich irgendein taktisches oder Navigationsproblem aus. Das Mikrosonar funktionierte irgendwie noch immer. Das fraß natürlich Strom von den Batterien. Die Killer kreiste hoch über uns und wartete.

Die tote Dolphin lag in unheilvoller Stille da, nur die Zirkulator-Röhren des Reaktors pulsten noch leise. Nukleare Reaktionen verursachen kein Geräusch, und nichts warnte uns, daß sich ein paar Meter von uns eine Explosion vorbereitete. Hier und dort ächzte das Metall, gelegentlich schnappte auch etwas, als gebe die Edenit-Panzerung nach.

Wir lagen an einem Abhang, mit dem Heck nach unten. Roger hielt sich mit einer Hand am Ruder ein und schaute uns an.

»Schiff aufgeben«, befahl er. Und das war das Ende der Dolphin.

In der Druckschleuse versammelten wir uns zu einem letzten Kriegsrat. »Wir sind nur ein paar Meilen von Jason Crakens Seefestung entfernt«, sagte er. »David, du zeigst uns den Weg. Wir müssen Energie sparen, also wird immer nur einer von uns seine Flutlampe brennen haben. Und alle zusammenbleiben! Bleibt einer zurück, so ist er verloren. Rettungsmöglichkeiten gibt es da nicht. Und wir müssen uns so schnell wie möglich bewegen. Die Luft in den Anzügen wird nicht viel länger als eine halbe Stunde reichen. Die Batterien der Anzüge sind alt. Sie müssen gegen hohen Druck ankämpfen. Vielleicht halten sie nicht einmal so lange aus wie die Luft. Haben alle verstanden?«

Wir alle nickten und sahen einander an.

Noch einmal wurde die Tiefenbeschichtung überprüft. Die Anzüge schienen ziemlich dürftig zu sein und bestanden aus Aluminium und Plastik. Nur der glühende Edenit-Film hinderte sie daran, sofort zusammenzubrechen, und viel Energie hatten wir nicht, wie Roger sehr richtig sagte, um das Edenit am Glühen zu halten.

»Helme versiegeln!« befahl Roger. Das taten wir, und sofort begann die Wirkung der Edenit-Beschichtung mit rippelnden Lichtern bei jeder Bewegung.

Roger gab Alarmzeichen. Laddy Angel, der an den Schleusenventilen stand, bedeutete mit einer Geste, daß er verstanden habe, und begab sich zum Schleusenverschluß. Die Tür hinter uns schob sich zu. Als sie versiegelt war, öffnete sich die Außenblende, und das Seewasser schoß in dicken Strahlen herein. Fast rissen sie uns von den Füßen, aber einen Moment später war die Schleuse gefüllt. Nun öffnete sich die Außentür, und wir traten hinaus auf den Boden des Tonga-Grabens, mit vier Meilen Wasser über uns.

Die Dolphin hinter uns schimmerte hell und beleuchtete den ganzen Seeboden um uns herum. Aber als ich einmal zurückschaute, flogen Schatten über den Rumpf, ein sicheres Zeichen, daß die Energie, die den Edenit-Belag wirksam erhielt, allmählich nachließ.

Dann mußten wir aber nach vorne schauen. Wir bildeten eine Reihe mit David Craken in Führung. Eine kleine Anpassung an das Verhältnis Auftrieb gegen Gewicht war mit einer winzigen Drehung des Luftventils erledigt, so daß wir in großen Sprüngen über den Meeresboden setzen konnten. Wir kamen recht schnell vorwärts, und ein paar Augenblicke später war die Dolphin hinter uns nur noch ein schwachleuchtender Umriß. Aber ... da war doch Licht!

War denn das in dieser Tiefe möglich? Und noch unglaubli-cher war, daß hier offensichtlich Dinge wuchsen.

Der Seeboden in der Tiefsee ist nackter, schwarzer Schlamm, doch hier gab es Vegetation, einen Wald wiegender federiger Gewächse, die ganz merkwürdig aus den Felshängen vor uns wuchsen. Die dünnen, biegsamen Stämme mußten sehr hoch sein, denn sie verloren sich in den Schatten über uns. Und sie hatten dicke, merkwürdig geformte Blätter. Stämme und Äste und Blätter schimmerten in einem ganz seltsamen sanftgrünen Licht.

Ich tat einen Satz vorwärts und tippte David Craken auf die Schulter. Der Edenit-Film an meinem Handschuh und der an seiner Schulter strahlten bei der Berührung auf. Die Berührung hatte David bestimmt nicht gespürt, wohl aber aus dem Augenwinkel heraus das Glühen bemerkt. Er schwang sich mit dem ganzen Körper herum, so daß ich verschwommen sein Gesicht hinter dem Edenit-Film seiner Sichtplatte erkannte.

Ich winkte wortlos zu dem glühenden Wald hinüber. Er nickte, und seine Lippen formten Worte, die ich aber nicht verstand. Nur eines wußte ich, für ihn war dieser Wald keine Überraschung.

Und dann fiel mir das merkwürdige Aquarell ein, das Laddy Angel mir gezeigt hatte; es hing über Davids Bett in der Akademie. Einen solchen Wald, einen solchen Abhang hatte er gemalt. Und auf dem Bild war ein riesiger, häßlicher Saurier durch den Tiefsee-Wald gepflügt. Ich hatte dieses Aquarell damals für ein Phantasiegebilde gehalten, doch nun hatte ich es vor meinen Augen. Wo waren die Saurier?

Aber mit solchen Gedanken konnte ich mich nicht beschäftigen, es gab viel wichtigere Dinge. David schien hier zu Hause zu sein. Mit riesigen Känguruh-Sprüngen, als sei er auf dem Mond, eilte er voraus. Nach ein paar Minuten gab er das Signal zum Halten. Gideon trat neben ihn. Seine Lampe ging an, und Roger löschte die seine und reihte sich hinter Gideon ein. Das war eine notwendige Vorsichtsmaßnahme, denn die Anzugleuchten waren sehr hell und fraßen eine Menge Energie. Wir mußten also unsere Energie ziemlich gleichmäßig verbrauchen, damit die Edenit-Beschichtung immer Strom bekam. Wenn nämlich erst einmal das unheildrohende Knistern zu hören war, so hörte man gleich darauf nichts mehr, nie mehr!

Wir rannten weiter. Die paar Meilen schienen kein Ende nehmen zu wollen. Ich fühlte mich allmählich ein wenig benommen, gleichzeitig auf sonderbare Art heiter. Da wußte ich aber auch sofort den Grund: der Sauerstoff ging allmählich zur Neige. Wegen der alten Batterien hatten wir es nicht gewagt, Elektrolungen zu verwenden, und die kleinen Tanks waren nur für Notfälle gedacht. Jedenfalls atmete ich keine gute Luft mehr.

Etwas stieß mich von hinten heran, ich hörte ein fernes Röhren, das durch das Wasser rumpelte, und dann lagen wir alle zusammen auf dem Boden. Gideon rappelte sich hoch und winkte zur Dolphin zurück. Da verstand ich. Der Reaktor hatte den Geist aufgegeben, und eine Nuklearexplosion hatte den Rumpf des toten Schiffes in Atome zerfetzt.

Dem Himmel sei Dank! Wir hatten schon einen Bergrücken hinter uns und waren nicht mehr in der unmittelbaren Gefahrenzone. Also standen wir auf und setzten unseren Weg fort.

Wir umgingen gerade einen alten Lavafluß aus einem Unterseevulkan, der zu grotesken Formen erstarrt war. Nun waren überall diese seltsamen glühenden Pflanzen um uns, und sie wuchsen aus dem nackten Fels heraus, wie mir schien. Und da sah ich, wie sich zwischen ihnen etwas Riesiges bewegte ...

Genau war es nicht zu sehen, denn das einzige Licht kam von den Pflanzen selbst, und es war spukhaft. Ich durfte nicht stehenbleiben, denn ich konnte sonst die anderen nicht mehr einholen. Es gab keinen Zweifel daran, daß die Luft in meinem Anzug schlechter wurde. Wir liefen einen langen Hang hinab, dann über eine weite Ebene. Der Wald war jetzt überall um uns herum, und über uns hing ein bizarrer Vorhang aus Gewäch-sen. David blieb stehen und deutete mit weit ausgebreiteten Armen ein Stück voraus.

Ich hustete, würgte und versuchte weiterzugehen. Dann wurde mir klar, daß Laddy Angel bereits nach vorne gegangen war. David zeigte uns also etwas.

Ich hob den Kopf, und da sah ich zwischen den Seepflanzen etwas Riesiges, Dunkles, einen Seeberg! Und auf der abgeplatteten Spitze etwas, das blaßgolden und bläulich schimmerte.

Edenit! Es war die Kuppel von Jason Craken.

Ob wir wohl noch rechtzeitig ankamen?

Jemand - ich wußte nicht, wer es war - fiel, kämpfte sich wieder in die Höhe und stand schwankend da. Jemand, es mußte wohl Gideon sein, war mit einem Satz neben ihm und stützte ihn mit einem Arm. Es schien also nicht nur meine Atemluft schlecht zu werden.

Wir hielten uns jetzt eng beisammen und bewegten uns langsamer voran. Wieder sah ich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung, schaute hin und erwartete, wieder nichts zu sehen.

Wie sehr ich mich doch täuschte! Es war etwas Riesiges und Drohendes. Ein Saurier, ungeheuer groß, und er kam direkt auf uns zu! Ich schaltete meine Anzuglampe ein, um die anderen aufmerksam zu machen. Sie sahen das Monstrum auch, aber David Craken machte eine aufgeregte Bewegung, nur wußte ich nicht, was er damit meinte. Die anderen taten einen Satz vorwärts und fächerten sich auf. Ich rannte auch, so schnell ich konnte, wir duckten uns um die schwankenden Stämme der Seepflanzen und hielten nach einem Versteck Ausschau.

Ich hörte, wie mein Atem im Helm rasselnd ging, und die Welt wurde immer dunkler. Im Kopf war ein schmerzhaftes Pochen, und die Luft wurde nun so schlecht, daß ich versucht war, mich einfach fallen zu lassen, zu schlafen ...

Es gelang mir noch, in ein schützendes, hell schimmerndes Gebüsch zu kommen. Dort lag ich auf dem Rücken, atmete schwer und stellte ohne irgendeine Gemütsbewegung fest, daß dieses Ungeheuer ganz in meiner Nähe war. Und seltsam, auf diesem Ungeheuer ritt etwas, genau wie auf Davids Aquarell

Eine Person war es, ein Mädchen, schlank, braunhäutig und schwarzhaarig, sehr zierlich, und die Augen glühten perlig wie die Joe Trenchers. Ihr blauer Schwimmanzug war aus etwas gewoben, das so glühte wie die Pflanzen, die über uns hingen. Sie war so nahe, daß ich die geblähten Nüstern sah, sogar den Ausdruck ihres Gesichts.

Das war leicht zu erkennen, denn sie trug keinen Druckanzug! In vier Meilen Tiefe atmete sie das Wasser der Tiefsee!

Ich hatte keine Zeit, sie zu studieren, denn das Monstrum forderte meine ganze Aufmerksamkeit. Selbst in meinem Zustand halber Vergiftung war ich mir darüber klar, daß hier eine tödliche Gefahr für mich war. Der riesige Kopf kam pendelnd zu mir herab, der lange, biegsame Hals war ebenso beweglich wie der eines Schwans. Und das Maul war so riesig, daß es mich mit einem einzigen Schnappen hätte verschlingen können.

Und die spitzen Zähne, die so lang waren wie die Säbel eines Kavalleristen .

Da wurde der blauglühende Wald um mich herum grauschwarz und drehte sich. Ich sah noch die übereinanderliegenden Schuppen am Hals des Sauriers und die schwarzen Klauen an den ruderartigen Gliedmaßen; dann kam der Kopf herab durch die Stränge zerrissenen Tangs, und ich dachte schon, jetzt sei meine letzte Minute gekommen. Dann rauschte das Blut in meinen Ohren, das Grau wurde schwarz, ich war bewußtlos.

16. Der Eremit vom Tonga-Graben

Ich wachte auf mit der Erinnerung an einen phantastischen Traum von großen, häßlichen Echsen und fremdartigen Meermädchen auf ihren Rücken.

Phantastisch! Noch phantastischer erschien mir jedoch, daß ich überhaupt aufwachte.

Ich lag auf dem Rücken auf einem Segeltuchfeldbett in einem kleinen Raum mit Metallwänden. Jemand hatte meinen Helm geöffnet, und ich bekam frische Luft in meine Lungen!

Mühsam setzte ich mich auf und schaute mich um. Roger Fairfane lag auf der einen Seite neben mir, Bob Eskow auf der anderen, beide noch bewußtlos.

In der Wand war eine Druckschleuse, und dahinter lag Wasser. Darin bewegte sich etwas, das vertraut und gleichzeitig fremd wirkte.

Die seltsame Meermaid war da draußen! Sie war also kein Traum des Sauerstoffhungers gewesen, sondern Fleisch und Blut, denn ich sah sie, perläugig wie dieser Joe Trencher, doch mit einem Gesicht, das menschliches Mitgefühl ausdrückte. Sie mühte sich ab mit Gestalten in Druckanzügen, die sie von außen her in die Schleuse schleppte. Eins ... zwei ... drei, und sie bewegten sich sehr schwach.

Das mußten also Gideon, Laddy und David sein. Sie hatte uns alle gerettet. Und hinter ihr war eine riesige, tödliche Masse zu erkennen. Sie schien aber keine Angst zu haben. Es war das Dreiecksgesicht des Sauriers mit aufgerissenem Maul.

Während ich zusah, drehte sie sich wie ein Aal herum und klatschte dem Ungeheuer auf die hornige Nase, etwa so, wie ein Reiter sein treues Pferd tätschelt.

Es stimmte also, was David gesagt hatte: Die Saurier waren gezähmt. Diese Seekreaturen, die er Amphibianer nannte, ritten auf ihnen.

Das Seemädchen verließ den Saurier und schwamm in die Schleuse. Ich sah sie im Schein der Leuchtzifferblätter vom Instrumentenbrett. Die großen Außentüren schwangen zu und schlossen das Sauriergesicht aus. Und die Tür glühte; sie war mit Edenit beschichtet. Dann begannen Pumpen zu arbeiten. Flutlichter flammten auf.

Einen Moment später stand das Mädchen auf dem nassen Schleusenboden und zog die Gestalten in den Druckanzügen zur Innentür.

Bob Eskow drehte sich herum und rief: »Diatom! Diatom an Radiolarian. Die Mollusken sind ...« Er öffnete die Augen und sah mich. Ich glaube, er brauchte einige Zeit, bis er mich erkannte.

Dann lächelte er. »Jim, ich habe schon gedacht, mit uns ist es aus. Weißt du auch bestimmt, daß wir noch da sind?«

Ich klatschte ihm auf die Schulter. »Wir leben. Diese junge Dame und ihr Freund, der Dinosaurier, haben uns zu Crakens Kuppel gebracht.«

David stand schon da und zog seinen Anzug aus. Er nickte ernst.

»Ja, das haben wir Maeva zu verdanken.« Er nickte dem Mädchen zu, das weißäugig und schweigsam dastand und uns beobachtete. »Wäre Maeva nicht gekommen ... Aber Maeva und ich waren schon immer Freunde.«

Da sprach das Mädchen. Wie seltsam es klang, menschliche Töne aus dem Mund einer Meermaid zu hören! Ihre Stimme war weich und wunderbar musikalisch. »Bitte, David«, sagte sie. »Verlier keine Zeit. Meine Leute wissen, daß du hier bist.« Besorgt sah sie zur Schleuse, als erwarte sie eine Horde Amphibianer auf flammenspeienden Sauriern. »Als ich dich zur Kuppel brachte, Old Ironsides und ich, da sah ich, wie ein anderer Saurier mit einem Reiter uns beobachtete. Gehen wir lieber gleich zu deinem Vater.«

»Sie hat recht«, pflichtete ihr David bei. »Gehen wir.« Nun waren alle wieder bei Bewußtsein, denn David und Gideon waren nicht vom Sauerstoffmangel bewußtlos geworden, sie waren nur sehr schwach gewesen. Aber wenn Maeva nicht geholfen hätte und der Saurier, den sie Old Ironsides nannte, dann wären sie wohl jetzt schon tot, genau wie wir auch.

Seltsames Mädchen! Ihre Haut war glatt und braun, ihr kurzgeschnittenes Haar schwarz. Ihre perligen Augen waren kühl und sanft, so daß ihr Gesicht ein wenig traurig und sehnsüchtig wirkte.

Und ich hielt sie für sehr schön.

Sie lächelte David an. Ihre Hände machten flatternde Bewegungen, und mir schien, als dränge sie ihn, zu seinem Vater zu eilen. Jedenfalls bediente sie sich einer Zeichensprache, die in den Meerestiefen natürlicher erschien als eine stimmliche Verständigung.

Roger schob David zur Seite. Er zischte ihm zu, so daß Maeva es nicht hören konnte: »Es gibt keine Meermädchen. Welche Art Ungeheuer ist sie?«

»Ungeheuer?« erwiderte David zornig. »Sie ist ebenso menschlich wie du. Sie gehört zum Volk der Amphibianer, ebenso wie Joe Trencher, nur können wir ihr vertrauen, denn sie steht auf unserer Seite. Ihre Vorfahren waren die Polynesier der Insel, die mein Vater unter der See entdeckte.«

»Aber sie ist doch ein Fisch, Craken! Sie atmet Wasser. Das ist doch nicht menschlich.«

Da wurde David wütend, und er versteifte sich. Doch er hatte sich gut in der Hand und wurde wieder ruhig. Das Meermädchen schien ihm viel zu bedeuten. »Komm jetzt«, sagte er gleichmütig. »Wir müssen meinen Vater finden.«

Wir, rannten durch die ganze Kuppel, über schlüpfrige Stahlhügel, an Räumen vorbei, die aussahen wie Säle aus einem Sultanspalast, kostbar eingerichtet, aber langsam zerfallend.

Welch ein phantastischer Ort! Eine Unterwasserkuppel zu bauen, ist ungeheuer kostspielig; sie erfordert nicht nur viel Geld, sondern auch eine Menge Zeit, Material und Menschenleben. Sicher, es gab viele hundert solcher Kuppeln, die über den Boden des Ozeans verteilt waren, aber nur ganz wenig gehörten einem einzigen Mann.

David Crakens Vater hatte seine Kuppel mit wenigen Technikern, die zum Schweigen verpflichtet waren und mit den Amphibianern und den Sauriern allein gebaut! Das war eine unglaubliche Leistung.

Ich zählte fünf Ebenen unter der Wölbung der Kuppel, fünf Ebenen, vollgepackt mit Wohngebieten, Läden, Docks, Vorratsräumen und Erholungszentren, mit einem ungeheuer großen Nuklearreaktor, der den Strom für die ganze Kuppel lieferte und den Druck der See sicher fernhielt. Es gab mehr als ein Dutzend Räume, die wie Labors aussahen. In dem einen standen enorme Behälter an den Wänden, die gefüllt waren mit den Stengeln des schimmernden Tangs, der draußen im Graben wuchs. Hier in der Atmosphäre war der Schimmer nur noch ganz schwach, und die arme Maeva, die außerhalb des Wassers sowieso eine schwere Zeit hatte, würgte es von dem modrigen Geruch dieser Behälter. Wir gingen auch ein wenig schneller durch.

»Das sind Dads Experimente«, erklärte David kurz. »Er wollte das Geheimnis dieses Tangs entschleiern. Er hat alles mögliche versucht, ihn mit Säuren behandelt, mit Lösungsmitteln, ihn verbrannt und zentrifugiert. Eines Tages ...« Er schaute sich auf den Arbeitstischen mit den blubbernden Glaskolben und Retorten um, den Destilliergeräten und Röhrensystemen. »Eines Tages wird das alles anders. Aber jetzt haben wir dafür keine Zeit. Kommt weiter!«

Aber auch im obersten Raum der Kuppel fanden wir Davids Vater nicht.

»Maeva, ich verstehe das nicht!« sagte David besorgt. »Wo kann er nur sein?«

Die Meermaid antwortete mit ihrer sanften Stimme, die nur manchmal keuchend Atem holte: »Er ist nicht gesund, David. Er gehört nicht in die See. Vielleicht schläft er.« Sie berührte David leise, und ihre Finger hatten dünne, kurze Schwimmhäute. »Du mußt ihn nach oben bringen, David. Sonst wird er hier unten sterben.«

»Erst muß ich ihn aber finden!« Wir waren jetzt in einem Raum, der einmal ein sehr eleganter Salon gewesen war. In den Regalen an den Wänden standen viele tausend Bücher und auch viele Kunstwerke. Aber die waren mit Staub bedeckt. Vermutlich hatte sie seit dem Tod von Davids Mutter niemand mehr angerührt.

Auch hier standen zahlreiche wissenschaftliche Geräte herum, so als habe der Mann, dem diese Kuppel gehörte, nur noch wissenschaftliche Interessen. Noch unausgepackte Kisten mit Gläsern und Geräten standen da, die alle in Marinia gekauft waren.

Am seltsamsten in diesem Raum waren die Fenster, riesige Bilderfenster mit geschmackvollen Vorhängen, und die Aussichten waren herrliche irdische Landschaften mit Bergen im Hintergrund, deren Gipfel Schneekappen trugen, mit grünen Matten und sanften Vorbergen, mit hohen Tannen und Jungholz davor - und das vier Meilen tief unter der Wasseroberfläche!

Ungläubig starrte ich das an. David bemerkte meinen Blick und lächelte. »Stereo-Landschaften«, sagte er gleichmütig; er schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein. »Sie waren für meine Mutter. Sie kam aus Colorado, und immer sehnte sie sich nach dem trockenen Land und den Bergen ihrer Heimat .«

»David, wir müssen uns beeilen!« drängte Maeva.

»Was soll ich denn noch tun, Maeva! Vielleicht ist es am besten, wir teilen uns auf und gehen noch einmal die ganze Kuppel durch. Aber .«

Das Ende des Satzes hörten wir nie.

Es kratzte etwas irgendwo laut und nachdrücklich, dann kam aus Dutzenden verborgener Lautsprecher ein lautes Geräusch. Ein mechanischer Wachmann plärrte: »Achtung, Achtung! Die Kuppel wird angegriffen. Achtung, Achtung! Die Kuppel wird angegriffen .«

Roger sagte voll Angst: »David, wir müssen etwas tun. Vergiß mal deinen Vater. Die Amphibianer greifen an und ...«

David hörte ihm nicht zu. Er schaute quer durch den Raum in eine Ecke, wo ein Haufen von Ausrüstungsgegenständen lag.

»Dad!« schrie er, und wir alle wirbelten herum.

In der Ecke saß ein alter, ausgemergelter Mann auf einem Feldbett. Hinter dem ganzen Zeug, das dort aufgehäuft war, hatten wir ihn nicht gesehen. Die Warnung des elektronischen Wächters hatte ihn aufgeweckt.

Er saß ganz ruhig da, sah uns ein wenig geistesabwesend, aber sehr freundlich an, und die Warnung des Wächters schien ihn nicht weiter zu bekümmern. Er trug ein Ziegenbärtchen, das früher sicher schmuck und adrett gewesen war, jetzt aber struppig und grau aussah.

»David, ich habe mich schon gewundert, wo du bist«, sagte er. »Wie nett von dir, daß du ein paar Freunde zu Besuch mitgebracht hast.«

17. Craken von der Seefestung

Wir sahen ihn, dann einander an. Wir alle hatten den gleichen Gedanken, auch David und das Seemädchen: Jason Crakens Geist gab auf.

»Willkommen ihr alle!« rief er strahlend.

Früher einmal mußte er ein kräftiger Mann gewesen sein. Das ließ sich noch an seinem Knochenbau und an den verbliebenen Muskeln abschätzen. Jetzt war er sehr hager geworden. Die Haut hing ihm lose am Hals herab, und sie hatte merkwürdige grünliche Flecken. Sein Bart war wirr, das Haar hätte längst einmal geschnitten werden müssen. Mein Onkel hatte ihn als Dandy beschrieben. Davon war nichts mehr übrig.

Geschlafen hatte er in seinem Labormantel, der früher einmal weiß war, jetzt aber sehr fleckig und zerknittert aussah. Er blickte an sich hinab und lachte leise. »Ihr seht, ich habe keine Gäste erwartet«, erklärte er ein bißchen verlegen. »Entschuldigt, bitte. Und so ungepflegt begrüße ich die Gäste meines Sohnes nicht gern. Aber meine Experimente, Gentlemen, fressen meine ganze Zeit. Der Tag hat nicht genug Stunden, um alle ...«

David trat zu ihm. »Vater, warum ruhst du nicht ein wenig aus? Ich führe meine Gäste inzwischen in der Kuppel herum.«

Und ständig heulte der mechanische Wächter: Achtung, Achtung!

David machte uns ein Zeichen, und wir verließen alle leise den Raum. Sofort kam er uns nach. »Es fehlt ihm jetzt nichts. Wir gehen jetzt in den Instrumentenraum.«

Das war eine relativ kleine Kammer auf der untersten Ebene der Kuppel. Ein Fernsehschirm war neben dem anderen, so daß der gesamte Meeresboden rund herum zu überblicken war. Nichts war zu sehen.

David nickte besorgt. »Noch nicht«, erklärte er. »Das dachte ich mir schon. Der Robotwächter warnt vor ankommenden Seefahrzeugen, aber er hat eine sehr große Reichweite, so daß sie noch eine Weile nicht zu sehen sein werden.«

»Sie?« fragte ich.

»Ich weiß es nicht, ob es mehr als einer ist. Die Killer Whale vielleicht, aber die Amphibianer hatten noch einen Seewagen, soviel ich weiß. Den haben sie mir weggenommen. Wie viele es sonst noch waren, kann ich nicht einmal ahnen.«

Gideon runzelte die Brauen. »Das ist Pech. Ich hoffte, sie würden glauben, wir seien alle mit der Dolphin in die Luft gegangen, als der Reaktor explodierte.«

Das Seemädchen schüttelte den Kopf. »Ich sagte euch ja, daß wir gesehen wurden. David, es tut mir leid, daß ich mich sehen ließ, aber ...«

»Maeva, du mußt dich nicht entschuldigen! Du hast uns doch das Leben gerettet.« David nahm ihre Hand und drückte sie. Er musterte nachdenklich die Schirme und nickte.

»Ich muß nach meinem Vater sehen«, sagte er. »Jim, kannst du mitkommen? Ihr übrigen . es wäre besser, ihr würdet die Schirme im Auge behalten.«

Gideon nickte. »In Ordnung«, antwortete er mit seiner sanften Stimme. »Da ist ja, wie ich sehe, ein Mark XIX Feuerkontrollgerät und eine Turmkanone? Ja. Dann können wir sie notfalls von hier aus abwehren. Die Mark XIX kenne ich.«

»Ich glaube, damit kannst du aber nicht viel anfangen«, warnte ihn David. »Das Gerät ist schadhaft. Die Amphibianer haben die Stromkreise zerstört, als sie gegen meinen Vater rebellierten. Wenn sie angreifen, haben wir keine Abwehrwaffen.«

Ich ging mit David, und mir war das Herz in die Schuhe gerutscht. Nichts, womit wir uns verteidigen konnten! Nicht einmal ein Seewagen mehr, in dem man hätte fliehen können!

Aber Gideon machte sich sofort an die Arbeit, baute die ganze Elektroanlage aus und stellte fest, welche Verbindungen unterbrochen waren. Daß er die Kanone reparieren könnte, erschien mir unwahrscheinlich. Aber Gideon hatte schon früher immer halbe Wunder vollbracht.

Davids Vater schlief wieder, als wir zu ihm zurückkehrten. David weckte ihn behutsam auf. Er rieb sich die Augen und blinzelte David an.

Diesmal hatte seine Stimme nicht die Heiterkeit von vorher. Er schien sich dessen zu erinnern, was um ihn herum vorging, und er mochte auch sehr verzweifelt sein.

»David«, sagte er, »David . « Er schüttelte sich, stand auf und taumelte mehr als er ging zum Labor und füllte ein kleines Glas aus einer Flasche mit farbloser Flüssigkeit. Das Glas trank er mit einem Schluck leer. Dann kam er lächelnd und viel sicherer zu uns zurück.

»Setzt euch doch«, forderte er uns auf und schob Bücherstapel einfach von ein paar Stühlen. »David, ich hatte dich schon aufgegeben. Wie gut, dich zu sehen.«

David Craken beeilte sich, einen Stuhl für den alten Mann zu finden, doch der setzte sich lieber auf die Feldbettkante und strich sich mit den Fingern durch das schütter werdende Haar.

»Dad, du bist doch krank«, sagte David.

Jason Craken zuckte die Schultern. »Nur ein paar unglückliche Reaktionen.« Geistesabwesend sah er auf die grünlichen Flecken an seinen Händen. »Vermutlich habe ich ein paarmal zu oft Versuchstier gespielt. Aber ich bin noch kräftig, David. Kräftig genug für Joe Trencher und um mir das zurückzuholen, was mir gehört.«

Seine Augen lagen in tiefen Höhlen und waren blutunterlaufen, doch sie glänzten in einem sonderbaren Licht, das vom Fieber - oder Wahnsinn kam. Er winkte uns mit seiner knochigen Hand zu.

»Dad, wir werden angegriffen«, sagte David. »Weißt du das denn nicht? Vor zehn Minuten kam die Roboterwarnung.«

Jason Craken schüttelte ungeduldig den Kopf. Mit einer verächtlichen Handbewegung wischte er die Angreifer weg. »Es hat schon viele Angriffe gegeben«, erklärte er, »doch ich bin noch immer hier. Und ich bleibe hier, solange ich lebe. Bin ich gestorben, David, dann kommst ja du nach mir.«

Er stand auf, schwankte ein wenig und ging wieder zum Labor, um sein Glas nachzufüllen. Diese farblose Flüssigkeit schien ihn sehr zu beleben. »Joe Trencher wird es schon noch lernen. Ich werde ihn besiegen, wie wir die Saurier besiegt haben, David.«

Mit der Miene eines Vogelscheuchenkaisers setzte er sich auf das Feldbett, als wäre es ein Thron. »Jim Eden«, sagte er zu mir, »ich heiße dich im Tonga-Graben willkommen. Nie habe ich damit gerechnet, daß ich einmal die Hilfe brauchen würde, die dein Onkel mir versprach. Es ist schon viele Jahre her. Nie hätte ich gedacht, daß Trencher und seine Leute sich gegen mich auflehnen würden!

Trencher! Ich versichere dir, Jim Eden, daß ohne meine Hilfe diese Amphibianer noch immer das Leben von Tieren führen würden. So fand ich sie nämlich, in ihren unterseeischen Höhlen. Wäre ich überheblich, würde ich sagen, ich habe sie geschaffen, und das käme der Wahrheit ziemlich nahe. Aber wie undankbar sind sie! Gegen mich haben sie sich gewandt. Sie und die Saurier, und ich muß ihnen jetzt zeigen, wer hier der Herr ist, ich muß sie zerquetschen ...«

Wild starrte er uns an. David ging zu ihm, streichelte ihn und redete ihm zu, bis er sich wieder beruhigte.

Eines aber wußte ich nun: David Crakens Vater war dem Wahnsinn nahe.

Zwischen Anfällen konnte er recht vernünftig reden, und so gelang es auch David diesmal, ihn zu beruhigen. Wir saßen da und warteten. Worauf warteten wir? Ich wußte es nicht.

Der Roboterwachmann war abgeschaltet worden, so daß seine Warnschreie nicht mehr gegen unsere Ohren schlugen. Trotzdem wußten wir, daß wir angegriffen wurden. Noch war kein Geschoß gegen uns abgefeuert worden, aber der Roboter hatte sich ganz gewiß nicht geirrt.

Es war nicht daran zu zweifeln, daß draußen, etwas außerhalb der Reichweite des Mikrosonars, Joe Trencher und die Killer Whale lauerten und sich bereitmachten, die Kuppel zu zerschlagen, die uns schützte. Und wir hatten keine Waffen.

Ich wußte, Gideon machte einen Wettlauf mit der Zeit, wenn er versuchte, die demolierten Stromkreise wieder in Ordnung zu bringen, doch das war eine äußerst mühsame Arbeit. Die beste Crew konnte das vielleicht in einer Woche schaffen, und Gideon war allein, vermutlich mit einer fremden, unvollständigen Ausrüstung. Aber irgendwie hatte ich doch keine Angst.

Nach einer Weile hatte sich Jason Craken wieder beruhigt, und da begann er nun von meinem Vater und meinem Onkel zu sprechen. Wie klar er sich jeder Einzelheit aus dieser Zeit erinnerte! Das lag doch schon Jahrzehnte zurück, und dabei wußte er kaum zu sagen, wie er in den Monaten von Davids Abwesenheit gelebt hatte.

»Sprich mit ihm über seine Erfahrungen und Entdeckungen«, wisperte mir David zu, »das hält ihn ruhig.«

»Mr. Craken, erzählen Sie mir doch einiges über diese merkwürdigen Pflanzen, die Sie da außerhalb der Kuppel haben«, bat ich gehorsam. »Ich war schon früher in der Tiefsee, aber so etwas habe ich noch nie gesehen.«

Er nickte. Die Augen hatte er halb geschlossen. »Jim Eden, die hat auch sonst noch keiner gesehen. Die Tiefen sind so etwas wie ein Lebenskamin. Dies trifft für überall zu, nur nicht für hier. Weißt du, was ich damit meine?«

Ich nickte, denn trotz der uns drohenden Gefahr nahm mich dieser seltsame alte Mann gefangen. »Ich erinnere mich, einer meiner Lehrer sagte das. Hier im Ozean sei das Leben wie ein Kamin, den man von oben her füllt. Winzige Pflanzen wachsen nahe der Oberfläche, wo sie noch etwas Sonnenlicht bekommen können. Von diesen Pflanzen ernähren sich winzige Kreaturen, die wiederum werden von größeren gefressen und so fort. Aber alles hängt von diesen winzigen Pflanzen an der Oberfläche ab, die aus dem Sonnenlicht Nahrung erzeugen. Nur ein paar Krumen geben den Abzug hinab in die Tiefe.«

»Das stimmt!« rief der alte Mann. »Und hier haben wir noch einen Kamin, Jim Eden. Einer, der auf dem Kopf steht, ist das. Diese Pflanzen sind das Geheimnis des Tonga-Grabens, das größte Geheimnis überhaupt, denn von ihnen hängen alle anderen Wunder meines Königreichs ab. Sie haben ihre eigene Energiequelle. Das ist ein atomarer Prozeß. Ich ... Mir ist es selbst noch nicht gelungen, alle Geheimnisse zu enthüllen«, bekannte er. »Glaub mir, ich habe es versucht. Jedenfalls ist es aber eine nukleare Reaktion; ich glaube, die Energie entsteht aus unstabilen Pottasche-Isotopen im Seewasser. Es ist mir jedoch noch nicht gelungen, diesen Prozeß im Reagenzglas nachzuvollziehen. Aber das wird mir auch noch gelingen!«

Er stand auf und ging, diesmal langsamer und sehr nachdenklich, zum Labortisch. Er goß sich noch einmal von diesem Elixier, das für ihn so kostbar zu sein schien, in das Glas, stellte es dann aber weg. Das Geheimnis des Tonga-Grabens schien ein ebenso wirksames Elixier zu sein wie die wasserhelle Flüssigkeit. Ich ahnte, was diesen Mann am Leben gehalten hatte: ein unbarmherziger Zwang, der große Männer - und Irre - schafft.

»Du siehst also«, sprach er weiter, »es gibt hier einen zweiten Lebenskamin, dieses leuchtende Tanggewächs, das seine eigene Energie erzeugt und kein Sonnenlicht braucht. Die kleinen Tiere, die sich davon ernähren. Die größeren, die Saurier und Amphibianer, leben von den kleinen Pflanzen und Tieren.«

»Die Saurier«, warf ich ein, »die sind doch eine Art Gefahr, nicht wahr?«

»Gefahr?« fragte der alte Mann und sah seinen Sohn vorwurfsvoll an. Als sei dieses Wort der auslösende Faktor, griff er nach dem Glas und trank es leer. »Gefahr? Ah, David, du kannst doch die Saurier gar nicht fürchten! Uns in der Kuppel können sie keinen Schaden zufügen.« Er wandte sich wieder an mich wie ein Lehrer, der eine Vorlesung für seine Schüler hält. »Das ist eine Sache der Brutverhaltensweisen. Die Saurier legen Eier, und die können nicht den Druck des Seebodens vom Graben aushalten, dort, wo das schimmernde Gras wächst. Sie müssen also jedes Jahr um die Brutzeit auf den Seeberg kommen, um ihre Eier abzulegen. Seit Urzeiten legten sie diese Eier in einer Höhle ab, und ich habe diese Kuppel ausgerechnet über dieser Höhle erbaut!«

Er lachte leise, als habe er damit etwas besonders Gescheites getan. »Als sie gezähmt wurden, habe ich ihnen erlaubt, die Höhle zu benützen. Aber jetzt werden sie diese nicht mehr betreten! Dieser Graben gehört mir, und ich habe die Absicht, ihn zu behalten!

Vielleicht brauche ich Hilfe«, gab er zu. »Es sind sehr viele Saurier, aber du bist ja hier. Du und die anderen, ihr müßt mir helfen. Ich kann euch bezahlen. Sehr gut sogar, denn der ganze Reichtum des Tonga-Grabens ist mein! Tonga-Perlen! Ich habe eine Möglichkeit gefunden, die Ernte zu vergrößern, so wie die alten Japaner die Zuchtperlen erfanden. Mit gewöhnlichen Austern kann man das nicht machen, denn die Tonga-Perlen brauchen einen radioaktiven Nukleus, der von diesem schimmernden Tang kommt. Jim Eden, ich habe Tonga-Perlen angepflanzt, und die erste Ernte ist bereit. Sie braucht nur eingesammelt zu werden.«

Er stand auf. Wenn er sich auch gebückt hielt, so überragte er uns doch noch immer.

»Ich biete euch einen Anteil von tausend Tonga-Perlen! Du schuldest mir diese Hilfe sowieso, denn dein Vater und dein Onkel haben sie versprochen. Was meinst du, Jim Eden? Willst du mir helfen, das Reich vom Tonga-Graben zu verteidigen?« Jetzt glühten seine Augen wild.

»Du mußt deinen Tiefsee-Kreuzer nehmen, die Dolphin! Damit mußt du das Schiff zerstören, das Joe Trencher benützt. Für die Saurier genügt die Bewaffnung der Kuppel. Ich habe hoch oben eine sehr wirksame Kanone montiert, Munition ist reichlich vorhanden, und die allermodernste Feuerkontrolle ist eingebaut. Vernichte Joe Trencher für mich - die Kuppel selbst wird die Saurier vernichten, wenn sie durchzukommen versuchen. Jim Eden, bist du dazu bereit?«

David und ich schauten einander düster an, und in seines Vaters Augen starb das Licht der Begeisterung.

Jason Crakens Geist wanderte wieder. Er hatte zu lange gegen die See gekämpft, zu lange seine Zaubertränklein getrunken. Und da hatte er sich nun einen Kampfplan ausgedacht mit der Kanone im Mittelpunkt, die nicht mehr funktioniert, und einem Schiff, das längst gesunken war.

Was sollten wir ihm da noch sagen?

Es war nicht nötig, denn von draußen hörten wir seltsam kratzende Schritte, und dann kam Maeva, das Seemädchen, keuchend hereingerannt.

»David!« schrie sie und kämpfte um Atem. »David, sie kommen! Die Saurier greifen an, und sie werden angeführt von einem Tiefsee-Schiff!«

Wir sprangen auf, doch ehe wir noch den Raum verlassen konnten, erschütterte eine dumpfe Explosion die ganze Kuppel.

Eine Tiefsee-Rakete von der Killer! Der Kampf um den Tonga-Graben hatte begonnen ...

18. Der Kampf um den Tonga-Graben

»Hinauf in den Kanonenturm!« rief Maeva. »Gideon konnte das Feuerkontrollgerät noch nicht reparieren, er versucht die Kanone manuell zu bedienen!«

David rannte eine schmale Eisentreppe hoch, wir anderen folgten. Gideon war schon im Turm. Er war so mit den komplizierten Instrumenten beschäftigt, daß er nicht einmal aufschaute.

»Gideon!« rief ich, doch da mußte ich mich anklammern, weil eine neue Explosion die Kuppel erschütterte. Sie meinten es also ernst .

Es war ein enger, düsterer Turm, und von Jason Crakens Labor stieg ein scheußlicher Geruch herauf. Die winzigen Fenster waren kaum größer als Luken, und zu sehen war durch sie nicht viel. Im matten Schimmer der Edenit-Schicht konnte ich nur erkennen, daß unter uns die Kuppel sich steil nach unten schwang. Im kalten blauen Licht der Kuppel ließen sich draußen ein paar dunkle Felszacken erkennen. Dahinter wurde das Dunkel der Tiefe nur gelegentlich vorn geisterhaften Schimmer einiger Tiefsee-Kreaturen unterbrochen, die ihre eigenen Lichter mitführten.

»Ich sehe nichts«, bemerkte ich verblüfft.

David nickte. »Kannst du auch nicht, Jim. So weit unter der Wasseroberfläche brauchst du Mikrosonar, wenn du etwas sehen willst. Daran arbeitet Gideon jetzt, denke ich. Wenn das Mikrosonar-Zielgerät funktioniert, kann man diese Kanone hier von Hand bedienen. Aber seit fünfzehn Jahren wurde dieses Geschütz nicht mehr bemannt, sondern immer von der Feuerkontrolle aus, ein Stockwerk tiefer, bedient. Und das ist nicht möglich; das Gerät ist zerstört.«

Gideon sah nur kurz auf, nickte und arbeitete weiter. Ich sah, daß er sich große Sorgen machte ...

Die Kanone füllte fast den ganzen Turm aus. Es war eine häßliche, wirksame Zerstörungsmaschine, aber der Lauf wirkte, soweit er sich im Turm befand, erstaunlich schlank. Die blanken Geschosse waren kaum länger als mein Arm.

»Kommt dir wohl altmodisch vor?« fragte David. »Aber es ist eine tödliche Waffe, Jim. Eine solche Granate vernichtet einen Seewagen. Der Schock neutralisiert den Edenit-Film für einen winzigen Sekundenbruchteil, und der Druck der See besorgt den Rest. Man nennt sie Athodyden. Sie nehmen Wasser auf und schießen es hinten in Form von Dampf aus.«

Gideon tat einen Ausruf. Er nahm etwas aus einem Ersatzteilekasten, setzte etwas in das Drahtgewirr und berührte einen Schalter. »Das müßte jetzt gehen«, meinte er.

Wir hielten den Atem an. Das ferne Summen winziger Motoren war zu hören. Der Turm schüttelte sich ein wenig und drehte sich langsam. Der Mikrosonarschirm wurde hell.

»Du hast es geschafft!« rief David.

»Jedenfalls funktioniert es«, sagte Gideon und tätschelte liebevoll den schlanken Lauf. »Ich glaube wenigstens, daß es geht. Diese Sonarkupplung machte mir richtige Kopfschmerzen. Ohne Sonar würde die Kanone blind schießen, es ist das eigentliche Visier. Ich denke, jetzt können wir sehen, was wir tun.«

Fasziniert besah ich mir die Sache. Es war ein uraltes Mikrosonar-Modell, wesentlich primitiver als das wundervolle Ding, an dem wir auf der Akademie geschult wurden. Alles war verkleinert und verzerrt, als schaue man durch das verkehrte Ende eines billigen Teleskops.

Aber ich fand mich bald zurecht und entdeckte einige Kleinigkeiten. Ich sah die steilen Hänge des Seebergs, entdeckte den zerklüfteten Rand einer Rinne - wahrscheinlich war sie der Brutweg für die Saurier -, durch die Maeva und Old Ironsides uns geschleppt hatten.

Ich schaute genauer auf den Schirm, dann noch einmal. Da war ein wirbelndes Muster winziger Formen zu erkennen. »Ah«, sagte ich, »das ist ja ein Fischschwarm. Da sind die Saurier wohl nicht in der Nähe. Ich meine, sie verscheuchen doch sicher die Fische.«

»Was meinst du mit Fischen?« fragte Gideon.

»Wenn es Saurier wären, würde man das doch sehen, nicht wahr. Und dieser Fischschwarm .«

»Jim, schau mal her.« Gideon brachte mit einer kleinen Knopfdrehung ein sehr scharfes Bild herein. »Da, genau vor dir. Saurier. Ein paar hundert vermutlich. Sie sehen ziemlich klein aus, weil diese alten Zielschirme sehr stark verkleinern, aber da sind diese Saurier, knapp außerhalb unserer Reichweite.«

Ungläubig musterte ich diesen Schwärm, den ich für Fische gehalten hatte. Richtig, es waren tatsächlich Saurier, viele hundert sogar, und dazwischen bemerkte ich etwas, das mir noch viel gefährlicher erschien. Ich deutete. Gideon und David folgten mit dem Auge meinem Finger.

»Richtig, Jim«, antwortete David. »Das ist die Killer Whale. Sie wartet. Aber lange wird sie das nicht mehr tun.«

Sie wartete noch genau fünf Minuten. Dann sahen wir, wie eine winzige Lichtkugel aus der Killer herausschoß - eine Tiefsee-Rakete, die uns wie ein Pfeil entgegenjagte. Sekunden später erschütterte wieder ein dumpfer Aufprall die Kuppel.

Aber noch vorher war Gideon zur Kanone gerannt. Mit einer Hand stellte er den Mikrosonarschirm nach, die andere hatte er am Auslöser. Ich sah, wie er den Knopf drückte ...

Erst klopfte ein Stakkato, dann hüpfte der Kanonenlauf ein halbes Dutzendmal ein paar Millimeter, als Gideon eine Salve von sechs Geschossen auf die Killer abfeuerte. Sechsmal flammte der Schirm auf, als die Geschosse in einer raschen Folge von Druckwellen explodierten.

Als der Schirm wieder klar wurde, hing die Killer Whale noch immer da, umgeben von einer Herde kreisender Saurier.

Gideon nickte. »Natürlich außerhalb unserer Reichweite. Aber das trifft für uns ebenso zu, obwohl sie auf dem Kreuzer die bessere Waffe haben. Aber wir können hoffen, sie uns auf Armeslänge vom Leib halten zu können . Jim und David, wollt ihr für mich nachladen? Ich will nicht vom Auslöser weggehen, falls Trencher mit seinen Leuten ganz schnell zupacken will.«

Wir arbeiteten blitzschnell. Die Granaten waren sauber aufgereiht in ihren Regalen um die Kanone herum, und wir füllten die Kammer, von wo aus sie der automatische Lademechanismus weiterbeförderte. Unser Vorrat war nicht sehr eindrucksvoll.

»Ist zu wenig«, bemerkte David. »Gideon, kannst du ein paar Minuten hier allein bleiben? Ich gehe mit David ins Lager und hole frische Granaten herauf.«

»Ist schon in Ordnung. Aber bleibt nicht zu lange aus. Ich habe so das Gefühl, wir brauchen in den nächsten paar Minuten jede Granate, die wir bekommen können.«

Der Angriff kam aber nicht. David und ich organisierten einen Arbeitstrupp. Bob, Laddy und Roger brachten die schlanken Granaten aus dem Lager ganz unten in der Kuppel, und wir trugen sie nach oben. Jeder konnte jedesmal drei Stück tragen. Jeder von uns machte zwei- oder dreimal den Weg.

Aber der Angriff kam noch immer nicht.

David und Bob kamen dann schließlich aus dem Lager mit je einer Granate. Davids Gesicht war aschfahl. »Sie sind alle verschwunden. Das war noch da. Die Amphibianer ließen nur noch ein paar Granaten zurück. Das ganze Arsenal haben sie sonst ausgeräumt, als sie gegen meinen Vater revoltierten.«

Wir zählten schnell durch. Es waren ungefähr fünfundsiebzig Stück, nicht mehr. Und bei jedem Abschuß gingen sechs Granaten hinaus!

In der Instrumentenkammer hielten wir einen kurzen Kriegsrat. Auf den Schirmen an den Wänden sahen wir den ganzen Seegrund um uns herum.

Die Killer Whale hing noch immer da, drohend und wartend. In unregelmäßigen Abständen feuerten sie einen Schuß ab, aber keiner hatte bisher Schaden angerichtet, also ignorierten wir das Geballer. Und die Saurier waren noch alle da.

»Das ist jetzt der Beginn ihrer Brutzeit«, sagte David. »Seit Millionen von Jahren, glaube ich. Das ist ein seltsames Ritual, mit dem sie sich aufpeitschen. Ich habe es schon oft gesehen. Stundenlang machen sie das, und dann wird einer hinaufsteigen zu den Höhlen, wo sie ihre Eier ablegen. Die anderen folgen dann .«

Er schloß die Augen, und ich konnte mir gut vorstellen, was er vor sich sah: eine Horde von Sauriern, viele hundert, die den Hang heraufstürmten, an der Kuppel vorbei ... Und Joe Trencher in der Killer Whale, von wo aus er sie dirigierte, direkt zur Kuppel, die er mit Raketen beschoß .

Sicher, die Edenit-Kuppel war stark, aber jedes von diesen Biestern war von fast Walgröße! Zwanzig oder dreißig Tonnen Fleisch, multipliziert mit zwei- oder dreihundert ... Und schließlich kam die Widerstandskraft des Edenit-Films von der Energie, die von empfindlichen elektronischen Geräten erzeugt und gesteuert wurde. Wenn für einen Sekundenbruchteil die Stromversorgung ausfiele ...

... dann wäre innerhalb weniger Sekunden die Kuppel plattgedrückt ... Und wir wären es auch.

Bob Eskow rieb sich die Stirn und stand auf. »David«, sagte er, »das wär’s. Die Kanone kann die Saurier vielleicht aufhalten, aber mit Hunderten von Sauriern und nur fünfundsiebzig Granaten können wir die Sache auch gleich sein lassen. Mit unserer Kanone bekommen wir die Killer Whale nie. Sie bleibt außerhalb unserer Reichweite. Es gibt also nur eine Möglichkeit.«

»Er hat recht, David«, warf ich ein. »Es liegt nun an dir. Ihr müßt Frieden schließen mit den Amphibianern.«

Er lachte scharf. »Frieden schließen? Wenn ich das nur könnte! Aber versteht ihr denn nicht? Das könnte doch nur mein Vater tun. Aber er ist oft nicht mehr ganz da. Das habt ihr ja selbst gesehen. Die Amphibianer sind nicht an unsere Welt gewöhnt. Sie verstehen, daß sie einen Führer brauchen, und dieser Führer ist Joe Trencher. Der hat sich einmal unter die Herrschaft meines Vaters gebeugt. Ich sage nicht, daß mein Vater immer recht hatte. Er war ein sehr strenger Mann. Vielleicht war sein Geist immer ein wenig ... einseitig. Es wäre kein Wunder bei all dem, was er hinter sich hat! Nun, er mag zu streng, zu unnachgiebig gewesen sein. Deshalb hat sich Joe Trenchers Volk gegen ihn gewandt.

Sie respektieren meinen Vater aber noch immer, auch wenn sie gegen ihn kämpfen. Wenn er Frieden zu schließen versuchte, könnte es vielleicht gelingen. Das wird er aber nie tun. Sein Verstand wird diese Möglichkeit nie akzeptieren.«

»David«, sagte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend, »das muß doch früher schon einmal passiert sein. Ich meine nicht die Rebellion der Amphibianer, sondern die Brutzeit der Saurier. Was habt ihr da früher getan, um sie an der Beschädigung der Kuppel zu hindern?«

David hob die Schultern. »Die Amphibianer haben sie zu Herden zusammengetrieben. Ein paar Dutzend stationierten wir vor der Kuppel mit Flugleuchten und Gongs. Unter Wasser pflanzt sich der Schall ausgezeichnet fort, und die Gongs und Flutleuchten hielten sie von der Kuppel fern. Oh, ein paarmal ging es ordentlich knapp her. Mein Vater hätte die Kuppel nicht an dieser Stelle bauen sollen. Aber er ist sehr dickköpfig. Ohne die Hilfe der Amphibianer, und wenn sie uns sogar gleichzeitig angreifen - es ist hoffnungslos.«

Für weitere Überlegungen hatten wir jetzt keine Zeit mehr, denn kurz nacheinander schlugen drei Raketen ein. Hoch über uns schoß Gideon zurück.

Wir beobachteten die Schirme. Die Saurierherde war nicht mehr ein ungeordneter Haufen; einige kamen auf die Kuppel zu, andere folgten.

Und die schimmernde Killer Whale kam mit ihnen und schoß, während sie heranlief.

19. Wilde Jagd der Tiefsee

Die ganze Kuppel bebte von dem nun fast ununterbrochenen Beschuß.

Gideon erwiderte das Feuer, kühl, verzweifelt - und hoffnungslos. Es gelang ihm wenigstens, in die Saurierherde Verwirrung zu bringen. Die erste Welle dieser Riesentiere hatte er zurückgeschlagen, dann war aber eine zweite Welle gefolgt und an der Kuppel vorbeigestürmt, ihren Laichplätzen entgegen. Unsere kleinen Granaten hatten sie doch demoralisiert.

Einen dritten und vierten Angriff hatte Gideon umleiten können. Ich hatte aber mitgezählt und wußte, daß unsere Munition fast zu Ende war. Mir tat Gideon unendlich leid. Dieser Kampf ging ihn nichts an. Ich hatte mich selbst hineingebracht, aber nun gab ich mir seinetwegen die Schuld. Viel Zeit für diese Gedanken hatte ich jedoch nicht. Wir mußten handeln.

David hatte eine verzweifelte Idee: Wir konnten die kleinen Sauerstoffbehälter in unseren Druckanzügen aufladen, auch die Batterien, soviel sie nur aufnehmen mochten und versuchen, mit Lichtern und Gongs hinauszugehen, um die Saurier vielleicht von der Kuppel abzulenken.

Wirklich, es war eine verzweifelte Idee, denn die besser ausgerüsteten und stärkeren Amphibianer würden selbstverständlich die wütenden Tiere auf uns hetzen, und der Platz vor der Kuppel war alles andere als sicher. Vier Meilen unter der Wasseroberfläche, und Dreißigtonnensaurier, die gereizt ihre Laichplätze aufzusuchen entschlossen waren .

Doch es war unsere einzige Chance.

Jason Craken jammerte unverständliches Zeug vor sich hin. Gideon und Roger waren im Turm beschäftigt; blieben also nur Laddy, David, das Seemädchen Maeva und ich selbst, um die Anzüge vorzubereiten.

Bob Eskow war nirgends zu sehen. Die Kuppel rumpelte und bebte, und da warf David den letzten Sauerstofftank wütend weg. »Kein Gas mehr im Tank!« schimpfte er. »Wir müssen mit dem zurechtkommen, was wir haben. Wie stehen wir, Laddy?«

Laddy versah gerade die Anzüge mit den Zylindern und zählte. »Es sieht nicht sehr gut aus, Freund David«, erklärte er leise. »Es ist nicht genug Sauerstoff vorhanden.«

»Das weiß ich. Wieviel?«

»Vielleicht zwanzig Minuten für jeden Anzug. Vier Anzüge. Für vier von uns sind Anzüge da, damit wir hinausgehen und die Saurier verjagen können. Nur ... Das, was man uns auf der Akademie beibringt, gilt hier nicht: soundsoviel Kubikzentimeter Sauerstoff, soviele Sekunden Atemluft. Ich glaube nicht, daß unsere Lehrer wußten, welchen Gebrauch wir von unserem Atem machen müssen! Wir müssen weite Sprünge machen, den Gong schlagen und so herumtoben wie die Schreier bei einem Fußballspiel, und ich glaube nicht, daß da unser Sauerstoff für zwanzig Minuten reicht. Das würde nur für ruhiges Herumlaufen gelten, nicht für anstrengende Akrobatik.«

»Energie?« fragte David kurz.

Das war meine Abteilung. Ich hatte die Leyden-Batterien schon an den Reaktor gehängt und las die Instrumente ab.

»Nicht viel«, gab ich zu. »Aber wenn wir nur Atemluft für zwanzig Minuten haben, spielt das keine große Rolle. Die Energie wird die Edenit-Beschichtung der Anzüge für mindestens die doppelte Zeit wirksam halten.«

David überlegte. »Gut. Es ist das Beste, was wir tun können. Und wenn es nicht gut genug ist .« Den Satz brauchte er nicht zu beenden.

Wir alle wußten, was wäre, wenn es nicht klappte.

Da wir nur für kurze Zeit Sauerstoff hatten, mußten wir warten, bis die wilde Jagd über uns tobte. Wir behielten die Fernsehschirme im Auge, um die ersten Anzeichen dessen nicht zu übersehen, was Gideon mit seiner Kanone nicht mehr abwehren konnte. Zu reden hatten wir nichts. Was sollten wir schon sagen?

Da fiel mir wieder ein: Wo war Bob? »David«, sagte ich, »Bob Eskow ist schon seit einiger Zeit weg. Wir brauchen ihn, wenn wir nach draußen gehen.«

»Er rumorte im Lager herum und suchte nach mehr Sauerstoffzylindern. Ich sagte ihm, es seien keine mehr da. Vielleicht sollte doch jemand nach ihm schauen.« Er wandte sich zu Maeva um, die schweigend dabeistand und uns mit großen, ruhigen Augen beobachtete. Wie beneidete ich sie! Selbst wenn die Saurier durchbrechen sollten - sie würde leben.

Da fiel mir auch Joe Trencher ein und sein Zorn auf alles, was mit den Crakens zu tun hatte, und da war ich nicht mehr ganz so sicher, daß sie am Leben bleiben würde. Denn Joe Trencher würde keinen Verräter der Amphibianer am Leben lassen, besonders wenn er gegen ihn auf der Seite der Crakens stand.

»Maeva, sieh mal zu, ob du ihn findest«, bat David.

Sie nickte, holte keuchend Atem und verschwand lautlos. Sie brauchte nicht weit zu gehen, denn als sie die Tür erreichte, kam Bob auf der anderen Seite heran. Er schleppte einen riesigen, gelb gestrichenen Metallzylinder mit, der so groß und umfangreich war wie er selbst. In großen schwarzen Buchstaben stand darauf

TIEFSEE-ÜBERLEBENS-GERÄT Inhalt: Floß für vier Personen, Signalausrüstung und Notausrüstung.

Edenit-Schild für zwanzigtausend Fuß getestet.

»Was willst du damit?« fragte ich.

Er war ganz atemlos. »Nun, wir könnten ... Verstehst du nicht? Ich meine ... Ich meine, wenn ein paar von uns hinaufkämen, können wir vielleicht die Flotte zu Hilfe rufen. Wir könnten .«

Er redete weiter, und ich starrte ihn an. Bob benahm sich recht seltsam, meinte ich. Brach er unter der Last der Lage zusammen? Er faselte etwas von Radiolarian, genau wie zu der Zeit, als er aufwachte, nachdem uns Maeva in Sicherheit gebracht hatte.

»Moment«, antwortete David scharf. »Das ist eine sehr hübsche Idee, aber hier paßt sie nicht. Erstens liegen wir weitab von jeder normalen Route, und du hast keine Garantie, daß irgendwo in der Nähe ein Flottenfahrzeug ist, das deine Botschaft auffängt. Und außerdem haben wir keine Zeit. Natürlich wirst du mit einem solchen Floß leicht an die Oberfläche kommen, aber von so weit unten dauert das mindestens zehn Minuten, und gar nicht davon zu reden, wie du herumgebeutelt wirst. Aber wir haben kaum mehr soviel Zeit.«

Tatsache war, daß wir keine zehn Sekunden mehr hatten.

Die Sprechanlage ratterte, und Gideons sanfte Stimme kam durch. »Es gibt Ärger! Sie kommen sehr schnell heran!«

Die Warnung brauchten wir gar nicht mehr, denn das sahen wir auf den Schirmen, daß die Saurier direkt auf uns losgingen, nicht nur zwei oder drei, sondern die ganze Herde!

Wir drängten uns in die Schleuse; vier waren in Anzügen, und Maeva kauerte neben uns.

Die See strömte herein. Bei diesem ungeheuren Druck der Tiefe explodierte sie in einem donnernden Nebel, der unsere Sichtschirme blendete und wie ein Hurrikan an unseren Anzügen riß.

Endlich beruhigte sich der Donner wieder, und wir traten hinaus auf den Hang des Berges, um uns dem noch größeren Donner von den Sauriern zu stellen.

Wir fünf fächerten uns auf, hatten die Anzuglampen eingeschaltet und unsere Gongs, dazu kleine alte Explosivgranaten, die David irgendwo ausgegraben hatte, zu klein, um viel Schaden anzurichten, jedoch groß genug, um einen erschrek-kenden Lärm zu machen.

In Horden stürmten die Saurier auf uns zu. Es schienen Tausende zu sein, so etwa wie bei einem Bienenschwarm über einem blühenden Kleefeld im August. Wie sollten wir fünf uns diesem Horror stellen und ihn womöglich auch noch ablenken?

Wir versuchten es wenigstens, blendeten unsere Lichter auf und ab, warfen unsere kleinen Granaten und schlugen dazu die Messinggongs, die uns David gegeben hatte. Dieses Dröhnen fing sich im Graben und kam als vielfaches Echo zurück.

Wir ängstigten tatsächlich die Monstren. Ich denke, wären sie allein gewesen, so hätten sie die Flucht ergriffen, doch hinter ihnen kamen die Amphibianer und trieben sie voran. Ein gutes Dutzend der Saurier trug Reiter, die sich tief auf die Tiere kauerten und sie mit langen, spitzen Stöcken antrieben. Und dahinter schwammen weitere Amphibianer und machten fast ebenso viel Lärm wie wir, so daß die Tiere noch mehr Angst bekamen.

Fieberhaft schaute ich mich um und kämpfte darum, bei Bewußtsein zu bleiben. Ich sah Maeva und David auf der einen Seite, die wie irr auf ihre Gongs einschlugen, weiter unten am Hang war Laddy Angel und versuchte ein paar der riesigen Tiere zu unterlaufen, um sie von der Kuppel wegzutreiben. Aber wo war Bob?

Ich sah ihn nirgends. Als ich mich nach ihm umdrehte, stürzte ich fast und wurde vom Wasser ein Stück nach oben getragen. Ich mußte wohl meinen Sauerstoff eher aufgebraucht haben, als ich gerechnet hatte, denn ich hustete und würgte, und mein Blickfeld trübte sich . Die Kuppel . so weit weg ... Ich tat einen Schritt auf sie zu ... so weit weg ...

20. Die Mollusken sind reif!

Nur ein paar Meter von der Kuppel entfernt taumelte ich und fiel, und ich hatte nicht die Kraft mehr, wieder aufzustehen. Alles war auf merkwürdige Art verschwommen, und ich wußte nur, daß meine Luft schlecht war. Also hatte ich nur noch ein paar Minuten zu leben, vielleicht eine Viertelstunde, doch bewegen konnte ich mich nicht, weil ich dazu Luft gebraucht hätte.

Es war mir völlig klar, daß ich hilflos war und benommen herumliegen würde, bis ich einschlief. Ein paar Minuten später würde ich am Kohlendioxid meines eigenen Atems ersticken

Oder vielleicht, wenn der Edenit-Schild zuerst nachgab, falls meine Energie zu Ende war, dann würde mich die Tiefe zu einer formlosen Masse zerquetschen ...

Und es war mir völlig gleichgültig ...

Da geschah aber etwas sehr Merkwürdiges. Ich hob den Kopf leicht an, um etwas besser zu sehen. Vor mir war eine enge Metallhöhle, und da bewegte sich etwas mit einem hellgelben Kopf und einem hellgelben Körper .

Ich schüttelte den Kopf und schaute noch einmal. Die Höhle wurde zur Schleuse der Kuppel. Und der hellgelbe Kopf gehörte Bob Eskow, der seinen Druckanzug trug und einen gelben Zylinder schleppte, den er im Lager gefunden hatte, dieses Fluchtgerät .

Ich weiß, daß ich flüchtig dachte, wie bemerkenswert es doch sei, daß er sich mit so etwas herumschlage, doch das war mir auch egal, denn ich war unendlich müde.

Da zerrte Bob an mir herum. Auch das war unwichtig, denn ich wollte nicht mehr aus meiner Ruhe herausgerissen werden, und ich stieß ihn weg. Ich wußte nicht, was er tat.

Dann sah ich es. Er band mich fest an den Bügeln um diesen gelben Rettungszylinder. Sein Gesicht im Helm hing einen Augenblick lang vor dem meinen, und er machte eine kräftige Bewegung, als wolle er etwas abschneiden. Was meinte er da?

Ich schaute mich um und sah den Ballast am Schwimmer. Er meinte also, ich solle das Gewicht abwerfen, dann würde mich der Auftrieb an die Oberfläche bringen. In einer letzten Anstrengung begriff ich. Bob wollte also, ich solle das Gewicht abwerfen.

Ich drückte auf den Hebel. Das beschwerte Zylinderende löste sich. Und wir beide schossen der Oberfläche entgegen.

Es ging unheimlich schnell, fast so, als werde man aus einer Kanone geschossen. Der Schock nahm mir für Sekunden, glaube ich, das Bewußtsein. Ich weiß nur noch, wie die blauschimmernde Kuppel unter uns wegfiel, und dann wurde alles ziemlich wirr. Über uns im Wasser glühte etwas grau, dann war nur noch Dunkelheit. Und die Luft verschlechterte sich sehr schnell.

Ich hörte mich rasselnd atmen, keuchen, so wie Maeva, wenn sie eine Weile Luft geatmet hatte, ich röchelte wie ein Sterbender. Meine Lungen brannten. Mein Kopf schmerzte. Ein riesiger Gong schien durch die See zu hallen, Feuerräder verschwanden im dunklen Wasser.

Ganz plötzlich waren wir an der Oberfläche.

Es war Nacht. Wie erstaunlich! Daran hätte ich nie gedacht, daß jetzt Nacht sein könnte. Wir zerschlugen unsere Helmplatten und atmeten tief die köstliche, kühle Nachtluft ein. Wir klammerten uns an den Schwimmkörper, sahen die herrlichen Sterne über uns, und ich glaube, so schön waren sie mir noch nie vorgekommen.

Am erstaunlichsten fand ich jedoch, daß wir noch lebten. Diese klare kühle Nachtluft war das stärkste Anregungsmittel, das uns geschenkt werden konnte. Ich hustete und würgte, und wenn ich nicht angebunden gewesen wäre, hätte ich wohl losgelassen und wäre hinabgesunken in die Tiefen des TongaGrabens.

Bob war ein bißchen besser dran als ich. Mit einem Handgriff ließ er den Behälter aufschnappen, der Edenit-Film verlor seinen Schimmer, das Plastikboot schoß heraus und blies sich automatisch auf. Irgendwie gelang es uns, an Bord zu klettern. Wir nahmen die Helme ab, legten uns auf den Rücken und warteten, bis wir wieder zu Kräften kamen.

Leise schaukelten wir auf den langen Wellen des Pazifiks; es war wie auf einem Rummelplatz: einmal oben auf dem Wellenkamm, dann wieder unten im Wellental, und manchmal hingen wir geradezu in der Luft. Kleine Wellen brachen sich an unserem Plastikfloß, wir hörten die Geräusche der Luft, unseres eigenen Atems und das leise Quietschen des Floßes. Kaum glaubhaft, daß in vier Meilen Tiefe ein wütender Kampf tobte!

Aber Bob glaubte es, denn er erinnerte sich daran. Ich war noch nicht richtig zu Atem gekommen, da war er schon wieder hellwach. Ich lag noch auf dem Rücken, meine Lungen brannten, doch ich zwang mich in die Höhe, um zu sehen, was Bob tat.

Er hockte am Ende des winzigen Floßes und kramte in einem versiegelt gewesenen Behälter, der Notrationen, einen Sanitätskasten - und einen Radio-Sonarsender enthielt.

Und mit diesem Gerät war Bob gerade beschäftigt.

»Bob ...« Ich hustete krampfhaft. »Was ist das alles? Du bist so .«

»Warte nur, Jim.«

»Ich kann doch nicht warten. Bist du dir darüber klar, daß die Crakens und unsere Freunde jetzt unten vielleicht sterben? Sie brauchen uns doch. Ohne unsere Hilfe werden die Saurier durchbrechen.«

»Bitte, Jim. Vertrau mir doch.«

Ihm vertrauen! Was konnte ich sonst tun? Ich war so unwiderruflich abgeschnitten von diesem Kampf am Grund des Tonga-Grabens, als sei ich auf dem Mond. Wir hatten etwa zehn Minuten gebraucht, von dort wegzukommen, und es war buchstäblich unmöglich, wieder dorthin zu gelangen. Selbst wenn wir einen intakten Druckanzug und genügend Sauerstoff gehabt hätten - was hätten wir tun können? Uns nach unten fallen lassen, um vielleicht Meilen von der Kuppel entfernt aufzukommen und uns hoffnungslos zu verirren? Vielleicht war die Kuppel längst plattgedrückt. Und wir wußten ja auch nicht, welche Strömungen uns vielleicht und in welche Richtung von der Kuppel weggetrieben hatten.

Ihm vertrauen. Er verlangte viel, aber ich vertraute ihm wirklich.

»Na, schön«, brummte ich, hustete noch einmal kräftig und räusperte mich. Fieberhaft arbeitete er an dem Gerät, und als ich das sah, kam mir ein Gedanke. »Eines weiß ich gewiß«, sagte ich. »Wenn wir je zur Akademie zurückkommen, dann kann ich Trainer Blighman berichten, daß du dich bei zwanzigtausend Fuß qualifiziert hast.«

Er grinste mich nur kurz an, dann machte er sich wieder am Notsender zu schaffen.

Er war so eingerichtet, daß er auf der Notwelle ein automatisches SOS-Signal aussandte und gleichzeitig auch auf Sonarphon. Dieses Sonarphon würde jedes Unterseefahrzeug innerhalb einer bestimmten Reichweite alarmieren, die zwar nicht sehr groß war, aber doch konnte das Signal gut gehört werden. Das Radioteil gab das Signal elektronisch weiter. Hier war die Reichweite sehr groß, so daß ein Schiff oder eine Station auf einer Insel das SOS auffangen konnte. Mit Funk und Sonarphon waren wir auch relativ leicht zu orten.

Aber er montierte das automatische Signalband ab, stellte andere Verbindungen her und schaltete den Sender ein. Er nahm das winzige Mikrophon und sprach hinein. Ich starrte ihn an, als ich hörte, was er sagte:

»Diatom an Radiolarian, Diatom an Radiolarian«, das sagte er immer wieder. Das bedeutete doch nichts! Er hatte es schon gesagt, als uns Maeva gerettet hatte. Wen meinte er damit?

»Diatom an Radiolarian! Die Mollusken sind reif. Ich wiederhole, die Mollusken sind reif. Radiolarian, bitte, beeilen!«

Ich ließ mich noch immer erschöpft zurückfallen. Und ein paar Meilen unter uns kämpften unsere Freunde um ihr Leben. Wir waren geflohen, mein Freund Bob Eskow und ich. Wir mußten ebenso verrückt geworden sein wie der alte Jason Craken.

Aber Äußerlichkeiten täuschen sehr oft.

Ich starrte meinen Freund an, und ganz allmählich begriff ich einiges.

»Hallo Diatom«, sagte ich.

Er zögerte ganz kurz, dann grinste er breit. »Dann hast du’s also vermutet.«

»Hab’ lange genug gebraucht. Aber du hast recht, ich habe es vermutet. Das ist dein Kodename, nicht wahr? Du bist Diatom. Und Radiolarian ist die Flotte, nicht wahr? Du bist also so etwas wie ein Geheimagent, Bob. Auf Mission. Die ganze Zeit hast du für die Flotte gearbeitet. Du bist mitgekommen, nicht um mir zu helfen, die Schuld meiner Familie an die Crakens abzutragen, oder aus Spaß, sondern weil die Flotte es dir befohlen hatte. Richtig?«

Er nickte. »Du bist ganz nahe dran«, sagte er schließlich.

Ich schluckte sehr heftig.

Da ich jetzt den Schlüssel hatte, fiel alles sehr schnell an seinen Platz. Wie oft war Bob auf geheimnisvolle Art stundenlang und oft ganze Nachmittage verschwunden gewesen? Ich hatte geglaubt, er trainiere für die Unterwassertests der Akademie. Nie wollte er mir sagen, wo er war. Ehe er David Craken Schweigen versprach, hatte er ein wenig gezögert; er hatte ja seine Pflichten der Flotte gegenüber, und das Schweigeversprechen konnte er erst geben, wenn es nicht gegen seine Verpflichtungen gegenüber der Flotte verstieß, so daß David es anders formulieren mußte.

Und am wichtigsten: Als es schien, er wolle unsere Freunde dort unten im Stich lassen, so tat er dies deshalb, weil er verpflichtet war, nach oben zu kommen, um der Flotte schnellstens einen Radiobericht zukommen zu lassen!

»Ich glaube, ich bin dir eine Bitte um Entschuldigung schuldig, Bob«, sagte ich. »Um die Wahrheit zuzugeben, ich dachte .«

Er unterbrach mich. »Es spielt keine Rolle, was du dachtest, Jim. Es tut mir nur leid, daß ich dir vorher die Wahrheit nicht sagen konnte. Aber meine Befehle .«

Nun mußte ich ihn unterbrechen. »Das kannst du vergessen.

Aber was wird jetzt geschehen?«

»Ich hoffe nur, wir sind noch rechtzeitig heraufgekommen. >Die Mollusken sind reife, das ist nämlich unser SOS. Das heißt, der Kampf ist entbrannt, Jim, unten am Grund des Grabens. Die Flotte hatte Befehl, auf Wartestellung zu bleiben und das Radio nach diesem Signal zu überwachen. Dann sollten sie herangerast kommen und .«

Nun sprach er ganz verändert weiter: »Sie sollten nach unten kommen, uns aufnehmen und uns aus dem Graben holen. Verstehst du, die Flotte wußte, daß sich etwas zusammenbraute, aber solange es keine Gewaltanwendung gab, durften sie sich nicht einmischen. Jim, aber das ging ziemlich nach Programm. Wir kamen herauf, als die Gewalttaten gerade begonnen hatten. Ich hoffe nur, sie kommen an, ehe es zu spät ist.«

»Ich wollte, wir könnten .«

Mitten im Satz hielt ich an und vergaß, was wir können sollten oder wollten.

Unter uns glühte etwas ganz schwach. Ich deutete. »Schau mal, Bob!«

Es war ein mattblauer Schimmer im schwarzen Wasser, er wurde immer heller und stellte sich allmählich als Umriß eines langen, schlanken Tiefsee-Schiffes heraus, das auf merkwürdige Art sehr vertraut wirkte, als es in unserer unmittelbaren Nähe auftauchte.

»Da sind sie, Bob, da sind sie!« schrie ich.

Er starrte den schimmernden Rumpf an, dann mich.

»Ich hätte das Sonarphon abstellen sollen. Jetzt haben sie mich gehört«, murmelte er bedrückt.

»Wovon redest du?« fragte ich. »Du wolltest doch die Flotte, oder?«

Und da wußte ich plötzlich, daß ich mich ganz entsetzlich geirrt hatte. Und ich wußte, weshalb mir der schlanke, schimmernde Rumpf so vertraut war. Und das bestätigte mir auch Bob:

»Das ist nicht die Flotte, Jim, sondern die Killer Whale! Sie haben meine Durchsage am Sonarphon gehört.«

21. An Bord der Killer Whale

Die Amphibianer hatten uns an Bord ihres Tiefsee-Kreuzers und alle Luken geschlossen. Ich glaube, es dauerte nicht länger als eine Minute. Wir waren so verblüfft und geschockt, daß wir gar nicht erst versuchten, Widerstand zu leisten.

Es hatte auch keinen Sinn. Wenn es für uns auch nur noch den Schimmer einer Hoffnung gab, dann an Bord der Killer Whale, denn auf dem Floß konnten wir überhaupt nicht gefunden oder endlos lange abgetrieben werden.

Die Killer stank. Es war der scharfe, fauligmodrige Geruch dieser Tiefsee-Pflanzen aus dem Graben, den ich mit den Amphibianern verband. Das ganze Innere des Schiffes war vernebelt, und überall tropfte das Kondenswasser herab. Alles war naß, feuchtkalt, rostig und verschimmelt.

An Bord der Killer mußten wohl etwa zwanzig Amphibianer sein. Sie zerrten uns die Gangways hinab und redeten kaum etwas dabei. Vermutlich sprachen die wenigsten davon auch nur ein paar Worte Englisch. Wenn sie untereinander redeten, bedienten sie sich einer Sprache, die aus genuschelten Konsonanten und lang ausgesungenen Vokalen bestand, und so verstand ich kein Wort.

Dann brachten sie uns zu Joe Trencher.

Der perläugige Anführer der Amphibianer war der Kapitän des Schiffes und befand sich im Instrum entenraum. Bis zur Hüfte war er nackt. Auf den Wasserhahn hatte er eine Sprühdüse gesetzt, so daß er ständig mit Salzwasser besprüht wurde.

Er musterte uns düster, während er seinen Fischbauchkörper beregnen ließ. Er sah selbst aus wie ein Ungeheuer aus einer alten Legende, doch die Tatsache entging mir nicht, daß er so geschickt wie ein Offizier der Flotte das Schiff in ein steiles, spiraliges Tauchmanöver nach unten brachte.

»Warum mischt ihr euch in unsere Angelegenheiten?« fuhr er uns an.

Ich sprach für uns beide. »Die Crakens sind unsere Freunde. Und die Flotte hat die Oberhoheit über den gesamten Meeresboden.«

Er blickte uns finster an, sagte aber eine Weile nichts, sondern hustete und keuchte nur unter seinem Sprühregen.

»Ich habe mich erkältet«, erklärte er uns vorwurfsvoll. »Diese trockene Luft kann ich einfach nicht ertragen.«

»Sie ist nicht trocken«, erwiderte Bob scharf. »Du ruinierst dieses Schiff! Weißt du denn nicht, daß es bei all dieser Nässe hier zu modern und zu rosten anfangen muß?«

»Es ist mein Schiff!« entgegnete Joe Trencher böse. »Es geht dich nichts an. Und jedenfalls ... Nun, es wird lange genug halten. Wir haben jetzt schon die Crakens besiegt, und wenn sie erst alle verschwunden sind, brauchen wir dieses Schiff nicht mehr.«

Ich holte tief Atem. Die Crakens besiegt! Ich fragte: »Sind sie ... Sind sie etwa ...«

»Du meinst tot?« Er zuckte die Schultern. »Wenn nicht, dann sind sie’s jedenfalls sehr bald. Besiegt sind sie. Hast du gehört?« Er riß die Sprühdüse ab und warf sie weg, als habe sie ihn so wütend gemacht. Also gab es doch noch ein bißchen Hoffnung, dachte ich. Wenn sie nur noch ein wenig aushalten könnten .

Trencher fuhr uns keuchend an: »Erklärt mir! Wir sahen euch zur Oberfläche fliehen, und wir hörten auch euren Notruf. Ich verstehe ihn nur nicht. Wer ist Diatom? Wer ist Radiolarian? Was bedeuten diese Mollusken?«

Bob sah mich an und tat einen Schritt vorwärts.

»Diatom, das bin ich«, sagte er. »Radiolarian ist mein vorgesetzter Offizier, Trencher, ein Kommandeur der Tiefsee-Flotte!

Als Diatom hatte ich eine ganz spezielle Mission, die dich, dein Volk und die Tonga-Perlen betrifft. Ich brauchte Informationen und bekam sie. Und mein Notruf wird die ganze Flotte hierherbringen, falls es nötig wird, um jeden Widerstand zu brechen und das ganze Gebiet zu übernehmen.« Das klang so ungeheuer selbstsicher, daß ich ihn kaum erkannte!

In einer Haltung, um die ihn ein Admiral hätte beneiden können, fuhr er fort: »Trencher, das ist jetzt deine letzte Chance. Ich rate dir, gib auf. Ich bin bereit, deine Unterwerfung sofort zu akzeptieren!«

Das war ein sehr tapferer Versuch, doch der Anführer der Amphibianer war auch ein mutiger Mann.

Er war jedenfalls verblüfft, stand da, blinzelte und keuchte, und seine Augen drückten einigen Zweifel aus. Dann explodierte er in ein schallendes, mit Röcheln untermischtes Gelächter. Er nahm wieder die Sprühdüse, und ließ sich ausführlich beregnen.

»Lächerlich«, zischte er. »Junger Mann, du bist ein Phantast. Ich habe dich hier an Bord meines Schiffes, und du lebst nur noch so lange, wie ich dich am Leben lasse. Und du rätst mir, ich solle mich dir unterwerfen!«

»Es ist deine einzige Chance«, drängte Bob. »Ich .«

»Schweig!« bellte Trencher. Eine Weile stand er keuchend da und versuchte zu einem Entschluß zu kommen. »Das genügt jetzt. Vielleicht bist du ein Spion. Ich weiß es nicht. Aber ich habe deinen Notruf gehört, jedoch keine Antwort. Hat er die Flotte erreicht? Ich glaube nicht, mein junger Luftatmer. Und eine weitere Chance hast du nicht, weil wir jetzt in den Graben hinabtauchen.«

Er richtete die Sprühdüse auf sein Gesicht und musterte uns aus den schmalen Schlitzen seiner perligen Augen. »Junger Mann, du wirst niemals mehr den Himmel sehen. Ich kann euch nicht am Leben lassen.«

Joe Trencher hob wieder die Schultern und breitete seine Hände mit den Schwimmhäuten zwischen den Fingern aus, als weise er jede Verantwortung von sich. Das war ein Todesurteil. Bob und ich wußten dies auch.

Aber gerade in diesem Moment sah ich etwas in des Amphi-bianers kalten, perligen Augen, das fast Trauer, Mitleid oder Bedauern sein konnte.

»Es ist nicht so, daß es unbedingt mein Wunsch wäre, euch zu vernichten«, sagte er mit schwerer Stimme. »Ihr laßt uns nur keine Wahl. Wir müssen das Geheimnis des Tonga-Grabens bewahren, und ihr wollt alles in die Welt hinausposaunen. Das können wir nicht zulassen! Wir müssen euch also im Graben behalten. Schade, daß ihr kein Salzwasser atmen könnt, doch das ist euer Unglück, nicht das unsere; und diese Luft wird nicht ewig reichen.«

Ich schwitzte in dieser feuchten Kälte, doch ich versuchte mit ihm zu argumentieren. »Trencher, du kannst dieses Geheimnis nicht ewig bewahren. Die Erforschung der Tiefsee macht zu schnelle Fortschritte. Wenn wir nicht zurückkommen, dann werden andere Männer aufbrechen und bald hier sein, und sie werden die Saurier, den schimmernden Tang und die TongaPerlen entdecken.«

»Kommen können sie ja.« Er nickte nachdrücklich. »Aber wir können sie nicht wieder zur Oberfläche zurückkehren lassen.«

»Warum nicht?«

»Weil wir anders sind, Luftatmer!« Trencher blinzelte und sah aus wie eine traurige Gottheit in einem indischen Tempel, die Perlen statt Augen hat. »Wir haben unsere Lektion vor vielen Generationen gelernt. Wir sind Mutanten, wie Jason Craken uns nennt, aber früher waren wir Menschen. Unsere Vorfahren lebten auf den Inseln. Und wenn einige von uns dorthin zurückkehren wollten, so versuchten die Inselbewohner sie zu töten! Sie trieben uns immer wieder in die See. So fanden wir schließlich den Graben, und der ist für uns eine freundliche Welt, junger Mann, eine Welt, wo wir in Frieden leben können.

Ja, hier können wir in Frieden leben, solange man uns in Ruhe läßt!«

Er keuchte und röchelte nach Atem, und mir schien, daß ein Teil seines Unglücks von seinen Gefühlen und Gedanken herrührte. Was er sagte, war tragisch. Er sprach ernst und kalt mit uns, und er ließ uns nicht im Zweifel darüber, daß er uns ans Leben wollte, aber irgendwie verstand ich ihn sogar.

Vielleicht hatte er tatsächlich allen Grund, die Luftatmer zu hassen und zu fürchten.

»Trencher«, sagte ich langsam, »mir scheint, hier gab es auf beiden Seiten Mißverständnisse. Aber verstehst du nicht, daß wir zu einem Frieden kommen müssen, der für euer Volk und die Menschen gleicherweise fair ist! Die Menschheit braucht euch, aber ihr braucht auch die Menschen. Ihr Amphibianer könnt eine große Hilfe sein bei der Erforschung des Meeresbodens. Unsere Gesellschaft hat viele Dinge, die ihr auch braucht, Medizinen, wissenschaftliche Entdeckungen, Hilfen in unendlicher Vielfalt .«

»Und mehr noch«, warf Bob ein, »braucht ihr den Schutz der Flotte!«

Trencher schniefte, keuchte und hustete und besprühte sich wieder mit Salzwasser. »Das hat Jason Craken uns auch beizubringen versucht«, erwiderte er verächtlich. »Und er wollte uns bestechen mit dem Kram, den eure Zivilisation zu bieten hat. Wir waren nicht feindselig eingestellt, doch er wollte uns zu Sklaven machen. Die Geschenke, die er uns brachte, waren Waffen, mit denen er uns zu besiegen dachte.«

»Aber Craken ist doch wahnsinnig, Trencher!« wandte ich ein. »Verstehst du das denn nicht? Er hat hier so lange allein gelebt, daß sein Geist nicht mehr richtig funktioniert! Er braucht medizinische Fürsorge und Pflege. Er muß in eine Anstalt gebracht werden, wo ihm geholfen werden kann. Er braucht einen .«

»Was er braucht«, unterbrach mich Trencher brutal, »ist ein Grab. Denn ich glaube nicht, daß er noch lebt.«

Nun machte er eine nachdenkliche Pause, als bedaure er selbst, was er gesagt hatte. »Wir dachten, er sei unser Freund. Vielleicht ist es wahr, daß sein Geist ihn verlassen hat. Jetzt ist es aber zu spät. Es gab früher auch andere Menschen, die wir für unsere Freunde hielten, und wir hätten ihnen gerne vertraut. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Zu spät für alles, Luftatmer, denn ich habe die Kuppel verlassen, um euch von der Oberfläche zurückzuholen, und da konnte sie höchstens noch ein paar Minuten standhalten.«

»Diese anderen Menschen - wie heißen sie?« fragte ich, einem Impuls folgend.

Er schaute mich mit seinen Perlenaugen an. »Nun, das waren .«

Einer der anderen Amphibianer tat einen aufgeregten Schrei, dann folgte ein Geschnatter, von dem natürlich kein Wort zu verstehen war. Aber Joe Trencher verstand natürlich. Er tat einen Satz zum Mikrosonarschirm, an dem der andere Amphi-bianer stand.

»Die Flotte!« keuchte er wütend. »Die Flotte!«

Und das war richtig. Auf dem Bildschirm waren mindestens ein Dutzend dicker Lichtpunkte aufgetaucht, die sich sehr schnell näherten.

Die Killer Whale tauchte in einer langen Spirale weg, und die ganze Crew war ungeheuer aufgeregt. Bob und ich wurden gepackt und aus dem Weg geschleudert.

Ich spürte, wie sich die Killer schüttelte, und wußte, daß nun die Raketen der ankommenden Flotte nach dem Kreuzer ausgriffen. Es war nicht daran zu zweifeln, daß unsere Lage recht ernst war, denn wenn die Flotte gewann, würde sie die Killer Whale zu Atomen zerblasen. Und uns damit. Sollte infolge eines unverständlichen Unglücks die Flotte jedoch verlieren, so überließe uns Joe Trencher dem Salzwasser, sobald die Luft zu Ende war!

»Sie haben wenigstens den Notruf aufgefangen«, sagte ich zu Bob. »Also können wir noch hoffen«

Er hob die Schultern und schaute auf die Mikrosonarschirme. Wir näherten uns schon dem Boden des Grabens. Andeutungsweise erkannte ich schon den Berg, die Täler und Klippen in seiner Nähe. »Ich wollte«, sage ich mehr zu mir selbst, »die Flotte wäre nicht gerade in diesem Moment aufgetaucht, ich hatte nämlich die Ahnung, daß .«

»Daß was?« fragte Bob gespannt.

Ich zögerte. »Nun, ich dachte, die Leute, von denen sie sprachen, könnten wir vielleicht kennen. Aber die Namen konnte ich nicht verstehen.«

»Konntest du nicht? Ich schon. Und du hast recht. Jim. Die Männer denen sie hätten vertrauen können, waren die einzigen anderen Männer, die je hier unten waren. Stewart Eden und dein Vater.«

Ich starrte ihn an. »Bob ... Siehst du, daß es hier noch eine Chance gibt? Wenn er ihnen vertrauen würde, dann wird er vielleicht auch auf mich hören. Wir müssen mit ihm reden, dieses Abschlachten verhindern, solange noch Hoffnung besteht.«

»Hoffnung?«

Bob lachte humorlos. Er deutete auf die Schirme, auf denen nun scharf und sehr nahe der Grund des Grabens zu sehen war. »Schau dir doch das hier an. Schau genau hin und sag mir dann, wo es hier noch Hoffnung gibt!«

Ich schaute. Hoffnung? Für die Crakens sicher nicht. Nicht für Laddy Angel, Roger Fairfane oder den Mann, der mir schon früher öfter das Leben gerettet hatte, für Gideon Park.

Der Seeberg stand noch da.

Aber die Kuppel stand nicht mehr hoch am Abhang dieses Seebergs. Die Saurier hatten ganze Arbeit geleistet. Der Ede-nit-Schild war vernichtet. Nur da und dort schimmerte noch ein Stück Metall. Und die Kuppel selbst war plattgedrückt und völlig vernichtet.

22. Der Feind heißt Panik!

Ein Dutzend blühender Lichter flammte gleichzeitig auf den Schirmen auf.

Es war die Flotte, und sie erwiderte das Feuer der Killer. An Steuerbord, an Backbord und über uns waren die Lichter.

»Ha, haben danebengeschossen!« rief Joe Trencher triumphierend.

»Das war kein Fehlschuß«, erklärte ich ihm. »Es war eine Warnsalve der Flotte. Sie haben uns in der Klammer. Oh, sie wollten uns damit nur sagen, wir sollten jede feindliche Aktion einstellen, sonst wird die nächste Salve genau auf uns ausgerichtet.«

»Schweig!« herrschte er mich an und schrie den anderen Amphibianern Befehle zu in der Sprache, von der ich kein Wort verstand.

Die Killer Whale tat einen Satz und schwang herum hinter das Wrack der zerstörten Kuppel, hinein in die Höhlen und Spalten, die von den Sauriern noch immer als Brutplatz benutzt wurden. Der Kreuzer schoß in eine breite Spalte, die früher die Basis der Kuppel war. Auf dem Mikrosonarschirm sah ich, wie sich die Wände der Spalte unter und um uns herum schlossen. Ich dachte, ich könne riesige Dinger draußen sehen, so groß wie Saurier ...

Und dann war die Killer der Sicht der Flotte entzogen. Sanft ließ sie sich nieder auf dem felsigen Boden der Spalte.

Trencher rief einen scharfen, unverständlichen Befehl, und das Surren der Motoren, der Puls der Generatoren verstummte.

Wartend lagen wir da.

Das keuchende Atmen der Amphibianer wurde lauter und mühsamer. Niemand sprach.

Alle beobachteten wir die Mikrosonarschirme.

Die Flotte war im Moment nicht zu sehen. Sie lag hinter der Felskante auf Lauer und hinter den Ruinen der Kuppel.

Die Kuppel selbst, oder ihre Reste, hatten wir direkt vor uns. Als wir, Bob und ich, nach oben gerast waren, um die Warnung abzugeben, hatte sie noch riesig und stolz dagestanden und den Eingang zu den Bruthöhlen der Saurier beherrscht. Und jetzt? Ein trauriges Wrack. Da und dort ragte ein zerfetztes Metallstück heraus, war ein Stück Mauer, eine Raumecke zu sehen, als wolle damit eine Erinnerung an den so stolzen Bau erhalten werden. Sonst war nichts mehr da.

Joe Trencher hatte gesagt, alles was die Crakens brauchten, sei ein Grab. Dies hier war nun ihr Grab, es lag vor uns, und es war auch das Grab meiner treuen Freunde Roger, Laddy und meines unersetzlichsten aller Freunde, Gideon.

Joe Trencher kämpfte wieder mit einem entsetzlichen Hustenanfall. Ich beobachtete ihn angestrengt.

Hinter diesem breiten, verzerrten Gesicht ging allerhand vor. Ab und zu ließ sich die Andeutung eines Gefühls erkennen, wenn er vor Atemnot ein wenig außer Kontrolle geriet. Ich glaube nicht, daß ich mich täuschte, wenn ich der Meinung war, die Amphibianer bedauerten allmählich das, was sie getan hatten. Vielleicht wußten sie auch, daß für sie die Hoffnung auch nicht größer war als für uns.

Vielleicht konnte ich jetzt riskieren, etwas zu sagen.

Ich trat zu ihm. Er schaute auf, aber nicht einer von den Amphibianern versuchte mich von ihm wegzudrängen. Ich versuchte in seinen glühenden, perlfarbenen Augen zu lesen, doch dies war hoffnungslos.

»Trencher«, sagte ich, »du hast vorher von zwei anderen Männern gesprochen, denen du vertrauen konntest. Hießen die beiden Eden?«

Er schaute mich wütend an, aber ich glaube, die Wut war nur äußerlich. »Eden? Wieso kennst du ihre Namen? Sind sie auch Feinde?«

»Nein. Ich kenne den Namen, weil ich auch Eden heiße. Einer dieser beiden Männer war mein Vater. Der andere ist mein Onkel.« Trencher musterte mich verblüfft und versteckte sich wieder hinter seiner Sprühdüse. »Du sagtest doch, du könntest ihnen vertrauen«, fuhr ich fort. »Du hast recht, Trencher. Mein Vater ist schon lange tot, doch mein Onkel lebt noch. Deshalb half er mir, daß ich hierher kommen konnte. Willst du mir nicht auch vertrauen? Laß mich über Sonarphon mit dem Flottenkommandeur sprechen. Vielleicht können wir einen Waffenstillstand aushandeln.«

Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Nur die keuchenden Atemzüge der Amphibianer waren zu hören.

Dann legte Joe Trencher seine Sprühdüse weg. »Es ist zu spät«, sagte er, und ein wenig Bedauern klang darin mit. Er deutete zu den Mikrosonarschirmen, wo die Ruinen von Jason Crakens Kuppel vor unseren Augen lagen.

Ja, es war zu spät.

Ich wußte, was er meinte. Ganz gewiß war es zu spät für jene, die von diesen Trümmern erdrückt worden waren, die der ungeheure Druck des Wassers zerquetscht hatte. Im anderen Sinn war es auch zu spät für Joe Trencher und seine Leute, denn mit dem Tod dieser Menschen hatten sie sich außerhalb der menschlichen Gesetze gestellt.

Und trotzdem erschien mir etwas in diesen Ruinen nicht zu stimmen. Etwas paßte nicht.

Ich schaute noch einmal hin, dann wieder.

Eine Stelle in diesen Ruinen war intakt. Und dort glühte noch ein Edenit-Schild.

Ein ständiges Blinken ging davon aus. Es war nicht ganz regelmäßig und ziemlich schwach, wurde aber reflektiert von einer halb verborgenen Sichtluke. Eine Illusion war es freilich nicht, denn es war da, und es blinkte, wie ich plötzlich erstaunt feststellte, den Kode der Tiefsee-Flotte. Es war ein Notrufsignal!

Also lebten sie noch.

Irgendwie war es ihnen demnach gelungen, in einen Kuppelabschnitt zu kommen, wo ein funktionierender Edenit-Schild die Vernichtung der übrigen Kuppel überlebt hatte.

»Das ist deine Chance, Trencher«, sagte ich. »Dort drinnen leben sie noch. Triff deine Entscheidung. Willst du dich der Flotte unterwerfen?«

Er zögerte. Ich glaube, er wollte eben meinem Vorschlag zustimmen.

Aber da passierten zwei Dinge, die eine Unterstellung unter die Flotte und die Gesetze der Menschen theoretisch erscheinen ließ.

Auf sämtlichen Mikrosonarschirmen zeichnete sich ein ganzer Regen von Explosionen ab, weit mehr als ein Dutzend. Die Flotte trat zu unserer Vernichtung an.

Auf dem hintersten Schirm, der den Blick in die Spalte ermöglichte, in der wir lagen, bewegte sich etwas, kam riesig und sehr schnell auf uns zu. Einer der Saurier griff an!

In diesem Moment blieb die Zeit stehen.

Wir alle blieben wie Schachfiguren auf einem Brett bewegungslos stehen und warteten auf den nächsten Zug der Spieler. Joe Trencher schien von seiner Unentschiedenheit gelähmt zu sein, und seine Amphibianer warteten auf seinen Befehl. Bob und ich beobachteten die anderen. Die Explosionen schlugen die Wasser der Tiefe zu einer schäumenden Masse, und die Killer Whale schüttelte sich unter der Wucht der Einschläge. Ein riesiger Saurier raste auf uns zu. Auf dem Schirm sah er erschreckend aus.

Ja, entsetzlich! Doch er kam nicht allein. Auf seinem Rücken kauerte eine kleine, schmale Gestalt und trieb das Monstrum mit einem zugespitzten Stock an.

Es war Maeva, das Seemädchen.

Joe Trenchers Hand hing über der Feuerkontrolle der Raketenkanone.

Ich verstand nicht, weshalb er nicht schoß.

Einer der Amphibianer schrie etwas mit schriller, wütender Stimme, doch Trencher starrte nur den Schirm an, und seine perligen Augen waren der Ausdruck eines Gefühls, das ich nicht zu deuten vermochte.

Etwas krachte.

Das rasende Tier verschwand vom Schirm, und einen Moment später schüttelte sich die Killer Whale, als das riesige Tier uns rammte.

Wir torkelten alle über das Deck, so heftig war der Schlag, den das angreifende Tier dem Kreuzer versetzte. Ich konnte einen Blick auf den Schirm werfen und sah das sich aufbäumende Monstrum, das um sein Gleichgewicht kämpfte und das Wasser mit den Rudergliedmaßen schlug. Aber es hielt sich aufrecht, und das Mädchen saß noch fest auf seinem Rücken. Sicher war das Tier verletzt, wir waren es aber auch.

Die Troyon-Lichter flackerten, erloschen fast, wurden wieder heller. Das war eine unheilvolle Warnung. Denn wenn es keine Energie mehr gab, hatten wir auch keine wirksame Edenit-Schicht mehr.

Die Amphibianer hatten inzwischen zu schnattern und schreien begonnen, und ich kam mir fast vor wie in einem Affenstall. Einer von ihnen kroch über das schrägliegende Deck zu den Kontrollen der Raketenkanone. Joe Trencher kam auf die Füße und packte mit einem Satz den anderen Amphi-bianer, doch er war langsam und benommen, mußte also einiges abbekommen haben. Der andere perläugige Mann drehte sich zu ihm um. Sie kämpften ein paar Augenblicke miteinander, dann flog Trencher weg.

Der Amphibianer an der Kanone machte sich gerade an den Instrumenten zu schaffen, als Maeva und ihr Reittier zu einem neuen Angriff ansetzten.

Es herrschte soviel Verwirrung, und es war kaum Zeit, etwas zu überlegen, daß die anderen gar nicht schnell genug reagieren konnten. Bob und ich waren aber Kadetten der TiefseeAkademie, und uns hatte man das eingebleut, was vorher schon Generationen von Kadetten so gut gelernt hatten: Panik ist der größte Feind! Dieses Motto war uns seit unseren Landrattentagen in Fleisch und Blut übergegangen.

Panik? Niemals!

Erst denken - dann handeln.

»Höchste Zeit, daß wir die Sache in die Hand nehmen«, flüsterte ich Bob zu.

Trencher und die anderen rauften um den Zugang zu den Kanoneninstrumenten. Ein Schuß war abgefeuert worden, und Trencher schien einen weiteren verhindern zu wollen. Die restlichen Amphibianer, mehr als ein halbes Dutzend, liefen ratlos herum.

Wir trafen sie mit allem, was wir hatten, genau mittschiffs. Ein paar Augenblicke lang war es ein erbitterter, blutiger Kampf. Aber sie waren verwirrt - wir nicht. Wir wußten genau, was wir zu tun hatten. Einige von ihnen hatten Handwaffen. Die suchten wir uns zuerst aus und nahmen ihnen die Revolver ab, ehe sie richtig wußten, wie ihnen geschah.

Kaum hatte der Kampf begonnen, war er auch schon vorüber. Bob und ich hatten die Waffen.

Wir waren die Herren der Killer Whale!

Keuchend standen wir da, die Revolver schußbereit.

Joe Trencher warf einen raschen Blick auf die Schirme und kam auf uns zu.

»Halt!« schrie ich. »Stehenbleiben! Sonst ...«

»Nein, nein!« schrie er, kam rutschend zum Stehen und zeigte auf den Schirm. »Ich will nur dort hinaus und Maeva helfen. Seht ihr das denn nicht?«

Ich warf einen Blick auf den Schirm.

Es stimmte. Sie brauchte Hilfe. Dieser eine Schuß aus der Raketenkanone hatte ihr Reittier, Old Ironsides, getroffen. Es schlug verängstigt und ziellos im Wasser herum. Das Mädchen selbst war vom Rücken des Tieres gerutscht und mußte wohl auch von dem Schuß betäubt worden sein, wenn nicht mehr. Und nun wurde das Monstrum zusehends schwächer. Langsam drehte es sich um und sank ...

»Das könnte ein Trick sein«, flüsterte Bob. »Sollen wir ihm vertrauen?«

Ich sah Joe Trencher an und kam zu einem Entschluß. »Geh hinaus«, befahl ich ihm. »Sieh zu, daß du ihr helfen kannst. Das sind wir ihr schuldig.«

Nur eine Sekunde lang schauten mich die Perlaugen an, dann war Joe Trencher mit ein paar Sprüngen an der Schleuse. Während sich die innere Tür öffnete, sagte er keuchend: »Ihr habt gewonnen, Luftatmer ... Ich bin ... froh darum.«

»Bob, du gehst ans Sonarphon und bitte die Flotte, sie sollen ihr Feuer einstellen. Es ist vorüber. Wir haben gewonnen!«

Und das war das Ende des Abenteuers am Tonga-Graben.

In dem kleinen, versiegelten und Edenit-beschichteten Würfel fanden wir unsere Freunde. Er war alles, was von Jasons Fort unter der See übrig geblieben war. Alle waren sehr müde und mitgenommen, aber sie lebten. Die Seemediziner der Flotte kamen herein und nahmen sich ihrer an. Es war einfach, die Verletzungen zu heilen, die Gideon, Roger, Laddy und David Craken davongetragen hatten. Bei Jason konnten die Ärzte jedoch wenig ausrichten. Bei ihm war nicht der Körper krank, sondern der Geist. Sie waren so sanft zu ihm, wie sie konnten, als sie ihn wegbrachten.

Er wehrte sich nicht. Sein umwölktes Gehirn hatte noch nicht erfaßt, daß er nicht mehr der Kaiser des Tonga-Grabens war, daß er keine Amphibianer mehr als Untertanen hatte.

Maeva kam zu uns, als wir bereit waren, nach oben zu gehen. Sie hielt Davids Hand fest und wandte sich dann an mich. »Ich danke dir, daß du Joe Trencher die Möglichkeit gabst, mich zu retten. Wenn er mich nicht hätte holen können ...«

Ich schüttelte den Kopf. »Den Dank verdienst du, Maeva. Hättest du uns nicht mit deinem alten Reittier gerammt, so hätte Bob und ich niemals die Killer Whale übernehmen können. Und Trencher selbst hat ja auch geholfen. Er ließ nicht zu, daß die anderen Amphibianer auf dich schossen. Warum? Ich weiß es nicht.«

Sie sah mich erstaunt an, dann wechselten sie und David Blicke.

»Das hast du nicht gewußt?« fragte David. »Es ist gar nicht so erstaunlich, daß Joe Trencher nicht zuließ, daß man auf Maeva schoß. Sie ist schließlich seine Tochter .«

Maeva sahen wir dann noch ein Stück neben dem Schiff her schwimmen, das David, Bob und mich mitnahm, und auf den Schirmen sahen wir sie noch lange winken.

Um uns herum waren überall die langen, schlanken Umrisse der Schiffe der Tiefsee-Flotte, deren Männer uns nach dem Ende des Kampfes um den Tonga-Graben nach Hause brachten.

Maeva konnte uns nicht sehen, doch wir winkten zurück. »Leb wohl«, sagte Bob leise.

Aber David klatschte ihm auf den Rücken und grinste breit. »Sag lieber >auf Wiedersehens Wir kommen zurück .«

ENDE

id="_bookmark6"