Gramayre ist eine Welt, die nicht nur von Menschen bewohnt wird, sondern auch von Hexen, Geistern, Elfen, Trollen, Kobolden und vielen anderen Gestalten der irdischen Sagen, Märchen und Mythen. Gramayre ist eine Welt ohne Zwischentöne, eine Welt, auf der Gut und Böse eben so scharf kontrastieren, wie Schwarz und Weiß — und eine Welt, auf der Magie tatsächlich funktioniert und ihre festen Regeln hat. Gramayre ist aber auch eine Welt am Rand des Abgrunds, die zu retten sich Rod Gallowglass, ein Mann von Terra, fest vorgenommen hat, Dabei versteht Rod nur etwas von der Technik und überhaupt nichts von Magie

Christopher Stasheff

Zauberer von den Sternen

Titel des Originals: THE WARLOCK IN SPITE OF HIMSELF

1. TEIL — BESUCH BEI EINER KLEINEN KÖNIGIN

Der Asteroid kam vom Steinbock herbeigebraust, suchte sich eine Sonne vom G-Typ und schwenkte zum fünften Planeten ein. Eine solche Flugbahn ist für Asteroiden alles andere als normal.

Mit großer Heftigkeit drang er in das Schwerefeld des Planeten ein, umrundete ihn in drei verschiedenen Orbits und schoß erst dann als herrliche Sternschnuppe hinunter in die Atmosphäre.

In einer Höhe von dreihundert Metern hielt er an, ehe er sich hinab auf die Oberfläche senkte — aber tatsächlich nur auf die Oberfläche. Er veranstaltete kein Feuerwerk, hob keinen Krater aus, lediglich das Gras zerdrückte er. Seine eigene Oberfläche war narbig und von der Reibungshitze seines Falles geschwärzt, aber intakt.

Tief in seinem Innern echoten die Worte, die das Geschick des Planeten verändern würden.

„Bei dir ist wohl wieder mal die Sicherung durch!“

Der Besitzer dieser Stimme runzelte lauschend die Stirn.

Tatsächlich war es in der Kabine völlig still, ohne das übliche Hintergrundsummen.

Der junge Mann fluchte und riß sich den Druckgurt vom Leib.

Er erhob sich taumelnd aus dem Schutzsitz, balancierte ein wenig schwindelig auf den Fußballen und tastete um sich, bis seine Hand die Kunststoffwand berührte.

Mit seiner Hand als Stütze stolperte er zu den Armaturen an der anderen Seite der runden Kabine. Wie ein Raumfahrer alter Schule löste er fluchend die Arretierungen, öffnete das Armaturenbrett und drückte auf einen Knopf. Als er sich umdrehte, fiel er fast ohne sein Zutun wieder in den Sitz. Das sanfte Summen erwachte in der Kabine. Eine kaum zu verstehende Stimme erkundigte sich mit wechselnder Sprechgeschwindigkeit und Tonhöhe: „liist ahhlees (hick!) ssuufriideensteeleend — Miiloord Roodney?“

„Bei all den glatten polierten Robotern in der Galaxis“, brummte Rodney, „mußte ausgerechnet ich einen Epileptiker bekommen!“

„Ween Sii mööchteen, Miiloord, meiinee Peersöönliichkeiit kaan auusgeetauuscht…“

„Ja, ich weiß“, knurrte Rodney. „Deine Schaltkreise können herausgerissen und umfunktioniert werden. Nein, danke! Ich bin mit dir, so wie du bist, recht zufrie den — außer wenn du, wie gerade, eine Landung baust, die mir das Schlüsselbein ausrenkt.“

„Ween Miiloord miir veerseiit geenauu um Auugeenbliik dees Plaaneeteenfaals eemfiing üch eiiniigee seehr uungeewööhnliichee Raadiiooweeleen, diie…“

„Du wurdest abgelenkt, ist es das, was du ausdrücken willst?“

„Miiloord, ees waar uunbeediingt eerfoordeerliich, diie Aanaalyysee…“

„Also studierte ein Teil von dir die Radio wellen, und ein anderer nahm die Landung vor. Das war ein kleines bißchen zuviel für dich, und der schwache Kondensator spielte verrückt… Gekab, wie oft muß ich dir noch sagen, dich ganz auf eine Aufgabe zu konzentrieren!“

„Miiloord äuuseertee deen Wuunsch, ees deen Heeldeen deer „Den Helden der Raumfahrt gleichzutun, ja. Aber das heißt noch lange nicht, daß ich auch ihre Unbequemlichkeiten auf mich nehmen möchte.“

Gekabs elektronisches System hatte sich inzwischen fast von der Erschöpfung erholt, die gewöhnlich eine Nachwirkung seiner schlimmeren Anfälle war.

„Aaber, Miilord, Heeld zu sein, schließt…“ „Vergiß es!“ Rodney stöhnte auf. Gehorsam löschte Gekab diesen Teil seiner Speicherdaten. Gekab war sehr pflichtbewußt. Er war eine Antiquität, einer der wenigen noch übriggebliebenen GKB (getreuer kybernetischer Begleiter), ein frühes Modell, das seit zweitausend Jahren nicht mehr hergestellt wurde. Die GKB-Roboter waren auf äußerste Loyalität programmiert und infolgedessen massenweise vernichtet worden, als sie ihre Herren zur Zeit des blutigen Interregnums — zwischen dem Zusammenbruch der alten Galaktischen Union und dem Aufstieg von PEST, des Proletarischen Eklektischen Staates von Terra — beschützten. Gekab (von der Abkürzung GKB) hatte dank seiner Epilepsie überlebt. Er hatte einen schwachen Kondensator, der, wenn überlastet, seine aufgespeicherte Energie in einem gewaltigen Schwall — das dauerte gewöhnlich mehrere Millisekunden — freigab. Beim Auftreten der vorausgehenden Symptome dieses elektronischen Anfalls — sie machten sich hauptsächlich durch Gekabs Schwerfälligkeit bei Berechnungen bemerkbarsprang ein Hauptschaltkreisunterbrecher heraus, und der schadhafte Kondensator entlud sich getrennt vom Rest der Schaltkreise; jedenfalls war der Roboter außer Betrieb, bis der Schaltkreisunterbrecher wieder eingerastet war. Da solche Anfälle gewöhnlich in Momenten großer Beanspruchung erfolgten — wie beispielsweise, wenn Gekab einen Raumschiffasteroiden landete und gleichzeitig eine aberrierende Radiowelle analysierte, oder beim Versuch, seinen Herrn vor drei im selben Augenblick zuschlagenden Mördern zu schützen —, hatte Gekab das Interregnum überstanden. Denn als die Proletarier seine Herren angriffen, hatte er mannhaft fünfundzwanzig Sekunden lang gekämpft, bis er zusammenbrach. So war er zur Rarität geworden — der mutige Diener, der überlebt hatte. Er war einer von nur noch fünf funktionsfähigen GKB-Robotern — und deshalb ein nicht mit Geld aufzuwiegendes Erbstück der Familie d'Armand —, hochgeschätzt als Antiquität, doch mehr noch seiner Loyalität wegen, denn wahre Treue gegenüber Adelsfamilien war immer selten gewesen.

Als Rodney d'Armand sein Vaterhaus verlassen hatte, um ein Leben des Ruhmes und Abenteuers zu führen — als zweiter Sohn eines zweiten Sohnes gab es nicht viele andere Möglichkeiten für ihn —, hatte sein alter Herr darauf bestanden, daß er Gekab mitnahm.

Rod war oft schon sehr froh über Gekabs Gesellschaft gewesen, aber hin und wieder gab es Zeiten, da der Roboter sich als nicht gerade feinfühlig erwies. So hatte er doch tatsächlich die Nerven, nach einer unangenehmen Landung, wenn der menschliche Magen bis zum Hals hochzusteigen scheint, zu fragen: „Möchten Sie dinieren, Mylord? Wie wäre es mit Langusten und Spargel?“

Rods Gesicht wurde fahlgrün. Er biß die Zähne zusammen und bemühte sich, den Mageninhalt zurückzuhalten. „Nein!“ knirschte er. „Und hör endlich mit dieser Mylorderei auf. Wir sind auf einer Mission, oder hast du das vergessen?“

„Ich vergesse nie, Rod, außer wenn man es mir befiehlt.“

„Ich weiß“, knurrte sein Herr und Meister. „Es war auch nur figürlich gesprochen.“

Rod erhob sich ächzend. „Ich könnte ein bißchen frische Luft vertragen, um meinen Magen zu beruhigen, Gekab. Gibt es eine?“

Der Roboter klickte kurz, dann meldete er: „Atmosphäre atembar. Aber es ist besser, Sie ziehen einen Pullover an.“

Brummelnd schlüpfte Rod in seine Pilotenjacke.

„Weshalb entwickeln alte Familienbedienstete immer einen Gluckenkomplex?“

„Rod, wenn Sie schon so lange lebten wie ich…“

„Hätte ich keinen anderen Wunsch, als mich deaktivieren zu lassen. Ja, ja, ich weiß schon:,Ein Roboter hat immer recht! Öffne die Schleuse, Gekab.“

Die Doppeltür der kleinen Luftschleuse schwang auf und offenbarte einen kreisrunden Ausschnitt sternen-besetzter Schwärze. Ein kühler Wind blies in die Kabine. Rod legte den Kopf zurück und atmete tief ein. Genußvoll schloß er die Augen. „Ah, der gesegnete Odem des Landes! Was lebt hier, Gekab?“

Maschinerie summte, als der Roboter die Elektronenteleskopbänder zurückspielte, die sie im Orbit aufgenommen hatten und die die Bilderdaten zu einer verständlichen Beschreibung des Planeten integrierten. „Die Landmassen bestehen aus fünf Kontinenten, einer Insel von beachtlicher Größe, und einer Anzahl kleinerer Inseln. Die Kontinente und kleinen Inseln weisen in etwa die gleiche Flora auf— sie kommt einem äquatorialen Regenwald nahe.“ „Selbst an den Polen?“

„Ab einer Entfernung von etwa hundertfünfzig Kilometern. Die Polklappen sind erstaunlich klein. Die sichtbare Fauna beschränkt sich auf Amphibien und eine Unzahl von Insekten. Es ist anzunehmen, daß die Gewässer reich an Fischen sind.“

Rod rieb sich das Kinn. „Hat ganz den Anschein, als befinde der Planet sich in einer ziemlich frühen geologischen Entwicklungsstufe.“

„Steinkohlenzeit“, bestätigte der Roboter. „Und wie sieht es auf der großen Insel aus? Da sind wir doch gelandet, oder?“

„Richtig. Hier gibt es keine einheimische Flora und Fauna. Alle Lebensformen sind typisch für die des späten terranischen Pleistozäns.“ „Wie spät?“

„Menschheitsgeschichtlich.“

Rod nickte. „Mit anderen Worten, eine Gruppe von Kolonisten kam hierher, eignete sich die Insel an, rottete die einheimische Flora und Fauna aus und siedelte terranische Tiere und Pflanzen an. Hast du eine Ahnung, weshalb sie ausgerechnet diese Insel auswählten?“

„Sie ist groß genug für eine annehmbare Bevölkerungszahl, und klein genug, daß die Probleme der ökologischen Angleichung minimal bleiben. Außerdem liegt die Insel in einer polaren Meeresströmung, die die vorherrschende Temperatur etwas unterhalb des terranischen Mittelwerts senkt.“

„Sehr günstig. Das erspart ihnen die Unannehmlichkeiten der Klimakontrolle. Irgendwelche Überreste, die auf Städte der Galaktischen Union hinweisen?“ „Keine, Rod.“

„Keine?“ Rods Augen weiteten sich vor Überraschung. „Das paßt aber so gar nicht recht ins Bild. Bist du sicher, Gekab?“ Das Entwicklungsmuster einer verlorenen oder abgeschnittenen Kolonie — also einer, die seit Jahrtausenden und mehr von der galaktischen Zivilisation getrennt war — unterschied drei deutlich gekennzeichnete Stadien. Erstens das der Gründung der Kolonie um eine moderne Stadt mit hochentwickelter Technologie. Zweitens, das Versagen der Kommunikationsmittel und so die Trennung von der galaktischen Kultur, gefolgt von einer Übervölkerung der Stadt, die zu einer Massenauswanderung ins Land ringsum führte und zu einer agrarischen Selbstversorgung. Und drittens, der Schwund und Verlust technologischer Kenntnisse, die in steigendem Maße von Aberglauben begleitet wurden. Dieser Aberglaube belegte schließlich auch die Dampfmaschinentechnologie mit einem Tabu und verbot sie. Die Gesellschaftsordnung erstarrte, und allmählich entwickelte sich ein Kastensystem. Kleidung und Architektur wurden mit der Zeit zu Karikaturen der in der Galaktischen Union üblichen, wie beispielsweise kleine halbkugelförmige Holzhäuser den gewaltigen galaktischen, geodätischen

Kuppeln nachgeahmt wurden.

Doch immer blieben Ruinen der Stadt zurück, die als ständiges Symbol und Basis einer Mythologie galten.

„Bist du wirklich sicher, Gekab? Ganz und völlig sicher, daß nirgends Überreste einer Stadt zu finden sind?“

„Ich bin immer sicher, Rod.“

„Hm, das stimmt.“ Rod zupfte an seiner Unterlippe.

„Manchmal irrst du dich zwar, aber von Zweifeln bleibst du verschont. Also legen wir die Sache mit der Stadt einstweilen ad acta. Vielleicht versank sie in einer Flutwelle. Wir wollen uns vorsichtshalber noch ein letztesmal vergewissern, daß die Lebensformen hier auch tatsächlich terranischen Ursprungs sind.“

Kopfüber tauchte Rod durch den Einmeterkreis der Schleuse.

Er schlug einen Purzelbaum und landete auf den Knien.

Bedachtsam holte er das Partisanenmesser aus seiner vom Gürtel hängenden Hülle.

Die Scheide war ein schlanker Kegel aus weißem Metall mit einem kleinen Kopf an der Spitze. Rod zupfte mehrere Grashalme aus dem Boden, schob sie in die Scheide und drehte den Knopf. Der Miniaturempfänger, der in die Seiten eingebaut war, untersuchte das Gras mit Schallwellen, um seine Molekularstruktur zu analysieren, und übermittelte die Daten an Gekab, der überprüfte, ob irgendwelche Moleküle für den menschlichen Metabolismus unverträglich waren. Wäre das Gras für Rod giftig gewesen, hätte Gekab der Hülle ein Signal gesendet, woraufhin das weiße Metall sich purpur verfärbt hätte.

Aber in diesem Fall blieb die Scheide silbern.

„Das ist der Beweis!“ erklärte Rod. „Es ist terranisches Gras, höchstwahrscheinlich von Terranern geflanzt, und das Ganze ist eine terranische Kolonie. Aber wo ist die Stadt?“

„Im Vorgebirge einer Bergkette im Norden befindet sich eine große Stadt mit etwa dreißigtausend Einwohnern.“

„Hm…“ Rod rieb sich das Kinn. „Das ist zwar nicht, was ich mir vorgestellt hatte, aber doch besser als nichts. Wie sieht sie denn aus?“

„Sie liegt an den unteren Hängen eines ziemlich großen Berges, von dessen Kuppe sich ein Bauwerk erhebt, das an terranische Burgen des Mittelalters erinnert.“ „Des Mittelalters?“ Rod runzelte die Stirn. „Die Stadt selbst besteht aus mit Stukkatur verzierten Holzhäusern, deren erster Stock über die schmalen Straßen — Gassen wäre zutreffender — hinausragt.“ „Holz und Stukkatur!“ Rod stand auf. „Warte mal! Warte! Gekab, sag mal, erinnert diese Architektur dich an was?“ Der Roboter schwieg einen Augenblick, dann erwiderte er: „Nordeuropäische Renaissance.“

„Das“, murmelte Rod, „ist absolut nicht der typische Stil einer abgeschnittenen Kolonie. Wie sehr ähnelt diese Architektur terranischer Renaissance, Gekab?“

„Sie ist ihr bis ins letzte Detail angeglichen.“ „Also Absicht! Was ist mit der Burg? Ist sie auch Renaissance?“ Wieder schwieg der Roboter einen Moment. „Nein, Rod. Sie könnte eine genaue Kopie der im dreizehnten Jahrhundert in Deutschland üblichen Burgen sein.“

Rod nickte eifrig. „Wie sieht es mit der Mode aus?“ „Wir befinden uns augenblicklich auf der Nachtseite des Planeten, genau wie bei der Landung. Die drei Trabanten des Planeten sorgen zwar für eine gute Beleuchtung, aber es sind verhältnismäßig wenige Personen unterwegs… Allerdings sehe ich einen kleinen Trupp Soldaten — Reiter — auf terranischen Pferden. Ihre Uniformen sind exakte Kopien der — uh — englischen Beefeaters, also der königlichen Leibwache im Tower.“ „Sehr gut! Sonst noch jemand auf der Straße?“ „Hm… Ein paar Männer mit Umhängen über engen Wämsern und Beinkleidern, glaube ich, und — ja, eine kleine Gruppe von Landleuten, die Kittel und Kniehosen mit auf der Brust überkreuzten

Hosenträgern anhaben…“

„Das reicht“, unterbrach ihn Rod. „Das ist ein Gemisch aus den verschiedensten Stilrichtungen. Jemand hat versucht, sich hier seine Vorstellung einer Idealweit aufzubauen. Gekab, hast du schon mal von den Emigranten gehört?“

Erneut schwieg der Roboter kurz, um sich in seine Datenbänke zu vertiefen, dann leierte er: „Gegen Ende des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts gab es zahllose Unzufriedene, die ihres Lebens überdrüssig wurden. Sie wandten sich in erster Linie dem Mystizismus zu, in zweiter der Fluchtliteratur und den Vergnügungen. Allmählich wurde das Pseudomittelalter die vorherrschende Interessensbasis.

Schließlich legte eine Gruppe wohlhabender Bürger ihr Vermögen zusammen. Sie erstanden einen ausrangierten Linienraumer, und verkündeten der Welt, sie seien die Romantischen Emigranten, die die Herrlichkeit des Mittelalters auf einem unbesiedelten Planeten neu aufleben lassen wollten. Sie erklärten sich auch bereit, eine beschränkte Zahl von Emigranten als Leibeigene und Kleinhändler mitzunehmen. Es meldeten sich weit mehr Interessenten, als auf dem Schiff untergebracht werden konnten. Und so wurden die Emigranten nach ihrer,Seelenpoesie' ausgewählt — was immer das heißt!“ „Es bedeutet, daß sie sich gern Schauermärchen anhörten“, erklärte Rodney. „Und wie ging es weiter?“ „Die Passagierliste war schnell zusammengestellt. Die dreizehn Bonzen, die die Väter der Expedition waren, gaben bekannt, daß sie ihre Nachnamen ablegen und dafür die Familiennamen großer Geschlechter des Mittelalters annehmen würden, wie Bourbon, Medici, und so weiter.

Dann startete das Schiff ohne Bekanntgabe des Bestimmungsplaneten,um die Versuchung durch die materialistische Welt zu verhindern'. Es wurde nie wieder etwas von ihnen gehört.“

Rod lächelte grimmig. „Nun, ich glaube, wir haben sie jetzt entdeckt. Wie vereinbart sich das mit deinen Dioden?“ „Ganz gut, Rod. Tatsächlich ergibt eine statistische Analyse der Wahrscheinlichkeit, daß dies die Kolonie der Emigranten sein könnte, folgendes…“

„Nicht jetzt“, unterbrach ihn Rod hastig. Statistiken waren Gekabs Steckenpferd. Wenn man leichtsinnig genug war, ihm auch nur die geringste Chance zu geben, konnte er einen damit viele Stunden langweilen.

Rod spitzte die Lippen und beäugte den Teil der Hülle, der Gekabs Gehirn behauste. „Wenn ich es mir recht überlege, wäre es vielleicht gar nicht schlecht, wenn du diese Statistik an DUFT übermitteln würdest und hinzufügst, daß wir annehmen, hier die Kolonie der Emigranten gefunden zu haben. Das machst du am besten gleich. Ich möchte gern, daß sie wissen, wo wir sind, falls irgend etwas passieren sollte.“ Die Dachorganisation zur Umwandlung fremdweltlichen Totalitarismus, also DUFT, war für die Suche nach verlorenen Kolonien zuständig. Der Proletarische Eklektische Staat von Terra (PEST) hatte bemerkenswert wenig Interesse an Kolonien ohne moderne Technologie gezeigt, so daß die verlorenen Kolonien auch verloren geblieben waren, bis die totalitäre Herrschaft von PEST durch DDT, das Dezentralisierte Demokratische Tribunal gestürzt wurde. DDT hatte schnell seine Herrschaft über Terra konsolidiert und regierte in Übereinstimmung mit den nahezu unerreichbaren Idealen athenischer Demokratie.

Es war altbekannt, daß die Unwirksamkeit demokratischer Regierungen hauptsächlich dem Problem der Kommunikation und der Vorurteile zuzuschreiben war. Doch über eine Zeitspanne von zwei Jahrhunderten hatten DDT-Zellen Kneipen zu Schulräumen umfunktioniert, was zur Hochschulreife von zweiundsiebzig Prozent der Bevölkerung führte. Vorurteile wurden zur heilbaren Krankheit, genau wie

Kinderlähmung und Krebs. Das Problem der Kommunikation wurde durch die Entwicklung submolekularer Elektronik in DDT-Labors gelöst, was die Größe und den Preis elektronischer Kommunikationsmittel so sehr verringerte, daß ihre allgemeine Verwendung zum erstenmal tatsächlich verwirklicht werden konnte. Das ermöglichte jedem in Sekundenschnelle, persönlichen Protest bei seinem Tribunal einzulegen. Da nun so gut wie alle hochgebildet waren, neigten sie dazu, allein schon aus Prinzip zu protestieren und lautstark ihre Meinung kundzutun — was für eine Demokratie ungemein gesund ist.

Proteste, besonders über Radio, hatten sich als äußerst wirkungsvoll erwiesen, hauptsächlich aufgrund der automatischen Aufnahmen der Protestkundgebungen. Die Probleme der Tonbandspeicherung und des bürokratischen Aufwands waren durch rotoxyd-beschichtete Tonbänder mit einfacher Molekülarbeit gelöst worden. Und die Entwicklung des Datenabrufsystems war so weit fortgeschritten, daß das Auswendiglernen von Daten nicht mehr erforderlich war. Dadurch wurde die Ausbildung lediglich zu einer Einführung in Konzepte, und der Erfolg der Demokratie war gesichert. Nach zwei Jahrhunderten solcher Basisarbeit wurde die DDT-Revolution zur reinen Formalität.

Aber Revolutionäre sind immer im Weg, wenn eine Revolution vorüber ist, und erweisen sich möglicherweise als störendes Element für die Ordnungskräfte der neuen Regierung. Deshalb hatte das DDT beschlossen, uneigennützig zu sein und den Segen der Demokratie mit den anderen Überbleibseln der alten Galaktischen Union zu teilen.

Doch auf Planeten mit totalitären Regierungen sind Demokraten selten willkommen und werden auch auf Planeten, wo die Anarchie herrscht, nicht mit offenen Armen empfangen — das liegt am Wesen der Demokratie, dem einzigen praktikablen Kompromiß zwischen Totalitarismus und Anarchie.

Vonnöten war eine dauerhafte Organisation von Revolutionären — subversive, republikanische Demokraten. Da es eine große Zahl von arbeitslosen Revolutionären gab, wurde diese Organisation schnell gegründet und Dachorganisation zur Umwandlung von fremdweltlichem Totalitarismus (DUFT) getauft. Aber nachdem alle bekannten besiedelten Planeten bekehrt waren und sich dem DDT angeschlossen hatten, wurden die alten Revolutionäre wieder zum Problem, um so mehr, als ihre Zahl gestiegen war. Daher schickte man sie einzig und allein zu dem Zweck aus, verlorene Kolonien zu suchen. Die Mission von DUFT war also, die hinterwäldlerischen Planeten aufzuschnüffeln und sie auf den Weg der Demokratie zu führen.

Da Rod einen Planeten von mittelalterlichem Charakter gefunden hatte, würde er für die Entwicklung einer konstitutionellen Monarchie Sorge tragen müssen. Rod, geborener Rodney d'Armand (er hatte auch noch fünf Mittelnamen, aber sie aufzuzählen würde nur langweilen), der auf einem hauptsächlich mit Aristokraten und Robotern bevölkerten Planeten aufgewachsen war, hatte sich DUFT im zarten Alter von achtzehn Jahren angeschlossen. Während seiner zehn Dienstjahre war aus einem schlaksigen, häßlichen Bürschchen ein schlanker, muskulöser, häßlicher junger Mann geworden.

Sein Gesicht war von aristokratischem Schnitt, das zumindest mußte man ihm zugute halten, doch das war auch schon alles. Sein immer weiter zurückweichender Haaransatz machte einer schrägen Stirn Platz, die über buschigen Brauen endete. Die etwas hart wirkenden Augen lagen tief in den Höhlen. Flache Wangenknochen verhalfen der Nase, die einem Adler Ehre gemacht hätte, zu noch größerer Prominenz. Unter den Wangenknochen und der Nase weitete sich der schmale Mund selbst im Schlaf zu einem spöttischen Lächeln. Und unter den

Lippen machte sich der Unterkiefer breit, um dem sich ein wenig vorschiebenden Kinn noch mehr Ausdruck zu verleihen. Rod hätte es gern gehabt, wenn man sein Gesicht mit scharf, stark und fest bezeichnet hätte, aber es wurde unwillkürlich weich, und sanft, wenn ein Mädchen ihn anlächelte. Hunde und Kinder riefen die gleiche Wirkung hervor, nur viel häufiger. Er war ein Mann mit einem Traum — dem Traum einer vereinigten galaktischen Regierung (einer demokratischen, selbstredend!). Interstellare Kommunikation war immer noch zu langsam für eine echte demokratische Föderation; das DDT war im Grund genommen eine lose Konföderation von Welten, eine debattierende Gesellschaft und Unterstützungsorganisation.

Doch ausreichende Kommunikationsmethoden würde es gewiß in geraumer Zeit geben, dessen war Rod sicher, und wenn es soweit war, waren die Sterne auch bereit, dafür würde er schon sorgen.

„Also, machen wir uns an die Arbeit, Gekab. Wer weiß, wann hier jemand zufällig vorbeispaziert und uns entdeckt.“ Rod schwang sich hoch und durch die Luftschleuse in die Kabine. Er trat an die Platte in der Wand und löste die Arretierung. Dahinter befand sich eine Armaturentafel und darüber eine weiße Metallkugel mit stumpfem Überzug, etwa von der Größe eines Korbballs. Von oben aus dem Ball ragte ein Kabel, das mit der Wand verbunden war.

Rod schraubte die Verbindung auf und löste die Klammer, die die Kugel hielt, und hob den Ball behutsam heraus. „Vorsichtig!“ klang Gekabs Stimme aus dem Hörer, der hinter Rods rechtem Ohr in den Knochen implantiert war. „Ich bin zerbrechlich, vergessen Sie das nicht.“

„Du hast überhaupt kein Vertrauen zu mir“, beschwerte sich Rod. Das Mikrophon in seinem Unterkiefer leitete die Worte an Gekab weiter. „Habe ich dich vielleicht schon einmal fallen

lassen?“

„Bis jetzt noch nicht“, brummte der Roboter.

Rod klemmte Gekabs „Gehirn“ vorsichtig in die Armbeuge, um den anderen Arm frei zu haben, damit er mit der Luftschleuse zurechtkommen konnte. Draußen angelangt, drückte er einen Knopf an der Schiffshülle. Eine ziemlich große Tür schwang aus der Seite des Pseudoasteroiden auf. Im Innern hing ein mächtiger Rappe im Schutznetz, mit dem Kopf zwischen den Vorderbeinen. Seine Augen waren geschlossen.

Wieder drückte Rod auf einen Knopf. Ein Kran schob sich aus dem Frachtraum. Das Pferd wurde von dem Kran herausgehoben und vorsichtig herabgelassen, bis die Hufe den Boden berührten. Rod drehte den Sattelknauf, woraufhin eine Flanke des Rappen auf glitt.

Vorsichtig hob Rod das Gehirn ins Innere der Pfer-dehülle, befestigte Klammer und Verbindung, dann drehte er den Sattelknauf zurück, und die Flanke schloß sich wieder. Langsam hob der Hengst den Kopf, wackelte mit den Ohren, blinzelte zweimal und wieherte versuchsweise.

„Alles, wie es sein soll“, erklärte die Stimme hinter Rodneys rechtem Ohr. Das Pferd kaute geräuschvoll an der Trense.

„Wenn Sie mich aus dieser Affenschaukel befreien, werde ich den Motor überprüfen.“

Rod grinste und löste das Schutznetz. Das Pferd bäumte sich auf, schlug mit den Hufen durch die Luft und galoppierte davon. Rod blickte dem Roboter nach und schaute sich gleichzeitig um.

Das Asteroidenschiff war mitten auf einer sommerlichen Wiese gelandet. Eichen, Hickory, Ahorn und Eschen umsäumten sie.

Es war Nacht, aber das Licht der drei Monde erhellte die Wiese.

Der Roboter kanterte donnernden Hufes zu Rod und bremste hart vor ihm. Die großen, indigoblauen Augen richteten sich auf ihn, die Ohren legten sich ein wenig nach vorn.

„Ich bin ganz gut in Form“, meldete der Roboter.

Wieder grinste Rod. „Nichts Schöneres als ein galoppierendes Pferd.“

„Was? Nichts Schöneres?“

„Nun, fast nichts. Komm hilf mir, das Schiff zu vergraben.“

Rod drückte Knöpfe an der Schiffsseite. Die Tür zum Frachtraum glitt zu, die Luftschleuse versiegelte sich. Das Schiff begann sich zu drehen, langsam anfangs, bis es sich immer schneller in den Boden bohrte. Bald war nur noch ein Krater mit einem Ringwall aus Erde und das Dach des Asteroiden etwa einen Meter tiefer zu sehen.

Rod zog eine Klappschaufel aus Gekabs Satteltasche, öffnete sie und machte sich an die Arbeit. Das Pferd half ihm, indem es den Ringwall mit den Hufen bearbeitete. In wenigen Minuten war er nur noch fünfzehn Zentimeter hoch und dazwischen befand sich ein etwa fünfundsechzig Zentimeter hoher und im Durchmesser etwa sechs Meter breiter Hügel.

„Zurück!“ warnte Rod. Er zog seinen Dolch, drehte die Scheide um hundertachtzig Grad und deutete mit dem Heft auf den Erdhügel. Ein roter Strahl schoß heraus, der Lehm glühte rot auf, schmolz und zerfloß.

Rod ließ den Strahl nun langsamer über den aufgefüllten Krater kreisen, bis die geschmolzene Erde sich ungefähr dreißig Zentimeter unterhalb der Wiesenoberfläche gesenkt hatte.

Dann schaufelte er den Rest des Ringwalls in das Loch. Es entstand eine unbedeutende Erhöhung, derer der nächste Regen sich gewiß annehmen würde.

„Das ist's.“ Rod fuhr sich über die Stirn.

„Noch nicht ganz. Sie brauchen noch die richtige Kleidung, um hier nicht unliebsam aufzufallen.“

Rod kniff die Lider zusammen.

„Ich erlaubte mir, die Vorsichtsmaßnahme zu treffen, ein Wams in meine linke Satteltasche zu packen, während Sie das Gras untersuchten.“

„Aber hör mal“, protestierte Rod, „ist meine Uniform vielleicht nicht gut genug?“

„Die hautenge Hose und die Militärstiefel gehen gerade noch. Aber eine Pilotenjacke hat wohl wenig Ähnlichkeit mit einem Wams. Muß ich mehr sagen?“

„Nein, ich glaube nicht.“ Rod seufzte. Er ging zur Satteltasche. „Der Erfolg einer Mission geht vor alle persönliche Bequemlichkeit, Würde und — he!“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf etwas Langes, Schmales, das vom Sattel hing.

„He was, Rod?“

Rod nahm das merkwürdige Ding vom Sattel. Es hatte an einem Ende einen Griff, wie er bemerkte, und es rasselte. Er hielt es so hoch, daß Gekab es sehen konnte. „Was ist denn das?“

„Ein elisabethanisches Rapier. Eine antike Seitenwaffe, eine Art langes Messer für Hieb und Stich.“

„Eine Seitenwaffe!“ Rod beäugte den Roboter, als zweifle er an seinem Verstand. „Ich soll das wohl tragen?“ „Natürlich, Rod. Zumindest, wenn Sie beabsichtigen, Ihre Mission wie üblich unter falscher Identität durchzuführen.“ Rod machte ein Märtyrergesicht und zog das Wams aus der Satteltasche. Er zwängte sich hinein und gürtete das Rapier an seine rechte Seite.

„Nein, nein, Rod! Es gehört links! Sie müssen es über Kreuz ziehen!“

„Was ich alles um der Demokratie willen erdulde!“ Rod hing den Degen an seine linke Hüfte. „Gekab, ist dir je der Gedanke gekommen, daß ich ein Fanatiker sein könnte?“ „Aber gewiß doch, Rod. Ein klassischer Fall von Sublimierung.“

„Ich ersuchte um deine Meinung, nicht um eine Psychoanalyse“, knurrte Rod. Er begutachtete seine Kostümierung. „Hm, gar nicht so übel.“ Er straffte die Schultern, schob das

Kinn vor und warf sich in die Brust. Das gold-scharlachrote Wams glomm geradezu im Mondschein.

„Sie geben eine stolze Figur ab, Rod.“ Irgendwie klang Gekabs Stimme jedoch leicht amüsiert.

Rod runzelte die Stirn. „Aber eigentlich gehört noch ein Cape dazu.“

„Steckt ebenfalls in der Satteltasche, Rod.“ „Du denkst doch an alles!“ Rod kramte in der Satteltasche und brachte einen weiten Umhang im gleichen Stahlblau hervor wie seine hautenge Uniformhose.

„Die Kette muß durch die linke Achselhöhle und rechts um den Hals geschlungen werden, Rod.“

Rod befolgte die Anweisung und stellte sich in den Wind, daß der Umhang von seinen breiten Schultern wallte.

„Na, ist das nichts? Ich sehe bestimmt beeindruckend aus, hm?“

„Wie eine Illustration aus einem Shakespeare-Stück.“

„Für die Schmeichelei bekommst du ausnahmsweise eine doppelte Ölration.“ Rod schwang sich in den Sattel. „Auf zur nächsten Stadt, Gekab. Ich möchte mich in meinem neuen Sonntagsstaat sehen lassen.“

„Sie haben vergessen, den Krater zu besäen!“

„Was? Oh! Verdammt!“ Rod zog einen kleinen Beutel aus der rechten Satteltasche und streute den Samen über den Kreis kahler Erde. „Na also! Jetzt braucht es nur noch einen linden Regen, und schon in zwei Tagen wird man ihn nicht mehr vom Rest der Wiese unterscheiden können. Hoffen wir, daß in den zwei Tagen niemand hierherkommt…“

Der Rappe hob den Kopf und spitzte die Ohren.

„Was ist los, Gekab?“

„Hören Sie!“

Rod zog die Brauen zusammen und schloß die Augen.

Der Wind trug aus der Ferne die vergnügten Rufe Jugendlicher und fröhliches Lachen herbei.

„Hört sich an, als feierten ein paar Burschen und Mädchen eine Party.“

„Es kommt näher“, sagte Gekab leise.

Wieder schloß Rod die Augen und lauschte. Die Geräusche kamen tatsächlich näher… Er wandte sich nach Nordosten, der Richtung, aus dem die Laute zu kommen schienen, und betrachtete forschend den Horizont. Nur die drei Monde standen am Himmel.

Ein Schatten zog an einem der Monde vorbei, drei weitere folgten. Das Lachen klang bereits viel näher.

„Etwa hundertzwanzig Stundenkilometer“, murmelte Gekab.

„Hmmm.“ Rod kaute an der Unterlippe. „Gekab, wann sind wir gelandet?“

„Vor ungefähr zwei Stunden.“

Etwas flitzte über ihren Köpfen vorbei.

Rod schaute hoch. „Sie fliegen, Gekab!“

Eine kurze Pause setzte ein. Dann brummte der Roboter. „Rod, ich muß Sie ersuchen, logisch zu denken. Eine Kultur wie diese kann unmöglich Flugmaschinen entwickelt haben.“

„Das haben sie auch nicht. Sie selbst fliegen!“

„Die Menschen, Rod?“

„Es sieht so aus.“ Rods Stimme klang eine Spur verwirrt.

„Allerdings muß ich zugeben, daß das Mädchen, das gerade über uns hinwegflog, auf einem Besenstiel zu reiten schien.

Und sie sah gar nicht schlecht aus. Richtig zum Anbeißen…

Gekab?“

Die Pferdebeine wirkten steif und der Kopf baumelte dazwischen.

„Zum Teufel!“ knurrte Rod. „Nicht schon wieder!“

Er tastete unter den Sattelknauf und drückte die Sicherung wieder ein. Langsam hob der Rappe den Kopf und schüttelte ihn ein paarmal. Rod griff nach den Zügeln und führte das Pferd.

„Waas iis baasiird, Rood?“

„Du hattest wieder einmal einen Anfall, Gekab. Sei so gut und fang jetzt ja nicht zu wiehern an. Diese fliegende Party kommt zurück, und es besteht die Möglichkeit, daß sie überhaupt nur unterwegs sind, um nach dem abgestürzten Kometen zu suchen. Wir sehen deshalb besser zu, unter den hohen Bäumen Deckung zu finden — und bitte, verhalte dich ruhig!“

Als sie die Bäume am Rand der Wiese erreicht hatten, spähte Rod hinaus, um zu sehen, was die fliegende Schwadron machte.

Die Jugendlichen kreisten etwa eineinhalb Kilometer entfernt durch die Luft. Sie stießen Jubelschreie und Willkommensrufe aus.

„Freut euch, Kinder, ich bin es, Lady Gwen!“

„So seid Ihr endlich doch gekommen, um Mutter unseres Zirkels zu sein, Gwendylon?“

„Von immer größerer Schönheit werdet Ihr, süße Gwendylon!

Was tut Ihr nur?“

„Jedenfalls noch keine Wiegen ausrauben, Randal…“

„Hört sich an, als sähe die Hauswirtin bei einer Party im Hexencollege nach dem Rechten“, brummte Rod. „Wieder nüchtern, Gekab?“

„Zumindest ist mein Gehirn wieder klar“, erwiderte der Roboter, „und meine Basisprogrammierung hat sich um ein zusätzliches Konzept erweitert.“

„Oh!“ Rod spitzte die Lippen. „Meine Beobachtung stimmt also?“

„Allerdings. Sie fliegen tatsächlich!“

Die fliegende Meute schien sich wieder an den ursprünglichen Zweck ihres Ausflugs zu erinnern. Schreiend und lachend näherten sie sich erneut der Wiese. Sie hielten schwebend über dem Kreis kahler Erde an, dann landeten sie, einer nach dem anderen, ringsum.

„Besteht wohl wenig Zweifel an dem Grund ihres Hierseins, hm?“ Rod hatte es sich im Schneidersitz auf dem Boden

bequem gemacht und lehnte mit dem Rücken an Gekabs Vorderbeinen. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten, nehme ich an.“ Er drehte den Stein seines Siegelrings um neunzig Grad und richtete ihn auf die kleine Versammlung. „Übertrag es, Gekab.“

Der Siegelring diente nun als ein ungemein leistungsfähiges Richtmikrophon, das seine Aufnahmen durch Gekab in den Empfänger hinter Rods Ohr übertrug.

Aber Rod verstand höchstens jedes zweite Wort, und so mußte Gekab den Dolmetscher spielen. „Einer sagte:.Sollen wir es der Königin melden? Und ein anderer antwortete;,Nein, sie würde sich nur unnötig aufregen! „

Rod runzelte die Stirn. „Komisch, es ist Englisch, und doch komme ich nicht so ganz zurecht damit.“

„Es ist elisabethanisches Englisch, Rod.“

„Deshalb schickt DUFT immer einen Menschen mit einem Roboter! Die Sprache beweist also, daß dies die Emigrantenkolonie ist!“

„Ja, natürlich“, bestätigte Gekab ein wenig pikiert.

„Na, na, alter Symbiont, maul nicht. Ich weiß, daß du das Offensichtliche nicht für meldenswert hältst. Aber wenn man offensichtliche Tatsachen übersieht, führt es leicht dazu, auch Geheimnisse, die offen vor einem liegen, zu übersehen, richtig? Also, sie erwähnten eine Königin. Demnach ist ihre Regierungsform eine Monarchie, wie wir vermuteten. Diese Halbwüchsigengruppe bezeichnete sich selbst als Zirkel, das bedeutet wahrscheinlich, daß sie sich für Hexen halten… Wenn man ihre Fortbewegungsart in Betracht zieht, könnte es sogar stimmen. Aber….“

Er ließ das Aber eine Weile in der Luft hängen. Gekab schaute ihn fragend an.

„Sie zogen auch in Erwägung, der Königin Meldung zu erstatten. Das läßt darauf schließen, daß sie bei ihr ein geneigtes Ohr finden. Soll das tatsächlich heißen, daß Hexerei

von königlicher Seite geduldet wird?“

„Nicht unbedingt“, meinte Gekab. „Ein hier vielleicht überlege nswerter Präzedenzfall wäre der des Königs Saul und der Hexe von Endor…“

„Aber es besteht doch durchaus die Möglichkeit, daß sie Zutritt zum Hof haben.“

„Rod, ziehen Sie nicht voreilige Schlußfolgerungen?“ „Nein, ich habe nur eine brillante Vorstellungskraft.“ „Deshalb schickt DUFT immer einen Roboter mit einem Menschen!“ brummte Gekab.

„Gut gekontert! Aber wenn du richtig übersetzt hast, sagten sie doch auch, daß es die Königin nur unnötig aufregen würde. Vielleicht ist sie überhaupt schnell erregbar?“ „Vielleicht, ja.“

Plötzlich erklang Musik auf der Wiese — Dudelsäcke spielten eine alte Zigeunerweise. Die jungen Leute tanzten auf der kahlen Stelle und etwa einen Meter darüber. „Bayerischer Volkstanz“, murmelte Gekab. „Eine zusammengestückelte Kultur, aus dem Minderwertigsten, das die alte Erde zu bieten hatte.“ „Das ist ein sehr subjektives Urteil, Rod.“ Rod hob eine Braue. „Magst du vielleicht Dudelsackmusik?“ Er überkreuzte die Arme, senkte den Kopf auf die Brust und überließ es Gekab, dem Nieschlafenden, alles Wichtige aufzunehmen.

Der Roboter hörte und schaute der kleinen Gruppe etwa zwei Stunden zu, während derer er geduldig die Daten verdaute. Als die Musik verstummte, setzte Gekab einen Huf auf Rods Hüfte.

„Brrr!“ Rod schüttelte sich und war sofort hellwach, wie man es von einem Geheimagenten nicht anders erwartet. „Die Party ist zu Ende, Rod.“

Die Halbwüchsigen hüpften in die Luft, um nordost-wärts aufzubrechen.

Ein Besenstiel trennte sich von ihnen und schoß in rechtem Winkel mit einer wohlgeformten weiblichen Gestalt davon.

„Bleibt uns nicht wieder so lange fern, Gwendylon!“

„Randal, wenn du eine Maus wärst, würdest du bestimmt um einen Elefanten werben. Lebwohl und sieh zu, daß du künftig Mädchen hofierst, die nicht mehr als sechs Jahre älter sind als du.“

Der Besenstiel schoß geradewegs in Rods Richtung, hob sich über die Bäume, und war verschwunden.

„Mhm, ja!“ Rod leckte sich die Lippen. „Wirklich ein prächtig gebautes Mädchen. Und so, wie sie redet, offenbar auch ein wenig älter als diese Küken…“

„Ich hatte gedacht, Sie wären längst über solch kleine Eroberungen hinaus, Rod.“

„Eine nette Umschreibung von dir, daß sie mich bestimmt nicht haben möchte! Naja, wenn ich auch nicht kaufen kann, so seh' ich mich doch gern um.“

Der Zirkel jugendlicher Hexen segelte über den Horizont, und das fröhliche Gelächter verlor sich allmählich.

„Das ist also das.“ Rod stand auf. „Die Party ist zu Ende und wir sind nicht viel klüger als zuvor. Aber zumindest sind wir selbst noch ein Geheimnis. Keiner ahnt, daß unter diesem kahlen Erdfleck ein Raumschiff verborgen ist.“

„Stimmt nicht!“ widersprach ein helles Stimmchen kichernd.

Rod erstarrte, drehte den Kopf und riß die Augen auf.

Zwischen den Wurzeln einer alten Eiche stand grinsend ein breitschultriger Mann von der beachtlichen Größe von dreißig Zentimetern. Er trug Wams und enges Beinkleid in verschiedenen Braunschattierungen. Seine strahlend weißen Zähne glänzten und sein Gesicht wies einen spitzbübischen Ausdruck auf.

„Dem Elfenkönig wird Eure Anwesenheit gemeldet werden, Lord Zauberer“, sagte der Kobold.

Rod sprang.

Aber der kleine Mann war bereits verschwunden.

Stumm blieb Rod stehen. Er lauschte dem Wind, der mit den Eichenblättern säuselte, und dem letzten Echo des Kicherns, das sich zwischen den Eichenwurzeln verlor.

„Gekab!“ sagte er. „Gekab, hast du das gesehen?“

Er erhielt keine Antwort. Stirnrunzelnd drehte er sich um.

„Gekab? Gekab!“

Der Kopf des Roboters baumelte wieder einmal zwischen den Vorderbeinen.

„Oh, zum Teufel!“

Eine dröhnende Glocke kündete irgendwo in der großen, windschiefen Stadt — in die die jugendlichen Hexen, nach Rods und Gekabs Berechnungen ihrer Richtung und Geschwindigkeit, geflogen sein mußten — die neunte Stunde.

Aufgrund der Bemerkung über die Königin hatte Rod gehofft, hier die Hauptstadt der Insel zu finden.

„Na ja, es war eine reine Vermutung“, entschuldigte sich Rod bei dem Roboter.

„Natürlich“, brummte Gekab. Darauf folgte etwas, das man für einen geduldigen Seufzer halten konnte.

„Solange wir noch Zeit haben, welchen Namen würdest du in dieser Kultur für mich vorschlagen?“

„Warum nicht Rodney d'Armand VII.? Hier ist einer der wenigen Fälle, wo Ihr echter Name durchaus passend ist.“

Rod schüttelte den Kopf. „Zu angeberisch. Meine Vorfahren konnten einfach von ihren aristokratischen Neigungen nicht loskommen.“

„Sie waren ja auch Aristokraten, Rod.“

„Ja, aber alle anderen auf dem Planeten ebenfalls, außer den Robotern. Und sie gehörten schon so lange zur Familie, daß ihnen das Recht auf einige Ehrungen ebenfalls zustand.“

„Es war Ehre genug…“

„Später“, unterbrach Rod ihn hastig. Gekab hatte seine Standardpredigt über die noblesse oblige Tradition der

Maximaroboter, die er nur zu gern hielt, sobald man ihm die geringste Gelegenheit dazu gab. „Wir haben immer noch das Namensproblem“, erinnerte er Gekab.

„Wenn Sie meinen“, brummte der Roboter ein wenig verärgert. „Söldner, wieder einmal?“

„Ja, das gibt mir einen guten Vorwand, weit herumzukommen.“

„Sie könnten sich als wandernder Minnesänger ausgeben.“ Rod schüttelte den Kopf. „Minnesänger müssen immer mit den allerletzten Neuigkeiten vertraut sein. Aber es wäre vielleicht keine schlechte Idee, mir eine Harfe zu besorgen — vor allem, wenn das Regierungs oberhaupt eine Frau ist. Lieder finden auch dort Einlaß, wo Schwerter es nicht können…“ „Es ist jedesmal das gleiche… Wie gefällt Ihnen,Gallowglass'? Das war die irische Bezeichnung für Söldner.“ „Gallowglass…“ Rod rollte das Wort auf seiner Zunge. „Nicht schlecht. Es hat Esprit.“ „Genau wie Sie!“

„Täusche ich mich, oder klang es wirklich ironisch? Aber es ist tatsächlich ein gutes, solides Wort — und man kann es wirklich nicht als schön bezeichnen…“

„Darum paßt es ja so gut zu Ihnen“, murmelte der Roboter. „Ja, ich würde sagen, der Name ist genau richtig. Rod Gallowglass. Brrrl“

Rod zerrte am Zügel und runzelte die Stirn. Von irgendwo geradeaus vor ihnen erklang das gedämpfte Gemurmel einer Menschenmenge.

„Was das wohl zu bedeuten hat?“ „Rod, darf ich Ihnen zu Vorsicht raten?“ „Keine schlechte Idee. Lauf weiter, aber so leise wie möglich. Achte auf deine Hufe, bitte.“ Gekab trottete durch die schmale, mondhelle Straße und hielt sich so dicht es ging im Schatten der verwitterten Häusermauern. An einer Ecke blieb er stehen und schob seinen Pferdeschädel vorsichtig vor. „Was siehst du?“

„Einen Mob.“

„Großartige Beobachtungsgabe, Dr. Watson. Noch etwas?“ „Fackellicht und einen jungen Mann, der auf eine Plattform klettert. Wenn Sie mir den Vergleich verzeihen, Rod, es hat viel Ähnlichkeit mit einer Ihrer Studentenkundgebungen.“ „Genau das ist es auch vielleicht.“ Rod schwang sich aus dem Sattel. „Du bleibst hier, alter Freund. Ich gehe mal kundschaften.“

Im stolzen Marschschritt des Soldaten und mit der Hand um den Rapierknauf trat er um die Ecke. Sein erster Eindruck war, daß es sich hier um ein Treffen der Vagabundenunion handeln mußte. Kein einziges ungeflicktes Wams war zu sehen. Er rümpfte die Nase. Seife und Wasser schienen hier verdammt selten zu sein. Was für eine Meute!

Der Versammlungsort war ein riesiger freier Platz mit einem Fluß und Hafenanlagen, wo hölzerne Schiffe vertäut lagen, an einer Seite. An den anderen drei befanden sich armselige Wohnhäuser, Läden mit See-mansbedarf und ähnlichem, und Lagerhäuser. Alle Gebäude waren teilweise aus Holz, und bei sämtlichen war das erste Stockwerk überstehend. Der brüllende, drängende Mob füllte den gesamten Platz, dem brennende, knisternde Nadelholzzweige ein dämonisches Licht verliehen.

Ein näherer Blick auf die Menge offenbarte Augenklappen, verkümmerte Gliedmaßen, ohrenlose Köpfe — ein auffallender Gegensatz zu der Gestalt, die auf der provisorischen Plattform stand. Es handelte sich bei ihr um einen breitschultrigen, blonden jungen Mann. Sein Gesicht war sauber und ungezeichnet, mit einer Stupsnase und blauen Augen. Es war ein rundes, fast unschuldig wirkendes Gesicht, offen und ehrlich, erfüllt von der Überzeugung eines Mannes, der an seine Mission glaubt. Sein Wams und seine Hose waren erstaunlich sauber, und aus gutem Stoff maßgeschneidert. Ein Schwert hing von seiner Seite.

„Ein Bursche aus gutem Haus“, murmelte Rod. „Was, bei den sieben Höllen, macht er unter diesem Lumpenpack?“

Der Jüngling hob die Arme. Die Menge brüllte und hielt die brennenden Zweige höher, um ihm zu leuchten „Welche Schultern tragen die schwerste Last?“ schrie der junge Mann.

„Unsere!“ brüllte die Menge.

„Wessen Hände sind narbig und schwielig von härtester Plackerei?“

„Unsere!“

„Wer hat all den Reichtum ermöglicht, den die Adeligen zum Fenster hinauswerfen?“

„Wir!“

„Wer hat ihre hohen Burgen aus Granit erbaut?“

„Wir!“

„Habt ihr euch nicht einen Teil ihres Reichtums und Luxus verdient?“

„Das haben wir!“

„Schon allein in einer einzigen Bucht liegen genug Schätze, um jeden von euch zum König zu machen!“

Der Mob tobte.

„Hörst du alles, Gekab?“

„Ja, Rod. Könnte eine Mischung von Karl Marx und Huey Long sein.“

„Ungewöhnliche Synthese, und doch nicht so ungewöhnlich, wenn man es genauer betrachtet.“

„Es sind eure Schätze, es ist euer Reichtum!“ schrie der Jüngling. „Ihr habt ein Recht darauf!“

Wieder tobte die Meute.

„Und bekommt ihr, was man euch schuldig ist?“

Plötzlich wurde der Mob still. Ein beunruhigendes Gemurmel breitete sich aus.

„Nein!“ brüllte der junge Mann. „Deshalb müßt ihr es verlangen, es steht euch rechtmäßig zu!“

Er warf die Arme hoch. „Die Königin hat euch Brot und Wein gegeben, als Hungersnot herrschte, genau wie sie den Hexen, die sie beherbergt, Fleisch und Wein gewährt.“ Totenstille senkte sich für eine Weile über die Menge. Dann verbreitete sich ein Flüstern. „Die Hexen! Die Hexen!“ „Ja!“ brüllte der Redner. „Selbst den Hexen, den Ausgestoßenen, den Geächteten. Wie viel mehr wird sie dann euch gewähren, die ihr so viel auf euch genommen habt? Sie wird euch geben, was euch zusteht!“ Die Menge brüllte.

„Wohin werdet ihr gehen?“ schrie der junge Demosthenes. „Zur Burg!“ rief einer, und andere nahmen seinen Ruf auf. „Zur Burg! Zur Burg!“ Es wurde zum rhythmischen Singsang. „Zur Burg!“

Ein hoher, heulender Laut schrillte durch die Luft. Der Mob verstummte. Eine hagere, verkrüppelte Gestalt hinkte zum Rand eines Lagerhausdachs und rief über den Platz: „Soldaten! Eine Kompanie oder mehr!“

„Zieht euch durch die Gassen und über die Kais zurück!“ befahl der junge Mann. „Wir treffen uns in einer Stunde im HausClovis!“

Zu Rods Staunen verhielt die Menge sich völlig ruhig. Sie verlor sich, ohne zu drängen und ohne daß Panik ausbrach, durch die Gassen.

Rod drückte sich in einen Hauseingang und sah zu, wie die brennenden Zweige gelöscht wurden. Dutzende um Dutzende von Bettlern rannten leise an ihm vorbei und wurden von den Nebenstraßen und Gassen verschluckt.

Der Platz leerte sich. In der plötzlichen Stille hörte Rod näherkommendes Hufgedröhn. Hastig kehrte er zu Gekab zurück und schwang sich in den Sattel. „Schnell und leise in einen besseren Stadtteil!“ befahl er dem Roboter. Gekab konnte mehrere Zentimeter dicke Gummipolster für seine Hufe ausfahren, wenn Lautlosigkeit erforderlich war. Er

hatte auch die Luftaufnahmen der Stadt studiert und jede Einzelheit im Gedächtnis behalten. Ein Roboterpferd hat schon seine Vorteile.

Sie flohen durch die Stadt in ein Viertel mit besser gebauten und erhaltenen Häusern. „Was hältst du von der ganzen Sache, Gekab?“

„Eine totalitäre Bewegung. Ein Machthungriger, der das Lumpenpack anführt, um der Regierung Bedingungen zu stellen, die sie nicht akzeptieren kann. Die Weigerung der Krone wird den Mob zur Gewalttätigkeit anstacheln, und schon kommt es zur Revolution.“

„Könnte es nicht vielleicht lediglich ein ehrgeiziger Adeliger sein, der den Thron an sich reißen möchte?“

„Usurpation verlangt die Unterstützung der oberen Klassen, Rod. Nein, das ist eine proletarische Revolution — ein Präludium zu einer totalitären Regierungsform.“

Rod spitzte die Lippen. „Glaubst du, daß vielleicht eine höher entwickelte Gesellschaft von außerhalb des Planeten ihre Hand im Spiel hat? Ich meine, in dieser Art von Kultur findet man doch normalerweise keine proletarische Revolution, oder?“

„Selten, Rod, und wenn es dazu kommt, ist die Propaganda rudimentär, sie würde in einer mittelalterlichen Gesellschaft nie auf die Grundrechte hinweisen. Dieses Konzept ist einer solchen Kultur absolut fremd. Die Wahrscheinlichkeit einer Einmischung ist groß…“

Rod zog die Lippen zu einem wilden Grinsen zurück.

„Sieht ganz so aus, als wären wir genau zum richtigen Planeten gekommen.“

Am Stadtrand hielten sie vor einem einstöckigen Gebäude in U-Form um einen mit Fackeln beleuchteten Garten an. Ein Holzzaun mit Tor verschloß die vierte Seite. Eine Gruppe lachender, gutgekleideter junger Männer schwankte, ein Trinklied grölend, heraus. Geschirr klirrte und Rufe nach Fleisch und Bier wurden laut.

„Ich glaube, hier haben wir ein besseres Gasthaus gefunden.

Meinst du, daß es in einer solchen Kultur Knoblauchwurst gibt?“

Der Roboter schauderte. „Einen Geschmack haben Sie, Rod!“

„Aus dem Weg! Aus dem Weg!“ brüllte jemand. Rod drehte sich um und sah einen Trupp Kavalleristen auf sie zukommen.

Hinter ihnen rollte eine vergoldete, kunstvoll verzierte Equipage.

Ein Herold ritt vorbei. „Macht Platz für die Kutsche der Königin!“ rief er.

Rod stupste das Pferd mit den Knien. Gekab stellte sich so an den Straßenrand, daß Rod einen guten Blick auf Kutsche und Eskorte werfen konnte.

Durch die nicht ganz zugezogenen Vorhänge sah Rodney eine schlanke Gestalt in einem dunklen Kapuzenumhang, ein feingeschnittenes Gesicht, von fast platinblondem Haar eingerahmt, große dunkle Augen und kleine, sehr rote Lippen, die leicht schmollend verzogen waren. Sehr jung war sie, fast noch ein Kind. Sie saß kerzengerade und wirkte ungemein zerbrechlich, aber auch absolut entschlossen — und irgendwie verloren in ihrer herausfordernden Haltung, die nur zu oft Furcht und Einsamkeit zu verbergen sucht.

„Rod!“

Rod zuckte zusammen. Ihm wurde bewußt, daß die Kutsche längst außer Sichtweite war. Wütend fragte er: „Was willst du, Gekab?“

„Ich fragte mich nur, ob Sie eingeschlafen sind.“ Der schwarze Kopf drehte sich Rod zu, die großen Augen schienen zu lachen.

„Der Traum, Rod?“

„Ich dachte, Roboter hätten keine Gefühle“, brummte Rod finster.

„Nein, aber wir haben es gar nicht gern, wenn unseren Schützlingen jene Eigenschaft fehlt, die man als klaren Menschenverstand bezeichnet.“

Rod bedachte ihn mit einem säuerlichen Lächeln. „Und natürlich wißt ihr Ironie zu schätzen, da sie logischen Ursprungs ist. Und Ironie deutet auf…“

„Eine Art Humor hin, ja. Und Sie müssen doch selbst zugeben, Rod, daß es gewissermaßen erheiternd ist, wenn ein Mensch ein Objekt seiner eigenen Erfindung quer durch die halbe Galaxis verfolgt.“

Rod kaute wütend an der Lippe und antwortete nicht. Also trabte Gekab durch das Gasthaustor. Ein Knecht kam aus dem Pferdestall. Rod warf ihm die Zügel zu und stapfte in die riesige Schankstube. Es ging hoch her in dem rauchigen Raum.

Alle der etwa zwanzig großen und mehreren kleineren Tische waren dicht besetzt. Beleuchtet war die Stube mit Fackeln und Talgkerzen, die auf die Gäste herabtropften und auch auf den Ochsen am Spieß.

Schenkburschen und kräftige, untersetzte Bauernmädchen sorgten für einen ständigen Nachschub aus Küche und Keller, um die Gäste nicht unnötig warten zu lassen. Das Geschäft ging gut heute abend.

Ein großer Mann mit schütterem Haar, vermutlich der Wirt, kam mit einer riesigen, dampfenden Platte aus der Küche. Er blickte auf und sah Rod in seinem goldnen und scharlachroten Wams, dem Degen und Dolch — vor allem den Beutel sah er —, und schon drückte er die Platte einer Schenkdirn in die Hand und rannte eifrig auf Rod zu.

„Wie kann ich Euch zu Diensten sein, mein guter Herr?“ fragte er.

„Mit einem Krug Bier, einem Steak so dick wie Eure beiden Daumen, und einem Tisch für mich allein“, sagte Rod lächelnd.

Der Wirt starrte ihn mit zum O geformten Mund an. Offenbar war Rods Benehmen ungewöhnlich. Und schon nahmen seine Augen einen berechnenden Ausdruck an. Man muß den Burschen ausnehmen, wie man kann, verriet er.

Rods Lächeln wandelte sich in eine finstere Miene. Er mußte

also anders vorgehen. „Worauf wartet Ihr?“ brüllte er. „Beeilt Euch, oder ich säble mir ein Stück von Eurem feisten Hintern ab!“

Sofort verbeugte sich der Wirt tief. „Aber gewiß, My-lord, sofort.“

„Erst den Tisch!“ erinnerte ihn Rod und packte den Wirt an der Schulter. Der Mann führte ihn zu einem Tisch neben einem aufrechtstehenden Baumstamm, der als Stützpfeiler diente.

Es gefiel Rod nicht, daß er hatte grob werden müssen, aber ein weichherziger Bourgeois im Mittelalter war unvorstellbar.

Als der Wirt sofort gesagt hatte, mußte er es wohl auch gemeint haben, denn Steak und Bier wurden bereits aufgetischt, als er noch kaum saß. Der Wirt rieb sich die Hände an der Schürze und blieb mit besorgtem Blick neben Rod stehen, vermutlich, um abzuwarten, ob der Gast auch mit dem Essen zufrieden war.

Rod öffnete die Lippen, um ihn zu beruhigen, als plötzlich seine Nasenflügel zuckten. Ein seliges Grinsen zog über sein Gesicht. Er blickte hoch. „Rieche ich Knoblauchwurst?“

„O ja, Euer Ehren!“ Wieder verneigte der Wirt sich tief.

„Knoblauchwurst der feinsten Sorte. Wenn Euer Ehren vielleicht…“

„Ja, meine Ehren möchte und zwar presto allegro!“ Der Wirt zuckte zurück wie Gekab manchmal auch und eilte davon.

Rod probierte das Steak und spülte mit einem Schluck Bier nach, als bereits ein Teller mit Wurst vor ihm aufgesetzt wurde.

„Sehr gut“, sagte Rod. „Und das Steak ist annehmbar.“

Erleichtert grinste der Wirt und wandte sich zum Gehen, doch dann drehte er sich wieder um. Er zerknüllte nervös den Schurz und murmelte: „Verzeiht, mein Herr, aber…“ Er scharrte verlegen mit den Füßen, ehe er fortfuhr: „Seid Ihr vielleicht ein Zauberer?“

„Wer ich? Ein Zauberer? Lächerlich!“ Rod fuchtelte mit dem Taschenmesser in die allgemeine Richtung des Wirtes, der daraufhin sofort die Flucht ergriff. Rod schüttelte den Kopf und überlegte, wie der Bursche auf die Idee gekommen sei, daß er ein Zauberer sein könnte. Vielleicht hätte ich nicht presto allegro sagen sollen, dachte er. Möglicherweise hielt er diese Worte für eine magische Formel. Und hatten sie nicht auch Wunder gewirkt? Er nahm einen Bissen Wurst und einen Schluck Bier. Er ein Zauberer! Verrückte Idee! Er war zwar der zweite Sohn eines zweiten Sohnes, aber das hatte noch lange nichts zu bedeuten. Außerdem müßte er als Zauberer einen Vertrag mit Blut unterzeichnen, und er konnte absolut keinen Tropfen entbehren. Er leerte seinen Krug und stellte ihn laut auf den Tisch. Sofort eilte der Wirt herbei, um ihn nachzufüllen. Rod wollte ihm dankend zulächeln, dann erinnerte er sich seiner Stellung hier und unterließ es. Er fummelte in seinem Beutel und berührte die unsymmetrische Form eines Nuggets — eine Währung, wie sie auch im Mittelalter akzeptiert wurde, aber schnell wurde ihm bewußt, daß er sich nicht zu großzügig zeigen durfte und holte statt dessen einen winzigen Silberbarren heraus.

Der Wirt drehte ihn in der Hand. Seine Augen drohten aus den Höhlen zu quellen. Ein gurgelnder Laut entrang sich seiner Kehle, ehe er seinen tiefsten Dank stammelte und sich wieder einmal eilig zurückzog.

Rod biß sich verärgert auf die Lippe. Offenbar ge nügte ein so winziges bißchen Silber hier, um sich auffällig zu machen. Aber das Pfund oder zwei gute Beefsteaks im Magen sorgte dafür, daß sein Ärger nicht anhielt. Er streckte die Beine aus, lehnte sich zurück, stocherte mit dem Messer zwischen den Zähnen und schaute sich um. Ihm fiel auf, daß etwas sehr merkwürdig in dieser Schenkstube war. Die Fröhlichen waren ein wenig zu übertrieben fröhlich und ihr Gelächter hatte einen finsteren Nachklang. Die Niedergeschlagenen dagegen waren auch wirklich niederge schlagen. Rod betrachtete die zwei Männer drei Tische von ihm entfernt.

Sie redeten mit sehr ernsten Gesichtern aufeinander ein. Er drehte den Stein seines Ringes und richtete ihn auf die beiden.

„Aber solche Versammlungen nutzen doch absolut nichts, solange die Königin uns ständig Soldaten auf den Hals hetzt!“

„Stimmt, Adam, und wir kommen nicht an sie heran, um mit ihr zu sprechen.“

„Dann müssen wir ein Gespräch mit ihr eben mit Gewalt erzwingen!“

„Welchen Sinn hätte es? Ihre Edlen würden nicht zulassen, daß sie uns gewährt, was wir verlangen.“

Adam hieb die Faust auf den Tisch. „Aber wir haben ein Recht auf Freiheit, ohne zu Dieben und Bettlern werden zu müssen!

Die Schuldnerkerker darf es nicht länger geben, und die Steuernebenfalls.“

„Ja, und auch dem Ohrabschneiden muß ein Ende gesetzt werden. Es ist eine zu harte Strafe für den Diebstahl eines Brotlaibs.“ Er rieb finster seine ohrlose Kopfseite. „Aber immerhin bemüht sie sich bereits, etwas für uns zu tun…“

„Ja, sie hat ihre eigenen Richter eingesetzt. Die hohen Lords werden nicht mehr nach eigenem Ermessen Strafen verhängen dürfen.“

„Aber du weißt genau, daß die Edlen es sich nicht gefallen lassen und die Richter bald wieder absetzen werden“, sagte Einohr grimmig und fuhr mit dem Finger die nassen Krugabdrücke auf der Tischplatte nach. „Das ist es ja eben, daß die Edlen gegen alle Verbesserungen der Königin sind!“ Adam stieß heftig die Messerklinge in den Tisch. „Sieht Loguire das denn nicht ein?“

„Sag nichts gegen Loguire!“ Einohrs Gesicht verdunkelte sich.

„Ohne ihn wären wir immer noch armseliges Lumpenpack, ohne ein gemeinsames Ziel! Nein, sag nichts gegen ihn, denn ohne ihn hätten wir nicht den Mut, hier in diesem Gasthof zu sitzen, wo die Soldaten der Königin ebenfalls Gäste sind.“

„Ja, ja, er vereinigte uns und machte Männer aus uns Dieben.

Doch jetzt zügelt er unseren neuen Mannesmut und versucht uns davon abzuhalten, für das zu kämpfen, das rechtmäßig unser ist.“

Einohrs Mundwinkel senkten sich. „Du hast zuviel auf das eitle und neidvolle Gewäsch des Spötters gehört, Adam!“

„Aber wir müssen kämpfen!“ rief Adam und ballte die Fäuste.

„Ohne Blutvergießen kommen wir nicht zu unserem Recht…“

Etwas Gewaltiges schlug gegen Rod und warf ihn zurück an den Tisch. Eine Mischung aus Schweiß, Zwiebel und billigem Wein drang in seine Nase. Rod stützte einen Arm auf und schob mit der Schulter. Die schwere Gestalt zog die Luft ein und taumelte flüchtig rückwärts. Rod zog seinen Dolch heraus und schaltete den Siegelring aus.

Der Betrunkene beugte sich zu ihm herab und sah drei Meter groß aus und breit wie ein Eisenbahnwaggon.

„Heh!“ knurrte er. „Warum paßt du nicht auf, wohin ich gehe?“

Rods Dolch drehte sich. Gefährlich sanft sagte er: „Stör lieber du einen ehrlichen Mann bei seinem Krug Bier nicht!“

„Ehrlicher Mann, hah!“ höhnte der gigantische Bauer. „Ein Söldner, der ehrlich sein will!“ Sein polterndes Lachen fand an den anderen Tischen ein Echo. Plötzlich wirkte der Bauer absolut nüchtern. „Leg dein Spielzeug zur Seite, dann werd' ich dir schon beweisen, daß ein ehrlicher Landmann es leicht mit einem Söldner aufnimmt.“

Rods Rücken kribbelte, als ihm bewußt wurde, daß das ein geplanter Kampf war. Der Wirt hatte sich sehr für seinen prallen Beutel interessiert. „Ich habe nichts gegen dich“, brummte er, aber sofort wurde ihm klar, daß das das Verkehrteste war, was er hatte sagen können.

Höhnisch trumpfte der Riese auf: „Er hat nichts gegen mich, sagt er. Erst wirft er sich einem armen, stolpernden Mann in den Weg und dann sagt er, er hat nichts gegen den großen Tom.“ Er packte Rod am Kragen seines Wamses und hob ihn auf die Füße. „Ich werd' dir noch was beibringen!“

Rods Rechte schoß vor und ein Handkantenschlag traf den Ellbogen. Der Riese löste wie betäubt seinen Griff und starrte auf seine Hand, als hätte sie ihn bitter enttäuscht. Rod preßte die Lippen zusammen und steckte den Dolch in seine Scheide zurück. Er beugte die Knie und rieb die rechte Faust in der Handfläche der Linken. Der Bauer war gigantisch, aber vermutlich hatte er keine Ahnung vom Boxen Inzwischen kehrte Leben in Toms Hand zurück, und damit der Schmerz. Wütend brüllte der Riese auf, ballte die Faust und holte in weitem Bogen aus. Rod duckte sich darunter und als die Faust, deren Hieb einen Ochsen erledigt hätte, an ihm vorbeisauste, griff er hinter Toms Schulter hoch und stieß zu, um dem Schwung noch mehr Wucht zu geben. Der große Tom wirbelte herum. Rod packte das Gelenk der rechten Hand des anderen und verdrehte es hinter dem Rücken des Riesen und drückte sie immer höher. Tom heulte auf. Und während er heulte, schlang Rod den Arm unter Toms Achsel zu einem Halbnelson zum Nacken hoch.

Nicht schlecht, dachte Rod, bis jetzt war Boxen nicht nötig gewesen. Er drückte ein Knie in Toms Hintern und löste die Arme. Der Riese schoß vorwärts, geradewegs auf den Herd zu. Er versuchte, sein Gleichgewicht zurückzugewinnen, schaffte es jedoch nicht. Tische und Bänke kippten und schlugen polternd auf, als die Gäste hastig zurückwichen, um dem Herd nicht selbst zu nahe zu kommen.

Tom landete auf den Knien und schüttelte verwirrt den Kopf. Als er wieder klar sehen konnte, entdeckte er Rod, der ihm mit grimmigem Lächeln, halb geduckt in Ringerhaltung, mit beiden Händen zuwinkte.

Der Riese knurrte tief in der Kehle und stemmte einen Fuß gegen die Herdsteine. Dann stürmte er wie ein Stier mit vorgeschobenem Schädel auf Rod zu. Rod wich seitwärts aus und stieß ein Bein vor. Der große Tom stürzte mit fuchtelnden Armen geradewegs auf die erste Tischreihe. Rod preßte die

Lider zusammen und die Zähne gegeneinander. Er hörte einen Krach wie viermal gleichzeitig alle Neune in der Kegelbahn.

Widerstrebend öffnete er die Augen und zwang sich ihm nachzusehen.

Toms Schädel tauchte mit weiten Augen und hängendem Kinn aus einem hölzernen Trümmerhaufen auf.

Rod schüttelte bedauernd den Kopf und schnalzte mit der Zunge. „Das war eine schlimme Nacht für dich, Tom, warum gehst du nicht heim und legst dich ins Bett?“

Der Riese klaubte seine Knochen zusammen, und als er sich vergewissert hatte, daß er noch in einem Stück war, stemmte er die Fäuste auf die Hüften und schaute Rod an. „Ihr kämpft aber gar nicht wie ein ehrlicher Gentleman!“ beschwerte er sich.

„Ich bin ja auch keiner“, brummte Rod. „Was hältst du von einer zweiten Runde, Tom? Alles oder nichts?“

Tom schaute an sich herunter, als zweifle er, daß sein Körper noch viel mehr aushalten würde. Dann schob er die Überreste eines Eichentischs zur Seite, hieb eine Faust auf seine Armmuskeln und nickte.

„Also gut, kommt schon, kleiner Mann.“ Er trat auf den jetzt völlig geräumten Platz vor dem Herd und schaute Rod finster und vorsichtig entgegen.

„Unser guter Wirt sagte dir, daß ich Silber im Beutel habe, nicht wahr?“ fragte Tom mit funkelnden Augen.

Der große Tom schwieg.

„Und er behauptet auch, ich sei ein leichter Gegner, richtig?

Nun, er täuschte sich in beiden Punkten.“

Toms Augen quollen vor. „Was? Kein Silber?“

Rod nickte. „Aha! Habe ich es mir doch gedacht!“ Sein Blick fiel auf den Wirt, der fahl und zitternd bei einem Stützbalken stand. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, daß Tom mit dem rechten Fuß nach seinem Zwerchfell ausholte. Er machte einen Schritt zurück und schwang beide Hände hoch, um nach Toms Ferse zu greifen und dem Fuß zu größerer Höhe zu verhelfen.

Toms Fuß beschrieb einen sauberen Bogen. Einen Augenblick hing er in der Luft, dann stürzte er mit fuchtelnden Armen heulend auf den Boden. Es schmerzte Rod zutiefst, sehen zu müssen, wie Tom nach Luft rang. Er trat näher, packte den Riesen vorn am Kittel, stemmte seinen Fuß gegen ihn, warf sein Gewicht zurück und zog den Burschen so auf die Füße. Tom sackte nach vorn. Rod schob eine Schulter unter Toms Achselhöhle und richtete den mächtigen Kerl wieder auf. „He, Wirt!“ brüllte er. „Branntwein, aber schnell!“ Als der große Tom sich wieder einigermaßen erholt hatte und den Spott seiner Saufbrüder über sich ergehen lassen mußte; die Gäste die Trümmer beiseitegeräumt und sich wieder niedergesetzt hatten; und Rod immer noch keine Vergeltungsmaßnahmen gegen den Wirt anstrebte, leuchtete plötzlich Hoffnung in den Augen dieses guten Mannes auf. Mit vorgeschobenem Kinn und gesenkten Mundwinkeln stellte er sich vor Rodney. Er schluckte und sagte schließlich: „Wenn Eure Lordschaft gestatten, die kleine Sache mit den gebrochenen Bänken und Tischen steht noch offen…“ „Bänke“, murmelte Rod, ohne sich zu rühren. „Tische!“ Abrupt sprang er auf die Füße und legte eine Hand um den Hals des Wirtes. „Du, du schleimiger kleiner Karmacker!“ brüllte er. „Du hast mir diesen Ochsen auf den Hals gehetzt, hast versucht, mich zu berauben, und jetzt erlaubst du dir auch noch die Unverschämtheit, Geld zu verlangen!“ Jeden Punkt betonte er, indem er den Wirt schüttelte und ihn immer näher zu dem Stützstamm drückte, in den der Mann sich vergebens zu verkriechen suchte.

„Und um dem Faß die Krone aufzusetzen, ist auch noch mein Bier warm geworden!“ schrie Rod. „Du nennst dich Wirt und wagst es, einen Söldnergentleman so zu behandeln!“ „Verzeiht, Eure Lordschaft!“ wimmerte der Wirt und versuchte sich mit bewundernswertem Eifer, doch vergebens aus Rods Griff zu befreien. „Ich meinte es nicht böse, Mylord, ich wollte nur…“

„Mich berauben!“ schnaubte Rod. Er gab ihn abrupt frei und half noch ein bißchen nach, daß er rückwärts auf einen Tisch fiel. „Einen Becher heißen Wein, ehe ich bis drei gezählt habe, dann untersage ich mir vielleicht das Vergnügen, dir die Ohren zu strecken und unter dem Kinn zusammenzuknüpfen.

Verschwinde!“

Er zählte, mit drei Sekunden Pause zwischen eins und zwei und zwei und drei, bis drei, und schon war der Becher in seiner Hand. Mit den Händen an die Ohren gepreßt, brachte der Wirt sich in Sicherheit. Rod nippte an dem heißen Wein und überlegte, was ein Karmacker war. Nach einer Weile brüllte er nach dem Wirt und befahl ihm, ein Zimmer zu richten und extra Decken bereitzulegen. Dann trat er hinaus auf den Hof und atmete die frische Luft ein.

Während er seinen Gedanken nachhing, zog ihn jemand am Ärmel. Rod wirbelte herum. Es war der große Tom, der sich bemühte, mit seinen zwei Meter fünfzehn kleiner als Rod auszusehen. „Guten Abend, Herr“, murmelte er.

Rod starrte ihn einen Augenblick verblüfft an, dann fragte er: „Was willst du denn?“

Der große Tom nahm den Hut in die Hand, ließ die Schultern hängen und kratzte sich am Hinterkopf. „Eh, Meister, Ihr habt mich zum Gespött der Leute gemacht. Ich kann mich hier nicht mehr sehen lassen…“

„Aha!“ knurrte Rod wütend, „und jetzt willst du vielleicht auch noch, daß ich Schadenersatz dafür leiste, heh?“

„Nein, nein, Herr!“ Tom wich erschrocken zurück. „Es ist nur -

es ist ganz anders — ich hab' mir gedacht — ich meine, ob…“ Er verdrehte und zerknüllte den Hut zwischen seinen mächtigen Pranken, daß es fraglich war, ob er je seine Form zurückbekommen würde. „Ich — ich dachte, ob Ihr nicht vielleicht einen Burschen — einen Knecht — einen Knappen braucht, und…“ Seine Stimme erlosch. Unter niedergeschlagenen Lidern beäugte er Rod ängstlich und hoffnungsvoll.

Rod war einen Moment wie erstarrt und betrachtete das offene Gesicht des Riesen, das ihn geradezu anzubeten schien. Er überkreuzte die Arme und lehnte sich an den Türrahmen. „Was soll denn das, Tom? Vor einer halben Stunde wolltest du mich noch fertigmachen und ausrauben, und jetzt soll ich dir so sehr vertrauen, daß ich dich als Knappen nehme?“ Tom zog die Brauen zusammen und biß sich auf die Unterlippe. „Ich weiß, es ist viel verlangt, Meister, aber…“ Seine Hand beschrieb eine vage Geste. „Es ist so, Ihr seid der erste, der mich schlagen konnte, und…“ Wieder verstummte er. Rod nickte bedächtig, ohne den Blick von Toms Gesicht zu lassen. „Und deshalb mußt du mir dienen?“

Tom schob gekränkt die Unterlippe vor. „Ich muß nicht, Herr — ich möchte es.“

„Ein Räuber und Dieb“, murmelte Rod, „und ich soll dir trauen! Aber du hast ein offenes Gesicht, das seine Gefühle nicht verbirgt.“

Gekabs Stimme erklang hinter Rods Ohr. „Die vorläufig vorhandenen Daten lassen auf eine simple Persönlichkeitsstruktur schließen. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Individuum als verläßliche Auskunftsquelle für hiesige Zustände dienen wird, ist höher als die, daß er ein falsches Spiel mit Ihnen treiben wird.“

Rod kramte in seinem Beutel und holte ein Silberstück heraus — es roch ein wenig nach Knoblauch, von dem Rest der Wurst, den er sich in die Tasche gesteckt hatte, und drückte es in die Hand des Riesen.

Tom starrte das Silber blinzelnd an, dann Rod. Schließlich schloß er die leicht zitternde Faust, während seine Augen an Rod hingen.

„Du hast das Handgeld angenommen“, sagte Rod, „also bist du mein Knappe!“

Tom grinste von Ohr zu Ohr. Er verneigte sich tief. „Ja, Herr! Ich danke Euch, Herr! Ich werde Euch immer danken, Herr! Ich…“

„Ist schon gut“, wehrte Rod ab. Er mochte es nicht, wenn ein Erwachsener sich klein machte. „Du kannst gleich mit deinem Dienst anfangen. Sag, wie schwierig ist es, als Söldner in der Armee der Königin unterzukommen?“

„Gar nicht schwierig, Herr. Sie braucht ständig neue Soldaten.“

Ein schlechtes Zeichen, dachte Rod. „Also gut“, brummte er.

„Geh du in die Wirtschaft zurück, erkundige dich, welches Zimmer ich habe und vergewissere dich, daß sich dort keine Meuchelmörder versteckt haben.“

„Ja, Herr, sofort, Herr!“ Tom rannte ins Haus.

Ein fernes Heulen zerschnitt die Nacht und wurde zu einem schrillen Kreischen. Erstaunt horchte Rod auf. Sirenen. In dieser Kultur? Das Heulen kam von links. Er blickte hoch und sah die Burg auf der Bergkuppe. Und dort auf den Zinnen unter einem Turm leuchtete und schrillte etwas wie ein Polizeiwagen.

Die Gäste kamen aus der Wirtschaft gerannt und starrten und deuteten.

„Das Gespenst!“ riefen sie. „Schon wieder!“ „Es wird schon nichts passieren. Ist es nicht bereits dreimal erschienen und die Königin lebt immer noch?“

„Gekab!“ sagte Rod leise in den Empfänger. „Auf den Burgzinnen ist ein 'Gespenst'. Gekab, hörst du? Ein 'Gespenst'!“

Es erfolgte keine Antwort. Und dann erhob sich ein gräßliches Summen hinter Rods Ohr und schwoll an, bis es seinen Schädel zu zersprengen drohte, ehe es endlich wieder aufhörte.

Rod schüttelte den Kopf und schlug sich mit der Hand gegen die Schläfe. „Ich muß den Burschen doch überholen lassen“, 44-

brummte er. „Früher waren seine Anfälle wenigstens leise!“ Natürlich wäre es unklug gewesen, wenn er sich gleich in den Stall begeben hätte, um den Unterbrecher wieder zu arretieren, solange der Hof voller Neugieriger war. Also begab er sich auf sein Zimmer und legte sich nieder, um sich ein wenig zu entspannen. Und natürlich war er, als es auf dem Hof endlich wieder ruhig wurde, viel zu müde, um noch in den Stall zu gehen und den Roboter wieder einzuschalten. In der Nacht würde er ihn ja nicht brauchen.

In seinem Zimmer war es dunkel und still, wenn man von Toms Schnarchen absah, der sich am Fuß des Bettes zusammengekauert hatte und schlafend noch mehr Krach machte als wach.

Tom war ihm ein Rätsel. Rod hatte noch nie gekämpft, ohne daß er nicht zumindest einen Hieb abbekommen hatte, doch Tom hatte keinen einzigen gelandet. Das war merkwürdig, denn auch große, kräftige Männer konnten flink sein… Warum hatte der Rie se sich so leicht schlagen lassen? Damit er ihn in seine Dienste aufnahm?

Und was war mit Adam und Einohr? Ihrem Gespräch nach hatten sie an der Kundgebung am Kai teilgenommen. Das bedeutete demnach, daß sie der Proletarierpartei angehörten, dem Haus Clovis, richtig. Aber wenn Adam und Einohr typische Vertreter waren, mußte das Haus Clovis in sich gesplittert sein. Offenbar gab es zwei Fraktionen, die eine, die hinter Loguire stand — war das der jugendlichen Redner? — und eine andere, die von dem Spötter — wer immer das war — geführt wurde. Also die üblichen gegesätzlichen Faktionen, eine, die ihr Ziel mit friedlichen Mitteln erreichen wollte, und die andere mit Gewalt — Zunge und Schwert!

Weshalb wollte der große Tom seinen Butler spielen? Um in der Gesellschaft aufzusteigen? Nein, der Typ war er nicht. Eines besseren Lohnes wegen? Aber als der Oberschläger hier dürfte es ihm an Mitteln nicht mangeln.

Vielleicht, um auf ihn, Rod, ein Auge zu haben?

Rod rollte sich auf die Seite. Möglicherweise hatte das Haus Clovis ihn geschickt, um auf ihn aufzupassen. Aber sie konnten doch unmöglich etwas ahnen, oder?

Wenn allerdings Gekab mit seiner Annahme recht hatte, dann war es durchaus möglich, daß hinter dieser Partei eine fremde Macht stand, die sehr wohl Verdacht geschöpft haben mochte -

wie, spielte jetzt keine Rolle. Er war hellwach und jeder Muskel angespannt. Seufzend rollte er sich aus dem Bett. Er konnte jetzt nicht mehr schlafen. Es war besser, er würde Gekab wieder einschalten und sich seine Meinung anhören.

Der große Tom rührte sich, als Rod den rostigen Türhaken hochhob. „Herr? Wohin geht Ihr?“

„Ich mache mir plötzlich Sorgen um mein Pferd. Ich sehe lieber nach, ob der Stallbursche sich seiner auch gut angenommen hat. Schlaf nur weiter.“

Tom starrte ihn einen Moment an. „Zweifellos“, sagte er, „seid Ihr ein sehr fürsorglicher Herr.“ Er rollte sich herum und vergrub seinen Kopf in den zusammengefalteten Umhang, den er als Kopfkissen benutzte. „Sich solche Sorgen um ein Pferd zu machen!“ murmelte er noch und schnarchte auch schon wieder.

Rod stieg die Treppe hinunter und stolperte über eine straff gespannte Schnur. Er fuchtelte haltsuchend mit den Armen, bis etwas Hartes ihn auf den Hinterkopf schlug und er Sterne sah, die schließlich schwärzester Nacht wichen.

Ein rötliches Glühen war um ihn, und sein Schädel brummte.

Etwas Kaltes, Nasses strich über sein Gesicht. Er schauderte und wurde hellwach. Er lag auf dem Rücken mit einem hohen Kalksteinkuppeldach über sich. Dünne Kalksteinsäulen ragten herunter auf einen grünen Bodenbelag und vereinten sich mit anderen, in die Höhe ragenden Säulen — Stalaktiten und Stalagmiten, und der grüne Boden erstreckte sich in alle Richtungen bestimmt 46-

gut einen Kilometer weit. Er befand sich in einer riesigen Höhle. Das rötliche Glühen schien von überallher zu kommen.

Rod wollte die Hand ausstrecken, um das Moos zu berühren, das sich unter seinem Rücken feucht anfühlte, mußte jedoch feststellen, daß er weder Arme noch Beine bewegen konnte. Er hob den Kopf, um zu sehen, mit welcher Art von Stricken er gebunden war, doch es war nicht der dünnste Faden zu sehen.

Mannhaft kämpfte er gegen die Kopfschmerzen an, um klar denken zu können. „Gekab“, murmelte er. „Wo bin ich hier?“

Er bekam keine Antwort. Da fiel ihm ein, daß der Roboter einen Anfall gehabt hatte und er unterwegs gewesen war, um die Sicherung wieder einzudrücken.

Jetzt war er auf sich selbst gestellt.

Er seufzte und legte den Kopf wieder auf das Moos. Plötzlich begann rechts von ihm eine tiefe Stimme zu singen. Rod blinzelte.

Ein Feuer flackerte h einem kahlen Steinkreis. Ein Dreibein stand darüber, von dem ein blubbernder Kessel herabhing. Aus dem Deckel ragte eine Röhre. Wassertropfen sickerten vom Dach und trafen die Röhre. Eine Kanne stand unter dem Ende der Röhre und sammelte die Tropfen auf.

Eine primitive Schnapsbrennerei! Und der, der dieser sicherlich illegalen Beschäftigung hier nachging, war ganze fünfundvierzig Zentimeter groß, hatte ungemein breite Schultern, war kräftig gebaut, und trug Wams und Hose. Er hatte ein rundes, verschmitztes Gesicht, vergnügt zwinkernde Augen und einen breiten Mund, der zu einem pfiffigen Lächeln verzogen war. Auf dem Kopf trug er eine Robin-Hood-Kappe mit einer grellroten Feder.

Er mußte Rods Blick bemerkt haben, denn er schaute in seine Richtung. „Ha!“ sagte er. „Der Zauberer ist wieder zu sich gekommen.“

Rod runzelte die Stirn. „Ich bin kein Zauberer!“

„Ihr seid auch nicht aus einem fallenden Kometen gekommen

und genausowenig habt Ihr ein Pferd aus kaltem Eisen…“

„He!“ unterbrach ihn Rod. „Woher weißt du, daß das Pferd aus kaltem Eisen ist.“

„Wir sind das Kleine Volk“, antwortete der Troll ungerührt.

„Wir leben durch Eiche, Esche, Dorn, Holz, Luft und Gras.

Und jene, die durch das kalte Eisen leben, trachten nach dem Ende unseres Waldlands. Kaltes Eisen ist das Zeichen aller, die uns meiden; und deshalb erkennen wir kaltes Eisen, gleichgültig welcher Form oder Tarnung es sich bedient.“

Er drehte sich wieder zu dem Kessel um und hob den Deckel, um nach der Maische zu sehen. „Dann könnt Ihr auch hören, was eine halbe Meile entfernt gesprochen wird, und Euer Pferd läuft lautlos wie der Wind und schneller als ein Falke, wenn Ihr es so wollt. Aber ein Zauberer seid Ihr nicht, eh?“

Rod schüttelte den Kopf. „Ich bediene mich der Wissenschaft, nicht der Magie.“

„Das gleiche, nur ein anderer Name“, brummte der Elf. „Nein, nein, Ihr seid ein Zauberer und als solcher bereits auf ganz Gramayre bekannt!“

„Gramayre? Was ist das?“

Der Troll starrte ihn verblüfft an. „Die Welt, was sonst, Zauberer! Die Welt, in der wir leben, das Land zwischen den vier Meeren, das Reich Königin Catherines!“

„Oh! Sie herrscht über die ganze Welt?“

„Natürlich.“ Der Elf warf Rod einen Blick zu.

„Und wie heißt ihre Burg? Und die Stadt rundum?“

„Runnymede. Also wirklich, Ihr seid der ungebildetste Zauberer, der mir je begegnet ist!“ Der Troll drehte sich kopfschüttelnd um. Er goß ein wenig des Destillats aus der Kanne in einen Krug von der Größe eines Schnapsglases ab.

Rod wurde plötzlich bewußt, wie durstig er war. „Was braust du da eigentlich?“ fragte er. „Doch nicht Branntwein?“ Und als der Elf den Kopf schüttelte, versuchte er es weiter: „Gin? Rum? Aqua Vitae?“

„Nein, es ist ein Getränk anderer Art.“ Der Elf hielt den winzigen Krug an Rods Mund. Rod nahm einen Schluck und leckte sich die Lippen. „Schmeckt wie Honig! Gar nicht schlecht. Könnte ich das Rezept dafür haben?“ „Aber gewiß.“ Der Troll grinste. „Wir werden alles in unserer Macht Stehende für unseren Gast tun.“

„Gast!“ schnaubte Rod. „Ich möchte zwar eure Gastfreundschaft nicht anzweifeln, aber mir die Bewegungsfreiheit zu nehmen, ist nicht gerade meine Vorstellung eines Willkommens.“

„Oh, dagegen wird schon noch etwas unternommen werden.“ Plötzlich klickte etwas in Rods Gehirn. Die Härchen schienen sich ihm am Nacken aufzustellen. „Uh — ah — wir wurden noch nicht miteinander bekanntgemacht, aber sag, du heißt wohl nicht zufällig Robin Goodfel-low, alias Puck?“ „So ist es.“ Der Troll gab den Deckel wieder auf den Kessel. „Ich bin dieser fröhliche Wanderer der Nacht.“ Rod legte den Kopf wieder ins Moos. Das würde eine großartige Geschichte für seine zukünftigen Enkel abgeben, denn andere würden sie ihm sowieso nicht glauben. „Sag, Puck — ich darf dich doch Puck nennen?“ „Sicher dürft Ihr das.“ „Danke. Ich — uh — bin Rod Gallowglass.“ „Das wissen wir schon.“

„Nun, ich dachte nur, ich sollte mich vielleicht vorstellen. Du — ah — scheinst mir nicht böse gesinnt zu sein, darf ich deshalb fragen, weshalb ich — ah — gelähmt bin?“

„Ach das“, brummte Puck. „Wir müssen erst herausfinden, ob Ihr ein weißer oder schwarzer Zauberer seid.“ „Oh!“ Rod kaute an seiner Wange. „Wenn ich ein — ah — weißer bin, laßt ihr mich dann gehen?“ Puck nickte. „Aber was ist, wenn ihr mich für einen schwarzen haltet?“ „Dann, Rod Gallowglass, werdet Ihr bis zum Jüngsten Tag schlafen.“

„Ich habe zwar im Prinzip nichts gegen Schlafen, aber wäre das nicht ein bißchen lange? Wie kann ich beweisen, daß ich ein weißer Magier bin?“

„Ganz einfach, indem wir den Bann brechen, der Euch bindet.“ „Du meinst, indem ihr mich freigebt? Wie kann das als Beweis dienen?“

„Die Tatsache als solche nicht, sondern der Ort, wo wir es tun.“ Er klatschte in die Hände. Rod hörte das Trippeln Dutzender kleiner Füße von hinten auf sich zukommen. Man band ihm ein dunkles Tuch vor die Augen und knüpfte es am Hinterkopf fest. Er protestierte, aber man achtete überhaupt nicht darauf, sondern schleppte ihn davon. Nach einer Weile schlug feuchte Nachtluft in sein Gesicht, und er spürte, daß er hangaufwärts getragen wurde. Grillen zirpten und einmal heulte eine Eule. Dann ließ man ihn einfach auf den Boden plumpsen und nahm ihm die Binde ab. „Heh!“ stöhnte er. „Bin ich vielleicht ein Mehlsack?“

„Ihr seid jetzt frei, Rod Gallowglass“, klang Pucks Stimme in seinen Ohren. „Möge Gott Euch beschützen!“ Und schon huschte der Troll von dannen.

Rod setzte sich auf und bewegte seine Gliedmaßen. Er schaute sich um. Er saß auf einer mondbeschienenen Lichtung. Zu seiner Linken plätscherte ein Bach. Die Bäume waren wie glänzender Stahl mit Lamettalaub, mit schwarzen Schatten zwischen den Stämmen.

Einer der Schatten bewegte sich. Er wurde zur hochgewachsenen Gestalt in dunkler Mönchskutte mit Kapuze. Rod sprang hastig hoch. Die Gestalt kam langsam auf ihn zu. Zehn Schritt vor ihm blieb sie stehen und warf die Kapuze zurück. Zerzaustes, ungepflegtes Haar hing in ein eingefallenes, verbittertes Gesicht, aus dem die tiefliegenden Augen wie Kohlen brannten. Die Stimme klang wie ein Zischen: „Bist du deines Lebens so müde, daß du dich in den Käfig eines Werwolfs wagst?“

Rod starrte die Gestalt ungläubig an. „Werwolf?“ Na ja, wenn es Elfen gab… Er runzelte die Stirn. „Käfig? Ich sehe keinen!“ „Eine magische Mauer umgibt diesen Hain“, zischte der Werwolf. „Die Kleinen haben sie um mich errichtet — und sie füttern mich auch nicht auf die richtige Weise!“ „Oh? Was ist denn die richtige Weise?“ erkundigte sich Rod. „Rohes Fleisch und Blut zum Hinunterspülen.“ Etwas mit unzähligen winzigen Füßchen schien Rods Rücken entlangzukrabbeln.

„Schließe Frieden mit deinem Gott“, riet der Werwolf, „denn deine Stunde ist gekommen.“

Pelz sproß aus seinen Händen, und aus den Fingernägeln wurden Krallen. Auch Stirn und Wangen bedeckten sich mit Fell. Nase, Mund und Kinn formten sich zur Schnauze. Die Ohren bewegten sich nach oben und liefen spitz zu. Er warf den dunklen Umhang von sich und offenbarte so silbergraues Fell. Und nun ließ er sich auf alle viere fallen. Tief in der Kehle knurrend, setzte der Wolf zum Sprung an. Rod wirbelte herum, aber das Wertier änderte noch in der Luft die Sprungrichtung. Seine Zähne rissen Rods Arm vom Ellbogen bis zum Handgelenk auf.

Der Wolf landete und heulte vor Freude auf. Mit heraushängender Zunge sprang er erneut. Rod ließ sich auf ein Knie fallen, doch das Tier hielt mitten im Sprung an und fiel auf ihn. Die Hinterbeine zerkratzten Rods Brust, und die gewaltigen Kiefer versuchten ihn am Rücken zu packen. Rod kämpfte sich auf die Beine, beugte sich nach vorn und stieß mit aller Kraft gegen den Bauch des Wolfes. Das Wertier flog durch die Luft, dabei rissen die Krallen seiner Vorderbeine Rods Rücken auf.

Der Wolf landete auf dem Rücken und heulte vor Schmerzen, trotzdem war er schnell wieder auf den Beinen und lief, nach Blut knurrend, in einem Kreis um Rod herum. Rod drehte sich so, daß er den Wolf ständig vor sich hatte. Wie geht man gegen einen Werwolf vor? Gekab wüßte es sicher, aber der Roboter war immer noch außer Betrieb.

Der Wolf geiferte und setzte an, um Rod an die Kehle zu springen.

Rod kauerte sich tief und stieß mit der Hand zu. Seine Faust traf den Wolf direkt am Solarplexus. Eilig sprang Rod zurück und duckte sich. Der Wolf stürzte auf den Boden und schnappte nach Luft. Rod kreiste gegen den Uhrzeiger um ihn herum, weil ihm das vielleicht Glück bringen würde, wie er hoffte.

Der Wolf kam wacklig auf die Beine. Er knurrte und kreiste nun auf eine Chance lauernd ebenfalls um Rod herum, und wie der im Gegenuhrzeigersinn.

Beiden gleichzeitig kann es kaum Glück bringen, dachte Rod und änderte die Richtung, um hinter den Wolf zu gelangen.

Das Wertier sprang.

Rod wirbelte herum und holte zu einem Kinnhaken aus, aber der Wolf schnappte nach seiner Faust. Rod brüllte vor Schmerz auf und stieß dem Untier den Stiefel in den Bauch. Der Wolf öffnete aufheulend die Kiefer und gab Rods Hand wieder frei.

Inzwischen überlegte Rod verzweifelt, was gegen einen Werwolf half. Wolfsmilch, vermutlich, aber er könnte sie nicht von Efeu oder sonst einem Grünzeug unterscheiden.

Silberkugeln, sicher. Doch chemische Schußwaffen waren schon seit Tausenden von Jahren nicht mehr in Mode, und das DDT hatte Silber als Währung längst aufgegeben. Ein Kruzifix? Rod nahm sich fest vor, in Zukunft doch an eine Religionszugehörigkeit zu denken.

Sein felliger Freund hatte sich wieder gefangen. Er spannte die Hinterbeine und sprang. Rod wich seitwärts aus, aber das Tier hatte offenbar damit gerechnet und landete voll auf seiner Brust und schnappte geifernd nach seiner Kehle.

Rod fiel auf den Rücken. Er zog die Beine hoch, hieb sie in den

Bauch des Tieres und katapultierte es von sich. Der Wolf prallte schwer auf und plagte sich, um wieder auf die Beine zu kommen.

Was sonst mochten Werwölfe nicht? Knoblauch! Rod kreiste um den Wolf herum und kramte in seiner Tasche nach dem Wurstrest vom Abendessen. Der Wolf spreizte die Beine und hustete. Rod kaute einen Mundvoll Knoblauchwurst.

Mit einem wütenden, entschlossenen Knurren kam das Tier auf die Beine, spannte die Muskeln an und sprang.

Rod packte es an den Vorderbeinen. Er stolperte ein wenig unter seinem Gewicht zurück. Mit aller Gewalt blies er dem Tier seinen Atem ins Gesicht, dann ließ er den Wolf fallen und sprang zur Seite.

Der Wolf rollte sich spuckend und hustend herum, keuchte schaudernd und brach zusammen. Seine Gestalt streckte sich aus, entspannte sich, streckte sich weiter — und ein hochgewachsener, hagerer Mann lag mit dem Gesicht nach unten, heftig luftschnappend, im Gras.

Rod sank auf die Knie. Gerettet durch Knoblauchwurst!

Gras streifte gegen sein Knie. Er blickte in die lächelnden Augen Robin Goodfellows. „Kehrt mit uns zurück, wenn Ihr möchtet, Rod Gallowglass, denn unsere Pfade sind nun auch Eure, wann immer Ihr in Freundschaft darauf wandeln wollt.“

Rod lächelte müde. „Er hätte mich fast getötet!“ beschwerte er sich mit einem Blick auf den jetzt bewußtlosen Werwolf.

Puck schüttelte den Kopf. „Wir beobachteten euch beide und hätten sowohl Euren als auch seinen Tod verhindert. Und was Eure Wunden betrifft, wir werden sie schnell heilen.“

Rod schüttelte benommen den Kopf.

„Außerdem wußten wir, daß Ihr als Zauberer über Kräfte von solcher Macht verfügt, daß Ihr ihn besiegen konntet — wenn Ihr ein weißer Magier seid.“

„Oh?“ Rod hob die Brauen. „Und wenn nicht? Wenn ich ein

schwarzer wäre?“

„Nun“, erwiderte Puck grinsend, „hättet Ihr Euch mit ihm verbunden und versucht, gegen uns zu kämpfen, um aus dem Käfig zu entkommen.“

„Hätte euch das denn nicht in Gefahr bringen können?“

„Nein.“ Wieder grinste Puck. „Die Magie von zwei Dutzend Elfen ist immer noch stärker als die von zwei Zauberern.“

„Ich verstehe.“ Rod rieb sich das Kinn. „Ihr habt es darauf ankommen lassen, aber ihr konntet es mir natürlich nicht sagen, denn solange ich nichts wußte, bewies mein Kampf gegen den Werwolf, daß ich zu den Guten gehöre, hm?“

„Zum Teil.“

„Oh? Und was noch?“

„Nun, Rod Gallowglass, Ihr hattet den Wolf mehrmals in hilfloser Lage, aber Ihr habt ihn nicht getötet.“

„Und das beweist, daß ich ein gutes Herz habe?“

„Das, und auch, daß Ihr Euch Eurer Macht sicher genug seid, Gnade walten lassen zu können. Und das ist der Beweis, nicht nur, daß Ihr weiß, sondern überhaupt ein Zauberer seid.“

Rod preßte die Lippen zusammen. Mit übertriebener Geduld brummte er. „Es hätte natürlich auch lediglich beweisen können, daß ich ein erfahrener Kämpfer bin.“

„Es hätte“, gestand ihm Puck zu. „Aber Ihr habt ihn schließlich durch Zauberei besiegt.“

Rod holte tief Luft. „Hör zu“, sagte er betont. „Ich bin kein Zauberer. Ich war nie ein Zauberer. Ich will und werde nie ein Zauberer sein. Ich bin lediglich ein Söldner, der eben ein paar Tricks kennt.“

„Aber gewiß doch, Meister Zauberer, ganz wie Ihr wollt.

Kommt Ihr nun mit in die Höhle zurück? Wir bringen Euch dann in Euren Gasthof.“

„Na gut“, brummte Rod.

Die ersten Sterne gingen bereits unter, als Rod sich hundemüde in den Stall schleppte. Nur eine Kerze brannte hier und machte

die Dunkelheit noch schwärzer. Rod schwang einen Arm um Gekabs Rücken, um sich zu stützen, ehe er den Arretierknopf drückte. Der samtschwarze Kopf hob sich, schüttelte sich zweimal und schaute Rod über die Schulter an. Der Roboter schwieg kurz, dann hörte Rod hinter dem Ohr in vorwurfsvollem Ton: „Sie haben mich lange ausgeschaltet gelassen. Die Nachwirkungen des Anfalls sind längst vorüber.“ „Tut mir leid, altes Eisen.“ Immer noch hielt Rod sich am Pferderücken fest, denn seine Beine fühlten sich wie aus Gummi an. „Ich war auf dem Weg, dich wieder einzuschalten, als ich selbst ausgeschaltet wurde.“

„Ausgeschaltet?“ Gekabs Stimme klang nun zur Abwechslung verlegen, ja schuldbewußt. „Während ich schlief! O möge meine Hülle für immer auf dem Schrottplatz verrotten! Möge mein Germanium dem Konverter zur Wiederverwertung überantwortet werden! Mögen meine…“

„Hör schon auf!“ knurrte Rod. „Es war nicht deine Schuld.“ Er straffte die Schultern. „Ich befand mich nicht in wirklicher Gefahr. Es war lediglich eine etwas anstrengende Nacht, nichts weiter.“

Rod ließ sich an dem unter der Frühstückslast fast zusammenbrechenden Tisch nieder, aber verglichen mit dem, was der große Tom verschlang, nahm er eine Hungerration zu sich. Viel des Aufgetischten war Rod vertraut: Eier, Omeletten und Schinken. Die Pfannkuchen hatten allerdings einen etwas fremdartigen Geschmack, das kam sicher vom Mehl, denn gewöhnlich veränderten die sich ursprünglich von Terra stammenden Getreidesorten auf anderen Planeten. Auch Geflügel mutierte, und es kam zu Kreuzungen mit einheimischen Arten, Schweine dagegen blieben Schweine, sie gediehen überall prächtig und waren noch häufiger zu finden als Hunde. Das Essen war gut verträglich und sicher nahrhaft, denn allzusehr konnte der menschliche Metabolismus sich bestimmt nicht

verändern. Aber mit Spurenelementen war es eine andere Sache. Vorsichtshalber schluckte Rod eine Pille.

Tom bemerkte es. „Was war das, Herr?“ erkundigte er sich.

Rod zwang sich zu einem Lächeln. „Nur ein kleiner Zauber.

Mach dir deshalb keine Gedanken, Tom.“

Tom starrte ihn an, dann murmelte er ein schnelles Gebet und stürzte sich über seine Omelette, ehe er mit vollem Mund kauend fragte: „Und was beabsichtigt Ihr heute zu unternehmen, guter Herr?“

„Ich werde der Burg einen Besuch abstatten. Wir wollen sehen, ob die Königin an einem neuen Soldaten interessiert ist.“

Tom protestierte: „Soldat der Königin! Nein, Herr, das ist kein Beruf für einen ehrlichen Mann!“

Rod hob eine Braue. „Willst du damit andeuten, daß einer von uns beiden ehrlich ist?“

Der Wirt hatte einen grauen Wallach, den Rod für Tom erstand. Und so ritten sie nebeneinander zu der Burg hoch.

„Halt!“ brüllte der Posten an der Zugbrücke. „Gebt Euer Begehr kund!“

„Mein Name ist Rod Gallowglass…“

„Ihr vergeudet Eure Zeit“, unterbrach die Wache ihn. „Die Königin hat bereits einen Hofnarren.“

„Wenn ich dich so anschaue“, brummte Rod, „würde ich sagen, sie hat mehr als einen.“ Laut erklärte er: „Ich bin Söldner, genau wie mein Knappe. Ruf einen Hauptmann, damit er uns aufnimmt.“

Der Posten starrte ihn finster an. „Soldat der Königin zu werden, ist nicht so einfach, wie Ihr zu glauben scheint. Auch deucht Ihr mir ein schlechter Soldat zu sein, wenn Ihr nicht einmal Euer Pferd anbindet.“

Rod der abgesessen war, warf ihm ein spöttisches Lächeln zu und rief: „Gekab, vier Schritte zurück, einen halben nach links, dann vorwärts vier und einen halben, und dann bleib stehen, bis ich dich rufe.“

Der Posten riß den Mund weit auf, und die Augen quollen ihm aus den Höhlen, als Gekab den Befehl auf den Buchstaben genau ausführte.

„Du siehst, ich bin ein guter Soldat, und mein Pferd gehorcht mir aufs Wort. Es ist besser, es nicht anzubinden, weil es so jederzeit zu mir kommen kann, wenn ich es brauche.“ Seine Rechte schoß in einem Scheinangriff vor. Der Soldat wich erschrocken zurück, als Rods Bein ausholte und ihn hinter dem Fußgelenk traf. Klirrend ging der Posten in seiner Rüstung zu Boden. Rod entriß ihm die Lanze und warf sie unter das Fallgitter.

Tom trommelte begeistert mit den Fäusten auf den Rücken seines klapprigen Gauls, während der Soldat verzweifelt: „Zu Hilfe!“ brüllte.

Drei Wachen kamen herbeigestürzt. Der Unteroffizier blickte fragend von Rod auf den Posten und runzelte die Stirn. „Hilfe!

Wozu?“ erkundigte er sich barsch.

Der Posten deutete auf Rod. „Dieser Mann brachte mich zu Fall und nahm mir die Lanze fort!“

„Damit würde ich nicht prahlen“, murmelte Rod. Tom schüttelte sich vor Lachen.

„Ist das wahr, Mann?“ Der Unteroffizier funkelte Rod an.

„Es ist wahr“, versicherte ihm Rod.

„Nun denn!“ Der Unteroffizier stemmte die Hände an die Hüften.

„Nun denn was?“ erkundigte sich Rod und hob eine Braue.

Rods Haltung schien den Unteroffizier zu verwirren. „Nun denn, was war Euer Grund?“

„Ich möchte in die Armee der Königin eintreten, und dieser Bursche verlangte, daß ich erst zeige, was in mir steckt.“

Der Unteroffizier blickte von dem verblüfften Posten auf Rod und nickte. „Ihr sollt Eure Chance bekommen.“ Die „Chance“

bestand aus einem mit Breitschwert und Schild bewaffneten Sergeanten.

„Wollt Ihr Euch nicht einen Schild nehmen, Mann?“ brummte der alte Ritter, der der Hauptmann der Garde war.

„Nein, danke.“

„Nun, so kreuzt eure Waffen.“ Sir Maris seufzte. Rod und der Sergeant taten es. Sir Maris hinkte herbei und brachte sein eigenes Breitschwert hoch, um ihre Klingen zu trennen.

Das Schwert des Sergeanten schwang zu einem vollen Bogen aus. Rod nutzte die Verzögerung, um einen Scheinangriff auf des Sergeanten Bauch vorzutäuschen. Sofort sauste der Schild zur Abwehr herab, und Rods Rapier schoß über den Arm des Sergeanten hinweg und schlitzte das Wams über dem Herzen auf.

„Halt!“ schrie Sir Maris, und das Breitschwert des Sergeanten hielt mitten im Schwung an. Er ließ den Schild fallen und fragte verwirrt: „Was ist denn passiert?“

„Hätte dieser Gallowglass nicht nur zum Sport gekämpft, dann wärst du jetzt ein toter Mann, Sergeant Hapweed.“ Mit gerunzelter Stirn starrte Sir Maris Rod an. „Wer würde auf die Idee kommen, die Degenspitze zu benutzen!“

„Nun, gehen wir es noch einmal an?“ fragte Rod und ließ sein Rapier durch die Luft schwirren.

„Nein“, erklärte Sir Maris. „Es steht fest, daß Ihr mit der Klinge umzugehen versteht.“ Er drehte sich um und griff nach einem Kampfstab. Er warf ihn Rod zu. „Hier, versuchen wir es jetzt damit.“

Rod fing den Stab in der Mitte und steckte das Rapier in die Scheide zurück. Der Sergeant hieb bereits probehalber mit seinem Stab durch die Luft.

„Fangt an!“ rief Sir Maris.

Und schon setzte der Eichenholzhagel auf Rod ein, und er hatte seine liebe Not, die Schläge abzuwehren. Er schluckte, als ihm klar wurde, daß er selbst überhaupt nicht zum Angriff kam. Er blockierte einen Hieb gegen sein Schienbein, fing den Schlag auf seinen Kopf ab, und schwang das untere Ende des Stabes,

um den Angriff auf seinen Bauch abzuwehren — aber er kam nicht, er war nur eine Finte gewesen. Verzweifelt bemühte er sich, seinen Kopf noch rechtzeitig zu schützen, aber der Sergeant hatte die Öffnung genutzt. Aus dem Augenwinkel sah Rod, wie der schwere Eichenstab herbeibrauste. Wie ein Donnerschlag krachte er auf seinen Schädel. Tiefe Nacht senkte sich auf ihn herab, und er sah nur noch Sterne vor seinen Augen funkeln, aber er gab nicht auf. In reinem Reflex wehrte er die Schläge ab, und hörte die Zuschauer, die sich inzwischen eingefunden hatten, jubeln.

So geht es nicht, sagte sich Rod. Zwar war er auch im Kampf mit dem Stab ausgebildet worden, hatte ihn jedoch seit mehr als einem Jahr nicht mehr benutzt, während der Sergeant offenbar täglich damit trainierte. Aber noch hatte er eine Chance. Rod sprang zurück, und seine Hand glitt zur Mitte des Stabes. Er wirbelte ihn wie bei einer Parade. Es war die französische Methode, le moulinet.

Sir Maris sperrte die Augen auf. Der Sergeant wich verwirrt zurück, doch dann sprang auch sein Stab wirbelnd empor. Also war er mit dieser Art des Stabkampfs vertraut, aber glücklicherweise kein Experte. Rod war im Vorteil. Des Sergeanten Stab wirbelte verschwommen, aber fast lautlos. Rods dagegen machte einer Motorsäge Konkurrenz. In Wirbelgeschwindigkeit und folge-dessen größerer Schlagkraft war er dem Sergeanten weit überlegen. Und das wußte auch Hapweed. Seine Nackenmuskeln verkrampften sich, als auch er die Wirbelgeschwindigkeit zu beschleunigen versuchte. Jetzt! Rod sprang vor. Sein Stab durchbrach den Wirbel und schwang in Gegenrichtung zu der des Sergeanten hinab. Die Stäbe schlugen mit dem Knall eines Gewehrschusses aufeinander, daß die Heftigkeit fast Rods Zähne zum Klappern brachte. Er fing sich eine halbe Sekunde früher als der Sergeant und hieb seinen Stab mit zwei schnellen Schlägen auf Hapweeds herab, daß dessen Stab zu Boden fiel.

Benommen starrte der Sergeant auf seine leeren Hände. Rod tupfte mit seinem leicht auf die Schläfe Hapweeds und brummte: „Peng! Du bist tot!“

„Halt!“ rief Sir Maris und machte diesem Kampf somit offiziell ein Ende. „Wollen wir jetzt sehen, wie Ihr mit einem Langbogen umzugehen versteht?“

Rod zuckte bluffend die Schulter. „Mit einer Armbrust, meinetwegen, aber einem Langbogen…“

Ein tiefes Gelächter erschallte aus der Höhe herab. Der Hauptmann der Wache und all seine Männer zuckten zusammen. Tom warf sich auf die Knie und preßte schützend die Arme auf den Kopf.

Rod drehte verblüfft den Kopf. Auf einem der eichenen Querbalken in der großen Halle saß ein Zwerg und trommelte mit den Füßen gegen das Holz. Sein Kopf war so groß wie Rods, seine Schultern waren breiter, und seine Arme und Beine so dick und muskulös wie Rods. Er sah aus, wie ein kräftiger normaler Mann, den man hier und dort um einen Meter gekürzt hatte. Das zottlige schwarze Lockenhaar hing ihm bis zum Nacken herab, und buschige schwarze Augenbrauen hoben sich aus der breiten, leicht fliehenden Stirn ab. Die Augen waren kohlschwarz und schienen im Augenblick vor Vergnügen zu sprühen. Eine Hakennase trennte sie voneinander, und aus wulstigen Lippen grinsten ebenmäßige weiße Zähne durch den dichten Bartwald.

„Langbogen!“ rief er mit seiner tiefen Baßstimme. „Na, wenn er damit nicht umgehen kann!“

Sir Maris funkelte wütend zu dem Zwerg hoch. „Möge die Pest mit Euren hinterlistigen Streichen ein Ende machen, Brom O'Berin. Ist mein Haar nicht schon weiß genug?“

„Hinterlistige Streiche!“ rief der Troll entrüstet.

„Brom?“ murmelte Rod. „O'Berin?“

„Black Brom O'Berin!“ berichtigte der Elf.

„Das ist ja eine Mischung aus Holländisch, Irisch und

Russisch, wenn ich mich nicht irre.“

„Was sind das für Unsinnsworte?“ knurrte der Zwerg.

„O nichts.“ Rod schüttelte den Kopf. „Ich hätte es ja erwarten müssen auf diesem verrückten — uh —, ich! meine in Gramayre.“

Der Troll grinste koboldhaft. „Wenn ich mich nicht täusche, ist das nicht gerade ein Kompliment für das große Land Gramayre!“

„Nein, nein! Ich hatte nicht die Absicht — ich wollte nicht…“

Rod hielt inne, denn er erinnerte sich, daß für einen Kämpfer in dieser Art von Kultur Entschuldigungen unmannhaft waren. Er straffte die Schultern. „Also gut, es war eine Beleidigung, wenn dir das lieber ist.“

Der Troll sprang auf dem Balken vergnügt auf die Beine und hopste herum.

„Ihr müßt jetzt gegen ihn kämpfen, Gallowglass!“ rief Sir Maris. „Und Ihr werdet all Eure Geschicklichkeit brauchen.“

Rod starrte ihn an. Meinte er es ernst? Konnte ein Zwerg ein ebenbürtiger Gegner sein?

Der Elf kicherte tief in der Kehle und sprang trotz der großen Höhe auf den Boden herunter, wo er leichtfüßig aufsetzte.

Ein Brüllen erschallte hinter Rod, und der große Tom kam herbeigestürmt. „Es ist eine Falle, Herr!“ schrie er. „In diesem Land herrscht Hexerei, und er ist der schlimmste aller Hexer.

Nie hat jemand Black Brom geschlagen! Aber ich werde es…“

Alle Soldaten in der großen Halle warfen sich brüllend auf Tom. Einen Augenblick stand Rod wie erstarrt, dann ließ er den Kampfstab fallen und watete, Karatehiebe verteilend, durch das Handgemenge, daß die Soldaten rechts und links zu Boden fielen.

„Halt!“ donnerte Brom. Irgendwie war er wieder auf den Querbalken gelangt. „Meinen Dank, Freunde“, brummte der Miniaturherkules. „Der Riese meinte es nicht böse. Laßt ihn los!“

„Meinte es nicht böse!“ schrien ein paar Stimmen entrüstet durcheinander.

„Das stimmt!“ versicherte ihnen Brom. „Er wollte nur seinen Herrn beschützen. Und dieser Gallowglass wiederum kam lediglich zur Verteidigung seines Knappen. Laßt sie in Frieden.

Es trifft keinen von beiden eine Schuld.“

Die Soldaten gehorchten nur widerstrebend.

Rod schlug Tom auf die Schulter und murmelte: „Danke, Tom, und mach dir meinetwegen keine Sorgen, dieser holländische Ire ist auch nur ein Mann wie du und ich, und darum kann ich ihn auch schlagen.“

Der Troll mußte sehr scharfe Ohren haben, denn er brüllte: „Oh, wirklich? Na, das wollen wir erst mal sehen, Streithahn!“

„O Meister!“ stöhnte der große Tom und rollte die Augen. „Ihr wißt nicht, was Ihr sagt. Dieser Elf ist des Teufels Schützling!

Ein schwarzer Magier!“

„Pah!“ schnaubte Rod. „So etwas gibt es überhaupt nicht!“

Sir Maris trat mit funkelnden Augen zwischen seine Männer.

„Wenn Ihr ihm auch nur ein Haar krümmt, Gallowglass, ziehe ich Euch die Haut lebenden Leibes ab.“

„Keine Angst.“ Brom O'Berin kicherte. „Und Ihr, Freund Gallowglass, strengt Euch nur an. Bei mir werdet Ihr kein Glück haben. Paßt lieber auf Euch auf.“ Er hopste auf dem Balken herum und schrie: „Jetzt!“

Rod duckte sich und zog die Arme zum Handkantenschlag zurück. Brom stemmte die Fäuste in die Hüften und kicherte.

„Ja, macht Euch nur bereit — aber paßt auf, Brom O'Berin ist kein leichter Mann!“

Er sprang mit den Füßen voraus vom Balken, geradewegs auf Rods Kopf zu.

Verwirrt durch den plötzlichen Angriff des Trolles, machte er einen Schritt zurück. Aber seine Reflexe übernahmen, und er schwang die Arme mit den Handflächen nach oben, um Broms Fußgelenke zu packen und hochzureißen. Und dann, weil er befürchtete, der Elf könne heftig mit dem Rücken auf dem

Boden landen, sprang er vor, damit er ihn auffangen konnte, aber Brom schlug einen Purzelbaum und landete elastisch auf den Füßen. Mit einer schnellen Bewegung wischte er Rods Hände zur Seite.

„Eine höfliche Geste“, brummte der Troll, „aber sehr töricht, denn Ihr habt Euch dadurch selbst in Gefahr gebracht. Hebt Euch Eure Besorgnis für die auf, die sie brauchen, Gallowglass.“

Rod schaute den Kleinen mit wachsendem Respekt an. „Ich scheine Euch unterschätzt zu haben, Meister O'Berin.“

„Nennt mich nicht Meister!“ donnerte der Troll. „Ich bin niemandes Meister, nur der Narr der Königin!“

„Nun gut, dann, weiser Narr!“ sagte Rod und winkte mit beiden Armen und grinste wild.

Brom musterte seinen Gegner mit finsterer Miene. Er brummte etwas, dann verzog er das Gesicht zu einem dünnen Lächeln und nickte. Er sprang und schnellte sich mit den Füßen geradewegs gegen Rods Kinn. Rod schwang eine Hand hoch, um erneut Broms Fußgelenke zu packen und brummte: „Ich dachte, du hättest dir's gemerkt.“ Das Du kam unwillkürlich. Er stieß die Füße des Trolles hoch, aber diesmal schnellte Brom seinen Kopf hoch, direkt unter Rods Kinn — und er hatte einen sehr schweren Kopf. Rod zuckte unter dem Hieb zurück, dabei preßte er die Arme fest um Brom O'Berins Mitte.

Der Zwerg schüttelte sich vor Lachen. „Und jetzt?“ spottete er.

„Jetzt, da du mich hast, was willst du mit mir tun?“

Das war eine gute Frage. Löste Rod seinen Griff auch nur eine Sekunde, würde Brom ihm zweifellos den Fuß in den Bauch stoßen. Er könnte den Troll natürlich fallen lassen oder von sich werfen, aber Brom hatte die Eigenschaft eines Gummiballs und würde höchstwahrscheinlich beim Zurückspringen genau wieder sein Kinn treffen.

Im Zweifelsfall war es besser, zuerst zu handeln und dann zu

denken. Rod ließ sich auf den Boden fallen und schob Brom im rechten Winkel von sich. Er packte Knie und Hals des Zwerges für einen Klammergriff. Aber Brom war ein bißchen schneller. Sein rechter Arm schlang sich wie eine Zwinge um Rods linken Ellbogen.

Rods Rücken krümmte sich vor Schmerzen. Es blieb ihm nur eines übrig, mit der Linken loszulassen, wollte er nicht vor Schmerzen das Bewußtsein verlieren. Aber Rod ging die Chance ein und verließ sich auf sein Durchhaltevermögen. Er verstärkte seinen Griff um Broms Hals. Der Troll brummte erstaunt: „Ein anderer hätte vor Schmerz gewimmert und sich in Sicherheit gebracht, Rod Gallowglass.“ Er zog die Knie ein und sein Fuß glitt Rods Brust hoch unter dessen Kinn und drückte.

Ein würgender Laut entrang sich Rods Kehle. Ein stechender Schmerz bohrte sich in seinen Nacken, als die Rückenwirbel gegeneinander schabten. Wieder senkte sich tiefe Nacht auf ihn herab und erneut funkelten die Sterne vor seinen Augen. „Du mußt mich jetzt loslassen, Gallowglass“, murmelte Brom, „wenn du nicht das Bewußtsein verlieren willst.“ Mußte diese verdammte halbe Portion immer recht haben? Rod löste den Griff und kam mit den Armen auf dem Boden auf. Als er sich schwankend auf die Füße hob, klang ein kehliges Kichern in seine Ohren, denn Brom hatte seinen Griff um Rods Arm nicht gelockert, sondern auch noch seinen anderen Arm um Rods Hals geschlungen, und so zog er ihn mit seinem Gewicht zu Boden. Als Broms Füße den Boden berührten, versetzte er Rod einen heftigen Stoß, daß er rückwärts taumelte. Rod fiel, aber wieder übernahm seine Reaktion. Er zog das Kinn an und milderte seinen Sturz mit den Unterarmen.

Brom jubelte vergnügt, als er sah, daß Rod immer noch bei Bewußtsein war, und sprang. Rod hielt das bißchen Luft an, das ihm noch geblieben war und stieß mit den Füßen zu. Er traf

Brom geradewegs in den Bauch, packte den durch die Luft schlagenden Arm, schob, und ließ den Arm los. Brom schlug einen Salto und segelte fünf Meter über Rod hinweg. Aber wie üblich landete er auf den weichen Ballen. Mit schallendem Gelächter wirbelte er herum. „Gut, Junge, sehr gut, aber nicht gut genug!“

Rod war inzwischen wieder auf den Beinen. Er keuchte und schüttelte den Kopf. Brom hopste auf ihn zu und sprang. Rod duckte sich ganz tief, in der Hoffnung, daß Brom ihn vielleicht ausnahmsweise doch verfehlen würde. Aber der lange Arm des Trolles holte aus und erwischte Rod an der Kehle. Der stämmige kurze Körper schwang herum und landete zwischen Rods Schultern. Ein Fuß stemmte sich gegen Rods Nacken und beide Arme um den Hals zogen den Kopf nach hinten. Rod gurgelte, richtete sich auf, und bog sich unter Broms Zug weit zurück. Er packte die Unterarme des Zwerges. Dann beugte er sich rasch nach vorn und zog an Broms Armen. Brom sauste über Rods Kopf, schlug einen Purzelbaum und landete juchzend auf den Füßen. „Gut gemacht, Junge! Gut gemacht!“

Er drehte sich um, immer noch mit koboldhafter Miene. „Aber mir wird dieses Spiel leid. Laßt uns ein Ende damit machen.“ „Ve-versuch's doch!“ keuchte Rod.

Brom kam geduckt herbei, stieß die langen Arme vor, um nach Rods Knie zu greifen. Rod schlug seine Rechte nach unten, um Broms Versuch abzuwehren, dann warf er seine Linke um die Schulter des Trolles, um ihn so zu stoßen, daß er das Gleichgewicht verlor, aber irgendwie hatten des Zwerges Hände sich wieder um Rods Hals gelegt. Rod richtete sich auf und bemühte sich, den Troll abzuwerfen, indem er mit der Handkante gegen seine Ellbogen hieb. Aber der Griff des Zwerges verstärkte sich nur.

Brom stieß mit den Beinen zu und warf sein ganzes Gewicht vorwärts. Rod taumelte und sah den Boden auf sich

zukommen. Brom sprang an ihm vorbei und packte ihn am Fuß. Rod machte eine Bauchlandung, aber er konnte sich, indem er seinen Arm vorstreckte, davor bewahren, daß sein Kopf auf dem Steinboden aufschlug. Er versuchte sich aufzusetzen, doch jemand mußte ihm einen Mühlstein auf die Schultern gebunden haben, und eine Schlange wand sich unter seinen linken Arm und drückte auf den Nacken. Er bemühte sich, diesen Halbnelson zu brechen, aber da legte sich eine Zwinge um sein rechtes Handgelenk und zog es rückwärts hoch.

„Gib auf, Junge“, brummte Broms Stimme in sein Ohr. „Du wirst mich nicht los!“ Doch Rod unterdrückte mit zusammengepreßten Zähnen den Schmerz. Irgendwie gelang es ihm, auf die Füße zu kommen. Er strengte sich an, den Zwerg abzuschütteln, aber Broms Beine klammerten sich um seine Mitte.

„Ich sagte dir doch, daß du mich nicht los wirst“, murmelte der Troll. Rod schüttelte sich wie ein Terrier, aber Brom hielt sich fest wie eine Bulldogge. Einen Augenblick dachte Rod daran, sich auf den Boden zu werfen und den Elf unter sich zu zerquetschen, denn es war bitter, sich von einem Mann von nur einem Drittel seiner eigenen Größe schlagen zu lassen. Aber er wies diesen Gedanken rasch von sich, denn Brom hätte ihm während ihres Kampfes mehr als nur einmal einen nicht weniger gemeinen Trick spielen können, doch er war offenbar für absolute Fairneß, und er, Rod, würde sich schließlich nicht von einem Zwerg beschämen lassen!

„Gib endlich auf, Mann!“ knurrte Brom und zog Rods Hand noch weiter zum Nacken hoch und dann drückte er hart auf Rods Hinterkopf, bis das Kinn das Schlüsselbein berührte. Rod ächzte und taumelte nach vorn. Hastig streckte er ein Bein aus, um nicht zu fallen. Der Schmerz im Rücken und Hals war unerträglich, er bekam keine Luft mehr. Auf seltsam unbeteiligte Art bemerkte er, daß es plötzlich Nacht wurde und

die Sterne vom Himmel stürzten.

Wasser platschte kalt auf sein Gesicht. Eine Flasche wurde an seine Lippen gedrückt und Flüssigkeit sickerte über seine Zunge und in den Bauch, wo sie brennend explodierte. Er schüttelte den Kopf und spürte harten Stein unter sich.

Stimmen echoten in seinem Schädel. Er hob die Lider und sah ein rundes Gesicht von zottligen schwarzen Locken und dichtem Bart eingerahmt. Eine Stimme donnerte in seinen Ohren: „Es ist ein wahres Wunder, Sir Maris. Er hat mir ganz schön zu schaffen gemacht!“

Ein starker Arm schob sich unter Rods Kopf und Schultern.

Toms besorgtes rundes Gesicht schwamm vor seinen Augen.

Und ihm folgte Broms.

„Hast dich tapfer gehalten, Junge“, polterte der Zwerg. „Einen solchen Kampf genoß ich nicht mehr, seit ich zum Mann wurde.“ Er streckte Rod die Hand entgegen. Rod drückte sie und versuchte zu grinsen. Und dann beugte sich Sir Maris über ihn und half ihm auf die Füße. „Kommt, Junge! Steht stramm, denn Ihr seid jetzt Soldat in der Armee der Königin!“

„Hah hah!“ donnerte Brom, der schon wieder auf dem Querbalken saß. „Nein, Sir Maris. Ich erhebe Anspruch auf ihn als Leibwächter der Königin!“

„Nein, verdammt, Tom, geh weg mit dem Ding!“

„Aber, Meister!“ Tom rannte Rod nach und hielt den Brustpanzer hoch. „Ihr braucht ihn, um Euch vor Pfeilen und Schwerthieben zu schützen!“

„Schwerter kann ich mit meiner Klinge abwehren, und Pfeilen ausweichen. Und gegen Armbrustbolzen nutzt das Zeug ohnehin nichts. Nein, Tom, es würde mich nur behindern!“

„Was!“ donnerte Brom O'Berin, und stützte die Fäuste auf die Hüften. „Du willst der Königin Uniform nicht tragen?“

„Das tu ich erst, wenn du es tust, du scheckiger Wicht!“

Der Troll grinste. „Du scheinst zu vergessen, daß du Soldat

bist, ich dagegen bin Hofnarr, der bunt gekleidet sein muß. Aber ich dachte mir schon, daß du den Brustpanzer nicht tragen willst. Dann schlüpf zumindest in das.“ Er warf Rod etwas silbern Glitzerndes zu.

Rod musterte das feingliedrige Kettenhemd mißtrauisch, doch dann schlüpfte er hinein. „Paßt gar nicht so schlecht“, brummte er. „Woher wußtest du, daß ich mich nicht in dieses eiserne Gefängnis pressen lassen würde?“

Brom kicherte. „Habe ich nicht mit dir gekämpft, Rod Gallowglass? Und es war nur gut, daß du es auf meine Weise tatest!“ Ernst fuhr er fort: „Es war mir gleich klar, daß du genausowenig einen so beengenden Panzer tragen würdest wie ich.“

Rod studierte das bärtige Gesicht mit gerunzelter Stirn. „Du traust mir immer noch nicht ganz, hm?“ „Rod Gallowglass“, erwiderte der Elf. „Ich traue keinem Menschen — und einem Leibwächter der Königin erst dann, wenn er sein Leben für sie gegeben hat!“ „Und wie viele sind das bis jetzt?“ „Sieben im vergangenen Jahr“, brummte Brom. Rod lächelte grimmig und schlüpfte in das silbern und purpurfarbige Wams, die Uniform der Leibwache. „Ich werde also die Ehre haben, den Vorkoster Ihre Majestät zu machen, eh?“

„Nein!“ knurrte der Zwerg. „Dieses Vergnügen steht allein mir zu.“

Rod schwieg einen Moment. Er warf sich den purpurnen Umhang über. „Aber du lebst immer noch.“ Brom nickte. „Obgleich ich mehrmals erkrankte, lebensgefährlich, mein Junge. Aber offenbar habe ich das Talent, Gift am Geschmack zu erkennen, ohne gleich mit meinem Tod den Beweis liefern zu müssen.“ Er grinste. „Schau nicht so düster drein. Du wirst dich lediglich mit Schwertern auseinandersetzen und hin und wieder einem heimtückischen Armbrustbolzen ausweichen müssen. Also, Kopf hoch!“

„Oh, ich kann es kaum erwarten“, versicherte ihm Rod ironisch.

„So, und jetzt zur Ratskammer der Königin. Ich werde dich in deine Pflichten einweisen.“ Er drehte sich um. „Und du, Tom, marsch in die Kaserne mit dir. Dein Herr wird dich rufen, wenn er dich braucht.“

Tom blickte Rod fragend an. Rod nickte.

Um den Tisch aus poliertem Nußbaum hatten die zwölf Hohen Lords des Reiches Platz genommen: Der Herzog di Medici, der Graf von Romanoff, der Herzog von Gloucester, Prinz Borgia, Graf Marschall, Herzog Steward, der Herzog von Bourbon, Prinz Habsburg, Graf Tudor, Baron Ruddigore, der Herzog von Savoyen, und der grauhaarige Herzog Loguire. Alle waren anwesend, außer der Königin, Catherine Plantagenet. Neben jedem der Hohen Lords saß ein drahtiger, runzeliger kleiner Greis mit funkelnden blauen Augen und ein paar dünnen, weißen, über den ledrigen Schädel verteilten Haarsträhnen.

Ratgeber? fragte sich Rod. Merkwürdig, daß sie sich alle so sehr ähneln…

Ein Trommelwirbel erschallte. Alle erhoben sich. Die gewaltigen Flügel der Osttür schwangen weit auf, und Catherine betrat die Ratskammer. Rod an der Westtür konnte sie genau sehen — und sein Herz setzte einen Schlag aus.

Platinblondes, fast silbernes Haar umrahmte ein feingeschnittenes Schmollgesicht mit großen blauen Augen und Lippen wie Rosenknospen. Das hautenge Seidengewand betonte die kleinen, noch nicht vollentwickelten Brüste des kindhaften Körpers.

Sie ließ sich auf dem leeren Stuhl am Kopfende des Tisches nieder, und Brom O'Berin hüpfte an einen Hocker zu ihrer Rechten. Ihr gegenüber am anderen Tischende saß Herzog Loguire, der ungeduldig seinen ihm etwas zuflüsternden Ratgeber abwehrte.

Brom O'Berin winkte dem Herold zu, der laut rief: „Die Hohen und Großen des Landes Gramayre sind hiermit versammelt.

Mögen alle, die Beschwerden vorzubringen haben, sie nun äußern.“

Herzog Bourbon hüstelte verlegen. Brom wandte sich ihm zu.

„Mein Lord Bourbon“, forderte er ihn auf. „Möchtet Ihr das Wort an Ihre Majestät richten?“

Zögernd erhob sich der Herzog. „Eure Majestät, meine Lords!“

Er straffte die Schultern. „Ich muß Protest erheben!“

Catherine legte ihren Kopf so weit zurück, daß der Eindruck entstand, sie schaue auf den hochgewachsenen Edlen herab.

„Wogegen erhebt Ihr Protest, Mylord?“

Herzog Bourbon schaute auf die Nußbaumtischplatte. „Seit unsere Vorfahren von jenseits der Sterne kamen, unterstanden die Bauern ihren Lords, und die Lords den Hohen Lords, diese wiederum dem König — der Königin“, verbesserte er sich mit einer Verbeugung vor der Monarchin.

Catherines Lippen wurden zu dünnen Strichen, aber sie behielt ihre Haltung.

„Das“, fuhr der Herzog fort, „ist die natürliche Ordnung der Dinge. Doch nun wollen Eure Majestät diese Ordnung umstoßen, entgegen der Tradition Eures Vaters, edle Königin, und dessen Vaters und aller Eurer Vorfahren bis zum Anbeginn des Hauses Plantagenet. Ihr setzt Richter ein, die auf unseren Domänen, über unseren Kopf hinweg, sogenannte Gerechtigkeit walten lassen. Ich persönlich kann mich nicht mit diesem, Eurem bürgerlichen Unterling abfinden, der glaubt, in meinem eigenen Palast bestimmen zu können!“ Er schloß fast brüllend und starrte die Königin mit rotem Gesicht an.

„Seid Ihr fertig?“ fragte Catherine mit einem Ton, den sie für solche Gelegenheiten auf Eis gelegt hatte.

Langsam verbeugte sich der Herzog. „Jawohl, Eure Majestät“, murmelte er und setzte sich wieder.

Catherine schloß flüchtig die Lider, dann schaute sie Brom

O'Berin kaum merklich nickend an.

Brom erhob sich. „Schließt einer sich diesem Protest des Hohen Lords, Herzog Bourbon, an?“ Ein junger Mann mit feurig rotem Haar sprang auf. „Ich unterstütze meinen Vorredner in allem, was er hier zur Sprache brachte. Ich möchte auch noch hinzufügen, daß die Königin gut daran täte, die Möglichkeit von Korruption in Betracht zu ziehen, denn ein Mann ohne Ländereien, Mittel und altem Namen mag leicht in Versuchung kommen, seine Gerechtigkeit zu verkaufen.“ „Sollte es dazu kommen, würden diejenigen, die sich schuldig erweisen, von den höchsten Galgen baumeln, und die, denen sie Unrecht zugefügt haben, erhalten das Recht, ihre Henker zu sein.“ Catherines Augen hielten die des jungen Edlen, bis Brom O'Berin brummte: „Vielen Dank, Savoyen.“ Der Rothaarige setzte sich.

„Wer unterstützt die Hohen Lords Bourbon und Savoyen?“ Einer nach dem anderen der zehn übrigen Lords erhob sich. Der Rat der Königin war einstimmig gegen sie. Sie schloß erneut flüchtig die Lider und preßte die Lippen zusammen. Schließlich ließ sie ihren Blick über die Anwesenden wandern. „Meine Lords, eure Opposition gegen meine Gerechtigkeit schmerzt mich.“ Sie lächelte sie bitter an. „Ich danke euch für euren ehrlichen Rat, doch wird sich nichts an meinem Entschluß ändern. Meine Richter bleiben auf euren Ländereien.“

Die Edlen murmelten einander mit leisen, rauhen Stimmen zu. Sie wirkten wie ein großes, ruheloses Raubtier. Der alte Herzog Loguire erhob sich und stützte sich schwer auf die Tischplatte. „Meine Königin“, sagte er. „Bedenkt, selbst Monarchen können Fehlentscheidungen treffen, und Ihr übt die Regierungsgewalt noch nicht sehr lange aus. Bekanntermaßen erlangen viele Köpfe eine größere Einsicht als ein Kopf allein, und hier stehen zwölf Männer aus den ältesten, ehrbaren Familien, die in der Staatskunst erfahren und weise in ihren

Jahren sind, gegen Eure Meinung. Werdet Ihr auch weiterhin auf Eurem Kurs verharren, obgleich so viele keinen Zweifel hegen, daß er falsch ist?“

Catherines Gesicht war fast leichenblaß, und ihre Augen funkelten. „Das werde ich“, erklärte sie ruhig. „Doch rief ich euch heute aus einem anderen Grund zusammen“, fuhr sie mit einem Lächeln fort, das fast eine Spur boshaft wirkte. Erschrocken ruckten die Köpfe rund um den Tisch hoch. Brom O'Berin wirkte noch erstaunter als die anderen. Offensichtlich hatte Catherine sich nicht einmal mit ihrem Oberratgeber besprochen. Jeder der Hohen Lords bückte sich hastig zu ein paar kurzen geflüsterten Worten mit seinem eigenen Ratgeber, und der ursprünglich erschrockene Ausdruck wurde zu dumpfem Ärger.

„Auf jeder eurer Ländereien befindet sich ein Kloster. Ihr habt die Priester für die Gemeinden eurer Domänen immer aus euren eigenen Klöstern ernannt. Ich werde die besten Theologen aus allen Klöstern hier auf der Burg versammeln, und ersuche euch, mir junge Brüder, einen für jede Gemeinde, aus euren Klöstern zu schicken, damit sie von meinen Mönchen ausgebildet werden können. Sollte ich bei dem einen oder anderen nicht mit eurer Wahl einverstanden sein, sende ich die Betreffenden zurück, und ihr habt andere hierher zu beordern. Wenn sie ihr Studium beendet und ihren Eid geleistet haben, werden sie als die Priester eurer Gemeinden zu euch zurückkehren.“

Die Hohen Lords sprangen auf die Füße, brüllten durcheinander und hieben mit den Fäusten auf den Tisch. „Genug! Seid still!“ Catherines Stimme klang wie ein Peitschenknall.

Die Hohen Lords setzten sich wieder und schwiegen verbissen, aber die Augen ihrer Ratgeber leuchteten auf, und jeder schien ein Grinsen zu unterdrücken. „Ich habe gesprochen, und es wird geschehen, wie ich es bestimme!“ erklärte Catherine mit eisiger Stimme. Zitternd erhob sich der alte Lord Loguire. „Aber, Eure Majestät, wollt Ihr nicht…“ „Nein!“

Brom O'Berin räusperte sich. „Wenn Eure Majestät, gestatten…“ „Nein!“

Schweigen senkte sich herab. Wieder wanderte der Blick der Königin über ihre Edlen, dann neigte sie den Kopf und sagte: „Mein Lord Loguire.“

Der alte Aristokrat erhob sich, die Zähne hinter dem graumelierten Bart fest zusammengebissen und die Hände zu zitternden Fäusten geballt. Er zog den großen, throngleichen vergoldeten Sessel zurück, und Catherine erhob sich. Dann kehrte er zu seinem Platz zurück. Catherine drehte sich um, die große Eichentür schwang auf, und Soldaten ihrer Leibgarde reihten sich vor und hinter ihr ein. An der Tür blieb die Königin stehen. „Meine Herren, überlegt es euch und stimmt zu, denn ihr könnt euch nicht gegen mich stellen!“ „Es ist doch genau das klassische Muster, bis zum letzten Schrei wütenden Aufbegehrens!“ Rod ritt nach Beendigung seines Dienstes mit Gekab zum Gasthof, um ein bißchen Klatsch und eine Menge Bier zu sich zu nehmen. Tom war zurückgeblieben und hatte den Befehl, seine Ohren offenzuhalten.

„Ich kann Ihnen nicht völlig beipflichten, Rod. Es ist wohl das klassische Muster, aber da ist noch etwas Zusätzliches.“ „Pah! Es ist ein simpler, verfrühter Versuch der Zentralisierung der Macht. Catherine will Gramayre unter ein Gesetz und einen Herrscher stellen, statt länger unter zwölf fast souveräne Herzogtümer. Die Erstellung der Richter ist nichts anderes. Ich wette mit dir, zumindest zehn der zwölf Hohen Lords haben in ihren Domänen den lieben Gott gespielt. Zweifellos haben sie sich nicht mit einem Zehnt zufriedengegeben, und sich das

Recht auf jede Frau ihrer Leibeigenen genommen. Catherine ist eine Reformerin, die versucht, alle Mißstände, derer sie sich bewußt ist, dadurch zu beheben, daß sie sich zum einzigen Gesetz auf Gramayre macht — doch sie wird es nicht schaffen.

Die Lords werden es nicht zulassen. Mit den Richtern wäre sie vermutlich gerade noch durchgekommen, aber die Sache mit den Priestern wird zur Rebellion führen. In dieser Art von Gesellschaft haben die Priester mehr Einfluß auf das Volk als sonst irgend jemand. Und wenn sie in Zukunft nur noch ihr unterstehen, haben die Adeligen überhaupt nichts mehr zu sagen, und das wissen sie. Und das werden sie sich nicht ohne Kampf gefallen lassen.“

„Soweit pflichte ich Ihnen bei“, sagte der Roboter. „Das ist auch noch das klassische Muster, ähnlich dem Versuch des englischen Königs Johann L, der die Nation zentralisieren wollte, ehe ein solches Projekt hoffen konnte, mit Erfolg gekrönt zu werden.“

Rod nickte. „Und wir können hoffen, daß genau wie Johanns Barone die Hohen Lords auf eine Magna Charta libertatum bestehen werden.“

„Aber…“

„Aber was, Gekab?“ fragte Rod mit märtyrergleicher Geduld.

„Es gibt das fremde Element: eine Gruppe von Ratgebern der Hohen Lords — eine Gruppe, die ausgesprochen kohäsiv zu sein scheint.“

Rod runzelte die Stirn. „Stimmt.“

„Und was Sie mir von der Szene nach Catherines Verlassen der Ratskammer erzählt haben…“

„Puh!“ Rod schauderte. „Es war, als hätte sie ihnen den Fehdehandschuh zugeworfen, und alle stürzten sich darauf, um in die Ehre zu kommen, ihn aufheben zu dürfen. Das Mädchen mag zwar ein wenig von den Grundbegriffen der Staatswissenschaft verstehen, aber absolut nichts von Diplomatie. Sie forderte sie heraus, ohne wirklich zu glauben, daß sie es wagen würden, sich gegen sie zu stellen.“ „Ja, und die Ratgeber machten ihre Sache großartig. Jeder riet seinem Lord, nicht zu kämpfen, da er zu schwach sei — um ihn dann diplomatisch darauf aufmerksam zu machen, wenn es schon sein müßte, sollte er sich mit den anderen Lords verbünden. Fachmännisch angewandte Psychologie. Man könnte annehmen, die Ratgeber legten es darauf an, die zentrale Befehlsgewalt völlig zu eliminieren.“

„Ja…“ Rod runzelte die Stirn. „Das ist in einer solchen Gesellschaftsordnung nicht normal, nicht wahr, Gekab?“ „Allerdings nicht, Rod. Die Anarchietheorie ergibt sich gewöhnlich erst, wenn die Kultur einen weit höheren Stand der Technologie erreicht hat.“

Rod kaute an seiner Lippe. „Außerplanetarer Einfluß, vielleicht?“

„Möglich. Und das führt uns zu der totalitären Volksbewegung: eine weitere Anomalie. Nein, Rod, das ist nicht das klassische Muster!“

„Nein, verdammt. Wir haben drei Gruppen, die auf die Macht aus sind: die Bauern, die Herzöge und ihre Ratgeber, und die Königin und wer immer sie unterstützt. Im Augenblick scheint diese Unterstützung sich auf Brom O'Berin zu beschränken.“ „Totalitaristen, Anarchisten, und die Königin in der Mitte“, brummte Gekab. „Auf wessen Seite sind Sie, Rod?“ „Auf Catherines, zum Teufel!“ Rod grinste. „Ich bin hier, um die Saat der Demokratie auszustreuen, und es sieht ganz so aus, als wäre die einzige Chance, sie zum Keimen zu bringen, einer konstitutionellen Monarchie auf die Beine zu helfen.“ „Ich kann mich vielleicht täuschen“, murmelte Gekab. „Aber ich glaube, Sie sind höchst erfreut, daß Ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als sie zu unterstützen.“ Um sie herum dämpfte nächtlicher Dunst die wenigen Lichter. Die Nebelwand befand sich lediglich etwa zehn Meter entfernt. Ein schriller Schrei zerriß die Luft, gefolgt von Schwerterklirren. „Hilfe! Zu Hilfe!“ brüllte eine jugendliche Stimme.

Rod stieß die Fersen in Gekabs Metallflanken und legte die Hand um sein Rapier. Der Rappe galoppierte auf den Lärm zu.

Unter dem rauchigen Fackelschein in einer Gassenmündung kämpfte ein Mann mit dem Rücken zur Hauswand gegen drei Angreifer.

Rod brüllte. Er lenkte das Pferd mitten hinein und hieb mit der flachen Degenklinge um sich. Gerade noch rechtzeitig riß er den Dolch heraus, um ein Schwert abzuwehren, das von links auf ihn zukam. Sein Rapier schwang im Bogen um seinen Kopf und klirrte gegen den Stahl des Gegners. Und dann drangen Klingenspitzen von allen Seiten auf ihn ein. Rod wurde in die Defensive gedrängt und mußte die Stahlwaffen wie Fliegen von sich schlagen. Aber das beabsichtigte Opfer stieß einen schrillen Schrei aus, der jedes Kettengespenst beschämt hätte, und griff von hinten an.

Plötzlich klirrten drei Klingen auf den Boden, und ihre Besitzer ergriffen das Hasenpanier. Einen Augenblick blieb Rod wie benommen sitzen, dann brüllte er auf, und Gekab raste den Fliehenden nach.

Aber als er das dunkle Ende der Gasse erreichte, war nichts mehr von den Fliehenden zu sehen, obwohl es sich um eine Sackgasse handelte. Zweifellos waren sie hinter irgendwelchen Türen verschwunden. Ihr Opfer, das es nicht geworden war, kam herbeigerannt. „Keinen Sinn, sie zu suchen“, keuchte der Mann. „In fünf Minuten sind sie schon genau so viele Meilen entfernt.“

Rod fluchte und schob sein Rapier in die Scheide zurück. Er wandte sich dem Fremden zu. „Seid Ihr verletzt?“

„Nein“, murmelte der junge Mann. Rod blickte auf ein offenes Gesicht mit Stupsnase, blauen Augen und einem Grinsen hinab, das wie die Sonne durch den Nebel schien. Blondes Haar rahmte es in all seiner Unschuld ein. Es war ein sehr junges, unerfahren wirkendes Gesicht, — und sehr gutaussehend.

Fast ein wenig neidvoll schwang Rod sich aus dem Sattel. Die Stirn des jungen Mannes reichte bis etwa zu Rods Augen, aber was ihm an Größe fehlte, machte er durch Breite wett. Seine Schultern waren bestimmt um gute fünfzehn Zentimeter breiter als Rods, und die Arme hätten zu einem Gorilla oder Bären gepaßt. Die Beine waren ungemein stämmig und verliefen in schmalen Hüften. Er trug ein Lederwams über einem weißen Hemd, einen breiten schwarzen Gürtel, und hochschäftige Stiefel aus weichem Leder.

Er runzelte die Stirn, als er das Blut an Rods Ärmel bemerkte.

„Ihr seid verletzt!“

„Ein Kratzer“, beruhigte ihn Rod. Er fummelte in Gekabs Satteltasche nach einer antiseptischen Binde und wickelte sie um den Unterarm. „Aber Ihr dürft gern die Schneiderrechnung bezahlen, wenn Ihr wollt“.

Der Jüngling nickte, und seine blauen Augen wirkten sehr ernst. „Das tue ich nur zu gern, denn sie hätten l mir das Herz aus der Brust geschnitten, wärt Ihr nicht gerade noch rechtzeitig zu meiner Rettung gekommen, Tuan McReady steht zutiefst in Eurer Schuld.“

Ein anständiger Junge, dachte Rod und streckte ihm die Hand entgegen. „Rod Gallowglass zu Euren Diensten, und von Schuld kann keine Rede sein. Ich freue mich immer, einem gegen drei beistehen zu können.“

„Aber ich stehe in Eurer Schuld“, erklärte der Junge und nahm Rods Hand wie in einen Schraubstock. „Ihr müßt mir zumindest gestatten, Euch einen Krug Bier zu kaufen.“

Rod zuckte die Schultern. „Warum nicht? Ich war ohnehin auf dem Weg in eine Schenke. Kommt doch mit.“

Zu seiner Überraschung zögerte Tuan. „Verzeiht, mein guter Herr Gallowglass — es gibt nur eine in dieser Stadt, in der ich willkommen bin. Alle anderen lehnen meine Art zu leben ab, und…“ Das runde Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. „… sie gefällt den Spießbürgern nicht so recht.“

Rod nickte. „Na schön, ein Wirtshaus ist so gut wie jedes andere.“

Der Stadtteil, in den Tuan ihn führte, paßte nicht so ganz zu seinen guten Manieren und seinem sauberen Aussehen. Auch die Schenke selbst sah nicht sehr vertrauenswürdig aus. Sie erweckte den Eindruck, als würde sie beim nächsten Windstoß zusammenbrechen. Die Fenster waren mit wurmzerfressenen, morschen Brettern verschlossen, nur die schwere Eichentür wirkte massiv, und selbst sie hing schief in den Angeln.

„Ah, hier hat man also nichts gegen Eure Lebensweise einzuwenden?“ fragte Rod, als Tuan mit dem Dolchgriff an die Tür klopfte.

„Sagen wir, sie dulden sie, obgleich man mich auch hier manchmal lieber gehen als kommen sieht.“

Rod lief es kalt über den Rücken. Er fragte sich, welche Art von Mensch dieser junge Bursche war.

Tuan klopfte noch einmal. Endlich öffnete sich die Tür knarrend, aber nur so weit, daß sie gerade hindurchschlüpfen konnten.

„Unser Gastgeber“, sagte Tuan grinsend. „Der Spötter.“

Die bucklige, knorrige, schrumpelige Travestie eines Mannes stieß ein paar unverständliche Laute aus. Ein Ohr war deformiert, das andere überhaupt nicht mehr vorhanden, die Augen über der Knollennase waren schmale Schlitze, die boshaft glitzerten. Gekleidet war der Mann in Flicken und Fetzen, die vielleicht einmal Wams und Hose gewesen sein mochten und jetzt lose von der Vogelscheuchengestalt herabhingen.

Er eilte zurück in die stinkende Dunkelheit seines Baues. Tuan folgte ihm. Rod holte noch einmal tief frische Luft, straffte die Schultern und schaute sich um, um sich zu vergewissern, daß Gekab seinen Posten vor dem Haus bezogen hatte.

Die Tür schloß sich hinter Rod, und fast gleichzeitig öffnete sich am anderen Ende des Ganges eine zweite. Rod riß die Augen auf. Eine riesige Schenkstube, schon fast ein Rittersaal, befand sich dahinter mit vier hell flackernden Feuern und vielen Dutzenden von Fackeln in Wandhalterungen. Köstlich duftendes Fleisch brutzelte an Spießen über den Feuern, Schenkburschen bahnten sich einen Weg durch die Menge mit Krügen und Bechern voll Bier und Wein aus zwei riesigen Fässern, die einen großen Teil der Wand einnahmen. Die Gäste waren der Abschaum der hiesigen Gesellschaft. Ihre Kleidung war mit Flicken besetzt, zerris sen und schmutzig. Sie selbst waren Beweis der primitiven Gerechtigkeit dieser Stadt: einem fehlte ein Ohr, dem anderen ein Auge. Ihre Gesichter waren von Krankheiten gezeichnet und verunstaltet. Doch hier unter sich waren sie laut und fröhlich. Alle grinsten, obgleich die Bosheit aus ihren Augen funkelte, als sie Rod betrachteten. Sie allerdings verschwand schlagartig beim Anblick des jungen Tuans und machte etwas Platz, das Verehrung sehr nahe kam. Der Junge lächelte. „Man sagt, daß es keine Ehre unter Dieben gäbe, doch zumindest gibt es etwas wie eine Seelenverwandtschaft zwischen den Bettlern von Gramayre. Willkommen, Rod Gallowglass, im Haus Clovis.“ Die Härchen an Rods Nacken stellten sich auf. Er erinnerte sich des Mobs in der Kaigegend am vergangenen Abend. Seine Augen weiteten sich. Er starrte Tuan an. Er konnte es doch nicht sein. Nein, er konnte nicht…

O doch. Er war es! Tuan McReady war der junge Redner, der die Meute aufgewiegelt hatte. Dieser hübsche Junge mit den Apfelbäckchen war die Oberratte in den hiesigen Abwasserkanälen.

Die Menge brach in Jubelrufe aus und hieß ihren Sir Galahad willkommen. Der Junge grinste und winkte freundlich. Sein Gesicht hatte sich rot gefärbt. Es sah ganz so aus, als machte dieser Empfang ihn verlegen. Er hatte keinen Ton zu dem Spötter gesagt, aber kaum saßen sie, wurden ihm auch schon

zwei dampfende Krüge mit Glühwein vorgesetzt. Wortlos und ohne Bezahlung zu verlangen, zog der Wirt sich wieder zurück.

Rod blickte ihm mit einer erhobenen Braue nach. „Ihr benutzt kein Geld hier?“ fragte er Tuan.

„Nein.“ Der Junge lächelte. „Alle, die zum Haus Clovis kommen, bringen das bißchen Geld mit, das sie haben. Es wird in eine gemeinsame Kasse gegeben, und alle erhalten kostenlos Fleisch und Wein nach ihren Bedürfnissen.“

„Und einen Platz zum Schlafen, nehme ich an?“

„Ja, und Kleidung. Ein Gentleman würde darüber die Nase rümpfen, aber für meine armen Brüder sind es ungeahnte Herrlichkeiten.“

Rod studierte das Gesicht des Jungen und kam zu der Überzeugung, daß er es ernst gemeint hatte, als er Brüder sagte.

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Beine. „Würdet Ihr Euch als religiös bezeichnen?“

„Ich?“ Tuan versuchte ein Lachen zurückzuhalten, aber es gelang ihm nicht ganz. „O nein! Ich wollte, ich wäre es, aber ich habe fünf Dutzend und mehr Sonntage keine Kirche von innen gesehen.“

Also, dachte Rod, waren seine Motive, den Armen zu helfen -

was immer sie auch sonst sein mochten —, jedenfalls nicht heuchlerisch. Er schaute in seinen Krug. „Ihr versorgt und kleidet also all diese Menschen mit den Almosen, die sie euch bringen?“

„Nein, es ist nur ein Anfang. Aber bei so vielen ernsthaften Beweisen unseres guten Willens fand unsere edle Königin uns einer Unterstützung würdig.“

Rod sperrte die Augen auf. „Ihr wollt damit sagen, daß die Königin euch allen unter die Arme greift?“

Tun grinste verschmitzt. „O ja, obgleich sie selbst es nicht weiß, wem sie hilft. Sie kennt das Haus Clovis nur dem Namen nach und gibt dem guten Brom O'Berin Geld, damit er für ihre

Armen sorgt.“

„Und Brom gibt es Euch?“

„Richtig. Und er seinerseits ist froh darüber, daß es weniger Meuchelmorde und Raub in den dunklen Gassen gibt.“

„Sehr schlau! Und es war Eure Idee?“

„O nein, die des Spötters, aber auf ihn wollte niemand hören.“

Rod starrte ihn an. „Der Spötter? Ihr meint, dieser, Verwachsene aus einer schlechten Schmierenkomödie ist der Anführer des Ganzen?“

Tuan runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Niemand will ihm folgen, Freund Gallowglass, es ist nichts Respekteinflößendes an ihm. Er ist der Wirt, der die Sachen verteilt, wie sie benötigt werden — nur ein Verweser, sozusagen, aber ein sehr guter. Einen besseren Kämmerer als ihn findet man nicht so leicht. Selbst der Schatzmeister der Königin kann ihm nicht das Wasser reichen.“

„Ich verstehe, nur ein Verweser.“ Aber auch der Mann, der die Finanzen verwaltet, fügte Rod in Gedanken hinzu. Und ebenfalls der Kopf des Ganzen. Tuan mag zwar mit Menschen umzugehen verstehen und sie dazu bringen, zu tun, was er will — aber weiß er überhaupt, was er will? Ja, natürlich, denn hatte der Spötter ihn nicht aufgeklärt? Was wiederum den Spötter zum wirtschaftspolitischen Mann im Hintergrund macht, und vermutlich verfaßt er auch Tuans Reden.

Rod lehnte sich zurück und rieb das Kinn. „Und Ihr schafft es, mit lediglich den Almosen, die die Bettler herbeibringen, und den Groschen der Königin, diesen dekadenten Luxus zu verschaffen?“

Tuan grinste ein wenig dämlich und beugte sich nickend vor.

„Aber es ist nicht einfach, Freund Gallowglass. Diese Bettler lassen sich nicht gern von irgend jemandem herumkommandieren. Es ist wahrhaftig nicht einfach, sie zu überreden, ihnen zu drohen, zu schmeicheln. Aber es ist die Mühe wert.“

Rod nickte. „Dazu gehört ein Mann ohne falschen Stolz und mit noch weniger falscher Bescheidenheit — einer, der seinen Mitmenschen ins Herz schauen kann.“

Tuan errötete.

„Ein solcher Mann“, fuhr Rod fort, „kann sich zum König der Bettler machen.“

Der Junge schüttelte mit geschlossenen Lidern den Kopf.

„Nein, es gibt hier keinen König, Freund Gallowglass!

Lediglich vielleicht einen Hausherrn.“

„Und Ihr wollt nicht König sein?“

„Das würden die Bettler sich nicht gefallen lassen.“

„So meinte ich es auch nicht.“

Tuan blickte Rod in die Augen. Das Lächeln schwand von seinem jungenhaften Gesicht. Als ihm die Bedeutung von Rods Worten klar wurde, verhärteten sich seine Züge. „Nein!“ sagte er grimmig. „Ich habe nicht vor, den Thron an mich zu reißen!“

„Warum wollt Ihr dann die Bettler gegen die Königin führen?“

Wieder überzog das jungenhafte Lächeln Tuans Gesicht. Er wirkte sehr selbstzufrieden. „Ah, dann wißt Ihr von meinem Komplott, und ich kann Euch offen heraus fragen: Schließt Ihr Euch uns an, wenn wir zur Burg marschieren?“

Rods Miene erstarrte, aber seine Stimme klang völlig ruhig.

„Weshalb ich?“

„Wir möchten so viele Freunde, wie es nur geht, in der Leibgarde der Königin…“

„Ihr müßt wohl schon eine ganze Menge haben, wenn Ihr bereits wißt, daß ich heute in der Garde aufgenommen wurde.“

Tuan grinste, er senkte die Lider. Etwas klirrte in Rods Gehirn.

„Wenn ich mich hier genauer umsähe“, sagte er bedächtig, „würde ich dann die drei Männer finden, die Euch heute abend überfielen?“

Tuan nickte, er grinste noch stärker.

„Also alles geplant, lediglich, um mich hierherzulocken! Ihr wißt wirklich mit Menschen umzugehen, TuanMcReady!“

Tuan errötete und blickte zu Boden.

„Aber was ist, wenn ich mich euch nicht anschließen will?

Läßt man mich dann das Haus Clovis lebend verlassen?“

„Nur, wenn Ihr ein guter Fechter und ein nicht weniger guter Zauberer seid.“

Rod nickte und ließ sich die Ereignisse der vergangenen beiden Tage durch den Kopf gehen. Einen Moment kam er in Versuchung mitzumachen, denn er zweifelte nicht daran, daß er sich nach der Revolution auf den Thron manövrieren könnte.

Aber nein, was Tuan gesagt hatte, stimmte. Es gehörte ein Mann mit einem angeborenen Talent der Massenbeeinflussung dazu, die Bettler zu beherrschen. Selbst wenn er auf den Thron kam, würde der Spötter, und wer immer auch hinter ihm stand, nicht tatenlos zusehen. Nein, die Machtstruktur mußte bleiben, wie sie war. Eine konstitutionelle Monarchie war die einzige Hoffnung auf Demokratie für diesen Planeten.

Und da war natürlich auch noch Catherine… Vielleicht war er wirklich in sie verschossen? Sie war das Traumbild seiner Jugend!

Aber ihm war Tuan vom ersten Augenblick an sympathisch gewesen. Wie konnte er sie beide mögen, wenn sie Gegner waren? Gewiß, es war möglich, daß Tuans Charme nur Tünche war, doch irgendwie bezweifelte es Rod. Nein, wenn Tuan wirklich am Thron interessiert gewesen wäre, hätte er Catherine den Hof machen und um sie freien können, und ganz sicher hätte er ihre Gunst gewonnen.

Also unterstützte Tuan die Königin. Wie er glaubte, ihr mit seiner Demagogie helfen zu können, war Rod zwar nicht klar, aber zweifellos war Tuan überzeugt, daß er es konnte.

Warum dann dieser ausgefallene Plan, Rod in das Haus Clovis zu locken? Natürlich, um ihn auf die Probe zu stellen, ob er als Leibwächter der Königin vertrauenswürdig war! Das ergab auch Sinn, wenn Tuan mit Brom O'Berin zusammenarbeitete, denn es war genau Broms

Art, auf diese ungewöhnliche Weise für eine Volksunterstützung der Königin zu sorgen. Doch warum dann diese Propagierung eines Marsches zur Burg? Vermutlich hatte Tuan eine Antwort darauf, und wenn er schon gerade bei Antwort war, mußte er nun auch endlich seine geben.

Er grinste Tuan an und erhob sich, mit der Hand um den Degengriff. „Ich werde mich euch nicht anschließen. Lieber versuche ich mein Glück mit Rapier und Magie.“

Tuans Augen leuchteten auf. Er griff nach Rods Arm. „Ich hatte gehofft, daß Ihr so reden würdet, Freund Gallowglass.

Bleibt sitzen und hört die Wahrheit meines Komplotts.“

Rod schüttelte seine Hand ab. „Zieht Euer Schwert!“

„Nein, das würde ich nie gegen einen Freund. Ich habe Euch einen Streich gespielt, aber es war zu einem guten Zweck. Ihr sollt alles erfahren!“

„Ich hörte, was ich wollte.“ Rod machte sich daran, den Degen zu ziehen. Wieder griff Tuan nach Rods Unterarm, und diesmal ließ er sich nicht abschütteln. Langsam, aber unaufhaltsam, wurde sein Rapier in die Scheide zurückgezwungen.

„Setzt Euch!“ sagte Tuan und drückte Rod so leicht, daß man meinen konnte, er sei ein Kind, auf den Stuhl zurück. Dann ließ er seinen Arm los und lächelte ihn herzlich an, als wäre nichts geschehen. „Die Königin gibt uns Geld, und die Bettler wissen es, aber immer Almosen annehmen zu müssen, erweckt brennenden Grimm in den Beschenkten. Wenn wir Freunde für Catherine gewinnen wollen, müssen wir einen Weg finden, diesen Ärger in Dankbarkeit zu verwandeln. Also müssen wir die Unterstützung der Königin als etwas anderes denn ein Geschenk erscheinen lassen.“

„Und Ihr habt diesen Weg gefunden?“

„Nicht ich“, gestand Tuan, „sondern der Spötter. Er stellte mir das Rätsel:,Wann ist ein Geschenk kein Geschenk? Und als ich die Antwort nicht wußte, löste er es selbst:,Wenn es dem, der es bekommt, rechtmäßig zusteht! „

Tuan breitete die Hände aus. „Ihr seht also, wie einfach es ist. Die Bettler marschieren zur Burg und verlangen von der Königin Brot und Fleisch, weil es ihnen rechtmäßig zusteht. Sie wird es ihnen geben, und sie werden dafür dankbar sein.“ Rod lächelte. „Sehr schlau ausgedacht.“ Er nickte, aber insgeheim dachte er: Wenn es funktionierte! Aber es wird nicht! Menschen mit Geld spenden gern für wohltätige Zwecke, aber sie geben keinen Cent, wenn man ihnen sagt, sie müßten es. Und wie dankbar werden die Bettler sein, wenn sie ihre Forderung zurückweist und ihre Armee ruft, um sie zu vertreiben? Doch selbst wenn sie auf ihr Verlangen einginge, was dann? Was war dann mit dem Machtgefühl, das sie ihnen damit gäbe? Bettler, die eine Königin zu etwas zwingen! Sie würden nicht bei Brot und Fleisch haltmachen. Schon in einer Woche kämen sie mit weiteren Forderungen an — mit oder ohne Tuan! O ja, es war ein schlauer Plan, und man hatte Tuan damit ganz schön eingeseift. Der Spötter konnte nur gewinnen — und mit ihm die außerplanetaren Totalitärsten, die dahintersteckten.

Aber Tuan meinte es gut. Er strahlte geradezu von innen heraus. Zwar war er ein wenig naiv, was Politik betraf, aber wie gesagt, seine Absicht war wohlgemeint. Rod hob seinen Krug zu einem tiefen Schluck. „Und doch behaupten einige, daß das Haus Clovis Catherine stürzen will.“ „Nein! Nein!“ rief Tuan erschrocken. „Ich liebe die Königin!“ Rod studierte das ehrliche, offene Gesicht des Jungen. „Ich auch“, sagte er, leider wahrheitsgetreuer, als ihm lieb war. „Trotzdem erkenne selbst ich, daß sie nicht sehr klug handelt.“ Tuan seufzte tief und murmelte: „Das stimmt. Sie meint es so gut, aber sie geht nicht richtig vor. Sie versucht, an einem Tag gutzumachen, was ihre Vorfahren in Jahrhunderten falsch gemacht haben. Es gibt so viel Unrecht in dem Königreich, doch ein Haufen Unrat läßt sich nicht mit einem Schaufelhub beseitigen.“

„Vor allem kann der Salpeter darunter sich als ungemein explosiv erweisen“, brummte Rod.

„Die Hohen Lords begreifen nicht, daß sie den Teufel vertreibt“, fuhr Tuan fort. „Sie sehen nur, daß sie diesem Land nur eine Stimme geben will — ihre!“

„Nun“, Rod hob seinen Krug. Sein Gesicht war düster vor Resignation. „Auf sie! Hoffen wir, daß sie es schafft!“

„Wenn Ihr glaubt, daß das möglich ist, seid Ihr ein größerer Narr als ich — dabei bin ich weit und breit als ausgesprochener Tor verschrien.“

Rod senkte den Krug, ohne getrunken zu haben. „Sprecht Ihr aus allgemeiner Überzeugung, oder denkt Ihr an Einzelheiten?“

Tuan drückte eine Zeigefingerkuppe an die andere. „Ein Thron ruht auf zwei Beinen: erstens auf den Ed-. len, die alles Neue ablehnen und deshalb gegen die Königin sind. In Ruhe gelassen, würden sie sich vielleicht mit ihr abfinden, aus Verehrung für ihren Vater. Aber da sind noch die Ratgeber.“

„Ich nehme an, die Hohen Lords tun, was die ihnen raten?“

„Oder was sie ihnen raten, nicht zu tun. Was in etwa auf das gleiche heraus kommt. Und die Ratgeber sprechen mit nur einer Stimme — Durers!“

„Durer? Wer ist er?“ fragte Rod stirnrunzelnd.

„Der Ratgeber Lord Loguires.“ Tuans Lippen verzogen sich bitter. „Er hat Einfluß auf Loguire, was ein wahres Wunder ist, denn der Herzog ist ein ausgesprochen eigensinniger Mann.

Solange Loguire lebt, hat Catherine eine Chance. Doch wenn er stirbt, fällt sie, denn Loguires Erbe haßt die Königin. Der Lord hat zwei Söhne. Der jüngere ist ein Narr, der seinen schlimmsten Feind für seinen besten Freund hält. Und der ältere ist ein Hitzkopf, der unter Durers Schmeicheleien dahinschmilzt. Und so wird der Titelerbe, Anselm Loguire, tun, was Durer ihm sagt.“

Wieder hob Rod den Krug. „Dann wollen wir Lord Loguire ein langes Leben wünschen.“

„Ja“, erwiderte Tuan inbrünstig. „Denn Anselm hegt einen tiefen Groll gegen die Königin.“

„Wieso?“ fragte Rod.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Tuan bedrückt.

„Er und Durer wollen also den Sturz der Königin? Und die anderen Lords tun, was sie vorschlagen — wenn der alte Loguire erst tot ist. Das also ist ein Bein des Thrones. Und das andere?“

„Zweitens“, fuhr Tuan fort, „das Volk: die Bauern, Handwerker und Kaufleute. Sie alle lieben sie, weil sie ihnen das Leben erleichtert, aber sie fürchten sie auch, ihrer Hexen wegen.“

„Ah ja. Ihre — Hexen.“ Rod bemühte sich, wissend auszusehen, während sich in seinem Kopf alles drehte. Hexen als politisches Element!

„Seit Jahrhunderten“, erklärte Tuan, „wurden die Hexen Folterungen unterzogen, bis sie dem Teufel ent sagten, oder sie mußten die Wasserprobe erdulden. Und wenn alles versagte, Wurden sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“

Einen Augenblick empfand Rod ein ungeheures Mitleid mit ganzen Generationen von Espern, diesen Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten, die es hier also alles andere als leicht gehabt hatten.

„Aber die Königin beschützt sie jetzt, und man munkelt sogar, daß sie selbst eine Hexe ist.“

Es gelang Rod, seine geistige Benommenheit lange genug abzuschütteln, um zu krächzen: „Ich nehme an, daß diese Tatsache das Volk nicht gerade zu Begeisterungsstürmen und unerschütterlicher Loyalität veranlaßt?“

Tuan biß sich auf die Lippe. „Sagen wir, es ist unsicher…“

„Es hat die Hosen voll“, übersetzte Rod. „Aber mir ist aufgefallen, daß Ihr die Bettler nicht als Teil des Volkes gezählt habt.“

Tuan schüttelte den Kopf. „Nein, sie stehen abseits. Keiner sieht sie gern, alle schauen auf sie herab. Doch aus diesem

fehlerhaften Holz beabsichtige ich, ein drittes Bein für den Thron der Königin zu schreinern.“

Rod lehnte sich zurück. „Vielleicht habt Ihr da etwas, das die Königin in der Tat braucht.“ Er nahm einen tiefen Schluck Wein. „Ich nehme an, daß die Ratgeber alles tun, um die Furcht des Volkes noch zu schüren?“

Tuan schüttelte verwirrt den Kopf. „Nein, nichts dergleichen.

Man könnte fast glauben, sie wüßten überhaupt nicht, daß es das Volk gibt.“ Er spielte mit seinem Becher. „Aber es ist gar nicht nötig, das Volk darauf aufmerksam zu machen, daß es Grund zur Furcht hat, denn alle sehen, daß die Hexen nicht imstande sind, das Gespenst vom Burgdach zu vertreiben.“

Rod schaute ihn verwundert an. „Na, so soll es sich doch heiser schreien auf den Zinnen, wenn es ihm Spaß macht. Es tut ja niemandem etwas, oder?“

Tuan schüttelte erstaunt den Kopf. „Kennt Ihr denn die Bedeutung dieses Gespensts nicht, Rod Gallow-glass? Wenn sich eines dieser Art auf dem Dach zeigt, stirbt jemand im Haus. Und jedesmal, wenn das Gespenst über die Zinnen wandelte, ist die Königin dem Tod nur durch Haaresbreite entronnen.“

„Oh?“ Rod hob eine Braue. „Durch den Dolch? Einen fallenden Stein? Gift?“

„Gift.“

Rod rieb das Kinn. „Gift, die Waffe der Aristokraten. Die Armen können es sich nicht leisten. Wer unter den Hohen Lords haßt Catherine so sehr?“

„Keiner!“ rief Tuan entsetzt. „Nicht einer würde so tief sinken, es wäre ehrlos!“

„Aha, die Ehre gilt hier also noch etwas, hm? Vergessen wir also die Edlen. Doch es muß jemand sein, der auf ihrer Seite ist. Wie wäre es mit den Ratgebern? Aber was gewinnen sie durch ihren Tod? Außer, natürlich, einer legt es darauf an, seinen Herrn als Monarchen zu sehen und so selbst zum

Ratgeber des Königs aufzusteigen…“

Tuan nickte. „Das wünschen sie sich vielleicht alle, Freund Gallowglass.“

In Gramayre war eine außerplanetare Kraft am Werk mit einer höheren Technologie und sophistischer Politischer Philosophie. Die Edlen wurden allmählich gespalten und das Volk durch das Haus Clovis gegen die Aristokraten aufgewiegelt. Die zwölf Herzogtümer würden zu Baronien aufgeteilt werden und diese wiederum zu kleinen Gemeinden, bis echte Anarchie vorherrschte. Zweifellos waren die Ratgeber die Agenten dieser außerplanetaren Macht, und arbeiteten systematisch auf die Anarchie hin. Die Frage war nur, weshalb? Doch das Warum konnte warten. Von momentaner Bedeutung war, daß Schurkerei, die neben Lord Loguire saß und deren Name Durer war, am Werk war. Und Durers vorrangiges Ziel war Catherines Tod.

Ein Schatten am Burgtor klammerte eine Hand um Rods Schienbein.

„Halt, Rod Gallowglass, Ihr müßt sofort zur Königin als Nachtwache“, brummte Brom O'Berin.

Rod fragte sich immer noch, wie Brom gewußt haben konnte, woher er gerade kam, als sie zum Audienzsaal der Königin gelangten. Natürlich hatte er seine Spitzel im Haus Clovis, aber wie konnten sie ihn vor ihm erreicht haben? Rod folgte Brom in den prächtigen Saal. Zwei schwere, geschnitzte Sessel standen zu jeder Seite des Kamins, zwei weitere am Tisch. Catherine saß in einem der letzteren, mit dem Kopf über ein ledergebundenes Buch gebeugt. Etwa ein halbes Dutzend ähnliche lagen aufgeschlagen daneben. Catherine hob den Kopf und sah Rod an. „Willkommen“, sagte sie. Ohne die schwere Krone, die sie auf dem Tisch abgelegt hatte, wirkte sie irgendwie kleiner. „Wart Ihr im Haus Clovis?“ erkundigte sie sich.

Rod nickte bejahend mit leicht spöttischem Lächeln.

„Genau wie Ihr sagtet, meine Königin.“ Broms Stimme klang grimmig. „Aber woher wußtet Ihr…“

„Darüber solltet Ihr Euch nicht den Kopf zerbrechen, Brom O'Berin.“

„Woher?“ echote Rod. „Durch Spitzel, natürlich. Ein ausgezeichnetes Informantennetz muß es sein, daß sie so schnell davon erfuhr.“

„Nein“, versicherte ihm Brom selbst verwirrt. „Wir haben nur sehr wenige Spione, denn Loyalität ist etwas Seltenes in diesem dunklen Zeitalter, und wir haben überhaupt keine Spitzel im Haus Clovis.“

„Nein“, bestätigte Catherine, „und doch weiß ich, daß Ihr heute von Tuan von den Bettlern hörtet.“ Ihre Stimme klang fast sanft, als sie den Zwerg anschaute. „Brom…?“

Der Troll lächelte, verbeugte sich und verließ den Raum.

Catherine schritt zum Kamin und starrte in das Feuer. Ihre Schultern hingen herab, und sie wirkte einen Augenblick so zerbrechlich und einsam — und so wunderschön im Schein der Flammen, daß es Rods Kehle zuschnürte. Doch dann straffte sie die Schultern, und ihr Kopf drehte sich ihm scharf zu. „Ihr seid nicht, was Ihr zu sein vortäuscht, Rod Gallowglass. Sagt mir, was Ihr seid!“

Rod zuckte hilflos die Schultern und versuchte, so unschuldig wie nur möglich auszuschauen. „Ein Söldner, nicht mehr und nicht weniger, Eure Majestät.“

„Aber nur als Nebenberuf, und weil es Euch Spaß macht. Und nun verratet mir, was Eure wirkliche Profession ist!“

Rods Gedanken überschlugen sich. Er überlegte sich mehrere Lügen, doch dann entschloß er sich zu der simpelsten Antwort: „Meine Profession ist, Euer Leben zu schützen, Majestät.“

„Tatsächlich!“ Catherines Augen wirkten spöttisch. „Und wer hat Euch dazu ausgebildet? Wer hält so viel von mir, daß er Euch geschickt hat?“

Plötzlich sah Rod durch den Spott und die äußere Härte. Es war alles nur eine Maske, ein Schild, hinter dem sich ein sehr verängstigtes, sehr einsames kleines Mädchen verbarg, das sich nichts mehr wünschte, als jemandem vertrauen zu können. Aber sie hatte zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, als daß sie es wagte, überhaupt noch jemandem zu trauen.

Er schaute ihr in die Augen mit seinem sanftesten, ehrlichsten Blick und sagte: „Ich habe keinen Herrn über mir, meine Königin. Ich selbst habe mich geschickt, aus Liebe zu Catherine, der Königin, und Loyalität gegenüber dem Land Gramayre.“

Etwas wie Verzweiflung flackerte in ihren Augen. Ihre Hände verkrampften sich in der Sessellehne. „Liebe!“ murmelte sie, doch schon glitzerte wieder der Spott aus ihrer Miene. „Ja, Liebe — für Catherine, die Königin.“ Sie schaute ins Feuer.

„Doch sei es, wie es mag. Ich glaube ehrlich, daß Ihr ein Freund seid, doch ich kann nicht sagen, wieso ich es weiß. Was führte Euch heute abend ins Haus Clovis?“

Stimmt, auch das hatte sie gewußt. Ob sie Gedanken lesen konnte? Er konzentrierte sich darauf, Gekab zu rufen und kratzte sich am Kinn, denn so würde das Mikrophon den Laut aufnehmen. „Ja, Rod?“ fragte eine außerhalb seines Kopfes unhörbare Stimme.

„Woher wißt Ihr, daß ich dort war?“

Catherine widmete ihm einen verächtlichen Blick. „Nun, ich wußte, daß Ihr mit Tuan Loguire gesprochen habt — und wo sonst, als im Haus Clovis?“

Und woher wußte sie, daß er mit Tuan zusammengewesen war? Tuan — Loguire? Loguire! „Verzeiht, Majestät, sagtet Ihr tatsächlich Tuan Loguire? Ich dachte, sein Name sei — uh -

McReady.“

Catherine lachte. „O nein! Er ist der zweite Sohn des Hohen Lords Loguire. Wußtet Ihr das denn nicht?“

Zweiter Sohn! Dann war Tuan selbst der Narr, den er als solchen bezeichnet hatte! Und sein älterer Bruder war der Mann, der einen „alten Groll gegen die Königin“ hegte und der eine der Hauptbedrohungen für den Thron war. „Nein“, murmelte Rod. „Das wußte ich nicht.“ Gekabs Stimme murmelte: „Die Daten deuten auf das Vorhandensein eines ausgezeichneten Nachrichtendienstes hin.“ Rod stöhnte innerlich. Roboter waren vielleicht eine Hilfe! Er starrte Catherine an: „Ihr sagtet, Ihr hättet keine Spione im Haus Clovis, und wenn anzunehmen ist, daß Ihr die Wahrheit sprecht, bedeutet das…“

Er ließ den Satz unbeendet. Gekab würde schon für den Rest sorgen. Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann summte es heftig hinter Rods Ohr, und schließlich klickte es. Rod fluchte lautlos. Wenn Catherine keine Spione hatte, konnte sie logischerweise nicht wissen, was sie wußte. Er hatte damit also Gekab wieder einmal ein Paradoxon zu lösen gegeben, und der Schaltkreis des Roboters war kurzgeschlossen. Epileptische Roboter konnten einem schon zur Verzweiflung bringen! Catherine funkelte ihn an. „Natürlich spreche ich die Wahrheit!“

„Das bezweifle ich auch nicht. Aber Ihr seid schließlich eine Herrscherin und so erzogen. Und gewiß war eine der ersten Lektionen, zu lügen, ohne eine Miene zu verziehen.“ Catherines Gesicht erstarrte. Sie beugte den Kopf und betrachtete ihre Hände. Als sie wieder hochschaute, waren ihre Züge gespannt, und sie hatte die Maske abgelegt. Ihre Augen wirkten gequält. „Wieder einmal trog meine Ahnung mich nicht“, murmelte sie. „Ihr versteht mehr als nur das Soldatenhandwerk, Rod Gallowglass!“

Rod nickte schwer. Er hatte einen weiteren Fehler begangen. Söldner beschäftigen sich nicht mit Politik. „Sagt mir, wie Ihr heute abend ins Haus Clovis kamt.“ „Meine Königin“, erwiderte Rod ernst. „In einer Gasse war ein

Mann von drei Schurken überfallen worden. Ich stand ihm bei, und er nahm mich mit ins Haus Clovis, um mir mit einem Krug Wein zu danken. Auf diese Weise lernte ich Tuan Loguire kennen.“

Sie zog nachdenklich die Brauen zusammen. „Wenn ich Euch nur glauben könnte“, murmelte sie. Wieder ließ sie Schultern und Kopf hängen. „Ich werde in der Stunde der Wahrheit, die bevorsteht, alle meine Freunde brauchen“, murmelte sie. „Und ich glaube, Ihr seid der wahrste meiner Freunde, wenn ich auch nicht sagen kann, weshalb.“ Sie hob den Kopf zu ihm, und da sah er, daß ihre Augen tränenverschleiert waren. „Die Zeit ist nah, da jeder der Hohen Lords sich für oder gegen mich entscheiden muß, und ich fürchte, nur wenige werden meinem Banner folgen.“

Sie trat näher zu ihm, mit einem zitternden Lächeln auf den Lippen. Rods Herz pochte heftig in seinen Ohren. Dicht vor ihm blieb sie stehen und berührte das Medaillon um ihren Hals.

„Werdet Ihr mir an jenem Tag zur Seite stehen, Rod Gallowglass?“

Rod nickte verlegen und murmelte ein Ja. In diesem Moment hätte er ihr sicher die gleiche Antwort gegeben, selbst wenn sie seine Seele verlangt hätte. Und dann plötzlich war sie in seinen Armen, geschmeidig, grazil, und ihre Lippen vereinten sich mit seinen.

Einen zeitlosen Augenblick später senkte sie den Kopf und machte einen Schritt zurück, doch sie hielt sich an seinem Arm fest, als brauchte sie eine Stütze.

„Ich bin eine schwache Frau!“ murmelte sie. „Geht jetzt, Rod Gallowglass, mit dem Dank einer Königin.“ Sie sagte noch etwas, das Rod nicht so recht verstand, und irgendwie fand er sich auch schon vor der Tür in dem fackelerhellten Korridor.

Was immer man auch von ihren politischen Fähigkeiten halten mag, dachte er, sie versteht jedenfalls, einen Mann in ihre Dienste zu binden.

Er stolperte und fing sich. Das, wogegen er geprallt war, schob eine Hand an seine Hüfte, um ihn zu stützen. „Paß doch auf deine großen Füße auf“, brummte Brom O'Berin, „ehe du dir den Kopf einschlägst und die Fliesen beschmutzt.“ Der Zwerg studierte ihn besorgt, doch dann nickte er befriedigt. „Was brachte die Unterredung mit Catherine, Rod Gallowglass?“ fragte er.

„Was sie brachte?“ fragte Rod stirnrunzelnd. „Nun, ich leistete ihr den Treueid…“

„Ah!“ Brom nickte und es wirkte fast mitleidig. „Was mehr könntest du verlangen!“

Ja, was mehr konnte er verlangen? Er straffte das Kinn und plötzlicher Ärger stieg in ihm auf. Dieses Mädchen bedeutete ihm nichts — sie war nur eine Figur in dem großen Spiel, ein Werkzeug, mit dessen Hilfe sich eine Demokratie aufbauen ließ. Und warum wurde er so wütend? Dazu hatte er auch kein Recht! Zum Teufel! Er brauchte eine objektive Analyse.

„Gekab!“ Er wollte es gar nicht laut sagen, aber es entfuhr ihm wie Donnerhall. Brom O'Berin schaute ihn erstaunt an. „Was ist Gekab?“ wollte er wissen.

„Mein Rappe“, erklärte Rod verlegen, und da fiel ihm erst ein, daß der Roboter ja wieder einmal einen Kurzschluß hatte. „Ich habe mich heute nacht noch nicht um ihn gekümmert, und er ist die einzige Seele, der ich unbesorgt anvertrauen kann.“

Broms Augen wurden weich, er lächelte gütig. „Du bist nun einer von uns, Rod Gallowglass, einer der wenigen, die der Königin treu ergeben sind.“

Rod las die Zuneigung in den Augen des Trolles und fragte sich, was den Zwerg an Catherines Dienste band — und plötzlich haßte er sie wieder, weil es ihr Spaß machte, die Männer zu benutzen. Mit wütenden Riesenschritten eilte er den Korridor weiter, daß Brom seine liebe Not hatte, neben ihm zu bleiben.

„Wenn meine Menschenkenntnis mich nicht trügt“, knurrte er durch die Zähne, „so hat die Königin einen weiteren Freund im Haus Clovis, und doch nennt sie ihn ihren Feind. Wieso, Brom? Deshalb, weil er der Sohn ihres Feindes, des Herzogs Loguire ist?“

Brom hielt ihn mit der Hand an der Hüfte an und schaute mit halbem Lächeln zu Rod hoch. „Nicht ihr Feind, Rod Gallowglass, sondern jemand, den sie wahrhaft liebt. Er ist ihr Onkel, ihr Blutsverwandter, der sie fünf Jahre bei sich aufnahm und sich um sie sorgte, während ihr Vater die rebellierenden Barone im Norden niederwarf.“

Rod nahm die Augen nicht von Brom O'Berin. „Sie zeigt ihre Liebe auf seltsame Weise.“

Brom nickte. „Wahrlich seltsam, aber zweifle nicht daran, daß sie ihn liebt, sowohl den Herzog als auch seinen Sohn Tuan. Es ist eine lange verwickelte Geschichte, und das Ende und der Anfang ist Tuan Loguire.“

„Der Bettlerkönig?“

„Ja“, Brom nickte schwer. „Der Herr des Hauses Clovis.“

„Der die Königin liebt.“

„Der sie liebt und auch kein Hehl daraus macht.“

„Aber du glaubst ihm nicht?“

Brom verschränkte die Hände hinter seinem Nacken und stapfte mit gesenktem Kopf weiter. „Er spricht entweder die Wahrheit, Rod Gallowglass, oder er ist ein glaubhafter Lügner.

Er wurde von seinem Vater zur Wahrheit erzogen, und doch ist er Herr des Hauses Clovis, Herr jener, die darauf bestehen, daß der Herrscher wie der alte König Clovis gewählt werden soll, nämlich durch die Anerkennung jener, über die er herrscht.“

„Na ja, da haben sie die Geschichte ein wenig verfälscht“, brummte Rod. „Aber ich nehme an, ihre Pläne verlangen Catherines Sturz?“

„Ja. Und wie kann ich ihm da glauben, wenn er sagt, daß er sie liebt?“ Brom schüttelte traurig den Kopf. „Er ist ein äußerst wertvoller Mensch, großherzig, ehrlich und ein Troubadour,

der mit Laute, Liedern und Worten genauso gut umzugehen versteht wie mit dem Schwert. Er war immer von Grund auf anständig, und Unredlichkeit kannte er nicht.“ „Du scheinst ihn wohl recht gut gekannt zu haben.“ „O ja, das tat ich allerdings, aber kenne ich ihn jetzt noch?“ Brom seufzte tief und schüttelte den Kopf. „Als sie mit sieben auf die Burg der Loguires im Süden kam, war Tuan acht. Sie spielten und tobten unter meiner Aufsicht, und sie waren so unschuldig, Rod Gallowglass, und so glücklich. Er liebte sie schon damals. Er pflückte ihr Blumen für einen Kranz, und als sie versehentlich einen kostbaren Kelch zerbrach, nahm er die Schuld auf sich.“

„Damit verzog er sie nur“, brummte Rod. „Ja, aber er war nicht der einzige, der ihr den Narren machte, denn schon damals war sie die schönste aller Prinzessinnen. Doch über ihrem Glück stand ein düsterer Schatten, ein Bursche von vierzehn, der Erbe des Titels und der Ländereien — Anselm Loguire. Mit finsterem Gesicht schaute er vom Turm auf die beiden herab, wenn sie spielten. Er allein im ganzen Land haßte Catherine Plantagenet — warum weiß niemand.“ „Und er haßt sie immer noch?“

„Ja, und wir können deshalb dem Herzog Loguire nur ein besonders langes Leben wünschen. Nun, jedenfalls wuchs Anselms Haß noch fünf weitere Jahre, bis Catherines Vater sie nach seinem erfolgreichen Feldzug zurückholte. Damals schworen Tuan und Catherine — sie elf, er zwölf —, daß sie einander nie vergessen und sie auf ihn warten würde, bis er sie holen käme.“ Brom schüttelte traurig den Kopf. „Und mit neunzehn kam er auch, ein goldener, gutaussehender Prinz, breitschultrig, mit geschmeidigen Muskeln, mit Laute und Schwert. Und sie war achtzehn, bereit für einen Mann, und ihr Kopf mit Träumen erfüllt, wie sie einem Mädchen aus Büchern und Balladen erwachsen. Sie liebte ihn natürlich — welche Frau hätte es nicht getan? Er wußte nicht, wozu eine Frau da war, das könnte ich beschwören, und sie genausowenig, aber es könnte sein, daß sie es gemeinsam lernten. Ihr dürft mir glauben, sie hatten jede Gelegenheit dazu.“ Brom runzelte finster die Stirn. „Doch in jenem Frühjahr starb ihr Vater, und sie mußte das Zepter ergreifen. Und als Catherine die Krone aufsetzte, wurde ihr plötzlich klar, daß Tuan nur ein zweiter Sohn war und so nicht mehr als die Ehre seiner Familie erbte. Da behauptete sie, daß er sie gar nicht wirklich liebte, sondern es nur auf den Thron abgesehen hatte. Voll Grimm und Verachtung schickte sie ihn fort — ob mit oder ohne echten Grund konnten nur die beiden selbst wissen. Sie verbannte ihn in die Wildnis, mit einem Preis auf seinen Kopf, und dort sollte er unter den Tiermenschen und Elfen leben oder sterben.“ Wieder schwieg er. „Und Herzog Loguire erhob sich in berechtigtem Zorn?“

„Ja“, erwiderte Brom und knirschte mit den Zähnen. „Und all seine Lehnsmänner mit ihm, und die Hälfte der Edlen obendrein. Wenn Tuan sein Freien falsch angestellt hatte, sagte Loguire, so hatte er Grimm und Verachtung verdient, aber Verbannung war die Strafe für Hochverrat.,Und ist es nicht Hochverrat, nach der Krone greifen zu wollen? entgegnete Catherine hitzig. In kaltem Stolz versicherte Loguire ihr, daß Tuan nichts weiter als ihre Liebe begehrt hatte. Aber seine Worte klangen hohl, denn der, der die Königin heiratet, wird regieren. Und das sagte sie ihm auch. Da erklärte Loguire ihr voll Trauer, daß sein Sohn kein Verräter war, sondern ein Narr — ein Narr, weil er ein so dummes verzogenes Gör hofierte. Und wieder wollte Catherine Hochverrat schreien, hätte ich sie nicht davon abgehalten.“

„Und doch sagst du, sie liebt Loguire und Tuan?“ „Ja, denn warum sonst solche Härte?“ Wieder schwieg Brom. Rod räusperte sich. „Tuan schien nicht lange in Verbannung geblieben zu sein…“

„Der Narr wollte in ihrer Nähe sein, auch wenn er damit sein Leben verwirkte. Doch mit einem Preis auf seinen Kopf mußte er wie ein Mörder oder Dieb leben.“

Rod lächelte säuerlich. „Und irgendwie kam er auf die Idee, daß die Bettler zur geringeren Plage würden, wenn jemand sich ihrer annahm.“

Brom nickte. „Und so wurden die Bettler zu einer gewissen Macht. Aber Tuan schwört, er wird all seine Kräfte einsetzen, um der Königin den Rücken zu decken. Er behauptet, er liebe sie und würde es selbst dann noch, wenn sie ihn enthaupten ließe.“

„Und sie sagt natürlich, er hätte allen Grund, sie zu hassen?“

„Damit hat sie auch recht. Trotzdem bin ich der Überzeugung, daß Tuan sie nicht haßt.“

Sie hatten die Tür zum Wachraum erreicht. Rod griff nach der Klinke. Er lächelte zu Brom O'Berin hinab und schüttelte traurig den Kopf. „Hirnverbohrt sind die beiden“, murmelte er.

„Zärtlich liebende Feinde! Doch jetzt gute Nacht, Freund Gallowglass.“ Er drehte sich auf dem Absatz und stapfte davon.

Rod schaute ihm nach. „Ich bin selbst ein Narr“, murmelte er.

„Zu denken, Brom stünde ihr bei, weil er in sie verliebt ist! Na ja, auch Gekab macht Fehler…“

Die große Kerze im Schlafraum war zu einem Stummel herabgebrannt. Die Zeit wurde in Gramayre mit rot und weiß geschichteten Kerzen gemessen — sechs weiße und sechs rote Ringe. Eine Kerze wurde am Morgen, die andere zwölf Stunden später angezündet. Nach der Kerze war es drei Uhr Morgens. Rods bleierne Müdigkeit wuchs noch, als er daran dachte, daß eine Stunde auf Gramayre nach galaktischen Standard etwa achtzig Minuten waren.

Als er ins Bett steigen wollte, stolperte er über Tom. Er hatte vergessen, daß er am Fuß seines Bettes auf dem Boden lag.

Der Riese richtete sich gähnend auf. „Ah, guter Herr, welche

Zeit haben wir?“

„Die neunte Stunde der Nacht“, erwiderte Rod. „Schlaf weiter, Tom. Ich wollte dich nicht wecken.“

„Dafür bin ich hier, Meister.“ Er schüttelte sich, um den Schlaf zu vertreiben. Das war etwas merkwürdig, wie Rod plötzlich bewußt wurde, denn Toms Augen hatten hell wach gewirkt. Sofort breitete sich wieder das Mißtrauen in ihm aus. Um nicht peinliche Fragen beantworten zu müssen, brummte er: „Ich bin schrecklich müde, Tom. Gute Nacht!“ Er ließ sich auf das Bett fallen, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Und dann trug der Wind auch noch Geräusche eines fröhlichen Festes herbei. Ein Fest? Er rollte sich aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen zu den hohen Fensterschlitzen. Tom war nicht aufgewacht. Wer feierte zu einer solch späten, oder vielmehr frühen Stunde? Ein Mond stand hinter den Zinnen des Nordturms. Jugendliche Gestalten wiegten sich in einem dreidimensionalen Tanz, und einige davon schienen auf Besenstielen zu reiten. Hexen! Im Nordturm!

Rod kletterte die Wendeltreppe mit den abgetretenen Steinstufen hoch. Er sagte sich zur Beruhigung immer wieder, daß die Elfen ihn für einen Zauberer hielten und er deshalb quasi zur Aufnahme in dieser Gruppe berechtigt war. Aber trotzdem war sein Mund trocken, und ein Stein schien ihm im Magen zu liegen. Zwar hatten die Elfen ihn anerkannt, aber würden die Hexen es ebenfalls tun? Sein Trost war, daß es sich bei ihnen um fröhliche Hexen handelte.

Durch den Rauch der Fackeln sah er Paare an den Wänden, der Decke, mitten in der Luft und hin und wieder sogar auf dem Boden tanzen. Da und dort unterhielten sich kleinere Gruppen kichernd. Alle waren auffallend bunt gekleidet. Und sie alle waren noch so jung, gewiß nicht mehr als Teenager, daß er sich nun doch fehl am Platz fühlte. Aber der Junge am Weinfaß erblickte ihn als erster. „Heil!“ rief er grinsend. „Ihr habt Euch

verspätet!“ Er drückte Rod einen vollen Krug in die Hand.

„Ich wußte nicht, daß ich kommen würde“, brummte Rod.

„Seid versichert, wir sehr wohl.“ Wieder grinste der Junge.

„Molly sah es voraus, aber sie dachte, Ihr müßtet eigentlich schon seit einer halben Stunde hier sein.“

„Tut mir leid, ich wurde aufgehalten“, murmelte Rod verwirrt.

„Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen. Molly hat sich eben verrechnet. Der Wein, vermutlich. Aber wir erwarten Euch eigentlich schon, seit Ihr Fuß in die Burg setztet. Die Elfen erzählten uns vergangene Nacht, daß Ihr ein Zauberer seid.“

„Unsinn! Ich bin genausowenig ein Zauberer wie ihr — oh…“

„Natürlich seid Ihr ein Zauberer.“ Der Junge nickte weise.

„Und ein mächtiger noch dazu. Seid Ihr vielleicht nicht in einem Kometen gekommen?“

„Das ist Wissenschaft, nicht Magie! Ich bin kein Zauberer!“

„Ob es Euch nun bewußt ist oder nicht, Ihr seid einer.“ Er salutierte mit dem Krug. „Und deshalb einer von uns.“

Rod hob ebenfalls den Krug und trank dankend. Dann sah er sich um und versuchte sich daran zu gewöhnen, daß bei dieser Gruppe hier das Newtonsche Gesetz keine Gültigkeit hatte.

Bewundernd starrte er auf ein wohlgewachsenes Mädchen, das regelrecht aus ihrem Mieder zu quellen schien. Der Junge bei ihr himmelte sie an. Rod fragte sich zynisch nach den Motiven des Burschen.

Das Mädchen schnappte laut nach Luft und warf Rod einen wütenden Blick zu. Sein Kinn klappte hinab, und er begann eine Entschuldigung zu stammeln, doch noch ehe sie richtig über seine Lippen kam, lächelte das Mädchen besänftigt und wandte sich wieder ihrem Partner zu. Mit weitaufgerissenen Augen drehte Rod sich zu dem Jungen am Faß zu. „Ka-kann sie Gedanken lesen?“ stammelte er.

„Natürlich. Das können wir alle ein bißchen, aber sie am besten.“

Rod preßte eine Hand an den Kopf, als könnte er damit die sich überschlagenden Gedanken stoppen. Telepathen! Ein ganzes Zimmer voll! Und in der ganzen Galaxis waren bisher erst zehn echte bekannt! Es war Mutation oder eine besondere Genentwicklung. Er straffte die Schultern und räusperte sich.

„Sag, Junge — uh, wie heißt du überhaupt?“

Verlegen klopfte der Junge sich auf die Stirn. „Verzeiht meine Gedankenlosigkeit, Meister Gallowglass. Ich bin Tobias, und natürlich muß ich Euch erst noch mit den anderen bekanntmachen.“ Er wirbelte Rod zur nächsten Gruppe herum.

„Aber — ich wollte doch nur fragen…“, protestierte Rod.

„Das ist Nell, das Andreyev, das Brian, das Dorothy…“ Eine halbe Stunde und dreiundfünfzig Namen später ließ Rod sich erschöpft auf eine Bank fallen. Was er hier vor sich hatte, war eine aufblühende Esperkolonie mit Menschen, die die Fähigkeit hatten, zu fliegen, in die Zukunft zu sehen und Gedanken zu lesen. Aber wenn sie alle teleportieren konnten, wieso ritten die Mädchen dann auf Besenstielen?

Mit einer leichten Luftverdrängung tauchte Toby plötzlich mit einem vollen Krug neben Rod auf. Rod starrte ihn an, während er dankend nach dem Krug griff. „Uh, sag, könnt ihr levitieren und teleportieren?“

„Wie bitte?“ Toby verstand ihn nicht.

„Ich meine, ihr könnt doch fliegen? Und euch von einem zum anderen Ort wünschen?“

„O ja.“ Toby grinste. „Das können wir alle.“

„Was? Fliegen?“

„Nein, uns an einen Ort wünschen, den wir kennen. Alle Jungen können fliegen, aber die Mädchen nicht.“

Sexgebundene Gene, dachte Rod. Laut sagte er. „Deshalb reiten sie auf Besenstielen?“

„Ja, denn sie wiederum können leblose Gegenstände bewegen, was uns nicht gelingt.“

Aha! Wieder eine Bindung! Telekinese war den Y-

Chromosomen vorbehalten, Levitation den X. Aber alle

konnten sie teleportieren und Gedanken lesen. Eine unschätzbare Esperkolonie. Wenn ihr Leben dem der seltenen Telepathen außerhalb dieses Planeten ähnelte… „Deshalb haßt euch das einfache Volk?“

Tobys fröhliches junges Gesicht wurde ernst, ja fast düster. „Ja, und die Edlen ebenfalls. Sie behaupten, wir stünden mit dem Teufel im Bund. Und es gab diese schrecklichen Wasserproben für uns oder den Feuertod, bis unsere gute Königin Catherine an die Macht kam.“ Er drehte sich um und brüllte: „He, Bridget!“ Ein etwa dreizehnjähriges Mädchen löste sich von ihrem Tanzpartner und erschien abrupt an Tobys Seite. „Freund Gallowglass möchte wissen, wie sehr das Volk uns mag.“

Alle Fröhlichkeit schwand aus dem Gesicht des Kindes. Wortlos öffnete sie den Rücken ihrer Bluse, und ein dichtes Kreuzundquermuster häßlicher Narben kam zum Vorschein. Sie drehte sich Rod zu, während Toby ihre Bluse zuknöpfte. „Das alles nur auf einen Verdacht hin“, murmelte sie. „Und ich war erst zehn Jahre alt.“

Rods Mageninhalt stieg ihm bis zum Hals auf, und er hatte seine Mühe, ihn wieder hinunterzuschlucken. Bridget kehrte zu ihrem Partner zurück und tanzte vergnügt weiter.

„Ihr werdet also verstehen, wieviel Grund wir haben, unserer guten Königin dankbar zu sein.“

„Sie machte Schluß mit den Wasserproben und Verbrennungen?“

„Sie änderte das Gesetz, aber es kam auch weiter heimlich zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Es blieb ihr also nur ein Weg, uns zu schützen, indem sie jedem von uns, der sich dafür entschied, Zuflucht gewährte.“

Rod nickte bedächtig. „Es mangelt ihr also doch nicht so ganz an Weisheit.“ Sein Blick wanderte zu Bridget zurück, die gerade an der Decke tanzte.

„Was überlegt Ihr, Freund Gallowglass?“

„Sie haßt sie nicht“, brummte Rod. „Sie hat allen Grund, das Volk zu hassen, aber sie tut es nicht!“

Toby schüttelte mit einem gütigen Lächeln den Kopf. „Weder sie, noch irgendeiner von uns. Alle, die sich in den Schutz des Zirkels der Königin begeben, schwören als erstes, nach Gottes Gesetzen zu leben.“

„Ich verstehe“, murmelte Rod langsam. „Ein Zirkel weißer Hexen. Sind alle Hexen auf Gramayre weiß?“

„Leider nicht. Einige sind so verbittert durch größeres Leiden als unseres — den Verlust eines Auges, oder eines Menschen, der ihnen teuer war, oder sonst etwas —, daß sie sich in der Wildnis oder den Bergen verkrochen, um dort Rache an den Menschen zu üben. Doch sind es kaum mehr als zwanzig. Nur drei stehen noch in der Blüte ihres Lebens, alle anderen sind verschrumpelte Männchen und Weibchen.“

„Die Märchenhexen“, knurrte Rod.

„So kann man sie nennen. Und ihre Untaten sind so weitbekannt, daß alles Gute, was wir tun, daneben verblaßt.“

„Also gibt es zwei Arten von Hexen in Gramayre: die alten und bösen in der Wildnis und den Bergen, und die jungen weißen in der Burg der Königin.“

Wieder schüttelte Toby lächelnd den Kopf. „Nein außer uns gibt es noch gut fünf Dutzend andere weiße Hexen, nur trauten sie dem Schutz der Königin nicht. Sie sind zwischen dreißig und vierzig Jahre alt. Alles gute Menschen, aber mißtrauisch.“

Jetzt verstand Rod. „Darum seid ihr alle so jung! Nur die Hexen, die noch den Wagemut hatten, anderen zu vertrauen, nahmen die Einladung der Königin an! Also kam sie zu einer Gruppe Teenager.“

Toby nickte. „Auch unter den anderen gab es zwei, die den Mut hatten, hierherzukommen. Die eine war die weiseste von allen, die mächtigste der Hexen, sie kam aus dem Süden. Aber sie wird jetzt alt! Sie muß bestimmt schon bald dreißig sein!“

Rod verschluckte sich fast an seinem Wein und mußte heftig husten. Als Toby ihn besorgt ansah, erklärte er: „Es ist nichts, Junge, aber wir Alten müssen uns eben mit solchen Hustenanfällen abfinden. Warum blieb diese Hexe denn nicht?“

„Sie sagte, sie spüre unter uns erst ihr Alter. Wenn Ihr im Süden in Schwierigkeiten geraten solltet, so ruft ihren Namen.

Gwendylon heißt sie, und sie wird Euch mehr Hilfe geben, als Ihr braucht.“

„Ich werde mich daran erinnern“, versprach Rod, auch wenn er nicht die Absicht hatte, sich von einer Frau helfen zu lassen.

„Noch eine Frage, weshalb beschützt die Königin euch?“

Toby starrte ihn ungläubig an. „Das wißt Ihr nicht? Nun, sie ist selbst eine Hexe, zwar ungeschult, aber trotzdem hat sie ihre Fähigkeiten.“

Rod hob eine Braue. „Ungeschult?“

„Ja, unsere Gaben brauchen Übung und Schulung, um sich voll entfalten zu können. Catherine ist eine geborene Hexe, aber sie wurde nicht ausgebildet. Sie kann manchmal Gedanken lesen, aber nicht nach Belieben und nicht sehr deutlich.“

„Hm. Was kann sie sonst noch?“

„Nichts, was wir wüßten. Sie kann nur Gedanken hören.“

Rod kratzte sich am Ohr. „Das ist eine recht praktische Gabe für eine Königin. So weiß sie alles, was in ihrer Burg vor sich geht.“

Toby schüttelte den Kopf. „Könnt Ihr, wenn sich fünf unterhalten, alle gleichzeitig hören, Freund Gallowglass? Und ihnen den ganzen Tag lang zuhören? Und sich dann noch an alles erinnern?“

Rod rieb sich das Kinn und runzelte die Stirn.

„Könnt Ihr auch nur ein Gespräch im Gedächtnis behalten?

Nein, nicht einmal das könntet Ihr — und die Königin kann es genausowenig.“

„Sie könnte alles niederschreiben…“

„Ja, aber vergeßt nicht, sie ist ungeschult, und es bedarf großer

Übung, Gedanken in Worte zu kleiden.“

„Halt!“ rief Rod. „Heißt das, daß ihr Gedanken nicht als Worte hört?“

„Nein. Ein flüchtiger Gedanke genügt, ein ganzes Buch mit Worten zu füllen.“

Inzwischen hatte sich eine ganze Gruppe um sie ge schart.

„Es ist komisch, daß ein Zauberer das nicht weiß“, sagte einer, der Martin hieß.

„Ich erwähnte es schon“, verteidigte sich Rod. „Ich bin gar nicht wirklich ein Zauberer. Ihr müßt wissen…“

Schallendes Gelächter unterbrach ihn. Er seufzte und fand sich mit seinem neuen Ruf ab. „Ich nehme an, daß einige unter euch Gedanken als Worte lesen können?“

„O ja.“ Toby wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ist Aldis hier?“

Eine hübsche vollbusige Sechzehnjährige bahnte sich einen Weg durch die Menge. „Wen soll ich für Euch belauschen, Sir Gallowglass?“

Rod kam ein Gedanke. „Durer. Den Ratgeber Lord Loguires.“

Aldis setzte sich auf eine Bank und starrte durch Rod hindurch.

Mit hoher Stimme leierte sie: „Wie Ihr wollt, Mylord. Aber ich frage mich, seid Ihr wirklich loyal?“ Ihre Stimme sank um zwei Oktaven, blieb jedoch weiter eintönig. „Bursche, wagst du es, mich von Angesicht zu Angesicht zu beleidigen?“

„Nein, Mylord, ich frage mich nur, ob es klug ist, die sem Kind — und mehr ist sie ja nicht —, den Willen zu lassen? Sie handelt wahrhaftig wie ein trotziges Balg!“

„Vielleicht“, brummte Loguire. „Aber sie ist die Königin, und ihre Gesetze müssen durchgeführt werden.“

„Selbst wenn die Königin schlimme Gesetze erläßt?“

„Das sind sie nicht, Durer.“ Die tiefe Stimme klang nun unheildrohend. „Kühn, vielleicht, auch gedankenlos, denn was sie heute Gutes bringen, mag sich schon morgen ins Gegenteil verwandeln. Ja, törichte Gesetze, aber sie sind nicht böse gemeint.“

Die hohe Stimme seufzte. „Vielleicht, Mylord. Aber sie setzt die Ehre der Edlen aufs Spiel. Ist das nicht böse?“

„Wie das, Durer? Sie hat nichts getan, das auch nur als Beleidigung ausgelegt werden könnte.“

„Noch nicht, Mylord. Doch der Tag wird kommen…“

„Welcher Tag, Durer?“

„Da sie die Bauern den Edlen vorzieht!“

„Genug mit deinen landesverräterischen Worten!“ donnerte Loguire. „Auf die Knie, Wicht. Und danke deinem Gott, daß ich dir den Kopf lasse.“

Rod starrte Aldis an. Er konnte es immer noch nicht fassen, zwei verschiedene Stimmen aus ihrem Mund zu hören. Ihre Augen nahmen wieder Leben an. „Habt Ihr gehört, Freund Gallowglass? Ich kann mich leider an keines meiner Worte erinnern.“

„Mach dir keine Sorgen, Aldis.“ Rod rieb sich das Kinn. „Ich werde kein einziges vergessen.“ Sein Blick schweifte in die Runde. „Habt ihr das schon einmal gemacht?“ fragte er. „Ich meine, jemanden absichtlich belauscht?“

„Nur die Feinde der Königin. Durer belauschen wir oft“, antwortete Aldis.

„Oh? Und konntet ihr etwas in Erfahrung bringen?“

„Er macht sich in letzter Zeit viel Gedanken über die Bauern.“

„Welches Interesse hat er denn an ihnen?“

Toby grinste wissend. „Er hat Zwist zwischen zwei Bauern auf den Ländereien der Königin gesät. Ein junger Landmann wollte die Tochter eines alten Bauern heiraten, aber der ließ es nicht zu. Und der Junge hätte es wohl aufgegeben, wenn auch verzweifelt und mit gebrochenem Herzen, aber da kam Durer und hetzte ihn auf, und die meisten der Bauern gaben ihm recht, als er fragte, ob er es einfach hinnehmen wollte, daß ein tattriger Idiot ihm das Mädchen, das er liebte, verweigert. Also entführte der Junge das Mädchen und machte ihr ein Kind.“

Rod spitzte die Lippen. „Ich nehme an, Papa war darüber nicht erfreut.“

Toby nickte. „Er schleppte den Jungen vor den Dorfpriester und verlangte, daß man ihn wegen Schändung hänge, aber der Priester sagte, es sei Liebe und nicht Schändung gewesen, und die einzig passende Strafe dafür sei die Ehe und nicht der Galgen.“

Rod grinste. „Das Pärchen war bestimmt sehr traurig darüber.“

„So traurig, daß sie nicht wußten, wohin mit ihrer Freude“, versicherte ihm Toby feixend. „Und der alte Bauer gab seinen Segen.“

„Da mischte sich Durer wieder ein?“

„Allerdings. Vor all ihren Lords und Ladies forderte er die Königin auf, die Gerechtigkeit ihrer neuen Ordnung zu beweisen, indem sie in diesem Fall Gericht sprach, denn waren diese Bauern nicht von ihren eigenen Ländereien?“

Rod grinste und klatschte sich auf die Schenkel. „Sie dürfte gute Lust gehabt haben, ihm ins Gesicht zu spucken!“

„Ihr kennt die Königin nicht. Mit dem größten Vergnügen hätte sie ihm einen Dolch zwischen die Rippen gestoßen, aber sie mußte die Herausforderung annehmen und sich bei ihrer nächsten öffentlichen Rechtsprechung des Falles annehmen.“

„Öffentliche Rechtsprechung? Was ist das?“ fragte Rod.

„Jeden Monat öffnet die Königin eine Stunde ihren Hof, um allen, ob nun Edlen, Bauern und Geistlichen, ihr Ohr zu schenken. Meistens hören die Hohen Lords zu, während der niedrige Adel und das einfache Volk ihre Beschwerden vorbringen, da könnt Ihr Euch sicher vorstellen, daß kaum einer den Mund auch wirklich zu öffnen wagt.“

„Wann ist diese nächste öffentliche Rechtsprechung?“

„Morgen“, antwortete Toby. „Und ich glaube, die Hohen Lords werden dafür sorgen, daß ihre Geistlichen und Bauern gezwungenermaßen gegen die neuen Richter und Priester der Königin protestieren. Natürlich werden die Lords zuerst ihren

Protest vortragen, und die anderen werden es kaum wagen, nicht zuzustimmen.“

Rod nickte. „Aber was verspricht Durer sich davon, diesen Verführungsfall in die Öffentlichkeit zu ziehen?“

„Das weiß nur Durer“, erwiderte Toby.

Rod studierte die jungen Gesichter um sich. „Ist das nicht genau die Information, die die Königin braucht? Warum gebt ihr sie ihr nicht?“

Die Gesichter wurden ernst. Toby biß sich auf die Lippe und schaute zu Boden. „Wir haben es versucht, Freund Gallowglass.“ Er blickte Rod fast flehend an. „Wir haben es versucht, aber sie will uns nicht anhören.“

„Was soll das heißen?“

„Der Page, den wir zu ihr schickten, kam zurück und erklärte, die Königin habe gesagt, wir sollten ihr für den gebotenen Schutz dankbar sein und nicht so unverschämt, uns in ihre Regierungsangelegenheiten zu mischen. Aber vielleicht ist es besser so, denn sie hat auch so genug Sorgen, daß wir sie nicht noch mit Warnungen drohenden Unheils belästigen dürfen.“

Rod grinste freudlos. „Stimmt, mit ihren Edlen und den Bettlern hat sie genug Kummer.“

Toby nickte ernst. „Ja, sie hat mehr als ausreichend Schwierigkeiten mit den Ratgebern, dem Haus Clovis und dem Gespenst auf dem Dach.“

„Ja, Grund genug“, pflichtete Rod ihm bei. „Ich glaube, daß die Angst sie in den Klauen hat.“

Tom setzte sich auf, als Rod auf Zehenspitzen zu seinem Bett schleichen wollte. „Seid Ihr krank, Meister?“ fragte er besorgt.

„Nein, ich konnte nur nicht schlafen. Hast du schon einmal etwas von Kricket gehört?“

„Nein, Meister, was ist das?“

„Ein Spiel. In der Mitte des Spielfelds steht ein Tor, Wicket genannt. Eine Mannschaft versucht, es mit einem Ball zu treffen, während die andere es zu schützen sucht, indem sie den

Ball mit einem Schlagholz aufhält oder ablenkt. Dann wechseln die Mannschaften die Seiten. Die, die das Wicket zuvor angegriffen hat, verteidigt es jetzt.“

„Und was soll das alles, Meister?“ fragte der Riese und schüttelte verwirrt den Kopf.

„Nun, ich wollte eigentlich nur darauf hindeuten, daß, wer immer auch gewinnt, das Wicket ziemlich mitgenommen wird.

Und ich habe das Gefühl, daß hier ein gewaltiges Kricketspiel stattfindet. Nur beteiligen sich statt zwei gleich drei Mannschaften daran: die Ratgeber, die Bettler…“

„Das Haus Clovis“, murmelte Tom.

Rob hob überrascht die Brauen. „Ja, das Haus Clovis. Und natürlich die Königin.“

„Aber wer ist dann das Wicket?“

„Ich.“ Rod warf sich auf das Bett und preßte den Kopf auf das Kissen. „Und jetzt möchte ich schlafen. Gute Nacht.“

„Meister Gallowglass!“ rief eine Jungenstimme.

Rod schloß die Augen und betete um Kraft. „Ja, Page?“

„Eure Dienste werden zum königlichen Frühstück erwartet.“

Rod mußte zugeben, daß Catherine Plantagenet sich in Szene zu setzen verstand. Noch vor Sonnenaufgang standen die Posten Wache vor dem Eßsaal, und alle Lords und Ladies, die die Ehre hatten, am königlichen Frühstück teilzunehmen, kamen gleich nach dem ersten Hahnenschrei an. Doch erst, als alle versammelt waren und schon hungrig das Frühstück beäugten, machte Catherine ihren Auftritt und ließ sich von Lord Loguire an ihren Platz führen.

Jede Platte, die die vier Diener servierten, wurde erst von Brom O'Berin gekostet, der zur Linken der Königin saß. Er probierte von allem, und wenn er nach ein paar Minuten noch lebte, wurde der Königin davon vorgelegt.

Rod stand an der Osttür, wo er auch jetzt Catherine wieder gut sehen konnte, die am Nordende der Tafel saß, mit Lord Loguire zu ihrer Rechten, und Durer wiederum zu dessen.

Durer beugte sich vor und murmelte seinem Herrn etwas zu.

Loguire winkte ungeduldig ab. Er kaute an einem Stück Fleisch und spülte es mit einem Glas Wein hinunter, dann wandte er sich an Catherine. „Eure Majestät, ich mache mir Sorgen.“

Catherine betrachtete ihn kühl. „Wer tut das nicht? Wir müssen mit ihnen fertig werden, so gut wir es können.“

„Meine Sorge gilt Euch und dem Wohlergehen des Königreichs“, erklärte der Herzog gepreßt.

„Nun, ich will doch sehr hoffen, daß das Wohlergehen meiner Person auch Einfluß auf das meines Reiches hat.“

Loguires Nacken lief rot an, aber er ließ nicht locker. „Ich bin erfreut, daß Eure Majestät in einer Bedrohung Eures Wohlergehens auch eine in dem Wohlergehen dieses Landes sieht.“

Catherine zog die Brauen zusammen. „Das tue ich wahrhaftig.“

„Wenn das Leben der Königin bedroht ist, wird das Volk unruhig.“

Catherine legte ihre Gabel nieder und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Ihre Stimme klang mild, ja fast süß. „Ist mein Leben denn bedroht, Mylord?“

„Es hat ganz den Anschein“, erwiderte der Herzog bedächtig.

„Das Gespenst war auch vergangene Nacht wieder auf Eurem Dach.“

Rod spitzte die Ohren.

Catherine preßte die Lippen zusammen und schloß die Augen.

Schweigen senkte sich auf die Tafelnden herab. Brom sagte laut: „Das Gespenst wurde schon mehrmals auf den Zinnen des Turmes gesichtet, und doch lebt Ihre Majestät noch immer.“

„Sei still!“ fuhr Catherine ihn an. Sie straffte die Schultern und griff nach ihrem Weinglas. „Ich will nichts von dem Gespenst hören!“ Sie leerte das Glas und rief nach dem Truchseß, es nachzufüllen. Sofort sprang Durer auf, nahm der Königin das Glas ab und wandte sich damit dem herbeieilenden Truchseß zu, der es aus einer Kanne nachfüllte. Alle machten große

Augen, denn eine solche Höflichkeit Durers gegenüber der Königin war ungewohnt. Er drehte sich ihr wieder zu, ließ sich auf ein Knie vor ihr fallen und streckte ihr das Glas entgegen.

Catherine starrte ihn an, dann nahm sie es ein wenig zögernd.

„Ich danke dir. Ich muß gestehen, diese Höflichkeit hatte ich nicht von dir erwartet.“

Durers Augen glitzerten. Er erhob sich mit spöttischem Lächeln und verneigte sich tief.

Aber Rod war weniger vertrauensselig als Catherine, außerdem hatte er gesehen, daß Durer die Linke über das Glas gehalten hatte, ehe der Truchseß nachschenkte. Er rannte zur Königin, schnappte sich das Glas, das sie gerade an die Lippen setzen wollte und löste schnell den Dolch vom Gürtel. Catherine starrte ihn ergrimmt an. „Ich habe Euch nicht gerufen!“ sagte sie heftig.

„Verzeiht, Eure Majestät.“ Er schüttelte den Dolch aus der Hülle und füllte die konische Scheide mit Wein. Gott sei Dank hatte er daran gedacht, Gekab wieder einzuschalten, ehe er seinen Dienst antrat. Er hielt das Silberhorn hoch und sagte.

„Ich kann es nicht näher erklären, Eure Majestät, lediglich, daß ich um Euer Leben bangte.“

Aber Catherines Ärger war ohnedies, fasziniert von Rods Benehmen, bereits verraucht. „Was“, sie deutete auf die konische Dolchscheide, „ist das?“

„Das Hörn eines Einhorns“, erwiderte Rod und schaute Durer an, dessen Augen vor Wut brannten. „Analysiert“, meldete Gekab aus dem Mikrophon hinter Rods Ohr. „Substanz für menschlichen Metabolismus tödlich.“ Rod lächelte grimmig und drückte auf den Knopf an der Scheidenspitze.

Das Hörn des „Einhorns“ färbte sich purpurrot.

Ein Stöhnen des Schreckens wurde im ganzen Raum laut, denn jeder kannte die Legende, daß ein Einhornshorn purpurn anläuft, wenn man Gift hineingibt.

Catherine wurde totenbleich und preßte die Hände zusammen, um das Zittern ihrer Finger möglichst zu verheimlichen.

Loguire ballte die Fäuste. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wicht!“ wandte er sich an Durer. „Wenn das dein Tun ist…“

„Mylord, Ihr saht doch selbst, daß ich das Glas nur hielt“, krächzte Durer. Aber seine brennenden Augen waren auf Rod gerichtet und schienen ihm zu drohen.

Rod wurde als eine der vier Wachen eingeteilt, die Catherine von ihren Gemächern zum Audienzsaal eskortieren sollten.

Unterwegs näherte sich Durer der Königin. Er verbeugte sich dreimal tief und sagte: „Eure Majestät, gestattet mir Euch zu raten, Euch ohne Verzögerung die Petition der Hohen Lords anzuhören.“

Catherine blickte ihn finster und von oben herab an. „Weshalb glaubst du, es würde zu einer Verzögerung kommen?“

„Nun, Majestät, ich hörte, daß heute zwei Bauern vor Gericht erscheinen werden…“

„Ein Fall, den du mir höchstpersönlich aufgedrängt hast, Durer“, unterbrach ihn Catherine.

Durers Augen leuchteten kurz boshaft auf, doch sogleich verbeugte er sich wieder zutiefst. „Ich hatte gehört — ich fürchtete…“

„Was?“

„Eure Majestät sind in letzter Zeit so um die Bauern besorgt, daß ich fürchtete, Eure Majestät würden vielleicht…“

„Vor den Hohen Lords die Bauern anhören?“

„Das dürfen Eure Majestät nicht!“ Durer ließ sich vor ihr auf die Knie fallen. „Ihr dürft heute nichts tun, was die Hohen Lords beleidigen könnte, denn tut Ihr es, könnte leicht Euer Leben in Gefahr kommen.“

„Hältst du mich für feige? Und jetzt heb dich hinweg!“ Sie wandte sich ab und schritt durch die gewaltige Eichentür, die weit für sie geöffnet wurde. Rod riskierte einen Blick über die Schulter. Durers Gesicht war vor Hohn und Triumph verzerrt.

Ja, dachte Rod, die besten Ergebnisse erzielt man bei einem Teenager, wenn man ihm etwas verbietet, denn dann tut er es erst recht.

Die Wachen postierten sich zu beiden Seiten des vergoldeten Thrones auf einer etwa einen Meter hohen Plattform. Catherine schaute auf die Versammlung hinunter. In der ersten Reihe saßen die zwölf Lords auf Holzstühlen in Stundenglasform in einem Halbkreis um die Stufen zur Plattform. Hinter ihnen standen vierzig oder fünfzig Männer mittleren Alters in Braun, Grau oder Dunkelgrün gekleidet mit Samtkrägen an den Wämsern und kleinen eckigen Filzhüten. Silber oder Goldketten hingen von ihren imposanten Bäuchen. Vermutlich die hiesigen Bürger — Beamte, Kaufleute, Gildenmeister, also die Bourgeoisie, nahm Rod an. Ihnen schlössen sich die Geistlichen in schwarzen Kapuzenumhängen an, und wiederum hinter ihnen Landleute in Flickenkleidung. Rod war ziemlich sicher, daß man sie aus der Burgküche hierher beordert hatte, damit alle Klassen vertreten wären.

Die Bauern hatten in der Mitte einen freien Platz gelassen und dort standen, zwischen vier Soldaten im Grün und Gold der Königin, zwei Bauern, deren Gesichter vor Angst verzerrt waren und die ihre Hüte in den Händen fast zerquetschten. In ihrer Begleitung befand sich ein Priester. Aller Augen ruhten auf der Königin. Broms Stimme hallte durch den ganzen Saal: „Wer sucht heute die Gerechtigkeit Ihrer Majestät der Königin?“

Ein Herold las von einer Schriftrolle zwanzig Petitionen ab. Die erste war die der zwölf Hohen Lords, die letzte die von Durers zwei Bauern.

Catherins Hände verkrampften sich um die Thronlehne. Mit hoher, klarer Stimme rief sie: „Gott, unser Herr, sagte: Die Niedrigen werden erhöht werden; und die letzten werden die ersten sein. Also wollen wir uns zuerst die Aussagen der beiden Bauern anhören.“

Einen Augenblick herrschte schockiertes Schweigen, dann erhob sich Lord Loguire und donnerte: „Aussagen! Bedürft Ihr ihrer Aussagen so sehr, daß Ihr diese Bauerntölpel vor den höchsten Eurer Edlen anhören wollt?“

„Mein Lord!“ fauchte Catherine. „Ihr vergeßt Euren Platz auf meinem Hof!“

„Nein, Ihr seid es, die den Respekt und die Tradition vergessen hat, die Ihr auf den Knien Eures Vaters lerntet! Nie hätte der alte König seine Lehnsmänner so gedemütigt!“

„Ihr scheint zu vergessen, alter Mann, daß mein Vater tot ist und ich jetzt regiere!“

„Regieren!“ Die Lippen Loguires verzogen sich bitter. „Nicht regieren kann man es nennen, sondern tyrannisieren!“

Erschrocken hielten alle den Atem an, dann erhob sich ein immer lauter werdendes Flüstern: „Hochverratverratverrat…“

Brom O'Berin stand mit zitternden Beinen auf. „Mylord Loguire, Ihr müßt die Königin auf den Knien um Verzeihung bitten, wollt Ihr nicht als Verräter gelten!“

Loguires Gesicht schien zu Stein zu erstarren, doch noch ehe er etwas zu sagen vermochte, erklärte Catherine mit angespannter Stimme: „Unnötig, um Vergebung zu bitten, denn es wird keine gewährt werden. Ihr, Mylord Loguire, werdet von nun aus Unserem Hof verbannt, um Uns nie wieder vor die Augen zu treten.“

„Kind“, murmelte der alte Mann, und Rod sah Tränen in seinen Augen glitzern, „willst du den Vater genauso behandeln wie den Sohn?“

Catherines Gesicht wurde leichenblaß. „Geht, Mylord Loguire, oder ich muß die Hunde auf Euch hetzen!“ sagte Brom mit vor Grimm zitternder Stimme.

Noch einmal schaute Lord Loguire zu Catherine mit Trauer in den Augen hoch. „So wollt Ihr mich denn Euren Feind nennen Catherine blickte über die Nasenspitze auf ihn hinab. Loguire biß die Zähne zusammen. Kalter Stolz löste die Trauer ab. Wortlos drehte er sich auf dem Absatz und schritt zum Portal. Überlegend blieb er stehen, dann wandte er sich noch einmal um. Seine Stimme, die jetzt wieder sanft und gütig klang, füllte den ganzen Saal. „Eines noch, Catherine, die ich einst meine Nichte nannte — solange ich lebe, habt Ihr die Soldaten Logui-res nicht zu fürchten.“ Dann stapfte er mit wallendem Umhang zur Tür hinaus. Wie ein Mann erhoben sich die übrigen elf Hohen Lords und folgten Loguire ins Exil. „Also, wie hat sie den Fall der beiden Bauern entschieden?“ fragte Gekab, den Rod ausritt, um sich ungestört mit ihm unterhalten zu können, denn in der Kaserne war er selten allein, und dem Roboter nur durch das Mikrophon zu lauschen, war unbefriedigend.

„Oh“, antwortete Rod. „Sie erklärte die Entscheidung des Priesters für richtig. Dem alten Bauern gefiel das nicht so recht, aber Catherine hatte ein As im Ärmel, sie sagte, der Junge müsse seinen Schwiegervater im Alter unterstützen. Woraufhin der alte Bauer grinste, und der Junge so aussah, als wäre er sich gar nicht mehr sicher, daß er den Fall gewonnen hatte.“ „Eine großartige Entscheidung“, lobte Gekab. „Die junge Dame könnte als Richter eine Karriere machen.“ „Wenn sie nur die Finger von der Politik ließe“, murmelte Rod. Sie ritten der untergehenden Sonne entgegen, die den Himmel blutrot färbte. Das erinnerte Rod an etwas. „Sagtest du nicht, es bestünde die Gefahr eines weiteren Attentats auf die Königin?“ „Ja, durch die Ratgeber der Hohen Lords, die zweifellos alle der gleichen außerplanetaren Rasse angehören, was allein schon ihr Aussehen beweist, das auf eine Kultur mit langlebigem Alter schließen läßt, und das wiederum auf hohe Technologie. Sie sind auf totale Anarchie auf diesem Planeten aus, und da steht ihnen Catherine natürlich im Weg. Doch nicht nur die Ratgeber sind ihr Feinde, sondern auch der Spötter.“ „Wa-as?“

„Wie, würden Sie sagen, sieht er aus?“

„Abstoßend häßlich!“ Rod schüttelte sich.

„Sein Körperbau? Sein Höcker kann vorgetäuscht sein.“

„Du meinst doch nicht… Ja, du magst recht haben. Er ist genauso groß und dürr wie die Ratgeber, und wenn man über die vielleicht betonte Häßlichkeit hinwegsieht, hat er tatsächlich unverkennbare Ähnlichkeit mit den Ratgebern! Was bedeutet, daß auch er aus einer Kultur mit hochentwickelter Technologie stammt, wenn auch nicht unbedingt von derselben wie die Ratgeber.“

„Das heißt aber nicht, daß sie zusammengehören“, gab Gekab zu bedenken. „Er ist vielleicht nicht an totaler Anarchie, sondern an der Errichtung einer Diktatur interessiert. Aber deshalb steht auch ihm Catherine im Weg. Er sieht lieber jemanden auf dem Thron, den er beherrschen kann.“

„Tuan!“ rief Rod.

„Ja, doch zuerst muß er, wie gesagt, die Königin eliminieren.“

„Also sind sowohl die Ratgeber als auch das Haus Clovis auf Catherines Blut aus!“

„Richtig. Doch bis jetzt gibt es keine Anzeichen, daß sie zusammenarbeiten, eher gegeneinander…“

„Aber was wollen sie hier, Gekab?“

„Wir können annehmen, daß sie getrennt voneinander hierherkamen, um etwas an sich zu bringen, das es hier auf Gramayre gibt.“

Rod zog die Brauen zusammen. „Es gibt hier doch, soviel ich weiß, keine seltenen Bodenschätze…“

„Ich dachte dabei an Schätze menschlicher Art.“

Rods Augen weiteten sich. „Die Esper! Natürlich! Sie sind der Hexen wegen hier!“

„Oder der Elfen!“ meinte Gekab.

„Was könnten sie denn mit den Elfen anstellen?“ fragte Rod stirnrunzelnd.

„Ich habe noch keine Hypothese dafür, aber die logische

Möglichkeit darf nicht außer acht gelassen werden.“

„Na gut, du bleibst bei der logischen Möglichkeit, und ich bei den Hexen. Wer über Telepathen verfügt, könnte die Macht in der Galaxis an sich reißen. He!“ rief er erschrocken. „Das wäre tatsächlich möglich!“

Ein schrilles Heulen erhob sich von den Burgzinnen, unmittelbar unter dem Ostturm. Rod konnte die Einzelheiten der Gestalt dort erkennen, obwohl sie verschwommen, eben wie ein Gespenst war. Aber dazu mußte sie riesig sein, wenn man die Entfernung in Betracht zog. Sie trug die Fetzen eines Leichentuchs, hatte die Figur einer üppigen Frau, aber den Kopf eines Kaninchens mit Stoßzähnen.

„Beeilung, Gekab!“ brüllte Rod und galoppierte zur Burg zurück, wo er auf dem Weg zu den Gemächern der Königin fünf Paar Wachen überrannte. Brom O'Berin wartete bereits mit verschränkten Armen vor der Tür auf ihn. „Du hast lange gebraucht!“ brummte er finster, aber seine Augen verrieten die Angst. Du mußt heute nacht neben ihrem Bett Wache halten, Zauberer.“

Rod erstarrte. „Ich bin kein Zauberer, sondern Söldner!“

„Es ist nicht die richtige Zeit, mir zu widersprechen. Du kannst dich nennen, wie du willst, aber jedenfalls hast du die Kräfte eines Zauberers. Also, marsch, hinein mit dir!“

Catherine saß in einem riesigen Bett und schaute ihnen überrascht entgegen. „Was wollt ihr hier?“ rief sie empört.

Hatte sie das Geheul des Gespensts wirklich nicht gehört?

Sie streckte die Hand aus, um sich einen Kelch mit dampfendem Glühwein von einer Leibmagd reichen zu lassen.

Hastig sprang Rod dazwischen und faßte nach dem Kelch, während er mit der Linken das „Einhorn-horn“ vom Gürtel löste.

„Mein Herr, was soll das!“ fauchte Catherine.

Gekabs Stimme drang aus dem Mikrophon: „Substanz der Analyseneinheit ist schädlich für menschlichen Metabolismus.“

Aber die konische Hülle war leer. Rod hatte den Wein überhaupt noch nicht hineingegossen. Nur Luft befand sich in ihr! Nur Luft!

Rod drückte den Knopf. Die Scheide färbte sich purpurrot. Die Königin starrte auf das Einhornhorn. „Was bedeutet das?“ fragte sie erschrocken.

„Vergiftete Luft!“ stieß Rod hervor und drückte den Kelch in die Hand einer Leibmagd. Er sah sich um. Etwas hier strömte Giftgas aus. Der Kamin! Er rannte zu den Flammen und hielt die Scheide darüber, doch das Purpur verblaßte ein wenig. „Nicht hier!“ brummte Rod. Er hielt das Hörn hoch und stapfte damit kreuz und quer durch das Gemach. Die Scheide blieb lavendelfarbig. Er näherte sich dem Bett, und sie färbte sich wieder dunkler.

Grauenerfüllt, aber fasziniert schaute Catherine auf das Horn. Rod bückte sich und schaute unter das Bett. Auf dem Steinboden darunter stand eine dampfende Wärmpfanne. Er packte den langen Griff, zog sie hervor und hielt die Scheide über das Loch, aus dem der Dampf stieg. Soviel er sich erinnerte, hatten Wärmpfannen normalerweise außer dem normalen Verschluß keine Öffnungen. Das Horn färbte sich fast schwarz. Rod schaute zur Königin hoch. Sie hatte sich die Fingerknö chel einer Hand zwischen die Lippen geschoben, um nicht zu schreien.

Rod drehte sich um und streckte die Pfanne einem Posten entgegen. „Schnell, wirf es in den Burggraben!“ befahl er ihm. Dann wandte er sich erneut Catherine zu. „Wir haben das Gespenst wieder einmal hereingelegt, Eure Majestät!“ Catherines Hand zitterte, als sie sie vom Mund nahm. Ein wildes Licht glitzerte in ihren Augen. „Meister Gallowglass, bleibt bei mir. Ihr anderen, zieht euch zurück, sofort!“ Rod schluckte und seine Knie wurden weich. Sie war in diesem Augenblick die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Wachen und Leibmägde drängten sich zögernd durch die Tür.

Nur der Zwerg blieb. „Brom O'Berin“, befahl die Königin, „laß auch du uns allein!“

Empört wollte der Troll aufbegehren, doch dann schluckte er seinen Ärger und schloß die Tür hinter sich.

Catherine legte sich auf die weichen Seidenkissen zurück und griff mit einer Hand nach Rods. „Ihr habt mir nun zum zweitenmal das Leben gerettet, Meister Gallowglass.“ Sie drehte sich auf die Seite, daß die Samtrobe, in die sie sich gehüllt hatte, weit klaffte. Offenbar zog sie es vor, nackt zu schlafen.

Rod biß die Lippen zusammen. Du bist nicht hier, dich von einer Königin verführen zu lassen, Junge, mahnte er sich, sondern um für Demokratie zu sorgen.

Catherine spielte mit einem Anhänger um den Hals und betrachtete Rod wie eine Katze den Kanarienvogel. „Söldner haben einen bestimmten Ruf“, murmelte sie. Ihre Lippen glänzten feucht.

„So wie meine Königin ihr Land reformieren will, hoffe auch ich, den Beruf des Soldaten zu reformieren und so seinen Ruf zu bessern.“

Einen Augenblick mußte Catherines Herz ausgesetzt haben, so reglos lag sie. Dann verhärteten sich ihre Züge, und das Schweigen im Zimmer wurde angespannt. Sie zog die Samtrobe über dem Busen zusammen. „Euch gilt höchstes Lob, Meister Gallowglass“, sagte sie gepreßt. „Ich bin wahrhaft glücklich zu schätzen, solch getreue Männer um mich zu haben.“

Unter den gegebenen Umständen war sie für diese Worte zu bewundern, obgleich Rod ein wenig Spott aus ihrer Stimme zu hören glaubte. Sie schaute ihm in die Augen. „Nehmt den Dank der Königin entgegen“, fuhr sie fort.

Rod ließ sich auf ein Knie fallen.

„Ja, wahrhaftig bin ich glücklich zu schätzen“, wiederholte Catherine. „Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich glaube, daß ich nicht so leicht in der Gegenwart eines anderen Soldaten so sicher wäre wie in Eurer.“

Rod wand sich innerlich.

Sie lächelte, und einen flüchtigen Moment glitzerten ihre Augen boshaft und zufrieden, doch dann senkte sie den Blick.

„Geht jetzt, ich habe morgen einen schweren Tag vor mir und muß ausgeruht sein.“

„Euer Wunsch ist mir Befehl!“ Rod drehte sich um und stapfte zur Tür hinaus. Doch länger konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er hieb mit der Faust gegen die Wand.

„Nun, muß ich mich vor dir als dem nächsten König zu Boden werfen?“ knirschte Brom O'Berin zwischen den Zähnen hervor.

Rod hielt sich nur mühsam zurück. „Ich muß meine Zeit besser nutzen, als die königliche Wiege an mich zu reißen.“

Die Wut schwand aus Broms Augen. „Ich glaube dir“, murmelte er.

Rod preßte die Lider und Zähne zusammen und ballte hilflos die Fäuste. Viel länger konnte er sich nicht mehr beherrschen.

Wie aus weiter Ferne hörte er Brom sagen: „Er hat eine Botschaft aus dem Hexenturm für dich…“

Rod zwang sich, die Augen zu öffnen. Zu Broms Füßen saß im Schneidersitz ein Elf: Puck.

Rod straffte die Schultern. Wenn die Hexen ihm eine Botschaft schickten, war sie zweifellos wichtig. Er mußte seiner Wut später Luft machen. „Also, heraus mit der Sprache“, forderte er den Troll auf. „Was lassen die Hexen mir sagen?“

Aber Puck schüttelte lediglich den Kopf und murmelte: „Großer Gott, welche Dummköpfe diese Menschen sind!“ Er sprang hastig zur Seite, ehe Rods Faust einen Sekundenbruchteil später gegen die Wand schlug, an die er sich gerade noch gelehnt hatte. Rod heulte vor Schmerz auf und wirbelte herum. Er sah Puck und holte erneut gegen ihn aus.

„Nicht so heftig“, murmelte Robin Goodfellow, und schon füllte ein riesiger, grell rosa und grüner Drache den ganzen Korridor.

Rod sperrte die Augen auf, dann grinste er und fletschte in wilder Freude die Zähne. Er duckte sich unter den Flammen und schoß unter dem Schädel des Ungeheuers hoch. Seine Finger legten sich um den Schuppenhals und die Daumen drückten in die Halsschlagader. Der Drache riß vor Schmerz heulend den Schädel hoch und schlug damit wie eine Peitsche um sich. Aber Rod ließ nicht locker, auch nicht, als der Drache seinen Kopf gegen die Wand hämmerte. Dann beugte er den mächtigen Hals, und die gewaltigen Krallen der Hinterbeine rissen Rods Seite vom Schlüsselbein bis zu der Hüfte auf. Blut spritzte heraus. Rod spürte, wie Schwärze ihn einzuhüllen drohte, aber er war entschlossen, den Drachen mit sich in den Tod zu nehmen.

Grimm erfüllte ihn, daß ihm ein Wutanfall, einer Frau wegen, das Leben kosten sollte. Da schwand die Schwärze wieder, die ihn schon fast übermannt hatte. Der Drache war verschwunden. Nur noch die brokat-behangenen Granitwände waren zu sehen. Blinzelnd starrte Rod an sich hinab. Sein Wams war unbeschädigt, von Blut oder auch nur der geringsten Verletzung keine Spur. Und plötzlich war sein Kopf wieder völlig klar und er schaute hinab auf den Elf. Puck erwiderte seinen Blick ernst. „Zauber?“ fragte Rod ihn.

Puck nickte. „Es war notwendig. Doch begleitet mich jetzt zu den Hexen. Sie beriefen eine Versammlung ein, und als Zauberer müßt Ihr daran teilnehmen.“

Rod war es leid, wieder einmal zu erklären, daß er keiner war. Als Versammlung konnte man diese Zusammenkunft der Hexen wohl nicht bezeichnen. Sie feierten noch ausgelassener als in der vergangenen Nacht. „Weshalb die neue Party?“ erkundigte sich Rod. „Wir feiern, weil unsere Königin lebt!“ brüllte Roby vergnügt.

„Und Ihr seid der Held! Ihr habt das Gespenst vertrieben!“

„Held…“ Rod griff nach dem angebotenen Krug, nahm einen tiefen Schluck und fing plötzlich heftig zu husten an.

„Was habt Ihr?“ erkundigte sich Toby besorgt und klopfte dem Älteren kräftig auf den Rücken.

„Hör auf!“ krächzte Rod. „Mir fehlt nichts. Mir ist bloß plötzlich etwas klar geworden: das Gespenst ist gar nicht echt!“

„Was sagt Ihr da?“ brüllte Toby durch den Lärm der Feiernden.

„Das Gespenst soll doch nur erscheinen, wenn jemand stirbt!“

brüllte Rod zurück. „Richtig?“

„Ja“, erwiderte Toby verwirrt.

„Wenn jemand stirbt!“ betonte Rod. „Nicht, wenn jemand in Gefahr ist. Also schließe ich, daß es kein echtes Gespenst ist — jemand läßt es erscheinen. Die Frage ist nur, wer?“

Tobys Kinn klappte hinunter. „Aldis!“ rief er. Und als Rod nickte, fuhr er fort: „Lausch auf Durers Gedanken!“

Das Mädchen nickte und schloß die Augen. Nach einer kurzen Weile öffnete sie sie wieder und starrte Rod verängstigt an.

„Sie sind sehr wütend, daß die Königin nicht starb, aber noch wütender, weil sie nicht wissen, wer heute nacht das Gespenst auf die Zinnen geschickt hat.“

Rod nickte und preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Dann nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Krug und schritt zur Treppe. Toby flog ihm nach und griff nach seinem Ärmel. „Wohin eilt Ihr?“

„Zu den Zinnen“, erwiderte Rod. „Wo sollte ich sonst nach dem Gespenst Ausschau halten?“

Der Nachtwind schnitt durch seine Kleider, als er hinaus auf die Zinnen trat. Ein Mond warf seinen Schatten vor ihm her und ließ die Zinnen wie lückenhafte Zähne aufleuchten. Rod entsann sich, daß das Gespenst bisher noch jedesmal unter dem Ostturm erschienen war. Er blickte hinunter auf die Stadt. Eine lange weiße Straße wand sich dort zur Zugbrücke hoch. Und genau in der Mitte der Stadt erhob sich wie ein riesiger

Grabstein aus Basalt das Haus Clovis.

Plötzlich hörte Rod ein stolperndes, scharrendes Geräusch hinter sich. Sofort duckte er sich und zog den Dolch. Tom kam mit etwas um den Arm gewunden schweratmend die Wendeltreppe hoch. Als er Rod sah, leuchtete sein Gesicht auf.

„O Herr, es ist Euch nichts passiert!“ rief er erleichtert.

„Was sollte mir schon passiert sein?“ entgegnete Rod und schob den Dolch in die Scheide zurück. „Was machst du denn hier?“

Der Riese blieb stehen. Er schaute verlegen zu Boden. „Ich -

ich hörte, Meister, daß…“ Dann blickte er hoch und die Worte überschlugen sich fast: „Ihr dürft Euch nicht mit dem Gespenst anlegen, Herr! Doch wenn Ihr es tut, sollt Ihr es nicht allein!“

Rod musterte das Gesicht des Giganten und fragte sich, wie er diese tiefe Verehrung verdient hatte, dann lächelte er weich.

„Deine Knie sind zu Gummi geworden, allein bei dem Gedanken an das Gespenst, und trotzdem hast du den Mut, mich zu begleiten.“

Tom grinste verlegen und starrte wieder auf den Boden. Rod konnte sich im Mondlicht nicht sicher sein, aber ihm war, als hätte eine schwache Röte das Gesicht des Riesen überzogen. Er machte sich in Richtung auf den Ostturm auf den Weg. Tom stapfte neben ihm her. Plötzlich warf er ihm seinen Umhang, den er um den Arm gewunden gehabt hatte, über die Schultern.

„Damit Ihr nicht friert, Herr“, brummte er.

Rod war von dieser Geste gerührt, doch gleichzeitig wurde ihm klar, daß der Umhang ihn in einem eventuellen Kampf behindern würde — und genauso klar wurde ihm, daß das auch Tom bewußt war.

„Habt Ihr denn keine Angst vor dem Gespenst, Meister?“

Rod dachte nach. „Nein, warum auch? Diese Art von Gespenstern hat noch nie jemandem etwas angetan, es ist nur so eine Art Todesbote, verstehst du?“

„Trotzdem ist es ein Wunder, daß Ihr keine Angst habt. Wollt

Ihr nicht lieber in den Schatten des Zinnengangs gehen, Meister? Ihr seid dort sicherer. In der Mitte, wo Ihr Euch befindet, könnt Ihr von beiden Seiten angegriffen werden.“

„Ich ziehe die Mitte vor“, erklärte ihm Rod. „Wenn die Straße richtig gebaut ist, ist sie in der Mitte am höchsten, und der Wanderer sieht, was von links und rechts kommt. Die Seiten dagegen können trügerisch sein. Natürlich ist man dort der Sicht am ehesten ausgesetzt, und deshalb haben die wenigsten den Mut, dort dahinzuschreiten.“ Ohne Übergang fragte er: „Hast du schon einmal etwas von dialektischem Materialismus gehört, Tom?“

„Wie kommt Ihr…“ Aber Tom fing sich schnell und murmelte: „Nein, Meister, nie!“

Aha, dachte Rod, hab' ich dich überrascht. Laut sagte er: „Es ist eine terranische Philosophie. Ihre Ursprünge liegen im Dunklen Zeitalter, aber manche Menschen richten sich noch danach.“

„Was ist terranisch?“ fragte der Riese.

„Ein Traum.“ Rod seufzte. „Und ein Mythos.“

„Lebt Ihr danach, Meister?“

Rod schaute verblüfft hoch. „Nach dem Traum von Terra?“

„Nein, nach diesem dialek… Mit welchem Zauber Ihr es auch benennt…“

„Was? Den dialektischen Materialismus?“ Rod grinste. „Nein, aber einige seiner Konzepte sind manchmal recht praktisch, wie beispielsweise die Idee der Synthese. Weißt du was das ist, Tom?“

„Nein, Meister.“ Tom schüttelte energisch den Kopf.

Na, ja, sein Staunen war vermutlich echt, denn das letzte, was Tom erwartete, war sicherlich, daß Rod eine totalitäre Philosophie zitierte. „Es ist der Weg in der Mitte“, erklärte Rod. „Rechts des Weges ist die These und links die Antithese.

Zusammengenommen ergeben sie die Synthese.“

„Oja.“ Tom nickte.

Ziemlich schnelle Auffassungsgabe für einen Bauerntölpel, dachte Rod spöttisch. „Sowohl These als auch Antithese sind teilweise falsch. Also wirft man die falschen Teile zur Seite, gibt die richtigen zusammen — das heißt, man nimmt das Beste davon —, nennt das Ergebnis Synthese, und man hat die Wahrheit. Verstehst du?“

Toms Augen nahmen einen wachsamen Ausdruck an. Er wußte nun, worauf Rod hinauswollte.

„Und da die Synthese der Weg in der Mitte ist, ist er natürlich unbequem“, fuhr Rod fort. „Doch genug der Philosophiererei.

Wir wollen uns an die Arbeit machen.“

Plötzlich hörten sie ein Scharren im Schatten. Tom sprang zurück und zog seinen Dolch. „Das Gespenst!“ brüllte er. Auch Rod umklammerte den Dolchgriff, doch da huschte eine riesige Ratte an ihm vorbei.

„Gott sei Dank, nur eine Ratte“, seufzte der große Tom erleichtert. „Es gibt hier so viele von ihnen.“

„Ja, aber ich sah noch etwas, als sie an mir vorbeirannte.“ Rod kniete sich neben die Außenmauer und tastete über den Stein.

„Hier!“ Er nahm die Hand des Riesen, der ihm besorgt den Knoblauchatem ins Gesicht blies, und drückte sie an seine Entdeckung.

Tom holte erschrocken Luft und riß seine Hand zurück. „Es ist kalt.“ Seine Stimme zitterte. „Kalt und rechteckig, und — es hat mich gebissen!“

„Dich gebissen?“ fragte Rod stirnrunzelnd, während er über die metallene Box tastete. Er spürte einen leichten elektrischen Schlag und zuckte ebenfalls zurück. Wer immer dieses Ding hier angebracht hatte, mußte ein blutiger Amateur sein. Es war nicht einmal richtig geerdet — oder vielleicht war es Absicht, um denen, die zufällig darüber stolperten, einen Schrecken einzujagen? Rod zog den Dolch und war froh über die Isolierung, die der lederne Griff bot. Vorsichtig schraubte er den Deckel der Metallbox auf. Er sah den scheinbaren

Wirrwarr der silbrigen Schaltkreise, die jedoch insgesamt nicht mehr Raum einnahmen als sein Daumennagel. Seine Kopfhaut prickelte. Wer immer dieses Ding angefertigt hatte, verstand mehr von molekularen Schaltkreisen als die Techniker seiner Heimat. Aber weshalb eine so große Box für eine so winzige Einheit?

Der Rest der Box war mit einer Apparatur ausgefüllt, die Rod völlig unverständlich war. Er betrachtete die Oberfläche der Box. In der Mitte befand sich ein durchsichtiger Kreis. Rod runzelte die Stirn. So etwas hatte er noch nie gesehen. Seiner Schätzung nach war der Schaltkreis Teil einer Fernbedienung.

Aber was war der Rest der Apparatur?

„Herr, was ist das?“

„Ich weiß es nicht“, murmelte Rod, „aber ich glaube fast, daß es etwas mit dem Gespenst zu tun hat.“ Er tastete mit der Dolchspitze in dem Ding herum. Natürlich mußte er äußerst vorsichtig sein, denn wie leicht mochte es mit einem Selbstzerstörungsmechanismus versehen sein, der bei einer falschen Berührung ringsum alles in die Luft sprengte. Da drückte die Dolchspitze auf etwas. Die Maschine klickte und begann leise zu summen.

„Weg, Herr!“ brüllte Tom. Aber Rod kümmerte sich nicht darum. Er starrte auf die wolkenartige Substanz, die aus dem durchsichtigen Kreis hochstieg. Und eine Sekunde später klickte eine zweite Maschine irgendwo vor Rod, und ein Lichtstrahl schoß von der Außenmauer über Rods Kopf in die Wolke und breitete sich fächerförmig aus.

„Das Gespenst!“ heulte Tom auf. „Flieht um Euer Leben, Herr!“

Tatsächlich bewegte das Gespenst sich etwa drei Meter über Rod. Ganz deutlich konnte er die üppige Frauengestalt mit dem Kaninchenkopf sehen. Ein verborgener Lautsprecher fing zu summen an, und als der erste Heulton sich erheben wollte, zog Rod die Dolchspitze um etwa einen Zentimeter zurück. Der

Lichtfächer erlosch, das Zischen des mechanischen Rauchtopfs erstarb. Rod drückte den Deckel wieder auf den Apparat. „Was war das, Meister?“ wisperte Tom.

„Ein Zauber. Und das Gespenst ist nichts als Schwindel. Komm, Tom, du mußt mich am Fußgelenk festhalten.“ Er legte sich in eine Zinnenöffnung, mit den Knien unmittelbar über dem Rauchtopf. Brummelnd griff Tom nach seinen Knöcheln. Rod schob sich vorwärts, bis sein Kopf hinausragte. Fast direkt unter seinem Kinn befand sich eine kleine Box mit herausragender Linse: ein Miniaturprojektor, der das Gespensterbild auf die Rauchwolke warf und so die Illusion einer dreidimensionalen Gestalt hervorrief. Und das Ganze wurde mit Fernsteuerung bedient. Von wo aus? „Halt mich ganz fest“, befahl er Tom und kroch fast ganz nach vorn. Er konnte nur hoffen, daß er sich in dem Riesen nicht täuschte und der ihn losließ, denn den Sturz in die Tiefe würde er nicht überleben. Aber er konnte jetzt nicht mehr zurück. Er starrte an der Mauer hinunter. Und da entdeckte er auch die Antenne. Nun mußte er nur noch den Sender finden. Und so gut er sich auch der Architektur anpaßte, seine scharfen Augen erspähten den Fremdkörper — auf dem Haus Clovis! Einen Augenblick überschlugen sich seine Gedanken. Also waren es tatsächlich nicht nur die Ratgeber, die allerdings auch, denn er hatte Durer ja selbst ertappt. Aber die umfunktionierte Wärmpfanne hatte sich bestimmt durch einen Dienstboten leichter unterschieben lassen als durch einen Ratgeber. Das Zittern von Toms Händen riß ihn aus seinen Überlegungen. So schwer bin ich doch auch wieder nicht, dachte er, aber er kroch eilig zurück und glaubte, Tom einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen zu hören, als er wieder in Sicherheit war. Er drehte sich zu ihm um. Dicker Schweiß strömte über des Riesen Gesicht, und seine Unterlippe zitterte. Schweigend blickte er ihm in die Augen, dann murmelte er: „Danke, Tom.“

Der Riese drehte sich um und schritt zur Treppe zurück. Rod fiel neben ihn in Gleichschritt. Sie hatten die Treppe schon fast zur Hälfte zurückgelegt, als Tom endlich den Mund öffnete: „Wißt Ihr jetzt, Herr, wer diesen Zauber schickte?“

Rod nickte. „Das Haus Clovis.“

„Weshalb habt Ihr dieses — Ding nicht zerstört?“

Rod zuckte die Schultern. „Es diente uns bisher immer als gute Warnung, daß der Königin Gefahr droht.“

„Wem werdet Ihr davon erzählen?“

Rod schaute zu den Sternen auf. „Meinem Pferd“, antwortete er.

„Pferd?“ brummte Tom erstaunt.

„Ja, sonst niemandem, bis ich mir sicher sein kann, auf wessen Seite van Loguire steht — auf der der Königin, oder der ihrer Feinde.“

„Ah.“ Tom schien diese Erklärung zu genügen. Rod schätzte seinen Status nun noch höher als zuvor ein. Offenbar wußte der Bursche mehr von dem, was vorging, als er.

„Ihr seid dem Tod heute nacht nur um Haaresbreite entgangen, Meister“, brummte Tom.

„Oh, das glaube ich nicht. Es war nur ein vorgetäuschtes Gespenst, es hätte uns nichts anhaben können.“

„Ich meinte nicht das Gespenst, Herr.“

„Ich weiß.“ Rod blickte Tom fest in die Augen, dann stieg er weiter die Treppe hinunter. Erst nachdem er sechs Stufen zurückgelegt hatte, wurde ihm bewußt, daß Tom ihm nicht folgte. Er schaute über die Schulter. Tom starrte ihn mit offenem Mund an. Schließlich faßte er sich. „Ihr kanntet die Gefahr, Meister?“

„Allerdings.“

Tom nickte bedächtig, dann stieg auch er die Stufen hinunter.

„Herr“, sagte er nach einer Weile. „Ihr seid entweder der tapferste Mann, den ich kenne, oder der größte Narr.“

„Vermutlich beides“, murmelte Rod.

„Ihr hättet mich töten müssen, gleich, als Ihr mich durchschaut habt.“ Toms Stimme zitterte ein wenig.

Rod schüttelte nur wortlos den Kopf.

„Warum nicht?“ Tom brüllte es fast.

Rod seufzte. „Vor langer, langer Zeit lebte ein König…“

„Es ist nicht die richtige Zeit für Märchen, Herr!“

„Es ist kein Märchen, eher eine Parabel — und vermutlich beruht sie auf Wahrheit. Nun, der König hieß Hideyoshi und herrschte über ein Land namens Japan, und der höchste Edelmann dieses Landes war leyayasu.“

„Und er wollte König werden?“

„Ich sehe, daß du mit dem grundlegenden Prinzip vertraut bist.

Jedenfalls wollte Hideyoshi leyayasu nicht töten.“

„Er war ein Narr“, knurrte Tom.

„Nein, denn er brauchte leyayasus Unterstützung. Also lud er ihn zu einem Spaziergang in seinem Lustgarten ein, nur die beiden allein.“

Tom blieb stehen. „Und sie kämpften.“

Rod schüttelte den Kopf. „Hideyoshi sagt, er würde alt und schwach, und bat leyayasu, das Schwert für ihn zu tragen.“

Tom starrte Rod schweigend an. Dann schluckte er und nickte.

„Und was geschah dann?“

„Nichts. Sie unterhielten sich eine Weile, dann gab leyayasu Hideyoshi das Schwert zurück.“

„Und?“

„Leyayasu war dem König treu ergeben, bis dieser starb.“

Toms Gesicht wirkte wie aus Holz geschnitten. „Ein kalkuliertes Risiko“, murmelte er.

„Ziemlich ungewöhnliche Sprache für einen Bauern hm?“

Etwas Unverständliches knurrend, wandte Tom sich ab. Nach einer Weile folgte Rod ihm lächelnd. Sie hatten den Wachraum fast erreicht, als Tom Rod eine Pranke auf die Schulter drückte.

„Was seid Ihr?“ brummte er.

„Du meinst, für wen ich arbeite? Nur für mich, Tom.“

„Nein.“ Tom schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Aber danach fragte ich auch nicht. Was seid Ihr für ein Mensch?“

Rod runzelte die Stirn. „An mir ist nichts Ungewöhnliches.“

„O doch. Ihr tötet einen Bauern nicht einfach…“

„Ist das denn so ungewöhnlich?“ fragte Rod erstaunt.

„Allerdings. Und Ihr kämpft für Euren Diener, und vertraut ihm, und erteilt ihm nicht nur Befehle, sondern unterhaltet Euch sogar mit ihm. Was seid Ihr nur, Rod Gallowglass?“

Verwirrt breitete Rod die Hände aus. „Ein Mann, weiter nichts.“

Tom musterte ihn kurz, dann nickte er. „Ja, das seid Ihr. Meine Frage ist beantwortet.“

Ein Page eilte herbei. „Meister Gallowglass, die Königin erwartet Euch.“

Rod ritt mit Tom durch den frühen Morgen. Er war nur kurz bei der Königin gewesen, und sie hatte ihn bei ihrem Gespräch nicht angesehen, sondern ins Kaminfeuer gestarrt. „Ich fürchte um Onkel Loguire“, sagte sie. „Es gibt einige, die gern seinen ältesten Sohn an seiner Stelle sehen würden.“

Rod hatte steif geantwortet. „Wenn er stirbt, verliert Ihr Euren stärksten Feind unter den Hohen Lords.“

„Ich verliere jemanden, der mir sehr teuer ist!“ hatte sie gefaucht. „Mich interessiert die Freundschaft der Lords nicht, aber mein Onkel bedeutet mir sehr viel.“

Und das stimmt vermutlich auch, dachte Rod. Als Frau konnte sie sich Gefühle leisten, als Herrscherin nicht.

„Ich möchte, daß Ihr noch heute zu Lord Loguire reitet und dafür sorgt, daß ihm nichts zustößt!“

Es gibt nichts Schlimmeres als eine Frau, die sich gekränkt fühlt, dachte Rod. Jetzt schickt Catherine ihren zuverlässigsten Leibwächter so weit fort, wie sie nur konnte.

„Gekab“, sagte er leise. „Ich bin ein Trottel. Ich bin hier, um dieses Königreich zu einer konstitutionellen Monarchie zu

machen, und nun lasse ich mich in den Süden schicken, während die Ratgeber jede Möglichkeit einer Konstitution verhindern und das Haus Clovis dabei ist, die Monarchin zu töten. Ganz abgesehen davon lasse ich mich auch noch von einem Knappen begleiten, der mir vielleicht doch einmal ein Messer in die Rippen jagt, wenn sein Pflichtbewußtsein die Oberhand über sein Gewissen erlangt!“

2. TEIL — DIE HEXE VON NIEDRIGEM STAND

Inmitten von halbgemähten Wiesen, wo die Sonne sich noch auf Tautropfen spiegelte, hielt Rod an. „Tom!“ rief er. „Wir frühstücken hier!“ Bis Tom sein Pferd versorgt hatte, brannte bereits ein Lagerfeuer. Tom sah Rod staunend an, als er eine Bratpfanne und eine Kaffeekanne zum Vorschein brachte, dann setzte er sich weiter entfernt auf einen gefällten Baum am Ufer eines Baches. Er sog den köstlichen Duft des brutzelnden Schinkens ein und holte seufzend ein paar Stücke Zwieback und einen Beutel Bier hervor.

Stirnrunzelnd blickte Rod von seiner Kocherei hoch und brüllte: „Heh! Mein Essen ist dir wohl nicht genug?“

Tom starrte ihn mit offenem Mund an.

„Komm schon!“ Rod winkte ungeduldig mit beiden Armen.

„Und bring den Zwieback mit. Im Schinkenfett geröstet schmeckt er nicht schlecht.“

Tom öffnete sprachlos den Mund, dann nickte er stumm und stapfte herbei.

Das Wasser kochte. Rod warf eine Handvoll gemahlenen Kaffee in die Kanne und schüttelte bei Toms ungläubiger Miene den Kopf. „Du hast wohl noch nie ein Lagerfeuer gesehen?“ brummte er.

„Ihr ladet mich wahrhaftig ein, mit Euch zu essen, Herr?“

Rod runzelte die Stirn. „Ist das wirklich so unverständlich?

Komm, gönn mir einen Schluck von deinem Bier.“

Tom streckte ihm den Lederbeutel entgegen, und Rod nahm einen tiefen Schluck. „Was ist denn los mit dir? Hältst du mich für ein fremdartiges Ungeheuer?“

Tom schloß die Lippen und zog die Brauen zusammen. Dann verzog sein Gesicht sich zu einem breiten Grinsen. „Nein, Herr, nein. Ihr seid ein selten guter Mensch, das ist es.“

Verwirrt fragte Rod: „Was ist so selten oder gut an mir?“

Tom warf mehrere Zwiebackscheiben in das heiße Fett und schaute grinsend auf. „In diesem Land ißt ein Herr nicht mit seinem Diener.“

„Oh, das!“ Rod lachte. „Wir sind ja beide allein, Tom, und ich brauche mich nicht um solchen Unsinn zu kümmern.“

„Ja“, brummte Tom. „Ein wahrhaft wundersam seltener Mann!“

„Und ein Narr, hm?“ Rod legte je zwei Stück Schinken auf bereitgestellte Holzteller und gab den Zwieback dazu. „Laß es dir schmecken, Tom.“

Der Riese aß schweigend, dann schaute er sich die Gegend an.

„Hier gibt es viele schöne Mädchen, Herr. Könnten wir uns nicht ein wenig umsehen?“ Noch ehe Rod protestieren konnte, fuhr Tom fort: „Aber ich muß Euch warnen, Meister, Ihr dürft diese Bauernmädchen nur einmal lieben und sie dann schnell, ohne noch einmal zurückzublicken, verlassen.“ „Warum?

Würde ich sonst zur Salzsäule erstarren?“ „Nein, aber zum Ehemann werden! Denn wenn Ihr diesen Bauernmädchen auch nur ein Fünkchen Hoffnung gebt, sind sie schlimmer als Blutegel und lassen Euch nie wieder los.“

Rod schnaubte verächtlich. „In diese Gefahr komme ich bestimmt nicht. So, aber jetzt wollen wir aufbrechen.“

Sie waren jedoch kaum dreihundert Meter weit gekommen, als eine gedehnte Altstimme ihnen zurief. Zwei kräftige, gutgewachsene Bauernmädchen, mit Heugabeln in der Hand, winkten ihnen lachend zu.

„O Herr, sind wir denn wirklich in so großer Eile?“ fragte Tom fast flehend.

„Na, meinetwegen. Ich möchte nicht, daß irgend jemand an Frustration leidet. Verschwinde!“

Mit einem Juchzer drückte Tom seinem Pferd die Fersen in die Weichen, sprang vor den Mädchen aus dem Sattel und schloß eine in jeden Arm. Rod schüttelte den Kopf, winkte Tom und seinen Gespielinnen zu und suchte sich einen Heuhaufen, wo er sich ausruhen konnte, bis Tom seinen Spaß gehabt hatte. Von Gekabs Rücken sprang er auf den Heuhaufen und machte es sich bequem. Weiße Wölkchen zogen über den strahlend blauen Himmel, und schließlich mußte er wohl eingenickt sein. Plötzlich wachte er auf. Er spürte, daß jemand in seiner Nähe war. Verschlafen hob er die Lider und schaute geradewegs in ein sehr, sehr tief geschnittenes Mieder. Es fiel ihm gar nicht so leicht, den Blick davon loszureißen und höher zu richten. Zwei große, seegrüne Augen sahen ihn offensichtlich besorgt unter langen Wimpern an. Erst nach einer Weile wurde ihm auch der Rest des Gesichts bewußt: feingeschwungene Brauen, eine Stupsnase mit Sommersprossen, volle Lippen, und wallendes, rotes Haar um ein rundliches Gesicht.

Rod lächelte, gähnte und streckte sich. „Guten Morgen.“ Der besorgte Blick wich einem schwachen Lächeln. „Guten Morgen, guter Herr. Weshalb schlaft Ihr hier allein, wenn eine Frau nur Eures Rufes harrt?“

Es war Rod, als hätte er einen kalten Guß über den Rücken bekommen. Er bemühte sich um ein freundliches Lächeln. „Ich danke dir, Mädchen, aber ich bin heute nicht in der richtigen Stimmung für dergleichen Zeitvertreib.“ „Das kann ich mir schlecht vorstellen, nicht bei einem Bauern und schon gar nicht bei einem Lord.“ „Ich bin kein Lord!“

„Nun, jedenfalls ein feiner Herr, und gerade er hat doch nichts zu befürchten.“

„Wie meinst du das?“ fragte Rod und hob eine Braue. Sie lächelte traurig. „Nun, Mylord, ein Bauer müßte vielleicht Angst vor einer erzwungenen Ehe haben, aber doch ein feiner Herr nicht!“

Rod runzelte die Stirn und betrachtete das Mädchen näher. Er schätzte, daß sie ein wenig jünger war als er, vielleicht neunundzwanzig oder dreißig. Und daß ein Bauernmädchen in dieser Gesellschaftsform mit dreißig nicht verheiratet war… Er streckte die Arme aus. „Komm her zu mir, Hübsche.“ Einen flüchtigen Moment leuchtete Hoffnung in ihren Augen auf, der jedoch schnell Resignation folgte. Sie ließ sich seufzend neben ihm im Heu nieder, rollte sich auf eine Seite und legte ihren Kopf auf seine Schulter.

Hoffnung, grübelte Rod, der sich ihres Busens und der Hüften an seiner Seite nur allzusehr bewußt war, Hoffnung, daß man sie nahm und schnell wieder von sich warf. Er schauderte. Das Mädchen hob den Kopf und fragte besorgt: „Ist Euch kalt, Mylord?“

Er drehte sich ihr zu. Eine plötzliche Welle von Dankbarkeit und Zärtlichkeit verschnürte ihm die Kehle. Er drückte sie fest an sich und schloß die Augen. Ein Schmerz löste sich in ihm. Ein Schmerz, dessen er sich erst jetzt bewußt geworden war, als er ihn verließ.

Sie preßte ihren Kopf in seine Halsgrube und ihre Hände verkrampften sich in sein Wams.

Allmählich entspannte er sich wieder und lockerte seine Umarmung. Er lag ganz still und öffnete sich weit der Welt um ihn. Auch das Mädchen hatte ihn losgelassen, und nun lagen ihre Arme und ihr Kopf wie Blei auf ihm. Er hielt die Lider geschlossen im Licht der herabbrennenden Sonne und „sah“ die Welt mit den Ohren. Das Heu raschelte, das Mädchen bewegte sich. Sie mußte sich aufgesetzt haben und schaute nun zweifellos mit Trauer in den Augen auf ihn herab, vielleicht mit einer Träne auf den Wangen und zitternden Lippen. Mitleid stieg in ihm auf, Mitleid mit ihr und Ärger über sich selbst. Es war ja nicht ihre Schuld, daß er momentan nichts als Frieden ersehnte und keine Liebelei. Er rollte sich auf die Seite und schaute stirnrunzelnd zu ihr hoch.

Aber ihre Augen verrieten keine Trauer, kein Gekränktsein — nur Verständnis, und Besorgnis — um ihn. Er griff nach ihrer Hand und wunderte sich, wie klein sie war. Er drückte ihre schlanken Finger auf sein Gesicht und schloß die Augen. Ihre Stimme klang weich und sanft. „Mylord, nehmt mich, wie Ihr wollt. Um mehr bitte ich nicht.“

Um mehr bitte ich nicht… Sie brauchte Liebe, und wenn auch nur für wenige Minuten, und auch wenn sie danach einsam und verlassen sein würde und sie wissen mußte, daß es nicht wirklich Liebe war, sondern nur Verlangen sein konnte. Ja selbst wenn es ihr nur Kummer und Schmerzen brachte, brauchte sie Liebe.

Er schaute ihr in die Augen. Tränen glitzerten darin. Schnell schloß er die Lider und sah Catherines Gesicht vor sich, und Tuans an ihres geschmiegt. Ein Teil seines Ichs betrachtete die beiden, ohne daß es schmerzte, und er staunte, wie gut sie zusammenpaßten. Und dann schob sich sein eigenes Gesicht daneben, und eine Stimme befahl ihm: Sieh dich doch an und vergleiche! Vergleiche! Seine Hand verkrampfte sich, da schrie das Bauernmädchen vor Schmerz auf. Schnell löste er die Hand und schaute das Mädchen an, und jetzt schob sich Catherines Gesicht neben ihres.

Er musterte die beiden, die eine, die ihn benutzte, und die andere, die von ihm benutzt werden wollte. Brennender Ärger erfüllte ihn plötzlich. Ärger auf Catherine, ihrer Selbstgerechtigkeit wegen und ihrer Entschlossenheit, die Welt nach ihrem Willen zu beugen. Und Ärger auf das Bauernmädchen, ihrer stummen Duldsamkeit und ihrer Resignation, ihrer tiefen Wärme und Sanftheit wegen. Heißer brannte der Ärger, über sich selbst, über das Tier in ihm, als er die Finger in ihre Schultern grub und das Mädchen ins Heu drückte. Sie wimmerte vor Schmerz, bis seine Lippen sich heftig auf ihre preßten. Und dann bohrten ihre Nägel sich in seinen Rücken, und ihr

Körper verkrampfte sich, ehe sie erschlaffte und ihre Brust sich in einem tiefen Schluchzen unter ihm hob.

Die Hälfte seines Ärgers löste sich in Nichts auf, die andere stach tief in ihn und löste eine Welle der Reue aus. Er rollte sich von dem Mädchen, um sie von seinem Gewicht zu befreien, und dann waren seine Lippen plötzlich warm und bittend, seine Hände sanft, zärtlich und beruhigend.

Sie sog die Luft ein, und wieder verkrampfte sich ihr Körper.

Narr, sagte eine Stimme in ihm. Narr, jetzt hast du ihr nur noch weher getan!

Er war schon bereit, sich von ihr abzuwenden, als er ihr in die Augen blickte — und das Verlangen sah, das in ihr brannte. Und schon preßten ihre Lippen sich auf seine, und sie zog ihn zu sich herab.

Rod stützte sich auf einen Ellbogen und schaute hinab auf das Mädchen, das nackt, mit nur seinem Umhang als ungenügendem Schutz, neben ihm lag. Er liebkoste sie sanft und zärtlich. Müde, doch ungemein zufrieden schlang sie die Arme um seinen Hals und zog ihn erneut zu sich herunter. Rod blickte in ihre wunderschönen smaragdgrünen Augen und fühlte sich so wohl wie nie zuvor. Er schaute sich um, dann wieder sie an, und es gab nichts mehr auf der Welt außer ihr, und er staunte, daß es ihm gefiel und er so zufrieden war mit der Welt, dem Leben, Gott — und hauptsächlich mit ihr.

Sie schaute zu ihm hoch. Ihr Lächeln schwand und machte Besorgnis Platz. „Fühlt Ihr Euch wohl, Mylord?“ fragte sie leise.

Er beugte sich erneut über sie, um sie noch einmal sanft zu küssen. „Ja, ich fühle mich wohl, ungewöhnlich wohl.“

Flüchtig leuchtete ihr Gesicht auf, dann blickte sie auf sich hinab, und schließlich wieder zu ihm hoch, und ihre Augen verrieten Angst. Er legte die Arme um sie und rollte sich, mit ihr auf ihm, auf den Rücken. Ihr Körper spannte sich kurz, dann stieß sie einen Seufzer aus und vergrub ihr Gesicht in seiner Achselhöhle.

Er bewunderte die Pracht ihres Haares auf seiner Brust und lächelte.

„Rod!“ Gekabs Stimme flüsterte hinter seinem Ohr und die Welt flutete zurück. „Tom hat sich wieder angezogen und kommt auf deinen Heuhaufen zu.“

Rod richtete sich abrupt auf und blinzelte in die Sonne. Sie stand fast im Zenit. „Zurück zum grauen Alltag“, brummte er und griff nach seiner Kleidung.

„Mylord?“ Sie lächelte, aber aus ihren Augen sprach Schmerz, der zur Resignation wurde. „Die Erinnerung an die Stunden mit Euch, mein Lord, wird mir teuer und unvergessen bleiben“, wisperte sie, während sie seinen Umhang an sich drückte und ihre Augen sich weiteten.

Es war eine hoffnungslose Bitte um ein paar gute Worte, um Trost vielleicht, den er ihr nicht ehrlichen Herzens geben konnte, denn er würde sie nie wieder sehen. Doch dann wurde ihm klar, daß sie gar nicht wirklich darauf wartete, sondern eher auf seinen Spott, weil sie auch nur flüchtig die Unverschämtheit besessen hatte, sich für von so großem Wert zu halten, daß er sie seines Dankes versichern würde. Und sie wußte, daß ihre stumme Bitte ihr nur Leid bringen würde, und trotzdem flehten ihre Augen, denn eine Frau lebt von der Liebe, und sie war eine Frau von nahe dreißig in einem Land, wo Mädchen bereits mit fünfzehn heirateten. Sie hatte sich bereits damit abgefunden, daß es in ihrem Leben keine dauerhafte Liebe geben würde, daß sie sich mit den paar Krumen zufrieden geben mußte, die man ihr bot.

Sein Herz schlug ihr entgegen, vielleicht ein wenig durch seine Selbstvorwürfe angetrieben. Und so sagte er natürlich eine der Lügen, wie Männer sie verwenden, um Frauen zu trösten, und die sie später erst als Wahrheit erkennen.

Er küßte sie und murmelte: „Das war nicht das Leben, Mädchen, nur wozu das Leben gut ist.“

Später, als er sich in den Sattel schwang und sich noch einmal zu ihr umdrehte, während Tom seinem Mädchen ein vergnügtes Lebewohl zuwinkte, sah er die Verzweiflung, ja fast Panik in ihren Augen und die Bitte um nur ein Fünkchen Hoffnung. Und da erinnerte er sich, daß Tom gesagt hatte, selbst ein Fünkchen wäre bereits zuviel. Aber er würde das Mädchen ja nie wiedersehen.

„Sag mir deinen Namen, Mädchen“, bat er.

Aber schon dieser Schimmer ließ ihr Gesicht zu einem Strahlen aufleuchten. „Ich heiße Gwendylon, Mylord!“ rief sie.

Als sie um eine Straßenbiegung gekommen und die Mädchen nicht mehr zu sehen waren, seufzte Tom und brummte: „Ihr seid zu weit gegangen, Herr. Jetzt könnt Ihr sie nie wieder loswerden.“ Er gab seinem Pferd die Fersen und ritt voraus.

Rod folgte ihm schweigend, doch er sah weder ihn, noch die friedliche Landschaft, nur das Bild des Mädchens mit dem flammendroten Haar und den smaragdgrünen Augen. Es beunruhigte ihn. „Gekab“, murmelte er. Und als der Roboter sich hinter seinem Ohr meldete: „Gekab, ich fühle mich nicht, wie ich sollte.“

Gekab antwortete erst nach einer Weile: „Wie fühlen Sie sich denn, Rod?“ Es klang irgendwie, als mache der Roboter sich über ihn lustig. Rod schaute auf den Pferdeschädel hinunter.

„Gekab, lachst du mich vielleicht aus?“

„Rod, muß ich Sie daran erinnern, daß ich nur eine Maschine bin, die keiner Gefühle mächtig ist? Mir fielen lediglich Unvereinbarkeiten auf.“

„Oh, und welcher Art?“ fragte Rod scharf.

„Nun, daß Sie sich einzureden versuchen, Sie seien emotional nicht von diesem Bauernmädchen abhängig.“

„Sie heißt Gwendylon!“

„Mit ihr oder sonst einer Frau. Sie möchten von sich glauben, daß es Ihnen keinen Spaß mehr macht, verliebt zu sein.“

„Oh, ich halte sehr viel von der Liebe!“

„Das ist etwas anderes“, murmelte der Roboter, „als verliebt zu sein.“

„Verdammt, ich meine damit nicht das Körperliche.“

„Ich auch nicht.“

Rods Lippen wurden schmal. „Du denkst dabei also an Gefühlsrausch? Und wenn es das ist, woran du denkst — nein, dann bin ich nicht verliebt und habe auch kein Verlangen danach, es zu sein! Und wenn ich auch nur ein Wörtchen in dieser Sache mitzureden habe, werde ich mich auch nie mehr wie ein Dummkopf verlieben!“

„Genau, was ich sagte, daß Sie sich einreden wollen.“

Rod knirschte mit den Zähnen und wartete, bis sein Ärger abklang. „Und wie sieht es in Wirklichkeit aus?“

„Sie sind verliebt!“

„Verdammt!“ Rod brüllte nun fast. „Ich war schließlich schon öfter verliebt und weiß, wie es ist.“

„Und wie ist es?“ Der Roboter ließ nicht locker.

„Nun…“ Rod ließ den Blick über die Gegend schweifen. „Man weiß, daß es die Welt gibt, daß sie echt ist, aber das ist einem völlig egal. Wichtig ist nur, daß man sich selbst als ihr Mittelpunkt fühlt.“

„Und hatten Sie vor kurzem diese Gefühle?“

„Nun — ja, verdammt!“ Rod verzog die Lippen.

„Bei Catherine?“

Rod starrte wütend auf den Nacken des Pferdes. „Woher, zum Teufel, weißt du das?“

„Logik, Rod. Und wie fühlten Sie sich bei Gwendylon?“

„Oh…“ Rod warf die Schultern zurück und reckte sich.

„Großartig, Gekab. Besser denn je. Die Welt ist schöner, der Tag heller. Ich fühle mich so gesund und von so klarem Kopf, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. Es ist genau das Gegenteil von dem Gefühl, das ich empfinde, wenn ich verliebt bin.“

Gekab schwieg. Rod runzelte die Stirn. „Na?“

Es dauerte eine Weile, ehe der Roboter endlich antwortete. „Ich habe mich getäuscht, Rod. Sie sind nicht verliebt — Sie lieben!“

„Aber weshalb bin ich dann nicht verliebt?“

Etwas wie ein Seufzen erklang hinter Rods Ohr. „Nennen Sie mir den Unterschied zwischen den beiden Frauen, Rod.“

„Nun…“ Rod kaute an seiner Wange. „Gwendylon ist menschlich. Ich meine, sie ist eine ganz normale, alltägliche Frau, so wie ich ein ganz normaler, alltäglicher Mann bin.“

„Und Catherine ist mehr?“

„Oh, sie ist eine Art von Frau, die ich auf ein Piedestal hebe -

eine, die man anbetet, nicht hofiert…“

„Und nicht liebt?“ fragte der Roboter. „Rod, welche von den beiden Frauen ist menschlich wertvoller?“

„Uh-Gwendylon.“

„Damit ist das Verhör beendet“, erklärte das Robotpferd.

Die Domäne der Loguires war eine gewaltige Ebene zwischen den Bergen und dem Meer. Die Hügelkette befand sich im Norden und Osten, sanfter Strand in einem Halbkreis im Süden, und Steilküste im Nordwesten, von ihr rauschte auf der anderen Seite ein Wasserfall ins Tal. Ein Fluß schlängelte sich durch die Ebene dem Meer entgegen. Die Ebene selbst wirkte von den Bergen oben wie zusammengenähte Flicken mit ihren Feldern und hier und da einer Ansammlung von Bauernkaten — Loguires Leibeigene.

Rod und Tom ritten am Rand eines der Bergwälder, wo die Straße aus dem Norden sich ins Tal hinabwand. Rod blickte sich um. „Wo ist denn die Burg?“ fragte er.

„Hinter dem Wasserfall, Herr.“

Rod blinzelte ungläubig, dann folgte er Toms Blick. Wo die Klippen zur Ebene abfielen, war ein gewaltiges Tor mit Fallgitter in den Fels gehauen und davor führte eine Zugbrücke über einen natürlichen Burggraben, den ein Bogen des Flusses bildete. Die Loguires hatten den Fels zu ihrer Behausung ausgehöhlt.

Rod zog die Brauen zusammen. „Ist das wirklich ein Damm zu beiden Seiten der Zugbrücke, Tom?“

„Ja, Meister, und man sagt, er sei mit Schießpulverladungen gespickt.“

Rod blickte nachdenklich. „Und das Land vor dem Fallgattertor fällt ab. Nähern sich unliebsame Besucher, wird der Damm in die Luft gejagt, und die Haustür steht zehn Meter unter Wasser. Sehr schlau! So kann man eine Belagerung schon aushalten. Der Wasserfall bietet mehr als genügend frisches Wasser, bleibt nur noch das Nahrungsproblem.“

„Es soll innerhalb des Burgkomplexes Gärten geben.“

Rod nickte in stummem Respekt. „Wurde die Burg je eingenommen, Tom?“

Der Riese schüttelte den Kopf. „Nie Herr“ Er grinste.

„Glaubst du, man hat darin Platz für zwei müde Wanderer?“

Tom zuckte eine Schulter. „Bestimmt, wenn wir Edelleute wären, Herr. Die Gastfreundschaft der Loguires ist sprichwörtlich. Aber für meinesgleichen, und selbst für Euch, den man höchstens als Junker anerkennen wird, liegt die Gastfreundschaft in den Katen.“

Rod blinzelte in den Himmel. „Da ist dieser verdammte Vogel schon wieder! Sieht er denn nicht allmählich ein, daß wir viel zu groß für eine Mahlzeit für ihn sind?“ Er griff nach seiner Armbrust und legte einen Bolzen ein.

„Nein, Herr.“ Tom hielt ihn zurück. „Ihr habt schon vier Bolzen vergeblich auf ihn abgeschossen.“

„Ich habe es gar nicht gern, wenn etwas mich in der Luft verfolgt, Tom. Diese fliegenden Dinger sind nicht immer, was sie zu sein scheinen.“ Toms Brauen zogen sich bei dieser rätselhaften Bemerkung zusammen. „Außerdem habe ich jeden Tag, während der letzten vier, jeweils nur einmal auf ihn geschossen.“ Die Armbrust summte, und das Geschoß pfiff durch die Luft, doch dann segelte der Vogel um gut fünfzehn Meter höher und schaute dem Bolzen nach, als er wieder zur

Erde zurückfiel.

„Ihr werdet ihn nie treffen, Herr. Er kennt sich mit Armbrüsten aus.“

„Das sieht ganz so aus!“ Rod schlang sich die Armbrust wieder über den Rücken. „Was ist das für ein Land, wo man unter jedem Baum Elfen findet, und einen die Habichte am Himmel verfolgen?“

„Es ist kein Habicht, Meister, es ist ein Fischadler.“ Rod schüttelte den Kopf. „Er verfolgt uns schon seit dem zweiten Tag unserer Reise. Was hätte ein Fischadler so weit landeinwärts zu suchen?“ „Das müßtet Ihr wohl ihn selbst fragen, Meister.“ „Und es würde mich absolut nicht wundern, wenn er antwortete“, brummte Rod. „Aber er tut uns ja nichts, und im Augenblick haben wir größere Probleme. Wir sind hier, um in die Burg zu gelangen. Kannst du singen, Tom?“

Der Riese sperrte verwirrt den Mund auf. „Singen, Herr?“

„Ja, oder Dudelsack blasen, oder sonst was?“

Tom zupfte an der Lippe. „Ich kann einer Hirtenflöte ein paar Töne entlocken, die die Halbtauben mit gutem Willen vielleicht für eine Melodie halten würden. Aber wozu das, Meister?“

Rod holte eine irische Harfe aus einer Satteltasche. „Wir sind jetzt Minnesänger“, erklärte er. „Das Volk hier ist sicher an ein bißchen Musik und Neuigkeiten aus der Hauptstadt interessiert.

Hier, versuch mal das, es ähnelt in etwa einer Flöte.“ Er brachte einen stabförmigen Recorder zum Vorschein.

„Wißt Ihr Neues aus dem Norden zu berichten?“ erkundigte sich der Wachtposten eifrig, und natürlich antwortete Rod, der wußte, daß die Minnesänger des Mittelalters wandelnde Zeitungen gewesen waren, mit einem Ja. Und nun standen er und Tom vor einer Versammlung, bestehend aus achtundzwanzig Edlen mit ihren Frauen, dem Gefolge und Gesinde. Alle starrten die beiden Minnesänger erwartungsvoll an, dabei wußte Rod absolut nichts Neues aus der Hauptstadt.

Aber es würde ihm schon etwas einfallen. Der knorrige alte Herzog Loguire saß in einem Eichensessel. Er schien Rod nicht zu erkennen, ganz im Gegenteil zu Durer, der jedoch den Mund hielt, denn Loguire liebte seine Nichte immer noch, und hätte Rod geehrt, weil er ihr das Leben gerettet hatte. Der Herzog stellte die erste Frage, und zwar erkundigte er sich, ob es Neues aus dem Hause Clovis gab. Rod versicherte ihm, daß es sich in letzter Zeit nicht unangenehm bemerkbar gemacht hatte, was allerdings nicht so bleiben mußte.

Und dann spielten und sangen er und Tom, während sie gleichzeitig im Takt mit den Füßen stampften, ein etwas freches altes Volkslied, das sie kurz zuvor einstudiert hatten. Einen Augenblick lauschten die Anwesenden erstaunt, dann begannen einige zu grinsen, und Hände klatschten im Rhythmus. Der alte Loguire versuchte streng und mißbilligend dreinzuschauen, aber es gelang ihm nicht so recht. Ein hochgewachsener junger Mann stand hinter des Herzogs rechter Schulter. Seine Augen leuchteten auf, während er zuhörte, und ein Grinsen, das Unzufriedenheit, Selbstmitleid und Bitterkeit ablöste, breitete sich über das Gesicht. Der ältere Sohn, schloß Rod.

Es fiel nicht schwer, Loguires Vasallen in der Menge zu erkennen, denn sie alle waren prächtig gekleidet, und jeder von ihnen war in der Begleitung eines noch prunkvoller gewandeten drahtigen Männleins: ihre Ratgeber — Durers Kumpane.

Rod war ziemlich sicher, daß alles, was Durer vorschlug, einstimmigen Rückhalt bei den Lords des Südens fände, und Loguire der einzige wäre, der sich dagegenstellte — und Loguire hatte natürlich mehr zu sagen als alle seine Lehnsmänner zusammen. Rod entsann sich Loguires Versprechen an Catherine: Solange ich lebe, habt Ihr die Soldaten Loguires nicht zu fürchten!

Die Vorstellung war zu einem großen Erfolg geworden. Rod hatte sie weniger politisch als humorvoll, gerade noch an der Grenze zum Schlüpfrigen gehalten. Die Zuhörer waren begeistert gewesen. Doch hin und wieder hatten die Ratgeber Fragen gestellt, die er nicht unerwidert lassen konnte, und als er mit den Gerüchten antwortete, daß das Haus Clovis sich wohl gegen die Krone erheben würde, hatte er häßliche Freude in ihren Augen glitzern sehen. Das hatte er verstanden. Wichtig an einer Revolution ist, daß sie überhaupt erst einmal ausbricht, später kann man sie sich immer noch zu Nutzen machen. Was er nicht verstand, waren die Blicke, die das jüngere weibliche Gesinde Tom und ihm zuwarfen. Das heißt, bei Tom war es ihm klar, doch bei ihm konnte es gewiß nicht das gleiche bedeuten — oder waren die Minnesänger hier dafür bekannt, daß sie… Jedenfalls war er nicht mehr allzu überrascht, als ihm eine Magd auf dem Weg zur Dachkammer, die ihm und Tom zugeteilt worden war, einen Becher Wein entgegenstreckte und sich erbot, ihm auch das Bett zu wärmen. Er starrte sie an. Sie sah Gwendylon sehr ähnlich, aber ihre Haare waren dunkelbraun statt rot, die Augen ein wenig schräg, und ihre Nase lang und schmal. Und auch sie war verführerisch schön.

„Danke dir, Mädchen“, sagte er. „Aber der Weg war lang und ich falle vor Müdigkeit schier um.“ Sollte sie doch von seiner Männlichkeit halten, was sie wollte, solange sie ihn in Ruhe ließ!

Die Magd senkte die Augen und biß sich auf die Lippe.

„Wie Ihr wollt, guter Herr.“ Sie drehte sich um, und Rod starrte ihr nach. Ein bißchen ärgerte er sich darüber, daß sie sich so schnell hatte abweisen lassen — aber hatten ihre Augen nicht eine Spur Triumph verraten, eine merkwürdige Freude? Rod ging weiter. Wie er es erwartet hatte, war die Tür zur Dachkammer geschlossen und eine weibliche Stimme neben Toms zu hören. Er zuckte philosophisch die Schulter und stieg die Wendeltreppe wieder hinunter. Er würde die Zeit nutzen und sich in der Burg umsehen. Sie erweckte den Eindruck, als wäre sie von einem Paranoiker erbaut worden, und er war deshalb überzeugt, daß es Geheimgänge geben mußte. Die Granitwände des Hauptkorridors waren ocker gestrichen und da und dort hingen Wandteppiche von der Decke bis zum Boden. Rod merkte sich wo, denn es war leicht möglich, daß sie Türen zu Nebengängen verbargen. Zwölf offene Seitenkorridore zweigten rechts vom Hauptgang ab. Als er zum siebten kam, hörte er verstohlene Schritte hinter sich. Er blieb stehen und tat, als betrachte er einen Wandteppich. Aus dem Augenwinkel sah er eine ausgemergelte Gestalt sich hastig in einen Nebengang zurückziehen. Es mußte Durer oder einer seiner Artgenossen sein. Mit einem von ihnen auf seinen Fersen konnte er hier jedoch nicht viel erfahren, also mußte er ihn abschütteln, was nicht leicht sein würde, denn Durer kannte die Burg bestimmt gut, er selbst dagegen überhaupt nicht. Der neunte Nebengang erwies sich als genau richtig für seine Zwecke — er war unbeleuchtet. Seltsam, dachte Rod, in allen anderen brannten Fackeln in geringen Abständen. Und hier lag auch Staub ganz dick auf dem Boden, Spinnweben hingen von der Decke, und Wassertropfen sickerten die Wände herab und befeuchteten vereinzelte Moosballen. Aber selbst wenn er Spuren in dem Staub hinterließ, konnte er doch in der Dunkelheit in einen abzweigenden Gang oder Raum schlüpfen. Also bog er zu diesem neunten Nebenkorridor ab, da legte sich eine Klaue auf seine Schulter. Rod wirbelte herum und sah sich Durer gegenüber.

„Was habt Ihr hier zu suchen?“ krächzte das dürre Männlein mißtrauisch.

„Oh, nichts Besonderes, mir ist nur langweilig. Soll ich dir ein Lied singen?“

„Ich habe genug von Eurem Gewimmere! Seht zu, daß Ihr Euch in Eure Kammer zurückzieht, außer Ihr habt hier irgend

etwas Bestimmtes vor.“

Rod kratzte sich die Nase. „Hm“, murmelte er. „Was die Kammer betrifft — mein Begleiter scheint es für andere Zwecke als Schlafen zu benötigen. Also bin ich quasi ausgesperrt, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Verderbtheit!“ zischte der Ratgeber.

„O nein, ich nehme an, daß Tom auf sehr natürliche, gesunde Weise vorgeht. Aber jedenfalls bin ich dort momentan nicht erwünscht, und ich dachte nicht, daß jemand etwas dagegen hätte, wenn ich ein bißchen herumspaziere.“

Durer blickte ihn durchdringend wie mit einem La serstrahl an, dann wich er zögernd ein paar Schritte zurück. „Das hat auch niemand“, brummte er. „Es gibt hier keine Geheimnisse, die wir vor Euch verbergen müßten. Aber was Ihr nicht wissen könnt, ist, daß sich hier der Teil befindet, in dem es spukt.“

„Wie interessant! Weißt du, daß ich noch nie einen echten Geist gesehen habe?“

„Das hat auch noch keiner, der am Leben blieb und davon hätte erzählen können. Es wäre Dummheit, diesen Gang zu betreten.“

„Aber eine Begegnung mit einem Geist ließe sich zu einer guten Ballade ausschlachten.“

Der Kleine starrte ihn verächtlich an. „Tut nicht so, als wärt Ihr wirklich ein Minnesänger. Ihr seid ein Spion, nichts weiter!“

Rods Hand tastete nach dem Dolchgriff.

„Ein Spion aus dem Hause Clovis!“ brüllte Durer.

Rod seufzte unhörbar erleichtert auf. „Ob du dich da nicht täuschst, kleiner Mann?“

Durer runzelte die Stirn. „Nicht vom Haus Clovis? Aber dann… Nein, Ihr seid sehr wohl ihr Spion!“

Rod lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand.

„Welches Interesse hast du denn am Haus Clovis, teurer Ratgeber? Und weshalb sollte es das Haus Clovis interessieren, was du hier machst?“

„Ihr seid ein Narr, wenn Ihr glaubt, ich würde Euch eine solche Frage beantworten… Ah, daß ich nicht eher daran dachte! Ihr seid ein Spion der Königin!“

Rod trat näher an den Kleinen heran und lockerte den Dolch in der Scheide. Es war ihm egal, ob Durer wußte, daß Catherine ihn geschickt hatte, aber er wollte eine Antwort. „Ich stellte dir eine Frage!“ sagte er sanft.

Furcht sprach aus den Augen des Kleinen. Er sprang zur Wand zurück. „Ich warne Euch, bei meinem Ruf eilen zwei Dutzend Soldaten herbei!“

„Das wird dir nicht mehr viel helfen, wenn du bei ihrer Ankunft schon tot bist“, sagte Rod spöttisch. Er deutete auf den dunklen Korridor.

Grauenerfüllt starrte der Ratgeber ihn an und begann am ganzen Leib zu zittern. Bebend sagte er: „Vielleicht seid Ihr wirklich nicht von Clovis! Und wenn Ihr von der Königin kommt, seid Ihr uns hier willkommen. Ich werde Euch alles sagen, was Ihr zu wissen begehrt!“ In pathetischem Eifer hob er die Hände. Ein seltsames Licht flackerte in seinen Augen.

„Ja, ich werde Euch alles sagen, selbst den Tag, da wir zur Residenz der Königin marschieren. Ihr könnt sie darauf hinweisen, dann kann sie uns entgegenziehen. Alles werde ich Euch sagen, nur bitte, kommt heraus aus diesem Gang!“ Er rang verzweifelt die Hände. „Wenn Euch die Königin geschickt hat, möchte ich nicht, daß Ihr sterbt.“

Rods Gesicht wirkte steinern. „Ich werde mich in dem Gang umsehen. Ich bin überzeugt, daß ihr darin etwas verborgen habt, das wichtiger ist als das Datum eurer Rebellion.“ Er betrat den Korridor.

Durer rannte ihm händeringend ein paar Schritte nach.

„Kommt zurück! Ihr müßt den Norden warnen. Kommt heraus, Ihr Narr!“

Rod kümmerte sich nicht um ihn, sondern stapfte weiter.

Vor Ärger schrillte der Kleine hinter ihm: „So geht denn in

Euren Tod! Wir brauchen Euch nicht! Ich selbst werde das Wort in den Norden tragen. So sterbt als Narr, der Ihr seid!“ Rod bog um eine dunkle Krümmung. Offenbar war Durer von seinem Tod in diesem Teil der Burg überzeugt — es war sehr merkwürdig, daß er trotzdem versucht hatte, ihn am Betreten zu hindern. Das konnte nur bedeuten, er wollte tatsächlich, daß er, Rod, Catherine von der bevorstehenden Rebellion berichtete. Aber weshalb hatte er vor, die Rebellen zu verraten? Zweifellos war hier in diesem Teil etwas verborgen, das Rod nicht finden sollte, da es ihm vielleicht doch gelingen mochte, lebend wieder herauszukommen. Doch daran glaubte er offenbar nicht, was bedeutete, daß Durers großes Geheimnis von automatischen Verteidigungsmechanismen geschützt war… Außer natürlich… Rod hielt abrupt an. Ihm wurde bewußt, daß er den Rückweg gar nicht mehr finden würde. Um zu viele Ecken in alle Richtungen war er während seines Grübelns achtlos gebogen. Seine Stimme zitterte ein wenig, als er murmelte: „Gekab.“

„Ja, Rod?“ Die Stimme hinter seinem rechten Ohr war ungemein beruhigend.

„Gekab, ich befinde mich im Teil der Burg, wo es spuken soll.“ „Spuken? Rod, eine Analyse Ihrer Stimmenmuster deutete auf leichte Angst. Sie glauben doch nicht wirklich an Geister?“ „Nein, aber ich erinnerte mich gerade, daß ich früher auch nicht an Elfen glaubte. Und wenn es hier Elfen gibt, kann es auf diesem verrückten Planeten doch auch Geister geben, oder nicht?“

Nach kurzer Pause murmelte Gekab verlegen, wie es schien: „Es gibt nichts, was direkt gegen diese Hypothese spricht.“ Ein Ächzen so tief, daß Rod es kaum hören konnte, und so laut, daß es ihn körperlich schmerzte, erschütterte die Wände des Gewölbes, in dem er sich gerade befand. „Was war das? „keuchte Rod. „Ein komplexes Wellenmuster niedriger Frequenz und hoher Schwingungsweite“, antwortete Gekab zuvorkommend.

„Vielen Dank!“ schnaubte Rod. „Ich will wissen, wodurch es verursacht wurde!“

„Dazu reichen die Daten noch nicht aus…“

Das Ächzen wiederholte sich, und etwas wie spinnwebfeines Gespinst, aus dem sich schwarze Augenhöhlen und eine kreisrunde schwarze Mundöffnung abhoben, schwebte geradewegs auf Rod zu.

Ein weiteres Ächzen erklang, eine halbe Stufe höher als das vorherige. Rod riß den Kopf nach rechts. Ein zweiter Geist kauerte über ihm. Ein drittes Ächzen, und ein dritter Geist tauchte auf.

Drei Geister drängten ihn gegen die Steinwand. Ihre Münder formten große dunkle Os, und kalte Knochenfinger griffen nach ihm.

Rod kämpfte gegen seine Panik an. Gekab glaubt nicht an Geister, sagte er sich. Nichtsdestoweniger schrie er gellend: „Geister, Gekab! Geister!“

„Geister“, erklärte der Roboter hinter seinem Ohr, „sind unstofflich, selbst wenn es sie gibt. Sie können einem stofflichen Wesen keinen körperlichen Schaden zufügen.“

„Sag das ihnen!“ brüllte Rod verzweifelt.

Eine Hand verkrampfte sich um sein Herz. Er würgte und hustete. Etwas, ein Eisenband um seine Brust, zermalmte seine Lunge… Furcht konnte lahmen, konnte töten…

„Rod, stecken Sie die Finger in die Ohren!“

Er versuchte, den Rat des Roboters zu befolgen — und konnte es nicht. „Gekab!“ schrillte er. „Ich kann mich nicht bewegen!“

Ein lautes Brummen dröhnte in seinem Schädel und überlagerte das Ächzen. Es wurde zu den monotonen Worten: F-I-N-G-E-R I-N D-I-E O-H-R-E-N!

Die Angst schwand, oder zumindest fast. Rod konnte sich wieder genauso leicht wie zuvor bewegen. Er steckte die Finger in die Ohren. Das Brummen erstarb und das Ächzen der

Geister klang nun wie aus weiter Ferne. Zwar steckte ihm die Angst noch ein wenig in den Knochen, aber sie lahmte ihn nicht länger.

„Können Sie sie noch hören, Rod?“

„Ja, aber es ist nicht mehr so schlimm. Was hast du gemacht?“

„Nichts, Rod. Ihr Ächzen hat eine harmonische Frequenz im subsonischen Bereich, die Angst in Angehörigen Ihrer Spezies hervorruft. Dieser furchteinflößende Ton wird durch die gleichzeitige Emission der subsonischen Harmonien von drei Ächzlauten hervorgerufen.“

„Also gehören drei dazu, mir Angst einzujagen?“

„Richtig, Rod.“

„Und sie jagen mir im Grund genommen gar nicht wirklich Angst ein, sondern lediglich das Gefühl, Angst zu haben?“

„Wieder richtig.“

„Das ist eine Erleichterung. Ich hatte schon befürchtet, ich sei plötzlich zum Feigling geworden.“

„Es gibt keinen Menschen, der nicht hin und wieder Angst empfindet, Rod.“

„Ja, aber nur ein Feigling läßt sich davon beherrschen.“

Rod löste sich von der Wand und zwang sich dazu, einfach durch den Geist vor sich hindurchzugehen.

Plötzlich erstarb das Ächzen, und die Geister verschwanden mit einem verzweifelten Heulen.

„Sie sind fort!“ krächzte Rod.

„Natürlich. Sobald Sie ihnen bewiesen haben, daß sie Sie nicht beeinflussen können, fürchten sie sich vor Ihnen.“

Rod spreizte die Beine und stemmte die Fäuste an die Hüften.

Grinsend legte er den Kopf zurück. „He, ihr Geister! Ist euch jetzt klar, wer der Boß hier ist?“ Er lauschte den Echos seiner Stimme, die gewaltig von den leeren Wänden widerhallte.

Eine grabestiefe, betrübte Stimme antwortete ihm stöhnend aus der Luft. „Verlaßt uns, Sterblicher. Gönnt uns den Frieden unserer Gruft. Wir tun niemandem etwas in unseren kalten

alten Gewölben.“

„Niemanden, außer denen, die hierherkommen“, schnaubte Rod. „Und die tötet ihr, genau wie ihr mich getötet hättet -

durch die Furcht, die sie vor euch empfinden.“

„Nur Wahnsinnige und Toren kommen hierher. Und würdet nicht auch Ihr Euer Zuhause verteidigen?“

„Welches Recht habt ihr auf diese Gewölbe?“

Plötzlich zeigte sich einer der Geister über ihm. „Ich I war einst Horatio, der erste Herzog Loguire!“ donnerte er wütend. „Ich erbaute diese Burg! Habe ich da kein Recht auf ein armseliges, kaltes Plätzchen in ihren Mauern?“

„Doch, ich glaube schon. Aber wie viele habt Ihr getötet, bis man Euren Anspruch anerkannte?“

„Keinen.“ Es klang bedauernd. „Sie sind alle furcht erfüllt geflohen.“

„Ich beabsichtige nicht, Euch etwas anzutun, Horatio.“ Rod grinste sarkastisch. „Selbst wenn ich es wollte, wie könnte ich?“

„Das wißt Ihr nicht, Sterblicher?“

„Ein Geist“, erklärte Gekab hastig hinter Rods Ohr, „genau wie alle übernatürlichen Wesen, scheuen kaltes Eisen und Silber.

Selbst Gold erfüllt seinen Zweck, wird jedoch aufgrund seines Preises selten für eine Geisterjagd verwendet.“

Horatio richtete sich in voller Geistesgröße auf und kam näher.

Rod zog den Dolch. „Halt!“ rief er. „Kaltes Eisen, seht!“

„Außerdem kennen Sie das Geheimnis ihrer Macht. Sie könnten eine ganze Armee hierherbringen, solange jeder sich etwas in die Ohren stopft“, unterrichtete Gekab Rod.

„Ich kenne das Geheimnis eurer Macht“, sagte Rod laut, „und kann eine ganze Armee hierherbringen, solange jeder sich etwas in die Ohren stopft.“

Der Geist hielt enttäuscht an. „Aber Ihr sagtet doch, Ihr wüßtet nicht…“

„Ich weiß es jetzt. Also, zurück!“

Zögernd wich Horatio zurück. „Welches Phantom berät Euch?“

Rod grinste. „Ein schwarzes Pferd aus kaltem Eisen. Es steht im Stall der Burg, aber es kann von dort aus mit mir sprechen.“

„Ein Puka? Ein Geisterpferd! Ein Verräter der Welt der Geister!“

„Nein. Es ist kein Geist. Ich sagte doch, daß es aus Eisen ist!“

„So etwas gibt es nicht!“

„Es gibt es, das dürft Ihr mir glauben, Horatio. Aber das ist unwichtig. Euch sollte nur interessieren, daß ich nicht beabsichtige, gegen euch vorzugehen. Ich suche bloß nach etwas. Sobald ich es gefunden habe, verschwinde ich, einverstanden?“

„Ihr habt die Oberhand! Weshalb fragt Ihr?“ brummte der Geist.

„Reine Höflichkeit“, murmelte Rod. Plötzlich kam ihm eine Idee. „Oh, übrigens, ich bin Minnesänger…“

Der Geist riß den O-Mund noch weiter auf, dann kam er mit ausgestreckten Armen auf Rod zu. „Musik! Süße Musik! Spielt für uns, Mann, dann könnt Ihr über uns befehlen!“

„Einen Augenblick!“ Rod hob eine Hand, „Ihr habt die Burg erbaut, Horatio Loguire, deshalb ersuche ich Euch, mir zu gestatten, in Frieden durch all Eure Räume zu wandeln.

Gewährt Ihr es mir, werde ich für euch spielen.“

„Ihr dürft wandeln, wohin Ihr wollt!“ versprach der Geist vor Aufregung zitternd. „Nur spielt für uns, Mann!“

Sehr gut, dachte Rod. Er hatte sein Gesicht gerettet. Und schließlich hat es keinen Sinn, sich Feinde zu machen, wenn es sich verhindern ließ. Er schaute hoch und zuckte erschrocken zurück. Er war von einer dichten Mauer von Geistern umgeben, die ihn alle hungrig anstarrten. Er schluckte und holte die Harfe von seinem Rücken. Nur gut, daß er nicht dazu gekommen war, sie in der Dachkammer abzustellen.

Als er versuchshalber über die Saiten strich, erhob sich ein ekstatisches Stöhnen von den Geistern. Da wurde Rod erst richtig klar, daß er die Situation ausnutzen konnte. „Hört, Lord Horatio, würdet Ihr mir für zwei Lieder verraten, wo die Geheimgänge sind?“

„Gewiß! Gewiß!“ kreischte der Geist. „Die Burg ist Euer, meine ganze Domäne, alles, was ich besitze! Ja, das Königreich, wenn Ihr es wollt! Nur spielt für uns, Mann! Seit zehnhundert Jahren haben wir keine menschliche Musik mehr gehört!“

Rods Finger zupften die Saiten, und die Geister erschauderten wie ein Schulmädchen beim ersten Kuß. Er spielte und sang, was ihm gerade einfiel, Volksweisen, Märsche, Seemannslieder, sogar Beethovens Sechste, die auf einer Miniaturharfe gar nicht leicht wiederzugeben war. Als die letzten Echos verhallten, seufzten die Geister zufrieden, doch traurig, daß er schon aufhörte. „Das war eine reiche Auswahl, Mann“, sagte Lord Horatios Stimme zu Rods Linker. „Aber vielleicht noch eine kleine, ganz kurze Weise?“ Rod schüttelte bedauernd den Kopf. „Die Nacht schreitet voran, Mylord, und ich habe vor dem Morgengrauen noch viel zu tun. Ich werde in einer anderen Nacht wiederkommen.“ „Wir haben Euch sehr zu danken, Mann, und werden uns dafür erkenntlich zeigen. Kommt mit mir und ich zeige Euch alle Geheimgänge und — türme der Burg.“ Er schwebte Rod voran. Alle anderen Geister hatten sich inzwischen bereits zurückgezogen.

Rod zählte seine Schritte. Nach fünfzig bog der Geist um eine Ecke in einen riesigen Raum. „Das war unsere Banketthalle“, erklärte er seufzend. „Herrliche Feste feierten wir hier. Und nun sind sie alle tot, alle meine Freunde und die lieblichen Maiden, die uns bei fröhlicher Musik unterhielten. Und seither herrschten sechzig Söhne meines Blutes an meiner Stelle über die Marschen. Doch jetzt haben andere das Wort in meiner herrlichen Halle — Schakale, Hyänen, eine Schande für meine alten Kameraden und mich, daß sie in Menschengestalt wandeln.“

Rod spitzte die Ohren. „Wie meint Ihr das, Mylord? Jemand hat Euch Eure Halle gestohlen?“ „Verkümmerte, gemeine Niederlinge!“ knirschte der Lord. „Eine Brut verderbter, gemeiner Feiglinge — und ihr Führer ist Ratgeber eines Sprosses meines Geschlechts, des Herzogs Loguire.“ „Durer!“ hauchte Rod.

„Nennt er sich so? Hört mich an, Mann. Sein Herz ist hart und seine Seele spröde wie Eisen. Aber wie Ihr wißt, kann hartes, sprödes Eisen durch einen starken Hieb mit geschmiedetem Eisen zerschlagen werden. Und genauso können diese bösartigen Zerrbilder von Menschen durch einen Mann gebrochen werden, der wahrhaft ein Mann ist.“ Der Geist ließ die Schultern hängen und beugte den Kopf. „Wenn es in diesem dunklen Zeitalter noch wahre Männer gibt!“ Rods Blick löste sich von dem Geist und wanderte durch den gewaltigen Raum, aber es war zu dunkel, viel zu sehen. „Mein Lord Loguire“, sagte er. „Wenn ich der Mann sein soll, der die Ratgeber bricht, so muß ich soviel wie möglich über sie erfahren. Sagt mir deshalb, was sie in dieser Halle tun.“ „Hexerei üben sie aus!“ knurrte der Geist. „Schwärzeste Magie! Auf eine Weise, wie ich sie Euch kaum beschreiben kann…“ Er stöhnte. „Wisset, daß diese verkümmerten Wichte hier einen Altar aus glänzendem Metall errichteten — es ist weder Silber noch Gold, auch kein anderes Metall, wie ich es kenne —, genau hier in der Mitte der Halle, wo einst meine Höflinge tanzten.“

„Oh! Wen beten sie vor diesem Altar an?“ fragte Rod. „Anbeten?“ Der Geist hob den Kopf. „Mir dünkt, sie opfern sich selbst, denn sie steigen in diesen Altar des Bösen. Sie verschwinden darin, und dann plötzlich kehren sie zurück! Ich kann mir nur vorstellen, daß sie ihr Lebensblut dem Dämon in diesem glänzenden Altar darbringen, denn sie kommen hager und zitternd wieder heraus. Ja, wahrlich“, murmelte er überlegend, „weshalb wären sie sonst so ausgemergelt und klein?“ Rods Nacken prickelte. „Ich muß diesen Altar sehen, mein Lord.“ Er fummelte nach seinem Dolch. „Ich brauche Licht.“

„Nein!“ Der kreischende Schrei drohte Rods Trommelfell zu durchlöchern. Der Geist pulsierte schwankend. „Es würde mich zerstören, Mann, und mich schreiend in finsterere Gefilde als diese schicken.“

„Verzeiht, Lord Loguire, ich hatte nicht daran gedacht. Ich werde meine Fackel nicht entzünden, doch dann muß ich Euch bitten, mich zu diesem merkwürdigen Altar zu führen, damit ich ihn mit meinen Fingern betrachten kann.“ Er folgte dem Geist mit ausgestreckten Händen, bis sie etwas Hartes, Kaltes berührten.

„Vorsicht, Mann“, brummte der Geist. „Denn hier ruhen dunkle Mächte.“

Rod betastete das Metall, das im gespenstischen Schimmern des Geistes schwach leuchtete, bis er glaubte, die Umrisse einer Tür, oder vielmehr einer Türöffnung erreicht zu haben.

„Was liegt dahinter, Mylord?“ erkundigte er sich. „Ein Sarg“, stöhnte der Geist. „Ein metallener Sarg ohne Deckel, der aufrecht steht. Ihr müßt seine offene Seite betastet haben.“

Rod fragte sich, was geschehen würde, wenn er hineinträte, aber irgendwie mangelte es ihm am Forscherdrang eines echten Wissenschaftlers. Er tastete über die Öffnung. Etwas Kreisförmiges drückte in seine Handfläche, es ragte aus der Oberfläche des Metallblocks heraus. Als er mit den Fingern rechts davon weiter darüberstrich, berührte er eine Menge weiterer runder und ovaler Formen und Knöpfe. Zweifellos war er hier auf ein Armaturenbrett gestoßen.

„Mein Lord Loguire“, wisperte er. „Bitte kommt nahe zu mir, ich brauche Licht.“

Der Geist schwebte dicht neben ihn. In seinem Schimmern erkannte Rod eine Anzahl von Meßgeräten und anderen Anzeigern und verschiedenfarbige Knöpfe.

„Weshalb zittert Ihr, Mann?“ erkundigte sich Loguire mitfühlend.

„Es ist kalt“, murmelte Rod, „und ich fürchte, ich muß Eure Meinung über dieses — Ding teilen. Ich weiß nicht, was es ist, aber es gefällt mir nicht. Es wird das beste sein, ich spreche vorsichtshalber eine Beschwörung dagegen. Also, denkt Euch nichts dabei, wenn ich vor mich hinmurmle.“

Der Geist runzelte verwirrt die Stirn, als sich Rod im Dialekt des galaktischen Raummatrosen an seinen Roboter wandte.

„Gekab? Hast du mitgehört?“ „Natürlich, Rod.“

„Dann paß auf, ich beschreib dir das Aussehen dieses Metallkastens.“ Er tat es. Nach einer Weile erkundigte er sich: „Hast du schon ein Ergebnis?“ „Nein. Ich brauche eine noch nähere Beschreibung.“ Rod bemühte sich.

„Es ergibt keine exakte Analyse, die Vermutung liegt jedoch nah, daß es sich bei diesem Artefakt um einen Apparat für Zeitreisen handelt.“

„Eine Zeitmaschine!“ Rod pfiff durch die Zähne. „Dann kommen diese kleinen Bastarde aus der Zukunft!“

„Rod, ich mußte Sie schon des öfteren warnen, unbewiesenen Hypothesen zu großes Gewicht beizumessen.“

„Keine Angst, Gekab. Ich finde den Gedanken nur faszinierend.“

„Welche Art von Hexerei ist das, Mann?“ erkundigte sich Horatio.

Rod zuckte die Schultern. „Sie ist mir unbekannt, Mylord, obwohl ich in den verschiedensten — ah — Magien bewandert bin.“

„Was werdet Ihr dann machen?“

Mit einem schwachen Grinsen antwortete Rod: „Schlafen. Und nachdenken über das, was ich gesehen habe.“ „Und wann werdet Ihr dieses Spielzeug des Teufels vernichten?“

„Wenn ich mir sicher bin“, antwortete Rod nachdenklich und betrachtete erneut die Maschine, „daß es dieser schönen Welt schadet und ihr nicht im Gegenteil helfen kann.“

Loguire zog finster die kaum sichtbaren Brauen zusammen. Er schien um ein Vielfaches zu wachsen, und seine Stimme klang wie Donnergrollen. „Ich beauftrage Euch mit der Exorzierung dieses Teufelsaltars und der Unschädlichmachung seiner mißgestalten Priester.“ Das Schwert des Geistes glitt aus der Scheide und schwebte mit der Spitze voraus auf Rod zu.

„Schwört jetzt auf den Griff meines Schwertes, daß Ihr nicht ruhen werdet, bis dieses Land von Korruption befreit ist; daß Ihr diesen Altar des Bösen mit all seinen Anbetern exorzieren werdet, und mehr noch, daß Ihr diese Insel von Gramayre bis zu Eurem Tod in der Stunde seiner Gefahr nicht im Stich lassen werdet.“

Rods Kinn sackte hinab. Mit weiten Augen starrte er auf die plötzliche Kraft und die majestätische Erscheinung des Geistes.

Die Härchen stellten sich ihm am Nacken auf.

„Mein Lord, das ist nicht notwendig. Ich liebe diese Insel Gramayre und würde nie…“

„Legt Eure Hand auf den Griff des Schwertes schwört!“ Die Stimme klang streng und unerbittlich.

Rod erschrak und zuckte zurück, denn ein Eid wie dieser würde ihn sein Leben lang an diesen Planeten binden.

„Schwört!“ donnerte der Geist, als Rod immer noch zögerte.

Rod starrte auf den schimmernden Griff und das strenge Gesicht. Fast gegen seinen Willen trat er wieder heran und beobachtete wie seine Hand sich um den Griff legte, aber er spürte nichts, kein Eisen zwischen den Fingern, nur eisige Luft.

„Jetzt leistet Euren Eid auf mich und die Meinen!“

Na gut, dachte Rod. Es sind ja nur Worte, und schließlich bin ich Agnostiker. „Ich schwöre“, sagte er und mußte sich zu diesen Worten zwingen. Dann kam ihm ein Einfall und er fügte hinzu: „Weiterhin schwöre ich, daß ich nicht ruhen werde, bis die Königin und alle ihre Untertanen mit einer einzigen Stimme regieren werden.“

Der Geist runzelte die Stirn. „Ein sehr merkwürdiger Eid“, brummte er. „Aber tief in meinem Herzen zweifle ich nicht an Eurer Redlichkeit, und der Schwur ist bindend.“ Das unstoffliche Schwert glitt in seine Scheide zurück. Horatio drehte sich um. „Folgt mir jetzt und ich werde Euch zu den Räumen innerhalb dieser Gewölbe führen.“ An einer Wand hielt er an und deutete mit spitzen Fingern: „Tastet, bis Ihr einen Stein findet, der nachgibt.“

Rod drückte auf die Steine, bis der Geist nickte, dann warf er sein ganzes Gewicht dagegen. Der Stein ächzte und gab knarrend nach. Klamme Luft drang aus der Öffnung.

„Geht jetzt Euren Pflichten nach. Und seid gewarnt: solltet Ihr je Euren Eid vergessen, so wird der Herzog von Loguire Euch jede Nacht im Bett erscheinen, bis die Furcht Euch übermannt.“

Jetzt stand die Tür zur Dachkammer offen, und Toms Schnarchen drang heraus. Rod nahm sich eine Fackel aus der Halterung vor der Tür und leuchtete vorsichtig hinein. Es war, wie er es erwartet hatte. An Toms mächtiger Brust ruhte ein blonder Kopf. Er betrachtete ihn näher. Nein, es war zweifellos nicht die Magd, die ihm den Trunk gereicht und sich erboten hatte, sein Bett zu wärmen. Erstaunlich, daß sie dann nicht bei dem Knappen ihr Glück versucht hatte, nachdem der Herr sie abgewiesen hatte. So wie er Tom kannte, hätte der gar nichts gegen ein zweites Mädchen gehabt.

Er steckte die Fackel in die Halterung zurück und ließ sich unzeremoniell auf den Heuhaufen fallen, der als Bett diente.

Und schon griff der Schlaf nach ihm.

„Mann Gallowglass!“ donnerte eine hohlklingende Stimme in der kleinen Kammer. Rod zuckte hoch, das Mädchen schrie, und Tom fluchte. Ein Geist schwebte eisigschimmernd vor ihnen in der Dunkelheit.

Rod stand auf und warf einen schnellen Blick auf Tom und die

junge Frau. Sie drückte sich mit vor Grauen verzerrtem Gesicht an Tom, der dem Geist herausfordernd (wenn auch zweifellos nicht ganz ohne Furcht) entgegenstarrte.

Erst dann betrachtete Rod den Geist in seiner Panzerausrüstung und dem Rapier an der Seite. Es war nicht Horatio. Rod erinnerte sich, daß er der Boß war, nicht der Geist. So hochmütig er nur konnte, schaute er ihn an. „In welchem Stall bist du aufgewachsen, daß du einem Herrn gegenüber ein so schlechtes Benehmen an die Nacht legst?“ Die Geisteraugen weiteten sich, das Kinn fiel hinab. Die durchschimmernde Gestalt starrte Rod erschrocken an. Der nutzte seinen Vorteil. „Sprich, doch höflich, sonst tanze ich auf deinen Gebeinen!“

Der Geist wand sich. Rod hatte ins Schwarze getroffen. Offenbar gab es eine ektoplasmische Verbindung zwischen einem Geist und seinen sterblichen Überresten. Rod nahm sich vor, die Grüfte oder Gräber aller hier Spukenden aufzusuchen. „Ver-verzeiht, My-mylord“, stammelte der Geist. „Ich wollte Rod unterbrach ihn. „Nun, da du mich aus dem Schlaf gerissen hast, könntest du mir endlich sagen, was du willst!“

„Ihr müßt sofort…“

Wieder unterbrach ihn Rod. „Ich muß überhaupt nichts!“

„Verzeiht, Eure Lordschaft.“ Der Geist verbeugte sich.

„Mylord Loguire ersucht Euch, in die Gewölbe zu kommen.“

„Horatio Loguire?“

„So ist es, Mylord.“

Die Magd ächzte. Rod zuckte zusammen. Er hatte vergessen, daß er nicht allein mit dem Geist war. Bald würde die ganze Burg von seiner Verbindung mit den Geistern wissen. Er wandte sich an den Geist. „Also gut, dann führe mich.“ Er griff nach seiner Harfe. Als der Geist sich zur Wand drehte und eine Hand ausstreckte, rief er: „Halt!“ Außer ihm brauchte niemand zu wissen, wo sich die Geheimgänge befanden. „Schweb zu

Mylord Loguire zurück und sag ihm, ich bin in Kürze bei ihm. Du scheinst zu vergessen, daß ich nicht durch die Wände gehen kann, wie du.“

„Aber, mein Lord“, protestierte der Geist. „Ihr…“ „Hast du nicht gehört!“ polterte Rod. Der Geist wich erschrocken zurück und verschwand.

In der jetzt wieder fast absoluten Dunkelheit stieß das Mädchen einen tiefen Seufzer aus, und Tom sagte mit ruhiger Stimme: „Verkehrt Ihr jetzt auch in Geisterkreisen, Meister?“ „Allerdings“, brummte Rod und schwang die Tür auf. „Wenn auch nur ein Wort über diesen Besuch aus der Kammer getragen wird, könnt ihr beide mit recht unruhigen Nächten rechnen.“

Wieder stöhnte das Mädchen. Gut, dachte Rod. Das wird ihr vielleicht den Mund verschließen.

Der Geist in der Panzerrüstung wartete in der Banketthalle, wo der metallene „Altar“ stand, auf Rod. „Wenn Ihr mir folgen würdet, Mylord?“

Sie kamen in einen Korridor. Voraus sah Rod das gespenstische Schimmern mehrerer Geister, die sich über etwas auf dem Boden beugten. Er hörte ein sehr menschliches, panikerfülltes Wimmern.

Horatio blickte bei Rods Näherkommen auf. Er löste sich vom Rest der Geister und schwebte auf Rod zu. Sein Gesicht war vor Grimm verzerrt. „Mann Gallowglass!“ polterte er. „Weshalb habt Ihr mir nicht gesagt, daß Ihr in Begleitung in unsere Gewölbe kamt?“

„In Begleitung?“ fragte Rod erstaunt. „Das wußte ich selbst nicht.“

„Nun, jemand folgte Euch dichtauf.“ „Excelsior!“ murmelte Rod.

„Gesundheit!“ sagte Loguire. „Ich fürchte, wenn wir weiterhin Sterbliche hier empfangen, müssen wir unsere Gewölbe beheizen. Aber wie ich sagte, ich fand Euren Dienstboten

direkt außerhalb der Banketthalle.“

„Dienstbote?“ Rod runzelte die Stirn.

„Es lauschte an der Tür. Und daß es zu Euch gehörte, wissen wir, weil es Euren Namen rief, als wir uns ihm näherten. Nur aus diesem Grund töteten wir es auch nicht, sondern schickten nach Euch.“

Loguire schwebte zur Seite und der Kreis der Geister öffnete sich. In ihrem kahlen Licht sah Rod langes dunkles Haar, eine weiße Bluse unter einem dunklen Mieder, und ein schreckverzerrtes Gesicht. Es war die Magd, die Gwendylon ähnlich sah.

„Mein Lord Loguire, diesen Dienstboten kann man doch wahrhaftig nicht mit,es' bezeichnen.“ Und dann sagte er mit sanftester Stimme: „Schau mich an, Mädchen.“

Sie hob den Kopf. Freude und Erleichterung überfluteten ihre Züge. „O mein Lord!“ wisperte sie. Sie warf die Arme um Rods Hals, und dicke Tränen perlten über ihre Wangen.

„Ruhig, ruhig, Mädchen.“ Rod bemühte sich, sich aus ihrer Umklammerung zu befreien, obgleich das Mädchen eine recht angenehme Last war.

Horatio Loguire verzog verächtlich das Gesicht. „Schafft sie aus meinen Gewölben, Mann. Es ist feucht genug hier, auch ohne ihren Wasserfall von Tränen.“

„Sofort, Mylord.“ Er holte ein Taschentuch aus seinem Ärmel und tupfte ihr das Gesicht ab. Er empfand eine unerklärliche Zärtlichkeit für sie und das Bedürfnis, sie zu beschützen.

„Ihr sitzt in der Falle, Mann!“ knurrte Horatio.

„Wer, ich? Das haben schon andere vergebens versucht.“

„Diesmal ist es gelungen. Und jetzt, hinaus mit ihr!“ Rod warf Horatio einen bösen Blick zu. Er hob das Mädchen, das sich offenbar nicht auf den Beinen halten konnte, auf die Arme, und wieder klammerte sie sich an seinen Hals. „Mein Lord“, wandte er sich noch einmal an den Obergeist. „Habt Ihr vielleicht die Güte, mich zu führen? Ich bin ein wenig

behindert…“

„Ja“, brummte Horatio und drehte sich um, doch zuvor war es Rod so, als husche die Spur eines Lächelns über das Geistergesicht.

Im bewohnten Burgteil stellte Rod das Mädchen wie der auf die Beine. Er mußte sich selbst eingestehen, daß er sie viel lieber noch länger auf den Armen getragen hätte. „Weshalb bist du mir gefolgt?“ fragte er.

Erschrocken blickte sie zu ihm hoch.

„Du mußt die Wahrheit sagen, Mädchen. Wer hat dich geschickt, mir nachzuspionieren?“

Sie hob den Kopf und schüttelte ihn heftig. „Niemand, Mylord!“

„Oh?“ Rod lächelte traurig. „Du willst doch nicht behaupten, daß du mir aus freiem Willen in die Spukgewölbe gefolgt bist!“

„Ich fürchte die Geister nicht, Mylord.“

Rod schaute sie überrascht an. Wenn das stimmte, hatte sie für eine Dienstmagd erstaunlichen Mut. Sie hatte, genau wie er, offenbar erst die Nerven verloren, als das schreckliche Ächzen anfing.

„Du hast mir noch nicht gesagt, weshalb du mir gefolgt bist.“

Sie biß sich erneut auf die Lippe, dann preßte sie die Worte widerwillig heraus. „Ich — ich fürchtete um Euch, Mylord.“

Rods Lippen verzogen sich zu einem trockenen Lächeln. „Um mich?“

„Ja!“ Jetzt sah sie ihn mit funkelnden Augen an. „Ich wußte ja nicht, daß Ihr ein Zauberer seid! Und ein Mensch — allein in diesen Gewölben…“ Sie senkte die Augen wieder.

Rod seufzte und drückte sie an sich. „Mädchen, Mädchen“, murmelte er. „Was hättest du denn schon tun können, um mir zu helfen?“

„Ich — ich kann ein wenig mit manchen Geistern umgehen, Lord. Ich hatte geglaubt…“

Rod schüttelte den Kopf. War es auf diesem verrückten

Planeten vielleicht üblich, mit Geistern zu verkehren? Er schloß die Lider und drückte seine Wange an ihr Haar. Er spürte ihren warmen, geschmeidigen Körper gegen seinen. Es war schön, sie zu halten, fast so schön wie Gwendylon… Er riß die Augen auf und starrte sie an. Er stellte sich die Gesichter der beiden Mädchen nebeneinander vor. Gwendylon mit dunkel gefärbtem Haar, die Augen ein wenig schräg gezogen, die Nase verlängert und gerade gezogen… Sie spürte seine Anspannung. „Was habt Ihr plötzlich, Lord?“ Ihre Stimme war ein wenig höher, hatte jedoch den gleichen Klang. Er schaute zu ihr hinunter. Ihr Teint war makellos, keine einzige Sommersprosse. Aber für ein Make-up brauchte man nicht unbedingt eine Technologie. Er deutete mit dem Zeigefinger zwischen ihre Augen. „Du“, sagte er, „hast mich beschwindelt!“

Einen flüchtigen Moment wirkte sie enttäuscht, doch dann schaute sie wieder völlig unschuldig drein. „Euch beschwindelt, mein Lord. Ich wüßte nicht…“ Rod tupfte auf ihre Nasenspitze und drehte den Finger ein wenig. Die Nasenspitze löste sich. Er lächelte grimmig. „Stärkemehl und Wasser! Das hättest du nicht zu tun brauchen, dein Himmelfahrtsnäschen gefällt mir viel besser.“ Er rieb mit der Fingerkuppe über die Augenwinkel, und schon waren die Augen nicht, mehr schräg, dafür war sein Finger schwarz. Kopfschüttelnd brummte er: „Na, hoffentlich bekommst du die Farbe auch so leicht aus deinem Haar! Ich verstehe nur nicht, warum du das gemacht hast! So wie die Natur es dir gegeben hat, ist dein Gesicht doch viel hübscher!“ Sie errötete. „Ich — ich konnte nicht ohne Euch sein, Herr.“ Er schloß die Augen und preßte die Zähne zusammen. Es kostete ihn alle Willenskraft, sie nicht an sich zu drücken. „Aber…“ Er mußte erst Luft holen. „Wie bist du mir gefolgt?“ Mit großen unschuldigen Augen schaute sie zu ihm hoch. „In der Tarnung eines Fischadlers, Lord.“

Er sperrte den Mund auf. „Du? Eine Hexe? Aber…“

„Ihr werdet mich doch deshalb nicht verachten, Lord?“ fragte sie ängstlich. „Ihr, der Ihr ein Zauberer seid.“

„Was? Ich? Nein, natürlich nicht. Ich meine — uh — einige meiner besten Freunde sind — uh…“

„Mein Lord?“ fragte sie besorgt. „Fühlt Ihr Euch nicht wohl?“

„Ich? Natürlich nicht? Nein, warte…“ Wieder mußte er erst Luft holen. „Du bist also eine Hexe? Und wenn schon. Ich bin viel mehr an deiner Schönheit als an deinen Fähigkeiten interessiert.“ Schnell holte er erneut Luft. „Aber wir müssen eines klarstellen.“

Sie schmiegte sich fest an ihn. „Ja, mein Lord?“

„Nein, nein! Das meinte ich nicht.“ Hastig wich er ein paar Schritte zurück und streckte die Hände aus, um sie abzuwehren. „Also, der einzige Grund, daß du mir folgtest, war deine Angst um mich, richtig? Weil du glaubtest, ich könnte mir selbst nicht helfen?“

Der Glanz ihrer Augen erlosch. „Ja, Mylord.“

„Doch jetzt weißt du, daß ich ein Zauberer bin und du keine Angst mehr um mich haben mußt. Also besteht kein Grund, mir weiter zu folgen, richtig?“

„Nein, mein Lord.“ Stolz hob sie das Kinn, und ihre Augen blitzten ihn trotzig an. „Ich werde Euch auch weiterhin folgen, Rod Gallowglass. Es gibt Magie in dieser Welt, von der Ihr nichts ahnt!“

Das Schlimmste war, dachte er, daß sie so verdammt recht hatte. Auf dieser verrückten Welt gab es bestimmt noch eine Menge Zauberei und sonstiges, das er sich nicht einmal vorzustellen vermochte. Aber andererseits gab es auch einiges, von dem sie nichts wußte. Als Amateurhexe, vermutlich, und zu alt, der Gewerkschaft beizutreten — sie war bestimmt schon fast so alt wie er! — , kannte sie vermutlich nur ein paar Tricks, beispielsweise, wie man sich zurechtmachte, und verfügte über die Fähigkeit, durch die Luft zu fliegen (aber er verstand immer noch nicht, wie sie die Täuschung, ein Vogel zu sein, so lange hatte aufrechterhalten können), und dann hatte sie Mut, wie man ihn bei einer Frau nicht erwartete. Aber wenn sie recht hatte, daß sie um ihn fürchten mußte, weil er immer noch in Gefahr war, so schien ihr nicht bewußt zu sein, daß sie sich in nicht weniger Gefahr befand. Nein, es hätte bestimmt keinen Sinn, ihr zu verbieten, ihm zu folgen — sie würde es trotzdem tun. Und er würde lebend seine Abenteuer überstehen, wie er es immer getan hatte, während sie irgendwo unterwegs den Tod fand. Oder vielleicht behinderte sie ihn auch so sehr, daß sie beide daran glauben mußten. Er schüttelte ganz leicht den Kopf. Nein, er durfte nicht zulassen, daß sie getötet wurde, also mußte er sie irgendwie loswerden — und er wußte auch schon, wie.

Er verzog das Gesicht zu einem säuerlichen Lächeln.,Es stimmt schon, was man von Bauernmädchen sagt. Wenn man auch nur ein bißchen nett zu ihnen ist, wird man sie nicht mehr los. Meine Teure, du bist schlimmer als eine Klette!“ Sie holte fast schluchzend Atem und preßte die Hand auf die Lippen. Tränen quollen aus ihren Augen. Sie biß sich in die Finger, wirbelte herum und rannte davon. Er starrte auf den Boden, bis ihre Schritte sich verloren und er ihr Schluchzen nicht mehr hörte. Er fühlte sich so elend wie selten zuvor. Eine schwere Faust hämmerte an die Eichentür. Rod kämpfte sich aus tiefem Schlaf und richtete sich im Heu auf. Tom und sein Mädchen starrten stumm auf die Tür. „Keine Angst“, brummte Rod. „Geister klopfen nicht.“

„He, Minnesänger!“ donnerte eine tiefe Stimme. „Komm sofort zu meinem Herrn!“

Rod schlüpfte in sein Wams und griff nach der Harfe. Er riß die Tür auf und versuchte, ganz wach zu werden, nach dem kärglichen Schlaf, der ihm vergönnt gewesen war. „Ihr brauchtet zu dieser frühen Stunde nicht ganz so stürmisch zu sein“, brummte er. „Wer, zum Teufel, ist überhaupt Euer Herr?“

Eine schwere Faust traf Rod unter dem Ohr und warf ihn an die Wand. Er kämpfte gegen das Verlangen, dem Burschen den Hals umzudrehen. Durch dichte Nebelschleier hörte er ein sadistisches Kichern. „Überleg dir deine Worte, wenn du zu Höheren sprichst, Harfenzupfer!“

Rod richtete sich an der Wand auf und schätzte seinen Peiniger ab. Er war ein gewöhnlicher Fußsoldat in schmutzigem Lederwams und nicht weniger schmutzigern Kettenhemd, mit abstoßendem Körpergeruch und dazu noch fauligem Atem von den verrottenden Zähnen, die er in einem selbstzufriedenen Grinsen fletschte.

Rod seufzte. Es war besser, seine Rolle zu spielen. Den Schlag hatte er verdient, weil er aus dieser Rolle gefallen war. Der Minnesänger diente hier auch zur Abreagierung aggressiver Gefühle. „Na gut“, murmelte er. „Ich werde mir meine Worte überlegen.“

Diesmal traf die Faust ihn unter dem Kinn. Während er zurücktaumelte, hörte er: „Du hast wohl vergessen, daß man seinen Höheren mit Herr anspricht!“

Rods Handkante schlug dreimal blitzschnell zu. Das war ihm doch zuviel gewesen. „Ich würde mich erst mal vergewissern, wer der Höhere ist. Und jetzt führ mich zu deinem Herrn!“ Der Herr war, wie sich herausstellte, Lord Loguire. Er saß am Kopfende eines riesigen ovalen Tisches in der Mitte eines mit prächtigen Wandteppichen behangenen Gemachs. Zu seiner Rechten hatte sein ältester Sohn Platz genommen, zu seiner Linken Durer. Die anderen Stühle waren von acht Männern belegt, die Rod bekannt vorkamen. Seine Augen weiteten sich, als ihm klar wurde, daß es vier der Hohen Lords — Herzog di Medici, Graf Romanoff, Herzog Bourbon und Prinz Habsburg — mit ihren Ratgebern waren. Nach Loguire waren sie die mächtigsten der Hohen Lords. Und wenn diese fünf sich hier versammelt hatten, mochten die restlichen sieben da nicht ebenfalls in der Nähe sein?

Der Tisch war zum Frühstück gedeckt, aber keiner von den Anwesenden aß mit Genuß. Anselm, beispielsweise, Loguires Sohn, schluckte die Bissen mechanisch, und sein Gesicht war von kalter Wut verzerrt.

Rod schloß daraus, daß es eine Meinungsverschiedenheit zwischen Vater und Sohn gegeben hatte, aus der der alte Loguire natürlich als Sieger hervorgegangen war — aber nur, indem er seinem Sohn den Mund verboten hatte. Und ihn, Rod, hatte man gerufen, damit er wieder für Stimmung sorgte. Was von einem Minnesänger nicht alles erwartet wurde!

Durers Gesicht konnte die verstohlene Selbstzufriedenheit kaum verbergen. Bei den anderen Ratgebern war es nicht viel anders. Was immer auch hier geschehen war, es mußte Durer gerade recht gekommen sein, ja vermutlich war es sogar von ihm in Szene gesetzt worden. Der Mann ist der perfekte Katalysator, dachte Rod. Er wurde nie in die Reaktionen verwickelt, die er auslöste.

Loguire sah seinen Sohn mit stummer Bitte in den alten, rotumränderten Augen an. Aber Anselm gönnte ihm keinen Blick, bis des Herzogs Gesicht zu Stein zu erstarren schien. Als er sich umdrehte, entdeckte er Rod. „Minnesänger!“ donnerte er. „Warum steht Ihr müßig herum? Singt uns etwas Fröhliches!“

Durers Kopf zuckte herum. Bei Rods Anblick weiteten sich seine Augen. Schrecken verzerrte seine Züge und wurde von mörderischem Haß abgelöst.

Rod lächelte vergnügt und verbeugte sich. Er überlegte, welches Lied wohl die Spannung in diesem Raum lösen könnte. Er befürchtete, daß es hier Sitte war, sich abzureagieren, indem man den Minnesänger verprügelte, wenn es ihm nicht gelang, für die erwartete Entspännung zu sorgen.

Er begann eine blutrünstige Moritat zu spielen, weil er es für das Beste hielt, ihnen etwas noch Aufregenderes zu bieten, als das, was immer auch hier vorgefallen war. Er klimperte jedoch zuerst nur herum, ohne gleich zu singen, um die Gesichter der vier Lords zu studieren.

Sie schwankten von brütender Überlegung zu Verachtung (obgleich unterdrückt). Letztere galt offenbar dem alten Herzog. Es sah ganz so aus, als hätte Loguire hier keine Unterstützung. Alle schienen auf der Seite seines Sohnes zu sein. „Minnesänger!“

Rod schaute auf. Es war Anselm, der ihn gerufen hatte. Sein Gesicht war in Bitterkeit erstarrt. „Habt Ihr vielleicht ein Lied über einen, den eine Frau zum Narren hält und der ein doppelter Narr ist, weil er sie trotzdem liebt?“

„Genug!“ donnerte Loguire, doch ehe Anselm etwas sagen konnte, erwiderte Rod: „Viele, mein Lord, aber von einem Mann, der die Frau, die ihm weh getan hat, immer noch liebt.

Und in allen kehrt sie zu ihm zurück.“

„Hah, sie nimmt ihn wieder auf — um ihn an einem langen Strick von den Zinnen baumeln zu lassen!“

Der alte Herzog richtete sich auf. „Genug der Verleumdung!“ brüllte er.

Anselms Stuhl kippte nach hinten, als er aufsprang. „Und ist es Verleumdung, daß sie den stolzen Namen Loguire in den Schmutz gezogen hat? Und nicht nur einmal, sondern zweimal, und sie wird es noch öfter tun!“ Er schlug die Faust auf den Tisch. „Diese Hexe wird noch lernen, daß sie die Ehre ihrer Edlen nicht ungestraft verletzen darf. Wir müssen sie von ihrem Thron zerren und sie ein für allemal unter unseren Füßen zertreten!“

Loguires Gesicht lief tiefrot an. Er öffnete den Mund, doch ehe er etwas erwidern konnte, murmelte Rod: „Nein, mein Lord, nicht so hart. Nicht gleich Vernichtung, sondern eine Lehre!“

Er stand im Kreuzfeuer von laserstrahlgleichen Blicken Anselms und Durers, aber Loguire polterte mit der Freude und Erleichterung eines Riesen: „Ja! Unser Minnesänger spricht zwar ungebeten, aber er hat recht! Unsere junge Königin ist eigensinnig, doch das ist auch ein Füllen, ehe man ihm das Zaumzeug anlegt. Sie muß erst noch lernen, daß ihre Macht nicht absolut ist, daß auch andere das Recht haben, ein Wort mitzureden. Sie ist immerhin die Herrscherin und darf nicht gestürzt werden!“

Anselm stieß einen gurgelnden Laut aus. Er würgte vor Wut und stotterte fast in seinem Grimm. „Nein — ich sage nein! Eine Frau als Monarch? Das ist Spott und Hohn! Und noch dazu eine arrogante, hurende…“

„Halt den Mund!“ Selbst die vier anderen Hohen Lords schraken vor dieser Donnerstimme zurück.

Anselm zuckte zusammen und schien sichtlich zu schrumpfen, während Loguire an Größe wuchs. Und dann, mit einer Würde, wie Rod sie noch nie an einem Mann gekannt hatte, ja, mit der wahrhaft majestätischen Würde, die nur aus dem innersten Wesen selbst kommen kann, setzte Loguire sich wieder und sagte, ohne den Blick von seinem Sohn zu lassen: „Zieh dich in deine Gemächer zurück. Wir werden bis zum Konklave heute abend nicht mehr davon sprechen!“

Irgendwie gelang es Anselm, das Kinn zu heben und sich auf dem Absatz umzudrehen. Auf dem Weg zur Tür fiel sein Blick auf Rod. Wut stieg in ihm auf. Er hob den Arm, um den Minnesänger zu schlagen.

„Nein!“ donnerte Loguire, und Anselm erstarrte.

„Dieser Mann“, erklärte der Herzog betont langsam, „hat die Wahrheit gesprochen. Ich dulde nicht, daß jemand Hand gegen ihn erhebt!“

Anselm senkte den Blick. Er riß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu.

„Minnesänger, spielt!“ brummte Loguire. Rod stimmte eine Weise auf der Harfe an, während er nachdachte. Heute abend

würde also Kriegsrat abgehalten werden, und der Hauptpunkt war zweifellos die konstitutionelle Monarchie gegen die Souveränität der Hohen Lords, auch wenn das vielleicht nur Durer und ihm klar war. Nun, er, Rod, wußte jedenfalls, auf wessen Seite er stand.

Sie kamen in dem neuen Bankettsaal zusammen, nicht nur die zwölf Hohen Lords, sondern mit ihnen ihre Lehnsleute, Grafen, Barone, Ritter. Und zur Seite eines jeden stand, oder eher noch, kauerte einer der ausgemergelten kleinen Männer. Rod pfiff lautlos durch die Lippen. Er hatte nicht gewußt, daß es so viele dieser Ratgeber gab. Mit einem Blick geschätzt waren es mindestens fünfzig, wenn nicht siebzig. Und möglicherweise gab es außerhalb seines Blickfelds noch mehr, und sein Blickfeld war momentan arg beschränkt. Er schaute durch ein Loch in der Wand hinter Lord Loguire in den Saal. Das Loch war dadurch entstanden, daß er von einer Fackelhalterung einen der drei Haltestifte entfernt und dahinter das Loch kopfgroß erweitert hatte.

Rod stand in der klammen Dunkelheit eines schmalen Ganges. Seine Rechte ruhte auf einem Hebel. Wenn er ihn nach unten drückte, mußte der Stein vor ihm zur Seite schwingen und sich eine Öffnung bilden, die groß genug war, ihn hindurchzulassen. Nach den Mienen der Lords, die ihre Gesichter Loguire zuwandten, würde es vermutlich notwendig werden, einzugreifen.

Der Mann unmittelbar vor dem Herzog war Anselm. Bourbon und di Medici standen links und rechts von dem jungen Mann, und Durer links von Loguire.

Der Herzog erhob sich schwer. „Hier in diesem Saal“, begann er, „sind alle von edlem Blut und die wahre Macht Gramayres zusammengekommen, um über eine passende Belehrung Königin Catherines zu beraten.“

Herzog Bourbon spreizte die Ellbogen und legte die Hände auf die Schenkel. Er erweckte den Eindruck eines großen

schwarzen Bären mit den zottligen Brauen und dem Urwald von einem Vollbart. „Nein, guter Onkel!“ widersprach er funkelnden Blickes. „Wir sind hier, um zu besprechen, wie wir sie stürzen können, sie, die unsere Ehre in den Schmutz zieht.“ Loguires Schultern strafften sich, seine Augen weiteten sich vor Entrüstung. „Nein!“ würgte er. „Es besteht nicht genug Grund…“

„Grund!“ Bourbons Stimme zitterte. „Sie hat uns höhere Steuern auferlegt als je in der Geschichte Gramayres und dann die Einnahmen an den Abschaum von Bauern vergeudet. Jeden Monat schickt sie ihre Richter zu uns, um sich Beschwerden von allen in unseren Ländereien anzuhören. Jetzt will sie auch noch die Priester selbst ernennen. Und da sagt Ihr, wir hätten nicht genug Grund? Sie beraubt uns unserer rechtmäßigen Herrschaft innerhalb unserer eigenen Domänen. Und um allem die Krone aufzusetzen, beleidigt sie uns auch noch vor allem Volk, indem sie sich erst die Petition von schmutzigen Bettlern anhört, ehe sie uns ihr Ohr leiht!“

Medici hatte sich zu seinem Ratgeber hinabgebeugt. Jetzt richtete er sich auf und rief: „Und hat ein Monarch je zuvor Petitionen seiner Bauern in seinem Audienzsaal angehört?“ „Nie!“ donnerte Bourbon. „Aber nun zieht die Königin Bettler und Bauern uns vor! Sie mißachtet alle Tradition! Und das jetzt, während sie noch ein Kind ist, mein verehrter Herzog Loguire. Was wird sie erst tun, wenn sie erwachsen ist?“ Er hielt kurz an, um Atem zu holen, dann knurrte er: „Wir haben gar keine andere Wahl, als sie zu stürzen!“

„Ja!“ pflichtete ihm di Medici bei, und alle anderen stimmten in das Ja ein, bis es durch den riesigen Saal hallte. „Und ich sage nein!“ donnerte Loguire über alle hinweg. Schweigen senkte sich auf die Anwesenden herab. „Sie ist unsere Herrscherin. Kapriziös, ja, und despotisch, hitzköpfig und eigensinnig, all das, ja, das ist sie. Aber das sind die üblichen Untugenden der Jugend, eines Kindes, das man die Grenzen seiner Macht erst noch lehren muß, und es ist an uns, sie ihr zu zeigen, sie darauf hinzuweisen, wo sie sie überschritten hat. Das dürfen wir tun, doch nicht mehr!“ „Eine Frau kann nicht weise regieren“, murmelte di Medicis Ratgeber, und di Medici griff es sofort auf. „Mein teurer Vetter“, wandte er sich an Loguire. „Gott schuf die Frauen nicht dazu, ein Land zu regieren.“

Sofort stieß Bourbon ins gleiche Horn. „Ja, guter Onkel! Weshalb will sie uns keinen König geben? Sie soll heiraten, wenn sie wirklich möchte, daß dieses Land weise regiert wird!“ „Es ist ihr Recht, zu regieren!“ polterte Loguire. „Sie ist vom Blute der Plantagenets, dem Herrschergeschlecht dieses Landes, seit es besteht! Mein guter Neffe, vergeßt Ihr so leicht den Eid, den Ihr diesem Namen geleistet habt?“ „Die Korruption macht auch bei Dynastien nicht halt!“ murmelte Bourbons Ratgeber mit funkelnden Augen. „Ja!“ donnerte Bourbon. „Das Blut der Plantagenets ist zu dünn, es brachte nur noch ein kleines Mädchen mit den Launen einer starrköpfigen Frau hervor. Wir brauchen neues Blut für unsere Könige!“

„Vielleicht das der Bourbons?“ fragte Loguire verächtlich. Bourbon lief tief rot an, aber schon rief di Medici: „Nein, teurer Vetter, das beste, das höchste Blut. Anselm Loguire wird unser neuer König sein!“

Loguires Kopf zuckte zurück, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. Mit zitternder Hand stützte er sich auf die Stuhllehne. Er schaute zu seinem Sohn, der triumphierend nickte. „Es ist also ein abgekartetes Spiel! Schon vor dieser Zusammenkunft habt ihr euch besprochen — hinter meinem Rücken! Und wer hat euch dazu angestachelt?“ Mit finsterem Blick musterte er Durer.

„Du!“ brüllte er. „Vor fünf Jahren kamst du zu mir, und ich alter Narr war sogar noch erfreut darüber. Und dann kamen

nach und nach alle deine Bastarde — und immer noch hielt ich es für gut!“

Er wandte sich nach rechts. „Anselm, den ich einst meinen Sohn nannte, wach auf und hör mich an! Hüte dich vor dem Vorkoster, denn er hat die beste Möglichkeit, dich zu vergiften!“

Rod wurde plötzlich klar, wie die Zusammenkunft enden würde. Die Ratgeber durften das Risiko nicht eingehen, Loguire am Leben zu lassen. Der alte Herzog war immer noch stark und nicht unterzukriegen und es mochte ihm durchaus wieder gelingen, die Hohen Lords auf seine Seite zu bekommen.

Anselm legte die Hand auf Durers Schulter. Der Ratgeber hatte Loguire kategorisch verlassen und sich neben seinen Sohn gestellt. „Ich vertraue diesem Mann. Er war von Anfang an auf meiner Seite, und ich bin für seine Weisheit dankbar — so wie ich es für deine sein werde, wenn du dich uns anschließt.“

Loguire verengte die Augen. „Nein!“ spuckte er. „Lieber sterbe ich, als zum Verräter zu werden, wie ihr!“

„Ihr sollt haben, was ihr begehrt!“ rief Durer. „Welche Todesart zieht Ihr vor?“

Anselm starrte ihn an. „Halte dich zurück, Durer! Er ist ein alter Narr, ja, und steht gegen das Wohl des Landes. Aber er ist mein Vater, und ich werde nicht dulden, daß jemand Hand an ihn legt!“

Durer hob die Brauen. „Ihr wollt eine Schlange an Eurem Busen nähren, Mylord? Aber nicht Ihr allein habt zu entscheiden, sondern alle Lords.“ Er hob die Stimme. „Was sagt Ihr, edle Herren? Soll dieser Mann sterben?“

Rod überlegte. Er mußte Loguire herausholen. Er konnte die Geheimtür öffnen und den Herzog mitsamt Stuhl herausziehen, ehe die anderen wußten, was ge schah. Aber konnte er sie auch rechtzeitig wieder schließen? Die anderen waren zu nah. Und vor allem würde Durer schnell handeln.

Ein zögerndes, aber einstimmiges Ja hallte durch den Saal. Durer verneigte sich spöttisch. „Das Urteil, mein Lord, ist der Tod.“ Er zog das Rapier und holte aus. Im gleichen Augenblick erlosch das Licht. Rod blieb einen Moment wie erstarrt in der totalen Dunkelheit stehen, dann zog er mit aller Kraft den Hebel. Das Ächzen und Knarren des zurückgleitenden Steines brach die Totenstille, und sofort schrien alle durcheinander. Der Lärm würde Rod von Nutzen sein. Er tastete blind um sich und stieß gegen jemandes Brustkasten. Der Jemand brüllte und holte mit der Klinge aus. Sie zischte dicht über Rods Kopf hinweg. Eine Sekunde schaltete er das Licht seiner Dolchscheide an und erkannte den Jemand als Lord Loguire. Doch auch ein anderer hatte sich in dem flüchtigen Lichtschein orientiert. Ein knorriger, kleiner Körper stieß heulend vor Wut gegen Rod, und gleichzeitig stach eine Klinge in Rods Schulter. Durch reinen Zufall gelang es ihm, Durers Handgelenk zu fassen und den zurückgezogenen Dolch, der schon fast seine Kehle erreicht hatte, zu stoppen.

Der Kleine war unheimlich stark und zäh. Immer näher drang die Dolchspitze an Rods Hals. Er spürte bereits die ersten Blutstropfen, als plötzlich ein grauenvolles, ohrenbetäubendes Ächzen den Saal erfüllte, dem gleich Panikschreie folgten. Drei riesige schimmernde, durchscheinende Gestalten schwebten durch die Luft. Knochengesichter waren zu sehen, mit den Mündern zu großen Os gerundet. Horatio und zwei andere ehemalige Loguires amüsierten sich köstlich. Rod brüllte: „Gekab, sechzig Hertz!“ Betäubendes Dröhnen summte in seinen Ohren und sofort schwand seine Furcht. Hastig schaltete er wieder das Hüllenlicht ein und fand Loguire. Rod duckte sich, rammte ihm den Schädel in den Magen, schwang ihn sich über die gute Schulter, und eilte zur Öffnung. „Drückt die Hände an die Ohren, ihr Narren!“ kreischte Durer und folgte Rod, der die Öffnung nicht gleich finden konnte.

Panik griff nach ihm, denn mit Loguire auf der Schulter hatte er gegen den drahtigen Kleinen keine Chance.

Kalte Luft blies gegen seine Wange. „Mir nach!“ donnerte Horatio. Rod gehorchte, und so gelangten sie durch die Öffnung. „Schnell, Mann!“ polterte der Geist. „Der Stein! Ihr müßt ihn schließen!“ Rod nickte keuchend und tastete nach dem Hebel. Knarrend schloß sich die Öffnung. Er setzte den Herzog, der allmählich zu sich kam, auf den Steinboden.

Immer noch keuchend blickte er zu Horatio hoch. „Habt Dank für die Rettung!“ krächzte er.

Horatio winkte ab. „Tot hättet Ihr Euren Eid nicht erfüllen können“, brummte er.

„Wie habt Ihr das eigentlich geschafft, alle Fackeln gleichzeitig zu löschen?“ fragte Rod nach einer Weile.

„Ich dachte, das hättet Ihr getan, Zauberer.“

Rod starrte ihn mit weit offenem Mund an. „Ich dachte, Ihr hättet — und Ihr dachtet, ich hätte… Aber wer war es dann?“

Ein Lichtstrahl drang durch das von Rod geschaffene Guckloch. Horatio heulte furchterfüllt auf und verschwand.

Rod spähte durch das Loch. Durer stand auf der Plattform und stieß mit dem Dolch um sich. „Wo? Wo?“ heulte er.

Rod half Loguire, der noch völlig benommen war, auf die Beine. „Wer — wer war das?“ fragte er, während Rod ihn hinter sich herzog. „Dieser Mann in Weiß?“

Offenbar stand Loguire noch unter Schock. Er mußte ihn also vorsichtig behandeln. „Einer Eurer Verwandten, Mylord. Kommt, wir müssen uns beeilen.“

„Verwandter?“ murmelte Loguire, aber er lief hinter Rod her, bis sie um eine Biegung kamen, dahinter würde es dunkel sein, da das Licht aus dem Guckloch nicht so weit reichte. Doch als sie um die Ecke bogen, schimmerte etwas voraus — eine Gestalt mit einer phosphoreszierenden Lichtkugel in der Hand und zutiefst besorgtem Gesicht.

„Gwendylon!“ rief Rod.

Ihr Gesicht strahlte erleichtert auf.

„Was, zum Teufel, machst du da?“

Unschuldigen Blickes antwortete sie: „Ich folgte Euch, Mylord.“

„Aber, aber… Du mußt mich doch jetzt hassen, so war es schließlich gedacht!“

„Nie, mein Lord“, sagte sie ernst. Rod dachte wieder daran, was Tom über Bauernmädchen gesagt hatte, doch dann betrachtete er das kugelförmige Feuer in ihrer bloßen Hand.

„Was hast du denn da?“

„Oh, nur ein kleiner Zauber, den meine Mutter mich lehrte, als ich noch ein ganz winziges Kind war. Das Licht wird uns helfen, einen Weg durch dieses Labyrinth zu finden.“

Rod starrte sie an. „Und wie hast du die Fackeln im Saal gelöscht?“

„Das ist nicht so einfach zu erklären, Mylord. Haben wir Zeit?“

„Nein. Aber du warst es jedenfalls, hm? Ein weiterer Trick, den deine Mutter dich lehrte?“

Sie nickte, da bemerkte sie seine blutende Schulter. „Ihr seid verwundet, mein Lord!“ rief sie erschrocken. Erst jetzt wurden Rod die Schmerzen wieder bewußt. Er wollte sich an die Wand stützen, doch statt dessen drückte seine Hand auf etwas Weiches, Nachgiebiges, und schon schmiegte sich ein sanfter Körper an ihn. „Gwendylon! Hier ist wirklich nicht der richtige Ort…“

„Mit Euch ist überall der richtige Ort“, flüsterte sie in sein Ohr.

Rod versuchte, sich in die Wand hineinzudrängen. „Horch, Baby, wir haben jetzt nicht die Zeit dazu, doch wenn du uns sicher hier heraus führst, tue ich, was du willst!“

Sie sog die Luft ein. „Wahrhaftig, Lord?“

Rod wich zur Seite, so weit er konnte. „Nun, jedenfalls vierundzwanzig Stunden lang.“

„Das genügt“, versicherte sie ihm mit strahlendem Lächeln, und schon rarinte sie mit dem Licht voraus. Er

blickte ihr eine Sekunde nach, dann schoß er hinter ihr her und riß sie an sich. Erstaunt schaute sie zu ihm hoch. „Mein Lord, wir müssen uns beeilen…“

„Es dauert nicht lange.“ Er zog sie an sich und drückte die Lippen fest auf ihre. Sie seufzte glücklich und schob ihn von sich. „Und wofür war das?“

„Nur eine kleine Kostprobe“, murmelte er und wirbelte herum, als er ein tiefes, freundliches Lachen hinter sich hörte. Loguire war wieder zu Kräften gekommen.

Der Boden unter ihren Füßen wurde immer glitschriger, und Wasser rauschte irgendwo in der Nähe. „Beeilt Euch, meine Lords!“ rief Gwendylon. „Wir müssen fort sein, ehe sie daran denken, die Stallungen zu durchsuchen!“

„Kommen wir denn dort heraus?“ fragte Rod stirnrunzelnd.

„Nein, am Fluß. Aber wenn sie in den Stallungen nachsehen, wird ihnen auffallen, daß Euer Rappe und des Herzogs Brauner durchgegangen sind.“

„Was du nicht sagst! Und wo sind die Pferde?“ Er sprach ein wenig lauter als nötig.

„Am Flußufer“, erklang Gekabs Stimme hinter seinem Ohr.

„Tom ist auch hier.“

Rod unterbrach Gwendylon, als sie ihm antworten wollte. „Ich weiß, ich weiß, am Flußufer. Aber wieso brachte Tom sie…“

„Ich ersuchte ihn darum, Mylord. Mir kam der Gedanke, daß wir sie brauchen würden.“ Kann sie auch in die Zukunft sehen?

Fragte sich Rod. „Vorsicht, meine Lords!“ warnte da das Mädchen und stieg über etwas, das mitten auf dem Gang lag.

Rod blieb stehen und betrachtete es. Es War das Skelett eines winzigen Menschen, doch keines Kindes, den Proportionen nach. Es war mit Moder überzogen, konnte aber trotzdem noch nicht sehr lange hier liegen. „Was ist das?“

fragte er.

„Einer des kleinen Volkes, Lord.“ Ihre Züge verhärteten sich.

„Schwarzer Zauber breitet sich seit einiger Zeit in der Burg

aus.

Rod ignorierte Loguires Stöhnen. „Welche Art von Zauber?“

„Hier war es eine Art Singen — in der Luft! Doch nicht in den Ohren klang es, nur im Kopf. Euch oder mich hätte es nur aufgehalten wie eine Mauer, aber die Kleinen tötete es.“

Ein Kraftfeld! „Wann begann es?“

„Dieser Zauber wurde vor fünf Jahren gewirkt, Mylord, doch hielt er nicht länger als einen Monat an, denn sein Meister achtete nicht darauf, daß ich ihn unwirksam machte, noch errichtete er ihn erneut.“

Rod hielt so abrupt an, daß Loguire gegen ihn prallte. Er starrte auf die grazile, o so weibliche Gestalt, die voraus durch den Gang huschte. Dann schluckte er und folgte ihr wieder. Ein Energieschirm! Vor fünf Jahren! Als Durer auftauchte! Und sie hatte ihn neutralisiert! Mit neuem Respekt betrachtete er das Bauernmädchen. Sie steckte voll Überraschungen!

Das Kugellicht in Gwendylons Hand erlosch und der mit dichtem Grün verhangene Tunnelmund öffnete sich voraus.

Der Fluß rauschte nur wenige Meter entfernt vorbei. Es war kalt hier. Loguire fröstelte.

„Meister!“ Tom trat mit drei Pferden an den Zügeln aus den Schatten des Flußufers. Rod faßte Gwendylons Hand und rannte ihm entgegen. Aber sie hielt ihn energisch zurück.

„Nein, mein Lord! Erst müssen wir nach Eurer Schulter sehen!“

„Wir haben keine Zeit!“ protestierte Rod.

„Es würde uns unterwegs nur aufhalten!“ sagte sie streng, „und jetzt brauchen wir bloß wenige Minuten.“ Rod seufzte und kapitulierte. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus, als er ihr nachsah, wie sie zum Ufer rannte.

„Sie hat recht“, brummte Loguire und drehte Rod zu sich um.

„Beißt die Zähne zusammen!“ Er riß Rods Wams von der Schulter und löste dabei das verkrustete Blut. Rod schnappte nach Luft.

„Es ist gut, wenn es frisch blutet!“ knurrte Loguire. Und schon eilte Gwendylon mit einer Handvoll Krautern herbei und legte sie vorsichtig auf die Wunde, während Tom ihm einen Weinbeutel an die Lippen setzte. Und bereits fünf Minuten später schwang er das Mädchen auf Gekabs Rücken und setzte sich hinter ihr in den Sattel.

Als Gekab sich in Trab setzte, drehte sie sich zu Rod um.

„Aber, Mylord, ich brauche doch nicht…“

„Wir haben nur drei Pferde, Gwen. Mach dir keine Sorgen, mein Rappe schafft dein Gewicht spielend…“

„Aber, mein Lord, ich brauche wirklich nicht…“

„Still! Lord Loguire!“ rief Rod über die Schulter. „Führt uns, Ihr kennt das Land am besten.“

Loguire nickte stumm und trabte voraus. Rod brummte: „Unsere Spur ist deutlich wie eine Straße. Wir müssen uns beeilen, damit sie uns nicht einholen können!“

„Seht erst einmal hinter Euch, Lord!“ riet ihm Gwendylon. Rod drehte sich um. Mindestens hundert Elfen waren mit winzigen Besen dabei, die Spur zu verwischen.

„Großer Gott!“ murmelte Rod. „Gwen! Hast du das veranlaßt?“

Keine Antwort. Er wandte sich wieder nach vorn. Gwen war verschwunden! „Gwendylon!“ brüllte er erschrocken, und zerrte am Zügel, daß Gekab sich aufbäumte und anhielt.

Ein Schrei antwortete aus dem Himmel. Rod riß den Kopf hoch. Der Seeadler war wieder da! Und jetzt schoß er herab, kreiste um Rod und schrie drängend.

„Ja, ja, ich verstehe schon“, brummte Rod. „Marsch, weiter, Gekab!“ Aber das Pferd stand starr, und sein Kopf baumelte zwischen den Beinen. Das hatte kommen müssen. Aber er konnte es dem Roboter nicht einmal übelnehmen, auch für ihn war es ein Schock gewesen. Rod drückte auf den Schaltknopf.

Sie ritten die ganze Nacht hindurch. Loguire war so erschöpft, daß er sich kaum noch im Sattel halten konnte. Doch Rod ging es nicht viel besser. „Seht Ihr die Heuhaufen, Mylord?“ wandte

er sich an ihn. „Der Morgen ist nah, und wir können es nicht riskieren, während des Tages zu reiten. Wir wollen uns im Heu ausruhen.“

Loguire hob blinzelnd den Kopf. „Ja, ja“, murmelte er nur. Vor dem nächsten Heuhaufen half Rod ihm aus dem Sattel. Tom nahm den Pferden die Sättel ab. „Gekab“, flüsterte Rod. „Zieh dich mit den beiden Tieren irgendwohin zurück, wo ihr nicht so leicht entdeckt werden könnt, und schaff sie bei Sonnenuntergang wieder hierher.“ „Ist gut, Rod“, versicherte ihm der Roboter.

Rod schaute auf den alten Lord hinunter. Er war eingeschlafen.

Schnell bedeckte er ihn mit Heu, dann hielt er nach Tom Ausschau und sah, wie gerade seine Waden und Füße in einem Heuhaufen verschwanden. Sättel und Zügel waren bereits nicht mehr zu sehen.

„Ihr müßt Euch auch verkriechen, Herr“, erklang Toms Stimme gedämpft. „Die Bauern werden bald unterwegs sein, sie dürfen uns nicht sehen.“

„Glaubst du nicht, daß sie das Heu heute aufladen werden?“

„Nein, sie nehmen sich erst die Wiesen näher an der Burg vor.“

Mit einem Seufzer der Erleichterung kletterte Rod auf den nächsten Heuhaufen und grub sich eine tiefe Kuhle, in der er sich zufrieden ausstreckte. Als er die Augen schließen wollte, vernahm er einen sanften Vogelschrei, und der Seeadler ließ sich neben ihm nieder. Seine Gestalt dehnte sich in die Länge, und gleich darauf schmiegte Gwendylon sich an Rod.

Spitzbübisch lächelnd öffnete sie ihr Mieder. „Vierundzwanzig Stunden, mein Lord. Von Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang.

Ihr verspracht zu tun, was mir gefällt!“

„A-a-ber“, stammelte Rod und schluckte, als dem Mieder die Bluse folgte. „Je-jemand muß Wache halten!“

„Fürchtet nichts, mein Lord. Das werden meine Freunde aus dem Kleinen Volk tun!“ Sie streckte sich genußvoll aus. Rod spürte, wie sein Puls schneller schlug. Ohne länger zu zaudern,

drückte er seine Lippen auf Gwendylons.

Nach zwei weiteren nächtlichen Ritten erreichten sie die Hauptstadt. Sie waren überrascht, zwei Posten mit Piken und Fackeln in der Dunkelheit der siebten Nachtstunde an der Brücke Wache halten zu sehen.

„Ich kümmere mich um sie, Herr“, brummte Tom und ritt Rod und Loguire voraus. „Aus dem Weg!“ rief er den Wachen zu.

„Meine Herren begehren die Stadt zu betreten!“

Die Posten überkreuzten die Piken, um die Brücke zu versperren. „Wer sind deine Herren?“ fragten sie. „Rebellen?“

„Rebellen?“ Tom runzelte die Stirn. „Was ist in der Stadt passiert, während wir im Süden waren?“

„Im Süden?“ Die Augen der Posten verengten sich. „Die Lords des Südens sind die Rebellen!“

„Ja, ja“, winkte Tom ungeduldig ab. „Aber wir waren im Auftrag der Königin dort, als Spione, wenn ihr es so nennen wollt. Wir bringen die Kunde, daß der Süden sich erhebt, und den Tag und die Stunde. Wie ist es möglich, daß sie vor uns hier bekannt wurde?“

„Wer wagt es, uns hier aufzuhalten!“ donnerte Lord Loguire, der inzwischen mit Rod herangeritten war. „Zur Seite für einen Mann edlen Blutes!“

Die Posten starrten den Herzog an, dann sprangen beide heran und drückten ihm die Pikenspitzen an die Brust. „Steigt ab, Mylord Herzog Loguire! Im Namen der Königin, wir müssen Euch festnehmen!“ rief einer, während der andere nach dem Hauptmann der Wache schreiend über die Brücke rannte.

Loguire starrte ungläubig von einem zum anderen. Rod brüllte den Posten an: „Nenn den Grund!“ Der Blick des Soldaten flog von Loguires zu Rods Gesicht und zurück. Zögernd antwortete er: „Hochverrat gegen die Person Ihrer Majestät der Königin.“

Loguire preßte die Lippen zusammen, dann explodierte er: „Keiner könnte der Königin treuer ergeben sein als ich. Genug deiner Impertinenz! Zur Seite!“

Der Posten schluckte, wich jedoch nicht von der Stelle. „Es heißt, daß Loguire die Rebellen anführt, Mylord.“

„Soldat“, sagte Rod mit dem Ton eines geduldigen Feldwebels.

„Weißt du, wer ich bin?“

„Ihr seid Meister Gallowglass, ehemals von der Leibwache der Königin.“

„Immer noch von der Leibwache“, berichtigte Rod.

„Und vor einer Woche in den Süden abbeordert, um Herzog Loguire zu beschützen!“

Des Herzogs Kopf zuckte zurück. Er starrte Rod funkelnd an.

„Wir wußten, daß Ihr fort seid“, murmelte der Soldat.

„Und jetzt weißt du auch, weshalb.“ Rod hielt seine Stimme unter sorgfältiger Kontrolle, aber ihr Ton verriet, daß der Grimm der Königin auf den elenden Posten fallen würde, falls er dem Leibgardisten nicht gehorchte. „Lord Loguire ersucht seine Verwandte und Herrscherin, Ihre Majestät, die Königin, um Asyl. Sie wäre erzürnt, müßte sie erfahren, daß er aufgehalten wurde.“

Der Posten behielt seine Pike verkrampft in der Hand und schob trotzig das Kinn vor. „Es wurde der Befehl erteilt, guter Meister Gallowglass, daß Mylord Loguire im Verlies der Königin festgesetzt werden muß. Mehr weiß ich nicht.“

„Verlies!“ donnerte Loguire mit rotem Gesicht. „So tief kann das Blut der Plantagenets nicht gesunken sein! Bube, ich schneide dir die lügende Zunge aus dem Mund!“ Seine Hand fuhr nach dem Dolch. Der Soldat wurde kreidebleich, aber Rod hielt den Herzog zurück.

„Beruhigt Euch, Mylord“, murmelte er. „Dieser Durer hat die Nachricht hierhergeschickt. Die Königin kann nichts von Eurer Loyalität wissen.“

Der Herzog bemühte sich, seinen Grimm zu schlukken. Rod beugte sich zu Tom hinüber. „Kannst du für den alten Mann ein Versteck finden, wo er sicher ist?“

„Ja, Herr. Bei seinem Sohn, aber warum…“

„Im Haus Clovis?“

„Ja, Meister. Die Königin müßte ihre ganze Armee aufbieten, um ihn von dort herauszuholen!“

„Sprecht so, daß alle es hören können!“ erschallte eine neue Stimme, die Rod vertraut vorkam. Sir Maris trat neben den sichtlich erleichterten Wachsoldaten. „Gut gemacht, Rod Gallowglass! Ihr habt den schlimmsten der Rebellen hierhergebracht!“

Loguires Augen verengten sich und sprühten Rod haßerfüllt an.

„Sprecht nicht untereinander“, fuhr Sir Maris fort. „Ich verbiete es. Zwölf Armbrüste sind auf euch gerichtet.“

Loguire setzte sich stolz im Sattel auf. Sein Gesicht wirkte wie aus Granit.

„Zwölf?“ sagte Rod spöttisch. „Nur zwölf Schützen, um Herzog Loguire zu töten? Mein guter Sir Maris, ich muß wohl annehmen, daß Ihr in Eurem Alter unvorsichtig werdet.“

Der Granit zersprang. Loguire widmete Rod einen verwunderten Blick. Rod schwang sich aus dem Sattel und schritt von den Pferden weg zur Brücke. Er schüttelte betrübt den Kopf. „Sir Maris! Mein guter Sir Maris, zu glauben…“

Plötzlich wirbelte er herum und schlug mit einem schrillen Schrei auf die Pferde ein. „Macht kehrt und reitet!“ schrie er.

„Schnell!“

Sir Maris und seine Männer erstarrten vor Verblüffung, als die Pferde drehten und davongaloppierten. Einen Augenblick später schlugen elf Armbrustbolzen in den Boden, wo die Tiere sich befunden hatten. Nur einer der Schützen war etwas schneller gewesen, sein Geschoß hatte Gekabs Hinterteil getroffen, war davon abgeprallt und in den Fluß gesegelt, woraufhin erschrockenes Schweigen eingesetzt hatte und das Gemurmel: „Hexenpferd!“ die Runde machte.

„Wirbel ein wenig Staub auf, Gekab!“ murmelte Rod, und sofort bäumte der mächtige Eisenrappe sich auf, schlug mit den Hufen durch die Luft und wieherte drohend, dann brauste er

durch die Nacht davon. Rod war sicher, daß er Toms und Loguires Spuren verwischen würde.

Sir Maris bemühte sich tapfer, ergrimmt dreinzuschauen, aber die nackte Furcht leuchtete aus seinen Augen. Seine Stimme zitterte, als er sagte: „Rod Gallowglass, Ihr habt die Flucht eines Rebellen ermöglicht.“ Er schluckte sichtlich, ehe er fortfuhr: „Deshalb muß ich Euch wegen Hochverrats festnehmen.“

„Ihr dürft es gern versuchen“, erwiderte Rod höflich.

Die Soldaten redeten verängstigt aufeinander ein und wichen vor Rod zurück. Keiner wollte die Klingen mit dem Zauberer messen. Sir Maris' Augen weiteten sich erschrocken. Er faßte eine der Wachen am Arm. „Du, da, lauf voraus und melde der Königin, was hier vorgeht!“

Der Soldat eilte davon, glücklich darüber, nicht eventuell hier in einen Kampf verwickelt zu werden.

Sir Maris wandte sich an Rod. „Ihr müßt zur Rechtsprechung zur Königin kommen, Meister Gallowglass. Begleitet Ihr uns freiwillig?“

Rod mußte sich beherrschen, um nicht über die Angst in der Stimme des alten Ritters zu lachen. Sein Ruf brachte zweifellos seine Vorteile mit sich. „Ich komme aus eigenem Willen mit Euch.“

Sir Maris bedachte ihn mit einem dankbaren Blick, doch dann kam ihm der Ernst der Lage offenbar erst richtig zu Bewußtsein. „Nicht um eine Burg und ein Herzogtum möchte ich in Eurer Haut stecken, Rod Gallowglass. Allein müßt Ihr nun der Königin Rede und Antwort stehen.“

„Nun, ich habe ihr auch ein paar Dinge zu sagen“, brummte Rod. „Machen wir uns auf den Weg, Sir Maris.“

Bedauerlicherweise gab der Marsch zur Burg Rod Zeit, über Catherines letzten Trick nachzudenken, und genauso bedauerlicherweise empfingen ihn mit Piken bewaffnete Soldaten, die mit zitternder Stimme erklärten, sie müßten ihn in

Ketten vor die Königin bringen.

„Oh“, brummte Rod und hob eine Braue. Er schob die auf ihn gerichteten Piken zur Seite, packte den als Boten vorausgeschickten Soldaten und warf ihn gegen den Trupp Wachen, die sich aneinandergedrängt vorsichtig vorwärtsschoben. Schließlich hob er mit einem heftigen Fußtritt die Tür aus ihren primitiven Eisenangeln. Sie knallte zu Boden, und er schritt darüber.

Catherine, der Bürgermeister der Hauptstadt, und Brom O'Berin sprangen erschrocken von ihren Stühlen um einen kartenbeladenen Tisch auf, als Rod in den Raum stiefelte.

Brom rannte Rod entgegen, um ihm den Weg zu versperren.

Aber schon war Rod an ihm vorbei. Erst am Tisch machte er halt und sah Catherine mit einem Blick an, der Wasser zu Eis hätte erstarren lassen. Die Königin wich zurück und drückte furchtsam die Hand an die Kehle.

Brom hüpfte auf die Tischplatte. „Was soll dieses unziemliche Eindringen, Rod Gallowglass? Verschwindet und wartet, bis Ihre Majestät Euch rufen läßt!“

„Ich ziehe es vor, ungekettet vor der Königin zu erscheinen!“

donnerte Rod. „Und ich lasse nicht zu, daß ein Edelmann von höchstem Stand in ein rattenverseuchtes Verlies mit gemeinen Mördern und Dieben geworfen wird!“

„Ihr laßt es nicht zu?“ krächzte die Königin.

„Und wer seid Ihr, etwas zuzulassen oder nicht?“ donnerte Brom. „Ihr seid nicht einmal von edlem Blut!“

„Dann muß ich wohl annehmen, daß edles Blut nur hinderlich ist, wenn es um Taten geht!“ Rod kippte den Tisch um und ging auf die Königin zu. „Ich hielt Euch für edel! Doch jetzt sehe ich, daß Ihr Euch gegen Eure eigene Familie wendet, selbst gegen einen, der Euch so nah wie ein Vater ist. Selbst wenn er ein Mörder wäre, müßtet Ihr ihn mit der Höflichkeit und den Ehren empfangen, die Ihr seinem Stand schuldet. Euer prächtigstes Gemach müßtet Ihr ihm als Zelle überlassen! Das ist Eure Blutspflicht!“

Er drängte sie zum Kamin zurück. „Aber nein, als Mörder würdet Ihr ihn gewiß in Ehren aufnehmen! Doch er hat sich der schrecklichsten aller Verbrechen schuldig gemacht, nämlich Euch darauf aufmerksam zu machen, daß Eure Gesetze tyrannisch sind, und dann, als Ihr ihn mit aller Berechnung beleidigtet, seine Würde zu bewahren! Und dazu besteht er noch darauf, mit dem Respekt behandelt zu werden, der einem Mann unter der Herrschaft einer rachsüchtigen, kindischen, trotzigen Halbwüchsigen zusteht, die zwar den Titel einer Königin trägt, aber nicht ihre Größe hat — und deshalb muß er wie der gemeinste Verbrecher bestraft werden!“

„Schämt Euch, so mit einer Lady zu sprechen!“ stammelte die Königin kreidebleich.

„Lady!“ schnaubte Rod abfällig.

„Eine geborene Lady!“ Es klang wie ein Verzweiflungsschrei.

„So laßt auch Ihr mich im Stich! Und sprecht mit der Zunge Clovis!“

„Ich spreche vielleicht wie ein Bauer, aber Ihr handelt wie einer. Und nun verstehe ich, weshalb alle Euch verlassen!

Denn selbst den einzigen Eurer Lords, der Euch treu geblieben ist, wollt Ihr in den Schmutz werfen!“

„Treu!“ keuchte sie. „Er, der die Rebellen anführt?“

„Anselm Loguire führt die Rebellen an! Weil er Euch die Treue hielt, wurde der alte Herzog gestürzt!“

Rod lächelte bitter, als er den Schrecken in den Augen des Mädchens sah, da sie sich ihrer Schuld bewußt wurde. Er drehte sich um, um ihr Zeit zu geben, sich der Ungeheuerlichkeit ihrer Tat ganz klar zu werden. Er hörte ein schmerzhaftes Stöhnen hinter sich, dann rannte Brom an ihm vorbei zu seiner Königin und half ihr auf einen Stuhl. Der Bürgermeister starrte mit großen Augen an Rod vorbei. Rod bedeutete ihm, den Raum zu verlassen. Zögernd blickte der Mann zur Königin. Erst als Rod mit dem Dolchgriff spielte,

ergriff er schleunigst die Flucht.

Rod wandte sich erneut dem verstörten Mädchen zu.

Brom warf ihm einen haßerfüllten Blick zu. „Laßt es genug sein! Mußte sie unter Eurer Zunge nicht schon viel zu sehr leiden?“

„Noch nicht!“ Mit kalter Stimme sagte er zu der Königin: „Euer wahrhaft edler Onkel, Herzog Loguire, stellte sich aus Liebe zu Euch gegen die Gesamtheit Eurer Aristokratie, selbst gegen seinen eigenen Sohn! Und Ihr seid schuld daran, mit Euren selbstherrlichen Gesetzen und Eurem absoluten Mangel an Diplomatie, daß Anselm sich gegen seinen Vater wandte.

Herzog Loguire hatte zwei Söhne, Ihr habt ihn um beide beraubt!“

Sie schüttelte heftig den Kopf, während ihre Lippen sich zum stummen Nein formten.

„Und doch ist er seiner Königin treu geblieben, obgleich sie ihn deshalb töten wollten — und es ihnen fast gelang!“

Ihre Augen weiteten sich vor Grauen.

Rod tupfte auf seine verbundene Schulter. „Sie hielt den Dolchstoß auf, der seinem Herzen gegolten hatte! Und selbst dann war es nur einem Wunder zu verdanken und der Hilfe einer der Hexen, die Ihr kaum zu schätzen wißt, daß es mir glückte, ihn lebend aus seiner Burg zu schaffen.“

Broms Kopf zuckte zurück. Durchdringend musterte er Rods Gesicht. Rod zog die Brauen zusammen und fuhr fort: „Aber es gelang mir, ihn unter Lebensgefahr heraus und in Sicherheit zu bringen. Und was muß ich erfahren? Er soll festgenommen und wie ein Meuchelmörder in ein kaltes, lichtloses Verlies geworfen und nicht behandelt werden, wie es einem Mann seines Standes zusteht.“

Offenbar war er ein wenig zu theatralisch gewesen. Sie schob das Kinn vor und unterdrückte ihre Tränen. „Vor meinen Gesetzen, mein Herr, sind alle gleich!“

„Das mag stimmen, doch das sollte eigentlich bedeuten, daß

Ihr auch einen Bauern wie einen Lord behandelt, und nicht umgekehrt einen Lord wie einen Bauern!“ Er beugte sich vor. „Verratet mir, Königin, weshalb schaut Catherine auf alle voll Verachtung herab?“

Das war zwar nicht ganz die Wahrheit, denn sie verachtete nur die Edlen, aber ihre Augen verrieten, daß sie plötzlich selbst an sich zu zweifeln begann. Trotzdem schob sie das Kinn noch eine Spur trotziger vor und erklärte: „Ich bin die Königin, und alle haben sich meiner Macht zu beugen!“ „Oh, sie beugen sich, das tun sie, doch nur, solange Ihr sie nicht ins Gesicht schlagt, denn dann schlagen sie zurück. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln, wenn Ihr sie ihrer Freiheit beraubt.“

Catherine starrte ihn an. „Freiheit? Aber ich bemühe mich doch, den Bauern größere Freiheit zu geben!“ „Ihr bemüht Euch also.“ Rod lächelte säuerlich. „Und wie geht Ihr es an? Indem Ihr sie noch enger an Euch bindet. Ihr haltet sie jetzt knapp, damit Ihr ihnen später mehr geben könnt!“ Er hieb mit der Faust auf die Lehne ihres Sessels. „Aber später wird nie kommen! Seht Ihr das nicht ein? Es gibt zu viele Mißstände im Land. Immer wird es etwas zu bekämpfen geben, und das Wort der Königin darf nicht in Frage gestellt werden, wenn sie ihre Armee gegen was immer auch ausschickt!“ Langsam zog er die Hand zurück. Seine Augen brannten. „Und so wird der Tag, da Ihr sie freigebt, nie kommen. In Eurem Reich wird keiner frei sein — außer der Königin!“ Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und stapfte im Zimmer auf und ab. „Es gibt nur ein bestimmtes Maß an Freiheit für alle. Wenn einer mehr bekommen soll, wird ein anderer deswegen weniger haben. Denn wenn einer befiehlt, muß ein anderer gehorchen.“ Er blieb vor Catherine stehen. „Und so nehmt Ihr sie nach und nach ganz, bis man auch Euren verrücktesten Launen gehorcht. Ihr werdet die absolute Freiheit haben zu tun, was Ihr wollt, aber nur Ihr allein werdet frei sein.

Für Euer Volk bleibt keine Freiheit mehr! Alle werden an Catherine gebunden sein!“

Er streckte die Hand aus und umklammerte ihre Kehle, doch ohne Druck auszuüben. Sie starrte ihn an, schluckte und wich bis ganz zur Stuhllehne zurück.

„Aber der Mensch kann nicht ohne zumindest ein winziges bißchen Freiheit leben. Er braucht es, sonst stirbt er.“ Seine Finger drückten ein wenig zu. „Sie werden sich gegen Euch erheben, vereint durch ihren gemeinsamen Feind — Euch! Und sie werden ihre Freiheit, ihre Rechte aus Euch herausquetschen, eines nach dem anderen — ganz langsam.“ Catherine wehrte sich gegen seine Hand und keuchte nach Luft. Brom sprang herbei, um sie zu befreien, doch Rod ließ sie schon vorher los. „Sie werden Euch an Eurem eigenen Burgtor hängen“, fuhr Rod fort. „Und die Edlen werden an Eurer Statt regieren. Alles, was Ihr getan habt, wird zunichte gemacht werden. Dessen könnt Ihr ganz sicher sein, denn so war es mit Tyrannen immer!“

Ihr Kopf zuckte hoch. Tiefe Kränkung sprach aus ihren Augen. Heftig schüttelte sie den Kopf. „Nicht ich! Nein! Nicht das! Tyrann nie und nimmer!“

„Schon immer ein Tyrann“, widersprach Rod fast sanft. „Seit Eurer Geburt. Immer ein Tyrann gegenüber allen um Euch, obgleich es Euch bis jetzt nicht bewußt wurde. Aber jetzt wißt Ihr es, und es muß Euch nun klar sein, daß nur Ihr allein Schuld an der Rebellion tragt. Immer schlimmer bedrängtet Ihr Eure Edlen — zum Wohle des Volkes, wie Ihr sagtet!“ Er schaute sie scharf an. „Aber habt Ihr es nicht vielleicht auch getan, um festzustellen, wer unter ihnen es wagen würde, sich Euch zu widersetzen? Um zu erkennen, wer unter ihnen Männer sind?“

Verächtlich verzog sie das Gesicht. „Männer!“ Es klang wie die gemeinste Beschimpfung. „Es gibt keine Männer mehr auf Gramayre, nur noch Jungen, die sich damit zufrieden geben, das Spielzeug einer Frau zu sein.“

Rod verzog den Mund. „O doch, es gibt sehr wohl noch Männer hier — im Süden, und Männer im Haus Clovis, oder zumindest einen dort! Echte Männer, aber gutherzige Männer, die ihre Königin lieben und sich deshalb nicht gegen sie stellen wollen.“

Ihre Verachtung schien nur noch zu wachsen. „Nein, in Gramayre gibt es keine Männer mehr!“

„Ihr täuscht Euch“, entgegnete Rod ruhig. „Und sie marschieren bereits gen Norden, um es zu beweisen.“

Sie starrte ihn an, dann lehnte sie sich zurück. „Nun gut, so marschieren sie also nordwärts, und ich werde sie auf dem Bredenfeld stellen. Aber trotzdem befindet sich keiner unter ihnen, den ich einen Mann nennen könnte!“

„Oh, Ihr werdet sie also stellen? Was wollt Ihr als Armee benutzen? Und wer soll sie befehligen?“

„Ich werde sie befehligen!“ erwiderte sie von oben herab. „Ich und Brom. Und zwar fünfhundert Mann meiner Leibwache, siebenhundert meiner,Armee, und fünf Dutzend Ritter meiner Domänen.“

„Sechzig Ritter!“ Rods Mundwinkel verzogen sich verächtlich.

„Nicht genug für auch nur einen Sturm der Ritter aus dem Süden! Sechzig Ritter von wie vielen Hunderten Eures Reiches? Und alle anderen haben sich gegen Euch erhoben!

Von Euren zwölf hundert Fußsoldaten gegen Tausende der Rebellen ganz zu schweigen!“

Ihre Hände umklammerten die Stuhllehnen, um das Zittern der Finger zu verbergen. Furcht ließ sie erblassen.

„Wir werden für die Ehre der Plantagenets und Gramayres siegen oder eines edlen Todes sterben.“

„Von einem edlen Tod auf einem Schlachtfeld habe ich bisher noch nie etwas gesehen. Der Tod dort ist gewöhnlich recht grausam und blutig.“

„Seid still!“ fauchte sie. Schließlich hob sie stolz den Kopf, stand auf und schritt majestätisch zum wieder aufgerichteten Tisch. Sie ließ sich Pergament und Feder bringen und kritzelte etwas. Dann reichte sie Rod das gefaltete Schriftstück. „Bringt das meinem Onkel Loguire. Es ist eine Aufforderung an ihn, hier zu erscheinen, und gleichzeitig ein Passierschein, der ihm sicheres Geleit zusagt. Ich glaube, ich werde jeden, der mir ergeben ist, an meiner Seite brauchen.“

Rod nahm das Pergament und zerknüllte es in der Hand. Ohne die Augen von Catherine zu nehmen, warf er es in das Feuer.

„Ihr werdet jetzt einen Brief an den Herzog schreiben, den ich ihm überbringen werde“, sagte er mit eisiger Stimme. „Doch Ihr werdet ihm nichts befehlen, sondern ihn um die Ehre seines Besuches bitten!“

Ihre Haltung versteifte sich, sie schob das Kinn vor. Schnell sagte Rod etwas weniger kalt: „Na, na, meine Königin! Ihr habt alle Freiheit, könnt Ihr nicht ein wenig davon auf höfliche Manier verschenken? Oder wollt Ihr Euch von der Sünde des Stolzes davontragen lassen, und soll dann Euer Volk den Preis für Euren Stolz bezahlen?“

Sie funkelte ihn einen Moment wütend an, doch dann senkte sie die Augen und griff nach einem neuen Pergament. Nach ein paar Minuten reichte sie es Rod gefaltet. Er verbeugte sich und drehte sich stumm zur Tür um.

Etwas bewegte sich flink an einer Bodenleiste entlang und huschte hinter einen Wandteppich, wo es sich völlig still verhielt. Trotz der Schnelligkeit hatte Rod erkannt, daß es eine Maus gewesen war.

Er kniff die Lippen zusammen und war mit zwei langen Schritten an der Wand, wo er den Teppich hob. Die Maus blickte ihn mit weit aufgerissenen grünen und sehr intelligent wirkenden Augen an.

„Ich habe etwas gegen Lauscher“, sagte Rod kalt. Die Maus zuckte ein wenig zurück, starrte ihn jedoch trotzig an. Rod runzelte die Stirn über einen plötzlichen Einfall. Er hob die

Maus vorsichtig hoch und hielt sie in Augenhöhe. Dann bedachte er sie mit einem sanften, ja fast zärtlichen Blick. Ganz langsam schüttelte er den Kopf. „Du hast doch nicht wirklich geglaubt, ich brauchte hier Hilfe, oder?“ Die Maus senkte die Augen, und ihre Barthaare zuckten ein wenig.

„Mir deucht, dieser Mann ist besessen“, murmelte Catherine.

„Eure Majestät“, sagte Brom nachdenklich und mit seltsam leuchtenden Augen. „Ihr trefft den Nagel damit vielleicht genauer auf den Kopf als Ihr ahnt.“

Die Zugbrücke echote hohl unter Rods eiligen Schritten. Er rannte leichtfüßig den Burghang hinunter und verschwand in einem Fichtenwäldchen. „Gekab?“ rief er.

„Hier, Rod!“ Der Rappe trottete durch die Bäume. Rod klopfte ihm freundschaftlich auf die Metallflanke. „Wie, zum Teufel, wußtest du, daß ich hierherkommen würde?“

„Ganz einfach, Rod. Eine Analyse Eures Verhaltensmusters und die simple Tatsache, daß dieser Wald am nächsten…“

„Vergiß es!“ brummte Rod. „Hat Tom den Herzog zum Haus Clovis gebracht?“ Als der Roboter es bejahte, schwang er sich in den Sattel. Nach einer Weile fummelte er in seinem Wams und holte die kleine Maus hervor. „Offenbar ist es völlig egal, was ich dir sage“, brummte er. „Du tust ja doch nur das, was du willst.“

Die Maus senkte die Augen und versuchte schuldbewußt dreinzuschauen, aber ihre Barthaare zitterten erfreut. Zärtlich rieb sie ihre Wange an Rods Handrücken. „Hör gut zu“, sagte Rod. „Du begibst dich jetzt ins Haus Clovis, dort reite ich nämlich auch hin. Das ist ein Befehl!“ Die Maus blickte mit großen unschuldigen Augen zu ihm hoch. „Ich bin sicher, das ist ein Befehl, den du ausnahmsweise einmal befolgen wirst, denn dort wärst du sowieso hingelaufen.“ Seine Stimme klang besorgt, als er weitersprach: „Aber paß auf dich auf, hörst du?“

Er hob die Hand mit der Maus hoch und küßte sie sanft auf das

Naschen. Die Maus wand sich vor Begeisterung und tänzelte vor Freude auf seiner Hand herum, ehe aus ihren Vorderpfötchen winzige Flügel wurden und sie sich in einen Zaunkönig verwandelte. Rod blickte ihr nach, als sie durch die Luft flatterte.

Rod pochte an die Tür. Der bucklige, dürre Spötter öffnete. „Ja, Mylord?“ fragte er mit einem zahnstummeligen Lächeln. Rod hielt es für besser, ihm nicht zu zeigen, daß er ihn längst durchschaut und als den eigentlichen Kopf des Hauses Clovis erkannt hatte, deshalb tat er, als bemerke er ihn kaum, und brummte nur: „Bring mich zu Lord Loguire, Bursche.“

„Gewiß, Mylord.“ Der Spötter huschte voraus und öffnete die innere Tür. Rod trat hindurch — und mitten in einen Halbkreis von Bettlern und Dieben, die ihn in einer Dreierreihe mit Knüppeln und Dolchen erwarteten.

Rods Hände härteten sich zu Karateschwertern. Er wandte sich an den Spötter. „Ich komme als Freund.“

„O wirklich?“ Haß leuchtete aus den Augen des Buckligen.

„Auf welcher Seite steht Ihr denn? Auf der der Edlen? Der Königin? Oder seid Ihr für das Haus Clovis?“

„Genug deines Gequassels! Bring mich sofort zu Lord Loguire!“

„Das werden wir!“ Jetzt funkelten des Spötters Augen vor Hohn. Er warf einen Blick über Rods Schulter und nickte. Rod wollte sich umdrehen, aber da schien sein Schädel bereits zu explodieren.

Als er allmählich wieder zu sich kam, spürte er etwas Kaltes, Feuchtes unter seiner Wange. Alles um ihn wirkte verschwommen. Er schüttelte den Kopf, und fast hätte er vor Schmerzen aufgeschrien. Er blinzelte mehrmals, bis er endlich klarer sehen konnte. Ihm gegenüber lehnte Tuan Loguire mit dem Rücken gegen altersschwarzen Stein, aus dem von Eisenklammern Ketten herabhingen, die zu metallenen Armbändern um Tuans Handgelenke führten. Er hob eine Hand

und sagte sarkastisch: „Willkommen!“

Stumm wanderte Rods Blick weiter. Der alte Herzog war an die nächste Wand gekettet. „Ich dachte, Euer Knappe sollte mich in Sicherheit bringen“, sagte er düster.

Verrat! Rod hätte es besser wissen müssen, als Tom zu vertrauen. „Tom…“

„Hier, Herr!“ Rod drehte sich um. Tom lehnte an der dem Herzog gegenüberliegenden Wand. Er lächelte mit den traurigen Augen eines Hundes. „Ich hatte gehofft, Ihr würdet uns befreien. Und jetzt seid Ihr selbst in Ketten!“

Rod runzelte die Stirn. Erst jetzt bemerkte er, daß er genauso angekettet war wie die anderen. Schweigend blickte er sich weiter um. Das einzige Licht fiel von einem hohen vergitterten Fenster in das Verlies, das etwa dreieinhalb Meter breit, fünf lang und drei hoch war. Moos wucherte aus den klammen, verrottenden Steinen, auch auf dem Boden, wo er nicht mit fauligem Stroh bedeckt war. Die einzige Verschönerung des Raumes war ein Skelett, das durch mumifizierte Sehnen zusammengehalten, genau wie sie an die Wand gekettet war.

Rod drehte sich mit dem Gesicht zur Wand. „Gekab, wo bist du?“ flüsterte er so leise, daß die anderen die Worte nicht verstehen konnten. „In dem schmutzigsten, baufälligsten Stall, den ich je gesehen habe“, erwiderte der Roboter. „Zusammen mit fünf klapprigen Gäulen. Ich glaube, wir sollen als die Kavallerie des Hauses Clovis dienen.“

Rod kicherte leise. „Ist eine Maus mit großen grünen Augen in deiner Nähe?“

„Nein, Rod. Aber auf meinem Kopf sitzt ein Zaunkönig.“

„Frag ihn, ich meine, sie, ob sie Macht über kaltes Eisen hat.“

„Wie soll ich denn mit ihr sprechen, Rod?“

„Du brauchst nur auf der Frequenz menschlicher Gedanken wellen zu senden. Sie ist Telepathin.“ Nach einer Weile hörte Rod eine Reihe schwacher Zwitscherläute. „Was ist dieses Zwitschern, Gekab?“

„Gwendylon, Rod. Sie reagierte, wie ich es erwartet hatte, als ein Pferd sie etwas fragte.“

„Aha, sie ist also fast von deinem Kopf hinuntergefallen. Aber hat sie etwas gesagt?“

„Natürlich, Rod. Sie sagte, sie sei jetzt ganz sicher, daß Sie ein Zauberer sind.“ Rod rollte die Augen zur Decke. „Komm zur Sache, Gekab. Kann sie uns von diesen Ketten befreien und etwas gegen das Fenstergitter unternehmen?“

Nach kurzer Pause antwortete der Roboter: „Sie sagt, sie hat keine Macht über kaltes Eisen, Rod, genausowenig wie irgendeine andere Hexe oder Elfen, die sie kennt. Sie schlägt einen Schmied vor, befürchtet jedoch, daß er nicht zu Ihnen vorgelassen würde.“

„Sag ihr, ich freue mich, daß sie ihren Humor nicht verloren hat. Und frag sie, wie, zum Teufel, sie uns hier herausholen will.“

„Sie meint, daß der Elfenkönig in der Lage ist, Sie zu befreien.

Sie glaubt auch, daß er kommen wird, aber es wird noch eine Weile dauern, weil er einen weiten Weg hat.“

„Ich dachte, sie sagte, Elfen hätten keine Macht über Eisen?“

Nach einer weiteren kurzen Pause erklärte Gekab: „Sie sagt, der Elfenkönig ist nicht ganz ein Elf, sondern halb vom Alten Blut.“

„Nur halb… Du willst doch nicht sagen, daß ein Elternteil ein Mensch war?“

„Gewiß, Rod!“

Rod versuchte sich vorzustellen, wie ein fünfundvierzig Zentimeter großer Elf und ein normal großer Mensch miteinander Kinder haben konnten, aber Gekab unterbrach seinen Gedankengang.

„Sie macht sich jetzt auf den Weg, um ihn zu holen, Rod. Sie sagt, Sie sollen guten Mutes sein.“

„Wenn ich noch besseren Mutes wäre, wäre es nicht mehr auszuhalten. Sag ihr, sie soll gut auf sich aufpassen.“

„Er spricht in die leere Luft“, murmelte Tuan.

Tom lachte polternd. „Durchaus nicht, meine Lords. Dieser Mann redet mit Geistern.“

Rod lächelte düster. „Wieso plötzlich so fröhlich, Tom?“

Der Riese räkelte sich, daß die Ketten klirrten. „Einen Augenblick hielt ich Euch für geschlagen, Meister, aber jetzt weiß ich, daß alles wieder gut wird!“ Er streckte sich aus.

Rod grinste, als Tom zu schnarchen begann. „Das nennt man Vertrauen“, wandte er sich an die beiden Loguires.

„Hoffen wir, daß es gerechtfertigt ist“, brummte Tuan und betrachtete Rod zweifelnd.

„Hoffen wir es“, echote Rod grimmig. Er nickte dem Herzog zu. „Nun, habt Ihr Euch mit Eurem Sohn schon ausgesprochen?“

Der alte Loguire nickte. „Ich bin glücklich, ihn wiederzusehen, obgleich es mir unter anderen Umständen lieber gewesen wäre.“

Tuan starrte stirnrunzelnd auf seine Hände. „Es sind traurige Neuigkeiten, die ich von ihm erfuhr, Rod Gallowglass. Ich wußte, daß mein Bruder voll Haß und Ehrgeiz ist, aber nie hätte ich gedacht, er würde so tief sinken.“

„Oh, urteilt nicht so hart.“ Rod lehnte sich ebenfalls an die Wand und schloß müde die Lider. „Durer hat ihn völlig unter seinem Einfluß. Und wenn sein Zauber fast auch auf seinen Vater gewirkt hätte, wie konnte er da bei ihm versagen?“

„Ja“, stimmte Tuan ihm finster bei. „Und ich bin auf den Spötter hereingefallen.“

„Oh?“ Rod hob eine Braue. „Es wurde Euch also bewußt!“

„Ja. Er ist der schlimmste aller Halunken. Während er sich demütigst vor einem krümmt, schlitzen seine Helfershelfer einem den Beutel auf. Fragt nicht, wie er mich hintergangen hat!“

„War nicht er es, der Euch nahelegte, die Bettler zu organisieren?“

„Ja.“ Tuan nickte schwer. „Ich hatte ursprünglich beabsichtigt, ihr schweres Los zu erleichtern, aber er brachte mich auf die Idee, eine Armee zur Verteidigung der Königin aufzustellen.

Ich hatte so manches aus dem Süden gehört, das mir die Überzeugung verlieh, eine solche Armee würde vielleicht vonnöten sein.“

„Als der Spötter erfuhr, daß der Süden zu den Waffen griff, hielt er die Zeit für gekommen, die Macht an sich zu reißen und die Königin zu stürzen. Richtig?“ fragte Rod.

„Ja. Ich sprach dagegen, sagte, jetzt sei die Zeit, der Königin zu Hilfe zu kommen, da schimpfte er mich einen Verräter, und…“

Tuans Gesicht verdüsterte sich, und die Worte fielen ihm schwer. „Und einer seiner Bettler hätte mich getötet, aber der Spötter verwehrte es ihm und ließ mich hier hereinwerfen.“ Er blickte Rod stirnrunzelnd an. „Findet Ihr das nicht auch für sehr merkwürdig, Rod Gallowglass? Ich meine, daß er mich nicht töten ließ.“

„Nein.“ Rod schüttelte den Kopf. „Er braucht einen nominellen König, wenn Catherine gestürzt ist.“

„Keinen König. Er schreit herum, daß wir nie wieder einen König haben werden, nur eine Art Häuptling.“

„Eine Art Häuptling?“ Rod runzelte die Stirn. „Wie nennt er diesen Häuptling?“

„Diktator.“ Tuan kaute an der Lippe. „Ein wahrlich seltsamer Titel. Es soll auch keine Edlen mehr geben, nur noch diesen Diktator. Sehr merkwürdig.“

Die Galle stieg Rod hoch. „Gar nicht so merkwürdig, wie Ihr glaubt. Aber die Bettler bilden sich doch nicht ein, sie könnten die Burg stürmen?“

„Nein, doch sie wissen, daß der Süden die Waffen ergriffen hat, und daß Catherine nicht warten wird, bis der Feind die Hauptstadt erreicht hat…“

„Der Spötter nimmt also an, daß sie ihm entgegenmarschieren wird?“

„Und dann wird er ihr folgen und sie von hinten angreifen. Und derart in die Zange genommen, werden ihre Streitkräfte keine halbe Stunde durchhalten.“

„Und was beabsichtigt der Spötter nach der Schlacht mit den Ratgebern und den Edlen zu machen?“ fragte Rod. „Durer will Euren Bruder zum König erheben.“

„Der Spötter hat seine eigene Lösung für dieses Problem. Eine Metallröhre, die in die Bolzenrinne einer Armbrust paßt, nichts weiter. Aber sie schießt eine Bleikugel, die selbst durch den stärksten Brustpanzer dringt.“

„Er will seine ganze Armee damit ausrüsten?“

„O nein, er hat nur fünf davon. Eine für sich, und je eine für seine drei Hauptleute und für seinen vierten Hauptmann.“ Tuan deutete mit einem Kopf zucken auf den schlafenden Riesen.

„Aber er ist vor kurzem in Ungnade gefallen. Er versicherte uns, daß die fünf Röhren für die gesamte Macht der Edlen und Ratgeber genügen werden.“

Rod hörte den Rest seiner Worte gar nicht mehr. Er starrte auf Tom. „Ein Hauptmann?“ fragte er schluckend.

„Ja, wußtet Ihr denn nicht, daß er zu Clovis gehört?“

Tom öffnete ein treues Hundeauge und schaute Rod an. Rod blickte zur Seite und räusperte sich. „Nun, das erklärt allerdings so manches.“ Und zu Tom gewandt: „Du gehörst also zum inneren Kreis?“

Tom lächelte sauer und hob kettenklirrend einen Arm.

„Gehörte“, verbesserte er.

„Er stellte sich gegen den Spötter und seine Schakale, als der Bucklige befahl, mich zu meinem Sohn ins Verlies zu werfen.

,Nein! widersetzte sich Euer Mann.,Ich muß ihn zu meinem Herrn zurückbringen, wo er Euren Plänen nutzt. ,Die Pläne wurden geändert', antwortete man ihm. Und als man mich nicht gehen lassen wollte, kämpfte Euer Mann Tom Rücken an Rücken mit mir und er streckte die größere Zahl nieder.“

Letzteres sagte er in einem Ton verwunderten Respekts.

Tom grinste. Jetzt erst bemerkte Rod erschrocken, daß dem Riesen ein Zahn fehlte. „Ihr seid selbst ein mächtiger Recke.

Ich hätte nie gedacht, daß ein Edler ohne Waffen und Rüstung so wacker kämpfen könnte.“

Rod musterte Tom näher. Ein Auge war geschwollen und blau angelaufen, und quer über eine Wange verlief eine blutverkrustete Wunde. „Wie vielen hast du denn den Schädel eingeschlagen, Tom?“

„Kaum zwei Dutzend“, antwortete Tom. „Ich hatte nur diesen tapferen Lord, um meinen Rücken zu schützen, und es waren zu viele dieser Burschen für uns.“

Rod grinste und fragte sich, ob Loguire klar war, wie hoch er dieses Kompliment Toms einschätzen mußte.

„Und nun, da man mich entlarvt hat“, brummte Tom, „gebt uns die Ehre, auch Eure Maske abzunehmen.“

Rod starrte ihn an. „Wie lange hast du mich schon durchschaut?“

Tom lachte polternd. „Seit Ihr mit Judo gegen mich vorgingt.“

„Also von Anfang an! Und deshalb wolltest du unbedingt mein Knappe werden. Auf Befehl, Tom?“

Tom nickte. „Also, Meister, was seid Ihr?“

„Ein Zauberer“, erwiderte Rod sich innerlich windend, aber unter den gegebenen Umständen war es die beste Antwort.

Tom spuckte aus. „Keine Ausflüchte, Meister. Ihr gehört nicht zu den Ratgebern, sonst hättet Ihr Lord Lo guire nicht vor ihnen in Sicherheit gebracht. Und vom Haus Clovis seid Ihr auch nicht, sonst wüßte ich es. Also, was seid Ihr dann?“

„Ein Zauberer“, wiederholte Rod. „Ein neuer Spieler im großen Spiel, Tom, und zwar einer, der treu hinter der Königin steht.

Ich bin X, die Unbekannte in der Gleichung der Ratgeber und des Hauses Clovis, und nur durch reinen Zufall hier.“

„Ich glaube nicht so recht an Zufälle, Herr. Ich weiß, daß Ihr an der Seite der Königin steht. Aber wer steht hinter Euch?“

„Ein ungebührliches Benehmen für einen Knappen gegenüber

seinem Herrn!“ knurrte Loguire.

Rod lächelte schwach. „Ein sehr ungewöhnlicher Knappe, Mylord.“

„Ja, und ein sehr ungewöhnlicher Herr!“ knurrte Tom. „Wer steht hinter Euch, Rod Gallowglass?“

Rod zuckte die Schultern. Das Wort würde den Loguires nichts sagen, und Tom war nun ohnehin auf seiner Seite.

„DUFT“, antwortete er.

Tom starrte ihn an. Fast lautlos sagte er: „Und ich hielt selbst die letzten für tot.“ Er schluckte und biß sich auf die Lippe.

„Aber Ihr lebt, und Geist seid Ihr wohl kaum, sonst wäre die Hexe nicht so scharf auf Euch. Ich hörte, Ihr seid nach dem Sieg ausgeschieden. Es war streng geheim…“

„Sieg?“ echote Rod stirnrunzelnd.

Ein noch tieferes Stirnrunzeln des Riesen antwortete ihm, und dann begann Tom schallend zu lachen. „Ah, jetzt verstehe ich!

Und welch ein Narr ich war, nicht früher darauf zu kommen.

Welches Alter, Meister?“

„Alter? Zweiunddreißig, warum?“

„Nein, nein!“ Tom schüttelte ungeduldig den Kopf. „Aus welchem Zeitalter seid Ihr?“

Rods Lippen formten sich zu einem O, als auch ihm etwas bewußt wurde. „Dann war es also tatsächlich eine Zeitmaschine“, murmelte er. „Und hier, irgendwo im Haus, ist eine zweite verborgen, oder?“

Toms Augen wurden eisig. „Genug!“ schnaubte er. „Ihr wißt bereits zu viel, Rod Gallowglass!“

Angst stieg in Rod auf, als er Mord in Toms Augen las. Er räusperte sich. „Tom, deine eigenen Leute sind jetzt gegen dich. Du bist ihnen zu keiner Treue mehr verpflichtet. Und die Mißstände, die sie beheben wollten, kann ich auch beheben.

Wenn du zu ihnen zurückkehrst, werden sie dich umbringen.

Ich nicht, das weißt du.“

Der mächtige Riese entspannte sich. „Ihr habt recht, wenn auch nicht ganz so, wie Ihr denkt. Die haben mich bloß für eine Weile eingesperrt, bis die großen Taten vollbracht sind, aber sie werden mich wieder in Gnaden aufnehmen, denn ich bin zu wertvoll für sie, als daß sie sich so einfach meiner entledigen würden. Aber umbringen werden sie mich — in einem Jahr, vielleicht, oder in zwei, drei oder fünf Jahren, wenn ich meinen Zweck erfüllt habe. Und ich möchte gern länger leben.“ „Sie zweifeln an deiner Loyalität?“ fragte Rod skeptisch. „Dazu besteht kein Anlaß, Herr. Ich bin lediglich gegen ihre Mittel, nicht gegen das Ziel. Aber gerade deswegen werden sie mich früher oder später töten.“

„Rod“, sagte die Stimme hinter seinem Ohr, die nur er hören konnte. „Einen Augenblick“, wandte er sich an Tom. „Ich erhalte gerade eine Botschaft. Wir sprechen später weiter.“ „Rod, der Elfenkönig ist hier. Er führt einen Trupp Elfen an.“ Und schon wurden zwei knorrige Gestalten mit weißen Barten hinter dem Fenstergitter sichtbar. „Gekab“, murmelte Rod. „Das sind keine Elfen, sondern Gnomen.“ „Gnomen? O ja, metallbearbeitende Elfen.“ Die Gnomen brachten Hammer und Meißel mit leichtem Bronzeglanz zum Vorschein, dann wichen sie zur Seite und reichten das Werkzeug einer größeren, dunkleren Gestalt, die fast das ganze Fenster einnahm.

Die Loguires verdrehten ihre Hälse, um hochsehen zu können. Und Tom brummte: „Ich würde gern sein Gesicht sehen, damit ich einmal meinen Kindern, wenn ich sie erst habe, davon erzählen kann. Noch kein Sterblicher durfte sich je preisen, das Gesicht eines Elfenkönigs gesehen zu haben, obgleich man sagt, sie lebten seit undenkbarer Zeit. Sie sind… Uh… Ah…“ Toms Kopf sackte auf die Brust und er begann zu schnarchen. Weitere Schnarchtöne wurden laut. Rod drehte sich um und stellte fest, daß auch die beiden Loguires selig entschlummert waren. Verwirrt schaute er hoch. Der erste Gitterstab fiel gerade auf den stinkenden Strohboden. Dieser Elfenkönig mag vielleicht unvorstellbar alt sein, dachte Rod, aber langsam oder altersschwach ist er zweifellos nicht.

Der nächste Gitterstab fiel herunter, und die restlichen folgten erstaunlich schnell, und gleich darauf sprang ihnen eine schwere Gestalt nach. Ungläubig sperrte Rod die Augen auf. Er verstand jetzt, weshalb Tom und die Loguires hatten einschlafen müssen.

Er schluckte, kämpfte um seine Fassung, dann lächelte er. „Gut gemacht, Brom O'Berin.“

„Stets zu Diensten, Rod Gallowglass.“ Der kleine Mann verbeugte sich und lächelte boshaft. „Ich schulde dir Prügel für deine Impertinenz gegenüber der Königin — vielleicht aber auch großen Dank. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig.“ Er kniete sich neben Rod und drückte seinen Unterarm auf den Boden.

„Rühr dich nicht, sonst bist du um ein Stück Knochen ärmer!“

Er drückte den Meißel auf das erste Kettenglied am Eisenband und durchtrennte es mit einem einzigen Hammerhieb. Sofort machte er sich am anderen Arm zu schaffen.

„Du wirst zwar noch Armbänder tragen, aber keine Ketten mehr. Die Bänder müssen warten, bis wir zur Burgschmiede kommen.“

„Hm, das ist verdammt harte Bronze.“ Rod deutete auf den Meißel, der durch das Eisen glitt.

„Sehr hart“, stimmte Brom ihm zu und beschäftigte sich mit den Fußketten. „Nach einem alten Rezept meiner Familie.“

„Deiner Familie?“

Brom blickte auf. „Auch im vergessenen Griechenland gab es Elfen, wußtest du das nicht, Rod Gallowglass?“

Als er alle von den Ketten befreit hatte, bat Brom Rod, ihm zu helfen. Er sprang durch das Fenster und warf einen Strick herein. Rod band es unter Toms Achselhöhlen und stemmte den glücklich schnarchenden Riesen hoch, während Brom zog.

„Warum weckst du ihn nicht einfach auf, daß er selbst hinausklettert?“ fragte Rod schwitzend.

„Ich möchte nicht, daß mein Stand unter den Sterblichen bekannt wird“, brummte Rod.

„Und warum hast du mich nicht schlafen geschickt?“

„Einer von euch mußte mir schließlich mit den anderen helfen“, knurrte Brom, aber Rod hatte das Gefühl, daß das nicht die ganze Wahrheit war. Er stellte jedoch keine weiteren Fragen mehr, bis seine Zellengeno ssen aus dem Fenster waren und schließlich Brom ihn hochzog. Rod duckte sich und streckte Brom den Hintern zu.

„Was soll das?“ brummte Brom.

„Sagtest du nicht, du schuldest mir Prügel?“

Der Zwerg lachte und schlug ihm auf die Schulter. „Nein, Junge, du hast nur getan, was ich selbst vor Jahren hätte tun sollen, aber nie übers Herz brachte. Doch komm jetzt, wir müssen uns beeilen.“

Nicht viel später saßen sie um das Feuer in der königlichen Ratskammer. Catherine hatte sich wortreich bei Loguire entschuldigt und Tuan völlig ignoriert. Tuan hatte links vom Kamin Platz genommen, und Catherine so weit von ihm entfernt im Zimmer, wie es nur möglich war, mit einem schweren Eichentisch und Brom O'Berin zwischen sich und ihm.

„… ich bin nicht länger Herzog, und die Rebellen sind bereits auf dem Marsch“, beendete Loguire seinen Bericht.

„Ihr werdet wieder Herzog sein“, sagte Catherine kalt, „sobald wir die Verräter geschlagen haben.“

Loguire lächelte traurig. „Sie sind nicht so leicht zu schlagen, Catherine.“

„Eure Majestät!“ fauchte sie.

„,Catherine! „donnerte Rod. Sie funkelte ihn wütend an, und er funkelte zurück.

„Was bin ich, Brom?“

„,Eure Majestät'„, erwiderte Brom mit der Spur eines Lächelns. „Doch für Euren Onkel und seinen Sohn, Euren

Vetter, seid Ihr Catherine.“

Jetzt galt ihm der funkelnde Blick. „Stellst du dich auch gegen mich, Brom O'Berin?“

„Genausowenig wie dieser Falke hier…“ Er deutete auf Rod.

„Wenn Ihr das nur einsehen würdet.“

Catherine musterte Rod von oben bis unten. „Ein Falke, ja.

Und was ist mit diesem Laffen?“

Tuans Kopf schoß hoch, als hätte er eine Ohrfeige bekommen.

Zutiefst gekränkt starrte er Catherine an. Doch dann preßte er die Lippen zusammen, und eine Falte zeichnete sich zwischen den Brauen ab. Eines Tages, dachte Rod, wird sie bei ihm ein kleines bißchen zu weit gehen, und das könnte vielleicht der glücklichste Tag ihres Lebens sein — wenn sie ihn übersteht!

„Ich bin für Euch!“ hauchte Tuan. „Selbst jetzt noch, Catherine, meine Königin.“

Sie lächelte selbstzufrieden und abfällig. „Das hatte ich gewußt.“

„Verdammtes Miststück!“ murmelte Rod.

„Was habt Ihr da vor Euch hinzubrummen, Meister Gallowglass?“

„Nur etwas, dessen ich mich nicht enthalten konnte, kleine Königin. Aber was die Rebellen betrifft, was beabsichtigt Ihr, gegen sie zu unternehmen?“

„Wir marschieren ihnen entgegen und stellen sie auf dem Bredenfeld.“

„Nein!“ Loguire sprang auf. „Ihre Stärke ist zehnmal die unsere!“

„Wir werden nicht hierbleiben und uns wie eine Ratte im Loch verkriechen!“ Diesmal galt das Funkeln ihrer Augen ihrem Onkel.

„Dann werdet Ihr geschlagen werden!“ erklärte ihr Rod.

Sie schaute auf ihn herab (was nicht einfach war, wenn man bedachte, daß sie saß und er stand). „Daran ist nichts Unehrenhaftes, Meister Gallowglass!“

Rod schlug sich auf die Stirn und rollte die Augen himmelwärts.

„Was sollte ich sonst tun? Mich vielleicht auf eine Belagerung vorbereiten?“ fragte sie höhnisch.

„Genau das“, erwiderte Rod.

„Wenn Ihr marschiert, habt Ihr auch noch das Haus Clovis zu befürchten, das Euch in den Rücken fallen wird“, sagte Tuan mit tonloser Stimme.

Verächtlich verzog sie die Lippen. „Bettler!“

„Bettler und Mordbuben!“ erinnerte sie Rod. „Mit sehr scharfen Messern!“

„Soll die Königin sich vor einem solchen Lumpenpack fürchten? Nein! Sie sind Staub unter meinen Füßen!“

„Was im Staub unter Euren Füßen kriecht, ist eine Schlange“, brummte Brom, „und ihre Zähne sind spitz und verspritzen Gift!“

Catherine schaute unsicher zu Boden, dann hob sie das Kinn und starrte Tuan böse an. „Dann hast du sie also zu einer Armee gegen mich gedrillt und zu einem heimtückischen Dolch für meinen Rücken gemacht, König der Vagabunden!“

Sie wandte sich an den Herzog. „Ich werde gegen die Rebellen ziehen! Marschiert Ihr an meiner Seite, mein Lord Loguire?“

„Ihr seid eine Törin, Catherine, und werdet den Tod finden, aber ich werde mit Euch sterben.“

Einen Herzschlag lang glitzerten ihre Augen feucht. Hastig drehte sie sich zu Brom um. „Und du, Brom O'Berin?“

„Ich war der Wachhund Eures Vaters, jetzt bin ich Eurer.“

Sie lächelte ihn an. Dann verfinsterte sich ihr Gesicht. „Und du, Tuan Loguire?“

Der junge Mann schaute sie nachdenklich an. „Es ist erstaunlich, wie ich mich immer wieder zum Toren mache.

Doch wenn ich seit meiner Kindheit dein Narr war, Catherine, werde ich wohl auch noch die Torheit auf mich nehmen, an deiner Seite zu sterben.“

Ihr Gesicht war aschfahl. „Torheit…“, wisperte sie.

Rod schlug Tuan freundschaftlich auf die Schulter. „He, König der Vagabunden! Wir überleben diesen Irrsinn vielleicht doch!

Wenn der Spötter und seine Helfershelfer nicht mehr wären, könntet Ihr dann die Bettler dazu bringen, für die Königin zu kämpfen?“

Tuans Augen verrieten neue Hoffnung. „Ganz gewiß!“

Es war nicht leicht gewesen, Tom zu überreden, daß er mitmachte. Rod hatte es auch verkehrt angepackt, da er angenommen hatte, Toms Loyalität gegenüber der proletarischen Idee hätte ihr Ende gefunden, als er ins Verlies geworfen worden war. „Was hältst du von einer Chance, es deinen Freunden heimzuzahlen?“ hatte er gefragt.

„Es ihnen heimzahlen?“

„Haben sie dir nicht übel mitgespielt und sind jetzt erst recht auf dein Blut aus?“

Tom grinste. „Ganz sicher nicht, Meister. Sie hätten mich befreit, sobald die Schwierigkeiten behoben waren.“

„Aber warum haben sie dich in Ketten gelegt?“

Tom zuckte die Schultern. „Eine Meinungsverschiedenheit. Sie wollten die Königin und die Edlen zur gleichen Zeit angreifen, obwohl sie dadurch ihre Kräfte hätten teilen müssen. Während ich dafür war, erst die Edlen und ihre Ratgeber fertigzumachen, natürlich unter der Tarnung, es für den Thron zu tun. Danach, dachte ich, sollten wir allmählich das ganze Volk auf unsere Seite bringen, und sobald das geschafft war, die Königin und Brom O'Berin ins Jenseits schicken.“

Rod schluckte und bemühte sich, daran zu denken, daß der Bursche ja jetzt auf seiner Seite war. „Nun, wie war's, wenn das Haus Clovis tatsächlich erst die Edlen und ihre Ratgeber niedermacht? Und zwar an der Seite der Königin. Danach kannst du ja zusehen, ob du deinen weiteren Plan durchzuführen vermagst.“

„Glaubt Ihr denn, daß die Bettler für die Königin kämpfen würden?“

„Das überlassen wir Tuan Loguire, nachdem wir deine vier Kollegen in das Verlies gesperrt haben, in das sie dich hineinwarfen.“

Ein breites Grinsen überzog Toms Gesicht. „Das hätte ich mir ja denken müssen, Meister. Ja, dieser Junge wird sie überreden.

Er hat eine Engelszunge! Aber es ist Euch doch klar, daß dann auch Ihr neben der Königin und Brom an der Reihe sein werdet, wenn ich meinen weiteren Plan durchführe.“

„Es wird ein grandioser Kampf werden, Tom. Aber warten wir doch erst einmal ab.“

Tom machte sich an einem Stein der Außenwand zu schaffen.

Er zog ihn vorsichtig heraus. „Ich hatte zwar gedacht, ich brauchte das Schlupfloch einmal, um aus dem Haus zu kommen, aber umgekehrt funktioniert es natürlich auch. Folgt mir.“ Er zwängte sich hindurch, und als Rod und Tuan schließlich neben ihm im Innern standen, verschloß er das Loch wieder. „Na, die werden sich wundern, wie wir hereinkamen“, sagte Tom grinsend.

Sie befanden sich in einer riesigen ehemaligen Küche. Die dichten Spinnweben verrieten, daß sie schon lange nicht mehr benutzt wurde.

„Was hat ein guter Junge wie du, Tom, eigentlich hier zu suchen?“ brummte Rod. Tom schnaubte verächtlich. „Nein, ich meine es wirklich“, versicherte ihm Rod. „Einen Gott, ein Idol, schätzt man nach den Menschen ein, die es anbeten.“

„Seid still!“ knurrte Tom.

„Aber ich habe doch recht, oder? Die Ratgeber sind bis ins Mark verderbt, das wissen wir schließlich. Und der Spötter und seine Kumpane sind schmutzigstes Ungeziefer. Du bist der einzige anständige Mann in dem Haufen, weshalb willst du nicht…“

„Haltet den Mund!“ brummte Tom drohend und packte Rod am Kragen seines Wamses. „Und was ist mit der Königin und

ihren Göttern, eh?“ Wütend schob er Rod gegen die Wand und ließ ihn los. Rod schüttelte sich und sah im Schein einer Fackel den Haß in Toms Augen, ehe er vorwärtsschlich.

„Löscht die Fackeln!“ flüsterte er kurz darauf über die Schulter zurück. „Wir kommen gleich an eine Biegung, und dahinter hält ein Posten Wache. Vorsicht, Jungs!“

Als sie sich der Ecke näherten, hörten sie zu ihrer Rechten, aus dem neuen Schlafsaal, schwaches Schnarchen. Tom drückte sich an die Wand, und schnell folgten Rod und Tuan seinem Beispiel.

„Halt!“ brüllte eine Stimme hinter der Biegung.

Erschrocken hielten die drei den Atem an.

„Wohin zu dieser Stunde?“ fragte der Posten drohend.

Eine zitternde, nasale Stimme antwortete: „Auch nachts muß man manchmal!“

„Aha!“ rief der Posten, „sicher nur, weil gleich neben den Toiletten der Frauenschlafsaal ist, hm? Nein, Bürschchen, zurück auf dein Lager. Dein Liebchen ist heute nacht nicht für dich!“

„Aber ich…“

„Du kennst die Bestimmungen, Freundchen. Du mußt zuerst schon die Erlaubnis des Spötters einho len.“ Mit vertraulicherer Stimme fuhr er fort: „So schwierig ist es doch nicht, den Schein von ihm zu bekommen. Dann hält dich niemand auf und du hast es schwarz auf weiß, wo und zu welcher Zeit du es treiben kannst.“

Der andere spuckte hörbar aus. „Ja“, höhnte er. „Und jede Nacht brauche ich einen neuen Schein, wenn ich sie sehen will.

Verdammt, das war bisher das einzige auf der Welt, das man ohne Erlaubnis von anderen tun konnte!“

Die Stimme des Postens wurde wieder hart. „Das Wort des Spötters ist Gesetz im Haus, und ich werde ihm mit dem Prügel Nachdruck verleihen!“

Ein wütendes Knurren war zu hören, dann sich entfernende, schlurfende Schritte. Nach einer Weile setzte erneut Stille ein, bis der Posten wieder zu schnarchen begann.

Rod schaute Tuan an. Das Gesicht des Jungen war fahl, und die Lippen hatte er so fest zusammengepreßt, daß sie weiß wirkten.

„Ich nehme an, davon wußtet Ihr nichts, oder?“ flüsterte Rod.

„Nein. Als sie mich erst abserviert hatten, vergeudeten sie keine Zeit. Eine Wache vor jedem Zimmer. Ein Stück Papier als Erlaubnis, daß zwei ein Bett miteinander teilen dürfen — das ist schlimmer als die Lords des Südens!“

Toms Kopf ruckte hoch. „Nein!“ knurrte er. „Es ist jetzt nur ein wenig unbequem, aber das Resultat ist diesen Preis wert.“

„Welches Resultat kann schon einen solchen Preis wert sein!“ schnaubte Tuan und hob seine Stimme ein wenig.

„Nun“, grollte Tom. „Mehr zu essen für alle, mehr und bessere Kleidung, keine Armen und Hungernden mehr.“

„Und alles dank einer geplanten Elternschaft!“ murmelte Rod kopfschüttelnd mit einem vorsichtigen Blick auf die Erde.

„Und wie soll das möglich sein?“ fragte Tuan und hob trotz der besorgten Gesten Rods die Stimme um ein weiteres. „Mit einem Erlaubnisschein für eine Liebesnacht? Ich wüßte nicht, wie!“

„Nein, Ihr ganz gewiß nicht“, sagte Tom verächtlich. „Aber der Spötter weiß sehr wohl, was er tut.“

„Wie erlaubst du dir, mit mir zu sprechen!“ Tuan zog seinen Dolch, und schon hatte auch Tom seinen in der Hand.

Rod schob die beiden auseinander. „Meine Herren! Auch wenn eure Meinung in dieser Sache auseinandergeht, muß ich doch bitten, Ruhe zu bewahren. Jeden Moment kann der Posten wieder aufwachen und das ganze Haus zusammenbrüllen.

Wollt ihr das wirklich?“

Die beiden funkelten einander wütend an, aber sie steckten die Dolche wieder ein. „Und was machen wir jetzt mit dem Posten?“ fragte Rod.

„Wir können nur eines tun“, antwortete Tuan. „Ihn aufwecken und gegen ihn kämpfen.“

„Was?“ knurrte Tom. „Daß er Alarm schlägt? Nein, nein! Wir schleichen uns an ihn heran und versetzen ihm einen Schlag auf den Schädel.“

„Das ist unehrenhaft“, protestierte Tuan.

Tom spuckte verächtlich aus. „Toms Plan ist schon in Ordnung“, beruhigte Rod Tuan. „Nur was ist, wenn der Mann aufwacht, während wir uns anschleichen?“

Tom zuckte die Schultern. „Dann müssen wir uns auf ihn werfen. Wenn wir dabei sterben, sterben wir eben.“

„Und die Königin mit uns“, brummte Rod. „Nein! Laßt euch was anderes einfallen.“

Tom zog seinen langen Dolch wieder hervor und balancierte ihn auf einer Fingerspitze. „Ich treffe den Burschen auf fünfzig Schritt in die Kehle.“

„Das ist schlimmer als ein Stoß in den Rücken!“ wehrte Tuan ab. „Wir müssen ihm eine Chance geben, sich zu verteidigen.“

„O ja?“ höhnte Tom. „Damit er das ganze Haus aufweckt mit seinem Gebrüll?“

Rod hielt beiden den Mund zu und war nur froh, daß er nicht drei Begleiter mitgebracht hatte. Er zischte Tom zu. „Hab Geduld. Er ist schließlich neu in diesem Job!“

Tuan richtete sich hoch auf und funkelte jetzt beide wütend an.

Rod flüsterte Tom direkt ins Ohr. „Wenn du nicht wüßtest, daß er ein Aristokrat ist, wie würdest du ihn dann einschätzen?“

„Als tapferen Mann und guten Kämpfer“, gestand Tom ein, „wenn auch arg jung und töricht und mit zu vielen Idealen belastet.“ Er schaute Rod an. „Also gut, ich werde versuchen, mit ihm auszukommen, aber wenn er noch einmal zu predigen versucht…“

„Wenn wir die Sache schnell genug hinter uns bringen, wird er keine Zeit dazu haben. Ich habe eine Idee.“

„Warum habt Ihr uns dann überhaupt gefragt?“ grollte Tom.

„Weil sie mir erst kam, als ihr zwei euch in die Haare geraten

seid. Wir brauchen eine Kompromißlösung, richtig? Tuan läßt ein Messer in den Rücken nicht zu und auch keines in Brust oder Kehle, solange der Bursche schläft. Er will eben keinen treuen Untertanen töten, weil er vielleicht schon morgen gutes Kanonenfutter abgeben könnte. Richtig?“

„Nicht das ist der Grund“, brummte Tuan.

„Und Tom will dem Posten keine Chance geben, Alarm zu schlagen — und ich auch nicht, ganz nebenbei bemerkt. Wir sind alle drei gute Kämpfer, aber nur drei gegen ein ganzes Haus voll Messerstecher ist wohl utopisch. Tom, wenn der Posten plötzlich um die Ecke rennen sollte, würdest du ihm dann nur ganz leicht über den Schädel schlagen?“

„Sicher!“ Tom grinste.

„Leicht, sagte ich. Läßt sich das mit Eurer Ehre vereinbaren, Tuan?“

„Ja, da er uns dann das Gesicht zuwendet.“

„Gut, dann brauchten wir nur noch eine Maus, der er um die Ecke nachjagt.

„Das ist einfach“, brummte Tom. „Der Meister kann eine machen.“

„Eine machen?“ Rod starrte ihn an.

„Aber ja.“ Tuan nickte heftig. „Ihr seid doch ein Zauberer und hier an der Wand wächst soviel Hexenmoos. Was braucht Ihr mehr?“

„Huh?“ Rod schluckte. „Heißt das, daß Hexen das Zeug für ihre Zwecke benutzen?“

„Natürlich! Wieso wußtet Ihr das nicht? Sie formen kleine lebende Dinge daraus — wie Mäuse!“

In Rods Kopf klickte es. Das war also das fehlende Glied im Rätsel um Gramayre. „Schön und gut“, brummte er. „Aber das ist nicht meine Art von Zauberei.“ Er legte die Hände als Trichter vor den Mund und rief leise: „Gwen! Gwen-dy-lon!“

Eine Spinne rannte an einem Faden direkt vor seiner Nase von der Decke. Rod hüpfte zurück. „Alle guten Geister. Tu das

nicht, Mädchen!“ Er pflückte die Spinne vom Faden und streichelte sie vorsichtig mit einer Fingerspitze. „Zumindest hast du dich nicht in eine Schwarze Witwe verwandelt. Hm, übrigens bist du die hübscheste Spinne, die ich je gesehen habe!“

Die Spinne tanzte erfreut in seiner Handfläche.

„Hör zu, meine Süße, ich brauche eine Maus, die den Posten hierherlockt. Schaffst du das?“

Die Spinnenform verschwamm, und schon saß eine Maus auf Rods Hand. Das Tier sprang auf den Boden und huschte zur Ecke.

„Nein! Nein!“ Rod sprang ihr nach und hob sie vorsichtig wieder hoch. „Tut mir leid, mein Schätzchen, aber wie leicht könnte jemand auf dich treten, und das würde mir gar nicht gefallen.“ Er küßte das schwarze Naschen. Tom sog die Luft ein. Die Maus wand sich vor Ekstase.

„Nein“, sagte Rod, strich mit der Fingerspitze über ihren Rücken und zwickte sie in den Schwanz. „Du mußt eine aus Hexenmoos machen. Kannst du das, Liebling?“

Die Maus nickte, drehte sich um und konzentrierte sich auf das Hexenmoos am Boden der Wand. Aus einem Stück davon bildete sich nach und nach eine Maus. Tom schluckte und bekreuzigte sich.

Rod starrte ihn erstaunt an. „Ich dachte, du bist Atheist?“

„Nicht in einem solchen Augenblick, Herr.“

Die Hexenmoosmaus rannte um die Ecke. Tom faßte seinen Dolch an der Klingenspitze, um den Griff als Prügel zu benutzen.

Das Schnarchen um die Ecke wurde zu einem verärgerten Grunzen. „He, was knabbert da an mir?“ Der Hocker des Postens kippte klappernd um. Dann war zweimal ein wütendes Stampfen zu hören, und schließlich vernahmen die Wartenden eilige Schritte, und schon huschte die Maus um die Ecke.

Der Posten folgte ihr fluchend und rutschte an der Ecke aus. Er blickte hoch, sah Tom, und hatte gerade noch Zeit, die Augen entsetzt aufzureißen, als Toms Dolchgriff auf seinen Hinterkopf herabsauste.

Der Posten sackte wie abgesprochen bewußtlos in Tuans Arme.

Tom holte einen dünnen schwarzen Strick aus der Tasche.

„Das ist viel zu schwach, ihn zu halten!“ protestierte Tuan.

Aber Tom grinste nur und machte sich daran, den Posten zu verschnüren. „Geflochtene synthetische Spinnenseide“, erklärte er Rod leise.

„Das hast du gut gemacht, Kleines“, lobte Rod die Maus in seiner Hand. Sie hob erfreut das Naschen, dann schlüpfte sie zwischen den Knöpfen in sein Wams. „He, vorsichtig!“ mahnte Rod. „Das kitzelt!“

„Wo sollen wir ihn verstecken?“ fragte Tuan.

„Hier gibt es keine Verstecke“, brummte Tom.

„Da ist ein Fackelhalter an der Wand!“ Tuan deutete.

„Gut!“ Tom hob den verschnürten Posten hoch und hakte eine der Spinnenseidenschlingen um die Halterung.

„Und was ist, wenn jemand hierherkommt? Wir können ihn doch nicht einfach so hängen lassen?“ brummte Rod. Er griff in sein Wams und holte die Maus aus ihrer Erkundung seines Brustkastens zurück. „Hör mal, Baby, weißt du was eine dimensionale Krümmung ist?“

Die Maus rollte die Augen hoch und zuckte mit den Barthaaren, dann schüttelte sie energisch den Kopf. „Und eine Zeitfalte?“

Die Maus nickte eifrig. Dann spannte das kleine Mäusegesicht sich in tiefster Konzentration — und der Posten war verschwunden.

Tuan quollen die Augen aus den Höhlen, und er schnappte nach Luft.

Tom spitzte die Lippen, dann sagte er schnell: „Ah — ja. Machen wir weiter.“

Rod grinste und setzte die Maus auf dem Boden ab. „Zieh dich zurück, Kleines, aber bleib in der Nähe, ich brauche dich vielleicht nochmal.“

„Der Spötter schläft wahrscheinlich in Tuans Gemach“, murmelte Tom. „Und ich hoffe, seine Hauptleute finden sich in seiner Nähe.“

„Glaubst du nicht, daß zumindest einer davon Wache hält?“ fragte Tuan.

Tom bedachte Tuan mit einem merkwürdigen Blick. Er hob eine Braue und sagte zu Rod: „Ein guter Mann, und gar nicht so dumm!“

Es gelang ihnen unbemerkt, einen Bogen um die einzige weitere Wache zwischen ihnen und der Wirtsstube zu schlagen. Die Stube selbst wurde nur durch die Glut in der offenen Feuerstelle erhellt, aber sie genügte, um den Fuß der mächtigen Treppe an der anderen Seite zu sehen. Eine Galerie ragte im oberen Stockwerk über die Stube hinaus. Die Türen dort führten in die Privatgemächer.

Ein breitschultriger Mann saß schnarchend und mit ausgestreckten Beinen in einem schweren Sessel neben der Feuerstelle. Am Fuß der Treppe stand ein gähnender, blinzelnder Mann Wache. Zwei weitere Posten lehnten sich schwer an die Pfosten einer Tür etwa in der Mitte der Galerie. „Schöne Bescherung“, brummte Tom. „Sie sind einer mehr als wir, und weit auseinander, daß zweifellos zumindest einer Alarm schlagen wird, während wir die anderen entwaffnen.“ „Von der riesigen, viel zu hellen Stube gar nicht zu sprechen, die wir überqueren müssen. Sie ist fast so groß wie der Audienzsaal der Königin“, fügte Rod hinzu. „Wir könnten unter den Tischen und Bänken hindurchkriechen“, schlug Tuan vor. „Bis wir dort sind, schläft die Wache am Fuß der Treppe vermutlich schon.“ „Damit hätten wir die beiden in der Gaststube hinter uns, aber was ist mit dem Paar auf der Galerie?“ „Oh, ich verstehe ein wenig mit der Steinschleuder

umzugehen“, versicherte ihm Tuan. Er brachte ein Stück schwarzes Leder zum Vorschein.

„Das ist eine Bauernwaffe“, knurrte Tom, „und nicht das Spielzeug eines Lordlings.“

„Ein Ritter muß mit allen Waffen umgehen können, Tom“, erklärte Tuan ein wenig von oben herab.

„Gehen wir's an“, bestimmte Rod. „Ich nehme mir den an der Feuerstelle vor.“

„Das werdet Ihr nicht!“ entgegnete Tom. „Ihr könnt den an der Treppe haben!“

„Oh? Gibt es einen bestimmten Grund dafür?“

„Ja.“ Tom grinste wölfisch. „Der in dem Sessel ist einer von des Spötters Hauptleuten, und er gehört zu denen, die mich ins Verlies warfen.“

„Na gut“, gab Rod nach. Sie legten sich auf den Bauch und krochen jeder auf sein Ziel zu. Rod schien eine Ewigkeit zwischen den Tisch— und Bankbeinen zu vergehen, und er befürchtete ständig, einer der beiden anderen könnte zuerst seinen Platz erreichen und des Wartens müde werden.

Plötzlich war ein dumpfer Krach zu hören. Einer mußte gegen einen der Tische gestoßen sein. Rod erstarrte.

„Was war das?“ rief eine Stimme. „He, Egbert, wach auf und kümmere dich um die Treppe, die du bewachen sollst.“

„Was — was ist los?“ brummte eine nähere, schläfrige Stimme, und dann eine tiefere, verärgert vom Feuer. „Mußt du mich wegen Nichtigkeiten aufwecken?“

„Etwas ist gegen einen Tisch gestoßen, Hauptmann! Ich habe es genau gehört“, erklärte die erste Stimme.

„Ja, eine Ratte, vielleicht. Eine verdammte Ratte!“ knurrte der Hauptmann und kauerte sich wieder tief in seinen Sessel.

Rod atmete erleichtert auf und wartete, daß der Posten an der Treppe wieder zu schnarchen anfing. Als er es tat, schlängelte er sich weiter durch Tisch- und Bankbeine, bis er unter dem Tisch lag, der der Treppe am nächsten war.

Von der Feuerstelle schrillte ein Pfiff, und dann war ein Krachen zu hören, als Tom einen Hocker umstieß, der ihm im Weg gestanden hatte.

Rod hastete zu seinem Mann. Aus dem Augenwinkel sah er Tuan hochspringen und die Schleuder wirbeln. Doch schon grub sich sein Kopf in den Bauch des Postens an der Treppe.

Der Mann sackte zusammen. Vorsichtshalber versetzte Rod ihm noch einen Nackenschlag. Als er hochblickte, bemerkte er, wie gerade einer der Posten auf der Galerie zu Boden ging. Der andere lag bereits sich windend daneben, mit den Händen auf den Hals gepreßt.

In fünf Sätzen erreichte Rod die Galerie. Er verpaßte dem sich Windenden einen Kinnhaken, daß er sich eine Weile schlafen legte. Der andere war nicht so glimpflich davongekommen.

Der Stein aus der Schleuder hatte ihm die Stirn zerschmettert.

Blut floß über sein Gesicht und sammelte sich zu einer Pfütze auf dem Boden.

„Verzeih mir, Mann“, flüsterte Tuan, als er seiner Schleuder Werk betrachtete.

„Kriegspech, Tuan“, flüsterte er.

„Wäre er meinesgleichen, würde ich es auch so sehen“, murmelte der Junge. „Aber ein Mann meines Blutes hat die Bauern zu beschützen, nicht sie zu erschlagen.“

Rod musterte das ernste Gesicht des Jungen und dachte, daß es Männer wie die Loguires waren, die der Aristokratie das bißchen Berechtigung gaben, das sie hatte.

Es hatte nur diesen einen Toten gegeben. Der Hauptmann und die Treppenwache waren sicher mit Toms synthetischer Spinnenseide verschnürt.

„Ihr habt es gut gemacht“, lobte Tom Tuan. „Ihr mußtet Euch zwei vornehmen. Einen habt Ihr verschont. Macht Euch keine Vorwürfe des anderen wegen. Ihr hattet gar keine Zeit, besser zu zielen, ein so guter Schleuder er Ihr auch seid.“

Verwirrung zeichnete sich auf Tuans Gesicht ab. Er hatte nicht das Recht, sich Toms Einmischung zu verbieten, aber es war doch etwas ungewohnt, sich von einem Bauern loben und Entschuldigung gewähren zu lassen.

Rod lenkte ihn ab. „Ihr habt dort geschlafen?“ fragte er und deutete mit dem Daumen auf die Tür, die die beiden Posten bewacht hatten. Der Junge nickte stumm.

„Dann wird wohl jetzt der Bucklige sich dort einquartiert haben. Und du sagst, der Hauptmann unten gehört zum Stab des Spötters?“ Tom nickte.

„Also bleiben noch zwei Hauptleute. Was meint Ihr, ob sie nicht vielleicht in den anschließenden Zimmern zu finden sind?“ Als Tom erneut nickte, fuhr Rod fort: „Also, einen für jeden von uns. Ihr zwei nehmt Euch je einen der Hauptmänner vor, ich beschäftige mich mit dem Spötter.“ Er wandte sich der mittleren Tür zu, aber Toms Pranke fiel auf seine Schulter herab. „Wieso kriegt Ihr den Spötter, nicht ich?“

Rod grinste. „Glaubst du nicht, daß ich hier ein bißchen mehr zu sagen habe? Und außerdem, welchen Gürtel hast du dir errungen?“ „Braun“, brummte Tom. „Und der Spötter?“

„Schwarz“, erwiderte Tom widerstrebend. „Dan, fünfter Grad.“

Rod nickte. „Und ich ebenfalls schwarz, achter Dan. Du nimmst einen der Hauptleute.“

Tuan runzelte die Stirn. „Was ist das für ein Gerede über Gürtel? Und was ist Dan?“

„Nur eine kleine Kompetenzklarstellung. Zerbrecht Euch nicht den Kopf darüber.“ Rod wandte sich der mittleren Tür zu.

Tom griff nach seinem Arm. „Meister, wenn wir es geschafft haben, müßt Ihr mir Unterricht geben.“

„Gern, sogar bis zum Collegeabschluß, wenn du willst.“

„Danke.“ Tom grinste breit. „Nicht nötig, ich habe bereits einen Doktor gemacht.“

Rod starrte ihn an. „In welchem Fach.“

„Theologie.“

„Das hätte ich mir denken müssen. Du hast nicht zufällig neue atheistische Theorien aufgestellt?“

„Meister!“ antwortete Tom gekränkt. „Wie kann man die Existenz oder Nichtexistenz eines immateriellen Wesens durch Fakten beweisen?“

„Meine Herren“, sagte Tuan sarkastisch. „Ich unterbreche sehr ungern ein so gelehrtes Gespräch, aber es könnte ja sein, daß der Spötter jeden Augenblick aufwacht.“

„Hm? O ja, natürlich!“ Rod setzte sich wieder zur Tür zu in Bewegung. „Wir unterhalten uns später weiter darüber, Tom.“

Leise versuchte er die Tür zu öffnen, aber sie knarrte, krächzte, quietschte, wehrte sich gegen sein Eindringen. Der Spötter hatte sie offenbar als primitive, aber sehr wirksame Einbruchs sicherung absichtlich nicht geölt. Rod warf sich mit aller Kraft dagegen und stürzte ins Zimmer, noch ehe der Spötter „Mörder!“ brüllte und mit zum Schlag erhobener Hand aus dem Bett sprang.

Rod blockierte einen Handkantenschlag und hieb nach dem Solarplexus. Seine Hand wurde geschickt abgewehrt, während noch der Schrei des Buckligen in seinen Ohren hallte. Rod blieb gerade Zeit, den Humor des Schwarzengürtelträgers zu würdigen, der nach Hilfe brüllte, ehe er auf den gegen seine Leiste gerichteten Schlag aufmerksam wurde.

Er sprang zurück, und der Spötter ihm nach. Diesmal traf der Schlag. Rod rollte und wand sich vor Schmerzen auf dem Boden. Er sah den Fuß, der nach seinem Kinn ausholte, und es glückte ihm, seinen Kopf weit genug zu drehen, daß der Fuß lediglich seine Wange streifte. Sterne funkelten vor seinen Augen, und er versuchte, sie mit einem Kopfschütteln zum Verschwinden zu bringen.

Durch das Summen in seinen Ohren hörte er einen plötzlich abgewürgten Schrei, dann einen dumpfen Schlag, und schließlich brüllte Tom: „Eure Schleuder, Tuan! Auf den Schrei werden gleich Wachen herbeieilen!“

Der Riese beugte sich über ihn. Sein Gesicht war ganz nah.

„Wie schlimm seid Ihr verletzt, Meister?“

„Es geht schon“, keuchte Rod.

„Könnt Ihr aufstehen?“

„In einer Minute. Aber Gwen wird sich auf eine zeitweilige Enttäuschung gefaßt machen müssen. Wie hast du es fertiggebracht, Tom?“

„Ich hab' seinen Fuß beim Aufwärtsschwingen erwischt und ihn hochgeschleudert. Und ehe er landete, versetzte ich ihm noch einen Kinnhaken.“

„Ein Kinnhaken, der einen Schwarzengürtelträger ausschaltet!“ staunte Rod und rollte sich herum.

Ein Schrei außerhalb des Zimmers verstummte plötzlich, Rod hob lauschend den Kopf. Dann taumelte er, die Hände immer noch zwischen die Beine gepreßt, zur Tür und riß sie trotz Toms Protest auf.

Drei weitere Männer lagen reglos auf dem Steinboden der Gaststube, während Tuan, mit der Schleuder in der Hand, an der Galeriebrüstung stand. Sein Gesicht war fahl. „Erst kam einer“, berichtete er tonlos, „dann der zweite und schließlich der dritte. Die ersten beiden erwischte ich, ehe sie schreien konnten, aber beim dritten war ich zu langsam.“ Er drehte sich mit dem Rücken zur Brüstung und sagte hart: „Mir gefällt dieses Töten nicht!“

Rod nickte und ächzte, als der Schmerz ihn zu übermannen drohte. Er hielt sich am Geländer fest. „Kein echter Mann liebt es, Tuan. Aber es ist Krieg und Ihr dürft es nicht so schwer nehmen!“

„Oh, ich habe auch schon früher getötet“, murmelte Tuan.

Seine Lippen waren Striche. „Aber Männer zu töten, die mir noch vor drei Tagen zuprosteten…“

Rod schloß die Augen. „Ich verstehe. Aber wenn Ihr je ein guter König oder guter Herzog werden wollt, müßt Ihr lernen, damit fertig zu werden. Außerdem, vergeßt das nicht, würden

sie Euch getötet haben, wenn Ihr nicht schneller gewesen wärt.“

Tom trat auf die Galerie heraus. Den Spötter hatte er sich wie ein gut verschnürtes Paket unter den Arm geklemmt. Er schaute kurz in die Gaststube hinab. „Noch mehr Tote?“ Er legte den Spötter zwischen seine bewußtlosen Hauptleute und begann, sie zu fesseln. Einer hatte nur noch eine Narbe, wo sein Ohr sein sollte — ein Zeichen der königlichen Gerechtigkeit.

Rod nickte. Der Spötter hatte sich seine Helfershelfer sorgfältig ausgewählt. Sie hatten guten Grund, die Monarchie zu hassen.

Er richtete sich auf und zuckte vor Schmerz zusammen.

„Ihr solltet Euch setzen und ausruhen, Rod Gallowglass“, riet ihm Tuan.

Rod holte pfeifend Luft und schüttelte den Kopf. „Es ist nur schmerzhaft, weiter nichts. Sollten wir diese drei nicht ins Verlies schaffen?“

Tuans Augen funkelten. „Nein, es genügt, daß sie gebunden sind. Laßt sie hier, ich brauche sie.“

Rod runzelte die Stirn. „Ihr braucht sie? Was meint Ihr damit?“

Tom hob eine Hand. „Fragt nicht lange, Meister, wenn Tuan sie braucht, so laßt sie ihm. Dieser Junge versteht sein Handwerk. Ich habe nie einen Mann gesehen und selten von einem gehört, der eine Menschenmenge so überzeugen kann wie er.“ Er drehte sich um und rannte die Stufen hinunter. In der Wirtsstube untersuchte er die Gefallenen, dann verschnürte er einen, der noch lebte, ehe er sie alle unter die Galerie zerrte.

Den Hauptmann neben dem Feuer warf er sich auf die Schulter.

„Tom!“ rief Tuan. „Sei so gut und bring das Horn mit, das an der Wand dort hängt, und die Trommel daneben ebenfalls!“

Tom nickte. Er nahm das alte, verbeulte Jagdhorn von seinem Haken und klemmte sich eine der primitiven Trommeln -

nichts weiter als ein leeres Faß mit einem Fellbezug an einem

Ende — unter den Arm.

Rod runzelte verwirrt die Stirn. „Was wollt Ihr denn mit Horn und Trommel?“

Tuan grinste. „Könnt Ihr Horn blasen?“

„Nun, im Symphonieorchester würde man mich vermutlich nicht aufnehmen, aber…“

„Es wird genügen“, unterbrach ihn Tuan mit glitzernden Augen.

Tom rannte die Stufen wieder hoch. Den dritten Hauptmann legte er neben seine Spießgesellen, die Instrumente neben Tuan. „Und wie geht es weiter, meine Herren?“

„Du nimmst die Trommel“, bestimmte Tuan, „und wenn ich das Wort gebe, hängst du diese vier von der Galeriebrüstung hinunter, aber nicht an den Hälsen, hörst du? Es ist von viel größerem Nutzen für uns, daß wir sie lebend gefangen haben.“

Rod hob eine Braue. „Doch wohl nicht der alte Spruch, daß der Mächtige es sich erlauben kann, Gnade walten zu lassen?“

Aber er hörte die Antwort nicht, weil Tom begonnen hatte, die Trommel zu schlagen, daß das ganze Haus vibrierte.

Tuan grinste und sprang auf die Brüstung. Mit weit gespreizten Beinen und verschränkten Armen machte er es sich dort bequem. „Ruft sie herbei, Meister Gallowglass!“ brüllte er.

Rod blies den Weckruf der Armee. Zwar klang er etwas ungewöhnlich auf dem alten Jagdhorn, aber er erfüllte seinen Zweck. Ehe er zu Ende damit war, hatte sich die ganze riesige Wirtsstube mit Bettlern, Dieben und Mördern gefüllt. Sie waren alle aus dem Schlaf gerissen, konnten die Augen noch nicht ganz aufbekommen und erst recht nicht klar denken. Sie stellten einander alle möglichen Fragen, und machten sich ganz klein, als sie Tuan, den sie verraten hatten, stolz und hochaufgerichtet auf der Brüstung stehen sahen.

Er sollte sie fürchten, sich gar nicht zurückgewagt haben, nachdem er befreit worden war — aber da stand er, frei und furchtlos, und rief sie mit Horn und Trommel herbei — und wo war der Spötter?

Sie waren verwirrt und mehr als nur ein wenig verängstigt.

Menschen, die nie gelernt hatten, selbständig zu denken, waren nun dem Undenkbaren ausgesetzt.

Rod endete mit einem Tusch, dann wirbelte er das Horn im Kreis und schob es in den Gürtel. Tom entlockte der Trommel ein letztes heftiges Bumm, da streckte Tuan die Hand in Toms Richtung und schnippte mit den Fingern.

Die Trommel erklang von neuem, leise, aber eindringlich.

Rod schaute zu Tuan hoch, der mit den Armen auf die Hüften gestützt grinste — ein in sein Reich heimgekehrter Elfenkönig!

Er blickte hinunter auf die furchterfüllte Menge, die mit offenen Mündern auf die majestätische Gestalt starrte.

Rod mußte zugeben, daß das eine sehr beeindruckende Weise für die Eröffnung einer Rede war.

Tuan warf die Arme hoch. Stille setzte in dem weiten Raum ein, nur das leise Pochen der Trommel war zu hören.

„Ihr habt mich verstoßen!“ brüllte Tuan.

Der Mob drängte sich furchtsam zusammen.

„Mich ins Exil verbannt!“ rief Tuan. „Ihr habt euch von mir abgewandt und glaubtet, mich nie wiederzusehen!“

Ein Murmeln erhob sich, verängstigt, ja verzweifelt.

„Wurde ich nicht verbannt?“ schrie Tuan. „Seid still!“

Und wie durch ein Wunder erstarb das Gemurmel sofort.

Tuan deutete mit anklagendem Zeigefinger auf die Menge.

„Nun, wurde ich nicht verbannt?“

Ein paar Jas waren zu hören.

„Wurde ich verbannt?“ rief Tuan erneut.

„Ja!“ antworteten nun alle.

„Schimpftet ihr mich nicht Verräter?“

„Ja“, rief die Menge widerwillig.

„Und doch stehe ich hier, frei und stark und wieder Herr des Hauses Clovis!“

Niemand focht diese Behauptung an.

„Und wo sind die wahren Verräter, die euch in eine hoffnungslose Schlacht geführt hätten, wo kaum einer von euch am Leben geblieben wäre? Die Verräter, die in meiner Abwesenheit dieses Haus zum Kerker machten? Wo sind sie jetzt, um meine Führerschaft zu bestreiten?“ Wieder stützte er die Hände auf die Hüften, während die Menge die Frage aufnahm und sie einander stellte. Eilig befestigte Tom drei Meter des Spinnenfadens an der Verschnürung des Spötters und band das Ende an eine Stützsäule der Brüstung. Und als das Gemurmel: „Wo?“ und „Der Spötter!“ lauter wurde, tat er das gleiche mit den drei Hauptleuten.

Tuan ließ das Gemurmel weiter anschwellen, bis es seinen Höhepunkt erreicht hatte, dann erst gab er Tom das Zeichen. Tom und Rod hoben die gebundenen Männer über die Brüstung, so daß sie paarweise zu beiden Seiten von Tuan in die Tiefe hingen. Der Spötter hatte inzwischen das Bewußtsein wiedererlangt und baumelte, in seinem Versuch freizukommen, hin und her.

Erschrockenes Schweigen senkte sich auf den Raum herab. Der Mob brüllte wie ein riesiges, hungriges Raubtier und drängte sich nach vorn. Die vordersten Reihen hüpften hoch, um nach den herabhängenden Füßen zu greifen. Die Menge bedachte den Spötter und seine Kumpane mit Flüchen und den gemeinsten Schimpfwörtern.

„Seht sie euch an!“ schrie Tuan, und die Meute verstummte. „Seht sie euch an, diese Verräter, die ihr eure Herren nanntet. Seht sie euch an, diese Verräter und Diebe, die euch all die Freiheit nahmen, die ich für euch errungen hatte!“ Tom grinste. Seine Augen, die er auf den jungen Lord gerichtet hatten, glühten, und er wiegte sich leicht im Takt zu dessen Worten. Wahrhaftig, der Junge schien gewachsen zu sein. „Wurdet ihr nicht herrenlos geboren?“ brüllte Tuan. „Ja!“ brüllte die Menge einstimmig zurück.

„Ihr wurdet frei geboren! Gewiß, in die Freiheit der Ausgestoßenen und der Armut, aber frei vom Joch der Knechtschaft!“

„Ja! Ja!“

„Habe ich euch diese Freiheit geraubt?“

„Nein! Nein!“

Ein Buckliger mit einer Binde über einem Auge schrie: „Nein, Tuan! Ihr habt uns mehr gegeben!“

Die Menge tobte. Tuan verschränkte die Arme wieder und ließ grinsend dem Jubel ungehindert seinen Lauf. Als er seinen Höhepunkt erreichte, warf er erneut die Arme hoch.

„Mußtet ihr für eine Liebesnacht erst meine Erlaubnis einholen?“

„Nein!“ brüllten sie.

„Und ich werde euch auch da weiterhin eure Freiheit lassen!“

Sie jubelten. Tuan grinste und verbeugte sich fast scheu. Doch dann beugte er sich vor, die Hände geballt, und rief mit finsterer Stimme: „Aber als ich heute in dieses Haus zurückkam, mußte ich feststellen, daß ihr euch alles, was ich euch gab, von diesen gemeinen Schurken habt stehlen lassen!“

Die Meute tobte.

Tuan zuckte mit der Linken. Tom ließ die Trommel heftig dröhnen. Alle verstummten.

„Mehr noch, ließt ihr euch von ihnen nehmen: Das Recht, mit dem ihr geboren ward — die Freiheit der Liebe!“

Eingeschüchtert von seinem Ton und der erneut aufdröhnenden Trommel wichen die Anwesenden zurück.

„Und ihr wollt Männer sein!“ Tuan lachte rauh und verächtlich.

Ein neues Gemurmel erhob sich und wurde zu verständlichen Worten: „Wir sind Männer! Ja, wir sind Männer! Männer!“

„Ja, Tuan!“ schrie der einäugige Bucklige. „Gebt uns diese baumelnden Halunken, die uns beraubten, dann beweisen wir Euch, daß wir Männer sind. Wir werden ihnen lebenden Leibes

die Haut abziehen, sie in Stücke zerreißen, selbst die Knochen werden wir ihnen zersplittern!“

Die Meute heulte vor Blutlust.

Tuan richtete sich hoch auf und lächelte grimmig. Das Heulen wurde zu einem verlegenen Brummen, aus dem Schuldbewußtsein sprach und erstarb.

„Das nennt ihr Mannestum?“ sagte Tuan fast leise. „Nein!

Schweißhunde sind besser als ihr!“

Erneut breitete sich ein Gemurmel aus, das lauter und wütender wurde.

„Vorsichtig, Tuan!“ mahnte Rod flüsternd. „Wenn Ihr so weiter macht, werden sie uns in Stücke reißen.“

„Keine Angst“, erwiderte Tuan genauso leise, ohne die Augen von dem Mob zu nehmen. „Es muß erst richtig eindringen.“

Immer lauter wurde das Murmeln. Hier und da hob einer wütend die Faust und drohte Tuan.

Tuan warf die Arme hoch und rief: „Aber ich weiß, daß ihr Männer seid! Gewiß, es gibt solche, die mir widersprechen würden, aber ich glaube an euch. Wollt ihr beweisen, daß ihr wahrhaftig Männer seid?“

„Ja!“ brüllte die Menge. „Ja! Ja!“

„Wollt ihr kämpfen?“ rief Tuan und schüttelte die Faust.

„Ja!“ Blutdürstig drängte die Meute sich wieder näher.

„Ihr wurdet in Schmutz und Elend geboren, zu harter, rückenkrümmender Arbeit! Zu leeren Bäuchen und ohne ein Dach über euren Köpfen, richtig?“

„Ja! Ja!“

„Wer füllte euch die Bäuche? Wer gab euch mit die sem Haus ein Dach über eure Köpfe?“

„Ihr, Tuan!“

„Ja, ich holte euch aus eurem Elend. Aber wer war schon vor eurer Geburt an an diesem Elend schuld? Wer hat euch Jahrhundert um Jahrhundert tiefer in den Schmutz getreten?“

„Die Edlen!“ brüllte der Bucklige. Sofort griffen die anderen es

auf. „Die Edlen! Die Edlen!“

Rod wand sich unter dem Haß, den sie in dieses Wort steckten.

„Ja, die Edlen!“ bestätigte Tuan und ließ die Meute kurz toben, ehe er weitersprach. „Aber wer unter all den Hochgeborenen ergriff eure Seite? Wer gab euch zu essen, wenn ihr gehungert habt? Wer hörte euch an? Wer schickte Richter aus, um euch Gerechtigkeit zu bringen, statt der Willkür der Edlen?“

„Die Königin!“ rief er.

„Die Königin!“ echoten sie.

„Sie verschloß den Edlen ihr Ohr, um euch hören zu können!“

„Ja!“

„Aber sie hat Euch verbannt, Euch, unseren Tuan Loguire!“

schrie der Bucklige.

Tuan lächelte. „Hat sie das wirklich? Oder hat sie mich zu euch gesandt, um unter euch zu leben und Gutes zu tun?“ Er warf die Arme wieder hoch, und sie brüllten begeistert.

„Die Königin hat euch euer Geburtsrecht wiedergegeben!“

„Ja!“

„Seid ihr Männer?“

„Ja! Ja!“

„Werdet ihr kämpfen?“

„Ja!“

„Gegen die Edlen für eure Königin?“

„Ja! Ja!“

Immer lauter wurde das Brüllen. Die Bettler begannen herumzuhüpfen, die Männer griffen nach den Frauen unter ihnen und wirbelten sie herum.

„Habt ihr Waffen?“ brüllte Tuan.

„Ja!“ Dolche stießen glänzend in die Höhe.

„Dann stürmt aus dem Haus und durch das Südtor der Stadt.

Die Königin wird euch Proviant und Zelte geben! Dann setzt euch in Marsch zum Bredenfeld und wartet dort auf die Edlen!

Und jetzt geht! Geht! Für die Königin!“

„Für die Königin!“

Tuan schnippte mit den Fingern. Die Trommel dröhnte.

„Signal! Gallowglass!“

Rod legte das Horn an die Lippen und schmetterte das Signal.

Die Menge verteilte sich auf die Zimmer und Schlafräume, wo sie ihre Waffen und Beuteln holte.

„Geschafft!“ Tuan sprang von der Brüstung auf die Galerie. „In zwei Tagen haben sie das Bredenfeld erreicht!“ Er grinste und schlug Tom auf die Schulter. „Wir haben es geschafft, Tom!“

„Puh!“ keuchte Tuan, als Tom ihn wieder losließ. Er wandte sich an Rod. „Geht Ihr, Freund Gallowglass, zur Königin, damit sie ihren Soldaten die nötigen Befehle erteilt. Ersucht sie, Fleisch, Brot, Bier und Zelte an die Bettler verteilen zu lassen. Und seht zu, daß diese Halunken in die Verliese der Königin geworfen werden.“ Er deutete auf die vier Baumelnden. „Lebt wohl!“ Und schon sprang er die Stufen hinunter.

„Heh, wartet!“ brüllte Rod ihm nach. „Was habt Ihr vor?“

„Ich muß meine Leute zum Bredenfeld begleiten“, rief Tuan zurück, „sonst plündern sie unterwegs alles kahl wie die Heuschrecken und bringen sich bei der Verteilung der Beute auch noch um. Versichert Catherine meiner…“ Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „… Loyalität.“

Und schon rannte er dem Mob voran, der aus dem Tor quoll.

Rod und Tom tauschten einen Blick aus, dann eilten sie zum flachen Dach hoch, von wo aus sie die singende Meute beobachteten, die Tuan folgte.

„Glaubst du, er braucht Hilfe?“ murmelte Rod.

Tom starrte ihn erstaunt an. „Er, Herr? Nein, wohl eher, die, die sich gegen ihn stellen wollen, mit dieser Armee in seinem Rücken.“

„Aber er ist nur einer, Tom! Einer, der zweitausend körperliche und seelische Krüppel führt!“

„Zweifelt Ihr jetzt noch an seinen Kräften, Meister? Nach

allem, was Ihr hier gesehen und gehört habt?“

„Nein.“ Rod schüttelte den Kopf. „Es gibt mehr Hexerei in diesem Land, als ich ahnte, Tom.“

„Weckt die Königin und sagt ihr, wir warten im Audienzsaal“, befahl Brom der eilig geweckten Leibmagd. „Schnell!“

Er schlug die Tür zu und drehte sich zum Kamin um, wo Rod mit Toby saß, der mit nur einer Stunde Schlaf nach einer sehr ausgedehnten Hexenparty die Augen kaum offenzuhalten vermochte.

„Natürlich“, murmelte er mit dicker Stimme, „wollen wir der Königin auf jede uns mögliche Weise helfen, aber was könnten wir in einer Schlacht schon nutzen?“

„Überlaß das mir.“ Rod lächelte. „Ich werde etwas für euch zu tun finden. Du sorgst inzwischen dafür, daß die Hexen der Königin sich auf dem Bredenfeld einfinden, sagen wir in…

Was meinst du, Brom O'Berin?“

„In drei Tagen. Wir brechen bei Morgengrauen auf und marschieren etwa drei Tage.“

Toby nickte. „Wir werden dort sein, meine Herren. Und nun, wenn Ihr mich entschuldigen würdet?“ Er erhob sich, sank jedoch mit einem leisen Aufschrei auf den Stuhl zurück und preßte die Hände an den Kopf.

„Langsam, langsam, Junge. Ist wohl dein erster Kater?“

„O nein.“ Toby blickte Rod mit rotunterlaufenen Augen an.

„Aber es ist das erstemal, daß ich wach bin, wenn der Rausch sich zum Kater wandelt. Entschuldigt…“

Die Luft brauste in ihren Ohren, als sie den Raum einnahm, wo Toby sich gerade noch befunden hatte. Rod sah Brom kopfschüttelnd an. „Diese Teleporter!“

Der Zwerg runzelte die Stirn. „Tele-was?“

„Uh…“ Rod fluchte insgeheim über seinen Ausrutscher. „Ich nehme an, er ist wieder in sein Bett zurückgekehrt. Er kann also hier verschwinden und dort wieder erscheinen.“

„Ja, so schnell wie der Gedanke.“

Rod nickte. „Das wußte ich, Und gerade das kann uns von Nutzen sein.“

„Was hast du mit ihnen vor, Rod Gallowglass?“

„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht lasse ich sie Federn in die Rüstungen der Ritter aus dem Süden zaubern. Dann sterben sie vor Lachen.“

„Du weißt also noch gar nicht, wozu du sie einsetzen willst und befiehlst sie trotzdem auf das Schlachtfeld?“

„Ja. Ich glaube, ein wenig Hexerei kann manchmal recht nützlich sein.“

„O ja.“ Brom lächelte verschmitzt. „Sie hat dir zweimal das Leben gerettet, nicht wahr?“

Rod starrte ihn an. „Sie? Wer, sie? Wen meinst du?“

„Gwendylon, wen sonst?“

„Du kennst sie? Ja, natürlich. Sie steht ja auf ziemlich gutem Fuß mit den Elfen, außerdem hat sie dich auch geholt, uns aus dem Verlies zu befreien.“

„Sag mir, liebst du sie?“ fragte Brom plötzlich ernst.

„Lieben? Was geht das dich an?“

Brom winkte ungeduldig ab. „Es geht mich etwas an, lassen wir es dabei bewenden. Liebst du sie?“

„Ich lasse es nicht dabei bewenden!“ Rod richtete sich in seiner Ehre gekränkt auf.

„Ich bin der Elfenkönig!“ schnaubte Brom. „Geht mich da nicht alles an, was die mächtigste Hexe in Gramayre betrifft?“

„Die mächtigste Hexe von Gramayre?“ echote Rod erschrocken.

Brom lächelte säuerlich. „Wußtest du das nicht? Also, gestehe jetzt: liebst du sie?“

„Nun — uh — ich — uh, ich weiß es nicht.“ Rod stützte den Kopf in beide Hände. „Ich meine — uh — es ist so plötzlich — ich…“

„Du mußt doch schließlich wissen, ob du sie liebst oder nicht!“

knurrte Brom ungeduldig. „Kennst du denn dein eigenes Herz nicht?“

„Nun, da ist die Aorta, die Pulmonalklappe, die…“

„Ich will wissen, ob du sie liebst!“ donnerte Brom.

„Woher soll ich es wissen!“ brüllte Rod genauso wütend zurück. „Frag doch mein Pferd!“

Ein zitternder Page steckte den Kopf durch die Tür. „Meine Lords, Ihre Majestät, die Königin!“

Rod und Brom wirbelten herum und verbeugten sich.

„Nun, Mylords“, sagte Catherine ungehalten und ließ sich beim Feuer nieder. „Welche wichtige Neuigkeit habt ihr, daß ihr mich so früh aus den Federn reißt?“

„Das Haus Clovis hat die Waffen ergriffen und marschiert südwärts“, informierte Rod sie.

Catherine schloß die Augen. „Der Himmel sei gepriesen!“

„Und Tuan Loguire!“ sagte Rod.

Sie starrte ihn an. „Ja, und Tuan Loguire“, echote sie widerstrebend.

„Ihr müßt sie mit Proviant versorgen, damit sie unterwegs nicht das Land plündern. Und ein Kurier sollte die Soldaten unterrichten, daß sie auf unserer Seite sind.“

„Ja, natürlich“, murmelte sie. Sie schaute in das Feuer. „Es ist seltsam, daß die, die am meisten gegen mich schrien, jetzt für mich kämpfen…“

Rod schaute sie mit einem ironischen Lächeln an.

„Tuan…“, flüsterte sie.

Brom räusperte sich. „Und ich habe heute nacht mit dem Elfenkönig gesprochen. Er stellt uns seine gesamten Legionen zur Verfügung.“

Sie war wieder ihr altes Selbst. „Elfenlegionen, Brom O'Berin?“ sagte sie säuerlich.

„Unterschätzt sie nicht.“ Rod rieb sich den Hinterkopf und dachte an den Hieb, den er dort abbekommen hatte, und an den eingefangenen Werwolf. „Und dazu haben wir auch noch Euren eigenen Hexenzirkel…“

„Und die mächtigste Hexe von ganz Gramayre“, brummte Brom.

„Ja, und sie alle sind bereit, dem einzigen Herrscher der Geschichte, der Hexen je schützte, zu helfen.“

Catherines Augen glänzten und schienen in weite Ferne zu blicken. „Wir werden siegen“, flüsterte sie. „Wir werden siegen.“

„Nun, mit allem Respekt, Eure Majestät, aber bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen. Sagen wir, wir haben eine gute Chance.“

Das Bredenfeld war ein Delta, offen im Süden, aber im Norden durch die Mündung von zwei Flüssen geschlossen. Ein Dickicht von Büschen und Bäumen, entlang der beiden Flußufer, begrenzte das Feld, das mit hohem Gras und Lavendel überwuchert war. Doch davon war jetzt wenig zu sehen, denn dichter Nebel hing bis auf den Boden.

Tuan, der die Hände am Lagerfeuer wärmte, murmelte düster: „Dieses Wetter schlägt sich auf das Gemüt der Truppen.“

Rod hob eine Braue und lauschte der lauten Lustbarkeit, die von der Abteilung der Bettler zu ihm drang. Auch die Hexen waren mehr als vergnügt, denn sie hatten des Wetters wegen mit ihrer üblichen Party schon gegen Mittag begonnen.

„Hm“, brummte er. „Hört sich gar nicht so an. Aber macht Euch keine Sorgen, Tuan, die Präkog… uh — Hexen meinen, es würde morgen ein herrlicher, sonniger Tag.“

„St. Georg sei gepriesen, daß wir nicht vorher kämpfen müssen.“ Tuan hüllte sich fröstelnd enger in seinen Umhang.

Broms Miniaturspione hatten gemeldet, daß die Südtruppen sich noch einen halben Tagesritt entfernt befanden. Catherine war mit Brom und ihrer Armee gestern abend angekommen, und die Bettler ruhten sich bereits einen ganzen Tag aus und waren kaum noch zurückzuhalten, dem Feind entgegenzumarschieren. Tuan mußte seine ganze Autorität aufbieten, sie zu bremsen.

„Ich sehe eigentlich nicht ein“, sagte Rod und zupfte an seiner

Lippe, „weshalb wir bis morgen warten sollten. Wir könnten ihnen doch während der Nacht einen Hinterhalt stellen, solange sie ihre Truppen zusammenziehen.“

„Ein Nachtangriff!“ rief Tuan sichtlich erschrocken.

„Warum nicht?“ Sie werden müde vom langen Marsch sein, und wissen nicht, wo wir uns befinden. Wir hätten eine viel größere Chance, zu siegen.“

„Ja, genau wie man eine größere Chance hat, einen Mann zu töten, wenn man ihn erschlägt, während er auf dem Boden liegt!“

Rod seufzte. „Ich dachte, das Wichtigste bei einem Kampf ist, zu gewinnen?“

„Ja, aber nicht mit solch gemeinen Mitteln. Wer würde einer Königin treu bleiben, die ihre Macht auf solche Weise aufrechterhält?“

Das war der Kern der Sache, mußte Rod zugeben. Prestige war auf Gramayre alles, und Ehre war der Eckstein des Prestiges.

„Ihr müßt wissen, was Ihr tut“, sagte er seufzend. „Schließlich seid Ihr derjenige, der mit Menschen umzugehen versteht.“

Tuan lächelte traurig und schüttelte den Kopf. „Freund Rod, ich habe kein Geschick im Regieren.“

Rod gestattete sich eine skeptische Miene. „Vielleicht nicht, aber Ihr seid ein verdammt guter Führer.“

„Ho!“ polterte eine Stimme. Rod drehte sich um und schaute der mächtigen Gestalt entgegen, die sich aus dem Nebel löste.

„Alle glücklich da drüben?“

„Und wie, Meister. Sie haben ihr ganzes Leben nie solchen Wein getrunken oder soviel davon“, versicherte ihm Tom.

„Hmmm.“ Rod zupfte an der Lippe. „Roll die Fässer lieber bald weg. Wir können sie so kurz vor der Schlacht nicht betrunken brauchen!“

„Nein!“ widersprach Tuan fast automatisch, wie Rod bemerkte.

„Laß sie trinken, soviel sie wollen, dann schlafen sie eher ein.

Am frühen Morgen wecken wir sie, geben jedem einen Krug voll oder auch zwei — dann kämpfen sie wie die Teufel.“

Rod mußte zugeben, daß Tuan damit nicht unrecht hatte.

Feinheiten oder Taktik verlangten sie ja von den Bettlern nicht, Hauptsache, sie fielen über den Feind her.

Vereinzelte Leuchtpunkte, die Wachfeuer der königlichen Streitkräfte, spitzten durch den nächtlichen Nebel. Weitere Lichtpunkte näherten sich aus dem Süden, wo die Edlen und ihre Ratgeber ihre Truppen heranführten. Von der Nordwiese war rauhes Gelächter, zungenschwere Wortfetzen und dumpfe Musik zu hören. Die Bettler befolgten dort erfreut den Befehl, sich so schnell vollaufen zu lassen, wie nur möglich. Aber mißbilligendes Schweigen herrschte auf dem Hang jenseits des Flusses, wo Catherines Soldaten nüchtern unter ihre Decken krochen.

Nur in Catherines Zelt fand dieses Schweigen keinen Einlaß.

„Nein und nochmals nein!“ rief die Königin und stapfte wütend auf und ab. Abrupt blieb sie stehen. „Ich will keine Widersprüche mehr hören! Ich reite morgen früh an der Spitze meiner Armee, basta!“

Rod und Brom tauschten Blicke. Tuans Gesicht war tief rot vor Ärger, Ohnmacht und Sorge.

„Und nun laßt mich allein!“ befahl Catherine.

Widerstrebend zogen die Männer sich mit einer Verbeugung zurück. Außerhalb des Zeltes knurrte Brom: „Sie läßt sich einfach nichts sagen und muß ihren Kopf durchsetzen. Uns dreien bleibt nichts übrig, als sie zu beschützen und den Schlachtplan Sir Maris zu überlassen.“

„Der sicherste Weg zur Niederlage!“ brummte Rod. „Seine Vorstellung von einer Schlachtaufstellung ist so überholt wie die Phalanx.“

Brom seufzte und rieb sich die Augen. „Aber wie ich sagte, ich werde notfalls an ihrer Seite sterben. Doch vielleicht bleiben wir am Leben, denn ich habe einen kleinen Plan“

Er stapfte in die Dunkelheit, ehe sie ihn danach befragen konnten, woraus Rod schloß, daß dieser „Plan“ lediglich daraus bestand, ihm und Tuan allein durch seine Erwähnung Mut zu machen.

„Wir werden bei ihrer Verteidigung sterben“, flüsterte Tuan bleich und abgespannt. „Aber wenn wir nicht mehr sind, wird auch sie sterben, und das möchte ich nicht.“ Hoffnungslos hob er die Hände. „Aber was kann ich tun?“

„Nun…“ Rod spitzte die Lippen und schaute über die Schulter auf das beleuchtete Zelt. „Ich wüßte einen sicheren Weg, daß sie morgen nicht reitet…“

Tuans Gesicht leuchtete auf. „Sprecht, so sprecht!“

„Seht zu, daß sie am Morgen nicht sitzen kann.“

Tuan starrte ihn an. Langsam röteten sich seine Wangen, um gleich wieder zu erblassen. Bebend stammelte er: „Wa-as — was meint — Ihr damit?“ Seine Stimme klang drohend. Er hob eine zitternde Faust.

Rod betrachtete ihn stirnrunzelnd. „Versohlt sie! Versohlt sie so ausgiebig, daß sie bis nächsten Sonntag auf dem Bauch liegen muß. Anders läßt es sich nicht machen.“

Tuan ließ die Faust fallen. Farbe kehrte in sein Gesicht zurück.

„Oh“, murmelte er und wandte sich ab. „Hm, es würde vielleicht gar nicht schaden.“

„Es gibt nur diese eine Möglichkeit, wenn Ihr nicht wollt, daß sie stirbt.“

Tuan nickte. Energisch drehte er sich zum Zelt der Königin um, und straffte die Schultern. „Dann werde ich es tun.

Verzeiht meinen Ärger, Freund Gallowglass, aber einen Moment dachte ich, Ihr meintet — etwas anderes.“

Tief Luft holend setzte er sich in Bewegung. Am Zelteingang hielt er kurz an, nickte den Wachen zu, straffte erneut die Schultern und stapfte hinein.

Rod grinste und machte sich zum Lager der Hexen auf den Weg. Gwendylon materialisierte im wahrsten Sinne des Wortes aus der Dunkelheit. Sie lächelte scheu. „Worüber amüsiert Ihr Euch so, Mylord?“

Rod grinste noch breiter, faßte sie um die Mitte und schwang sie hoch zu einem sehr ausgedehnten Kuß.

„Mein Lord!“ Sie errötete und strich ihr Haar zurück.

Die Nachtluft trug ein plötzliches klatschendes Geräusch zu ihnen, das von Kreischen und Schreien begleitet wurde.

Die Wachen am Zelt zuckten hoch, dann drehten sie sich dem Eingang zu. Eine streckte die Hand aus, um die Lasche zurückzuziehen, aber die andere hielt sie zurück und rief: „Benötigt Eure Majestät Hilfe?“

„Draußenbleiben!“ schrie eine schmerzverzerrte Stimme. „Bei eurem Leben! Wagt es nicht, einzutreten!“

Die Wachen wechselten verwirrte Blicke, zuckten die Schultern und stapften zu ihren Posten zurück, allerdings nicht, ohne nervös über die Schulter zu schauen.

Die Schreie klangen gedämpfter und wurden zu Schluchzen.

Die klatschenden Laute verstummten völlig. Und dann war alles still.

Rod blickte zu Gwen hinunter. „Worüber amüsierst du dich jetzt?“

Sie widmete ihm einen Blick aus den Augenwinkeln. „Ich sagte Euch doch, Mylord, daß ich alle Gedanken, außer Euren hören kann.“

„Und?“

„Nun, ich höre sehr gute Gedanken aus dem Zelt.“

Die Lichter im Zelt erloschen.

Gwendylon kicherte und drehte sich um. „Kommt, mein Lord.

Es wäre unpassend, noch weiter zu lauschen. Auch müßt Ihr heute nacht früh zu Bett.“

„Wach auf, Rod Gallowglass!“ Etwas zerrte an seiner Schulter.

Rod knurrte und plagte sich, die Lider zu heben. „Was zum Teufel…“ Er hielt inne, als er Brom erkannte.

„Zieh dich an und komm mit“, brummte der Zwerg.

„Ich schlafe gewöhnlich in der Nacht vor einer Schlacht nicht

nackt.“ Vorsichtig erhob Rod sich, um Gwendylon nicht zu wecken. Zärtlich blickte er zu ihr hinab und drückte einen sanften Kuß auf ihre Wange. Sie murmelte etwas im Schlaf und lächelte.

Rods Züge verhärteten sich, als er Brom folgte, der bereits durch den vormorgendlichen Nebel stapfte und ihm barsch zuwinkte.

„Also, was ist passiert?“ knurrte Rod, als er Brom einholte.

„Sei jetzt still!“ schnaubte der Zwerg und öffnete den Mund nicht mehr, bis sie den Hügel hoch über den Zelten erklommen hatten. Erst da drehte er sich wild zu Rod herum und fuhr ihn an. „Sag es mir endlich! Liebst du sie?“

Verblüfft, aber völlig ruhig sagte Rod: „Du hast mich aufgeweckt, nur um mich das zu fragen?“

„Es ist wichtig für mich!“ donnerte Brom. „Liebst du sie?“

Rod verschränkte die Arme. „Was, zum Teufel, geht das dich an?“

Brom schaute weg. Seine Kiefer knirschten, und als er endlich sprach, war es, als würde ihm jedes Wort entrissen.

„Sie ist meine Tochter, Rod Gallowglass!“

Er blickte zu Rods entgeistertem Gesicht hoch, und ein spöttischer Zug huschte über seine Miene. „Es fällt dir wohl schwer, das zu glauben, eh?“ Er drehte sich um und blickte über das Tal. Mit der Erinnerung wurde seine Stimme weich und nachdenklich.

„Sie war nur eine Küchenmagd in der Burg des Königs, Rod Gallowglass — aber ich liebte sie. Klein war sie, nicht viel mehr als halb so groß wie andere Frauen, und doch einen Kopf größer als ich. Und sterblich, viel zu sterblich.

Und schön war sie, so schön! Auch wenn es seltsam erscheinen mag, obwohl sie so klein war, begehrten viele Männer am Hof sie. Doch sie liebte mich…“ Seine Stimme klang verwundert und fast ehrfürchtig. „Sie als einzige von allen lebenden Frauen, ob Elfe oder Sterbliche, sah mich nicht als Zwerg,

Troll, Elf oder König — nur als Mann. Und sie begehrte mich — und liebte mich…“

Er seufzte. „Ich liebte sie, Rod Gallowglass, ich liebte nur sie, und wir hatten ein Kind zusammen.“

Sein Gesicht verdunkelte sich. Er faltete die Finger hinter seinem Rücken und starrte finster auf den Boden. „Als sie wußte, daß sie schwanger war, und die Zeit verging und ihr Leib bald so angeschwollen sein würde, daß jeder es erkennen und sie mit grausamen Schmerzen quälen würde, obgleich wir verheiratet waren, schickte ich sie in den Wald zu meinem Volk. Mit Elfen und Gnomen als Hebamme gebar sie ein wunderschönes, lächelndes Kind, ein Halbelflein.“

Seine Augen glänzten feucht, als er fortfuhr: „Sie starb. Als ihre Tochter zwei Jahre alt war, starb sie an einem Fieber. Wir begruben sie unter einem Baum im Wald. Jedes Jahr besuche ich ihr Grab…“

Er hob den Blick zu Rod. „Aber ich hatte noch das Kind. Doch was sollte ich mit der Kleinen tun? Sie selbst aufziehen und wissen lassen, daß ihr Vater ein knorriger Zwerg ist, und sie so dem Spott der Menschen aussetzen, bis sie mich verabscheute?

Nein, sie wuchs im Wald auf, beschützt von den Elfen. Sie kannte das Grab ihrer Mutter, doch von ihrem Vater weiß sie auch jetzt nichts.“

Rod öffnete den Mund, aber Brom wehrte ihn ab. „Sei still! Es war und ist besser so. Und wenn sie es je von dir erfährt, Rod Gallowglass, dann reiß ich dir die Zunge an der Wurzel aus und säble dir beide Ohren ab!“

Mit steinernem Gesicht musterte Rod ihn, aber er wußte nicht, was er sagen sollte.

„Und deshalb wirst du es mir jetzt sagen!“ Brom stemmte die Fäuste in die Hüften und hob das Kinn. „Wisse, daß ich halbmenschlich bin und darum getötet werden kann — und es könnte leicht sein, daß ich heute noch sterbe!“ Seine Stimme wurde leiser. „Also, sag einem armen, besorgten Vater: liebst du sein Kind?“

„Ja“, antwortete Rod leise. Und dann: „Also war es kein Zufall, daß ich ihr auf meinem Ritt in den Süden begegnete?“

Brom lächelte säuerlich. „Natürlich nicht!“

Der Himmel färbte sich mit dem ersten Rot des Morgens, und der Nebel löste sich auf, als Rod in das Lager der Bettler ritt, um sie zu wecken. Aber Tuan war schon vor ihm dort. Er schüttelte jeden einzeln wach. Soldaten mit einer Riesenkanne Glühwein begleiteten ihn und drückten jedem einen Becher der dampfenden Flüssigkeit in die Hand.

Tuan blickte hoch, sah Rod und kam mit ausge streckten Armen und einem breiten Grinsen auf ihn zu. Er schlug ihm auf die Schulter und zerquetschte ihm fast die Hand. Eine tiefe, überströmende Zufriedenheit sprach aus seinen Augen.

„Meinen Dank, Freund Rod“, sagte er. „Wollt Ihr mein Leben?

Ihr dürft es haben! So tief stehe ich in Eurer Schuld!“

Tuan schien im Bettlerlager alles gut im Griff zu haben, also lenkte Rod Gekab zu den Reihen der Hexen. Auch hier war alles in bester Ordnung. Die Körbe mit Gurten standen bereit, und der Morgentrunk wurde ausgeschenkt. Es war ein starkes Getränk, eine Art Teekonzentrat mit ein wenig Weinbrand. Es erfüllte seinen Zweck als Stimulanz, indem es die Hexenkräfte zur höchsten Wirkung brachte.

Die Elfen waren überall im ganzen Lager und verteilten Talismane und Amulette an alle, die sie haben wollten. Hexen oder nicht Hexen, argumentierten die Kleinen, es war nie falsch, sicherzugehen. Die Glücksbringer konnten nicht schaden, im Gegenteil, vielleicht…

Für Rod gab es im Augenblick nichts zu tun, also ritt er Gwendylon suchen. Er fand sie inmitten einer Gruppe Hexen, alter Hexen für gramayresche Begriffe, sie waren bestimmt schon alle in den Zwanzigern. Gwendylon schien ihnen etwas zu erklären. Mit ernster Miene kratzte sie mit einem Stock Zeichen in den Boden. Die anderen klebten an ihren Lippen,

als hinge von jeder Silbe ihr Leben ab. Es schien also nicht gerade der richtige Zeitpunkt, sie zu stören So wendete Rod und ritt aus dem Lager hinaus auf das Bredenfeld. Die ersten Sonnenstrahlen vertrieben die letzten Nebelschwaden. Das Gras war noch feucht und kalt vom Tau, der Himmel klar und blau. Am Südrand der weiten Ebene spiegelte die Sonne sich auf Speerspitzen und glänzenden Rüstungen. Der Wind trug metallisches Klirren, Wiehern und den dumpfen Lärm eines erwachenden Kriegslagers herbei. Auch die Ratgeber waren früh auf.

Hufgedröhn erschallte hinter Rod. Er drehte sich um. Ein Page kam über die Wiese auf ihn zugaloppiert. „Ihr müßt zur Königin kommen, Meister Gallowglass!“ rief er atemlos. „Lord O'Berin und die Lords Loguire sind bereits bei ihr!“ Der Kriegsrat war schnell vorbei. Er war nichts weiter als eine kurze Summierung bereits besprochener Pläne, ein kurzes Gebet, und die Erklärung Catherines, doch nicht mit ihren Soldaten zum Sturm zu reiten. Rod war aufgefallen, daß sie während der ganzen Sitzung, so paradox es auch klang, gestanden hatte.

Und dann begaben sich alle auf ihre Posten. Sir Maris in der Mitte, Herzog Loguire an der rechten Flanke, und Rod an der linken. Brom würde mit Catherine und Gwendylon auf der Hügelkuppe bleiben, um die gesamte Schlacht zu leiten — ein Vorschlag Rods, den Brom ohne Vorbehalt angenommen hatte. Der Zwerg war zwar ein gewaltiger Kämpfer, aber seine Beine waren nicht lang genug, sich beim Gefecht im Sattel zu halten. Tom, dem man die Wahl gelassen hatte, mit den Bettlern oder an Rods Seite zu kämpfen, entschied sich für letzteres, vermutlich, weil er mitten im Schlachtgetümmeln sein wollte. Tuan blieb natürlich bei seinen Bettlern.

Als Tuan sich in den Sattel schwang, hielt Catherine ihn mit einer Hand auf seinem Knie zurück. Rod sah, daß sie ein Stück Seidenschleier um Tuans Oberarm band. Dann hob sie fast

flehend die Hände zu ihm. Tuan griff nach ihnen, drückte sie an die Lippen, dann beugte er sich hinab, um das Mädchen auf den Mund zu küssen. Die Königin blickte ihm nach, als er zu seiner zerlumpten Armee ritt. Rod warf noch einen letzten Blick auf Gwendylon, die neben dem Zelt der Königin stand, dann trabte er zur linken Flanke. Er war der einzige Reiter, der ohne Brustpanzer in den Kampf zog.

Plattenpanzer, wie er im vierzehnten Jahrhundert auf der Erde üblich gewesen war, war zu beiden Seiten des Feldes zu finden, aber die Streitkräfte des Südens waren zu einem dichten, schimmernden Wall formiert, während Catherines Ritter in einem Abstand von jeweils zwanzig Metern über die ganze Länge der Feindlinie verteilt waren.

Aber es gibt ein paar Lücken, dachte Rod. Und die einzelne Reihe Fußsoldaten hinter den Rittern der Königin war ein wenig mager, verglichen mit der dichtgeballten Masse hinter den Rebellenlords. Nein, es war wirklich kein sehr hoffnungerweckender Anblick. Doch es gab noch die Bettler, die Hexen und die Elfen — von diesen drei Gruppen war nichts zu sehen.

Die Rebellen würden einige sehr unangenehme Überraschungen erleben!

Am Südende des Feldes erschallte ein Horn. Die Rebellenritter legten ihre Lanzen ein. Die Ritter der Königin taten es ihnen gleich. Die Pferde schössen vorwärts. Das Hufgedröhn wurde zum Donnern einer Lawine, als die beiden Metallreihen sich einander näherten. Und als sie sich fast erreicht hatten, zog die Nordreihe sich zusammen, bis die Ritter Schulter an Schulter in der Mitte ritten.

Jubelrufe erschallten aus den Rebellenreihen, als sie den leichten Sieg vorhersahen, denn es war ein Kinderspiel für die Flanken der Rebellen, um die Nordlinie zu fegen und so die Streitkräfte der Königin in die Zange zu nehmen.

Die Ritter der Königin stießen mit einem metallischen Krachen auf das Zentrum der Rebellenlinien. Reiter stürzten von den Pferden, Blut spritzte, aber die Mitte der Linie hielt.

Mit siegessicherem Gebrüll schwangen die Rebellen nach beiden Seiten, um die Nordtruppen in die Zange zu nehmen…

Aber ihr Siegesgebrüll wurde zu wilden Schreckens schreien, als der Boden unter den Hufen ihrer Pferde nachgab und sie mitsamt Reiter in einem zwei Meter tiefen Graben landeten.

Die Elfen hatten gute Nachtarbeit geleistet.

Die Fußsoldaten kamen zur Rettung ihrer Lords herbeigerannt, doch nun brachen die Bettler mit einem Kriegsgeheul zwischen den Bäumen an den Seiten des Feindes herbei. Sie schwangen Dolche, Schwerter und Keulen und fielen voll Begeisterung über die Soldaten her.

Doch immer noch war der Feind zahlenmäßig stärker.

Nur traten jetzt die Luftstreitkräfte in Aktion. Gruppen von jeweils vier levitierenden Hexern, denen gerade der erste Bart sproß, trugen einen Korb, in dem eine telekinetische Hexe saß.

Die jugendlichen Hexer schössen aufs Geratewohl Pfeile in die feindlichen Linien. Sie hatten ihre Hände dazu frei, denn der Korb wurde von Ledergurten um ihre Mitte gehalten. Steine flogen aus den Körben, von den Hexern so gelenkt, daß sie mit mehr als betäubender Wirkung ihr Ziel trafen. Aus den Reihen der Südtruppen schwirrten Pfeile zu ihnen hoch, aber die Hexen lenkten sie ab und manchmal gelang es ihnen auch, sie zu ihren Absendern zurückzuschicken.

Die geordnete Schlacht wurde zum chaotischen Handgemenge.

Aber die Südritter hatten immer noch mehr als alle Hände voll zu tun. Der Ehrenkodex verlangte, daß nur ein Ritter gegen einen Ritter kämpfte. Ein Fußsoldat konnte, nur weil er es versuchte, zum Tod verurteilt werden, und der Himmel mochte ihm gnädig sein, wenn er es nicht nur versuchte, sondern einen Ritter garbesiegte!

Catherines Ritter kämpften sich ihren Weg vom Zentrum der Rebellenlinien nach außen. Viele verloren ihr Leben dabei, aber der Prozentsatz der Verluste in den Rebellenreihen war höher, denn Catherine, genau wie ihr Vater vor ihr, hatte es für richtig gehalten, es ihren Rittern bei der Ausbildung an nichts fehlen zu lassen.

Toby, der junge Hexer, tauchte plötzlich in der Luft über Rod auf. „Master Gallowglass! Herzog Loguire ist in arger Bedrängnis! Ihr müßt ihm zu Hilfe kommen!“ Er war so schnell verschwunden, wie er erschienen war. Das war vielleicht nicht die beste Art der Nachrichtenübermittlung, aber jedenfalls besser als die der Rebellen.

Rod erledigte seinen augenblicklichen Gegner mit der linken Hand und lenkte Gekab aus dem Handgemenge. Er ritt zum anderen Ende der Linie, wo eine dürre Gestalt in Panzerrüstung sich mit einem glühenden Schwert einen Weg durch die Truppen zu Lord Loguire gebahnt hatte. Einer der Ratgeber versuchte also, den Sieg herbeizuführen, indem er die Führerschaft eliminierte. Ein merkwürdiges Strahlen ging von dem Schwert aus. Rod wußte nicht, was es war, aber es war zweifellos etwas ungemein Wirkungsvolles, das hier als Schwert getarnt war.

Mitten durch das blutige Gemetzel zwischen Bettlern und Soldaten kämpfte er sich hindurch. Loguire konnte gerade noch den Schild hochstoßen, um das Strahlenschwert abzuwehren.

Der Hieb durchtrennte lautlos den Schild, verfehlte jedoch glücklicherweise das Herz. Der alte Lord schrie schmerzerfüllt auf, als die Hitze durch Schild und Panzerrüstung drang und seine Haut ansengte.

Diesen Augenblick nutzte der Ratgeber. Er schwang sein Schwert zum tödlichen Hieb.

Gekab rannte mit voller Kraft gegen das Tier des Ratgebers.

Das Roß ging zu Boden, der ausgemergelte Kleine flog erschrocken aufbrüllend durch die Luft, und das Schwert entglitt seinen Fingern.

Die Soldaten sprangen der glühenden Waffe furcht erfüllt aus dem Weg, während Rod herumwirbelte und den Ratgeber von Gekabs Hufen töten ließ. Der Bursche stieß einen schnell ersterbenden Schrei aus, der in Rods Schädel nachhallte. Nun meldete sein Gewissen sich doch, aber er beschloß, zumindest bis zum Ende der Schlacht nicht darauf zu achten. Als er die Soldaten ängstlich „Hexerei!“ rufen hörte, drehte er sich zu ihnen um. „Nein, nur Magie!“ beruhigte er sie, schwang sich aus dem Sattel, griff nach dem glühenden Schwert, und saß eilig wieder auf. Er warf die Klinge mit dem Griff voraus Loguire zu, der sie mit einer Dankesbezeigung auffing. Rod kehrte zu seiner Linie zurück, während ringsum die Schlacht heftig tobte und die Esper/Hexen sich in der Luft zurückzogen, denn es war nun so gut wie unmöglich, den Feind zu treffen, ohne den Freund in Mitleidenschaft zu bringen. Die Bettler waren mit ihrer Kampfweise und Skrupellosigkeit den Soldaten weit überlegen. Gewiß, auch von ihnen fanden viele den Tod, doch nicht ohne zumindest fünf oder sechs der Feinde ins Jenseits befördert zu haben.

Rod wollte sich gerade nach Tom umsehen, als er ihn hinter den Rebellenlinien brüllen hörte: „Zu mir! Zu mir!“ Zumindest tausend der Bettler hörten seinen Ruf und hieben sich einen Weg durch die Reihen der Südtruppen, und unterwegs schlössen sich ihnen immer mehr ihresgleichen an. Tom hatte ein ganz bestimmtes Ziel. Mitten im Zentrum der Schlacht arbeiteten zwanzig Vogelscheuchen von Männchen verzweifelt daran, eine Maschine aufzubauen. Rod klopfte mit den Fersen gegen Gekabs Seiten, und der Roboter sprang, aber er reagierte ein wenig langsamer als üblich. Der Streß der Schlacht machte sich offenbar bei ihm bereits bemerkbar. Das eiserne Pferd sprang über die Kämpfenden hinweg zu der Ratgebergruppe um die Maschine, als auch Tom bereits, allerdings nur noch mit einem Bruchteil seiner ursprünglichen Streitkräfte, dort ankam. Die Ratgeber heulten auf und zogen einen dichten Ring um die

Maschine. Die Wut der Verzweiflung leuchtete aus ihren Augen. Toms Trupp umzingelte sie und warf sich auf sie.

Die glühenden Schwerter der Vogelscheuchenmännchen waren tödlich, aber sie mußten ihr Ziel genau treffen, um etwas auszurichten. Die Bettler waren gut darin, schnell zuzuschlagen und zurückzuspringen. Außerdem waren sie in vierfacher Überzahl.

In der Mitte des Kreises sah Rod eine einsame Gestalt, die immer noch an der Maschine arbeitete — Durer! Als nur noch fünf seiner Genossen übrig waren, zog er mit einem Verzweiflungsschrei etwas aus seinem Gürtelbeutel. Eine Laserpistole!

Rod sprang aus dem Sattel, mit dem Eisenpferd als Deckung zwischen sich und den restlichen Ratgebern, und öffnete hastig ein verborgenes Fach in der Seite des Metallrappen, wo seine Waffe für alle Eventualitäten aufbewahrt war: die neueste Laserpistole des DDT. Um Gekabs Hals herum schoß er damit auf den Oberratgeber, streifte ihn jedoch nur am Bein. Durer umklammerte sein Knie und stürzte heulend zu Boden.

Tom brüllte, und nun schlugen seine Bettler die letzten der Vogelscheuchen mit ihren Eichenknüppeln nieder. Mit einem Triumphschrei hob Tom das glühende Schwert eines der Gefallenen auf.

Durer rollte sich auf das gute Knie und schoß. Der bleistiftdünne Strahl traf Tom in die Schulter. Der Riese drehte sich und fiel. Halb kriechend, halb springend näherte Durer sich ihm, um in bessere Schußposition zu kommen.

Rod zielte mit seiner Laserpistole auf den Ratgeber, verfehlte ihn jedoch knapp. Aufheulend suchte Durer hinter einem Gefallenen Deckung.

„Schnell!“ befahl Rod Gekab. „Ehe er noch einmal anlegen kann.“

Das Pferd sprang. Der Laserstrahl traf es in den Bauch — in den leeren Stahlbauch, wo es keinen Schaden anrichten konnte.

Aber der Roboter erstarrte mitten in der Luft und ließ den Kopf zwischen die Beine hängen. Hastig sprang Rod aus dem Sattel und schlug gleichzeitig mit Gekab auf dem Boden auf.

Rod rollte sich herum und sah Durer die Pistole auf ihn anlegen. Da warf Tom sich auf den Ratgeber. Beide stürzten zu Boden. Durers Pistole flog weit durch die Luft, aber auch Rod hatte seine beim Absprung verloren. Verzweifelt sah er sich nach ihr um.

Durer rollte sich zur Seite. Tom kam taumelnd auf die Beine.

Er torkelte Durer nach und griff nach dem Schwert eines der gefallenen Ratgeber — dabei stolperte er über eine Leiche.

Flink wie eine Katze war Durer hoch, packte das Schwert und hieb es herab…

Rod sprang. Seine Schulter traf Durer in den Bauch und warf ihn herum. Das Schwert landete, ohne Scha den anzurichten, im Gras. Durer stützte sich darauf und blieb dadurch auf den Füßen. Und schnell schwang er es wieder.

Rod rollte auf die Knie. Er sah das Schwert auf sich herabsausen.

Tom brüllte und stieß Rod zur Seite. Die glühende Klinge traf den Riesen. Sie trennte seine Schulter und ein Drittel seines Brustkorbs ab.

Rod heulte vor Wut auf. Sein Arm schwang um Durers Hals und gleichzeitig drückte er ein Knie in seinen Nacken. Etwas knackte.

Durer schrillte. Das Schwert entglitt seinen Fingern. Rod drückte ihn zu Boden. Immer noch schreiend tastete der Ratgeber nach dem Schwert.

Rod ließ sich auf ein Knie fallen und holte zu einem Handkantenschlag aus. Mit zerbrochenem Genick blieb Durer reglos liegen.

Heftig keuchend drehte Rod sich um. Er sah Toms schmerzverzerrtes Gesicht und das heraussprudelnde Blut. Rod biß die Zähne zusammen und tastete verzweifelt zwischen den Leichen herum. Als er seine Laserpistole gefunden hatte, drückte er ab und trennte noch etwa einen Zentimeter entlang Toms Wunde ab. Der Riese brüllte.

Die Bettler wollten sich mit Keulen und Schwertern auf Rod stürzen, aber ein krächzendes „Zurück!“ Toms verbot es ihnen. „Ihr Narren!“ ächzte er. „Sehr ihr denn nicht? Er hat das Blut gestoppt!“

Trotzdem hatte Rod schon einiges abbekommen und seine kaum verheilte Schulterwunde war neu aufgebrochen. Stöhnend ließ er sich auf ein Knie neben dem schwerverletzten Riesen nieder. Der Gestank nach versengtem Fleisch drehte ihm fast den Magen um.

Tom versuchte zu grinsen. „War — gut — gemeint, Herr. Zwei — Minuten — früher — und — es hätte — mich — gerettet.“ Rod riß sich den Umhang vom Rücken, knüllte ihn zusammen und schob ihn unter Toms Kopf. „Ruh dich aus!“ würgte er. „Du bist ein gesunder, kräftiger Bursche, du wirst schon wieder werden. So viel Blut hast du nicht verloren.“ „Zu viel — und — die Wunde — zu groß…“ Die schier unerträglichen Schmerzen ließen den Riesen verstummen. Rod schleppte sich zu Gekab, schlug auf den Sicherungsschalter und fummelte in einem der verborgenen Fächer nach einer Ampulle. Dann humpelte er zu Tom zurück und stieß sie ihm in das verbrannte Fleisch.

Tom entspannte sich mit einem gewaltigen Seufzer, als das Anästhetikum zu wirken begann. „Meinen Dank, Meister“, murmelte er schwach. „Ihr habt mir zumindest einen schmerzlosen Tod geschenkt.“

„So darfst du nicht reden!“ tadelte Rod ihn mit erstarrter Miene. „Du wirst dich noch viele Male mit einer schönen Dirn im Heu wälzen.“

„Nein, Herr.“ Tom schüttelte den Kopf und schloß die Lider. „Meine Zeit ist abgelaufen.“ „Du wirst jetzt nicht sterben. Tätest du es, bliebe ich in deiner Schuld, und das widerstrebt mir.“

„Den Teufel, ob es Euch widerstrebt oder nicht!“ schnaubte Tom fast wieder der Alte. „Ich bin jetzt in den Händen eines Mächtigeren als Ihr, der eines Tages auch Euch rufen wird.“

Sein Kopf sank auf Rods zusammengerollten Umhang herab, und er keuchte heftig.

Rod kniete sich stumm neben ihn. Toms ihm verbliebene Hand tastete sich über seinen Bauch zu Rods Arm. „Ja, jetzt steht Ihr in meiner Schuld, obgleich das nicht in meinem Sinn war.“

„Nicht in deinem Sinn? Was sprichst du da? Du hast mir das Leben gerettet!“

„Ja, und dadurch mein eigenes verloren. Aber mit klarem Kopf hätte ich nie so gehandelt.“

„Klarem Kopf?“

„Ja. In der Schlacht sieht und tut man, was einem zuerst bewußt wird. Es wart entweder Ihr oder der Rest meines Lebens im Dienst des Hauses Clovis, und in der Hitze des Gefechts zog ich in meiner Dummheit Euch vor!“ Schwer atmend schwieg er eine Weile, dann verkrampfte sich seine Hand um Rods Arm. „Doch da ich sterbe, steht Ihr in meiner Schuld! Und was Ihr mir nicht mehr bezahlen könnt, müßt Ihr an meinem Volk gutmachen.“

Rod versuchte seinen Arm zurückzuziehen. „Nein!“

„Doch!“ Toms Augen funkelten wild. „Nur so könnt Ihr Eure Schuld begleichen. Euer Leben für meines! Ihr müßt Euer Leben hier auf Gramayre verbringen, um Gutes für mein Volk zu tun!“

„Ich bin nicht mein eigener Herr!“

„Ihr seid es sehr wohl. Und wenn Ihr es nicht wißt, seid Ihr wahrlich ein Narr!“

„Der Preis ist zu hoch, Tom. In der Schlacht zu sterben, dagegen habe ich nichts, aber den Rest meines Lebens hierzubleiben, das kann ich nicht. Auch ich diene, um einen Traum zu verwirklichen…“

„Ich hatte ebenfalls die Wahl zwischen dem Traum oder dem Menschen. Gut, dann wählt, was Ihr für richtig haltet.“

„Ich habe eine Verpflichtung…“

„Genau wie ich, und so wird meine auf Euch übergehen und Euch von der anderen befreien. Ihr müßt jetzt mir und den Meinen dienen…“ Der Blick des Sterbenden verschleierte sich.

„Ich hatte geglaubt, ich wüßte, was das Beste für sie sei — doch jetzt wird alles dunkel um mich…“

Er ruckte plötzlich hoch. Husten schüttelte ihn und er spuckte Blut. Rod stützte ihn. Als der Anfall vorüber war, würgte der Riese. „Euer Geist — ist klarer — Ihr müßt — entscheiden…“

„Sei still.“ Rod versuchte ihn wieder auf den Umhang zu legen.

„Verschwende nicht das bißchen Leben, das noch in dir ist…“

„Nein!“ Tom umklammerte erneut Rods Arm. „Laßt mich sprechen. Espers — Tribunal — sie werden es schaffen. Wir -

kämpfen — hier — gegen sie…“

„Spar deine Kraft. Ich weiß, was du sagen willst.“

„Ihr wißt…“

„Ja. Du hast mir das letzte bißchen, was mir fehlte, gerade gesagt. Bleib jetzt ruhig liegen.“

Tom keuchte schwer. „Sagt es mir — ich — muß sicher — sein, daß — Ihr es — wirklich — wißt…“

„Ja, ich weiß es“, murmelte Rod. „Das DDT wird siegen. Ihr könnt es nur hier bekämpfen. Und ihr bekämpft euch untereinander.“

„Ja.“ Tom nickte kaum merklich. „Ihr — müßt jetzt — entscheiden — und — Herr…“ Der Rest war zu leise, als daß Rod ihn hätte verstehen können. Als Tom es bemerkte, kämpfte er um einen weiteren Atemzug, während er Rod besorgt ansah.

Rod beugte sich über ihn und legte sein Ohr dicht an Toms Lippen.

„Sterbt — nicht — für — einen — Traum…“

Rod runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht, was du meinst, Tom!“

Aber er bekam keine Antwort mehr.

Nach einer langen Weile drückte er dem Mann, der ihm zum Freund geworden war, die Augen zu.

„Mei-meister Gallowglass?“ Toby stand neben ihm und starrte verwirrt auf die Bettler, die sich jetzt um Toms Leiche knieten.

„Ja, Toby?“ Rod faßte den Jungen an der Hand und schritt mit ihm durch die Reihen der Bettler.

„Mylord, sie bitten um Pardon. Sollen wir ihn ihnen gewähren?“

„Pardon? O ja. Sie wollen sich ergeben.“ Er drehte sich um und schaute auf die Gruppe um Tom. „Ich weiß nicht. Was meint Brom?“

„Lord O'Berin sagt ja, aber die Königin sagt nein. Die Lords Loguire sind einer Meinung mit Brom.“

„Und trotzdem will die Königin nicht.“ Rod nickte bitter. „Und nun soll meine Stimme den Ausschlag geben?“ Er warf noch einen letzten Blick auf Toms wächsernes Gesicht. „Zum Teufel! Sie sollen ihr Pardon haben!“

Die Sonne war hinter den Bergen versunken. Die zwölf Hohen Lords standen in Ketten vor Catherine, neben der Loguire, Tuan, Brom und Sir Maris saßen. Rod stand in einiger Entfernung von ihnen an Gekab gelehnt. Er hatte den Kopf gesenkt.

Auch der alte Herzog Loguire hatte das Kinn fast auf die Brust gedrückt. Tiefer Gram sprach aus seinen Augen, denn sein Sohn Anselm stand einen Schritt vor den restlichen Lords, unmittelbar vor der Königin.

Catherine trug ihren Kopf hoch. Ihre Augen leuchteten voll Triumph und Macht, und ihre Wangen waren vor Stolz gerötet.

Rod betrachtete sie, und Abscheu stieg in ihm auf. Mit ihrem Sieg war ihre alte Arroganz wiedergekehrt.

Auf ein Zeichen von Brom O'Berin schmetterten zwei Fanfaren, und ein Herold trat vor und verlas eine Verkündigung der Königin.

„Hiermit sei allen kund und zu wissen getan, daß am heutigen Tag der schurkische Vasall, Anselm, Sohn des Herzogs Loguire, sich in blutiger Rebellion gegen Catherine, Königin von Gramayre, erhob, und deshalb wegen Hochverrats vor dem Gericht der Krone steht.“

Der Herold rollte das Pergament wieder zusammen.

„Wer spricht zur Verteidigung des Rebellenführers Anselm?“

Der alte Loguire erhob sich. Er verbeugte sich ernst vor Catherine. Sie dankte ihm mit einem erstaunten, wütenden Blick.

„Nichts kann zur Verteidigung eines Rebellen gesagt werden“, rief Loguire. „Doch wenn ein Mann sich heißen Blutes erhebt, um sich für das zu rächen, was er für ehrenrührige Beleidigung an seinem Vater und seinem Haus erachtet, kann viel gesagt werden, denn selbst wenn sein Vorgehen unüberlegt, ja sogar von Hochverrat gezeichnet gewesen sein mochte, war es doch von gekränkter Ehre und Liebe zum Vater geleitet. Da er nun das Ergebnis vorschnellen Handelns kennt, und ihn sein Herzog und Vater belehren wird, dürfte es durchaus nicht unwahrscheinlich sein, daß er sich seiner Treue und seiner Pflichten gegenüber seiner Herrscherin wieder voll bewußt wird.“

Catherine lächelte süßlich. „Ihr wollt also, Mylord, daß ich diesen Mann begnadige, der den Tod vieler Tausender auf sich geladen hat, und daß ich ihn zur Belehrung und Protektion in Eure Hände gebe, obgleich Ihr Euch diese Aufgabe — wie der heutige Tag nur zu gut beweist — schon einmal nicht gewachsen gezeigt habt!“

Lord Loguire zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen.

„Nein, Mylord!“ rief sie heftig. „Ihr habt bereits Rebellen gegen mich großgezogen und wollt es nun wieder tun!“

Loguires Gesicht verhärtete sich, während Tuan mit vor Grimm gerötetem Gesicht aufsprang.

Von oben herab wandte sie sich an ihn. „Hat der Lord der Bettler auch etwas zu sagen?“

Tuan kämpfte mit knirschenden Zähnen um seine Fassung.

Dann verbeugte er sich. „Meine Königin, Vater und Sohn haben heute tapfer für Euch gekämpft. Habt die Gnade, uns schon deshalb das Leben unseres Sohnes und Bruders zu schenken.“

Catherines Gesicht wurde noch blasser, und ihre Augen verengten sich.

„Ich danke meinem Vater und Bruder“, sagte Anselm mit klarer, ruhiger Stimme.

„Still!“ schrie Catherine schrill. „Verräterrischer, schurkischer, dreimal verhaßter Hund!“

Die Augen der Loguires funkelten, doch sie hielten die Lippen zusammengepreßt.

Keuchend umklammerte Catherine die Armlehnen ihres Thrones. „Ihr werdet erst reden, wenn ich es Euch befehle. Bis dahin habt Ihr Euren Mund zu halten!“

„Das werde ich nicht! Ihr könnt mir gar nicht noch mehr anhaben, denn Ihr, niederträchtige Königin, habt beschlossen, daß ich sterben muß, und nichts wird Euren einmal gefaßten Entschluß ändern. So tötet mich doch und bringt es hinter Euch!“

„Das Urteil kommt aus seinem eigenen Mund“, sagte Catherine spöttisch. „Es ist das Gesetz des Landes, daß ein des Hochverrats Schuldiger sterben muß.“

„Das Gesetz des Landes bestimmt die Königin“, brummte Brom. „Wenn sie einem Rebellen das Leben schenkt, ist es ihr Recht!“

Sie drehte sich zu ihm um. „Was, auch Ihr verratet mich? Steht kein einziger meiner Generale an meiner Seite?“

„Genug!“ donnerte Rod, der plötzlich neben ihr stand und auf sie hinabschaute. „Kein einziger Eurer Generale wird Euch jetzt unterstützen. Sollte Euch das nicht vielleicht auf den

Gedanken bringen, daß Ihr im Unrecht seid? Aber nein, nein, doch nicht die Königin! Weshalb haltet Ihr überhaupt noch Gericht? Ihr habt doch bereits beschlossen, daß er sterben muß!“ Er spuckte vor ihr aus.

„Auch Ihr?“ stöhnte sie. „Auch Ihr wollt einen Verräter verteidigen, der den Tod von dreitausend Männern verursacht hat!“

„Ihr tragt die Schuld am Tod der dreitausend!“ brüllte Rod.

„Ein edler Mann niedriger Geburt liegt tot auf dem Feld, seine rechte Seite ist weggerissen, und die Mäuse nagen an ihm. Und warum? Um ein eigensinniges Balg zu verteidigen, das auf dem Thron sitzt und nicht das Leben eines Bettlers wert ist. Ein Balg, das eine so schlechte Königin ist, daß es eine Rebellion heraufbeschwor!“

Catherine duckte sich auf ihrem Thron und drückte sich gegen die Rückenlehne. Zitternd rief sie: „Seid still! War vielleicht ich es, die rebellierte?“

„Wer gab denn den Edlen mit zu hastigen Reformen und zu hochnäsigen Manieren Grund, sich aufzulehnen? Die Ursache ist es, Catherine. Ohne sie gibt es keine Rebellion! Und wer anders als die Königin hat diese Ursache gegeben?“

„Seid still! Still!“ Sie drückte die Hand auf den Mund, als wollte sie verhindern, laut hinauszuschreien. „So dürft Ihr mit einer Königin nicht reden!“

Rod schaute voll Verachtung auf die sich immer noch vor ihm duckende Königin. Er wendete sich zu Gekab um. „Mir dreht sich der Magen um! Gewährt ihnen Pardon. Viel zu viele mußten heute sterben. Laßt sie leben. Sie werden der Krone treu sein, ohne ihre Ratgeber, die sie aufhetzten. Laßt sie alle leben! Sie haben ihre Lektion gelernt, auch wenn man das von Euch nicht behaupten kann!“

„Ihr geht zu weit!“ keuchte Catherine.

„Ja, das tut Ihr!“ Tuan sprang auf und legte die Hand um den Schwertgriff. „Die Königin gab den Anlaß, das stimmt, aber sie

hat die Gefallenen nicht getötet!“

Catherine blickte ihn dankbar an.

„Solange Ihr die Wahrheit sprecht“, fuhr Tuan fort, „dürft Ihr sie tadeln. Doch wenn Ihr sie beschuldigt, etwas getan zu haben, was nicht so ist, dann darf ich Euch nicht sprechen lassen!“

Rod hatte gute Lust, ihm ins Gesicht zu spucken. Doch statt dessen wandte er sich erneut Catherine zu, die nun wieder hocherhobenen Hauptes auf dem Thron saß und ihre arroganteste Miene aufsetzte.

„Vergeßt nicht“, knurrte er, „daß eine Königin, die ihre Launen nicht unter Kontrolle hat, eine schwache Regentin ist.“

Wieder erblaßte sie.

„Hütet Eure Zunge!“ grollte Tuan.

Die Wut in Rod wurde so mächtig, daß er einen Augenblick erstarrte, bis sie alle Bande in ihm brach und davonflutend eine eisige Ruhe in ihm zurückließ und ihm klar zeigte, was er tun mußte und weshalb — und was die Folgen für ihn sein würden…

Catherine lächelte nun wieder selbstzufrieden und überheblich, als sie sah, daß Rod bei Tuans Drohung zögerte. „Habt Ihr noch etwas zu sagen, Herr?“ fragte sie spöttisch von oben herab.

„Ja! Was ist das für eine Königin, die ihr eigenes Volk verrät?“

Er holte aus und schlug ihr die Hand ins Gesicht.

Sie heulte und schlug gegen die Rückenlehne des Thrones.

Schon war Tuan heran und stieß die Faust vor.

Rod duckte sich unter dem Hieb, packte Tuan und brüllte: „Gekab!“

Tuans Fäuste hämmerten auf ihn ein, aber Rod ließ ihn nicht los. Er sah, daß die anderen Generale herbeistürmten. Doch Gekab war schneller. Rod versuchte zu vergessen, was für ein netter Junge Tuan im Grund genommen war, und hieb ihm das Knie zwischen die Beine. Jetzt gab er ihn frei und sprang in den Sattel, als Tuan fiel und sich vor Schmerzen wand.

Gekab wirbelte herum und sprang über die Köpfe der herbeieilenden Gardesoldaten. Als er davongaloppierte, hörte Rod, wie Catherine Tuans Namen schrie. Grinsend ließ er sich von Gekab weitertragen, doch plötzlich wurde das Grinsen zu einem stummen Schrei, als seine verwundete Schulter zu explodieren schien. Er drehte den Kopf. Der Schaft eines Armbrustge schosses ragte am Rücken heraus. Nachdem sie einen weiten Kreis durch Wald und Feld gezogen hatten und Kilometer weit durch einen Bach gewatet waren, um ihre Spuren zu verwischen, kehrten Rod und Gekab in der Abenddämmerung zu einem Hügel über dem Schlachtfeld zurück.

Am Rand eines Wäldchens ließ Rod sich aus dem Sattel fallen und lehnte sich gegen einen Baum. Er schaute hinunter auf die Lagerfeuer und lauschte dem fröhlichen Lärm der Siegesfeier. Er seufzte und wandte sich dem dringlichsten Problem, nämlich seiner Schulter zu. Trotz des schmerzstillenden Mittels, das er genommen hatte, machte sie ihm zu schaffen. Der Widerhaken des Geschosses schien vor dem Schlüsselbein neben dem Schultergelenk zu stecken. Wie durch ein Wunder hatte es sowohl den Knochen als auch die Schlagader verfehlt. Ein leiser Knall wie von einer Miniaturschockwelle war zu hören. Er schaute hoch und sah Gwendylon sich mit Tränen in den Augen zu ihm herabbeugen. „Mein Lord! Mein Lord! Seid Ihr schwer verletzt?“

Rod lächelte und zog ihren Kopf zu seinem herab. Er antwortete mit einem ausgiebigen Kuß. Errötend befreite sie sich. „Ihr seid wohl doch nicht so schlimm verwundet, wie ich befürchtete.“

„O Mädchen!“ Rod zog sie in seine Arme. „Ich war einsam auf dem langen Ritt!“

„Ich wäre eher gekommen, aber ich mußte warten, bis Ihr endlich anhieltet“, sagte sie entschuldigend. „Doch nun zu Eurer Schulter. Es wird weh tun, mein Lord.“

Rod biß die Zähne zusammen, als sie das festklebende Wams löste. „Verband ist in der Satteltasche“.

Sie kniete sich neben ihn und verhielt sich völlig still. Rod runzelte die Stirn und fragte sich, was sie machte. Plötzlich durchzuckte ihn glühender Schmerz. Er spürte, wie die Geschoßspitze sich behutsam und, wie es schien, ganz von allein genau in der Bahn, die sie verursacht hatte, zurückzog.

Durch schmerzverschleierte Benommenheit dachte er, daß diese Hexen die Erfüllung des Traumes für Chirurgen wären.

Das Geschoß glitt vorsichtig aus seiner Haut, dann plötzlich wirbelte es heftig durch die Luft und zerschmetterte auf einem Stein. „Das werde ich mit allen machen, die Euch Schmerzen zufügen wollen, Mylord!“ fauchte Gwendylon.

Rod schauderte, als ihm das Ausmaß ihrer Kräfte bewußt wurde.

Das Mädchen griff nach dem Verband. „Nein, erst der Puder aus dem Silberbeutel“, hielt Rod sie zurück. „Er stoppt das Bluten.“

„Ich würde lieber Kräuterumschläge verwenden“, sagte sie zweifelnd, „aber wie Ihr wollt.“

„Es sieht so aus, als müßtest du ständig diese Schulter verbinden“, murmelte er.

„Ja, mein Lord. Ich wollte, Ihr würdet besser darauf aufpassen.“

Jemand räusperte sich ganz in der Nähe. Rod blickte auf und sah eine gedrungene Silhouette in den Baumschatten.

„Kommt ruhig herbei, Freund Brom“, rief Rod. „Aber im Gegensatz zu jenem im Tal ist uns nicht nach Feiern zumute.

Für uns sind die Früchte des Sieges heute sauer.“

Brom setzte sich mit gesenktem Kopf, die Hände auf dem Rücken verschränkt, auf eine Wurzel.

Rod runzelte die Stirn. Der Zwerg benahm sich komisch, ungewöhnlich. „Welche Laus ist dir übers Leberlein gelaufen?“ knurrte er.

Brom seufzte und stützte die Ellbogen auf die Knie. „Du hast mir heute viel Herzeleid bereitet, Rod Gallowglass.“

„So wie du es sagst, klingt es eher wie Magenschmerzen. Ich nehme an, du warst nicht sehr erfreut über die Art und Weise, wie die Dinge verliefen?“

„Im Gegenteil, ich war höchst erfreut. Und doch…“ Brom vergrub das Gesicht in den aufgestützten Händen. „Ich muß gestehen, daß ich anfangs erzürnt über dich war.“

„Was du nicht sagst!“

„Ja. Doch das war, ehe ich deinen Plan durchschaute.“

„Ah, und dann kamst du dahinter, was ich beabsichtigte?“

„Nein. Ich werde alt, Rod Gallowglass…“

Rod schnaubte.

„Danke.“ Brom schaute ihn an, dann neigte er den Kopf. „Aber es ist wahr, ich werde alt, und man muß mich erst mit der Nase daraufstoßen…“

„Worauf?“

„Nun, es war eine rührende Szene!“ Brom lächelte ein wenig sarkastisch. „Zuerst brachte Catherine nichts anderes heraus als:,Oh, mein Liebster! Du bist verletzt! Und dann rief sie nach Ärzten und Krautern, bis Tuan endlich auf die Beine kam und versicherte, daß seine Verwundung nicht schwer sei. Und da fiel sie ihm weinend um den Hals und nannte ihn schluchzend ihren Beschützer und den Retter ihrer Ehre. Und sie beruhigte sich nicht, bis er schwor, daß er sie heiraten würde!“ Broms Lächeln wurde weicher. „Ja, es war schön, das zu hören und zu sehen.“

Rod nickte müde und schloß die Lider. „Wann ist die Hochzeit?“

„Sobald sie dreimal in einer Kirche gerufen werden. Catherine wollte sie sofort, aber Tuan weigerte sich. Er sagte, sie sei die Königin und die Rose aller Frauen, und es müßte eine Hochzeit geben, die ihres Standes würdig sei.“

„Ein vielversprechender Anfang.“

„Oh, es kam noch besser! Denn Tuan drehte sich zu den zwölf Hohen Lords um und sagte:,Und was machen wir mit ihnen? Da rief Catherine:,Wie du es für richtig hältst, mein Liebster!

Aber tu es schnell, damit wir aufbrechen können!“

„Ein gutes Zeichen“, pflichtete Rod Brom bei. „Und was tat er mit ihnen?“

„Er löste ihre Ketten und schickte sie zurück in ihre Domänen, aber er verlangte von jedem eine Geisel, von zwölf Jahren oder jünger, ihres eigenen Blutes, ob nun Sohn, Tochter, Enkel oder Enkelin, die in der Burg der Königin aufwachsen soll.“

Rod nickte. „Müßte klappen. So hat er die Chance, eine neue Generation zu erziehen, die der Krone treu ergeben ist.“ Er lehnte sich gegen die rauhe Baumrinde und fühlte sich völlig ausgelaugt. „Ich bin froh, daß es funktioniert hat.“

„Ja.“ Broms Augen glänzten. „Dieses Land wird immer in deiner Schuld stehen, Rod Gallowglass. Du hast uns unsere Krone gerettet und das Gespenst eines langen, blutigen Bürgerkriegs verbannt, und mehr noch, du hast uns einen König gegeben.“

„Und einen Staatsfeind Numero Eins“, murmelte Rod bitter.

Ein Schatten fiel über Broms Gesicht.

Rod hob den Blick. „Du mußt doch zugeben, daß ich jetzt eine Persona ingrata bin.“

„Ja“, knurrte Brom. „Doch du wirst immer eine Zuflucht im Reich der Elfen finden.“

Rod lächelte schwach. „Danke, Brom.“

„Doch verrate mir jetzt“, Brom lehnte sich vor und schaute Rod stirnrunzelnd an, „wie es dazu kam, daß du dich unser annahmst. Als alles düster in unserem Reich aussah und selbst die Hoffnung aus unseren Herzen verbannt war, erschienst du, wie die Erfüllung eines Gebets, vom Himmel. Du, der du keine eigenen Interessen, keine Besitztümer hier hattest, den unsere Sorgen eigentlich unberührt hätten lassen sollten, setztest du dich voll und ganz für unser Wohlergehen ein.“

Er schob seinen Kopf vor, seine Augen brannten. „Weshalb hast du uns gerettet?“

Rod lächelte säuerlich. „Für den Traum.“

Brom runzelte die Stirn. „Traum?“

Rod blickte zu den Sternen hoch. Er zögerte einen Augenblick, dann sagte er: „Gekab, nimm das auf!“ Er wandte sich an Brom und Gwendylon und hob seinen guten Arm zum Himmel.

„Seht hoch. Seht ihr diese Sterne? Jeder hat eigene Welten, die um ihn kreisen, Welten wie diese hier, wo Liebespaare glücklich sind, Rivalen kämpfen, und Könige gestürzt werden.

Doch die meisten davon stehen unter einer Herrschaft, einer Regierung — dem Dezentralisierten Demokratischen Tribunal.

Und die Stimme, die zu befehlen hat, ist die des Volkes selbst.“

„Nein!“ polterte Brom. „Wie könnte das sein?“

„Da die Stimme eines jeden Menschen gehört werden kann, verleihen seine Ansichten denen seiner Mitmenschen Gewicht.

Das ist der Schlüssel — die Kommunikation. Ihr könnt diese Art von Regierung hier nicht haben, weil die Nachrichtenübermittlung mehr als zu wünschen übrig läßt, was im Grund genommen paradox ist, denn ihr habt hier alle Möglichkeiten für das beste System überhaupt, wenn ihr es nur zu nutzen wüßtet!“

Er verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. „Aber sie haben ziemliche Schwierigkeiten dort oben. Sie wachsen, wißt ihr? Jeden Tag schließt sich zumindest eine neue Welt dem Tribunal an. Dadurch haben sie die oberste Grenze ihrer Kommunikationsmöglichkeiten erreicht. Danach kann es nur noch abwärts gehen — zur Diktatur!“

„Aber was hast du damit zu tun?“ knurrte Brom.

„Ich arbeite für sie. Ich bin ihr Hausierer. Ich bin der kleine Mann, der den Außendienst macht, der neue Planeten auf eine Mitgliedschaft vorbereitet — wenn sie sie wollen, und sie wollen sie immer, wenn sie erst dazu bereit sind!“

„Und was ist diese Bereitschaft?“ Brom bemühte sich um

Toleranz und lächelte.

„Kommunikation, wie ich schon sagte, aber noch mehr, lernen, Bildung. Die Bildung und Ausbildung haben wir geschafft.

Dauerte eine ziemliche Zeit, aber wir schafften es. Doch mit der Kommunikation ist es eine andere Sache.“ Er seufzte.

„Weil die Freiheit auch noch eine andere Seite hat. Die Wildnis jenseits der Grenze. Sie verhindert eine stratifizierte Gesellschaft — zerbrich dir nicht den Kopf darüber, was das ist, mein Lord O'Berin, König der Elfen — und eine stratifizierte Gesellschaft ist ein anderer Weg zum Totalitarismus.

Also muß das Tribunal immer weiter wachsen. Doch wenn es noch viel mehr wächst, werden die zu langsamen Kommunikationsverbindungen sein Ende. Und ich, ganz persönlich, möchte das nicht. Denn der Traum hat einen Namen, wißt ihr? Er heißt — Freiheit! Das ist mein Traum. Und deshalb bedeutet Gramayre mir so viel.“

Brom zog die Brauen zusammen. „Ich verstehe nicht.“

Rod lächelte ihn an. „Die Hexen! Ihre Fähigkeit, Gedanken zu hören. Das ist das Kommunikationssystem, das wirbrauchen!“

Er sah das allmähliche Verstehen und ein gewisses Erschrecken in Broms Gesicht.

„Wir brauchen sie“, fuhr er fort. „Wir brauchen viele, sehr viele von ihnen. Bisher ist ihre Zahl nur langsam gestiegen, doch unter Catherines Schirmherrschaft wird sie schneller anwachsen. Und da sie heute bedeutend zum Sieg der Schlacht beitrugen, wird man beginnen, sie aus anderen Augen zu sehen, sie zu respektieren. Und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis alle Eltern hoffen, daß auch sie ein Hexenkind haben werden. Von da ab werden sie wie Pilze nach einem Regen aus dem Boden schießen.“

Brom runzelte die Stirn. „Aber wie kann es sein, daß allein diese Welt von all den vielen, die ihr kennt, Hexen hervorgebracht hat?“

„Weil die Menschen, die hierher auswanderten, eure Vorfahren, die vom Himmel fielen, nur solche Personen auswählten, die zumindest ein Fünkchen Hexenkräfte in sich hatten. Sie wußten selbst nicht, daß sie sie hatten, denn sie waren zu gering und zu tief verborgen. Aber im Lauf der Generationen, als sie immer aufs neue untereinander heirateten, wuchs dieses winzige Bißchen immer mehr, bis schließlich eine Hexe geboren wurde.“ „Und wann war das?“ Brom lächelte tolerant. „Als die Elfen auftauchten. Und auch die Gespenster, Werwölfe, und andere übernatürliche Lebewesen. Denn hier auf diesem Planeten gibt es eine sehr ungewöhnliche Substanz, die ihr Hexenmoos nennt. Es nimmt jede Form an, die eine Hexe sich ausdenkt. Denkt sie an einen Elf, wird das Moos zu einem Elf.“

Brom erblaßte. „Willst du damit sagen…“ „Mach dir nichts daraus, Brom, es ist keine Abwertung“, sagte Rod schnell. „Alle Menschen waren einst nichts weiter als pulsierende Klümpchen, die im Ur-meer schwammen. Im Fall deines frühesten Vorfahrs wurde der Prozeß durch die Hexen nur ein wenig beschleunigt. Und es war dein erster Ahn, nicht du. Ich nehme an, daß das aus dem Moos geschaffene Wesen ein so perfektes Werk ist, daß es sich fortpflanzen — ja sogar mit Sterblichen Nachkommen haben kann.“ Er lehnte sich zurück und seufzte. „Sei stolz darauf, Brom. Du und dein Volk, ihr seid die einzigen, die sich echte Kinder dieser Welt nennen kennen.“

Brom schwieg eine lange Weile, dann knurrte er: „Ja, das ist wahrlich unser Land. Und was willst du damit tun, Zauberer aus dem Himmel?“

„Tun?“ Rod hob eine Braue. „Nur das, was du selbst zu tun versuchst, Brom, durch die Reformen, die du Catherine vorschlugst. Gleichheit vor dem Gesetz, ist das nicht dein Ziel?“

„Das ist es.“

„Nun, es ist auch meines. Und mein Job ist, euch den am wenigsten blutigen Weg dahin zu zeigen. Diese Aufgabe habe ich erfüllt.“ Er schaute blicklos vor sich hin. Brom betrachtete ihn. Gwendylon strich ihm besorgt über das Haar. Rod schaute zu ihr hoch und versuchte zu lächeln. Er wandte sich an Brom. „Deshalb kämpfte ich für Catherine, verstehst du, weil sie die Hexen beschützt, und weil sie eine Reformerin ist und Tuan glücklicherweise ebenfalls. Und das war der Grund, weshalb die Ratgeber und der Spötter gegen sie kämpften.“

Brom runzelte die Stirn. „Ich bin alt, Rod Gallowglass. Du mußt es mir genauer erklären.“

Wieder blickte Rod zu den Sternen hoch. „Eines Tages wird das Tribunal über alle Sterne regieren, die du sehen kannst, und über eine Menge mehr, die von hier aus nicht zu sehen sind. Und fast alle Menschen auf diesen Welten werden Hexen sein, denn das Blut Gramayres fließt durch ihre Adern.“ Er lächelte Brom zu. „Na, wenn das kein Lorbeerkranz ist, Brom, Vater einer Galaxis…

Aber einige Menschen werden ohne die Fähigkeiten der Hexen geboren werden und deshalb keine sein. Und weil sie es nicht sind und sich ausgeschlossen fühlen, werden sie die Hexen und ihre Regierung hassen, schlimmer als du es dir vorstellen kannst. Diese Art von Menschen nennt man Fanatiker. Jede Art von Regierungssystem wird ihnen mehr zusagen als die Demokratie, und deshalb werden sie die Demokratie mit aller Gewalt bekämpfen.“

„Wenn es so sein wird, wie du sagst“, brummte Brom, „dann werden diese Menschen unterliegen, denn wie könnte man gegen so viele Welten vorgehen?“

„Das können sie auch nicht“, erwiderte Rod, „außer sie töten das, was diese Demokratie ermöglicht hat.“ „Aber wie sollten sie das denn fertigbringen? Denn um die

Hexen im Mutterschoß zu töten, müßten sie erst zu diesem Schoß kommen — hierher nach Gramayre — um zu versuchen…“

Brom starrte Rod mit Grauen in den Augen an.

„Catherine zu töten“, beendete Rod den Satz für ihn und nickte finster. „Richtig, Brom. Die Ratgeber und die Führerschaft des Hauses Clovis sind jemandes Ur-ururenkel in der fünfzigsten Generation.“

„Aber wie könnte das sein?“ krächzte Brom. „Welcher Mensch kann seine Ahnen besuchen?“

„Sie können es. Sie haben ein Ding — eine Zeitmaschine. Eine ist irgendwo im Haus Clovis verborgen, und eine in den alten Gewölben von Burg Loguire.

Also bewacht diese vier Männer in der Königin Verlies sorgfältig, Brom. Sie haben vielleicht noch ein paar Überraschungen im Ärmel!“

„Du kannst dich darauf verlassen, daß ich das werde!“

„Die Ratgeber sind alle tot.“ Rod lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. „Das ist eine schöne Bilanz für den Bericht.

Sende ihn heim, Gekab. O ja und dazu erhärtende Einzelheiten: eine Beschreibung der Zeitmaschine und die Aufzählung der Hauptfähigkeiten der Hexen, du weißt schon, Telekinese, Levitation, Telepor…“

„Ich weiß es selbst, Rod“, unterbrach ihn des Roboters Stimme.

„Ja, sicher, aber du könntest mich auch einmal ausreden lassen.“

Der Raumkrümmungstransmitter in Gekabs korbballgroßem Gehirn schickte ein Zweisekundenquieken zu den Sternen.

Eine Weile war alles still, dann murmelte Gwendylon zögernd: „Mylord?“

Rod hob ein Lid und lächelte: „Du solltest mich nicht so nennen, aber es gefällt mir.“

Sie lächelte scheu. „Mylord, Ihr habt Eure Aufgabe hier vollendet…“

Rods Gesicht verdunkelte sich. Er wandte sich ab und starrte finster auf den Boden.

„Wohin wirst du jetzt gehen, Zauberer Rod?“ fragte Brom leise.

„Sei doch still!“ brauste Rod auf.

Wieder wandte er sich ab. „Ich bin kein Zauberer“, knurrte er.

„Ich bin Agent aus einer Welt mit hochentwickelter Technologie, und als solcher verfüge ich über einen ganzen Sack voll Tricks, die ihr euch hier gar nicht vorstellen könnt, aber sie sind alle natürlichen Ursprungs. Ich verstehe nicht das geringste von Magie und verfüge nicht über ein Körnchen Zauberkraft.“

Er schaute wieder zum Himmel hoch. „Ich bin kein Zauberer und habe auch nicht die kleinste Begabung dazu, nicht einmal soviel wie eure geringsten Bauern. Und deshalb gehöre ich auch nicht hierher.“

Er spürte, wie etwas in ihm zu zerreißen drohte.

„Ich wählte dieses Leben“, brummte er., „Ich nehme Befehle entgegen, ja, aber ich tue es aus freiem Willen.“

„Das ist ein Punkt“, brummte Brom, „aber ein schwacher. Ob nun freiwillig oder nicht, du bist nicht Herr über dich selbst.“

„Stimmt“, gab Rod zu. „Aber einige müssen auf ihre persönliche Freiheit verzichten, damit sie ihren Kindern zuteil wird.“ Doch selbst in seinen eigenen Ohren klang es nicht sehr überzeugend.

Brom seufzte tief. Er schlug sich auf die Schenkel und stand auf. Mit müden, alten Augen blickte er Rod an.

„Wenn du gehen mußt, dann gehe. Einer Verpflichtung darf man sich nicht entziehen. Geh zu den Sternen, Rod Gallowglass, aber vergiß nicht: wenn du jemals Zuflucht suchst, du wirst sie hier bei uns finden.“

Gwendylon blieb still neben Rod sitzen und umklammerte seine Hand. „Sag mir“, flüsterte sie nach einer Weile, „ist es nur dieser eine Traum, der dich von mir fortführt?“

„Ja. O ja.“ Rods Hand verkrampfte sich um ihre. „Du hast, sozusagen, alle anderen Träume ausgelöscht.“

Sie drehte sich mit einem zittrigen Lächeln um. Tränen glänzten an ihren Wimpern. „Darf ich Euch nicht zu den Sternen begleiten, mein guter Lord?“

Fast zerquetschte Rod ihre Hand. Ein Würgen verschloß ihm die Kehle. Schließlich murmelte er: „Ich wollte, du könntest es, aber du würdest dort verwelken und sterben wie eine entwurzelte Blume. Du gehörst hierher, wo sie dich brauchen.

Und ich gehöre dorthin. So einfach ist es.“

„Nein.“ Sie schüttelte traurig den Kopf. „Ihr geht nicht, weil Ihr dorthin gehört, sondern weil Ihr Euch dazu verpflichtet fühlt. Aber, mein Lord…“ Sie wandte das Gesicht ab, denn die Tränen begannen nun in Strömen zu fließen. „Ist meine Liebe nicht so stark wie Euer Traum?“

„Versuch zu verstehen“, sagte er gepreßt. „Ein Mann braucht einen Traum. Das ist der Unterschied zwischen den Menschen und den Tieren — der Traum. Und ein Mann, der seinen Traum verloren hat, ist kein ganzer Mann und deshalb einer Frau nicht würdig. Wie könnte ich es wagen, dich an mich zu binden, wenn ich kein Mann bin?

Nein, ein Mann muß sich erst selbst bestätigen, ehe er eine Frau wählt — und der Traum ist seine Bestätigung. Solange er dafür kämpft, hat er ein Recht auf sie, weil er etwas taugt. Ich könnte hierbleiben und sehr glücklich mit dir werden. Aber tief in meinem Herzen wüßte ich, daß ich dich nicht verdiene, weil ich nur eine Drohne bin, ein Mensch männlichen Geschlechts ohne Nutzen. Wie könnte ich Kinder in die Welt setzen, wenn ich weiß, daß ihre Mutter für die Welt viel wichtiger ist, als ich es bin?“

„Aber wiegt die Verpflichtung, die Euch Tom auferlegte und die Ihr Horatio Loguire gegenüber habt, von mir gar nicht zu sprechen, nicht die auf, die Ihr den Sternen gegenüber habt?“

Rod richtete sich steif auf.

„Sie baten Euch, über ihr Volk zu wachen“, flüsterte

Gwendylon. „Und was würde aus ihm werden, Lord, wenn diese Teufel aus der Zukunft wiederkehrten? Und das werden sie ganz sicher, wenn ihr Haß so brennend ist, wie Ihr sagtet.“ Rod nickte wie betäubt. „Und was ist dann mit dem Traum, Mylord?“ Rod blieb einen Moment stocksteif sitzen. „Gekab“, sagte er schließlich ruhig. „Ja, Rod?“

„Gekab, reich mein Gesuch um Entlassung ein.“ „Aber Rod, Ihre Pflicht — die Ehre Ihres Hauses…“ „Vergiß sie! Die Ratgeber kommen möglicherweise zurück, Gekab, selbst wenn wir die Zeitmaschinen vernichten. Sie haben es einmal fertiggebracht, sie können es auch ein zweitesmal! Übermittle meine Kündigung!“ Gehorsam sendete Gekab zu den Sternen. Rods Kopf sank langsam auf die Brust. „Mein Lord?“ rief Gwendylon erschrocken. Rod hob schwach eine Hand. „Alles in Ordnung. Ich habe das Richtige getan, und das, was mich am glücklichsten machen wird. Zum erstenmal in meinem Leben arbeite ich unabhängig. Das ist es! Ich habe mich selbst von allem abgeschnitten. Niemand deckt mir mehr den Rücken, niemand paßt mehr auf mich auf…“

„Rod?“ murmelte Gekab. „Sie haben geantwortet, Rod.“ „Lies!“ befahl Rod.

„Bericht erhalten. Erbitten Koordinaten für Untersuchungsexpedition. „

Rod nickte. Ein bitterer Zug spielte um seine Lippen. „Schick sie ihnen. Lies weiter.“

„Schlagen vor, daß Sie sich Kündigung noch einmal überlegen. Sichern Ihnen ständigen Aufenthalt auf Gramayre zu. Ihre Aufgabe: auf weitere subversive Infiltration zu achten.“ Rod sprang auf. „Wa-as?“ „Sie möchten Ihre selbsterwählte Position offiziell machen“, erklärte der Roboter unnötigerweise. „Was ist, Mylord?“ fragte Gwendylon.

Er drehte sich zu dem Mädchen um. Seine Augen leuchteten auf. „Sie wollen, daß ich bleibe!“ jubelte er.

„Wo bleiben, Mylord?“

„Hier!“ schrie er und breitete die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umschließen. „Hier auf Gramayre! In offiziellem Auftrag! Gwen, ich bin zu Hause, und ich bin frei!“

Er wirbelte sie herum. „Ich liebe dich!“ brüllte er. „Ich liebe dich! Heirate mich!“

„Mit Freude, Mylord!“ rief sie. Die Tränen strömten erneut über ihre Wangen, als sie sein Gesicht in ihre Hände nahm.

Seine Lippen suchten ihre, aber sie drückte eine Hand dazwischen. „Nein, Mylord. Nur ein Zauberer darf eine Hexe küssen.“

„Also gut, ich bin ein Zauberer. Ich bin ein Zauberer Nur küß mich, hörst du?“

Ihre Lippen hoben sich seinen entgegen.

Er legte die Hände um ihren Nacken und grinste.

„He“, sagte er. „Stimmt es wirklich, was man hier über Bauernmädchen sagt?“

„Ja, Mylord.“ Sie senkte die Augen und machte sich daran, sein Wams aufzuknöpfen. „Jetzt wirst du mich nie wieder loswerden!“

ENDE