DIE LEICHTGLÄUBIGEN

oder

WIE EINE TAUBE

ZWEI GÄNSE RETTETE

 

Es war einmal eine Frau, die große Angst um ihren einzigen Sohn hatte. Drei Kinder waren ihr bereits im jüngsten Alter gestorben. So sparte sie weder mit Weihrauch noch mit Amuletten, um die bösen Blicke von ihrem Einzigen abzuwenden. Ihr Gatte, ein Schneider, war nicht weniger um seinen Stammhalter besorgt. Er wäre nicht davor zurückgeschreckt, Löwenmilch zu besorgen, wenn sie für die Gesundheit seines kränkelnden Sohnes nützlich gewesen wäre. Das Ehepaar war wegen seiner Überängstlichkeit bekannt, und die Nachbarschaft lachte über seine übertriebene Sorge um das Kind, das weder mit den anderen Kindern spielen noch etwas von ihren Broten naschen durfte.

Eines Tages kam der Mann mit einer großen Gans nach Hause. »Ein Kunde hat mir empfohlen, unser Sohn solle Gänseleber essen, damit er kräftig wird. Hier, brate sie für ihn«, sagte er und eilte in sein Geschäft zurück.

Ein Mann, der den Schneider mit der Gans gesehen hatte, wartete, bis die Frau wieder allein war, und klopfte bei ihr an. »Koche für mich einen Kaffee, damit ich dein Kind segne«, verlangte er. Die Frau lud ihn sofort in ihr Haus ein und kochte für ihn einen jemenitischen Mokka, den besten Kaffee der Welt. Als der Mann den ersten Schluck genommen hatte, schaute er um sich. »Gott schütze deinen Sohn für diesen Kaffee, aber ich rieche eine Gans.«

»Ja, mein Mann hat sie gebracht, damit wir …«

»Schenke mir die Gans«, unterbrach sie der Gast, »sonst verfluche ich deinen Sohn. Mein Fluch wird ihm Gelbfieber und Masern bringen. Ich bin sehr fromm, und meine Wünsche und Verwünschungen werden im Himmel erhört«, fuhr der Mann fort.

»Um Gottes willen!« entsetzte sich die Frau. »Nimm diese Worte nicht in deinen Mund, sie könnten meinem Kind Unheil bringen. Ich gebe dir die Gans, aber was soll ich meinem Mann sagen, wenn er nach Hause kommt?«

»Sage, weil er die Gans nicht vorher geschlachtet habe, sei sie davongeflogen. Eine Lüge von dir ist besser als das Gelbfieber für deinen Sohn«, antwortete der Mann barsch.

»Aber laß meinem Sohn bitte die Leber. Er braucht sie«, flehte die Frau.

»Keine Feder lasse ich zurück. Wenn du mir die Gans nicht gibst, lädst du Schuld auf dich«, fuhr der Mann sie an. Er stand auf, als wolle er das Haus verlassen.

»Ist ja gut. Es war nur eine Frage«, entschuldigte sich die Frau, gab ihm die Gans und bat ihn, für ihren Sohn zu beten.

»Ja, ja, das werde ich gleich machen«, sagte der Mann und eilte mit der Gans nach Hause.

Am Abend kam der Schneider und fragte:

»Frau, hast du die Gans zubereitet?«

»Laß mich in Ruhe mit deiner Gans. Ich wollte sie schlachten, da gab sie mir einen kräftigen Hieb mit ihrem starken Schnabel und flog davon.« Sie zeigte ihrem Mann ihre geschwollene Hand. Sie hatte sie kurz davor so lange gegen die Wand gehauen, bis sie rot angelaufen war.

»Tut mir leid. Ich hätte daran denken müssen, daß Gänse üble Federviecher sind. Morgen bringe ich dir eine andere, und die wird beim Metzger ihre miese Seele aushauchen, mein Täubchen«, sagte der Mann mitleidsvoll, und die Frau war sichtlich erleichtert, daß sie ihren Sohn vor dem Gelbfieber gerettet hatte.

Am nächsten Tag brachte der Schneider eine zweite Gans. »Hier, Frau! Ich habe sie geschlachtet. Jetzt kann sie weder fliegen noch in deine schöne Hand hacken!« Er legte die Gans auf den Küchentisch und eilte ins Geschäft.

Die Frau stellte Wasser aufs Feuer, rupfte und wusch die Gans, dann bereitete sie Hackfleisch, Reis, Pinienkerne und die Gewürze für die Füllung vor. Die Leber hob sie in einer kleinen Schüssel auf. Stundenlang werkelte die Frau. Als sie aber gerade die Leber zu Pastete verarbeitete und die gebratene Gans garnieren wollte, hörte sie jemanden an die Tür klopfen.

»Herein«, rief sie und erstarrte, als sie den Mann vom Vortag sah. »Frau, die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen. Die Gans konnte ich nicht genießen, und ich hätte deinem Sohn beinahe das Gelbfieber gewünscht, weil ich seinetwegen meinen Magen verdorben hatte, doch ich habe es nicht übers Herz gebracht.«

»Gott sei Dank«, murmelte die Frau. Der Mann nahm ein Fladenbrot aus einem Korb und legte die Leberpastete darauf. »Was machst du?« schrie die Frau.

»Ich muß etwas im Magen haben, sonst falle ich um. Seit gestern nacht erbreche ich mich an deiner Gans«, erwiderte er und verschlang im Nu das Brot mit der köstlichen Gänseleber.

»Aber … das …«

»Was stotterst du herum, Frau? Du hast Glück, daß ich mich mit Verwünschungen zurückgehalten habe. Mein Magen dreht sich um. Hast du etwa Gift in diese Leber getan? Sie schmeckt so merkwürdig«, schrie der Mann und faßte sich an den Bauch. Seine Augen quollen aus seinem aufgedunsenen Gesicht.

»Gift? Mein Gott«, flüsterte die Frau und schaute ängstlich den Mann an, der sich vor Schmerz auf dem Boden wälzte.

»Vielleicht hat mich der Engel der Barmherzigkeit geschickt, um deinen Sohn vor dieser giftigen Leber zu schützen. Mein Bauch, mein Bauch!« schrie der Mann und schnappte nach Luft.

»Mein Gott! Ich habe den Mann vergiftet. Was soll ich bloß machen?« stammelte die Frau aufgeregt und trocknete die Hände an ihrer Schürze ab.

»Kaffee«, stöhnte der Mann, »die Beduinen sagen, Kaffee heilt den Magen.« Die Frau eilte in die Küche, kochte jemenitischen Kaffee und würzte ihn mit Kardamom.

»Hier, guter Mann, bei uns sagt man, Kardamom stärkt die Seele.«

Der Mann richtete sich auf, schlürfte laut den Kaffee, und von Schluck zu Schluck ging es ihm sichtlich besser. »Gott schütze deinen Sohn vor den Pfeilen der bösen Blicke und vor all dem, was ihm im Verborgenen auflauert«, sprach er bedeutungsvoll.

»Du hast ein gutes Herz. Ich hätte dich beinahe umgebracht, und du hast meinem Sohn nur Gutes gewünscht. Wie kann ich dir bloß dafür danken?« fragte die Frau erleichtert.

»Sühne tut not, Frau. Gib mir die Gans, und ich werde deinen Sohn nicht verfluchen.«

»Die Gans? Aber was soll ich meinem Mann sagen, wenn er nach Hause kommt? Die Gans wäre weggeflogen? Er wird mich schlagen, er hat sie doch geschlachtet.«

»Sage ihm, die Gans wäre verhext. Du hast sie im Topf gekocht, da hat sie sich aufgelöst. Die Brühe lasse ich dir hier. Ich bin ja kein Unmensch.«

»Aber was ist, wenn er nach der Leber fragt?«

»Du sagst ihm, eine Katze habe sie gefressen und sei daran gestorben.«

»Ja, aber woher soll ich eine tote Katze nehmen?« fragte die Frau.

»Überlasse das mir. Ich helfe dir. Ich werde, wenn die Gans mich nicht vergiftet, auch die ganze Nacht für deinen Sohn beten.«

So gab die Frau dem Halunken die Gans, und er eilte davon. Nach einer Stunde brachte er ihr eine vergiftete Katze und verschwand wieder.

Als der Schneider abends nach Hause kam, erschrak er beim Anblick seiner heulenden Frau.

»Was ist passiert?« fragte er besorgt.

»Ach, mein lieber Gatte. Um ein Haar hätten wir unseren Sohn vergiftet«, schluchzte sie.

»Vergiftet? Wir? Was ist in dich gefahren, Frau?« rief der Mann verwirrt.

»Die Gans war verhext. Ich rupfte und füllte sie, doch als ich sie kochen wollte, löste sie sich spurlos im Wasser auf.«

»Das gibt es nicht, Frau! Und die Leber, hat sie sich auch in Luft aufgelöst? Hm?«

»Nein, noch schlimmer. Als ich erschrocken aus der Küche rannte, schlich sich eine Katze hinein, fraß die Leber und war auf der Stelle tot. Sie liegt immer noch dort.« Der Schneider wußte nicht, ob er schreien oder seine Haare raufen sollte. Er rannte in die Küche und erschrak beim Anblick der toten Katze. Auf dem Herd stand immer noch der Topf mit Wasser, der Schneider roch daran, doch er wagte es nicht zu kosten. Blaß und mutlos kehrte er ins Zimmer zurück und fiel wie ein Sack Kartoffeln auf das Sofa.

»Wir haben Glück. Was zum Teufel hat mir dieser Gauner von einem Bauern verkauft? Dabei sah er so ärmlich aus, daß ich ihm zehn Piaster mehr für die Gans gegeben habe, als er verlangte.« Er schaute seine jammernde Frau mitleidig an. »Aber morgen, mein Täubchen, morgen werde ich dir für all das, was du durchgemacht hast, zwei Gänse bringen. Komm her, mein Täubchen. Wir werden heute Brot und Käse essen.«

Am nächsten Tag brachte der Schneider zwei Gänse. Seine Frau saß am Fenster und sah, daß der Gauner bereits draußen lauerte. Da lächelte sie boshaft. »Warte, du Schweinehund!« flüsterte sie und eilte zur Tür, um ihren Mann zu empfangen.

»Hier, mein Täubchen, es sind ganz normale Gänse vom Geflügelhändler. Und wenn die eine sich im Wasser auflöst, dann bleibt uns die andere«, scherzte er.

»Aber nein, mein Herz«, erwiderte die Frau. »Heute morgen kam ein Mönch vorbei und sagte mir, der Spuk sei zu Ende. Unserem Sohn wird ab heute nichts mehr passieren. Das hat der gute Mann im Traum gesehen. Der Traum der Mönche ist Vorsehung. Und weil er mir diese frohe Botschaft brachte, habe ich versprochen, ihm eine Gans zu geben. Uns genügt ja die eine. Übrigens brauche ich noch Pinienkerne, Knoblauch, Zimt und Muskat. Kannst du mir die Zutaten besorgen, bevor du ins Geschäft gehst?« fragte sie.

»Sicher kann ich das. Heute habe ich nicht viel zu tun«, erwiderte der Ehemann und eilte hinaus. Die Frau kochte sich einen Mokka und wartete mit einem teuflischen Lächeln auf den Lippen. Es verging keine Viertelstunde, bis es an die Tür klopfte. »Willkommen, ehrenwerter Gast!« rief sie, und als der Gauner anfing, von seinen Qualen der letzten Nacht zu reden, unterbrach ihn die Frau: »Hier, trink den Kaffee. Er heilt, wie die Beduinen sagen, den Magen.«

»Habe ich richtig hellgesehen, du bekamst heute zwei Gänse?« fragte der Mann und nahm einen Schluck vom kalten Kaffee.

»Ja, ja«, lachte die Frau, »den Augen der Frommen entgeht nichts. Heute will ich sie dir schenken. Mein Sohn fühlt sich so gut wie noch nie. Er verdankt dir Glück und Gesundheit. Doch nun will ich dich um einen Gefallen bitten.«

»Und der wäre?« fragte der Gauner mißtrauisch.

»Mein Mann ist krank. Gott bewahre dich vor seiner Pein«, jammerte die Frau und schaute zum Fenster hinaus. »Doch warte, bevor ich dich um diesen Gefallen bitte, bringe ich dir die Gänse.«

»Ist gut«, sprach der Gauner leise und freute sich hämisch über diese Goldgrube, die er auch weiterhin zu schröpfen gedachte. Nach einer kurzen Weile kam die Frau mit einem Sack zurück. »Hier sind die beiden Gänse. Sie gehören dir, wenn du meinem Mann helfen kannst.«

»Ich kann jedem Gläubigen helfen, wenn er ein gutes Herz hat«, erwiderte der Mann mit gottesfürchtiger Stimme.

Ein Lächeln huschte kurz über das Gesicht der Frau, als sie ihren Mann in der Ferne kommen sah. »Ja, mein Guter. Mein Mann kann geheilt werden, wenn er die linke Hode eines tugendhaften Mannes ißt, der zwei Tage hintereinander mit Gänsefleisch gefüttert wurde. Er ist fast wahnsinnig geworden, weil er seit Jahren jemanden sucht und keinen Frommen in dieser Stadt gefunden hat. So einen gottseligen Mann wie dich trifft man nicht alle Tage. Er ging gerade zum Markt, um ein neues Messer zu kaufen. Da kommt er, aber du sollst keine Angst haben. Er macht es geschickt und näht dir die Wunde so gut zu, daß du es nicht merkst.«

»Und ob ich das merke. Ich bin nicht fromm!« schrie der Gauner und sprang auf. Mit einem Satz erreichte er die Zimmertür, schnappte den Sack und stürzte hinaus. Beinahe hätte er den Schneider umgerannt.

»Was ist mit dem Mann los?« staunte der Schneider.

»Renn hinter ihm her, Mann! Das ist der Mönch, dem ich eine Gans versprach. Er ist aber schwerhörig. Er glaubte, ich hätte ihm mein Wort für zwei Gänse gegeben. So nahm er beide und rannte davon, weil er es eilig hatte. Er muß sein Mittagsgebet verrichten.« Der Schneider stellte die Einkaufstüte auf den Tisch und rannte hinter dem Gauner her.

»Nur eine, guter Mann! Nur eine!« rief er laut.

»Nie im Leben! Keine gebe ich dir«, rief der Gauner zurück.

»Ich will dir doch nichts tun. Eine für mich, und eine bleibt für dich«, erboste sich der Mann und rannte noch schneller, um den Gauner einzuholen.

»Du bist wahnsinnig. Und wenn du auch stirbst, ich gebe dir keine!« rief der Gauner und bekam Angst, da der Schneider immer näher kam.

»Wenn du so stur bist«, schrie der Schneider, »dann will ich beide haben. Auf der Stelle.«

»Beide? Hilfe! Haltet den Verrückten!« rief der Gauner, warf den schweren Sack zu Boden und raste davon.

»So ein Dummkopf«, bedauerte der Schneider, nahm den Sack und kehrte heim. Als er dort ankam, hatte seine Frau schon einen Kaffee aufgesetzt.

»Ruh dich aus, mein Herz. Du hast es ihm gegeben«, rief sie ihm entgegen.

»Von wegen. Er wollte entweder beide oder keine«, erwiderte ihr Mann enttäuscht und setzte sich auf einen Hocker. Er wunderte sich über das helle Lachen seiner Frau und noch mehr über die Stoffreste und den Weißkohl, die er aus dem Sack herausholte. Doch beim Kaffee erzählte ihm seine Taube von ihrer List, und beide lachten Tränen über den Gauner.