SIEBENUNDZWANZIG

Der Klang seiner Stimme schwebt über mir, durch mich und überall um mich herum. Wie ein vages Summen aus weiter Ferne, das Ozeane, Kontinente und Galaxien überquert, um mich zu erreichen.

Doch ich kann nicht antworten, bin außer Stande, irgendwie zu reagieren. Es ist zwecklos. Unwirklich.

Eine Sinnestäuschung.

Ein Spott des Schattenlands.

Niemand kann mich erreichen, jetzt, da ich hier bin.

Mein Name ist ein Flehen auf seinen Lippen, als er sagt: »Ever, Liebes, mach die Augen auf und sieh mich an – bitte.« Worte, die mir so vertraut sind, dass ich schwören könnte, sie schon einmal gehört zu haben.

Und genau wie schon einmal fällt es mir schwer, ihnen zu entsprechen. Langsam schlage ich die Lider auf und sehe, wie er mich mustert. Erleichterung zeichnet sich auf seinen Zügen ab, als er mich mit seinen tiefbraunen Augen fixiert.

Doch es ist nicht real. Es ist irgendeine Art Spiel. Das Schattenland ist ein grausamer und einsamer Ort, und ich kann es mir nicht leisten, darauf hereinzufallen.

Er schlingt die Arme um mich, hüllt mich ein, wiegt mich, und ich lasse es geschehen, lasse mich hineinsinken, denn auch wenn es nicht real ist, ist es einfach zu schön, um zu widerstehen.

Ich versuche es noch einmal, ringe darum, seinen Namen auszusprechen, doch er presst mir mit sanftem Druck einen Finger auf die Lippen. »Nicht sprechen«, flüstert er. »Alles ist gut. Dir fehlt nichts. Jetzt ist alles vorbei.«

Ich weiche zurück, ohne den Blick von ihm zu lösen, bin indes noch nicht ganz überzeugt. Ich betaste meinen Hals und suche nach Beweisen, befühle genau die Stelle, an der Havens Faust mich getroffen hat.

Mich ausgelöscht hat.

Ich weiß noch genau, was für ein Gefühl es war, zum zweiten Mal in diesem Leben zu sterben.

Es war ganz anders als beim ersten Mal.

Ich studiere Damens Gesicht, sehe die Besorgnis auf seinen Zügen, die Erleichterung, die sich allmählich ausbreitet, und will, dass er begreift, was sich hier wirklich und tatsächlich abgespielt hat. »Sie hat mich umgebracht«, sage ich zu ihm. »Obwohl ich so oft und so ausgiebig trainiert habe, war ich ihr letztlich doch nicht gewachsen.«

»Sie hat dich nicht umgebracht«, flüstert er. »Ehrlich, du bist noch da.«

Ich will mich aufsetzen, aber er umfasst mich nur noch fester. Und so sehe ich mich im Laden um und betrachte die Scherbenhaufen und die umgekippten Bücherregale – wie eine Szene aus dem klischeehaftesten Katastrophenfilm mit Erdbeben, Tornados und einem brutalen Attentat.

»Aber ich war im Schattenland – ich habe es gesehen …«

»Ich weiß«, fällt er mir ins Wort. »Ich habe deine Verzweiflung gespürt. Aber obwohl es dir wahrscheinlich lang vorkam – für mein Gefühl war es jedenfalls lang –, war es nicht annähernd lang genug, dass die silberne Schnur gerissen wäre und deinen Körper von deiner Seele getrennt hätte. Und deshalb konnte ich dich zurückholen.«

Obwohl er mit solchem Selbstvertrauen spricht, obwohl er nickt und mir mit absoluter Gewissheit in die Augen schaut, weiß ich es besser. Obwohl meine Silberschnur heil geblieben ist, weiß ich bestimmt, dass ich gestorben bin. Und es gibt nur einen einzigen Grund, warum ich zurückgekehrt bin.

Ich bin über mein schwaches Chakra hinausgewachsen.

In dem Moment, in dem ich die Wahrheit – über mich – über uns – erkannt habe, dem Moment, in dem ich die richtige Wahl getroffen habe, war ich irgendwie wiederhergestellt.

»Sie hat mich mitten in meinen wunden Punkt geschlagen – mein fünftes Chakra –, und dann habe ich alles gesehen.« Ich schaue zu ihm auf, will, dass er es weiß, dass er mich wirklich hört. »Ich habe alles ganz genau gesehen, jeden einzelnen Moment aus allen unseren Leben. Auch die Sachen, die du so unbedingt vor mir verbergen wolltest.«

Er holt tief Luft und sieht mich fragend an – vor allem eine Frage steht groß und dräuend zwischen uns.

Und ich zögere nicht, sie zu beantworten, schlinge ihm die Arme um den Hals und ziehe ihn an mich, wobei ich vage den Energieschleier wahrnehme, der zwischen seinen und meinen Lippen tanzt, während mein Geist mit seinem verschmilzt. Ich schildere ihm alles, was ich gesehen habe und was ich jetzt weiß.

Dass ich die einzige echte Wahrheit akzeptiert habe.

Dass ich nie wieder an ihm zweifeln werde.

Wir bleiben so, unsere Körper dicht aneinandergepresst und uns intensiv des Wunders bewusst, das soeben geschehen ist.

Ich bin mehr als nur wiedergeboren worden – ich bin wirklich und tatsächlich neu erwacht.

Im nächsten Moment löse ich mich von ihm und stelle ihm nur mit den Augen eine Frage, die er postwendend beantwortet. »Ich habe deine Notlage gespürt«, sagt er. »Ich bin hergekommen, sobald ich konnte, nur um den Laden verwüstet und dich … quasi tot vorzufinden. Aber es hat nicht lange gedauert, bis du zurückgekehrt bist – auch wenn es dir sicher wie eine Ewigkeit vorkam. So funktioniert das Schattenland.«

»Und Jude?« Mir sinkt das Herz in die Magengrube, während ich mich hektisch im Raum umsehe und ihn nicht entdecken kann.

Ich verliere jede Hoffnung, als Damen mir in düsterem Tonfall antwortet: »Jude ist nicht mehr da.«