Sechs
Ich sinke ganz in das Wasser ein – das wundervolle, warme, seidenweiche Wasser. Dann halte ich, so lange ich kann, den Atem an, spüre intensiv, wie meine Zellen verjüngt und mit neuem Leben erfüllt werden. Die Knoten in meinen Schultern lösen sich, während die nässenden Blasen an meinen Füßen verschrumpeln und die Haut glatt und heil wird, ohne jede Spur einer Verletzung.
Kaum ist meine Verwandlung abgeschlossen, schnelle ich an die Oberfläche – wiederauferstanden, neugeboren. Ich finde Dace dicht an meiner Seite; seine eisblauen Augen glitzern, und sein Lächeln strahlt wie ein Leuchtfeuer und zieht mich in seine Arme.
Er bedeckt meinen Mund mit seinem – unsere Lippen prallen aufeinander, schmecken und forschen, und unsere Zungen wirbeln und tanzen, verlieren und finden sich immer wieder aufs Neue. Unsere Körper verschmelzen, schmiegen sich ineinander, während seine Hände mein Fleisch suchen und überall Lustwallungen auslösen. Er macht sich ein winziges Stück von mir los und presst seine Stirn gegen meine. Sein Blick ist von einem Verlangen erfüllt, das sich mit meinem messen kann.
Ich atme schneller und drücke mich an ihn, begierig, ihn erneut in einen Kuss zu ziehen. Doch Dace hält mich fest und beginnt mit bedeutungsschwerer Stimme zu sprechen. »Daire – ich liebe dich.« Seine Lider werden schmal, und sein Kiefer verspannt sich, während er mein Gesicht erforscht und auf meine Reaktion wartet.
Und dann werden seine Züge weich vor Erleichterung, als ich sage: »Und ich liebe dich.« Ich bin erstaunt, wie leicht mir die Worte von der Zunge gegangen sind. Es war sogar wesentlich leichter, als ich gedacht hatte. Die große, massive Mauer, die ich mir in langen Jahren aufgebaut habe, um mich vor Augenblicken wie diesem zu wappnen, ist mit einem kleinen Schubs in sich zusammengestürzt.
Doch schon im nächsten Moment füllt sich mein Herz mit Panik – ich fühle mich verletzlich, entblößt. Mein Herz ist es nicht gewohnt, sich zu offenbaren, nachdem es sein Leben in Eis eingefroren, unter Quarantäne und ordentlich weggepackt in einer unzugänglichen Ecke verbracht hat.
Wenn ich eines sicher weiß, dann, dass nichts ewig hält. Beziehungen enden, Abschiede müssen vollzogen werden, und das ist der Teil, den ich noch nie besonders gut beherrscht habe. Es war schon immer leichter, einfach die Stadt zu wechseln, den nächsten Flug zu nehmen und nie mehr einen Blick zurückzuwerfen.
Ich hole tief Luft. Ringe um Fassung. Ich muss akzeptieren, dass die Worte ausgesprochen wurden, die Wände eingestürzt sind und es unmöglich ist, das Ganze rückgängig zu machen – unmöglich, an diesen sicheren, einsamen Ort zurückzukehren, der mein Zuhause war.
Doch als ich erneut seinem Blick begegne und sehe, wie er vor Verehrung und Liebe überquillt, schwillt mein Herz an, und die Panik verschwindet. An ihre Stelle tritt die reine Vorfreude darauf, aus meinem Käfig auszubrechen.
Ich sage die Worte noch einmal.
Und dann noch einmal.
Und dann noch ein paarmal.
Ich fahre mit den Lippen an seinem Kinn entlang bis zu der Kuhle an seinem Hals, wo ich die Worte in sein Fleisch präge.
Jede einzelne Liebeserklärung macht mich stärker. Und endlich begreife ich, was damit gemeint ist, wenn man sagt, dass Liebe heilt – dass Liebe Kraft gibt – dass die Liebe alles besiegt.
Ich wechsele die Stellung, bis ich rittlings auf ihm sitze. Dann fahre ich mit den Händen seine seidig glatte Brust hinauf und umfasse seine Schultern. Mein Blick wird tiefer, meine Absichten sind unverkennbar. Die Erklärung war erst der Anfang – nun folgt die Tat.
»Bist du sicher ?« Er sieht mich fragend an.
Ich nicke. Nie war ich mir sicherer. Über irgendetwas. Je zuvor.
Er fährt mir mit einem Finger über die Wange, seine Berührung sanft und zart, während er sich vorbeugt, um mich erneut zu küssen. Seine Lippen fallen leicht auf meine, als etwas seltsam Glitschiges an meinem Schienbein vorübergleitet und ploppend neben mir an die Oberfläche kommt.
Ich schnappe nach Luft. Schon will ich fluchtartig die Quelle verlassen, schelte mich selbst, weil ich es nicht besser gewusst habe – denn es wäre ja einfach zu schön gewesen, um wahr zu sein –, als Dace mich aufhält und mich wieder auf seinen Schoß zieht. Er zeigt mir den Gegenstand, der nun flach auf seiner Hand liegt – eine überreife Blüte, die aus dem Rankendach über uns herabgefallen sein muss.
Er lächelt sanft, hebt mich aus dem Wasser und bettet mich auf ein weiches Rasenstück, ehe er sich neben mich legt. Er mustert mich mit einem so widersprüchlichen Blick – so voller Sehnsucht, Staunen und nervöser Vorfreude –, dass ich ihn einfach an mich ziehen muss, begierig darauf, ihm zu versichern, dass dies genau der Ort ist, an den wir beide gehören.
Seine Lippen finden meine, doch gerade als der Kuss tiefer wird, heißer, macht er sich los. »Ich hoffe, du findest das nicht sonderbar, aber ich hab das erst ein einziges Mal zuvor gemacht.«
»Jemand, den ich kenne ?« Ich wende den Blick ab und verbeiße mir den kleinen Anfall von Eifersucht.
Bitte lass es nicht Lita sein. Oder Jacy. Oder Crickett. Oder Xotichl. Oder irgendein anderes Mädchen, mit dem ich befreundet bin …
»Nein«, murmelt er mit abwesender Miene. »Niemand, den ich heute noch kenne.«
Ich schlinge die Finger in die seidenweichen Strähnen seines glänzenden Haars und versuche, meine Erleichterung zu dämpfen. »Tja, das ist jedenfalls immer noch einmal mehr als ich.« Mein Blick begegnet seinem, und ich erkenne die Neugier in seinen Augen. »Trotz allem, was du über meine wilde Hollywood-Vergangenheit gehört haben magst.« Ich weiß, was er denkt: Dass jemand, der ein solches Leben geführt hat wie ich, ein Mädchen, das mit einem angeblich so heißen Typen wie Vane Wick zusammen war, zumindest einmal in dieser Situation gewesen sein muss, und so weise ich dies rasch von mir. »Ehrlich. Ich bin nie bis an diesen Punkt gekommen. Offenbar hab ich auf dich gewartet.«
Er rückt näher, sagt aber kein Wort. Seine Miene ist voller Gefühl, als er mit einem Finger das Band meines Wildlederbeutelchens entlangfährt und die Stelle umkreist, wo es über meinem Herzen ruht.
Seine Berührung lässt mich derart schwindeln, dass ich nur noch flüstern kann. »Allerdings habe ich genug Filme gesehen, um zu wissen, dass es so beginnt …«
Meine Finger gleiten tiefer, sodass ich ihm die Badehose abstreifen kann, während er mich von meinem Bikinihöschen befreit. Gebannt vom herrlichen Anblick seiner Nacktheit erforsche ich mit den Händen die Kurve seiner Schultern, die festen Muskeln seiner Brust und das schlanke Tal seines Bauchs. Meine Haut gleitet zart an seiner entlang, als er mich fest an sich zieht, mit den Lippen mein Fleisch liebkost und sich in mich gleiten lässt.
Ich schnappe nach Luft – überrumpelt von einem scharfen, kurzen Schmerz, der bald von den pressenden, kreisenden Bewegungen seiner Hüften gelindert wird, während ich seinen wilden Herzschlag spüre. Und schon im nächsten Moment bin ich nur noch Gefühl, verliere mich darin, ihn zu spüren – seine Magie – die Euphorie, bei ihm zu sein.
Spüre ihn ganz.
Ich ergebe mich der Welle des Hochgefühls, die mich durchwogt – mich entfesselt – befreit. Entledige mich meines Körpers. Schwebe neben ihm.
Zwei Seelen steigen mit schwindelerregendem Tempo nach oben – wirbeln durch die Galaxien – jagen über ein weites Sternenfeld.
Die Worte bleiben ungesagt, doch sie sind trotzdem wahr: Dies ist der Moment, der uns vereint – uns verbindet – für alle Ewigkeit.
Ohne je den Blick von mir abzuwenden, umfasst er mit beiden Händen mein Gesicht und führt mich wieder zur Erde zurück, wo er mich in seine Arme zieht und seinen Körper um mich schmiegt. Das Gesicht in meinen Haaren vergraben, atmet er tief und langsam, sucht sich auf meinen Rhythmus einzustimmen, während ich unbedingt den Augenblick festhalten will. Mit aller Kraft will ich jeden Gedanken an die reale Welt abwehren, doch das gelingt mir nicht einmal ansatzweise. »Ich weigere mich, ein schlechtes Gewissen zu haben«, sage ich.
Dace stützt sich auf seinen Ellbogen und starrt mich an. Offenbar versteht er nicht, was ich meine.
»Deshalb.« Ich drehe mich zu ihm um und lege ihm die flache Hand auf die nackte Brust, sodass ich seinen Herzschlag spüre. »Ich weigere mich, ein schlechtes Gewissen zu haben – weil ich die Jagd unterbrochen habe, um mit dir zusammen zu sein.« Mein Blick brennt sich in seinen, während ich inständig hoffe, dass meine Worte zutreffen. Doch bei dem ganzen Chaos, das um uns herum tobt, ist das ziemlich gewagt. Trotzdem spreche ich weiter. »Ich bin schon seit Stunden hier unten. Als Rabe mich zu dir geführt hat, war ich mit den Nerven am Ende. Und jetzt sieh nur, die Quelle hat mich tatsächlich geheilt.« Ich wackele zum Beweis mit dem Finger und lächele, als er mit seinem herüberfasst und sich einhakt.
»Daire, du brauchst keine Ausreden. Liebe ist die höchste Energie von allen. Sie braucht keine Vergebung, keine Entschuldigung.«
»Schön, dass du das sagst.« Ich grinse. »Ehrlicherweise habe ich mich schon gefragt, wann du dich endlich dazu durchringst.«
Lachend wirft er den Kopf in den Nacken und entblößt dabei seinen herrlichen, ebenmäßigen Hals. »Das ist eine ziemlich großartige Erklärung, weißt du. Ich wollte wohl einfach sicher sein, dass die Aussicht auf Erwiderung besteht.«
Ich mustere ihn genau. Es amüsiert mich, dass er nicht erkannt hat, was ich für so unübersehbar gehalten hatte. »Hast du ernsthaft an mir gezweifelt ?« Ich lasse mein Bein über seines gleiten und genieße die Glätte seiner Haut.
Er lächelt verhalten und schaut in die Ranken über uns. Dann zieht er eine prächtige rote Blüte zu sich heran, knipst sie ab und steckt sie mir ins Haar. »Du kannst manchmal ein bisschen reserviert sein – ein bisschen schwer zu durchschauen.«
»Ach ja ?« Ich grinse ihn an. »Dann sag mal, Dace Whitefeather, wie würdest du das hier interpretieren ?« Ich ziehe ihn an mich.
Er antwortet mit einem Kuss.