Kapitel 31
Die Bäuerinnen verkauften Kräutertee auf dem großen Platz, auf dem die Mariensäule stand, ein wenig südlich von der Residenz. Sie trugen riesige Kiepen auf dem Rücken, voller getrockneter Kräuter und örtlicher Gewürze. Ian McMullen hatte zwei Sorten Tee gekauft, einen, der einem im Falle einer Erkältung helfen sollte, und einen, der für die Nerven gut war. Außerdem hatte er noch ein kleines Döschen frischen Meerrettich erstanden.
„Es geht nichts über frischen Meerrettich!“, hatte die Frau in dem bunten Bauernkleid gesagt. „Macht den Kopf frei, befreit die Nase und lässt die Seele senkrecht stehen.“ Sie zwinkerte ihm dabei zu, eine wissende Anspielung aus einem runzligen Gesicht.
Den Kopf freizubekommen war genau richtig. Ob er mit der Befreiung seiner Nase oder der Lotrechtstellung seiner Seele ebenso einverstanden wäre, da war er sich nicht so sicher. Zu Hause angekommen hatte er das kleine Döschen geöffnet und einen Teelöffel voll der beigefarbenen Creme zu sich genommen. Daraufhin war ihm schier der Deckel vom Kopf geflogen. In Schottland wurde Meerrettich nur spärlich verwandt, und wenn, dann verdünnt in einer sanften Soße. Er hatte nicht gewusst, wie das Zeug frisch gerieben und unverdünnt schmeckte und was es auslöste.
Nachdem er einige Sekunden wild herumgesprungen war und ihn die Angst beschlich, ihm könne tatsächlich die Nase vor lauter Befreiung abfallen, japste er nach Luft und wischte sich die Tränen ab. „Kräuterweiberl“ nannte man die Frauen im örtlichen Dialekt. Er war sich ganz sicher, dass viele von ihnen in weniger großmütigen Epochen auf dem Scheiterhaufen gelandet waren.
Seltsamerweise fühlte er sich tatsächlich erfrischt und saß alsbald auf einem der alten Stühle und ließ sich eine Tasse Kräutertee schmecken. Er konnte beileibe nicht mit dem hochgezüchteten Aufgussgetränk seiner britischen Heimat konkurrieren, doch schlecht war er nicht.
Weiteren Nachforschungen in der Loge war Ian entkommen und hatte seinen Anteil an Forschungsarbeit geleistet, so leise und unauffällig wie möglich. Bis jetzt hatte er noch keinen einzigen Hinweis im Archiv gefunden, der als Erklärung für die derzeitige Situation dienen mochte, und sonst hatte das ebenfalls keiner. Auch konnte man nicht wirklich behaupten, dass die Stimmung aggressiv wurde. Nach der letzten etwas hitzigen allgemeinen Debatte hatten sich die Herren wieder an ihre Bücher gesetzt, und in den heiligen Hallen von Aroria herrschte eiserne Kontrolle. Jeder war höflich und konzentriert. Kleine Streitereien hatten aufgehört. Selbst jene Meister und Adepten, die normalerweise nicht über einen einzigen Aspekt des Universums einer Meinung sein konnten, diskutierten die derzeitigen Erkenntnisse mit maßvollem Eifer und entschlossenem Benimm.
Ian fand das alles faszinierend. Wenn man einmal von dem schrecklichen Grund für die derzeitige Stimmung absah, so zeigte sich hier doch ein zivilisiertes Betragen, das weit über das hinausging, was man sonst auf der Welt antreffen mochte. Der europäische Gentleman hatte sich natürlich immer gewissen strikten Anstandsregeln zu beugen, doch das Benehmen in der Loge ging noch darüber hinaus. Hier wurden Unterschiede im Glauben, in der nationalen oder sogar der sozialen Abstammung vollkommen nivelliert. Sollten Politiker – egal in welchem Land – je so konzentriert versuchen, dem Wohle aller zu dienen, unabhängig von nationalen, religiösen oder Standesinteressen, wäre Utopia nicht mehr weit entfernt.
Vielleicht war das ja der Grund, warum man Arkanlogen misstraute. Es waren nicht in erster Linie die magischen Kenntnisse, die Laien fürchteten – schon deshalb nicht, weil die meisten ohnehin nicht daran glaubten. Es war der zielgerichtete Geist eines hochmotivierten Netzwerks, das aktuelle politische Konstellationen als Spielfeld für eigene Ambitionen ansah und sich somit über kleinliche Streitigkeiten mit einer gewissen zielbewussten Herablassung hinwegsetzte. Nicht die ‚Feuerkraft‘ einer Loge fürchtete man, sondern vielmehr deren willensstarken Zusammenhalt und unergründliche Zwecke.
Dabei mischten sich Logen oder auch Meister nur selten in die Politik ein. Die Dinge wurden schnell gefährlich, wenn man das Übernatürliche in den Kampf um die Vormachtstellung mit einbrachte.
Der Tee war gut. Er hatte immerhin einige Minuten lang nicht an die Gefahr, in der er schwebte, und an sein mögliches Ableben gedacht. Auch nicht an die grauschwarzen Hämatitaugen, die einem durchs Gewissen und durchs Gemüt fuhren. Doch es war nur eine Tasse Tee, und jetzt waren alle diese Gedanken wieder da, verschlimmert durch seine Müdigkeit.
Er hörte, wie sich die Wohnungstür öffnete und wieder schloss. Thorolf kam heim. Er fragte sich, in was für einer Laune sich sein Wohnungsgenosse befinden würde. Im Gegensatz zu Ians Logenbrüdern gab sich der Künstler keine Mühe, seinen emotionalen Status zu verbergen. Vorlieben und weniger Geschätztes, Frustration und Freude strahlten immer um ihn herum wie eine Aura. Man konnte auch nicht eben behaupten, dass er seine neue Situation mit würdevoller Gefasstheit aufnahm. Am Morgen war er noch sehr verstört gewesen, wütend und bitter, was seine eigene Lage anging, und noch zorniger darüber, dass er das Mädchen verloren hatte.
Ian hatte Schwierigkeiten, sich vorzustellen, dass sie vollständig verloren war. Wissenschaftler des Arkanen neigten dazu anzunehmen, dass auf irgendeiner Ebene des Seins die meisten Dinge einen Sinn ergaben oder zumindest zusammenpassten, und wenn einem das nicht so schien, so war das nur, weil derjenige, der in der vermeintlich sinnlosen Situation steckte, nicht den Gesamtzusammenhang erkennen konnte. Dieser war allerdings grundsätzlich zu groß, um vom Durchschnittsmensch überhaupt erfasst zu werden, und meist auch größer, als dass der Durchschnittsmagier ihn zu durchschauen vermochte. Man konnte die schmerzhaften Wirrnisse des Lebens im Grunde also nur als sinngebend innerhalb eines Gesamtkontextes verstehen, wenn man sich bereits jenseits der menschlichen Auffassungsgabe befand.
Jedenfalls zog Ian es genau deshalb vor, nicht an den Tod des Mädchens zu glauben, denn nach einer so kurzen Begegnung mit ihrem geheimen Bewunderer ergab ihr Ableben keinen Sinn. Ein Meister des Arkanen mochte hier die Wahrscheinlichkeiten errechnen. Ian konnte sich nur auf seinen Instinkt verlassen.
Als Thorolf eintrat, sah er allerdings nicht unglücklich aus. Eher schuldbewusst und unsicher.
„Guten Abend.“ Ein etwas verschämtes Lächeln glitt über seine Züge, und graue Augen gingen zwischen Ian und der Tasche, die Thorolf trug, hin und her. In der anderen Hand hielt er eine Milchkanne und setzte sie auf dem Tisch ab.
„Du hast Milch gekauft? Die wird sauer werden. Wir haben noch welche.“
„Stimmt. Aber die ist nicht für uns, sondern für unseren Gast.“
„Wir bekommen einen milchtrinkenden Gast?“
Thorolf stellte nun auch seine Tasche auf den Tisch und öffnete sie vorsichtig. Mit beiden Händen griff er hinein und hob eine kleine, rötlich getigerte Katze heraus.
„Ich habe uns einen Mäusefänger besorgt“, sagte er.
„Wir haben keine Mäuse“, erwiderte Ian und besah sich die hochbeinige junge Katze, die eben aus Thorolfs Händen auf den Tisch stieg. Blasse, goldbraune Augen blickten ihn misstrauisch an. Etwas zu große Ohren zuckten, und die Katze trat einen zierlichen Schritt vor.
„Ich habe sie in der Neuhauser Straße gefunden. Ein riesiger Hund hat sie gejagt und hätte sie fast zerrissen. Sie ist mir direkt in die Arme gehüpft. Ich habe den Hund getreten.“
„Und die Katze gerettet.“
„Ja. Stimmt.“
„Dann hast du entschieden, sie in Sicherheit zu bringen.“
„Es war eher ihre Entscheidung. Als ich sie wieder auf den Boden gesetzt hatte, um sie in die Freiheit zu entlassen, ist sie mir die Beine hochgeklettert und hat sich in mein Hemd gekrallt. Sie hatte fürchterliche Angst.“
„Also hast du ihr Asyl geboten.“
„Macht es dir etwas aus?“
Ian sah das Tier an und streckte eine Hand nach ihm aus, um ihm den Rücken zu streicheln. Es duckte sich, glitt darunter hinweg, als versuche es Wirbel für Wirbel der Liebkosung zu entgehen. Als die Bewegung zuende war, hatte sich die Katze komplett umgedreht und blickte nun Thorolf an.
„Verdammt gelenkige kleine Biester. Bist du dir sicher, dass es eine Sie ist? Könnte es nicht auch ein Kater sein?“, fragte Ian.
„Ich weiß nicht. Ich habe einfach angenommen, dass sie eine Katze ist. Sie ist so zart und hübsch.“
„Wir können ja nachschauen.“ Ian griff nach ihrem Schwanz, der ärgerlich zuckte. Die Katze fauchte und sprang herum, blickte ihn schockiert und empört an. Klitzekleine spitze Zähnchen wurden allzu deutlich sichtbar. Ein Pfötchen mit ausgefahrenen Krallen schlug durch die Luft, dorthin, wo eben noch seine Hand gewesen war.
Einen Augenblick später wirbelte die Katze herum und protestierte mit einem unglücklichen Miauen. Diesmal hatte Thorolf versucht, ihr Geschlecht festzustellen. Sie fauchte auch ihn an, doch schlug nicht nach ihm. Sie drehte einen kleinen Kreis, setzte sich possierlich hin und nahm so den Männern jede weitere Möglichkeit, irgendetwas genauer zu studieren.
„Hoppla“, sagte Ian. „Sie verteidigt ihre Keuschheit mit einigem Nachdruck. Eine Dame.“
„Ein junge Dame. Meinst du, wir können sie behalten? Ich würde sie ungern wieder raus auf die Straße werfen.“
Ian zuckte die Achseln.
„Verständlich. Behalte sie, solange Möhlner nichts dagegen hat. Aber du musst sie füttern. Diese Behausung ist zu neu, um eine Katze auf reine Mausdiät setzen zu können. Das arme Ding würde verhungern. Dann ist da auch noch das andere kleine Problem.“
„Alte Zeitungen. Gibt es massenhaft in der Akademie.“
„Wenn du ihr beibringen kannst, stubenrein zu werden …“
„Das schaffe ich schon.“
Die Katze tat einige Schritte zum Rand des Tisches und sah unsicher hinunter. Eine Pfote fuhr durch die Luft.
„Offenbar kein mutiges Exemplar. Ich habe noch keine Katze gekannt, die sich nicht getraut hätte, vom Tisch zu springen.“
„Sie ist doch noch ein halbes Kätzchen, und sie hat sich heute ganz furchtbar erschreckt. Schließlich macht es keinen Spaß, beinahe von einem großen, schwarzen Untier gefressen zu werden.“
Thorolf kraulte die Katze hinter den Ohren, und nach kurzem Zögern gestattete sie ihm das und rieb ihren Kopf gegen seine Hand.
„Das weißt du selbst am besten.“
„Eben. Das Abendessen eines Raubtiers zu werden ist kein Spaß. Armes Kattikätzchen.“
„Wirst du sie so nennen? Catty?“
„Sie braucht auf alle Fälle einen Namen. Himmel, hörst du sie schnurren?“
„Lautes kleines Ding. Sie mag es, wenn du sie streichelst.“
„Ich bin ja auch ihr Held und Retter. Ich wünschte nur …“ Thorolf beendete den Satz nicht, aber sein Lächeln erlosch, und Ian wusste, dass er wieder an das Mädchen dachte. Ein Mädchen verloren, ein Kätzchen gewonnen. Obgleich Ian verstehen konnte, warum sein Freund die Katze behalten wollte, war er sich eben so sicher, dass sie es nicht schaffen würde, ihn die Vorgänge der letzten Nacht vergessen zu lassen. Doch er sagte nichts dazu.
„Also heißt sie jetzt Catty?“
„Meinst du, Kitty wäre besser?“
„Warum nicht ein etwas schönerer Name? Im alten Ägypten waren Katzen Göttinnen.“
„Sie ist keine Göttin. Sie ist nur eine kleine Streunerin. Mit sehr weichem Fell und ungewöhnlichen Augen – nicht grün, sondern eher topasfarben.“
„Trotzdem. Katzen haben ihre Würde. Sie sollte einen besseren Namen haben. Wie wäre es mit Nofretete? Oder Nafteta? Das sind majestätische ägyptische Namen. Königliche Namen.“
„Wir rufen sie mal, dann sehen wir ja, ob sie drauf hört.“
„Nofretete! Hierher. Komm, komm!“
Die Katze sah Ian hochnäsig an.
„Catty!“, rief Thorolf, und die Katze schmiegte sich an seine Hand. „Ich denke, das war deutlich. Sie heißt Catty. Sie ist eine bayerische Katze und keine ägyptische.“
„Das ist in Ordnung, solange sie nicht anfängt zu jodeln.“
„Das würde mich überraschen.“ Thorolf nahm seine Taschenuhr zur Hand, und ein Blick darauf versetzte ihn in Panik. „Verflucht. Ich bin spät dran. Zu einer Einladung bei Professor Lybratte und Gattin sollte man sich besser nicht verspäten.“
„Miau!“ Ein hoher, nervöser Klagelaut kommentierte Thorolfs Worte.
„Ja, ich muss dich heute Abend allein lassen. Sei nett zu McMullen. Er wird dich dann nämlich vielleicht füttern.“
Thorolf eilte in sein Schlafzimmer und ließ die Tür halb offen. Nach einem kurzen Zögern sprang die Katze vom Tisch und folgte ihm zur Tür, linste drum herum und schlüpfte hinter ihm ins Zimmer.
„Sag mal, hat es irgendwelche Probleme mit deinen Leuten heute gegeben?“, schallte Thorolfs Stimme aus dem anderen Raum. „Ich meine, haben sie versucht, dich …“
„Ich lebe noch. An einer Stelle war es ein wenig knapp. Aber im Moment sieht es so aus, als wären meine Meister zu dem Schluss gekommen, dass ich verliebt bin, was meine ungewöhnliche Aura erklärt. Ich hoffe, sie glauben das auch weiterhin.“
„Ach, verliebt sein darf man? Ich meine, wo ihr doch … wo ihr doch nicht … du weißt schon.“
„Es gibt kein Gesetz, das verbietet, sich zu verlieben. Das wäre auch gar nicht möglich. Es ist nichts, was sich einfach verbieten lässt. Was zum …“
Catty, die neue Wohnungsgenossin, schoss aus Thorolfs Zimmer, rannte unglücklich im Zickzackkurs über den Holzboden und verschwand unter der Wohnzimmercouch. Der junge Schotte ließ sich auf die Knie nieder und sah nach, wohin sie entschwunden war.
„Was um Himmels willen hast du getan? Du hast ihr höllische Angst eingejagt.“
Thorolf erschien halb bekleidet in der offenen Tür. Künstler hatten wirklich weniger Hemmungen als andere Menschen. Freilich hatte er auch keinen Grund dazu. Der Sohn einer besonders schönen Frau und eines Feyons sah selbst aus wie ein Kunstwerk.
„Ich habe mich umgezogen. Das war wirklich alles. Sie hat mich angeglotzt und ist dann wie eine Dampflokomotive davongesaust.“
„Sich vor einer Dame auszuziehen gehört sich auch nicht.“
„Ich werde es mir merken. Mir war nicht klar, dass Katzen da so etepetete sind. Wir hatten mal zu Hause eine, vor Jahren. Der war es vollkommen schnurz, ob man vor ihr etwa im Adamskostüm Walzer tanzte, solange sie nur regelmäßig ihr Futter bekam. Allerdings war das auch eine alte Katze. Die konnte vermutlich nichts mehr so leicht schockieren. Sie sah einen immer nur entnervt an und ließ einen dann stehen, und man wurde kräftig ignoriert.“
„Vielleicht hatte sie ja einen Sinn für menschliche Akte.“
Wenn dem so war, hatte Thorolfs alte Katze offenbar einen guten Geschmack gehabt. McMullen wandte seinen Blick ab und konzentrierte sich auf den kleinen Flüchtling unter dem Sofa.
„Komm da raus, Catty, los, komm schon. Es gibt nichts, wovor man sich fürchten müsste. Er wird dich schon nicht beißen.“
Riesige, leuchtende Augen sahen ihn aus der Dunkelheit an. Das Kätzchen hatte sich in die letzte Ecke zurückgezogen, dorthin wo es am dunkelsten war. Wenn er sie von dort hervorzerrte, würde es nicht ohne Kratzer abgehen.
„Ich werde ihr ein Schälchen Milch zurechtmachen. Glaubst du, sie mag Wurst?“, fragte McMullen und ging hinüber zum Küchenschrank. Thorolf verschwand wieder in seinem Zimmer.
„Sie hat wahrscheinlich Hunger. Katzen haben eigentlich immer Hunger. Wenn erst mal Futter für sie dasteht, wird sie schon rauskommen.“
Der Akolyth setzte eine Untertasse mit Milch auf den Boden. An den Rand legte er ein Stück Wurst.
„Kittykittykittykitty … Catty …“
Thorolf stürmte aus seinem Zimmer, fast perfekt und korrekt gewandet. Er trug einen dunklen, gut geschnittenen Anzug mit Rock und Weste, ein gestärktes Hemd mit steifem Kragen und eine magentarote Krawatte, die er aus einem großen Schnäuztuch gefaltet hatte.
„Bist du dir da sicher – mit dem Taschentuch?“
„Meinst du, es ist zu gewagt? Ich wollte die künstlerische Note hervorheben. Nur für den Fall, dass mich jemand für einen langweiligen Mathematiker hält.“
„Gewiss nicht. Ich weiß, dass du ein Held bist, der sich Ungeheuern entgegenstellt, aber wenn du diese Krawatte zu einer offiziellen Saloneinladung trägst, bist du noch mutiger als ich dachte.“
Thorolf schmunzelte und ging zum Wandspiegel.
„Ich finde, es ist was ganz Besonderes.“
„Da würde ich nicht widersprechen.“
„Ich bin zu jung, um in Garderobe herumzulaufen, die primär bei Begräbnissen gut ankommt. Du übrigens auch.“
„Unsereins kleidet sich gern ernsthaft und unauffällig.“
„Tut unsereins das? So wie unsereins das Zölibat mag?“
Ihre Blicke trafen sich einen Augenblick lang, dann grinste Thorolf.
„Tut mir leid. Mach du deine Sache, und ich mache meine – und wenn du mal meine Hilfe brauchst, jederzeit. Wenn ich mal deine Hilfe brauche, zum Beispiel um mich in Fragen der Krawattenmode zu beraten, werde ich dich auch ganz gewiss konsultieren.“
Ian verneigte sich und kicherte.
„Selbstverständlich. Nun beeil dich schon. Beeindrucke ein paar Leute. Mit deiner Kunst – und mit deiner Krawatte.“
Thorolf schwang seinen Zylinder und verbeugte sich. Dann nahm er Mantel und Spazierstock.
„Ich werde mein Bestes tun. Pass gut auf Catty auf!“
„Mache ich. Ich werde sie füttern und aufpassen, dass ich mich vor ihr anständig benehme.“
„Auf dich ist Verlass.“
Thorolf zog seine Handschuhe an und ging zur Wohnungstür.
Eine Sekunde später lag der begabteste Primaner der Aroria-Loge wieder auf seinen ernsthaft und unauffällig gewandeten Knien.
„Cattycattycattycattycattycatty … jetzt sag mir nicht, dass du weder Milch noch Wurst magst!“
Keine Antwort.
„Ich verspreche, dass ich mich benehmen werde“, sagte er und grinste. Kurz darauf streckte sich eine vorsichtige weiße Pfote unter dem Sofa hervor.
„Weißt du, Catty, irgendetwas an dir ist schon recht eigentümlich.“