5. KAPITEL

S abin hatte vor ihren Augen einen Menschen getötet. Mehrere Stunden waren vergangen, seit sie den Ort des Geschehens verlassen hatten, doch der Anblick dieses Menschen, der erst auf die Knie und dann aufs Gesicht gefallen war, zunächst noch ein Gurgeln von sich gegeben hatte und dann still gewesen war, so still – dieser Anblick wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen.

Gwen hatte gewusst, dass in Sabin etwas Wildes schlummerte – die gleiche Art von Wildheit, die auch sie zu einem Mord getrieben hatte. Sie hatte gewusst, dass er hart, brutal und gänzlich unberührt von weicheren Gefühlen war. Seine Augen verrieten ihn. Dunkel und kalt, schlichtweg berechnend wirkte sein Blick oft. Als er sie vor zwei Tagen aus der Zelle geführt hatte, war ihr aufgefallen, dass er seine Umgebung permanent beobachtete und entschied, wen und was er zu seinem eigenen Vorteil gebrauchen konnte. Alles andere waren Überbleibsel für ihn.

Sie musste ein Überbleibsel gewesen sein. Vorgestern. Jetzt wollte er ihre Hilfe.

Doch Gwen konnte nicht vergessen, dass er sie bei ihrer ersten Begegnung von sich gestoßen hatte. Wie peinlich ihr das gewesen war! Eine einzige Berührung seiner schwieligen Fingerspitzen, und sie hatte sich an die Seite eines Mannes geworfen, der nichts von ihr wollte. Aber er war so warm gewesen, seine Haut schien vor Energie förmlich zu summen, und sie hatte schon so lange keinen Körperkontakt mehr gehabt, dass sie sich nicht anders hatte helfen können.

„Nicht anfassen“, hatte er gesagt und dabei ausgesehen, als wäre er durchaus in der Lage, sie niederzumetzeln, falls sie es wagte, die Hand noch einmal nach ihm auszustrecken.

Als er sie so grausam behandelt hatte, war ihr klar geworden, dass ihre Retter Fremde für sie waren, deren Absichten womöglich genauso schändlich waren wie die ihrer Entführer. Deshalb war sie auf Abstand geblieben und hatte die vergangenen zwei Tage genutzt, um sie genau zu beobachten und ihre Privatgespräche zu belauschen. Sie konnte es wieder mental steuern und hielt den Geräuschpegel auf einem erträglichen Niveau, sodass sie den Männern, die nicht belauscht werden wollten, zuhören konnte, ohne angestrengt das Gesicht zu verziehen und sich damit zu verraten.

Ein Gespräch, das am Morgen stattgefunden hatte, ging ihr immer wieder durch den Kopf.

„ Wir sind schon seit fast einem Monat hier, und es gibt immernoch keine Spur von einem Artefakt. Wie viele Pyramiden müssen wir denn noch durchsuchen, bevor wir etwas finden? Ich dachte, diese letzte Pyramide wäre der Jackpot – immerhin sind Jäger dort gewesen, aber…“

Wieder hatten die Männer von einem Jäger gesprochen. Chris hatten seine Helfer auch so bezeichnet. Warum?

„ Ich weiß, ich weiß. All die Arbeit, und wir sind der Büchse keinen Schritt näher gekommen.“

Artefakt? Büchse?

„Sollen wir zusammenpacken?“

„Das könnten wir. Bis uns unser Auge einen weiteren Hinweis gibt, sind wir richtungslos.“

Seltsame Formulierung. Ihr Auge könne Hinweise geben? Worauf? Und wessen Auge meinten sie? Vielleicht Luciens? Ihr war aufgefallen, dass er ein blaues und ein braunes Auge hatte.

„Hoffentlich hat Galen auch noch nichts gefunden. Also, außer einem Speer, der sich in sein Herz gebohrt hat. Den zu finden, dabei würde ich ihm sogar helfen.“

Wer war Galen? Spielte es eine Rolle? Diese Krieger waren … seltsam. Die Hälfte von ihnen sprach, als wären sie direkt dem Mittelalter entsprungen. Die andere Hälfte hätte auch einer Straßengang angehören können. Trotzdem liebten sie einander, so viel stand fest. Sie kümmerten sich umeinander, lachten entweder miteinander und machten Witze, oder sie hielten sich gegenseitig den Rücken frei.

Drei Männer und die Kriegerin, Cameo, waren in Sabins Zelt geschlichen, während Sabin mit Lucien fort gewesen war. Jeder hatte ihr die gleiche Botschaft überbracht: Wenn du dem Krieger etwas antust, wirst du leiden. Sie hatten ihre Antwort nicht abgewartet, sondern waren einfach wieder hinausgestapft. Aber die Stimme der Frau … Gwen schauderte auch im Nachhinein. Sie hatte schon allein beim Zuhören gelitten.

Sie hatte so viel Zeit allein im Zelt verbracht, dass sie hätte fliehen können. Vermutlich hätte sie es versuchen sollen. Doch die endlose Wüste, die brennende Sonne und was auch immer sie sonst noch umgab, die Vorstellung hatte Gwen zurückgehalten. Und die Angst natürlich.

Auch wenn sie in den Eisbergen von Alaska aufgewachsen war, wäre sie mit dem Sand und der Sonne zurechtgekommen. Das hoffte sie jedenfalls. Es war das Unbekannte, das sie einschüchterte. Was, wenn sie auf einen bösartigen Stamm traf? Oder auf ein Rudel hungriger Tiere? Oder auf eine andere Gruppe heimtückischer Männer?

Außerdem war ihr Handeln der Auslöser für ihren unfreiwilligen Aufenthalt in diesem gläsernen Käfig gewesen, als sie ihrem damaligen Freund Tyson spontan in einen anderen Staat gefolgt war. Trotzdem. Hätten die Krieger ihr wehgetan, hätte Gwen die Flucht riskiert – was wieder nur eine Hoffnung war. Aber sie hatten sie nicht angerührt, in keiner Weise. Und sie war froh darüber. Wirklich. Dass Sabin sein Wort gehalten hatte – nicht anfassen –, war ein Geschenk des Himmels. Ehrlich.

„Alles in Ordnung?“ Der Krieger namens Strider ließ sich in den vornehmen Ledersessel neben ihr fallen. Sie saßen in einem Privatflugzeug hoch über den Wolken, und es gab mittelschwere Turbulenzen.

Überraschenderweise machte ihr das keine Angst.

Gwen unterdrückte ein bitteres Lachen. Ein Schatten konnte sie dazu bringen, sich zu verstecken, aber ein markerschütterndes Rütteln, bei dem man befürchten musste abzustürzen, entlockte ihr bloß ein Gähnen. Vielleicht weil sie selbst fliegen konnte, irgendwie jedenfalls – auch wenn sie diese Fähigkeit schon ewig nicht mehr eingesetzt hatte. Vielleicht auch weil ein Flugzeugabsturz, verglichen mit dem, was sie in dem vergangenen Jahr durchgemacht hatte, ein Spaziergang für sie wäre.

„Du bist blass“, fügte er hinzu, als sie stumm blieb. Er zog eine Packung scharfer Zimtbonbons aus der Tasche, schob sich eine Handvoll in den Mund und bot Gwen welche an. Bei dem Geruch von Zimt lief ihr das Wasser im Mund zusammen. „Du musst etwas essen.“

Zumindest versteckte sie sich nicht vor ihm. Trotzdem. Was war los mit diesen Männern, dass sie meinten, ihr ständig Junkfood unter die Nase halten zu müssen? „Nein, danke. Es geht mir gut.“ Sie hatte sich noch nicht von den Küchlein erholt.

Nicht dass sie bereute, sie gegessen zu haben. Der Geschmack des Zuckers, das volle Gefühl im Magen – es war himmlisch gewesen, zumindest ein paar kostbare Sekunden lang. Doch sie hatte ja gewusst, dass sie nichts essen durfte, was ihr jemand schenkte. Wie alle anderen Harpyien war sie von den Göttern mit einem Fluch belegt worden, der bewirkte, dass sie nur Nahrung zu sich nehmen konnte, die sie entweder gestohlen oder sich verdient hatte. Das war die Buße für Verbrechen, die ihre Vorfahren begangen hatten. Absolut unfair also. Aber sie konnte nichts dagegen tun.

Außer verhungern natürlich.

Sie hatte genauso große Angst vor den Konsequenzen, die ein Diebstahl nach sich zog, wie vor den Forderungen, mit denen die Männer womöglich aufwarten würden, damit sie sich ein paar kostbare Bissen verdienen konnte.

„Sicher?“, hakte er nach, bevor er sich noch mehr Bonbons in den Mund warf. „Die hier sind zwar klein, aber sie brennen wie die Hölle.“ Von allen Männern ging er am sanftesten mit ihr um. Ihm lag ihr Wohlergehen besonders am Herzen. Seine strahlend blauen Augen sahen sie niemals geringschätzig an – oder wütend, so wie Sabins manchmal.

Sabin. Immer kehrten ihre Gedanken zu ihm zurück.

Unwillkürlich sah sie zu ihm. Er lag auf dem Sofa ihr gegenüber, hatte die Augen geschlossen, und seine Wimpern warfen spitze Schatten auf seine scharf konturierten Wangen. Er trug einen Tarnanzug, eine silberne Kette um den Hals und ein ledernes Herrenarmband. Gwen war sich sehr sicher, dass er auf den Zusatz „Herren“ großen Wert legen würde. Seine Gesichtszüge waren schläfrig entspannt. Wie konnte jemand nur zugleich so jungenhaft und so unbarmherzig aussehen?

Das war ein Rätsel, das sie lösen wollte. Wenn es ihr gelang, würde sie vielleicht endlich aufhören, immer wieder nach ihm zu suchen. Denn es vergingen keine fünf Minuten, ohne dass sie sich fragte, wo er war und was er tat. Am Morgen hatte er seine Sachen gepackt und letzte Reisevorbereitungen getroffen, während sie sich ausgemalt hatte, wie sie ihre Fingernägel in seinen Rücken bohrte und ihn in den Hals biss. Nicht um ihn zu verletzen, sondern um sich zu beglücken!

Sie hatte über die Jahre schon den einen oder anderen Liebhaber gehabt, aber solche Gedanken hatten sie noch nie geplagt. Sie war ein sanftes Geschöpf, verdammt noch mal, sogar im Bett. Es lag an ihm. Seine Mir-ist-alles-egal-außer-wie-ich-meinen-Krieg-gewinne-Einstellung rief diese … Finsternis in ihr hervor. Ja, so musste es sein.

Was er getan hatte, hätte sie anwidern müssen – einem Menschen einfach die Kehle durchzuschneiden … Zumindest hätte sie ihn anschreien sollen, damit er aufhörte; sie hätte protestieren sollen. Doch ein Teil von ihr – diese finstere Seite, das Ungeheuer, dem sie nicht entfliehen konnte – hatte genau gewusst, was passieren würde, und war froh darüber gewesen. Sie hatte gewollt, dass der Mensch starb. Selbst jetzt noch verspürte sie einen Funken Dankbarkeit Sabin gegenüber. Für die wunderbar grausame Art, auf die er für Gerechtigkeit gesorgt hatte.

Das war der einzige Grund gewesen, aus dem sie freiwillig in dieses Flugzeug gestiegen war. Ein Flugzeug, das nicht nach Alaska flog, sondern nach Budapest. Das und die respektvolle Distanz, die die Krieger zu ihr hielten. Ach ja, und diese köstlichen Küchlein – auch wenn Gwen der süßen Versuchung nicht noch einmal erliegen wollte.

Aber vielleicht sollte sie genau das tun. Vielleicht sollte sie sich wie eine erwachsene Frau benehmen, einfach eins stehlen und das Risiko einer Bestrafung in Kauf nehmen. Ihre Fähigkeiten waren zwar etwas eingerostet, aber nun, da sie nicht mehr in ihrer Zelle saß, schmerzte der Hunger schier unerträglich, und körperlich wurde sie zusehends schwächer. Und selbst wenn die Krieger sie verletzten, hätte das ein Gutes. Denn dann würde Gwen endlich aktiv werden und nach Hause fliegen.

Allerdings musste sie sich schnell entscheiden. Schon bald hätte sie nicht mehr die Kraft und die geistige Klarheit, sich ein Häppchen zu stehlen – geschweige denn eine komplette Mahlzeit –, und sie hätte definitiv nicht mehr die Kraft fortzugehen. Das machte das Ganze noch schlimmer: Sie musste nicht nur gegen den Hunger kämpfen, sondern auch gegen die Lethargie.

Sie war nicht etwa dazu verflucht, für immer wach zu bleiben oder so, aber vor anderen zu schlafen verstieß gegen den Verhaltenskodex der Harpyien. Und zwar aus gutem Grund! Im Schlaf war man verwundbar, das perfekte Ziel für einen Angriff, oder besser gesagt für eine Entführung. Ihre Schwestern hielten sich nicht an viele Regeln, jedoch hatten sie nie gegen diese verstoßen. Und Gwen wollte es auch nicht tun. Nicht noch mal. Sie hatte ihrer Familie schon genug Schande bereitet.

Doch ohne Nahrung und Schlaf ging es mit ihrer Gesundheit weiterhin bergab. Es würde nicht mehr lange dauern, und die Harpyie würde das Kommando übernehmen, wild entschlossen, sie zum Wohlbefinden zu zwingen.

Die Harpyie. Obwohl sie in ein und demselben Körper lebten, betrachtete Gwen sie als einzelnes Wesen. Die Harpyie tötete gern, sie nicht. Die Harpyie bevorzugte die Dunkelheit, sie das Licht. Die Harpyie liebte das Tohuwabohu, sie die Ruhe. Ich kann sie nicht ramlassen.

Auf der Suche nach den kleinen mit Creme gefüllten Kuchen ließ Gwen den Blick durch das Flugzeug schweifen. Doch ihr Blick blieb an Amun hängen. Er war der düsterste unter den Kriegern und jemand, den sie noch nie hatte sprechen hören. Er krümmte sich auf dem Sitz, der am weitesten von ihr entfernt war, hatte die Hände an die Schläfen gelegt und stöhnte, als hätte er unerträgliche Schmerzen. Paris, der mit den braunen und schwarzen Haaren – der Verführer, als den sie ihn wegen seiner azurblauen Augen und der blassen Haut einstufte – saß neben ihm und schaute nachdenklich aus dem Fenster.

Ihnen gegenüber saß Aeron, der Krieger, der von Kopf bis Fuß mit Tätowierungen bedeckt war. Auch er war still, stoisch. Die drei hätten Pressesprecher für das Elend sein können. Und ich dachte, mir ginge es schlecht. Was ist nur mit ihnen los?, fragte Gwen sich. Ob sie wussten, wo die Küchlein waren?

„Gwendolyn?“

Striders Stimme riss sie mit einem Schlag aus den Gedanken. „Ja?“

„Hörst du mir zu?“

„Ah, tut mir leid.“ Hatte er sie etwas gefragt?

Das Flugzeug flog durch ein weiteres Luftloch. Eine mit Sand verschmutzte Locke fiel Strider in die Stirn, und er wischte sie sich aus dem Gesicht. Der Bewegung folgte eine verführerische Zimtbrise. Gwens Magen knurrte. „Ich weiß, dass du nichts essen willst“, sagte er, „aber hast du denn keinen Durst? Möchtest du etwas trinken?“

Ja, bitte. Ja. Ihr Mund wurde noch wässriger. „Nein, danke.“

„Nimm wenigstens eine Flasche Wasser. Sie ist versiegelt, du brauchst also keine Angst zu haben, dass wir sie irgendwie präpariert haben.“ Er zauberte eine glänzende, eiskalte Flasche aus dem Becherhalter neben sich hervor und hielt sie ihr vors Gesicht. War sie schon die ganze Zeit da gewesen?

Stumm schluchzte Gwen. Es sah so köstlich aus … „Vielleicht später“, brachte sie krächzend hervor.

Er zuckte die Schultern, als wäre es ihm egal, aber aus seinen Augen sprach die Enttäuschung. „Ich geb’s auf.“

Es gab doch bestimmt irgendetwas in der Nähe, das sie stehlen könnte. Wieder sah sie sich suchend im Flugzeug um und entdeckte diesmal das halb ausgetrunkene Glas Wasser mit Kirschgeschmack, das neben Sabin stand. Sie leckte sich die Lippen. Sabin wird den Verlust schon verkraften. Sobald Strider aufstand, würde sie das Glas schnappen. Zum Teufel mit den Konsequenzen.

Vielleicht. Nein, bestimmt. Doch jetzt war er noch da, und sie konnte die Zeit genauso gut nutzen und ein paar Antworten von ihm bekommen – und sich ihren Schneid zurückkaufen. „Warum fliegen wir eigentlich?“, fragte sie. „Ich habe diesen Lucien mit einer der anderen Frauen verschwinden sehen. Wir hätten Budapest doch binnen weniger Sekunden erreichen können.“

„Einige von uns vertragen das Beamen nicht so gut.“ Sein Blick wanderte zu Sabin.

„Einige von euch sind also Babys?“ Die Worte waren draußen, ehe sie sie zurückhalten konnte. So etwas sagte Gwen eigentlich nur zu ihren Schwestern, den einzigen Geschöpfen auf der Welt, bei denen sie sie selbst sein konnte, ohne Angst vor Schuldzuweisungen haben zu müssen. Bianka, Taliyah und Kaia verstanden sie, liebten sie und täten alles, um sie zu beschützen.

Aber Strider schien durch ihre Worte alles andere als verärgert zu sein. Im Gegenteil. Er amüsierte sich königlich und brach in schallendes Gelächter aus. „Ja, so ähnlich, auch wenn Sabin, Reyes und Paris sich lieber einreden, sie würden sich ein Virus einfangen, sobald Lucien sie irgendwohin beamt.“

Die Zwillinge Bianka und Kaia waren genauso. Sie glaubten lieber, mit einem Gebrechen geschlagen zu sein, als sich eine Schwäche einzugestehen. Taliyah war kalt wie Eis und doppelt so hart, sie reagierte oft einfach gar nicht. Auf nichts.

Allmählich legte sich Striders Belustigung, und er musterte Gwen intensiv. „Du bist anders, als ich erwartet habe.“

Behaupte dich. Winde dich nicht heraus. „Wie meinst du das?“

„Na ja … warte: Wirst du meine Worte als Angriff werten?“

Und die Kontrolle verlieren? Das war es wohl, was er hatte fragen wollen. Offenbar hatte er genauso viel Angst vor ihrer dunklen Seite wie sie. „Nein.“ Vielleicht.

Sein intensiver Blick wurde noch eindringlicher, während er die Glaubwürdigkeit ihrer Antwort abwog. Anscheinend hatte er ihren entschlossenen Gesichtsausdruck gesehen, denn er nickte. „Ich glaube, ich habe es schon mal gesagt, aber nach dem bisschen, was ich über Harpyien weiß, sind es hässliche Kreaturen mit missgestalteten Gesichtern und scharfen Schnäbeln. Und die untere Hälfte ihres Körpers sieht aus wie bei einem Vogel. Sie sind boshaft und unbarmherzig. Aber du … bist nichts von alledem.“

Hatte er schon vergessen, was sie mit Chris gemacht hatte?

Sie sah zu Sabin, der sich nicht gerührt hatte. Er atmete tief und gleichmäßig, und sein Zitronen-Minze-Duft drang zu ihr herüber. Hatte er Strider nicht daran erinnert, dass nicht alle Legenden zwingend wahr waren? „Wir haben einen schlechten Ruf, das ist alles.“

„Nein, dahinter steckt mehr.“

Für sie, ja. Aber das konnte sie ihm ja schlecht sagen. Ihre Schwestern – die Glücklichen – hatten Gestaltwandler als Väter. Taliyahs Vater war eine Schlange, und der Vater der Zwillinge ein Phoenix. Ihrer hingegen war ein Engel – eine Tatsache, über die sie nicht sprechen durfte. Niemals. Engel waren zu rein, zu gut für ihre Art, um respektiert zu werden, und Gwen hatte schon genügend Schwächen. Wie immer, wenn sie an ihren Vater dachte, legte sie sich die Hand flach aufs Herz.

Obwohl die Harpyien eine matriarchalische Gesellschaft waren, war es den Vätern gestattet, ihre Kinder zu sehen. Die Väter ihrer Schwestern hatten sich entschieden, am Leben ihrer Töchter teilzuhaben. Gwens Vater hatte erst gar nicht die Chance dazu bekommen. Ihre Mutter hatte es ihm untersagt. Sie hatte Gwen gerade mal seine markantesten Wesenszüge aufgezählt – als Warnung davor, wie sie werden würde, wenn sie sich nicht vorsah. Dann wäre sie zu moralisch, um sich ihr Essen zu stehlen, unfähig zu lügen und mehr um das Wohl anderer besorgt als um das eigene. Doch selbst nachdem Tabitha sich von Gwen losgesagt hatte, indem sie sie einen „hoffnungslosen Fall“ genannt hatte, hatte Gwens Vater nicht versucht, mit ihr in Kontakt zu treten. Wusste er überhaupt, dass es sie gab? Ein Gefühl der Sehnsucht überkam Gwen.

Ihr gesamtes Leben über hatte sie von ihrem Vater geträumt, der alles und jeden niederkämpfte, um zu ihr zu gelangen; um sie in seine Arme zu schließen und mit ihr davonzufliegen. Es waren Träume von seiner Liebe und Zuwendung. Träume von einem Leben bei ihm im Himmel, für immer und ewig beschützt vor dem Bösen der Welt und der eigenen dunklen Seite.

Sie seufzte. Wenn von ihrer Art die Rede war, wurde immer nur ein Name erwähnt: Luzifer. Er war stark, verschlagen, brutal – kurzum, ein Feind, den sich niemand wünschte. Die Leute legten sich nicht so schnell mit ihr oder den anderen an, wenn sie glaubten, der Prinz der Dunkelheit würde seine Waffen auf sie richten.

Und um ehrlich zu sein, wenn sie ihn zu ihrer Familie zählte, log sie nicht einmal. Luzifer war ihr Urgroßvater. Der Großvater ihrer Mutter. Gwen war ihm nie begegnet, denn sein Jahr auf der Erde war lange vor ihrer Geburt beendet gewesen, und sie hoffte inständig, dass sie einander nie über den Weg liefen. Allein der Gedanke daran jagte ihr Schauer über den Rücken.

Während sie sorgfältig ihre nächsten Worte wählte, atmete sie tief ein und nahm dabei Striders Holzrauch-Aroma sowie den köstlichen Zimtduft auf. Traurigerweise reichte er nicht im Ansatz an Sabins Duft heran. „Menschen verpassen allem, was sie nicht verstehen können, eine negative Assoziation“, meinte sie. „In ihrer Vorstellung siegt das Gute immer über das Böse. Deshalb ist alles, was stärker ist als sie, böse. Und natürlich ist das Böse hässlich.“

„Wie wahr.“ Sein Ton klang überaus verständnisvoll.

Der Zeitpunkt ist genauso gut oder schlecht wie jeder andere, um herauszufinden, was genau er versteht, dachte sie. „Ich weiß, dass du unsterblich bist, so wie ich“, begann sie, „aber mir ist noch nicht ganz klar, was du eigentlich bist.“

Er rutschte unruhig auf seinem Sessel herum und warf seinen Freunden Hilfe suchende Blicke zu. Jeder, der zugehört hatte, sah schnell weg. Strider seufzte, ein Echo ihres Seufzers von vor wenigen Minuten. „Früher waren wir Gotteskrieger.“

Früher, aber jetzt nicht mehr. „Aber was …“

„Wie alt bist du?“, fiel er ihr ins Wort.

Gwen hätte gern gegen den abrupten Themenwechsel protestiert. Doch feige, wie sie war, überlegte sie stattdessen, was dafür-und was dagegen sprach, die Wahrheit zu sagen. Sie stellte sich die drei Fragen, die jede Harpyienmutter ihre Tochter lehrte: Konnte die Information gegen sie verwendet werden? Würde es ihr irgendeinen Vorteil verschaffen, wenn sie die Information für sich behielt? Wäre eine Lüge ausreichend, wenn nicht sogar besser?

Kein Nachteil, entschied Gwen. Aber auch kein Vorteil, doch das war ihr egal. „Siebenundzwanzig.“

Seine Augenbraue zuckte, und er blinzelte zur ihr hinüber. „Siebenundzwanzighundert Jahre, richtig?“

Wenn er mit Taliyah spräche, ja. „Nein. Einfach nur siebenundzwanzig ganz gewöhnliche Jahre.“

„Aber du meinst nicht Menschenjahre, oder?“

„Nein. Ich meine Hundejahre“, erwiderte sie trocken und presste dann fest die Lippen aufeinander. Was war nur mit ihr los, dass sie plötzlich derartige Bemerkungen machte? Doch Strider schien das gar nichts auszumachen. Er wirkte eher verblüfft. Hätte Sabin genauso reagiert, wenn er wach gewesen wäre?

„Was ist so schwer daran, mir mein Alter zu glauben?“ Während die Frage wie ein Echo zwischen ihnen in der Luft hing, schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, der Gwen erbleichen ließ. „Sehe ich etwa alt aus?“

„Nein, nein. Natürlich nicht. Aber du bist unsterblich. Und stark.“

Und starke Unsterbliche konnten nicht jung sein, oder was? Moment. Er hielt sie für stark? Freude füllte ihre Brust. In der Vergangenheit war dieses Wort immer nur benutzt worden, um ihre Schwestern zu beschreiben. „Ja, aber ich bin trotzdem erst siebenundzwanzig.“

Er streckte die Hand aus … um was zu machen? Gwen wusste es nicht, und es kümmerte sie auch nicht. Sie kauerte sich in ihrem Sessel zusammen. Während sie sich von Anfang an nach einer Berührung von Sabin gesehnt hatte – warum, warum, warum? – und sich am Morgen sogar ausgemalt hatte, wie sie all diese ungezogenen Dinge mit ihm anstellte, war die Vorstellung, dass jemand anderes sie berührte, für sie vollkommen reizlos.

Strider ließ den Arm zurück an die Seite fallen.

Sie entspannte sich, und ihr Blick schweifte abermals zu Sabin. Sein Gesicht war jetzt gerötet, er biss die Zähne fest aufeinander. Schlechte Träume? Tobten gerade alle Menschen, die er je getötet hatte, in seinen Gedanken und quälten ihn? Vielleicht war es ja ein Segen, dass Gwen sich nicht erlaubte zu schlafen. Sie hatte solche Albträume schon selbst erlebt und jede einzelne Sekunde gehasst.

„Sind alle Harpyien so jung wie du?“, fragte Strider und zog ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Konnte diese Information gegen sie verwendet werden? Würde es ihr irgendeinen Vorteil verschaffen, wenn sie die Antwort für sich behielt? Wäre eine Lüge ausreichend, wenn nicht sogar besser? „Nein“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Meine drei Schwestern sind ein ganzes Stück älter. Aber auch schöner und stärker.“ Sie liebte sie viel zu sehr, um eifersüchtig zu sein. „Sie hätten sich nicht entführen lassen. Niemand schafft es, sie zu etwas zu bewegen, das sie nicht wollen. Sie haben vor nichts Angst.“

Okay, jetzt musste sie den Mund halten. Je mehr sie redete, desto stärker kamen ihre Fehler und Grenzen ans Tageslicht. Es wäre besser, wenn diese Männer glaubten, dass auch sie mutig war – wenn auch nur ein bisschen. Aber warum kann ich nicht wie meine Schwestern sein? Warum laufe ich vor der Gefahr weg, während sie sich auf sie stürzen? Wenn eine von ihnen sich für Sabin interessiert hätte, hätte sie seine Distanzierung als Herausforderung verstanden und ihn verführt.

Moment. Stopp! Das war ja verrückt. Sie interessierte sich nicht für Sabin. Er sah gut aus, ja, und sie hatte sich vorgestellt, mit ihm zu schlafen. Aber das war nur aus ihrer Dankbarkeit entsprungen. Er hatte sie befreit und einen ihrer Feinde getötet. Und, ja, er brachte sie durcheinander. Er war die personifizierte Härte und Gewalt, und dennoch hatte er ihr nicht wehgetan. Aber sich eingestehen, dass sie sich zu einem unsterblichen Krieger hingezogen fühlte? Niemals.

Wenn Gwen sich wieder auf einen Mann einließ, würde sie sich einen aufmerksamen, rücksichtsvollen Kandidaten aussuchen, der ihre dunkle Seite in keiner Weise ansprach. Einen aufmerksamen, rücksichtsvollen Mann, der an Ausschusssitzungen teilnahm und nicht an Schwertspielen. Einen aufmerksamen, rücksichtsvollen Mann, der ihr das Gefühl gab, sie trotz ihrer Schwächen zu schätzen und zu akzeptieren. Jemanden, der ihr das Gefühl gab, normal zu sein.

Das war alles, was sie je gewollt hatte.

Sabin konzentrierte sich auf Gwen. Und zwar seit sie an Bord des Flugzeugs waren. Na gut. Von dem Moment an, als er ihr begegnet war. Er hatte gemeint, sie könnte sich nicht entspannen, weil er sie einschüchterte. Deshalb gab er vor zu schlafen. Offenbar hatte er richtiggelegen, denn sie ließ ihre Abwehr fallen und öffnete sich. Strider gegenüber.

Das irritierte ihn zutiefst.

Dennoch wagte er nicht, die Augen ganz zu öffnen. Auch nicht, als Strider versucht hatte, sie zu berühren, und Sabin seinem Freund am liebsten seine Faust in die Nase gerammt hätte, auf dass der Knorpel das Hirngewebe zerstörte. Ihr Gespräch faszinierte ihn.

Das Mädchen – und genau das war sie mit ihren gottverdammten zarten siebenundzwanzig Jahren, gegen die er wie Vater Zeit aussah – hielt sich in jedweder Hinsicht für eine Versagerin und ihre Schwestern für Vorbilder. Hübscher? Unwahrscheinlich. Stärker? Ihn schauderte. Sie hätten sich nicht entführen lassen? Jedem konnte unwissentlich Schaden zugefügt werden. Auch ihm. Sie hatten vor nichts Angst? In jedem schlummerte eine tiefe dunkle Angst. Selbst in Sabin. Seine Versagensängste waren genauso groß wie Gideons Spinnenphobie.

Aber Gwens Schüchternheit und ihr Entsetzen über ihre Tat an jenem Tag in den Katakomben hatten ihn bereits ahnen lassen, dass sie an ihrer Stärke und an ihren Fähigkeiten zweifelte – allerdings hatte er keine Ahnung gehabt, wie tief verwurzelt diese Zweifel waren. Wie sie sich mit ihren Schwestern verglich, offenbarte, dass ein Zweifel den nächsten jagte. Die Frau war voll davon. Und in seiner Nähe würde es nicht unbedingt besser werden.

Alle Partnerinnen, die er in der Vergangenheit gehabt hatte, waren selbstbewusste Frauen und über fünfunddreißig gewesen, verflucht noch mal. Er hatte sich aus genau diesem Grund für sie entschieden – wegen ihres Selbstvertrauens. Doch sie hatten sich schnell verändert, weil sein Dämon die scharfen Krallen der Unsicherheit in sie gebohrt und ihnen tiefe Wunden zugefügt hatte. Ein paar, wie Darla, hatten sich sogar das Leben genommen, da sie die permanente kritische Prüfung ihres Aussehens, ihres Verstandes oder der sie umgebenden Menschen nicht mehr ertragen hatten. Nach Darla hatte er den Frauen und Beziehungen ein für alle Mal entsagt.

Dann hatte er Gwen gesehen. Er begehrte sie – oh, und wie er sie begehrte. Vielleicht kann ich mir eine Nacht mit ihr gestatten und das irgendwie vor mir rechtfertigen, dachte er. Doch er bezweifelte, dass ihm eine Nacht reichen würde. Nicht mit ihr. Dafür gab es zu viele Möglichkeiten, sie zu nehmen, zu viele Dinge, die er mit diesem wohlgeformten kleinen Körper anstellen wollte.

Ihre sinnliche Schönheit entflammte ihn jedes Mal, wenn er sie sah. Dann lief ihm förmlich das Wasser im Mund zusammen, und sein Körper schmerzte. Ihre Unsicherheit weckte seinen Beschützerinstinkt genauso wie die Zerstörungswut seines Dämons. Ihr Sonnenduft, der unter dem Schmutz verborgen lag, den sie sich noch abwaschen musste, waberte unentwegt zu ihm herüber und beschwor ihn, näher zu kommen … immer näher …

Nachzugeben hätte bedeutet, sie zu vernichten. Vergiss das nicht.

Vielleicht werde ich ja gut sein. Vielleicht lasse ich sie in Frieden.

Bei diesem Gedanken biss Sabin sich so fest auf die Zunge, dass er Blut schmeckte. Der Dämon wollte erreichen, dass er seine bösartige Absicht anzweifelte. Darauf bin ich ein einziges Mal hereingefallen, aber das passiert mir bestimmt nicht wieder.

„Das machst du oft“, sagte Strider zu Gwendolyn und riss Sabin damit aus den Grübeleien.

„Was?“ Ihre Stimme klang atemlos und heiser. Zuerst hatte Sabin gedacht, ihre dunkle Seite wäre für dieses Timbre verantwortlich. Aber nein, die Heiserkeit war eine Eigenart von ihr. Und Sex pur.

„Sabin ansehen. Gefällt er dir?“

Offensichtlich schockiert, keuchte sie. „Natürlich nicht!“

Sabin musste sich beherrschen, um sie nicht finster anzustarren. Ein kleines Zögern wäre nett gewesen.

Strider lachte. „Ich glaube, schon. Und soll ich dir was verraten? Ich kenne ihn seit vielen Tausend Jahren – ich kenne also schmutzige Details.“

„Und?“, erwiderte sie scheinbar desinteressiert.

„Und … ich habe kein Problem damit, darüber zu reden. Ich meine, wenn du deine Meinung über ihn ändern solltest, würde ich mich euch beiden gegenüber wie ein Freundverhalten.

Dein Freund will dir das Wasser abgraben, murmelte Zweifel, vielleicht will er sie ja für sich. Ihm hiernach noch zu vertrauen wäre nicht gerade klug.

Einen Moment lang verspürte Sabin Unbehagen, doch dann schüttelte er das Gefühl ab. Er warnt sie um ihretwillen. Und um meinetwillen. Genau wie er gesagt hat. Und jetzt halt die Klappe.

„Ich will nichts mit ihm zu tun haben, glaub mir.“

„Dann macht es dir ja bestimmt nichts aus, wenn ich weggehe, ohne dir zu verraten, was ich weiß.“ Durch die schmalen Schlitze seiner Augen beobachtete Sabin, wie Strider aufstand.

Gwen packte ihn am Handgelenk und zog ihn zurück auf den Sessel. „Warte.“

Sabin musste sich an den Armlehnen festkrallen, um nicht aufzuspringen und sie auseinanderzureißen.

„Erzähl es mir“, verlangte sie und ließ den Krieger los.

Langsam machte Strider es sich wieder in seinem Sessel bequem. Er grinste. Selbst bei seiner eingeschränkten Sicht konnte Sabin das helle Leuchten von Striders Zähnen sehen. Plötzlich hätte er am liebsten selbst gegrinst. Gwen war neugierig auf ihn.

Wahrscheinlich will sie nur herausfinden, wie sie dich am besten töten kann.

Schnauze, verdammt!

„Willst du irgendwas Besonderes wissen?“, fragte Strider.

„Warum ist er so … distanziert?“ Sie sah immer noch zu ihm herüber. Er spürte ihren stechenden Blick auf sich. „Ich meine, ist er zu jedem so, oder kann ich mir was darauf einbilden?“

„Keine Sorge. Es liegt nicht an dir. Er ist zu allen Frauen so. Das muss er. Weißt du, sein Dämon ist …“

„Dämon?“ Gwen spie das Wort förmlich aus. Sie setzte sich kerzengerade auf, und ihr Gesicht verlor jegliche Farbe. „Hast du gerade ‚Dämon‘ gesagt?“

„Oh, äh … habe ich das?“ Wieder sah Strider sich Hilfe suchend im Flugzeug um. „Nein, nein. Ich glaube, ich habe ‚Seemann‘ gesagt.“

„Nein, du hast ‚Dämon‘ gesagt. Dämonen. Dämonen und Jäger und das Schmetterlingstattoo. Ich hätte in der Sekunde darauf kommen müssen, als ich die Tätowierung gesehen habe, aber ihr habt so nett gewirkt. Ich meine, ihr habt mir kein Haar gekrümmt, und außerdem gibt es Tausende Leute, die einen Schmetterling eintätowiert haben.“ Jetzt sah sie sich panisch im Flugzeug um und musterte die Krieger offenbar mit ganz anderen Augen. In der nächsten Sekunde stand sie auch schon, sprang an Strider vorbei und stolperte rückwärts in Richtung Toilette.

Gwen streckte die Arme nach vorn, als könnte die kümmerliche Geste jeden auf Abstand halten. „J…jetzt verstehe ich. Ihr seid die Herren, stimmt’s? Unsterbliche Krieger, die von den Göttern auf die Erde verbannt wurden. Mmeine Schwestern haben mir Gutenachtgeschichten über eure grausamen Taten und Eroberungszüge erzählt.“

„Gwen“, sagte Strider beschwichtigend. „Beruhig dich. Bitte.“

„Ihr habt Pandora getötet. Eine unschuldige Frau. Ihr habt das antike Griechenland niedergebrannt und dadurch die Straßen mit Blut und Schreien gefüllt. Ihr habt Menschen gefoltert, habt ihnen bei lebendigem Leib die Gliedmaßenabgerissen.

Striders Miene verhärtete sich. „Diese Menschen hatten es nicht anders verdient. Sie haben unseren Freund getötet und versucht, uns umzubringen.“

„Wenn sie schreit, werden wundervolle Dinge geschehen“, sagte Gideon grimmig, während er sich neben Strider stellte. „Versuch nicht, sie außer Gefecht zu setzen. Ich helfe dir auch nicht.“

„Warte. Bevor wir es auf die harte Tour machen und dabei vielleicht unsere Kehlen verlieren, sollten wir etwas anderes versuchen. Paris!“, sagte Strider, wobei er Gwen keine Sekunde lang aus den Augen ließ. „Wir brauchen dich hier.“

Entschlossen trat Paris zu ihnen, just in dem Augenblick, als Sabin aus seinem vorgetäuschten Schlaf erwachte und aufsprang.

„Gwen“, sagte er in der Hoffnung, sie mit Worten beruhigen zu können, ehe sich Paris ans Werk machte. Doch sie hatte Schwierigkeiten zu atmen, und die Hysterie hatte sich wie ein Schleier über ihr Gesicht gelegt. „Lass uns reden, über …“

„Dämonen … rings um mich herum.“ Sie öffnete den Mund und schrie. Und schrie und schrie und schrie.