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Jason: Gäb es andre Geburt, ganz ohne die Frau,
Wie glücklich wäre das Leben!

Euripides, ›Medea‹

Jason

Nichts von allem, was geschehen ist, habe ich gewollt. Aber was hätte ich tun können. Sie hat sich selber ins Verderben gestürzt. Die Rasende. Sie hat es mir zeigen wollen. Sie hat es darauf angelegt, mich zu zermalmen. Und wenn man sie in Stücke hacken würde: Dann blieben immer noch ihre Augen. Die hören nicht auf, mich anzustarren.

Vom ersten Augenblick an, da sie, geführt von dem Boten, den Saal betrat, hat sie nur nach mir gesucht, sie fand mich, zwang mich aufzustehen, allein durch ihren Blick. Als sollte auch mir das Urteil verkündet werden. Sie sah den Sprecher des Königs nicht an, nur mich. Sie trieb ihre Dreistigkeit auf den Höhepunkt, aber schließlich, was hatte sie zu verlieren.

Es hätte nicht den mindesten Unterschied gemacht, wenn ich im Rat großmäulig aufgetreten wäre und sie verteidigt hätte. Womit denn. Woraufhin denn. Daß sie nicht beteiligt gewesen sei an des armen Turon Schmach, wohl aber an seiner Rettung? Das hätte mir doch niemand abgenommen. Da hätten sie doch auch mich aus dem Saal gewiesen. Sowieso paßten sie auf, wie ich mich verhielt.

Götter. Diese wahnsinnigen Kolcherinnen. Dem Manne das Geschlecht abschneiden. Wir alle, wir Männer in Korinth, haben diesen Schmerz mitgefühlt. Ganz sicher wurde in den Nächten bis zur Bestrafung der Kolcherinnen und der Verurteilung der Medea kein Kind gezeugt, kein Mann war zeugungsfähig. Sie faßten ihre Frauen hart an, manche sollen sie geschlagen haben, und die Korintherinnen verbargen sich in den Häusern oder liefen mit gesenkten Köpfen durch die Straßen, als hätten sie, jede von ihnen, den armen Turon geschändet, sie umschmeicheln ihre Männer und begrüßen lauthals die strenge Bestrafung der Schuldigen und fordern für Medea die Höchststrafe, allen voran die, die ihr Dank schulden, wie üblich. Und wenn diese böse Zeit einmal doch vorübergehen sollte und wir alle wieder zur Ruhe kommen, dann werden die Männer von Korinth obenauf und die Frauen noch mehr geduckt sein, das ist das Ende vom Lied.

Es sollte mir recht sein, aber es ist mir nicht recht. Nichts freut mich mehr. Sie hat es mir vorausgesagt. Nicht auftrumpfend, nein, eher traurig, oder mitleidig, was unverschämt war. Sie hatte sich ja selbst jedes Mitgefühl verscherzt. Das sagte man mir im Rat, als ich versuchte, für sie um Milde zu bitten, wobei ich nicht versäumte, die Schwere ihrer Vergehen zu betonen, sie hätten mich sonst in der Luft zerrissen. Da rieb mir Akamas mein Verhältnis zu Medea unter die Nase, verständnisinnig, von Mann zu Mann, und ich stand da wie ein Ochse und zuckte mit keiner Wimper, als er, Akamas, durchblicken ließ, ihre Vorzüge lägen sicher in ihren Fähigkeiten als Frau, wer wolle es mir verargen, daß ich sie genutzt hätte. Aber dadurch sei ich natürlich voreingenommen. Ich hätte ihm ins Gesicht schlagen mögen. Statt dessen setzte ich mich und blickte kaum noch auf, geschweige, daß ich noch einmal das Wort ergriff. Es war ja alles abgesprochen. Sie redeten mit verteilten Rollen. Das Urteil stand fest. Ich weiß nicht, wozu sie dieses Theater noch brauchten. Sie stellten sich, als nähmen sie es ernst.

Warum bin ich dann noch einmal zu ihr gegangen. Warum habe ich mir das nicht erspart. Sie war dabei, ihr Bündel zusammenzupacken. Sie blickte kaum auf. Ach Jason, sagte sie. Soll ich dir auch noch ein gutes Gewissen verschaffen. Dabei wollte ich ihr nur erklären, wie alles gelaufen war und daß einer wie ich nichts machen konnte. Sie lachte auf. Einer wie du, sagte sie, dem man demnächst die Tochter des Königs zur Frau geben wird. Aber das sag ich dir, du, tu der Glauke nichts an. Die liebt dich nämlich, und sie ist zart, sehr zart. Eine Königin allerdings ist sie nicht, und du, mein lieber Jason, bist kein König für Korinth, und das ist das Beste, was ich von dir jetzt noch sagen kann. Freude wirst du nicht daran haben. Überhaupt wirst du nicht mehr viel Freude haben. Es ist so eingerichtet, daß nicht nur die, die Unrecht erdulden müssen, auch die, die Unrecht tun, ihres Lebens nicht froh werden. Überhaupt frage ich mich, ob die Lust, andere Leben zu zerstören, nicht daher kommt, daß man am eigenen Leben so wenig Lust und Freude hat.

So hat sie geredet, und ich wurde immer wütender. Da setzt man sich über Verbote hinweg und muß sich dann in eine Reihe stellen lassen mit den finsteren Figuren um Akamas, mit diesem in seiner Eitelkeit zügellosen Presbon, der als Zeuge in den Rat geladen war und sich vor Wichtigtuerei nicht zu bremsen wußte. Ich hatte ihn lange nicht gesehen und war abgestoßen von seinen zerlaufenen Gesichtszügen. Er war zu jeder Aussage gegen Medea bereit. Die Mitglieder des Rates konnten sich mit verächtlichem Behagen anhören, wie die Angeklagte von einem ihrer Landsleute mit unflätigen Ausdrücken beschimpft wurde. Diese Sprache ist im Palast nicht üblich, der törichte Kerl glaubte, er könne sich alles herausnehmen, man ließ ihn hemmungslos schwadronieren, und erst, als er sich darüber empören wollte, daß Medea die Korinther hinderte, alle Gefangenen im Tempel zu töten, schnitt Akamas ihm das Wort ab: Genug!, und Presbon klappte seinen törichten Mund zu. Er hat seine Schuldigkeit getan. Seine Zeit neigt sich dem Ende zu, er weiß es bloß noch nicht. Ich aber, ich habe in der Nähe des Königs gelernt, die Anzeichen zu deuten.

Anders Agameda. Sie ist klüger als Presbon. Das Königshaus von Korinth hätte sich keine überzeugendere Anklägerin gegen Medea wünschen können, gerade weil Agameda sich hütete, ein einziges Wort der Verdächtigung oder gar der Bezichtigung gegen die Todfeindin fallenzulassen. Wider Willen mußte ich sie bewundern. Sie brachte es fertig zu verbergen, daß sie Medea haßt, daß sie ihre Rivalin ist, solange sie in den Mauern dieser Stadt lebt. Ich begriff: Für beide Frauen ist in dieser Stadt kein Platz. Agameda hätte dafür gesprochen, Medea zu steinigen, wenn es nicht das Mittel der Verbannung gäbe, das oft genug dem Todesurteil gleichkommt, ich sah kalte Mordlust in ihren Augen, während sie, äußerlich beherrscht, ein Bild vom Leben und Treiben Medeas in Korinth entwarf, sehr ähnlich der Medea, die wir kennen, nur daß sie jede ihrer Handlungen und Unterlassungen so umdeutete, daß am Ende eine Person vor uns erstand, die seit langem planmäßig den Untergang des Königshauses von Korinth betrieb. Einmal mußte ich auflachen, als sie Medeas Sorge um Glauke ein besonders perfides Mittel nannte, an ihr Ziel zu gelangen. Da belehrten mich die Blicke der anderen, wie unpassend mein Lachen war. Glauke neben mir verzog keine Miene. Und das Lachen verging mir, als Agameda behauptete, auch mich habe Medea benutzt, um in den inneren Bereich des Königshauses einzudringen, indem sie mich im Glauben ließ, sie sei meine Frau und ich sei ihr Mann, während sie ihren Bedürfnissen längst anderweitig nachgegangen sei. Da saß ich wie ein begossener Pudel und mußte mir den Namen des Liebhabers von Medea anhören, denn Agameda hatte auf jede Nachfrage eine Antwort, und zu jeder Behauptung hielt sie die fälligen Namen und die Schilderung der genauen Umstände bereit. Sie ist ein Mordsweib, und mit meiner Abneigung gegen sie stieg meine Bewunderung. Oistros also. Ein Steinhauer. Götter.

Fast jedem im Rat hat Agameda leichthin eine Bemerkung hingeworfen, wie zufällig und nebenbei, einen Namen, einen Verdacht, der mit Medea zusammenhing, an dem er zu knabbern hatte und der ihn unfähig machte, irgend etwas zu ihren Gunsten auch nur zu denken, wie ich. Als man sie dann endlich hereinführte, empfand ich nur Wut. Vor allen Leuten war jetzt ich der betrogene Mann und nicht sie die verlassene Frau, wie es in der Ordnung gewesen wäre. Recht geschah ihr, der Hure.

Verbannung.

Ja. Es war nicht zu hoch gegriffen. Erbleichte sie? Ich habe sie nicht angesehen.

Und die Kinder?

Da regte sie sich, suchte wieder meine Augen, sollte sie aber nicht finden.

Ohne die Kinder, sagte Kreon.

Es war das einzige Mal, daß er selber sprach. Die Kinder des Jason würden in Korinth auf die ihnen geziemende Weise aufgezogen. Im Palast.

Da sah ich sie wanken, aber ehe die Wachen nach ihr greifen konnten, hatte sie sich gefangen.

Zum Erstaunen aller setzten Agameda und Glauke sich dafür ein, ihr die Kinder mitzugeben. Sie hatten unterschiedliche Gründe dafür. Obwohl, wenn ich es recht bedenke, einen Grund hatten sie beide gemeinsam: Sie wollten nicht, daß die Söhne der Medea irgendwann einmal als Anwärter auf den Thron von Korinth in Frage kamen. Wer sagt denn, daß ich dieser armen Glauke, wenn sie meine Frau sein wird, ein Kind machen werde. Es ist ja nicht gerade überschäumende Lust, die mich anfällt, wenn ich durch ihre unförmigen schwarzen Kleider ihre Knochen spüre. Ich sah den abschätzigen Blick der Agameda von mir zu Glauke wandern, ich sah, daß Glauke diesen Blick sah und ihn genauso verstand wie ich, und dann hörte ich sie reden, mit leiser Stimme zwar, aber daß sie überhaupt sprach in dieser Männerversammlung, war unerhört.

Man solle der Mutter die Kinder mitgeben, sagte sie. Man solle nicht unnötig grausam sein. Das war ihre Meinung, da bin ich sicher. Nur daß hinter dieser Meinung auch die Ungewißheit stand, ob sie selbst fähig sein werde, Korinth einen Erben zu schenken, und daß erst diese Unsicherheit ihr Mut machte, gegen die Grausamkeit zu sprechen. Ich begann zu ahnen, daß diese Glauke vielleicht doch keine so bequeme Frau für mich werden würde, wie ich es mir erhofft hatte, jedenfalls war ich abgelenkt und achtete nicht auf den Satz, mit dem Akamas in nachsichtigem Ton das Ansinnen der beiden Frauen abwehrte, so wie man Kindern zu ihrem Besten etwas abschlägt, um das sie unvernünftigerweise gebeten haben. Dann gab es einen kleinen, von wenigen beachteten Zwischenfall: Leukon, der spät gekommen war und sehr mitgenommen aussah, erhob sich von seinem Platz nahe der Tür und ging einfach hinaus. Es war unglaublich, was er sich da leistete, eine Mißachtung des Königs und aller Regeln. Anscheinend wollte niemand davon Notiz nehmen.

Medea wurde hinausgeführt. Der König und sein Gefolge verließen den Saal. Steife Nacken, verschlossene Gesichter. Ich folgte mit Glauke. Sie weinte. Als wir den Palasthof überquerten, zum Brunnen kamen, begann sie zu zucken, ihre Arme fuhren durch die Luft, sie brach neben mir zusammen, Schaum vor dem Mund. Agameda war sofort bei ihr, als hätte sie auf den Anfall gewartet. Mir barst der Schädel. Was steht mir da bevor.

Ich lief durch die Stadt, die Leute wichen mir aus, plötzlich stand ich vor dem kleinen Haus an der Mauer. Lyssa wollte mir den Einlaß verwehren, Medea sagte: Laß ihn. Sie fragte: Was willst du noch. Ihr Ton brachte mich auf. Ich wollte, daß sie ihr Unrecht einsah. Ich wollte, daß sie zugab: Ich konnte ihr nicht helfen. Sie schnürte ihr Bündel. Sie band sich ein Tuch um den Kopf. Sie sagte: Schade um dich, Jason.

Das war zuviel. Das mußte ich mir nicht bieten lassen. Ich konnte auch anders. Meiner Wut ihren Lauf lassen. Mich an sie heranmachen und sie gegen die Wand drängen. Ungestraft beleidigt man Jason nicht. Daß sie merkte, Jason kann einen schönen männlichen Zorn in sich wachsen lassen über die Listen der Weiber, er kann sehr stark werden, wenn er das weiche Fleisch, in das er sich verkrallt hat, nachgeben fühlt unter sich, wenn er in den Augen der Frau endlich etwas wie Überraschung sieht, ehe sie die Augen schließt und den Kopf abwendet und das Unvermeidliche geschehen läßt. Ja. Ich habe verstanden. So ist es gemeint. Wir sollen die Weiber nehmen. Wir sollen ihren Widerstand brechen. Nur so graben wir aus, was die Natur uns verliehen hat, die alles überspülende Lust.

Kein Blick, kein Wort mehr. Ich ging. Ich sah sie nicht wieder.