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Gewaltig ist der Antrieb der Männer,
in Erinnerung zu bleiben
und sich einen unsterblichen Namen
auf ewige Zeiten zu erwerben.
Platon, ›Symposion‹
Das Weib wird mir zum Verhängnis. Als ob ich es nicht geahnt hätte. Medea wird mir zum Verhängnis, habe ich freimütig dem Akamas gesagt. Der hat mir nicht widersprochen, aber auch nicht zugestimmt, wie das seine verfluchte Art ist. Immer dieses feine Lächeln, immer dieser hintersinnige Augenausdruck, immer diese geschmeidige Redeweise, in der er mir weismachen will, mir könne doch so leicht niemand mehr schaden. Was das nun wieder soll. Klar hört er das Gras wachsen, der Herr oberster Astronom. Willst du dich über mich lustig machen, Akamas, habe ich ihn angefahren, da hat er nur bekümmert den Kopf geschüttelt, seinen großen hohlwangigen Kopf auf seinem merkwürdig schiefen Körper, an dem kein Gelenk zum andern passen will. Was für Anstrengungen er macht, um stattlich zu wirken, so hat Medea sich ausgedrückt, als sie ihm zum erstenmal begegnet war, von Anfang an hat sich ein unglückliches Verhältnis zwischen ihnen entwickelt, sie wollte ihm einfach nicht entgegenkommen. Mir schwant nichts Gutes.
Jetzt ist er ihr Feind. Ich weiß nicht, warum, irgendetwas muß mir entgangen sein, wie mir so vieles entgeht in der Wirrnis dieses Königshauses, in dessen Gewohnheiten ich mich schwer einfügen kann. So viele Länder, so viele Städte hat meine »Argo« angelaufen, in so viele verschiedene Menschengesichter habe ich geblickt. Jetzt, nachdem mein Schiff aufgedockt ist und meine Gefährten sich zerstreut haben, ist mir nur dieser Flekken geblieben, hier muß ich mich einrichten, hier muß auch Medea sich einrichten, verdammt. Als ob das so schwer zu begreifen wäre. Sie muß diesen Akamas gereizt haben, sonst würde er jetzt nicht diese alte Geschichte, die noch dazu unbewiesen ist, aufwärmen und an die große Glocke hängen. Daß ich im Ältestenrat stehe wie der letzte Dummbart und mich zu der Beschuldigung äußern muß, daß Medea damals ihren Bruder umgebracht haben soll. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, konnte nur die Hände heben und beteuern, aber davon könne doch keine Rede sein. Also sei ich überzeugt, daß die, die sie beschuldigten, lügen?
Wohin war ich da geraten, wohinein hatte sie mich nun schon wieder verstrickt. Überzeugt, überzeugt. Wovon kann unsereins schon überzeugt sein bei diesen Weibern. Die Ältesten bewegten zustimmend die Köpfe. Anscheinend soll es nicht mir an den Kragen gehen. Aber ihr. Und sie ist meine Frau.
Wovon kann unsereins überzeugt sein, wenn diese Frauen sich einig sind, einen im dunkeln tappen zu lassen. Und das ist wörtlich zu nehmen. Es war ja stockdunkel, als Medea mit diesem Fellbündel im Arm an unserer Anlegestelle erschien, mehr hatte sie nicht bei sich, sie wiegte das Bündel fast wie ein Neugeborenes. Bis zuletzt hatte ich gezweifelt, daß sie kommen würde. Ich hatte doch gesehen, wie sie durch ihre Stadt ging, mit erhobenem Kopf. Wie die Leute sich um sie sammelten, sie grüßten. Wie sie mit ihnen sprach. Sie kannte jeden, eine Woge der Erwartung trug sie.
Ich sah sie aus dem Brunnen trinken, der im Hof ihres Palastes stand, ein verblüffendes Wunderding übrigens. Wasser, Milch,Wein und Öl flossen aus seinen vier Röhren, die genau nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet waren. So sah ich sie zuerst: über den Brunnen gebeugt, Wasser mit den Händen schöpfend und es in vollen Zügen trinkend. Ich kam mit dem zottelköpfigen Telamon, der vielleicht nicht der klügste, aber einer der heitersten und ausgeglichensten von meinen Argonauten ist, und mir treu ergeben. Darum ist er ja hier in meiner Nähe hängengeblieben. Es war hoher Nachmittag, brütende Hitze, die uns, an kühlende Seewinde gewöhnt, zu schaffen machte, und wir seit Stunden erst in diesem Land, auf das wir seit so vielen Wochen all unser Sinnen und Trachten gerichtet hatten. Was hatte es uns gekostet, uns bis hierher, an den Rand der Welt, durchzuschlagen, so manchen Gefährten hatten wir verloren, wie oft war der Trieb umzukehren übermächtig geworden, und nur die Scham voreinander und vor denen, die uns hämisch zu Hause empfangen würden, hatte uns bei der Stange gehalten. Und dieses Wunderland Kolchis stand uns vor Augen, in dem, so kam es uns vor, unser Schicksal beschlossen war.
Nun weiß man ja, daß auf äußerste Anspannung oft Erschlaffung folgt. So folgte bei uns nach dem Jubel, mit dem wir die endlich gefundene Einfahrt in ihren Fluß Phasis, die glückliche Landung in dieser natürlichen Bucht begleitet hatten, der Stimmungsumschwung. Das sollte das ersehnte Land sein. Der Fluß, die Ufer, das Gelände ringsum, eine mit lichtem Mischwald bestandene Hügellandschaft, kamen uns recht gewöhnlich vor, unterwegs hatten wir Eindrucksvolleres gesehen. Zwar hütete sich jeder, ein Wort darüber zu verlieren, doch las ich meinen Männern die Enttäuschung von den Augen ab. Dabei hatten, die auf der »Argo« zurückblieben, nicht wissen können, was uns bevorstand, als wir, Telamon und ich, loszogen, um den Palast des Königs Aietes zu suchen und diesem unbekannten König unsere Forderung zu unterbreiten.
Mein Nachruhm war mir mit dem Augenblick sicher, da ich meinen Fuß als erster auf diese östlichste, fremdeste Küste gesetzt hatte, das stärkte mich. Wir, die wir in ein barbarisches Land vorstießen, waren barbarischer Sitten gewärtig und hatten uns durch die Anrufung unserer Götter innerlich gefestigt. Aber bis heute kann ich den Schauder spüren, der mich ergriff, als wir das niedrige Weidengestrüpp am Ufer durchquert hatten und in einen Hain regelmäßig gepflanzter Bäume gerieten, an denen die entsetzlichsten Früchte hingen. Beutel aus Rinder-, Schaf-, Ziegenfellen umhüllten einen Inhalt, der an schadhaften Stellen nach außen trat: Menschliches Gebein, menschliche Mumien waren da aufgehängt und schwangen im leichten Wind, ein Grauen für jeden gesitteten Menschen, der seine Toten unter der Erde oder in Felsengräbern verschlossen hält. Der Schrecken fuhr uns in die Glieder. Wir mußten weiter.
Die Frau dann, die uns in dem weinumrankten Hof des Aietes entgegentrat, war das Gegenbild zu den schauerlichen Totenfrüchten, mag sein, das erhöhte den Eindruck, den sie auf uns machte. Wie sie da, in dem rotweißen Stufenrock, den sie alle tragen, dazu das anliegende schwarze Oberteil, heruntergebückt, mit zur Schale geformten Händen das Wasser aus dem Rohr auffing und trank. Wie sie, sich aufrichtend, uns bemerkte, die Hände ausschüttelte und unbefangen auf uns zukam, mit raschen, kräftigen Schritten, schlank, aber von ausgeprägter Figur, und so alle Vorzüge ihrer Erscheinung zur Geltung brachte, daß Telamon, unbeherrscht wie er ist, durch die Zähne pfiff und mir zuflüsterte: Das wär doch was für dich. Es war ihm nicht entgangen, daß ich für die Reize braunhäutiger dunkelhaariger Mädchen empfänglich bin. Aber dies hier, der arme Telamon war nicht imstande, es zu begreifen, war doch etwas anderes. Ein nie gekanntes Ziehen in allen meinen Gliedern, ein durch und durch zauberhaftes Gefühl, sie hat mich verzaubert, ist es mir durch die Sinne gegangen, und in der Tat, das hatte sie. Und das will sie weitertreiben, da hat Akamas recht. Daß ich mich hüten muß, immer wieder auf ihre Kunststücke hereinzufallen, denn natürlich wird sie mir über den Tod ihres armen Bruders eine ihrer Geschichten erzählen, die so überaus glaubhaft sind, solange sie einen mit ihrem Blick festhält, aber jetzt muß ich mich wappnen, daß ich nicht wieder auf sie hereinfalle.
Kurios war es schon, wie sie uns mit zum Friedenszeichen erhobenen Händen grüßte, ein Zeichen, das nur dem König oder seinem Abgesandten zukommt; wie sie freimütig ihren Namen nannte, Medea, Tochter des Königs Aietes und oberste Priesterin der Hekate; wie sie, als käme es ihr zu, unseren Namen und unser Anliegen zu wissen begehrte und ich, überrumpelt, dieser Frau offenbarte, was nur der König erfahren sollte. Und wie seltsam mein Herz sich gebärdete, als mein Name mir fremd wurde aus ihrem Mund. Viel später erst spielten wir mit der Magie unserer Namen, heute kommen all die alten Dinge wieder hoch, an die ich so lange nicht mehr gedacht habe. Wir lagen auf der »Argo«. Medea nannte mich beim Namen, als nehme sie mich zum erstenmal wahr, sie hielt mich in Armlänge auf Abstand und musterte mich auf eine Weise, die ich, weniger bezaubert, als ungehörig empfunden hätte, und sagte dann sehr ernst, beinahe feierlich, so als habe sie eben einen Entschluß gefaßt: Jason, ich esse dein Herz.
So war sie, dieses Gehabe. Ich habe das niemals jemandem erzählt, ungern macht man sich lächerlich. Aber in jener Nacht, unter diesem Sternenhimmel fand ich es, wie soll ich das nennen, ergreifend. Auch so ein Wort, Akamas würde die Mundwinkel herunterziehen. Als wenn nicht auch er ihr seinen Tribut entrichtet hätte. Auch er. Ich weiß nicht, wie weit das ging, auf solche Fragen, die mir schließlich zustehen, hat sie schon immer mit einem Hochziehen der Augenbrauen geantwortet, aber ich bin ja nicht blind, ich habe Blicke aufgefangen, von ihm zu ihr, Bewunderung, könnte man es nennen, oder Überraschung, aber bei einem Mann wie Akamas, der sich um nichts in der Welt Überraschung anmerken läßt, will das etwas heißen. Mag sein, daß meine Sinne, durch Eifersucht geschärft, für dergleichen besonders empfänglich sind. Übrigens hat sich Akamas’ Verhältnis zu Medea verändert, seit sie die Hungersnot abgewendet hat, die Korinth nach der großen Dürre zweier Jahre drohte. Nicht durch Zauber. Das behaupten die Korinther. Aber sie verbreitete ihre Kenntnis der eßbaren Wildpflanzen, die unerschöpflich zu sein scheint, und sie lehrte, nein, zwang die Korinther, Pferdefleisch zu essen. Und sie zwang auch ihre Kolcher dazu und uns, die paar restlichen Argonauten. Bei mir fing sie an. Sie bereitete mir mitten in der Hungerzeit eine herrliche Mahlzeit und ließ sie mich essen, Auge in Auge mit ihr, sie bestätigte meine Ahnungen, sah ungerührt zu, wie es mich würgte, und brachte mich dann dazu, wie, weiß ich selbst nicht mehr, mich vor allem Volk als Pferdefleischesser zu bekennen. Die Strafe der Götter hatte mich nicht getroffen, das Volk schlachtete die Pferde, aß, überlebte und vergaß das der Medea nicht. Seitdem gilt sie als böse Frau, denn, sagt Akamas, die Leute wollen sich lieber für verhext halten, als sich selbst zu glauben, daß sie Unkraut fraßen und die Eingeweide unberührbarer Tiere verschlangen, aus gewöhnlichem Hunger. Medea sagt, wer die Leute zwinge, an ihr Heiliges zu rühren, mache sie sich zum Feind. Das ertragen sie nicht. So verleumden sie mich, sagt sie. Aber neue Speicher haben sie immer noch nicht gebaut.
Zu hoch für mich, all diese schwierigen verborgenen Zusammenhänge. Jedenfalls: Akamas wird Medea gegen die Beschuldigung, ihren Bruder getötet zu haben, nicht in Schutz nehmen. Seit dieser Hunger- und Pferdegeschichte sieht er sie als eine Bedrohung für sich an. Wenn einer, hat er die Mittel, den Verdacht zu schüren, ohne ihn direkt auszusprechen.
Und sie macht es einem auch nicht gerade leicht. Fast könnte man meinen, sie spiele mit der Gefahr. Wie sie schon geht. Herausfordernd, das ist das Wort. Die meisten Kolcherinnen gehen so. Es gefällt mir ja. Aber man kann doch die Frauen der Korinther auch verstehen, wenn sie sich beschweren: Wieso sollten Fremde, Flüchtlinge, in ihrer eigenen Stadt selbstbewußter gehen dürfen als sie selbst. Es kam zu Reibereien, ich sollte schlichten, Medea ließ mich abblitzen.
Aber wohin treibt es mich. – Das Vließ? fragte Medea überrascht. Aber wieso das Vließ. Da standen wir beim Brunnen, sie hatte uns, Telamon und mir, den ersten Becher Wein gereicht, und ich hatte zum erstenmal die Funken in ihren graugrünen Augen gesehen, eine einzigartige Erscheinung. Man kann süchtig danach werden. Und sie, wenn sie die Wirkung bemerkt, kann auf ihre überlegene Weise lächeln und die Augen niederschlagen, den Gefesselten freigeben, und bis heute scheint es ihr nichts auszumachen, daß mancher dieser Freigelassenen ihr diese Überlegenheit schwer verdenkt. Das Vließ. Da sollte ich ihr nun in diese Augen hinein erklären, warum ich ein starkes Schiff mit fünfzig Rudern und einem hohen Segelmast hatte bauen lassen, es mit den edelsten Söhnen meines Landes besetzt hatte und mit ihm durch unser vertrautes Mittelmeer, durch eine hochgefährliche Meerenge in das wilde bedrohliche Schwarze Meer gefahren war, hierher in das düstere Kolchis, wo die Toten an den Bäumen hingen, nur um ein simples Widderfell zu holen, das allerdings, das gab sie ohne weiteres zu, vor Jahren mein Onkel Phrixos, der auf der Flucht war, als Gastgeschenk hier abgeliefert hatte. Ja gut. Aber was brachte mich dazu, ein Gastgeschenk zurückzufordern. Mir war doch all die Tage der Reise ganz klar gewesen, wozu wir dieses Fell auf einmal so dringend in Jolkos benötigten, schließlich setzten wir all unsere Kräfte, ja unser Leben dafür ein, und nun, vor dieser Frau, fing ich an zu stottern, und all die hohen und zwingenden Gründe schrumpften auf die etwas klägliche Tatsache, daß meine Nachfolge auf den Thron von Jolkos an den Besitz dieses Vließes geknüpft worden war. Sie, forschend, gab sich Mühe zu begreifen. Ach so, es gehe um den Herrschaftsstreit zwischen zwei Königshäusern. Ja. Nein. Nicht nur. Telamon, ungeschickt, sprang mir bei. Pelias, mein Onkel, der den Thron in Jolkos besetzt halte, habe geträumt. Wie schön für Pelias, sagte Medea, sie kann unangenehm nüchtern sein. Sie glaubte, mein Onkel Pelias wolle mich mit diesem gefährlichen Auftrag einfach außer Landes schaffen. Aber nein, nein. Jedenfalls nicht nur. Jetzt kam es darauf an, dieser Frau begreiflich zu machen, das Vließ war nicht nur ein Vorwand, sondern ein heiliger Gegenstand, auf den wir nicht verzichten konnten. Wieso, wollte sie wissen. Nun sollten wir die Aura eines heiligen Gegenstandes mit dürren Worten beschreiben. Wir zappelten uns ab, bis Telamon herausplatzte, das Vließ sei ein Symbol männlicher Fruchtbarkeit, worauf sie trocken bemerkte, dann sei es um die männliche Fruchtbarkeit in Jolkos wohl nicht zum besten bestellt. Ungern denke ich an die Beteuerungen, in die der arme Telamon sich verhedderte und die sie endlich mit einer lässigen Handbewegung abbrach.
Sie saß auf dem hohen Roß, sie sagte, was immer dieses Vließ uns bedeuten mochte, sie glaube nicht, daß ihr Vater, der König, es ohne weiteres ausliefern werde. Ein bisher wenig geschätzter Besitz werde einem ja plötzlich kostbar, wenn ein anderer ihn begehre, nicht wahr. So trotteten wir verwirrt hinter ihr her in ihres Vaters Palast, der übrigens ganz aus Holz war, kunstvoll mit Schnitzereien verziert, gewiß, aber einen Palast würde man das bei uns nicht nennen. Trotzdem versäumten wir nicht, unsere Bewunderung auszudrücken, wie der Gastfreund es soll, und ich hatte zu tun, den Schwarm unliebsamer Gedanken einigermaßen zur Ruhe zu bringen, den sie in meinem Kopf aufgestört hatte. So geht es immer mit ihr, bis heute. Nichts hat den König Kreon und seine Umgebung so gegen sie aufgebracht wie der Gleichmut, mit dem sie kürzlich ihre Austreibung aus dem Palast von Korinth zur Kenntnis nahm, angeblich, wie der Leibarzt des Königshauses bezeugte, weil ihre Mittelchen und Tränke der uralten Mutter des Königs geschadet hätten, aber das glaubte sowieso keiner. Jetzt bringen sie schon andere Ausreden vor. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, warum man sie aus dem Weg haben wollte. Leukon behauptete, der Palast habe ihr stolzes spöttisches Wesen nicht mehr ertragen, aber reicht das aus? Jedenfalls packte sie beinahe erleichtert ihre Sachen, viel war es nicht, ich stand herum, sah ihr zu, sagte nichts, hatte nichts zu sagen, Lyssa machte nebenan die beiden Kinder fertig, dann standen sie vor mir, mit ihren Bündeln, so wie sie einst in diesen stolzen Palast eingezogen waren, mir wurde heiß, ich schluckte. Ich höre Medea noch fragen: Na, gehst du mit? Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen, und genau das hatte sie mir mit ihrer Frage zeigen wollen. Ich würde sie oft besuchen, muß ich wohl gesagt haben, sie und die Kinder, und sie lachte, nicht geringschätzig, eher nachsichtig, fand ich, und ließ die anderen vorgehen, stand dicht bei mir, legte ihre Hand auf meinen Nacken und sagte: Mach dir nichts draus, Jason. Es hat so kommen müssen.
Die Hand kann ich in meinem Nacken spüren, wann ich will, und was sie mir gesagt hat, ist mir oft ein Trost gewesen. Aber wem soll ich das erzählen. Telamon? Dem kann ich es seit langem nicht mehr recht machen. Der hat sich keine Frau genommen, begnügt sich mit Liebschaften. Ausgerechnet der hat es mir übelgenommen, daß ich nicht mit Medea in dieses Vogelnest an der Palastmauer gezogen bin. Der macht Stimmung gegen mich in den Schenken, in denen er sich herumtreibt und das bißchen Geld vertrinkt, das ich ihm gebe, schließlich ist er einer der letzten Gefährten aus unserer großen Zeit. Es kommt vor, daß wir uns unverabredet im Schatten der »Argo« treffen, die in Hafennähe unter großen Feierlichkeiten aufgedockt wurde und jetzt von keinem Menschen mehr beachtet wird, was heißt, daß unsere Taten schon vergessen sind. Einmal habe ich Telamon in Tränen ertappt. Er trinkt, da wird man wehleidig. Akamas hat recht: Die Zeiten werden um so größer, je weiter man sich von ihnen entfernt, das ist normal, und es ist sinnlos, sich an die großen Zeiten zu klammern. Nur, woran soll man sich klammern. Medea? Mit ihr zugrunde gehen? Man könnte den Verstand verlieren.
Ohne sie wäre uns Kolchis verschlossen geblieben. Sie führte uns zu ihrem Vater, dem König Aietes, der empfing uns, überrumpelt, Medea stellte uns ihm förmlich vor und ging, obwohl er sie bat, in befehlendem Ton, sie solle bleiben. Sie ging. Er saß allein in der großen Halle aus Holz, die reich ausgestattet und mit Schnitzereien geschmückt war. Ein schmächtiger Mann, der den Thronsessel kaum ausfüllte, sein Gesicht war hager und bleich, umrahmt von krausem schwarzem Haar, ein Häufchen Unglück, sagte Telamon, als wir wieder draußen waren, mir fiel ein anderes Wort ein: brüchig. Die ganze Erscheinung war brüchig, wie die Stimme, mit der er uns willkommen hieß und sich geehrt zeigte über Gäste von so weit her, die ihm sicherlich kundtun würden, was sie zu ihm führte. Ich trug ihm, nicht anmaßend, doch bestimmt, meinen Auftrag vor, das Fell jenes Widders, das mein Onkel Phrixos nach Kolchis gebracht habe, mit seiner, des Aietes Erlaubnis, an seinen Ursprungsort zurückzubringen und dadurch die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu festigen und einen regulären Seeweg einzurichten.
Zuerst dachte ich, Aietes habe mich nicht verstanden. Ja, ja, der Phrixos, sagte er und kicherte, wobei er sich mit einer unpassenden Altmännergeste die Hand vor den Mund hielt, dann brachte er läppische Anekdoten vor, ziemlich peinliche Liebesgeschichten, die dem Onkel angeblich regelmäßig schiefgegangen waren. Er redete und redete, Mädchen brachten uns Wein und die schmackhaften Gerstenfladen, die ich mir heute noch von den Kolcherinnen hier backen lasse, keine kann es so gut wie Lyssa, dann entließ er uns plötzlich, ohne ein Wort über unser Anliegen verloren zu haben, und am nächsten Abend wurden wir wieder zu ihm beordert, in großer Formation diesmal, es gab einen förmlichen Empfang, als kennten wir uns noch nicht, ein anderer König saß da würdevoll in höfischer Kleidung auf dem Thron, umgeben von den Ältesten, neben mir an der Tafel die dunkle, verschlossene Medea und ihre Schwester Chalkiope mit ihrer braunen Haut, dem blonden starken Haarschopf und den stahlblauen Augen. Die Frauen der Kolcher können einen verwirren, dachte ich und fing an, mich behaglich zu fühlen, da kam der kalte Guß. Einer der Ältesten erhob sich, brachte eine Reihe unverbindlicher Floskeln vor und verkündete schließlich den Ratschluß des Königs. Er erlege mir bestimmte Proben auf, ehe man mir das Vließ überlassen wolle. Ich sollte die Stiere besiegen, die es bewachten, und ich sollte die ungeheure Schlange überwinden, unter deren Schutz das Vließ im Hain des Ares in der Krone einer Eiche aufgehängt war und die, soviel hatten meine Männer schon erfahren, von der Aura der Unbesiegbarkeit umgeben war.
Ich spürte Zorn in mir aufsteigen. Was sollte das. War das eine Falle. Sollte ich mich darauf einlassen. Ich suchte die Blicke meiner Männer, Ratlosigkeit bei allen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, hätte den Tisch umgekippt und wäre gegangen. Aber wir waren hoffnungslos in der Minderzahl.
Die Schlange. Immer noch träume ich von ihr. Das kolchische Ungeheuer, das sich in ungeheuerlicher Länge um den Stamm der Eiche windet, im Traum sehe ich sie so, wie meine Männer sie beschreiben: mit drei Köpfen, dick wie der Stamm der Eiche, feuerspeiend sowieso. Ich mische mich da nicht ein, ich mag in meiner Kampferregung nicht alles wahrgenommen haben, und die Korinther wollen hören, daß im wilden Osten auch die Tiere unbezwinglich und schauerlich sind, und es schaudert sie, wenn man ihnen sagt, daß die Kolcher Schlangen als Hausgötter an ihrer Herdstelle hielten und sie mit Milch und Honig fütterten. Wenn sie wüßten, die braven Korinther, daß diese Fremden auch hier nicht davon abgelassen haben, daß sie es heimlich weiter tun, das Schlangenhalten und Schlangenfüttern. Aber sie betreten ja nie die ärmlichen Behausungen der Fremden am Rand der Stadt, oder Medeas Wohnstätte, so wie ich es tue, wenn es mich doch immer wieder zu ihr treibt und mir aus der Asche von Lyssas Herdstelle ein Schlangenköpfchen mit den goldbraunen Augen entgegenblickt, bis Lyssa es durch leichtes Händeklatschen vertreibt. Sie wissen die Schlangen zu zähmen, das ist die Wahrheit, ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Habe gesehen, wie Medea sich an den Stamm jener mächtigen Eiche hockte, wie die Schlange sich zu ihr herunterbog und sie anzischte, wie Medea aber leise zu summen anfing, dann zu singen, eine Melodie, die das Untier still werden ließ, so daß Medea ihm den Saft frisch geschnittener Wacholderzweige auf die Augen träufeln konnte, den sie in einem Fläschchen bei sich trug und der den Drachen, oder soll ich sagen: die Drachin, einschläferte.
Viele Male habe ich es erzählen müssen, wie ich auf den Baum geklettert bin, wie ich das Vließ zu packen kriegte und mit ihm glücklich wieder herunterkam, und jedesmal hat die Geschichte sich ein wenig verändert, so wie die Zuhörer es von mir erwarteten, damit sie sich ordentlich fürchten und am Ende ordentlich erleichtert sein konnten. Es ist dahin gekommen, daß ich selbst nicht mehr genau weiß, was ich da in dem Hain, an der Eiche mit jener Schlange erlebt habe, aber das will ja sowieso keiner mehr hören. Sie sitzen abends an den Lagerfeuern und singen von Jason dem Drachentöter, manchmal komme ich vorbei, es schert sie nicht, ich glaube, sie wissen nicht einmal, daß ich es bin, den sie besingen. Einmal hörte Medea mit mir den Liedern zu. Am Ende sagte sie: Sie haben aus jedem von uns den gemacht, den sie brauchen. Aus dir den Heroen, und aus mir die böse Frau. So haben sie uns auseinandergetrieben.
Es war ein trauriger Augenblick. Und wenn ich an solche Augenblicke denke, dann will ich nicht glauben, daß sie ihren Bruder getötet hat, warum denn bloß. Und eine leise Stimme in mir sagt, die glauben es selber nicht, am wenigsten Akamas, aber ich bin mißtrauisch geworden gegen meine inneren Stimmen, man hat mir dargelegt, daß sie von Medea beeinflußt waren und, wer weiß, noch sind, sie hat Macht über Menschen, sie schläfert einen ein. Wenn sie einen lange genug angeblickt hat mit ihren goldfunkelnden Augen unter dem dicken Strich der zusammengewachsenen Augenbrauen, dann glaubt man, was sie einem einredet. Kreon selbst hat mich davor gewarnt.
König Kreon ist wie ein Vater zu mir, was sage ich, er ist besser als mein Vater zu mir. Mein Vater hat mich immerhin als Säugling weggegeben, mag ja sein, weil er mich den Nachstellungen meines Onkels, des Thronräubers Pelias, entziehen wollte, und ich will mich nicht über meine Kindheit beklagen; man lebte mit Cheiron als Erzieher in den Gebirgswäldern Thessaliens frei und zugleich mit allem Wissen versorgt, das ein Mann von guter Familie braucht, ich weiß noch, wie Medea meine Kenntnisse in der Heilkunde beeindruckten. Das ist lange her. Irgendwann muß ein Mann sich entscheiden, was er will, und muß auch vergessen können, was er nicht mehr gebrauchen kann und was ihn nur belastet. So sprach mein Vater, der wollte auf den Thron zurück, das ist verständlich. Er war mir ein Fremder, als ich ihm zum erstenmal gegenübertrat, und die Frau an seiner Seite, die mich unter Tränen umarmte, mochte meine Mutter sein oder auch nicht. Sie war es, zweifellos. Übrigens eine plumpe Frau. Wie anmutig war Medeas Mutter Idya, wenn ich sie mit ihr vergleiche. Sehr schmal saß die neben dem König, aber nicht als sein Schatten. Schmal und fest. Und übrigens hochgeachtet. Wir fanden es eigentlich übertrieben, wie die Kolcher ihre Frauen hielten, als hinge von ihrer Meinung und ihrer Stimme etwas Wesentliches ab. Ich konnte sehen, daß Idya gar nicht einverstanden war mit den Bedingungen, die der König mir stellte, sie redete heftig auf ihn ein, er kroch in seinen Königsmantel und stellte sich taub. Wir mußten uns ja fragen: Sollten wir uns auf das Abenteuer einlassen, das, wie wir sehr wohl begriffen, gefährlich werden konnte, oder sollten wir einfach wieder abfahren, das Vließ, dieses dumme Fell, das mir schon über war, an seinem Ort belassen und uns zu Hause mit irgendeiner Geschichte herauswinden. Ich war nicht scharf darauf, als Leiche in den Ästen irgendeiner kolchischen Eiche zu hängen. Etwas Drittes schien es nicht zu geben.
Wir durchschauten die Verhältnisse in Kolchis nicht, in die wir hineingeraten waren, ausgerechnet an einem heiklen Punkt, wie wir allmählich zu spüren kriegten. Wir kannten nicht die kolchischen Frauen. Immer haben sie ihre Geheimnisse vor Fremden gehütet, so wie wir. Jetzt sage ich wir und meine die Korinther, hat also Kreon recht, wenn er sagt: Aber du gehörst doch zu uns, Jason, das sieht doch ein Blinder. Und man setzt doch die Kolcher nicht herab, das habe ich Medea klarzumachen versucht, wenn man feststellt, daß sie anders sind. Da hat sie aufgelacht in ihrer höhnischen Art, die mir mehr und mehr auf die Nerven geht, aber zugeben mußte sie mir, daß die Leute aus Kolchis sich hier in ihrem Stadtviertel zusammendrängen und an ihren Bräuchen festhalten und nur untereinander heiraten und also selber darauf bestehen, daß sie anders sind. Ihnen unterlegen, meinen die meisten Korinther, auch König Kreon. Aber ich bitte dich, Jason, letzten Endes sind es doch Wilde, sagte er neulich und legte mir seine Hand auf den Arm. Reizvolle Wilde, zugegeben, nur zu verständlich, daß wir diesen Reizen nicht immer widerstehen. Zeitweise. Er lächelte milde. Ich habe ein komisches Gefühl. Ich glaube, er will etwas Bestimmtes von mir. Medea sagt: Er klopft dich weich, mit sanften Schlägen, und dann fährt sie mir mit dem Handrücken über die Wange, leichthin, wie einem Knaben. Als rechne sie nicht mehr mit mir. Kreon rechnet mit mir. Womit ich rechne, das weiß ich nicht, und ich sehe niemanden, den ich fragen könnte. Am wenigsten meine alten Gefährten, die paar, die mir hierher gefolgt sind, weil sie kein Zuhause haben oder weil sie sich, wie ich, von einem kolchischen Mädchen nicht trennen konnten. Die hängen in den Hafenkneipen herum und fallen den Leuten auf die Nerven mit ihrem Selbstmitleid. Ich meide sie. Ja, einmal wußte man, wozu man auf der Welt ist, die Zeiten sind vorbei.
Jetzt will man sie vernehmen, höre ich. Oder jedenfalls befragen. Ob sie etwas über den Mord an Medeas Bruder Absyrtos aussagen können. Ich bitte dich, Akamas, habe ich dem Mann vorgehalten, was sollen die sagen, und insgeheim dachte ich, was natürlich auch Akamas weiß, für einen Krug Wein werden sie alles sagen, was man von ihnen hören will. Will man also etwas Bestimmtes von ihnen hören? Aber das ist doch absurd. Man wird auch dich befragen, Jason, sagte Akamas.
Mir ist nicht wohl dabei, mir ist gar nicht wohl. Aber was weiß ich denn, was könnte ich denn sagen. Den Absyrtos habe ich gesehen, stimmt, er war ein schöner anmutiger Knabe mit einer schmalen kühnen Nase in dem dunkelhäutigen Gesicht und saß an der Festtafel links neben seinem Vater Aietes, der ihn andauernd liebkoste, das stieß mich ab, erinnere ich mich. Jedermann schien ihm zu schmeicheln, ein verwöhnter Junge, der sicher in seinem gepolsterten Nest saß, unsereins hat sich anders durchschlagen müssen, doch das waren nur flüchtige Empfindungen, verwunderlich, daß ich mich überhaupt an sie erinnere. Sicherlich hat das Unglück dieses Jungen meinen Eindruck von ihm gefestigt und mein vages Gefühl, daß von einem gewissen Augenblick an mein Schicksal mit dem seinen verknüpft war. Das Bindeglied war Medea. Zwei Tage nach unserem Empfang, zwei Tage, in denen ich nicht wußte, was tun, zwei Tage, in denen niemand sich um uns kümmerte, war die Stimmung im Palast plötzlich umgeschlagen. Ein Entsetzen schien alle erfaßt zu haben, stumm, verstört liefen sie durch die Gänge, niemand ließ sich ansprechen, bis ich auf Chalkiope traf, die, außer sich vor Trauer, auf dem Weg zu Medea war, zu der ich wollte, mir Rat holen. Ihr Name nämlich, hatten die Kolcher meinen Männern zugeflüstert, bedeute: die guten Rat Wissende. Nun denn, sollte sie diesem Namen Ehre machen.
Sie hockte in einer düsteren Kammer und schien nicht mehr dieselbe Frau zu sein. Sie hatte geweint, jetzt war sie reglos, steif, sehr bleich. Sie umklammerte mit den Händen ihre Arme, als müsse sie sich an sich selber festhalten. Nach einer langen Weile sagte sie mit lebloser Stimme: Du kommst zu ungünstiger Stunde, Jason. Und viel später, als frage sie sich selbst: Oder zu besonders günstiger. Ich traute mich nicht, eine Frage zu stellen. Ganz und gar überflüssig wurde ich, als die Königin hereinkam, Idya, rasend vor Zorn, gleich waren die Töchter an ihrer Seite, hielten sie, Chalkiope winkte mir, ich ging.
Absyrtos sei ermordet worden, hieß es. Der arme Knabe. Zerstückelt, hieß es gerüchteweise. Es schüttelte mich. Weg, nur weg. Wir trafen Vorbereitungen zur Abfahrt. Da ließ Medea mir sagen, sie wolle mich treffen. Abends, bei der »Argo«. Dann stand sie da und erklärte, sie werde mir helfen, das Vließ zu erringen. Ohne Begründung. Dann nannte sie mir jeden einzelnen Schritt, den ich zu tun hatte. Wie ich, scheinbar vom Vließ Abstand nehmend, scheinbar die Abfahrt vorbereitend, den König täuschen sollte. Wie ich zum Abschiedstrunk in den Palast kommen sollte. Wie sie dafür sorgen würde, daß weder die Wächter im Palast noch die am Hain des Ares mich stören würden. Warum ich die Schlange, von der ich inzwischen wahre Schauermärchen gehört hatte, nicht fürchten müsse, und so weiter. Den ganzen Ablauf in allen Einzelheiten. Und als wir fertig waren, mir schwirrte der Kopf, stand Medea auf und sagte, so kalt wie alles andere: Eine Bedingung: Du nimmst mich mit. Und ich, überrumpelt, voll widerstreitender Empfindungen, sagte einfach: Ja. Und nachdem ich das gesagt hatte, wußte ich, daß ich es wollte, und fühlte eine seltsame neugierige Freude und fragte mich, ob Medea jetzt von mir erwartete, daß ich sie umarmte oder sonst irgendeine bedeutsame Geste tat, aber sie hob nur die Hand zum Gruß und schlüpfte weg. So macht sie es bis heute. Was ihr wichtig ist, behandelt sie beiläufig.
Nur diese Totenfrüchte hat sie mir einmal ernsthaft erklärt – wir mußten uns öfter treffen, und sie merkte, wie mir vor diesem Hain schauderte –; daß bei den Kolchern nur die Frauen begraben würden; männliche Leichen würden in den Bäumen aufgehängt, wo die Vögel sie bis aufs Skelett säubern könnten, dann würden diese Skelette, nach Familien getrennt, in Felsenhöhlen aufbewahrt, es sei eine säuberliche und ehrfürchtige Methode, was mich daran störe. Mich störte so ziemlich alles daran, besonders aber der Gedanke, daß Vögel eine menschliche Leiche zerhacken und fressen wie irgendein Aas; der Tote, hielt ich ihr vor, müsse körperlich unversehrt in seinem Grab beerdigt oder in der Felsenhöhle eingemauert werden, um seinen Weg durch die Unterwelt anzutreten und im Jenseits ankommen zu können. Sie hielt dagegen, in den Toten sei die Seele nicht mehr, unbeschädigt sei sie entwichen und werde von den Kolchern an bestimmten dafür vorgesehenen Plätzen verehrt, und zur Wiedergeburt in einem anderen Körper füge die Göttin die zerstückelten Leiber der Toten zusammen. Das, sagte sie, sei der feste Glauben der Kolcher. Sie beobachtete mich aufmerksam, während sie sprach. Und käme es nicht darauf an, fragte sie am Ende, welchen Sinn man einer Handlung gebe? Der Gedanke war mir fremd, ich war sicher und bin es bis heute, daß es nur eine richtige Art gibt, seine Toten zu ehren, und viele falsche. Ich weiß übrigens nicht, warum sie mich dann fragte, ob es bei uns in den Ländern der untergehenden Sonne Menschenopfer gebe. Aber nein, sagte ich entrüstet, sie legte den Kopf schief und sah mich forschend an. Nein? sagte sie. Auch nicht, wenn es hart auf hart kommt? Ich sagte immer noch nein, und sie meinte nachdenklich: So. Vielleicht stimmt es ja.
Und jetzt, nach so langer Zeit, hat sie unser Gespräch nicht vergessen, vorhin strich sie bei mir vorbei und fragte: Keine Menschenopfer, glaubst du das immer noch? Ach, mein Armer. Und kaum war sie außer Sicht, kam dieser Turon angestürzt, ein eilfertiger Widerling, den sich Akamas herangezogen hat, und wollte wissen, was Medea mir gesagt habe. Was ist bloß los. Dieser Nebel, in dem sie mich herumtappen lassen, wird mich noch wünschen lassen, ich hätte Medea nie gekannt oder sie und die Ihren wenigstens in Kolchis zurückgelassen. Ja. Auch wenn der Gedanke mich erschreckt. Dabei weiß ich, ohne sie wäre keiner von uns aus Kolchis weggekommen.
Jetzt überfällt mich das Bild wieder, das ich all die Jahre unter der Oberfläche gehalten habe. Das grausamste und unwiderstehlichste Bild, das ich von ihr habe. Medea als Opferpriesterin vor dem Altar einer uralten Göttin ihres Volkes, in ein Stierfell gehüllt, eine aus Stierhoden gefertigte phrygische Mütze auf dem Kopf, Zeichen der Priesterin, die das Recht hat, Schlachtopfer zu vollziehen. Und das tat Medea. Sie schwang am Altar das Messer über den geschmückten Jungstier und schlitzte ihm die Halsschlagader auf, daß er in die Knie brach und verblutete. Die Weiber aber fingen das Blut auf und tranken davon, und Medea als erste, und mir schauderte vor ihr, und ich konnte den Blick nicht von ihr wenden, und ich bin sicher, sie wollte, daß ich sie so sah, schrecklich und schön, ich begehrte sie, wie ich noch nie eine Frau begehrt hatte, ich hatte nicht gewußt, daß es dieses Begehren gibt, das dich zerreißt, und ich floh, als die Weiber im Blutrausch zu stampfen anfingen und gräßlich zu tanzen, und ich wußte, ohne diese Frau konnte ich nicht mehr weg. Ich mußte sie haben.
Ich tat alles, was sie mir befahl. Ich ließ mir, um die Stiere zu besiegen, diese entsetzliche Mütze überstülpen, sie enthalte einen Zauber und mache mich unsichtbar, ich ließ mich von ihrer wilden Trommelmusik antreiben, die mir in die Glieder fuhr und mich toll machte, ich kannte mich nicht mehr, ich fuhr unter die Stiere und schlachtete sie ab, ich war außer mir und wollte außer mir sein. Ich täuschte den König und trank ihm zum Abschied zu, ehe er und seine Wächter in Schlaf sanken. Ich ließ mich von Kopf bis Fuß mit ihrer Salbe bestreichen, das sei ein Schutz gegen das Schlangengift. Ich hätte ihr alles geglaubt. Was dann mit mir geschah, weiß ich nicht. Es war grauenhaft, das weiß ich sicher. Mein Bewußtsein verließ mich.
Als ich aufwachte, war ich elend und sterbenskrank, und sie hockte neben mir, Medea, es war Nacht, um uns Wald, sie rührte in einem Kessel, der auf drei Beinen über einer Feuerstelle stand, das flackernde Licht ließ sie uralt erscheinen. Ich konnte nicht sprechen. Ich war im Rachen des Todes gewesen, sein Atem hatte mich gestreift, ein Teil von mir war noch in dieser anderen Welt, vor der wir uns mit Recht fürchten. Ohne sie, ohne Medea, wäre ich zugrunde gegangen. Ich muß etwas gestammelt haben wie: Hol mich da raus, Medea, und sie sagte nur: Ja, ja. Sie schöpfte eine Kelle von dem Sud, den sie zusammengebraut hatte, und hieß mich trinken. Es schmeckte widerwärtig und rann mir glühend durch die Adern. Medea legte ihre Hand lange auf meine Brust und erzeugte damit einen Wirbel in mir, der mir das Leben zurückgab. Es ist das Wundersamste, was ich je erlebt habe, dies sollte nie aufhören. Irgendwann murmelte ich, du bist eine Zauberin, Medea, und sie, unverwundert, sagte einfach: Ja. Verjüngt und kraftvoll erhob ich mich von diesem Lager. Ich hatte kein Gefühl für die Zeit, die vergangen war. Seit dieser Stunde verstand ich die Ehrfurcht und das Ansehen, die Medea unter ihren Kolchern genoß.
Und den Akamas versteh ich auch, und die Leute von Korinth, daß sie sie loswerden wollen. Loswerden? Woher kommt mir dieses böse Wort, ein Unsinn, ich muß ihn vergessen. Vorhin, als Akamas mit seiner spitzfindigen Beobachtungsgabe mir ansah, wie ich zwischen meiner Anhänglichkeit an Medea und meiner Pflicht, auch Lust, dem König Kreon zu Diensten zu sein, hin und her geworfen wurde, und als er mir dann den niederträchtigen Rat gab, doch einfach mal zu meinen Argonauten in die Kneipen oder zu einer dieser Huren zu gehen, um mich zu entspannen, da wäre ich ihm vor Wut fast an die Kehle gegangen, mitten auf dem Marktplatz von Korinth. Und er? Was sagte er? Auch gut, sagte er ungerührt. Tob dich aus, Jason. Ich drehte mich um und ließ ihn stehen. Da läuft etwas schief, ganz schief, und ich kann es nicht aufhalten.
Wenn sie nicht so hochmütig wäre. Schließlich war sie die Flüchtige, angewiesen auf mich. Und als mein Plan, mit Hilfe des Goldenen Vließes die Königswürde in meiner Heimat Jolkos meinem Vater wieder zuzuschanzen, gescheitert war; als auch ich fliehen mußte, da waren wir alle angewiesen auf die Gnade des Königs Kreon. Das habe ich ihr immer wieder sagen müssen. Und sie? Ich bin nicht von Kolchis weg, um mich hier zu ducken, solche Reden führt sie und bindet ihren wilden Haarbusch nicht ein, wie die Frauen von Korinth es nach der Hochzeit tun, und sagt noch: Na und? findest du mich nicht schöner so? Die Unverschämte. Weiß ganz genau, was ich schön, wen ich am schönsten finde. Und läuft durch die Straßen wie ein Ungewitter und schreit, wenn sie zornig ist, und lacht laut, wenn sie froh ist. Jetzt merke ich, ich habe sie lange nicht mehr lachen hören. Aber eines hat sie sich nicht nehmen lassen, mit ihrem Holzkästchen und der weißen Binde um die Stirn durch die Stadt zu laufen, zum Zeichen, daß sie als Heilerin unterwegs war und in ihrer Sammlung nicht gestört werden wollte, und jedermann hat sie respektiert, und die Familien, in denen sie einem Kranken geholfen hat, verbreiteten ihr Lob. Es wurde Mode in Korinth, sich an sie zu wenden und nicht an die Astrologen oder an die Ärzte aus der Schule des Akamas. Diese Unglückselige wurde so übermütig, daß sie einem Beamten des Königs gegenüber, dessen Sohn sie von unerträglichen Kopfschmerzen befreit hatte, die Heilkunst dieser würdigen Männer bündig »faulen Zauber« nannte – ein Wort, das dieser Mann pflichtschuldigst im Palast verbreitete. Danach hatten wir unseren ersten heftigen Streit. Paß auf, was du sagst! schrie ich sie an, und sie, mit dieser aufreizenden Ruhe, erwiderte, das habe sie gerade mir empfehlen wollen; ich sagte: Die sind dir über, und sie: Das werden wir sehen. Hör mal, sagte sie noch, du hast es selber schon mal besser gewußt. Was hat dich denn dein Cheiron gelehrt? Diese albernen Kunststücke, mit denen sie die Leute übers Ohr hauen? Es war merkwürdig. Was Cheiron mich gelehrt hatte, die gute Heilkunst, die Medea ausübt, ich begann, sie zu vergessen. Sie nützt mir hier nichts. Hier muß ich Bescheid wissen über die Vorgänge im Palast, das ist lebenswichtig für uns, sie will es nicht begreifen.
Natürlich waren sie ihr über. Sie mußte unsere gemeinsame Wohnung in einem Nebenflügel des Palasts räumen. Das richte sich nicht gegen mich, erklärte man mir. Aber jemanden, der womöglich eine krank machende Ausstrahlung habe, solle man doch wohl aus der Nähe der königlichen Familie entfernen. Wenn sie heuchelten und logen und falsche Gründe vorschoben, nur um sie aus dem Palast zu kriegen, dann mußte es ihnen ernst sein. Natürlich wartete sie darauf, daß ich sie verteidigte. Oder daß ich mit ihr ging. Aber wie kann man jemanden gegen vorgeschobene Beschuldigungen verteidigen. Und wäre ich mit ihr gegangen, hätte ich unsere Lage doch nur verschlimmert.
Sie ging. Man gab ihr zwei von den Leuten des Akamas zur Seite, die verhindern sollten, daß sie den Palast verfluchte. Als ich Akamas daraufhin zur Rede stellte, brach er in schallendes Gelächter aus. O diese schlichten Gemüter, rief er, aufs höchste amüsiert. Als ob eine Medea nicht ohne Worte und an jedem Wächter vorbei verfluchen könnte, was und wen sie wolle.
Ich besuchte Medea in ihrer Lehmhütte zuerst regelmäßig. Gewiß, es war nicht mehr dasselbe zwischen uns, aber das ist normal, das sehe ich überall ringsum. Kreon zog mich näher an sich heran, alle möglichen Pflichten und Dienste wurden mir auferlegt, darunter glanzvolle, die die Person erhöhen. Das Vließ liegt unter vielen anderen Opfergaben am Altar des Zeus und vermodert. Meine Aussichten in Korinth sind nicht schlecht, ich mache mir da meine eigenen Gedanken. Akamas machte eine Andeutung. Alles könnte ganz gut laufen, wenn sie nicht diese alte Sache ausgegraben hätten. Medea habe ihren Bruder getötet. Na und wenn? Wem schadet das heute noch. Aber es scheint vielen zu nützen, allzu vielen, ich kann es mir nicht verhehlen.
Was soll ich bloß tun. Nur sie, Medea, könnte mir raten. Verrückter Gedanke.