21. Er
Deshalb hat sie dann dafür gesorgt, dass ich versetzt wurde. Sie hat behauptet, ich hätte im Nachtdienst geschlafen und nach Alkohol gerochen, und da sie eine freundliche, gramgebeugte und sehr junge, attraktive Frau war und ich eine kinderlose, unattraktive Schwester, haben die Ärzte es vorgezogen, ihr zu glauben anstatt mir.
Fahr schneller, Mann.
Ich mache mir solche Sorgen. Ich hätte Blue niemals da mit reinziehen dürfen. Alles, was Blue mir auf die Mailbox gesprochen hat, lässt darauf schließen, dass Anja Verdacht geschöpft hat.
Los, los, tritt in die Pedale!
Mit dem Fahrrad bin ich einfach viel zu langsam und ich ärgere mich einmal mehr, dass ich noch immer keinen Führerschein habe. Ich schalte einen Gang höher. Es kracht.
Nein, bitte nicht!
Die Kette reißt in dem Moment, in dem ich über eine Bodenwelle fahre. Ich verliere die Kontrolle, das Rad kommt ins Schleudern, ich kippe zur Seite und falle auf den Waldboden, das Rad auf mich drauf.
Das darf doch nicht wahr sein! Genau das Knie, das ich neulich absichtlich verletzt habe. Mist!
Ich hebe das Rad runter von mir und starre wütend die Kette an, deren lose Enden vor meinen Augen hin- und herbaumeln. Das Fahrrad ist echt der letzte Dreck! Erst der Platten und jetzt reißt auch noch die Kette.
Was nun? In meinem Hintern spüre ich ein dumpfes Pochen und mein Knie sticht bei der kleinsten Bewegung, aber es hilft nichts, ich muss zu ihr.
Ich zerre das Rad ins Gebüsch, hoffe, dass es keiner klauen wird, und renne los, so schnell ich kann. Ich darf sie jetzt nicht im Stich lassen. Es muss etwas passiert sein, das Anja außer Kontrolle gebracht hat. Die Zwillinge und Blue sind in Gefahr.
Mein Knie tut jetzt doppelt so weh wie neulich und ich denke mir, das ist die Strafe für meinen bescheuerten Plan. Ich hätte von Anfang an ehrlich mit Blue sein müssen, statt es über diese verlogene Anmache zu versuchen. Das hat sie nicht verdient und wäre auch gar nicht nötig gewesen, denn sie gefällt mir wirklich.
Meine Lunge sticht. Schneller, lauf verdammt noch mal schneller!, sporne ich mich selber an.
Nein, stopp, ich muss sie anrufen, ihr sagen, dass es länger dauert, bis ich kommen kann. Ich ziehe hektisch atmend mein Handy aus der Hosentasche. Ungläubig starre ich auf das zerbrochene Display. Mit zitternden Fingern versuche ich, Blues Nummer zu wählen, und es passiert – nichts.
Verflucht! Ich hätte es in eine Schutzhülle tun sollen, wie alle intelligenten Menschen. Am liebsten würde ich das Handy vor lauter Wut auf mich selbst in den Wald schleudern, aber ich stecke es trotzdem wieder ein und stürme weiter.
Sofort sind meine Gedanken wieder bei Blue. Wie sie hinter den Kindern hergerast ist, mit dem Auto auf diesem fiesen Waldweg – wie eine wild gewordene Göttin. Sie hat alles getan, um die beiden zurückzuholen, sie aus meiner Gewalt zu befreien, ohne auch nur eine Minute an sich selbst zu denken.
Seitenstechen. Nicht anhalten. Ich presse die Faust in die Seite und trabe weiter. Atme ruhiger.
Jetzt kümmere du dich um sie, hilf ihr. Schließlich warst auch du es, der sie in diese Lage gebracht hat. Und Blue hat nun wirklich keine Schuld an dem, was man mir angetan hat.
Aber wir brauchen Hilfe. Anja ist schlau. Und sie ist gefährlich. Das Beste wäre es, wir könnten Stefan überzeugen. Schnell überzeugen. Aber warum sollte er mir jetzt glauben?
Wenn Blue oder den Zwillingen etwas zustößt, dann wäre dies das Ende von allem. Dann hätte ich wirklich gar nichts richtig gemacht und umsonst gelitten wie ein Hund.