17. Kapitel
Sie haben mich mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht, nicht ins Elisabethenstift, sondern ins Klinikum nach Bogenhausen. Martin Bolzern, der Mann, der mich gerettet hat, hat die Polizei gerufen und den Krankenwagen. Er ist davon überzeugt, dass ich vergewaltigt und erstochen worden wäre, wenn er nicht so mutig dazwischengegangen wäre.
Ich bin völlig verwirrt. Zum Glück ist es Pa, der gleich gekommen ist, und nicht Mam. Ich klammere mich an ihn, weil ich mich fühle, als wäre ich ein Stück Würfelzucker, das jeden Moment in kleine Kristalle zerfallen kann.
Als Pa gehört hat, dass ich von einem Schwarzen überfallen worden bin, hat er darauf bestanden, Frau Koslowsky zu informieren. Er ist davon überzeugt, dass das irgendwie mit dem Foto zusammenhängt, und jetzt stehen die beiden vor mir. Frau Koslowsky hat die anderen Beamten weggeschickt. Sie will, dass ich erzähle, was passiert ist. Aber ich erinnere mich nicht mehr richtig. Ich weiß, ich bin aus der Pizzeria gelaufen. Dann war da dieser dunkle, ewig lange Häuserdurchgang und zum Schluss die U-Bahn. Dort bin ich in den Matsch gefallen, der Matsch war überall und ich habe keine Luft mehr bekommen, konnte den Kopf nicht heben, weil jemand mich fest nach unten gedrückt hat. Als ich wieder zu mir gekommen bin, lag ich im Arm eines Schwarzen, der genauso aussah wie der Tote auf dem Foto, das Alex zerrissen und aus dem Fenster geworfen hat.
»Alex«, murmele ich, »Alex …«
Pa und Frau Koslowsky schauen sich überrascht an.
»Heißt der Schwarze Alex?«, fragt Frau Koslowsky und zückt ihren Block.
»Nein«, ich schüttele den Kopf, höre aber sofort damit auf, weil mein Kopf in tausend Stiche explodiert. Was wollte ich gerade sagen? Ich erinnere mich nicht.
»Es wäre wirklich gut, wenn du noch eine Nacht zur Beobachtung hier bleibst.« Pa sieht fürchterlich aus, er kommt mir alt vor, tausend Jahre alt. Tiefe Falten zerschneiden sein Gesicht in lange Stücke, unter seinen Augen sind dunkelviolette Ringe und die Augäpfel voller rot geplatzter Äderchen.
»Ich will aber lieber nach Hause.« Während ich das sage, dämmert mir, dass mein Zuhause im Moment die Wohnung von Mam und Oliver ist. Trotzdem, ich will nicht hier bleiben.
»Ich glaube, in der Wohnung fühle ich mich sicherer.«
»Wir müssen noch deine Anzeige aufnehmen.« Frau Koslowsky sieht schwer genervt aus.
»Anzeige? Aber warum?«
»Du wurdest nach deiner eigenen Angabe und der des Zeugen überfallen und ausgeraubt. Da erstattet man für gewöhnlich Anzeige gegen Unbekannt. Oder gegen den Täter, wenn man ihn kennt. Und du musst eine Aussage machen. Konntest du denn jemanden erkennen?«
Ich sehe von einem zum anderen. »Es war der Tote vom Foto.«
Frau Koslowsky und Pa schauen sich abermals an, sie stöhnt leise und lässt ihre Hand mit dem Block wieder fallen.
»Und wo ist das Foto?«, fragt sie.
»Es ist alles weg, was in ihrem Rucksack war«, mischt sich Pa ein und lächelt mir beruhigend zu.
»Gut, dass ich eine Kopie davon habe«, sagt die Polizeibeamtin, holt sie aus ihrer Tasche und hält mir das Foto vor die Nase.
Als ich wieder die weit aufgerissenen Augen sehe, die genauso aussehen wie die, die mich so besorgt angeschaut haben, als ich zu mir gekommen bin, wird mir klar, dass ich mich irgendwie täuschen muss.
»Ich weiß, es klingt verrückt«, murmele ich zaghaft. »Vielleicht irre ich mich ja auch. Aber ich glaube nicht, dass es dieser Junge war, der mich angegriffen hat.«
»Hast du etwas gehört? Hat der Mann gesprochen?«
»Nein, ich habe nichts gehört.« Ich drehe den Kopf. »Obwohl, als ich mit dem Gesicht im Matsch lag, da war etwas.«
»Ja?« Frau Koslowsky nickt ermunternd.
»Es klang wie ein Kampf, aber ich musste mich so darauf konzentrieren, Luft zu kriegen …« Ich reibe mir verzweifelt die Stirn. Wenn ich mich doch nur besser erinnern könnte!
»Und du bist immer noch sicher, dass du den Jungen auf dem Foto nicht kennst?« Frau Koslowsky schaut mich so skeptisch an, als würde sie mir kein Wort glauben.
Mir wird plötzlich übel und ich möchte mich gern hinlegen, aber ich will nicht, dass Pa etwas davon mitbekommt, weil ich sonst im Krankenhaus bleiben muss.
»Können wir nicht nach Hause gehen? Bitte.«
Pa zuckt hilflos mit den Schultern.
»Oliver ist doch da. Und schließlich ist er Arzt.« Das ist ein gutes Argument, mein Gehirn funktioniert also doch noch.
»Ich habe deiner Mutter noch nichts von dem Überfall erzählt, es würde sie umbringen.« Er presst die Lippen zusammen. »Entschuldige, aber der Kummer frisst sie auf.«
»Verheimlichen können wir es ihr so oder so nicht.«
Koslowsky nickt dazu. »Sie haben recht. Sie sollten Ihre Mutter nicht belügen, das rächt sich. Immer. Glauben Sie mir. Eine Lüge zieht die nächste nach sich.« Sie gibt sich einen Ruck. »Aber ein Tipp von mir: Vielleicht sagen Sie ihr die ganze Wahrheit erst morgen früh. Bei Tageslicht sieht alles viel besser aus. Ich komme dann in den nächsten Tagen zu Ihnen nach Hause, um Ihre Aussage aufzunehmen, Ruby.«
Sie reicht Pa die Hand und drückt sie ein bisschen zu lang, aber vielleicht kommt mir das auch nur so vor.
Pa begleitet sie, um mit der Stationsärztin zu klären, ob er mich gleich mit nach Hause nehmen darf. Sie kommt noch einmal zu mir und gibt mir dann nach einem prüfenden Blick grünes Licht. »Ich kann verstehen, dass du nach Hause willst«, sagt sie so mitfühlend, dass ich fast in Tränen ausbreche. »In deiner gewohnten Umgebung kannst du den Schock am besten verarbeiten.«
Zum Glück hat Pa mir frische Klamotten mitgebracht, sodass ich meine dreckstarrende Jeansjacke nicht wieder anziehen muss. Während ich versuche, in die Ärmel zu schlüpfen, merke ich erst, wie zittrig ich bin. Es kostet mich alle Kraft, den Anorak anzuziehen, und ich gerate ins Schwitzen.
Plötzlich kriege ich keine Luft mehr, es ist, als ob meine Kehle voller Schlamm ist. Als Pa hereinkommt, werfe ich mich in seine Arme, als wäre er mein Erlöser, und tatsächlich kriege ich wieder Luft. Er drückt mich fest an sich und murmelt mir zu, dass alles gut wird, dass ich nur ein langes heißes Bad brauche und etwas zu essen. Ich denke an die Maria-Callas-Pizza und mir wird wieder übel, aber ich versuche, es wegzuatmen. Pa packt die dreckigen Sachen in eine Plastiktüte für die Polizei und dann schleichen wir Arm in Arm aus dem Krankenhaus zum Auto und fahren in Mams Wohnung.
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Blog für alle, die wirklich lieben
Heute:
Die Umfrageergebnisse
Nein, haben 193 geantwortet. Nein!
Nur sieben könnten einen Spieler, Nazi oder Killer lieben.
Wie armselig ist das denn? Nach meiner Meinung kann sich Liebe nicht als Moralapostel aufspielen. Liebe muss in der Lage sein, über solche Beschränkungen hinwegzuschreiten. Und meine Liebe geht sogar noch sehr viel weiter. Wahrste Liebe heißt für mich bedingungsloses Handeln und Vertrauen.
Und das bedeutet nicht, dass jeder davon wissen muss. Wahrste Liebe kann man ganz für sich allein behalten. Man muss sie niemandem zeigen.
Blaise Pascal hat einmal gesagt: »Alles Unglück des Menschen rührt von seiner Unfähigkeit her, allein in seinem Zimmer zu sitzen.« Das mag wohl sein, aber jemand, der liebt, der kann allein in seinem Zimmer sitzen, denn er ist ja nie allein.
6 Kommentare:
Holunderarmin sagt:
Gelaber nichts als Gelaber. Solche Frauen gibt’s nur im Film!
Löwchenmeyers sagt:
Du bist krank und brauchst dringend Hilfe. Du bist abhängig, das ist keine Liebe, das ist Sucht!
Warum verschwindest du nicht endlich von meiner Seite? webmaster.wahrste-liebe.de
Löwchenmeyers sagt:
Weil ich mir Sorgen mache.
Ich habe schon eine Mutter!
webmaster.wahrste-liebe.de
Löwchenmeyers sagt:
Die scheint aber nie da zu sein, wenn du sie brauchst. Bitte rede mit jemandem, suche dir einen Menschen, der in der wirklichen Welt mit dir redet.
Mauseküsschen sagt:
Hey Löwchenmeyers, lass deinen lauwarmen Psychoquark woanders los! Ich finde Wahrste Liebe echt cool.
Löwchenmeyers sagt:
Ja, und so erklärt sich, dass Hitler und seine Kumpels Frauen und jede Menge Kinder hatten. Wie außerordentlich widerwärtig, wenn Frauen im Namen der Liebe dem Bösen zuschauen.